Der Onkologe Organ der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. Elektronischer Sonderdruck für D. Barwitzki Ein Service von Springer Medizin Onkologe 2012 · 18:517–523 · DOI 10.1007/s00761-012-2213-2 © Springer-Verlag 2012 zur nichtkommerziellen Nutzung auf der privaten Homepage und Institutssite des Autors H. Göbel · A. Stier · D. Barwitzki · M. Herold Erfolgreiche Zertifizierung eines nichtuniversitären Onkologischen Zentrums am HELIOS Klinikum Erfurt www.DerOnkologe.de Leitthema Onkologe 2012 · 18:517–523 DOI 10.1007/s00761-012-2213-2 Online publiziert: 18. Mai 2012 © Springer-Verlag 2012 H. Göbel1 · A. Stier2 · D. Barwitzki3 · M. Herold4 1 Tumorzentrum, HELIOS Klinikum Erfurt 2 Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, HELIOS Darm- und Pankreaszentrum Erfurt, HELIOS Klinikum Erfurt 3 Steinbeis Beratungszentrum – IfQO, Institut für Qualitätsmanagement und Organisationsentwicklung, Bonn 4 4. Medizinische Klinik, Onkologisches Zentrum, HELIOS Klinikum Erfurt Erfolgreiche Zertifizierung eines nichtuniversitären Onkologischen Zentrums am HELIOS Klinikum Erfurt Nach erfolgreich absolviertem Zertifizierungsverfahren durch OnkoZert wurde dem Onkologischen Zentrum HELIOS Klinikum Erfurt als erstem Zentrum in Thüringen die Anerkennung als „Onkologisches Zentrum mit Empfehlung der Deutschen Krebsgesellschaft e. V.“ erteilt. Eine der Voraussetzungen war eine ebenfalls erfolgreiche normative Zertifizierung, die durch den TÜV Süd bestätigt werden konnte. Zum Onkologischen Zentrum gehören die 4 bereits länger am HELIOS Klinikum Erfurt bestehenden zertifizierten Organtumorzentren für Brustkrebs (Erstzertifizierung 2005), Hauttumoren (2009), Prostatakarzinome (2010) und Darmkrebs (2010). Daneben wurden mittlerweile als sog. Modul das Pankreaskarzinom- (2011) und das Kopf-Hals-Tumorzentrum (2011) zertifiziert. Das Onkologische Zentrum umfasst außerdem die Entitäten Leukämien, Lymphome und Lungentumoren, deren Einbindung in die Prozeduren des Onkologischen Zentrums ebenfalls zertifiziert wurde. Die fachübergreifende Versorgung (Pathologie, Bildgebende Diagnostik, Strahlentherapie, Nuklearmedizin, operative und medikamentöse Onkologie, Palliativ- und Hospizdienste) wird durch Kooperationsvereinbarungen mit internen und externen Partnern sichergestellt. Ein besonderes Merkmal der interdisziplinären Zusammenarbeit sind die (wö- chentlich) regelmäßig stattfindenden Tumorkonsile, bei denen alle Fachexperten vertreten sind. Hier werden für alle behandelten Patienten individualisierte Therapiekonzepte festgelegt sowie im Verlauf der Behandlung überprüft. Ein Team der psychoonkologischen Betreuung unterstützt die Patienten im Prozess der Krankheitsverarbeitung. » Ein besonderes Merkmal der interdisziplinären Zusammenarbeit sind regelmäßig stattfindende Tumorkonsile Mit dieser Anerkennung als Onkologisches Zentrum fand ein seit mehr als 2 Jahrzehnten währender Prozess der Verbesserung der interdisziplinären Zusammenarbeit und der Etablierung qualitätssichernder Maßnahmen in der onkologischen Betreuung seinen vorläufigen Höhepunkt. Ausgangssituation Das HELIOS Klinikum Erfurt ist ein Krankenhaus der Maximalversorgung und zweitgrößtes Krankenhaus Thüringens. Es ging aus der 1994 geschlossenen Medizinischen Hochschule Erfurt hervor. Der Verlust des Hochschulstatus brachte für das Klinikum einschneidende Veränderungen mit sich, die in nicht unerheblichem Maße bis in die Gegenwart wirken und auch die Struktur des Onkologischen Zentrums beeinflussten: Lehre und Forschung (Studien) fielen weg bzw. wurden deutlich reduziert. Personal wurde abgebaut. Einige Institute und Bereiche wie z. B. die Abteilung Humangenetik wurden der Universität Jena zugeordnet. Einschneidend war die Schließung der Ambulanzen und der Wegfall etablierter ambulanter Weiterbetreuungsmöglichkeiten insbesondere der onkologischen Patienten. Die Onkologie bildete bereits in den 1980er Jahren einen Schwerpunkt des Erfurter Klinikums. Der damals gegründete „Arbeitskreis Onkologie“ und die Einrichtung spezieller onkologischer Fortbildungsreihen führten folgerichtig 1992 zur Gründung des „Tumorzentrum Erfurt e. V.