Mutantenanalyse epigenetischer Kontrollprozesse

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WISSENSCHAFT
Epigenetik
Mutantenanalyse epigenetischer
Kontrollprozesse
THOMAS RUDOLPH UND GUNTER REUTER
INSTITUT FÜR BIOLOGIE/GENETIK, NATURWISSENSCHAFTLICHE FAKULTÄT I,
MARTIN-LUTHER-UNIVERSITÄT HALLE-WITTENBERG
Mutationen lösen Gene aus der Anonymität des gesamten Genoms heraus und eröffnen die Analyse ihrer molekularen Funktion. Mutationen für
Gene, die epigenetische Kontrollprozesse steuern, wurden als dominante
Suppressor- und Enhancermutationen für Positionseffekt-Variegation
(PEV) beim genetischen Modellobjekt Drosophila isoliert. Bei PEV wird
Silencing von Genen durch Heterochromatisierung ausgelöst, nachdem
diese infolge einer Chromosomenmutation in eine neue unmittelbare
Nachbarschaft zu Heterochromatin verlagert wurden. Die Analyse der
molekularen Funktion von PEV-Suppressorgenen führte zur Identifizierung evolutionär konservierter Enzyme, die kovalente Histonmodifizierung und die epigenetische Programmierung im Genom kontrollieren.
ó Das Grundprinzip von Differenzierungsprozessen während der Entwicklung eukaryotischer Organismen kann mit der Formel
„ein Genom = viele Epigenome“ ausgedrückt
werden. Die kontrollierte Verpackung der
DNA ist mit differenziellem Indizieren des
Genoms durch Histonmodifikation verbunden. In der Entwicklung wird dadurch aus
der Vielzahl genetischer Entwicklungsprogramme je nach Ort und Zeitpunkt das passende Differenzierungsprogramm ausgewählt. Eine Reversion der Differenzierung
kann nur über Reprogrammierung des Epigenoms erfolgen. Epigenetische Kontrollprozesse sind Grundprozesse der Entwicklung,
die durch das Wirken einer Vielzahl von Genprodukten realisiert werden. Zur Identifizierung dieser Gene ist es nicht nur erforderlich, experimentell besonders ideale Modellorganismen zu nutzen, sondern auch phänotypisch leicht erkennbare epigenetische Phänomene zu bearbeiten.
Positionseffekt-Variegation und die
Analyse epigenetischer Kontrollprozesse
˚ Abb. 1: A, Variable Inaktivierung des white-Gens durch Heterochromatisierung in der Inversion
In(1)wm4 (Positionseffekt-Variegation). Suppressor- und Enhancermutationen identifizieren Gene,
die an der Etablierung von Euchromatin und Heterochromatin beteiligt sind. B, Die Differenzierung
von Euchromatin und Heterochromatin erfolgt unmittelbar nach der Furchung, wenn Blastodermkerne eine apikal-basale Polarität aufweisen. Die Antikörperfärbung zeigt eine Anreicherung der
SU(VAR)3-3-Histon-H3K4-Demethylase im frühen Heterochromatin. H3K4-Dimethyl ist nur im
Euchromatin nachweisbar.
Unterschiede in der Struktur euchromatischer
und heterochromatischer Chromosomenregionen werden beim Phänomen der Positionseffekt-Variegation sichtbar. Genetische
Ursache von PEV sind Chromosomenmutationen, die Gene wie z. B. das white-Gen bei
der Inversion wm4 in eine neue unmittelbare
Nachbarschaft zu Heterochromatin verlagern
(Abb. 1A). Der kondensierte heterochromatische Chromatinzustand breitet sich am Bruchpunkt variabel weit ins benachbarte Euchromatin aus. Im Fall des white-Gens kommt es
zu einer rot-weiß-Variegation im Auge der Tiere. In den weißen Zellen erfolgte eine Heterochromatisierung des white-Gens. Bei PEV ist
somit eine molekulare Änderung im Chromatinzustand durch variegierte Ausprägung
der betroffenen Gene sichtbar und ermöglicht
die Identifizierung von Genen, die Chromatinzustände kontrollieren.
