Dokumentation - Online-Beratung im Erzbistum Köln

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Beratung vor,
während und nach
Pränataldiagnostik
- Vernetzung und Kooperation
der Professionen
Dokumentation
der
Fachtagung
am 22. Oktober 2005
im Maternushaus,
Kardinal-Frings-Str. 1 - 3
50668 Köln
Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e. V.
Hrsg.:
Diözesan-Caritasverband
für das Erzbistum Köln e. V.
Referat esperanza
Georgstr. 7, 50676 Köln
Redaktion:
Christa Pesch
[email protected]
Textverarbeitung:
Christel Rahmen
www.esperanza-online.de
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Inhaltsverzeichnis
Dr. Frank Johannes Hensel, Direktor des Diözesan-Caritasverbandes für das
Erzbistum Köln .......................................................................................................5
Begrüßung und Einführung in die Fachtagung .......................................................
Vorträge
Christian Wilhelm ...................................................................................................8
Die schwangere Frau zwischen guter Hoffnung und medizinischem Risiko...........
Alexandra Jorzig ..................................................................................................17
Beratung vor, während und nach Pränataldiagnostik .. „Medizinische Aufklärungsund Beratungspflicht aus haftungsrechtlicher Sicht“ ...............................................
Gerhard Höver .....................................................................................................25
Vor welche ethischen Fragen und Herausforderungen stellt uns
„Pränataldiagnostik und Beratung“?........................................................................
Christa Pesch.......................................................................................................35
Psychosoziale Beratung, vor, während und nach Pränataldiagnostik aus Sicht
von Ratsuchenden und von Pränatalmediziner(inne)n ...........................................
Sanja Draschner ..................................................................................................56
Beispiel für interprofessionelle Kooperation - Erfahrungen aus dem Modellprojekt
- in einer niedergelassenen Praxis..........................................................................
Bettina Schleppe ..................................................................................................61
Kooperationsbeispiel in niedergelassener Praxis ...................................................
Hans-Peter Diemer ..............................................................................................66
Beispiel für interprofessionelle Kooperation - Erfahrungen aus dem Modellprojekt
- in einer Klinik.........................................................................................................
Margret Oslislo .....................................................................................................68
Beispiel für interprofessionelle Kooperation - Erfahrungen aus dem
Modellprojekt - in einer Klinik
Rainer Schmidt.....................................................................................................70
Leben mit Behinderung – Grenzen als Chancen ....................................................
Foren
Forum 1 "Aufbau von Kooperationen / Umgang mit den Schnittstellen zwischen
Medizin und psychosozialer Beratung ................................................................ 75
Christian Wilhelm .................................................................................................75
Gesine Habermann ..............................................................................................75
Elisabeth Müller....................................................................................................76
Gisela Pingen-Rainer, Protokoll ...........................................................................79
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Forum 2 "Diagnoseeröffnung interdisziplinär gestalten" ..................................... 80
Anke Fricke ..........................................................................................................80
Barbara Baier .......................................................................................................83
Barbara Leube .....................................................................................................83
Angela Kribs.........................................................................................................84
Anke Fricke, Protokoll ..........................................................................................85
Forum 3 "Ärztliche und psychosoziale Beratung und Begleitung bei
Pränataldiagnostik und zu erwartender Behinderung aus Sicht
betroffener Eltern" ............................................................................................... 87
Christine Schmid ..................................................................................................87
Warda Balkae ......................................................................................................91
Sanja Draschner ..................................................................................................92
Margret Oslislo, Protokoll .....................................................................................94
Forum 4 "Wie Leben mit Behinderung in Familie und Gesellschaft
gelingen kann" .................................................................................................... 96
Maren Wleklinski ..................................................................................................96
Bettina Schleppe ..................................................................................................97
Bettina Schleppe, Protokoll ..................................................................................98
Forum 5 "Fördermöglichkeiten für Kinder mit einer geistigen Behinderung" .... 100
Monique Randel-Timperman..............................................................................100
Sybille Chudziak.................................................................................................108
Marion Hahn ......................................................................................................111
Angela Kaszián, Protokoll ..................................................................................114
Abschlussgespräch
Pränataldiagnostik - Vernetzung und Kooperation in der ärztlichen und
psychosozialen Begleitung von schwangeren Frauen und Paaren sowie von
Eltern eines Kindes mit Behinderung ........................................................... 115
Moderation: Jutta vom Hofe, Journalistin
Verzeichnis der Mitwirkenden ............................................................................124
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Dr. Frank Johannes Hensel, Direktor des Diözesan-Caritasverbandes für
das Erzbistum Köln
Begrüßung und Einführung in die Fachtagung
"Beratung vor, während und nach Pränataldiagnostik - Vernetzung
und Kooperation der Professionen"
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen,
herzlich heiße ich Sie willkommen und freue mich, dass sie so zahlreich unserer
Einladung gefolgt sind, übrigens weitaus zahlreicher als wir erwartet hatten.