“ und zur Wahrnehmung von überregionalen Betreuungsaufgaben. Im Rahmen der 2. Stufe des von der Bundesregierung aufgelegten „Modellprogramms zur Förderung der besseren Versorgung von Krebspatienten“ sowie dank der Anschubfinanzierung der Deutschen Krebshilfe für Tumorzentren und Onkologische Schwerpunkte konnten in dieser Zeit die strukturellen Voraussetzungen für die qualitätsgesicherte onkologische Versorgung geschaffen werden. Wichtige Ziele waren: Fdie Verbesserung der interdisziplinären und einrichtungsübergreifenden Zusammenarbeit in der Region, Fdie Etablierung von Leitlinien für Diagnostik, Therapie und Nachsorge von Tumoren, Der Onkologe 6 · 2012 | 517 Leitthema Behandelnde Ärzte und Zahnärzte in Krankenhaus und Praxis (Melder) Übersichtsberichte + Auswertungen Sterbedaten Nachfragen Meldebögen/ Arztbriefkopien NachsorgeErinnerung Klinisches Krebsregister des Tumorzentrums (Beauftragte Melder) Epidemiologische Daten gemäß Krebsregistergesetz Patient LQ-Befragung Sterbedatum Todesursache Epidemiologisches Krebsregister (GKR Berlin) Totenscheine Gesundheitsämter Abb. 1 9 Das Klinische Krebsregister nimmt die zentrale Stellung in der klinischen Verlaufsdokumentation und für die Datenerhebung der Krebsepidemiologie ein Öffentlichkeitsarbeit Koordination Fort-/Weiterbildung Palliativversorgung / Hospizarbeit Tumordoku. / Ergebnisqualit. Pathologie Radioonkologie Patientenbefragung Zusammenarbeit Selbsthilfegruppen Nuklearmedizin Radiologie Kooperation mit Zuweisern Apotheke Sozialdienst Zentrale Kooperationsvereinbarungen Qualitätszirkel und M&M-Konferenz Onkologische Pflege Psychoonkologie Interdisziplinäre Tumorkonferenz Studienmanagement Gemeinsames Lenkungsgremium Abb. 2 8 Modell der Zuständigkeiten unter dem Dach des Onkologischen Zentrums Fdie kontinuierliche Fort- und Weiterbildung des ärztlichen und pflegerischen Personals, Fdie Schaffung palliativer und psychoonkologischer Versorgungsstrukturen, Fdie Verbesserung von Informationsund Beratungsangeboten für Patienten und deren Angehörige und vor allem Fdie flächendeckende klinische Tumordokumentation zur Darstellung der Ergebnisqualität in einem definierten Einzugsgebiet. 518 | Der Onkologe 6 · 2012 In den Folgejahren wurden diese Kernaufgaben im Einzugsgebiet Mittel- und Westthüringen einrichtungsübergreifend kontinuierlich umgesetzt: FIm April 1993 nahm das Klinische Krebsregister (KKR) mit der Installation des Gießener Tumordokumentationssystems (GTDS) seine Arbeit auf. Ausgehend von zunächst einigen Erfurter Kliniken sind seit mehr als 10 Jahren alle Krankenhäuser, onkologische Schwerpunktpraxen und onkologische Rehakliniken Mittel- und Westthüringens in die klinische Tu- mordokumentation einbezogen. Inzwischen werden jährlich rund 10.000 neue Tumorerkrankungen dokumentiert. Mehr als 100.000 Krankheitsverläufe sind in der Datenbank gespeichert. Erfreulicherweise beteiligen sich auch zunehmend mehr niedergelassene Ärzte an der klinischen Tumordokumentation, wenngleich der prozentuale Anteil regelmäßig meldender Praxen trotz der seit 2003 in Thüringen bestehenden Meldepflicht für epidemiologische Krebsregister nach wie vor zu gering ist. Das Klinische Krebsregister übernimmt als beauftragter Melder der Ärzte die Weitergabe der Daten an das zuständige epidemiologische Krebsregister (GKR: Gemeinsames Krebsregister der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und der Freistaaten Sachsen und Thüringen). Der Meldeweg über die klinischen Krebsregister an das GKR (s. auch . Abb. 1) ist ebenso wie die Möglichkeit des Totenscheinabgleichs für KKR im Gesetz zum