14.05.2004 9:12 Uhr Seite 63 Aktuelle Themen 063_068_ieg_akt.qxd Delta macht den Unterschied – die Rolle des Delta1-Gens bei der Entwicklung der linken und rechten Körperhälfte Delta makes the difference – the role of the delta1 gene in left-right development Institut für Experimentelle Genetik1 Institut für Pathologie2 Gerhard K. H. Przemeck1, Ulrich Heinzmann2, Johannes Beckers1, Martin Hrabé de Angelis1 wei Augen, zwei Ohren, zwei Arme, zwei Beine – von außen betrachtet ist der Mensch mehr oder weniger spiegelbildsymmetrisch aufgebaut. Dagegen nehmen Herz, Milz und Magen eine links-, die Leber eine rechtsgerichtete Lage ein. Auch einige doppelt angelegten Organe sind rechts und links nicht ganz gleich. So hat zum Beispiel die Lunge auf der rechten Seite drei Lappen, auf der linken aber nur zwei. Diese asymmetrische Anordnung der inneren Organe ist bei allen Wirbeltieren gleich (situs solitus) und wird früh in der Embryonalentwicklung angelegt. Beim Menschen treten bei 1 von etwa 5.000 Geburten Störungen in der Anordnung der Organe auf. Die seltenste Form ist eine komplette Inversion der Organe (situs inversus), die keinerlei Gesundheitsschäden nach sich zieht. Weitaus häufiger treten Störungen in der Lagebeziehung der einzelnen Organe zueinander auf (situs ambiguus oder Heterotaxie), was zu schwerwiegenden Folgen und häufig zum Tod führen kann, insbesondere dann, wenn Herz-, Darm- oder Lungen-Situs in einer gegensätzlichen Lateralität angelegt werden. In den letzten Jahren sind eine Reihe von Strukturen und Molekülen identifiziert wor- Z wo eyes, two ears, two arms, two legs – viewed from the outside, humans show more or less bilateral symmetry. But there is only one heart, one spleen and one stomach placed to the left of the body, and one liver on the right. Even those organs that come in pairs show some asymmetry: for example, the right lung has three, the left lung only two lobes. This asymmetric organ placement and structure is conserved among all vertebrates and is genetically determined early in embryonic development. In the last ten years, several structures and molecules have been discovered that control left-right development. Here, we report that Delta-Notch signalling, which previously had not been implicated in this morphogenetic process, is required for normal left-right determination in mice. We show that the loss-of-function of the Delta1 gene causes a situs ambiguous phenotype, including randomisation of the direction of heart looping and embryonic turning. The most probable cause for this left-right defect in Delta1 mutant embryos is a failure in the development of proper midline structures. These originate from the node, which is disrupted and deformed in Delta1 mutant embryos. T GSF 63 063_068_ieg_akt.qxd 14.05.2004 9:13 Uhr Seite 64 Herzdrehung Embryonalrotation Abb. 1: Herzdrehung und Embryonalrotation am Tag 8.5 der Embryonalentwicklung (E8.5) der Maus. den, die Lage, Gestalt und Orientierung der inneren Organe bestimmen. Neu ist, dass auch der Delta-Notch-Signalweg, der bislang vor allem mit der Skelett- und Nervenentwicklung in Verbindung gebracht wird, die Entwicklung der linken und rechten Körperhälfte maßgeblich mitbestimmt. Fehlt nämlich im Mausmodell das Delta1-Molekül vollständig, wird die Entscheidung, wo nun rechts oder links ist, zufällig getroffen. Die wahrscheinlichste Ursache für diesen LinksRechts(LR-)-Defekt ist eine Entwicklungsstörung der Mittellinienstrukturen, die aus dem Primitivknoten hervorgehen, der ebenfalls Differenzierungsstörungen aufweist. Erste Anzeichen einer LR-Asymmetrie lassen sich bei der Differenzierung des Herzens beobachten, das sich bei allen Wirbeltieren aus einem zunächst symmetrischen Herzschlauch entwickelt. Im gesunden Organismus krümmt sich der Schlauch erst nach rechts und bildet dann eine Schleife nach links (Abb. 1). Diese Drehung gehört zu den Schlüsselereignissen in der Herzentwicklung, denn mit ihr fällt auch die Entscheidung über den inneren Aufbau des komplexen Pumpensystems. Ein weiteres Merkmal für die LR-Differenzierung ist eine