Oeken, J.

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7. DGA Jahrestagung 2004
Hörfunktion im akuten Stadium des Schlaganfalls
Jens Oeken1), Christiane Vogt1), Sabrina Kösling2), Jörg Berrouschot3)
1) ehem. Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde/Plastische Operationen Universitätsklinikum
Leipzig, 2) ehem. Klinik und Poliklinik für Diagnostische Radiologie Universitätsklinikum Leipzig, 3) ehem.
Klinik und Poliklinik für Neurologie Universitätsklinikum Leipzig
Einführung
Die A. cerebri media versorgt u.a. auch die kortikale
Projektion der Hörbahn im Bereich des Temporallappens
(Heschl´sche Windung). Bei einem durch ischämischen
Infarkt des Versorgungsgebietes der A. cerebri media
bedingten Schlaganfall (sog. Mediainfarkt) könnte es zu
zentralen Hörstörungen kommen.
Da sich in der Literatur nur wenige Arbeiten finden,
die sich systematisch mit diesem Problem auseinandersetzen [Formby et al. 1987, Hariri et al. 1994], sollte an einer
größeren Anzahl von Patienten im akuten Stadium eines
Mediainfarktes die Häufigkeit audiologischer Defizite
untersucht werden.
Material & Methoden
Patienten
Zwischen Februar 2000 und Januar 2001 wurden Patienten mit einem akuten Schlaganfall audiometrisch untersucht. Folgende Ein- und Ausschlusskriterien mussten
erfüllt sein:
• ischämischer Infarkt im Versorgungsgebietes
der A. cerebri media oder des Hirnstamms
(Symptomauftritt < 1 Woche)
• radiologischer Infarktnachweis (MRT oder
CT)
• otologisch unauffällige Befunde (unauffällige
Ohrmikroskopie, Tympanogramm Typ A,
unauffällige Anamnese bezüglich des Innenohres)
• keine schweren Aphasien, Ausfälle der kognitiven Fähigkeiten (Aufmerksamkeitsdefizit)
oder extrem schweren motorische Defizite
(Immobilisation oder bettlägrige Patienten)
• Alter > 18 und < 80 Jahre
Bei Patienten mit pathologischen Befund im zentralen
Hörtest sollte eine Kontrollaudiometrie im Abstand von
einem halben Jahr stattfinden.
Untersuchungen
Klinik:
• Ohrmikroskopie
• neurologische Untersuchung
Audiometrie:
•
•
•
Tympanometrie (AT330, DORN GmbH)
DPOAE-Messung (ILO 92, DP-GrammParameter: L1 = 70, L2 = 65; f2/f1 = 1,22; 4
Messpunkte pro Oktave)
Tonschwellenaudiogramm (AT 330, DORN
GmbH)
Hörfunktion im akuten Stadium des Schlaganfalls
•
•
•
Sprachaudiogramm (AT 330, DORN GmbH)
Dichotischer Test nach Feldmann (AT 330,
DORN GmbH)
Test des Richtungsgehörs Freifeld mit Hilfe
von fünf Lautsprechern.
Ergebnisse
Patienten, Infarktlokalisation, Untersuchungszeitpunkt
Anzahl: 41 Patienten (Alter: 57 ± 15 Jahre, Geschl.:
männl.: 26, weibl.: 15)
Lokalisation des Hirninfarktes: 39 Mediainfarkte, 2
Hirnstamminfarkte
Zeitdauer bis zur Untersuchung: SymptombeginnAudiometrie: 6,4 ± 3,5 Tage
Audiometrische Ergebnisse der Patienten
mit Mediainfarkt (n = 38)
Ausschluss: 2 Pat. mit Hirnstamminfarkt, 1 Pat. mit
einseitiger Schallleitungsschwerhörigkeit
Vergleich DP-gramm und Tonschwellenaudiogramm
Sämtliche DP-gramme waren altersentsprechend [Oeken et al. 2000], es lag kein Fall eines zentral bedingten Schwellenanstieges vor.
Seitendifferenz für Sinustöne von 0,5 bis 2 kHz
Die Differenz der gemittelte Frequenzen von 0,5 bis 2
kHz aus dem Tonschwellenaudiogramm zwischen
beiden Seiten ergab bei 28 Patienten eine Seitendifferenz geringer als 5 dB, bei 10 Patienten Seitendifferenz zwischen 5 und 15 dB.