Staatsvertrag der am GKR beteiligten Länder verankert. Bis auf wenige Ausnahmen nutzen alle meldenden Ärzte den Weg über die Klinischen Krebsregister. FSeit November 1993 wird regelmäßig, anfangs 14-tägig, später wöchentlich, ein interdisziplinäres Onkologisches Konsil durchgeführt, an dem kompetente Vertreter aller onkologisch relevanten Fachrichtungen teilnehmen und in dem alle Ärzten der Region ihre Fälle vorstellen können. Im Jahr 2006 wurde für das Konsil ein Outlook-basiertes Anmelde- und Protokollsystem entwickelt, das eine automatische Information der beteiligten Fachexperten über die zu besprechenden Fälle beinhaltet. Die Konsilprotokolle stehen seither allen befugten Ärzten in einem speziellen Projektlaufwerk als PDF-Datei zur Verfügung. FPalliative Versorgungsstrukturen entstanden zuerst in einem konfessionellen Krankenhaus der Stadt Erfurt (erste Palliativstation Thüringens, 1996), ein aktiver ambulanter Hospizdienst wurde vom Malteser Hilfsdienst initiiert. Eine eigene Palliativ- Zusammenfassung · Abstract station gibt es am HELIOS Klinikum Erfurt seit 2006. FIm Januar 1996 wurde im Tumorzentrum ein Psychoonkologischer Dienst (1 psychologischer Psychotherapeut mit psychoonkologischer Weiterbildung) zur Betreuung von Patienten und Mitarbeitern eingerichtet. FDie zahlreichen Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen des Tumorzentrums wurden und werden maßgeblich von Ärzten des HELIOS Klinikum Erfurt gestaltet. Gründung des Onkologischen Zentrums Ausgehend von der gewachsenen und praktizierten guten fachübergreifenden Zusammenarbeit sowohl innerhalb des Klinikums als auch mit externen Partnern, den bestehenden strukturellen Voraussetzungen und den erreichten Behandlungszahlen reifte bereits im Jahr 2007 die Idee, ein Onkologisches Zentrum zu gründen und nach den Kriterien der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizieren zu lassen. Die Größe und Ausstattung des HELIOS Klinikum Erfurt bot zudem die Gewähr für eine dauerhaft hohe Leistungsfähigkeit. Das Haus verfügt derzeit über 1282 Betten in 26 Fachabteilungen, modern ausgestattete Institute für bildgebende Diagnostik, Pathologie, Nuklearmedizin inklusive PET, Strahlentherapie und Labordiagnostik sowie eine Krankenhausapotheke. » Patienten mit einer bestimmten Tumorart sollten von Anfang an interdisziplinär adäquat versorgt werden Von Anfang an wurde das Ziel verfolgt, dass Patienten mit einer bestimmten Tumorart durch eine „Behandlungstür“ hineingehen und dort interdisziplinär adäquat versorgt werden. Dies stellte sich jedoch als schwierig heraus, da nur eingeschränkte ambulante Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen von Chefarztermächtigungen und der prästationären Betreuung bestehen (kein MVZ, keine Ambulanz auf Grundlage des § 116b SGB V) und die erhoffte Integration einer Schwer- Onkologe 2012 · 18:517–523 DOI 10.1007/s00761-012-2213-2 © Springer-Verlag 2012 H. Göbel · A. Stier · D. Barwitzki · M. Herold Erfolgreiche Zertifizierung eines nichtuniversitären Onkologischen Zentrums am HELIOS Klinikum Erfurt Zusammenfassung Ein wesentlicher Zentrumsgedanke besteht darin, dass ungeachtet des Zugangs eines Tumorpatienten jede einzelne Klinik dieses Zentrums dessen Behandlungskonzept durch ein Tumorboard festlegen lässt. Nur durch eine solche jahrelang gelebte Interdisziplinarität kann eine individualisierte, wissenschaftlich abgesicherte Tumortherapie garantiert werden. Dennoch war es für das Klinikum Erfurt als ein Haus der Maximalversorgung mit seinem kompletten Versorgungsangebot eine erhebliche Herausforderung, diesen onkologischen Standard einem Zertifizierungsprozess unterziehen zu lassen. Denn das bedeutete nicht nur die Überprüfung aller bisherigen Entscheidungs- und Therapiestrukturen, sondern auch deren Verbesserung und die Entwicklung neuer Patientenpfade, Behandlungsalgorithmen und