Rotation des Embryos gegen den Uhrzeigersinn (Abb. 1). In der Maus finden beide Vorgänge am Tag 8.5 der Embryonalentwicklung statt, was etwa dem 25. Tag der Schwangerschaft beim Menschen entspricht. In Mausmutanten, bei denen das Delta1- 64 GSF Gen ausgeschaltet ist (knockout), erfolgen dagegen die Richtung der Herzdrehung und die Richtung der Embryonalrotation zufällig. Als Ergebnis der fehlerhaften Rotation liegt etwa bei der Hälfte der Delta1-Mutanten der Schwanz auf der linken anstatt auf der rechten Körperseite (Abb. 2A), und neben normal entwickelten Herzanlagen können Abb. 2: Links-Rechts-Orientierung von Schwanz und Herz bei Wildtyp (+/+) und Delta1-Mutanten (-/-). A: Bei 50% aller Delta1-Mutanten liegt der Schwanz auf der linken (L) anstatt der rechten (R) Körperseite. B-D: Herzdrehung am Tag E10.5. Nur bei etwa 40% der Delta1-Mutanten entspricht die Orientierung des Herzens dem Wildtyp (B), während bei 20% die Herzdrehung unvollständig (C) und bei weiteren 40% das Herz seitenverkehrt angelegt ist (D), so dass der zukünftige linke Ventrikel (lv) auf der rechten und der zukünftige rechte Ventrikel (rv) auf der linken Seite liegt. 14.05.2004 9:13 Uhr Seite 65 Expression of Nodal Leftsided Wt (n = 10) DII1-/- (n = 21) Bilateral Rightsided No expression 100% 0% 0% 0% 19% 14% 19% 48% Bilateral Rightsided No expression Expression of Leftb Leftsided Wt (n = 8) DII1-/- (n = 16) 100% 0% 0% 0% 31% 25% 19% 25% Bilateral Rightsided No expression Expression of Pitx2 Leftsided Wt (n = 12) DII1-/- (n = 25) 100% 0% 0% 0% 20% 60% 4% 16% Abb. 3: Zufällige Verteilung der Expression von Nodal, Leftb und Pitx2 in Delta1-Mutanten. Delta1-Mutanten auch unvollständig gedrehte oder vollkommen seitenverkehrte Herzen haben (Abb. 2B-D). Die Delta1-Funktion scheint also während der Embryonalentwicklung auch für die korrekte Drehung und die richtige Lage des Herzens erforderlich zu sein. Den sichtbaren Anzeichen der LR-Asymmetrie voraus geht bei allen Wirbeltieren eine genaue Abfolge von Genexpressionen. Bestimmte Gene, wie Nodal, Leftb und Pitx2 beeinflussen sich gegenseitig und sind im gesunden Organismus immer nur in bestimmten Geweben der linken Körperhälfte angeschaltet (Abb. 3). Die Expression dieser Gene in Delta1-Mutanten spiegelt dagegen ein mehr oder weniger zufälliges Muster wider, da sowohl eine nur linksseitige oder rechtsseitige oder beidseitige als auch gar keine Expression für alle drei Gene beobachtet werden kann (Abb. 3). Dieses Ergebnis zeigt, dass die Delta1-Funktion somit auch für die korrekte, ausschließlich linksseitige Expression der Gene Nodal, Leftb und Pitx2 gebraucht wird. Ein weiteres Gen, das nur auf einer Seite einer bestimmten Struktur im Embryo angeschaltet ist, ist Ebaf. Dieses Gen ist normalerweise nur in der linken Seite der Bodenplatte des Neuralrohrs – dem späteren Rückenmark – exprimiert und soll verhindern, dass die Information „hier ist links“ auch an die rechte Seite weitergegeben wird. In Delta1-Mutanten können wir jedoch keine Expression von Ebaf beobachten (Abb. 4). Die Bodenplatte des Neuralrohrs (auch floorplate genannt) bildet mit dem darunter liegenden Notochord (Chorda dorsalis) die Mittellinie des Embryos, die auch als eine physikalische Barriere zwischen linker und rechter Körperhälfte verstanden werden kann. In Delta1-Mutanten sind die Strukturen der Mittellinie gestört, was sich in einer veränderten Expression von Markergenen für die Bodenplatte und das Notochord ausdrückt (Abb. 4). Aber auch morphologische Veränderungen lassen sich bei Delta1-Mutanten beobachten. Die Anzahl an Zellen in der Bodenplatte ist signifikant erhöht, während die Zahl der Zellen im Notochord deutlich verringert ist (Abb. 4). Neben den molekularen zeigen Delta1-Mutanten also auch Aktuelle Themen 063_068_ieg_akt.qxd GSF 65 063_068_ieg_akt.qxd 14.05.2004 9:13 Uhr Seite 66 Abb. 4: Störungen der Morphologie der Mittellinie bei Delta1-Mutanten. A, B, E, F: Expression von Ebaf in der linken (L) Seite der Bodenplatte beim Wildtyp (A, E) und fehlende Expression bei Delta1 (B, F). C, D, G, H: Expression des T-Gens