DGZfP-Berichtsband 82-CD Vortrag 6 14. Kolloquium Schallemission, 3’2003, Berlin Orthopädische Diagnose des menschlichen Femurs und Kniegelenks mit Hilfe der Schallemissionsanalyse Franke, R.-P., Schwalbe, H.-J., Doerner, P., Ziegler, B. 1. Einleitung Bislang wurden invasive oder durch Strahlung auf den menschlichen Körper einwirkende Diagnoseverfahren benutzt um sowohl die Risszähigkeit des Femurs als auch die Schädigung im menschlichen Knie bewerten zu können. Die Schallemissionsanalyse ist ein nicht – invasives und nicht durch Strahlung auf den Körper einwirkendes on-line Diagnoseverfahren. 2. Bestimmung der Rissbildungsgrenze im menschlichen Femur Bei Beanspruchung des Femurs kommt es zu einer elastischen Verformung. Aufgrund der unterschiedlichen Compliance von Compacta und Spongiosa entstehen in der Grenzschicht Schubspannungen, die dort erste Rissbildung einleiten. Eine Reihe von Untersuchungen belegen unterschiedliche Schallemissionen aufgrund verschiedener Rissmechanismen humanen Femur/1-6,8/. Ein typisches Schallsignal dieser ersten Rissbildung ist Abbildung 1 zu entnehmen. Diese Signale sind durch eine kurze Anstiegszeit und einen exponentiellen Abfall der Amplitude gekennzeichnet. Abb. 1: Burstsignal einer Rissbildung im Femur Die Bewertung der Rissbildungsgrenze des menschlichen Knochens nach einem Knochenbruch, oder beim Einsetzen von Implantaten z. B. Hüftendoprothesen oder bei osteoporotischer Erkrankung stellt insbesondere die Frage, wie sich die Rissbildungsgrenze des Knochens mit dem Heilungsprozess oder dem Verlauf der Erkrankung verändert. Zur Diagnose der Rissbildungsgrenze des menschlichen Femurs sind Bewegungen und mechanische Belastungen erforderlich. Diese Bewegungen und Belastungen müssen den täglichen natürlichen Beanspruchungen des menschlichen Stützapparates –wie beim 53 DGZfP-Berichtsband 82-CD Vortrag 6 14. Kolloquium Schallemission, 3’2003, Berlin Aufstehen von einem Stuhl, beim Kniebeugen, Treppensteigen oder Heruntergehen u.a. entsprechen und gelten unter medizinischen Gesichtspunkten als zerstörungsfreie Belastungen, obwohl bereits in der Mikrostruktur Risse in der Grenzschicht CompactaSpongiosa auftreten. Diese Mikrorisse gelten als für den physiologischen Knochenumbau unerlässlich. Zur Bewertung veränderlicher Knochenfestigkeit ist die Bestimmung der Rissbildungsgrenze und des weiteren Rissfortschritts erforderlich. Zur Beurteilung der Risszähigkeit des Femurs sind weitergehende Untersuchungen zur Rissbildung und des Rissfortschrittes notwendig. Aufgrund der geometrischen Struktur, die in einem CT ermittelt wird, und der experimentellen Compliance - Kalibrierung kann eine bruchmechanische Beurteilung erfolgen. Hierfür werden sowohl die Rissbildungsgrenze als auch die Grenze stabilen Risswachstums nach Aussage der Schallemission festgelegt. Stabiles Risswachstum erfolgt nach Aussage der Schallemission im Übergang von Bereich I zu Bereich II in Abbildung 2. Aufgetragen ist die Impulssumme der Schallemission in Korrelation zur äußeren Last. Der Übergang wird eindeutig erkannt und wird als risskritische Beanspruchung definiert. Diese Untersuchungen können auf der Basis der an explantierten Femora gewonnenen Erkenntnisse in-vivo durchgeführt werden. Die Risszähigkeit des Femurs errechnet sich somit nach K IC = σ πa f ( a ) W a ) der durch eine W Compliance - Kalibrierung ermittelten Korrekturfunktion der individuellen Femurgeometrie und W, der Risslänge in der Compacta. Die Normalspannung kann individuell aus den CTDaten über eine FEM-Analyse errechnet werden. Hierfür werden z.Z. sehr unterschiedliche Ersatzstrukturen zur Optimierung der FEM analysiert. mit der Normalspannung zur Rissebene σ, der Risstiefe a und f ( Abb. 2: Verlauf der Impulssumme der Schallemission mit zunehmender TorsionsBiegebeanspruchung Dieses Verfahren ist geeignet, die individuellen Belastungsgrenzen eines Patienten zu ermitteln. Die Kenntnis dieser Grenzen sind für die Beurteilung der Knochenbelastbarkeit nach Frakturen oder bei Osteoporose, für das Einsetzen von Implantaten, die Ermittlung der Belastungsgrenzen des Femurs im Sportbereich und vielen anderen medizinischen Bereichen notwendig. 54 DGZfP-Berichtsband 82-CD 3. Vortrag 6 14. Kolloquium Schallemission, 3’2003, Berlin Gelenküberwachung Im Mittelpunkt der Gelenküberwachung steht die Analyse des Gelenkschalls bei Bewegung unter natürlicher Last. Hier sind u.a. Kniebeugen oder Ergometrische Untersuchungen angebracht. Die Schallemissionsanalyse erlaubt eine eindeutige Erkennung von arthrotisch / arthritischen Schäden, Knorpeldefekten und Schäden infolge einer Lastverlagerung /7-9/. Natürliche Lasten werden z.B. durch das gewohnte Gehen, Aufstehen von einem Stuhl, bei einer Kniebeuge oder beim Radfahren hervorgerufen. Während einer natürlichen Belastung, beispielsweise einer Kniebeuge, wird der Schall am Kniegelenk ( Abbildung 3 ) durch einen Aufnehmer am Knie registriert ( Abbildung 4 ). Abb. 3: Schallemission eines Knies während einer Kniebeuge in Korrelation zum Bewegungswinkel und der Reaktionskraft der Messplatte Abb. 4: Positionierung des Schallaufnehmers am menschlichen Knie Dabei wird, wie ( Abbildung 3 ) zeigt, der zeitliche Verlauf der SE in Korrelation zum Beugungswinkel des Kniegelenkes – unteres Diagramm dünne Linie - und der Reaktionskraft der Messplatte – unteres Diagramm dicke Linie - registriert. Der zeitliche Ablauf der 55 DGZfP-Berichtsband 82-CD Vortrag 6 14. Kolloquium Schallemission, 3’2003, Berlin Belastung und Bewegung informiert über instationäre Belastungs- und Bewegungsabläufe, die ebenfalls krankheitsbedingt sein können. Die Schallemission liefert in Kenntnis der Bewegungs- und Belastungssituation Informationen über mögliche Ursachen. Die Schallemissionsanalyse erlaubt bei der derzeitigen Versuchsführung eine dezidierte Bewertung von Gelenkdefekten in Abhängigkeit von Bewegungswinkel und äußerer Belastungsreaktion an der Messplatte. So weist beispielsweise eine kurze Anstiegszeit des Signals bei einem Knorpeldefekt auf eine geringe Dämpfung der Knorpelschicht hin. Korreliert dies mit einer Knorpelläsion, so kann eine geringe Knorpelschichtdicke im Schadensbereich diagnostiziert werden. Voraussetzung ist die Kenntnis der individuellen Knorpeldämpfung des Knies. Diese Prüfung erfolgt in einem Standtest, bei dem am Patienten, ausgehend von einem Zweibeinstand, durch schnelles Anheben eines Beins, d.h. durch schnelle Belastung des Knorpels im Standbein, die Knorpelreaktion auf den Belastungssprung ermittelt wird. Typische Schallemissionen bei Arthrose und Arthritis sowie bei Knorpelläsionen sind den Abbildungen 5 bis 