Kooperationen. Neben der Dokumentation dieser Strukturqualität ist der Nachweis der Behandlungsergebnisse von entscheidender Bedeutung. Nur durch die langjährige Zusammenarbeit mit einem Klinischen Krebsregister kann die Ergebnisqualität mit einem möglichst lückenlosen Follow-up über Jahre gemessen werden. Diese Datenerfassung und -pflege ist eine wertvolle Basis klinischer Versorgungsforschung. Schlüsselwörter Versorgungsqualität · Qualitätssicherung · Onkologisches Zentrum · Zertifizierung · Krebs Successful certification of a non-university oncology center at the HELIOS clinic in Erfurt Abstract Defining an interdisciplinary therapeutic concept is the cornerstone of a tumor board. If integrated within a cancer centre, each department can easily participate in the tumor board to allow a consensus treatment concept regardless of the treating physician. Creating a longstanding interdisciplinary approach is the only guarantee to enable individualized therapy on the basis of currently valid and scientifically verified tumor therapies. However, being a general hospital (university associated teaching hospital providing major medical care) the HELIOS Clinic in Erfurt had to face a substantial challenge in undergoing the process of certification for these oncological standards by the German punktpraxis für Hämatologie und Onkologie nicht gelang. Getragen von der Überzeugung, dass ein Krankenhaus nur dann langfristig wettbewerbsfähig bleiben kann, wenn es einen hohen Betreuungsstandard aufweist und seine erreichte Qualität auch regelmäßig nach etablierten Kriterien zu überprüfen bereit ist, unterstützten die Geschäftsführung und der Ärztliche Direktor das Projekt von Anfang an. Im Laufe des Jahres 2008 wurden im Gebäude der Klinik für Strahlentherapie Oncological Society. This procedure involved not only a review of current decisional and therapeutic structures but even more the optimization and development of new patient pathways, therapeutic algorithms and future partnerships. Besides documenting structural quality it is highly important to verify treatment outcome. Treatment outcome, quality and follow-up effectiveness can only be measured by a longstanding cooperation with a clinical cancer registry which is the basis for patient-oriented scientific research. Keywords Healthcare quality · Quality assurance · Oncological center · Certification · Cancer geeignete Räumen bereitgestellt und z. T. aufwendig umgebaut. Im April 2009 konnte die „Eintrittspforte“ des Onkologischen Zentrums mit 3 Untersuchungszimmern, 1 Behandlungsraum mit 6 Therapieplätzen und 2 Dienstzimmern für Ärzte und Schwestern seine Arbeit aufnehmen. Qualitätsmanagementsystem Die wichtigste Aufgabe auf dem Weg zur Zertifizierung als Onkologisches Zentrum Der Onkologe 6 · 2012 | 519 Leitthema Verantwortung Patient mit Leukämieverdacht 1 Terminvereinbarung 1 Sr./ Arzt Station 25 1 Terminvergabe mit Hinweis auf ggf. mitzubringende Befunde 2 MA Zentrale Aufnahme 2 Administrative Anmeldung • Bettzuweisen 3 Sr. 3 • Pflegerisch aufnehmen • Patient richtet sich im Zimmer ein 4 Arzt 4 • Anamnese • klinische Untersuchung • Blutentnahme nach Indikation nach Anamnese- u. Befundbogen 5 CA 5 Überprüfung der erhobenen Befunde, kritische Diskussion und Festlegen des weiteren Prozedere (diagnostisch / therapeutisch) 6-9 behandelnder Arzt 6 Mittels Blutuntersuchung Knochenmarksuntersuchung Laboranforderung Outlook 2 Patient zum Termin entgegennehmen und nach administrativer Aufnahme auf Station weisen 3 Patient auf Station entgegennehmen und pfl egerisch aufnehmen Behandlungsvertrag, Etiketten Stammblatt Doku „Ärztliche Aufnahme„ 4 Ärztliche Aufnahme Kurve 5 Zugangsvisite 6 Morphologische, immunologische, zytogenetische u. molekulargenetische Charakterisierung der Erkrankung 7 Lungenfunktion EKG ECHO Endoskopie CT, US nach klinischer Notwendigkeit und Anforderung