im Notochord von Wildtyp (C, G) und stark reduzierte Expression bei Delta1 (D, H). I, J: Die Expressionsdomäne von Foxa2 in der Bodenplatte von Delta1Mutanten (J) ist gegenüber dem Wildtyp (I) deutlich vergrößert. K, L: Signifikante Veränderungen in Bodenplatte und Notochord bei Delta1-Mutanten. physikalische Störungen in der Mittellinie. Die entwicklungsbiologische Quelle der Mittellinienstrukturen ist der Primitivknoten, der sehr früh im Embryo angelegt wird und auch als zentraler Organisator der Entwicklung verstanden werden kann. Im Rasterelektronenmikroskop ist zu erkennen, dass der Primitivknoten eine sehr gleichmäßige, keulenförmige Form besitzt (Abb. 5A) und aus vielen kleinen Zellen besteht, die alle ein bewegliches Flimmerhärchen (Cilie) tragen, das zur späteren Bauchseite des Embryos zeigt (Abb. 5C, F). Japanische Wissenschaftler konnten vor einiger Zeit eindrucksvoll zeigen, dass durch den Schlag dieser Cilien das Fruchtwasser normalerweise von rechts nach links bewegt wird und dass diese gleichmäßige Bewegung unter anderem für die korrekte Ausbildung der LR-Achse verantwortlich ist. Betrachtet man dagegen den Primitivkno- 66 GSF ten von Delta1-Mutanten zu verschiedenen Entwicklungsstadien, erkennt man bereits deutliche Veränderungen der Feinstrukturen bevor „links“ von „rechts“ überhaupt unterschieden werden kann. Der Primitivknoten ist hier ungleichmäßig geformt (Abb. 5B, D) und enthält zusätzliche, große Zellen ohne Flimmerhärchen (Abb. 5F), was insgesamt gesehen eine gleichmäßige Fruchtwasserbewegung eher unwahrscheinlich erscheinen lässt. Diese frühen Störungen lassen vermuten, dass Delta1 somit auch an der Differenzierung des Primitivknotens entscheidend beteiligt ist. Tatsächlich sind alle untersuchten Gene des Delta-Notch-Signalwegs zum Zeitpunkt der Entstehung des Primitivknotens in ihm oder um ihn herum angeschaltet (Abb. 6), was für die Beteiligung an der Entstehung des Primitivknotens spricht. In Mutanten, die kein funktionsfähiges Delta1- 14.05.2004 9:13 Uhr Seite 67 Aktuelle Themen 063_068_ieg_akt.qxd Abb. 5: Analyse der Morphologie des Primitivknotens. A, C, E: Der keulenförmige Primitivknoten des Wildtyps enthält kleine Zellen mit beweglicher Cilie. B, D, F: Der Primitivknoten von Delta1-Mutanten ist ungleichmäßig geformt und enthält zusätzlich große Zellen ohne Cilie (Pfeil in F). Molekül besitzen, sind dagegen die Gene Notch1, Notch2 und Lunatic fringe (Lfng) entweder diffus oder sogar über den ganzen Embryo verteilt exprimiert. Der evolutionär hoch konservierte DeltaNotch-Signalweg ist an vielen verschiedenen Entwicklungsprozessen beteiligt und tritt oft dann in Aktion, wenn Strukturen voneinander abgegrenzt werden müssen oder wenn Entscheidungen über das weitere Entwicklungsschicksal von Zellen getroffen werden. Wir konnten nun erstmals zeigen, dass der Delta-Notch-Signalweg auch an der unterschiedlichen Entwicklung der linken und rechten Körperhälften entscheidend beteiligt ist. GSF 67 063_068_ieg_akt.qxd 14.05.2004 9:13 Uhr Seite 68 Abb. 6: Expression von Genen des Delta-Notch-Signalwegs im frühen Embryo während der Bildung des Primitivknotens. In Delta1-Mutanten (-/-) ist die Expression der Gene Notch1 (F), Notch2 (H) und Lfng (J) gestört. Ausgewählte Veröffentlichungen Przemeck, G. K. H., Heinzmann, U., Beckers, J., Hrabé de Angelis, M. (2003): Node and midline defects are associated with left-right development in Delta1 mutant embryos. Development 130, 3-13 Pfister, S., Przemeck, G. K. H., Gerber, J.-K., Beckers, J., Adamski, J., Hrabé de Angelis, M. (2003): Interaction of the MAGUK family member Acvrinp1 and the cytoplasmic domain of the Notch ligand Delta1. J Mol Biol 333, 229-235 68 GSF Grandbarbe, L., Bouissac, J., Rand, M., Hrabé de Angelis, M., Artavanis-Tsakonas, S., Mohier, E. (2003): Delta-Notch signaling controls the generation of neurons/glia from neural stem cells in a stepwise process. Development 130, 1391-1402 Hrabé de Angelis, M., McIntyre, J. 2nd, Gossler, A. (1997): Maintenance of somite borders in mice requires the Delta homologue Dll1. Nature 386, 717-721