Ihre Teilnahme werte ich als ein deutliches Zeichen für die Dringlichkeit des
Themas. Es ist gut und wichtig, dass alle Berufsgruppen, die mit der Einladung
angesprochen wurden, heute auch tatsächlich hier vertreten sind. So sind hier
u. a. Hebammen, Schwangerschaftsberaterinnen und Berater, Pädiater und Gynäkologen, Psychotherapeuten, Sprachtherapeuten, Seelsorger. Sie alle nutzen
die Chance, die unterschiedlichen Blickwinkel und Möglichkeiten der anderen
Professionen so einschätzen zu können, dass sie zum Besten der schwangeren
Frauen und Paare zusammenwirken. Auch politisch ist das Thema immer wieder
in der Diskussion.
Besonders begrüße ich natürlich auch die vielen Mitwirkenden im Programm des
heutigen Tages; Sie schaffen den Rahmen für unser interprofessionelles Miteinander.
Der Vormittag wird dabei als Auftakt für die fünf Foren des Nachmittags dienen,
wo Sie die anderen mindestens ein- und gerne auch wertschätzen mögen und
über den Erfahrungsaustausch auch gleich konkrete Kooperationsmöglichkeiten
aufzeigen und finden können.
Der erste Vortrag "Die schwangere Frau zwischen guter Hoffnung und medizinischem Risiko" greift gleich den zentralen Zwiespalt auf. In seinem Vortrag wird
Herr Professor Wilhelm, niedergelassener Pränatalmediziner in Köln, die technischen Fortschritte aufzeigen, die Früherkennungen beim ungeborenen Kind gestatten und medizinische Möglichkeiten eröffnen, mit denen die Kindersterblichkeit
reduziert und Schwangerschaftsabbrüche verhindert werden können. Dadurch
gewinnt die Pränataldiagnostik und -therapie ihre segensreiche Bedeutung und
gibt Eltern Hoffnung, Zuversicht und oft genug auch Sicherheit.
Es gibt aber auch die andere Seite, jene Fälle, in denen die Pränataldiagnostik
nicht die gute Hoffnung fördert, sondern werdende Eltern in große Not stürzt,
wesentlich dann, wenn Behinderungen hochwahrscheinlich oder sicher festgestellt werden, die nicht therapierbar sind. Diese Diagnosen können tiefe Krisen
auslösen und in einen emotional und ethisch hoch belasteten Konflikt führen.
Es entstehen Entscheidungssituationen, die die handelnden bzw. die betroffenen
Personen oftmals überfordern.
Nicht nur werdende Eltern, auch Ärztinnen und Ärzte erleben solche Grenzsituationen als äußerst belastend und geraten nicht zuletzt aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in sehr, sehr ernste Bedrängnis. Eltern hatten
eine Ärztin auf Schadensersatz verklagt, weil diese die Behinderung des Kindes
in der Pränataldiagnostik nicht erkannt bzw. nicht mitgeteilt hatte. Der Bundesgerichtshof verurteilte die Ärztin daraufhin zu Schadensersatz.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht 1993 in seinen Leitsätzen zum Urteil
des § 218 StGB formuliert, dass das Dasein eines Kindes nicht als Schadenquelle angesehen werden darf, der Bundesgerichtshof hat jedoch den Unterhalt für
die Geburt dieses Kindes als Schadensersatz verfügt. Das Urteil hat zu heftiger
Kritik geführt – ich finde es geradezu schauerlich – und nicht zuletzt hat es dazu
beigetragen, dass mittlerweile fast jeder Frau pränataldiagnostische Maßnahmen
angeboten werden, um sich als Ärztin oder Arzt gegen derlei haftungsrechtliche
Ansprüche abzusichern.
Frau Dr. Jorzig widmet sich daher in ihrem Vortrag dem Arzthaftungsrecht und
seiner Entwicklung unter dem Einfluss der gegenwärtigen Rechtsprechung.
Nicht nur mit Blick auf die Arzthaftung, sondern ganz schlicht und ergreifend für
unser Zusammenleben hat das Urteil des Bundesgerichtshofs eine hohe symbolische Wirkung, die Geburt von Kindern mit Behinderung als haftungsrechtlichen
Schadensfall anzusehen. Man fragt sich, wer hier die unerwünschten Personen
sind.
Es ist ein kritischer Punkt, an dem wir da stehen. Es sind große ethische Herausforderungen für uns als Bürger eines Staates, der die Würde des Menschen als
das höchste Gut ansieht. In Artikel 3 des Grundgesetzes ist darüber hinaus verankert, dass kein Mensch wegen einer Behinderung benachteiligt werden darf.
Und nun mein Bekenntnis, Sie werden sich nicht wundern, es bei der Caritas der
katholischen Kirche zu hören, und ich möchte es auch aussprechen: Gerade hier
zeigt sich die Achtung vor der Würde des Menschen, dieser unveräußerlichen,
von Gott geschenkten, nicht einer sich verdienenden oder anderen Menschen
offensichtlich imponierenden Würde.