bei Behandlungspartner 7 Funktionsidagnostik Befunde Bemerkungen 8 Diagnosestellung aufrund der Befunde Kurve 9 Therapieentscheidung im Rahmen der Tumorkonferenz Protokoll / Behandlungsplan Abb. 3 8 Beispiel Patientenpfad. (Auszug aus dem Qualitätsmanagementhandbuch [1]) war die Schaffung eines Qualitätsmanagementsystems (QM-System). Der Anspruch von Zentren im Gesundheitswesen steht im Kontext der Notwendigkeit effizienterer Strukturen 520 | Der Onkologe 6 · 2012 und Abläufe. Besondere Bedeutung haben hier der gemeinsame Erfahrungsaustausch, die interdisziplinäre Implementierung aktueller klinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse und die daraus resultie- rende Weiterentwicklung diagnostischer und therapeutischer Verfahren in gemeinsamen Konferenzen und Qualitätszirkeln. Der besondere Anspruch wird aber auch an verbindlichen Qualitätsmaßstäben und Do Plan P-D-C-AZyklus Check Act Abb. 4 9 Modell zur kontinuierlichen Verbesserung. (PDCA-Zyklus nach Deming [2]) Kennzahlen deutlich, die sich an evidenzbasierten Leitlinien der Fachgesellschaften orientieren und z. T noch darüber hinaus gehen. So gibt es z. B. eine Selbstverpflichtung zur Erfüllung von Mindestmengen und -quoten sowohl im Bereich von Diagnostik und Therapie als auch von Tracern für die Qualität von Ergebnissen durch die verantwortlichen Leistungserbringer, deren Einhaltung im Rahmen von jährlichen Audits und Reviews geprüft und bewertet wird. Neben dem Wissenstransfer der Leistungserbringer sind ein gemeinsames Qualitätsverständnis und abgestimmte Qualitätsstandards unabdingbare und verbindliche Elemente des Gesamtkonzepts. Zur Weiterentwicklung der Behandlungsmethoden sind zudem Studien gemeinsam zu planen, zu akquirieren und durchzuführen. Zu Beginn des Projekts wurde durch einen externen Berater ein Pflichtenheft mit Anforderungen, Verantwortlichen und Terminen erstellt. Dabei ging es nicht nur um die Abbildung bestehender Strukturen, sondern zusätzlich um die Etablierung neuer bereichsübergreifender Zuständigkeiten unter dem Dach des Onkologischen Zentrums (. Abb. 2). Dies bedurfte einer regelmäßigen Abstimmung aller beteiligten Kliniken, zu deren Zweck ein Lenkungsausschuss mit Vertretern aller Organzentren, der angehörigen Tumorentitäten und wichtiger Fachbereiche (Strahlentherapie, Pathologie) geschaffen wurde. Parallel wurden die relevanten Prozesse (Führungs-, Kern- und Unterstützungsprozesse) und Patientenpfade erfasst und grafisch abgebildet. Bei der Prozessmodulation ging es neben der Abbildung von Regelabläu- fen auch um die Einbindung von Schnittstellen und Informationswegen. Daneben wurden die medizinischen Standards in Übereinstimmung mit den Leitlinien in Arbeitsanweisungen verfasst ((. Abb. 3). Nach z. T. mehreren Revisionen wurde die endgültige Version in einem QMHandbuch zusammengefasst, mit den relevanten mitgeltenden Dokumenten (Arbeitsanweisungen, Standards, Konzepten etc.) freigegeben und für die Anwendung durch die Mitarbeiter veröffentlicht. Grundsätzlich ist jeder zum medizinischen Standard erhobene Prozess nur so gut wie seine Akzeptanz bei allen daran beteiligten Mitarbeitern. Daher waren intensive Besprechungen mit bereichsverantwortlichen Ärzten und der Krankenpflege gleichermaßen von entscheidender Bedeutung, um die gemeinsam erarbeiteten Vorschläge für den klinischen Alltag höchst praktikabel zu gestalten. Zur Bewusstseinsbildung diente in den Gesprächen mit den verschiedenen Themen- und Prozessverantwortlichen insbesondere das nachfolgend erläuterte Prinzip zur kontinuierlichen Verbesserung nach Deming [2] (. Abb. 4, . Tab. 1). Um die Zertifizierungsfähigkeit zu überprüfen, wurde ein umfassendes internes Audit – gewissermaßen als Generalprobe – durchgeführt. Die daraus resultierenden Aufgaben mussten bis zur Zertifizierung abgearbeitet werden. Zur Beurteilung der Wirksamkeit und des