Seitendifferenz im Sprachaudiogramm (Einsilber)
37 Patienten hatten einen Diskriminationsverlust für
Einsilber von < 20% auf beiden Ohren, 1 Patient wies
einen Diskriminationsverlust von 30% auf beiden Ohren auf. Es bestand also kein signifikanter Seitenunterschied der Diskrimination.
Seitendifferenz im Sprachaudiogramm (Hörverlust für
Zahlen)
Bei 22 Patienten bestand eine Differenz von weniger
als 5 dB, bei 16 Patienten lag die Seitendifferenz zwischen 5 und 15 dB.
Dichotischer Test (n = 37) (Tab. 1)
(zusätzlicher Ausschluss: ein Patient mit monotisch
schlechteren Diskriminationsvermögen als 80%).
1
7. DGA Jahrestagung 2004
Patient
Infarktseite
Diskrimination
rechts (%)
Diskrimination
links (%)
Diskrimination
rechts (%) NU
Diskrimination
links (%) NU
C.M.
links
90
75
100
100
M.L.
rechts
75
25
H.S.
rechts
30
90
80
90
H.K.
rechts
90
0
T.H.
rechts
100
45
95
90
M.T.
links
65
80
G.B.
links
30
60
H.L.
rechts
90
70
95
80
H.H.
rechts
100
5
100
65
H.T.
links
40
95
R.L.
links
100
65
Tab. 1: Sämtliche Patienten mit Diskriminationsverlust im dichotischen Test (von n = 37) und die Ergebnisse der Nachuntersuchung (NU) bei 5 Patienten.
einseitige Diskrimination < 50%
Bei 7 Patienten bestand ein einseitiger Diskriminationsverlust von > 50%. Davon befand sich bei 5 Patienten der Infarkt auf der rechten Seite. Bei diesen fünf
Patienten mit rechtsseitigem Mediainfarkt zeigte sich
der Diskriminationsverlust bei 4 Patienten kontralateral, also auf dem linken Ohr, bei einem Patienten bestand der Diskriminationsverlust ipsilateral, also auf
der rechten Seite. In einem Fall der kontralateralen
Manifestation bestand auf der gesunden Seite eine
Diskrimination von 75%.
Bei 2 Patienten bestand ein Mediainfarkt auf der linken Seite, bei beiden manifestierte sich der Diskriminationsverlust kontralateral, also auf der rechten Seite.
In einem Fall bestand auf der gesunden Seite eine
Diskrimination von nur 60%.
Diskrimination zwischen 50 und 80%
Bei 4 Patienten bestand ein geringerer Diskriminationsverlust von mehr als 20 aber weniger als 50%. Davon lag bei 2 Patienten ein rechtsseitiger Mediainfarkt
vor, der sich je einmal kontralateral und ipsilateral
manifestierte. Bei den weiteren zwei Patienten bestand
der Mediainfarkt auf der linken Seite, in beiden Fällen
manifestierte sich der Diskriminationsverlust kontralateral.
Auswertung des dichotischen Tests in der Vierfeldertafel
Um bei den 11 Patienten mit pathologischem dichotischen Test die Abhängigkeit zwischen der Seite des
Mediainfarktes und der Seite des größeren Diskriminationsverlustes zu untersuchen wurde die Vierfeldertafel verwendet. Wegen der geringen Fallzahl von elf
Patienten musste dabei Fisher´s exakter Test angewendet werden (nicht der klassische ?2-Test). Dabei
ließ sich ein F = -0,45 (bei p=0,137; d.h. nicht sifnifikant), eine 2-seitige Signifikanz von p = 0,242 und eine 1-seitige Signifikanz von p = 0,197 berechnen
(Tab. 3).
Damit ist statistisch nachgewiesen, dass sich aus unseren Daten eine Abhängigkeit der beiden Merkmale
Seite des Mediainfarktes und Seite des größeren DisHörfunktion im akuten Stadium des Schlaganfalls
kriminationsverlustes im dichotischen Test nicht
nachweisen lässt.