Mutationen in Genen, die euchromatische
oder heterochromatische ChromatinzustänBIOspektrum | 07.07 | 13. Jahrgang
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SU(VAR)-Proteine und die Etablierung
von Heterochromatin
˚ Abb. 2: A, Isolation des SU(VAR)3-3-/SU(VAR)3-9-/RPD3/HP1-Proteinkomplexes aus frühen
Embryonen von Drosophila durch Immunopräzipitation und enzymatische Reaktionen der
Bestandteile. SU(VAR)3-3 katalysiert Demethylierung von H3K4, SU(VAR)3-9-Methylierung von
H3K9, RPD3-Deazetylierung von H3K9 und HP1 bindet spezifisch H3K9me2 und H3K9me3.
B, Koordinierte Funktion der Enzyme SU(VAR)3-3, SU(VAR)3-9 und RPD3 kontrolliert die Balance
zwischen eu- und heterochromatischen Chromatindomänen.
de kontrollieren, können entweder durch
Suppression (Su(var)-Mutationen) oder Verstärkung (E(var)-Mutationen) von PEV
erkannt werden. Su(var)-Mutationen identifizieren Gene, die für die Etablierung des
heterochromatischen Zustandes verantwortlich sind und führen zur Unterdrückung
der Heterochromatisierung von benachbartem Euchromatin. E(var)-Mutationen verstärkten die Inaktivierung des white-Gens
(weiße Augen) entweder durch Ausfall von
Funktionen zur Etablierung euchromatischer
Zustände oder durch verstärkte Heterochromatinwirkung.
Modifikatormutationen von PEV
identifizieren Chromatingene
Von den vielen Chromosomenmutationen, die
PEV hervorrufen, besitzt nur die X-chromosomale Inversion In(1)wm4 die genetischen
Eigenschaften, die für eine systematische Isolation von Su(var)- und E(var)-Mutationen
erforderlich sind. Bei dieser Inversion wird
nur das nicht-essenzielle white-Gen heterochromatisiert und die Inversion ist somit
homozygot lebensfähig und fertil. Insgesamt
wurden mehr als 380 dominante Su(var)- oder
E(var)-Mutationen nach Behandlung mit
Mutagenen oder durch den Einsatz des mobi-
len P-Elements isoliert[1]. Die genetischen
Analysen zeigten, dass etwa 200 Gene an der
epigenetischen Kontrolle eu- und heterochromatischer Chromatinzustände beteiligt
sind. Bisher wurde nur für etwa 20 Su(var)und E(var)-Gene die molekulare Funktion
bestimmt. Die genetischen Daten lieferten
auch wichtige Hinweise darauf, welche Gene
Schlüsselfunktionen darstellen. Durch den
Einsatz von Deletionen und Duplikationen
konnten Dosiseffekte von Su(var)- und E(var)Genen bestimmt werden. Bei einer Gruppe
von Genen ruft das Vorliegen zusätzlicher
Genkopien eine Verstärkung von PEV hervor.
Dass diese Gene für Heterochromatinproteine
kodieren, konnte durch Klonierung des
Su(var)3-9-Gens bestätigt werden[2]. Su(var)39 kodiert für ein evolutionär konserviertes
SET-Domänenprotein und katalysiert Histonmethylierung[3]. Analysen von SU(VAR)3-9
zeigten, dass die Methylierung von Lysin 9
im Histon H3 eine Schlüsselreaktion zur Etablierung von Heterochromatin darstellt[4, 5].
Auch Pflanzen besitzen SU(VAR)3-9-homologe Proteine. In Samenpflanzen wurden zehn
SU(VAR)3-9-homologe und fünf SU(VAR)3-9ähnliche Gene gefunden. Diese Gene kontrollieren ebenfalls die Bildung von Heterochromatin[6].