Reifegrads des eingeführten QM-Systems diente außerdem eine umfangreiche Managementbewertung mit der Festlegung künftiger Strategien, Ziele und Aktivitäten zur Weiterentwicklung des Onkologischen Zentrums. Das Projekt wurde durch das Bonner Steinbeis-Beratungszentrum begleitet, das über eine mehr als 10-jährige Beratungserfahrung unter anderem auf dem Gebiet der Organzentren verfügt. Im Ergebnis konnte bestätigt werden, dass durch das gemeinsame Projekt zum Aufbau eines Exzellenzzentrums eine deutliche Kompetenzentwicklung der Organisationen erreicht werden konnte. Als Erfolge und besonderer Projektnutzen wurden u. a. eingeschätzt: Fverbesserte Kommunikation und optimierte interdisziplinäre Zusammenarbeit, FVerbesserung der Abstimmung der Behandlungsprozesse, FKlärung von Zuständigkeiten und Befugnissen im Rahmen des QM-Systems, Fsystematische Erfassung und Lenkung aller Dokumente, FErfassung einer spezifischen Patientenzufriedenheit, FEinführung von Methoden zum Messen, Analysieren und Verbessern von Ergebnissen, Fverbesserte Systematik zur Einarbeitung und Fortbildungsplanung/Qualifizierung/Befähigung. Hilfreich bei der Vorbereitung und Durchführung des Zertifizierungsprozesses waren die gewonnenen Erfahrungen bei der Zertifizierung der am HELIOS Klinikum Erfurt bereits bestehenden Organtumorzentren und, im Rahmen von Kooperationsbeziehungen, auch bei Zertifizierungen externer Organtumorzentren. Letzteres trifft für das Pathologische Institut und v. a. für das Klinische Krebsregister des Tumorzentrums zu, das auch dokumentierende Stelle für gegenwärtig 6 zertifizierte Organtumorzentren anderer Krankenhäuser in der Region ist. Nach dem Audit ist vor dem Audit Der mit der Zertifizierung eingeleitete Prozess der Qualitätsverbesserung bedarf der ständigen Weiterentwicklung. Mindestfallzahlen müssen erneut erreicht, funktionierende Abläufe aufrechterhalten und verbesserungsbedürftige Strukturen und Prozesse optimiert werden. Darüber Der Onkologe 6 · 2012 | 521 Leitthema Tab. 1 Modell zur kontinuierlichen Verbesserung. (PDCA-Zyklus nach Deming [2]) Phase Planen (Plan) Umsetzen (Do) Überprüfen (Check) Verbessern (Act) Tätigkeiten Ziel- und Prozessplanung mit Festlegungen der Verantwortlichkeiten Strukturierte Umsetzung der Prozesse in die Praxis Überprüfung der effektiven und angemessenen Umsetzung der Prozesse Ableiten von Verbesserungsmaßnahmen: – Nutzen von lernorientierten Aktivitäten, um beste Praktiken zu identifizieren und Wissen zu teilen: – Analyse von Messungen – Identifizieren, Priorisieren, Planen und Einführen von Verbesserungen – Anpassung von Standards und Verfahren hinaus müssen die einzelnen Organzentren ihre Ergebnisqualität an die sich inhaltlich immer wieder modifizierten und dann häufig spezifizierteren sog. Erhebungsbögen der Deutschen Krebsgesellschaft anpassen. Ein solcher dokumentarischer Aufwand ist nicht zu unterschätzen und sollte von Beginn an kontinuierlich durch Dokumentationsassistenten oder Organbeauftragte absolviert werden. Tumorkonsil Anfang 2012 wird ein mit der Firma celsius37.com AG entwickeltes Anmeldeund Protokollsystem für Konsile auf der Basis von i.s.h.med® im Onkologischen Zentrum eingeführt. Damit wird es möglich, Patienten in strukturierter Form und unter Rückgriff auf bereits gespeicherte Untersuchungsbefunde direkt aus dem Krankenhausinformationssystem (KIS) für eine Tumorkonferenz anzumelden und die beteiligten Fachvertreter zu informieren. Die Konferenzdurchführung und die Protokollierung werden unterstützt. Nach erfolgter Freigabe durch den Leiter des Konsils wird das Protokolldokument für jeden einzelnen Patienten automatisch in dessen Patientenakte eingefügt. Die bisherig praktizierte getrennte Speicherung von Konsilprotokollen und anderen Patientendokumenten wird damit beseitigt und eine einheitliche Vorgehensweise für alle bestehenden Tumor­ boards