Richtungshören (n = 38)
Beim Test des Richtungshören mit fünf halbkreisförmig aufgestellten Lautsprechern in 45°-Abständen mit
zehn zufällige Testsignale (Schmalbandrauschen 1
kHz, 80 dB) ergab sich bei 5 Patienten einen messbarer Fehler. Der durchschnittliche Fehler betrug 54°,
27°, 18° und zweimal 9°. Alle anderen Patienten gaben die Richtung des akustischen Reizes korrekt an
(Fehler = 0°).
Patienten mit Hirnstamminfarkt
Die Ergebnisse beider Patienten mit einem Hirnstamminfarkt links sind in Tab. 2 dargestellt.
Patient
B.M.
Diskrimination
rechts (%)
100
Diskrimination
links (%)
100
Durchschnittlicher
Fehler (°)
0
E.U.
100
45
13,5
Tab. 2: Diskrimination im dichotischen Test und Ergebnis des
Testes des Richtungsgehörs bei den beiden Patienten mit Hirnstamminfarkt.
Infarktseite
größter
Diskriminationsverlust
rechts
links
rechts
1
3
4
links
5
2
7
6
5
11
F =-0,449 (p=0,137); exakter Test nach Fisher: 2-seitige Signifikanz
p=0,242; 1-seitige Signifikanz p=0,197
Tab. 3: Vierfeldertafel zur Beziehung Seite des Infarktes und
größter Diskriminationsverlust im dichotischen Test unter Einbeziehung aller in Tab. 1 genannten Patienten mit pathologischen Befund im dichotischen Test. Eine Abhängigkeit der beiden Merkmale ließ sich statistisch nicht nachweisen.
Nachuntersuchungen
Fünf Patienten mit einem pathologischen Ergebnis im
dichotischen Test konnten wir nachuntersuchen. Dabei
zeigte sich bei 4 Patienten eine Normalisierung der Diskriminationsfähigkeit auf der audiometrisch ehemals
betroffenen Seite. In einem Fall stieg die Diskrimination
deutlich an, ohne jedoch einen Normalwert zu erreichen
(Tab. 1)
Diskussion
Patienten mit Mediainfarkt weisen im Bereich der perzeptiven Ebene der Hörbahn, die die subkortikalen Regionen umfassen, kaum Defizite auf (geringfügige Seitenunterschiede des Hörvermögens für Sinustöne, Zahlwörter
und Einsilber). Dies stimmt mit den Befunden anderer
Autoren überein [Formby et al. 1987, Harari et al. 1994].
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7. DGA Jahrestagung 2004
Dagegen war die apperzeptive Ebene, d.h. die Verarbeitung der akustischen Informationen in der im Schläfenlappen befindlichen Hörrinde, bei unserer Gruppe in ca.
30% beeinträchtigt. Dabei scheinen dichotische Tests
besonders sensitiv zu sein [Hariri et al. 1994]. Eine Abhängigkeit der Seite der Diskriminationseinschränkung im
dichotischen Test von der Infarktseite ließ sich im Vierfeldertest statistisch nicht nachweisen (Tab. 3). Unter den
7 von 37 Patienten (19%), bei denen sich eine deutliche
einseitige Diskriminationseinschränkung (<50%) fand,
war die häufigste Konstellation der rechtsseitige Mediainfarkt, bei dem sich der Diskriminationsverlust kontralateral, also auf dem linken Ohr, manifestierte. Dies konnte
immerhin bei 4 von 37 Patienten (10%) gefunden werden.
Die kontralaterale Manifestation eines ausgeprägten Diskriminationsverlustes bei einem Mediainfarkt der linken
Seite (d.h. Hörschädigung rechts) zeigte sich immerhin
bei 2 von 37 Patienten (5%). In einem Fall (3%) ließ sich
auch ein ipsilateraler Diskriminationsverlust bei einem
rechtsseitigen Mediainfarkt feststellen. Bei den Patienten
mit geringfügigeren Diskriminationsverlusten (Diskrimination zwischen 50 und 80%) zeigten sich bei linksseitigem Mediainfarkt bei zwei Patienten eine kontralaterale
und bei einem Patienten eine ipsilaterale Diskriminationseinschränkung. Bei den rechtsseitigen Mediainfarkten
zeigte sich in einem Fall eine ipsi- und in einem weiteren
Fall eine kontralaterale Diskriminationseinschränkung.