Bei Drosophila wird Heterochromatin früh in
der Embryonalentwicklung nach der Furchung etabliert (Abb. 1B). Die Blastodermkerne zeigen zu diesem Zeitpunkt eine basalapikale Polarität. Heterochromatin liegt im
apikalen Bereich. Hier wird ein Proteinkomplex gefunden, der die Proteine SU(VAR)3-3,
SU(VAR)3-9, HP1 und RPD3 enthält[7]. Eine
zentrale Funktion bei der Etablierung von
Heterochromatin besitzen SU(VAR)3-3 und
RPD3. Drosophila SU(VAR)3-3 ist homolog
zum humanen LSD1, für das zuerst biochemisch eine Histon H3K4-Demethylaseaktivität gezeigt wurde[8]. Mit den DrosophilaMutanten konnte nun die Funktion des
Enzyms aufgeklärt werden (Abb. 2). Methylierung von Lysin 4 in H3 ist eine Markierung
für Euchromatin. Die SU(VAR)3-3-Bindung
im Heterochromatin schützt gegen H3K4Methylierung. Eine vergleichbare Bedeutung
besitzt die H3K9-Deazetylase RPD3. Eine
H3K9-Azetylierung blockiert die Methylierung von H3K9. Der Ausfall von SU(VAR)3-3
führt zur Ausbreitung euchromatischer
H3K4-Methylierung und H3K9-Azetylierung
in heterochromatische Regionen. Die H3K4Demethylase SU(VAR)3-3 kontrolliert somit
die Balance zwischen Euchromatin und
Heterochromatin. Ihre Assoziierung mit
SU(VAR)3-9 und HP1 ist für die Bildung von
Heterochromatin essenziell. SU(VAR)3-9 katalysiert H3K9-Di- und Trimethylierung[9]. HP1
bindet Di- und Trimethyl-H3K9 und hält das
SU(VAR)3-9-Protein über Proteininteraktion
im Heterochromatin[5]. Wird durch eine Mutation das HP1-Protein entfernt, breitet sich
SU(VAR)3-9 über das Genom aus und führt
genomweit zu Heterochromatisierung. Alle
mithilfe von Su(var)-Mutationen identifizierten epigenetischen Faktoren sind evolutionär
konserviert. Das humane SUV39H1 in Drosophila assoziiert mit Heterochromatin und
kompensiert perfekt das Fehlen des Drosophila SU(VAR)3-9-Proteins.
Weitere Su(var)-Gene, die ebenfalls an der
Etablierung von Heterochromatin beteiligt
sind, konnten molekular definiert werden.
Das Suv4-20-Gen kodiert für eine Histonmethyltransferase, die die Trimethylierung von
Lysin 20 im Histon H4 katalysiert[10]. Das Protein assoziiert mit Heterochromatin durch
Bindung am HP1-Protein. Mutationen der
H3K27-Methyltransferase E(Z) zeigen ebenfalls einen PEV-Suppressoreffekt. E(Z) katalysiert alle Stufen von H3K27-Methylierung in
Drosophila, die auch im Heterochromatin
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gefunden werden. Eine wichtige Rolle bei der Bildung von Heterochromatin besitzen auch die H3S10-Kinase JIL1 (Su(var)3-1) und die Proteinphosphatase PP1-87B (Su(var)3-6).
Die erzielten Ergebnisse veranschaulichen, dass die isolierten
Su(var)- und E(var)-Mutationen wertvolle Hilfsmittel zur Identifizierung
epigenetischer Kontrollfaktoren darstellen. Sicher wird die Analyse der
noch über 100 unbearbeiteten Gene
wertvolle neue Einsichten in die
molekulare Steuerung von Chromatinzuständen im Verlauf der Entwicklung liefern.
Danksagung
Die Arbeiten wurden von der
Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG), der Europäischen Union und
dem Land Sachsen-Anhalt unterstützt.
ó
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Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Gunter Reuter
Dr. Thomas Rudolph
Institut für Biologie/Genetik
Naturwissenschaftliche Fakultät I
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Weinbergweg 10
D-06120 Halle (Saale)
Tel.: 0345-55 26300
Fax: 0345-55 27194
[email protected]
[email protected]
AUTOREN
Gunter Reuter
Thomas Rudolph
Jahrgang 1951. 1969–
74 Biologiestudium an
der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Promotion 1978
und Habilitation 1984.
1990–1991 Arbeitsaufenthalt am Institut für
Zoologie, University of
British Columbia, Vancouver, Kanada. Seit
1996 Professor für Entwicklungsgenetik, Institut für Biologie, Institutsbereich Genetik der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Jahrgang 1973.
1994–1999 Biochemiestudium
und anschließende
Promotion an der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit 2007
Postdoc in der
Gruppe Entwicklungsgenetik des
Institutes für Biologie der MartinLuther-Universität
Halle-Wittenberg.
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