erreicht. Tumordokumentation/ Ergebnisqualität Es ist für beide Partner – Zentrum und klinisches Krebsregister – vorteilhaft, 522 | Der Onkologe 6 · 2012 wenn die Tumordokumentation des Zentrums von einem bestehenden regionalen Klinischen Krebsregister übernommen wird: FDer Meldeaufwand wird minimiert, da parallele Meldewege (z. B. für epidemiologische Register) vermieden werden. FDie Nutzung der Meldestruktur und des Know-how eines Klinischen Krebsregisters spart Kosten (Investition in Hard- und Software sowie Personal für Systembetreuung, Datenerfassung und -auswertung) und ist besonders hilfreich bei der Beschaffung von Follow-up-Daten, dessen Aufwand anfangs häufig unterschätzt wird. FMit dem Interesse an den Krebs­ registerdaten steigen die Vollzähligkeit und Vollständigkeit der dokumentierten Krankheitsverläufe an. Bereits 1999 wurde im Klinischen Krebsregister des Erfurter Tumorzentrums mit der Einführung eines QM-Systems begonnen. Strukturierte Abläufe stellen die fristgemäße Dokumentation für die Zentren sicher. Die Mitarbeiter werden regelmäßig geschult. Neue oder geänderte Klassifikationssysteme u. ä. werden ebenso wie geforderte Kenngrößen der DKGErhebungsbögen zentral in das Tumordokumentationssystem GTDS eingepflegt und Auswertescripte für die Kennzahlenabfrage bereitgestellt. Für statistische Auswertungen (Überlebenszeitanalysen etc.) wird das Statistiksystem SAS genutzt. Die Berechnung des rezidivfreien Überlebens als einem der härtesten Qualitätsindikatoren setzt die jährliche Erfassung des Tumorstatus voraus. Für diese entscheidende Information ist jedes Zentrum ohne umfassende eigene ambulante Weiterbetreuungsmöglichkeiten auf die Meldung der niedergelassenen Ärzte angewiesen. Ein etabliertes Klinisches Register und über Jahre entwickelte regionale Meldestrukturen erweisen sich dabei als sehr hilfreich. Auf der Grundlage der vom Patienten abgegebenen Zustimmung zur Speicherung und Nutzung seiner Follow-up-Daten kann das Klinische Krebsregister evtl. fehlende Nachsorge­daten auch bei den betreuenden Ärzten anfordern. Für alle Zentrumspatienten, deren letztes Follow-up mehr als 12 Monate alt ist, werden automatisch vom Dokumentationssystem Nachfragebriefe generiert. Ähnliches gilt für Patientennachfragen zu Lebensqualität u. ä. » Die Berechnung des rezidivfreien Überlebens setzt die jährliche Erfassung des Tumorstatus voraus Für die Ermittlung des Lifestatus (Overall Survival) nutzt das Register den Totenscheinabgleich mit den Daten des GKR in Berlin. Abfragen bei Einwohnermelde­ ämtern sind in Thüringen mit hohen Verwaltungskosten verbunden und werden daher nur in Einzelfällen durchgeführt. Psychoonkologie (PSO) Die psychoonkologische Betreuung wird hauptsächlich als Konsiliardienst, in einigen Bereichen auch als Liaisondienst, angeboten. Nicht alle Patienten bedürfen einer psychoonkologischen Betreuung, zumindest nicht während ihres stationären Aufenthalts. In Anbetracht kurzer Liegezeiten kommt es daher besonders darauf an, die betreuungsbedürftigen Patienten zu erkennen. Im Jahr 2010 wurde für alle Bereiche des Onkologischen Zentrums ein psychoonkologisches Screening eingeführt. In Abstimmung mit den Organtumorzentren kommen dabei entweder das Distress-Thermometer oder das Hornheider Screening-Instrument zum Einsatz [3]. Bei Überschreiten des vorgegebenen Scores und/oder nach Einschätzung des therapeutischen Teams wird eine stan- Fachnachrichten dardisierte Psychoonkologische Anforderung ausgelöst und ein Gesprächstermin mit dem zuständigen Psychoonkologen vereinbart. Selbstverständlich wird auch Patienten auf deren eigenen Wunsch ein Gesprächstermin vermittelt. Erste Ergebnisse mit der Anwendung des Screeningverfahrens in der Hämatologie werden auf dem Deutschen Krebskongress 2012 publiziert. Zur Verbesserung der Terminkoordinierung und zur Vereinheitlichung der Dokumentation