Die Ergebnisse widersprichen älteren Arbeiten, die eine
Dominanz der linken Hirnhälfte für das Verständnis verbaler akustischer Stimuli postulierten [Shankweiler 1966,
King und Kimura 1972, Albert et al. 1971]. Neuere Studien mit funktionellem MRT oder PET stützen dagegen
das „bunte“ Bild der Lateralität von Hördefiziten bei
rechts- oder linksseitigen Mediainfarkt [Griffiths et al.
1998, Pedersen et al. 2000, Muller et al. 1997, Tzourio et
al. 1998, Mazziota et al. 1982].
Der deutliche Anstieg des Diskriminationsvermögens
im dichotischen Test bei den fünf nachuntersuchten Personen spricht für die Plastizität des Gehirns auch für auditorische Funktionen [Ilvonen et al. 2001 und 2003].
Das Richtungsgehör konnte bei der von uns
verwendeten Testeinrichtung nur grob eingeschätzt
werden. Da nur drei Patienten größere Defizite im
Richtungsgehör aufwiesen, scheint das Richtungsgehör
beim Mediainfarkt nur geringfügig gestört zu sein.
Literatur
Schlussfolgerungen
Shankweiler D. Effects of temporal-lobe damage of perception of dichotically presented melodies.J Comp
Physiol Psychol. 1966 Aug;62(1):115-9.
In knapp 30% der Patienten mit einem akuten Mediainfarkt bestehen auch Defizite im Bereich des höheren
Sprachverstehens. Wir empfehlen deshalb, nach Abschluss der intensivmedizinischen Behandlung auch nach
Störungen des Gehörs zu fahnden. Dabei sollten sensitive
Tests, wie der dichotische Test nach Feldmann, zur Anwendung kommen.
Hörfunktion im akuten Stadium des Schlaganfalls
Albert ML, Goldblum MC, Benson DF, Hecaen H.
Mechanisms of auditory comprehension. II. Cerebral
dominance. Trans Am Neurol Assoc. 1971;96:132-5.
Formby C, Phillips DE, Thomas RG: Hearing loss among
stroke patients. Ear Hear. 1987; 8:326-332
Griffiths TD, Rees G, Rees A, Green GG, Witton C,
Rowe D, Buche , Turner R, Frackowiak RS: Right parietal cortex is involved in the perseption of sound
movement in humans. Nat Neurosci 1998; 1: 74-79
Hariri MA, Lakshmi MV, Larner S, Conolly MJ: Auditory problems in elderly patients with stroke. Age
Ageing 1994; 23:312-316
Ilvonen TM, Kujala T, Kiesilainen A, Salonen O, Kozou
H, Pekkonen E, Roine RO, Kaste M, Näätänen R.
Auditory discrimination after left-hemisphere stroke: a
mismatch negativity follow-up study. Stroke. 2003;34:
1746-1751
Ilvonen TM, Kujala T, Tervaniemi M, Salonen O,
Näätänen R, Pekkonen E: The processing of sound duration after left hemisphere stroke: event-related potential and behavioral evidence. Psychophysiology.
2001;38: 622-628
King FL, Kimura D. Left-ear superiority in dichotic perception of vocal nonverbal sounds. Can J Psychol.
1972;26:111-116
Oeken J, Lenk A, Bootz F: Influence of age and presbyacusis on DPOAE. Acta Otolaryngol 2000;
33:2807-2812
Mazziotta JC, Phelps ME, Carson RE, Kuhl DE: Tomographic mapping of human cerebral metabolism: auditory stimulation. Neurology 1982; 32: 921-937
Muller RA, Rothermel RD, Behen ME, Muzik O, Mangner TJ, Chugani HT: Receptive and expressive language activations for sentences: a PET study. Neuroreport 1997; 8: 3767-3770
Pedersen CB, Mirz F, Ovesen T, Ishizu K, Johannsen P,
Madsen S, Gjedde A: Cortical centres underlying
auditory temporal processing in humans: a PET study.
Audiology 2000; 39: 30-37
Tzourio N, Crivello F, Mellet E, Nkanga-Ngila B, Mazoyer B: Functional anatomy of dominance for speech
comprehension in left handers vs right handers. Neuroimage 1998; 8:1-16
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