7 zu entnehmen. Eine Zuordnung des Schadens auf die medialen und lateralen Condylen ist durch eine gezielte Lasteinleitung möglich. Abb. 5: Schallemission eines Belastungssprungs bei einem Einbeinstand –natürliche Knorpeldeformation- Abbildung 5 zeigt die Schallemission eines Belastungssprungs bei einem Einbeinstand. Der Knorpel deformiert sich viskoelastisch und bleibt in diesem verformten Zustand. Der zeitliche Verlauf gibt Informationen über die verformte Knorpelschichtdicke. Eine kurze Signaldauer kennzeichnet eine geringe Knorpelschichtdicke. 56 DGZfP-Berichtsband 82-CD Vortrag 6 1 Abb. 6: 14. Kolloquium Schallemission, 3’2003, Berlin 2 Schallemission einer Knorpelläsion Abbildung 6 zeigt den Verlauf der Schallemission bei einer Knorpelläsion. Hierbei fällt die Knorpelgegenlage in eine „Senke“. Beim Hineingleiten –Bereich 1 - wird an der Kante durch die Viskoelastizität des Knorpels wenig Energie umgesetzt; die Schallemission ist in dieser Bewegungsphase energiearm und die Amplitude gering. Dagegen wird bei dem Herausgleiten – Bereich 2 - die Kante stark deformiert. Der Knorpel wird in einem großen Volumen viskoelastisch mit einer hohen Energie verformt. Die Schallemission zeigt diesen Mechanismus durch eine hohe Anstiegszeit, die den Bewegungsmechanismus und einen von dem Verformungsprozess des Knorpels abhängigen Amplitudenabfall repräsentiert. Abb. 7: Schallemission eines arthritischen Defekts 57 DGZfP-Berichtsband 82-CD Vortrag 6 14. Kolloquium Schallemission, 3’2003, Berlin Abbildung 7 zeigt die Schallemission eines arthritischen Defekts. Dieser ist gekennzeichnet durch verschiedene Ereignisse im Signalverlauf. Dies kann ein zunächst auf einen Knorpeldefekt hinweisendes Signal sein, welches einem impulsförmigen Ereignis überlagert wird. Die Ursache kann Stick-Slip oder knöcherne Berührung in den Kontaktflächen sein. Medizinischer Nutzen Die Durchführung der nichtinvasiven Diagnose beruht auf der Analyse der Geräusche, die bei einer Untersuchung unter alltäglichen Belastungen in definierter Weise erfolgen. Die Vorteile dieses Diagnoseverfahrens gegenüber den konventionellen etablierten Verfahren sind: • Das Verfahren verursacht keine Schmerzen. • Das Verfahren ist zerstörungsfrei. • Keine Gefährdung der Gesundheit durch Strahlenbelastung. Eine Infektionsgefahr ist bei einer nichtinvasiven Untersuchung nicht gegeben. • Online Diagnose ist in kurzer Zeit möglich. • Der gerätetechnischer Aufwand ist gering. • Das Prüfverfahren ist kostengünstig. • Das Prüfverfahren kann zur medizinischen Trainingssteuerung von Sportlern eingesetzt werden. Literatur: /1/ CANN C E. Quantitative CT for Determination of Bone Mineral Density: A Review Radiology, Vol. 166 (1988) S. 509-521 /2/ HANAGUD S, CLINTON R. G., LOPEZ J. P. Acoustic emission in bone substance Proceedings of the ASME Symposium on Biomechanics, (1973) S. 79-81 /3/ LEICHTER I., BIVAS A., MARGULIES J. Y., ROMAN I., SIMKIN A. Acoustic emission from trabecular bone during mechanical testing: the effect of osteoporosis and osteoarthritis Proc. ind. mech. eng., Vol. 204 (1990) S. 123-127 /4/ THOMAS M., EVANS J. H. Acoustic emission from vertebral bodies Journal of materials science letters, 7 (1988) S. 267-269 /5/ THOMAS R. A., YOON H. S., KATZ J. L. 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