psychoonkologischer Leistungen wurde am 01.10.2011 ein im eigenen Hause entwickeltes PSO-Tool für das Krankenhausinformationssystem i.s.h.med® eingeführt. Freie Termine des Psychoonkologischen Dienstes können damit direkt von der Station belegt und somit Leerlaufzeiten vermieden werden. Ziel ist eine Effizienzsteigerung der begrenzten psychoonkologischen Kapazität. Forschung, Studien Grundlagenforschung und klinische Studien der Phasen I und II werden an einem nichtuniversitären Klinikum naturgemäß selten durchgeführt. An klinischen Phase-III-Studien arbeitet das Onkologische Zentrum des HELIOS Klinikum aktiv, sowohl führend als auch teilnehmend, mit. Hervorzuheben sind insbesondere die Bereiche Dermatologie und Hämatologie/ Onkologie. Deutschen Krebsgesellschaft gegeben. FDas erfolgreiche Erst-Audit ist Ansporn, das erreichte Niveau zu halten und möglichst weiter zu verbessern. Die Struktur- und Prozessqualität des Zentrums bietet auch zukünftig die Gewähr für eine hohe Ergebnis­ qualität. Korrespondenzadresse Dr. H. Göbel Tumorzentrum, HELIOS Klinikum Erfurt Nordhäuser Straße 74, 99089 Erfurt hubert.goebel@helios-kliniken. de Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt für sich und seine Koautoren an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1. Qualitätsmanagementhandbuch (2011) Onkologisches Zentrum des HELIOS Klinikum Erfurt 2. Deming WE (1982) Out of the Crisis. Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, S 88 3. Herschbach P, Weis J (Hrsg) (2008) Screeningverfahren in der Psychoonkologie, Testinstrumente zur Identifikation betreuungsbedürftiger Krebspatienten, Deutsche Krebsgesellschaft, Berlin. www. krebsgesellschaft.de/download/pso_broschuere. pdf Neuer Prognosetest für Darmkrebs Hyperplastische Polypen sind die häufigsten kolorektalen Verletzungen, von denen fast ein Viertel der europäischen Bevölkerung zwischen 20 und 54 Jahren betroffen sind. Sie wurden lange als gutartig eingestuft und keine medizinische Weiterbetreuung empfohlen. Einige dieser Polypen könnten jedoch Vorläufer von Kolonkarzinomen sein. Französische Forscher haben eine Methode entwickelt, um vorherzusagen, welche Untergruppen von Polypen möglicherweise bösartig sind. Die Forscherinnen konnten einen wichtigen Zusammenhang zwischen dem Protein Progastrin in hyperplastischen Polypen und der späteren Ausbildung von präkanzerösen Veränderungen aufzeigen. Während manche Polypen als gutartig und ungefährlich eingestuft wurden, konnten bei 100% der Patienten mit einem hohen Progastrinspiegel innerhalb von 2 bis 10 Jahren nach der Polypenentfernung Adenome festgestellt werden. Ausgehend von diesen Ergebnissen entwickelten die Wissenschaftler einen prädiktiven Test. Dieser macht, basierend auf dem Patientenalter und der immunhistochemischen Markierung, eine sehr genaue und spezifische Voraussage für die Ausbildung von Tumoren. Es muss nun eine Studie mit größerer Patientenanzahl durchgeführt werden, um diesen Test als Routineverfahren anerkennen zu können. Fazit für die Praxis FDie Zertifizierung des Onkologischen Zentrums am HELIOS Klinikum Erfurt war die logische Konsequenz einer über viele Jahre gewachsenen interdisziplinären Zusammenarbeit und der Kooperation mit verschiedenen Partnern in der Region. Dabei stand stets die Verbesserung der onkologischen Versorgungsqualität und nicht das primäre Marketinginteresse im Vordergrund. FEine gute Infrastruktur war bereits durch das seit 20 Jahren bestehende Tumorzentrum vorhanden. Nach Einführung eines Qualitätsmanagementsystems waren auch die Voraussetzungen für eine Zertifizierung nach DIN ISO 9001 und den Kriterien der Literatur: Do C, Bertrand C, Palasse J et al (2012) A new biomarker that predicts colonic neoplasia outcome in patients with hyperplastic colonic polyps. Cancer Prev Res 5:675–84 Quelle: http://english.inserm.fr Der Onkologe 6 · 2012 | 523