"Der Respekt vor der Personenwürde des Menschen umfasst daher die Unverletzlichkeit seines leiblichen Daseins von allem Anfang an", so schrieb es Papst
Johannes Paul II. Aus dem Glaubensverständnis von der Gottebenbildlichkeit
jedes Menschen wissen wir Christen uns in besonderer Weise daran gebunden.
Herr Professor Höver, Moraltheologe an der theologischen Fakultät der Universität Bonn, wird dies in seinem Vortrag "Vor welche Fragen und Herausforderungen stellt uns 'Pränataldiagnostik und Beratung'?" aufgreifen. Schon die Formulierung des Titels drückt dabei die Verbundenheit von Pränataldiagnostik und
Beratung aus. Alle Entscheidungen, die die Frau oder das Paar treffen müssen,
sollen natürlich auf medizinischen Informationen basieren. Die Menschen brauchen aber auch innere Klarheit und müssen dafür die Aspekte der eigenen Lebensplanung, der Paarbeziehung und insbesondere der persönlichen, sozialen
und moralischen Ressourcen einbeziehen. Gerade dabei kann psychosoziale
Beratung sehr hilfreich sein.
Die Erfahrungen unseres Modellprojektes mit dem etwas sperrigen Titel „Psychosoziale Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik und bei zu erwartender
Behinderung des Kindes“ belegen, dass angesichts der Komplexität der Beratungserfordernisse eine Arbeitsteilung zwischen medizinisch-ärztlicher und psychosozialer Beratung sehr hilfreich ist. Frau Pesch von unserem DiözesanCaritasverband für das Erzbistum Köln wird in ihrem Vortrag den Fragen nachgehen, welche Gründe Frauen veranlasst haben, psychosoziale Beratung in Anspruch zu nehmen und wo der richtige Ort ist, um unabhängig von der Ärztin
bzw. dem Arzt auf das zu schauen, was eine mögliche Diagnose für sie selbst,
für ihren Partner und für die Beziehung zum Kind bedeuten würde.
Aus der Projektevaluation geht interessanterweise hervor, dass Frauen auch bei
ausreichend empfundener Beratung durch den Arzt gleichzeitig einen signifikanten Bedarf an psychosozialer Beratung zum Ausdruck bringen. Hier stellt sich die
Frage, wie es gelingen kann, dass Ärzte auf die psychosoziale Beratung hinwei6
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sen und damit übrigens auch der Hinweispflicht, die in den Mutterschaftsrichtlinien verankert ist, nachkommen.
Es erscheint wünschenswert, dass die Information über den Rechtsanspruch auf
psychosoziale Beratung, wie sie im Schwangerschaftskonfliktgesetz § 2 beschrieben ist, zum anerkannten und verwirklichten Qualitätsstandard gehört.
Im Rahmen unseres ja bereits erwähnten Modellprojektes, das zweieinhalb Jahre
in drei esperanza-Beratungsstellen durchgeführt wurde, haben wir zwei Ziele
verfolgt. Das eine Ziel lautete: Rahmenbedingungen zu erkennen, die es Frauen
und Paaren erleichtern, psychosoziale Beratung in Anspruch zu nehmen. Eine
der wichtigsten Rahmenbedingungen ist – nach unserer Erkenntnis – eine gut
funktionierende Kooperation der Beratungsfachkraft mit den Ärztinnen und Ärzten. Dazu sind Formen der Zusammenarbeit zwischen Medizin und psychosozialer Beratung entwickelt worden, die einen beispielhaften Qualitätsstandard in
einer niedergelassenen Praxis oder einer Klinik darstellen können.
Frau Dr. Draschner, niedergelassene Gynäkologin, und Frau Schleppe, Beraterin
bei esperanza in Bergisch Gladbach, sowie Herr Professor Diemer, Chefarzt der
Gynäkologie des Marienhospitals in Düsseldorf, und Frau Oslislo, Beraterin bei
esperanza in Düsseldorf, werden über konkrete Erfahrungen in der praktischen
Zusammenarbeit berichten.
Darüber hinaus zielte das Projekt darauf, die Eltern in ihrer Entscheidungskompetenz zu stärken und die Annahme eines Kindes mit Behinderung zu erleichtern.
Wir sind aufgefordert, Frauen und Paaren in diesen Grenzsituationen beizustehen.
Herr Rainer Schmidt, evangelischer Theologe und erfolgreicher Tischtennisspieler bei Paralympic, wird über sein Leben mit der Behinderung referieren und dabei Grenzen und Chancen aufzeigen. Auf dem Umschlag seines Buches mit dem
eingängigen Titel "Lieber Arm ab als arm dran" heißt es: "Der Tag seiner Geburt
war für seine Eltern ein Schock. Rainer Schmidt kam ohne Unterarme und mit
einem verkürzten rechten Oberschenkel zur Welt. Doch mit der Zeit lernten seine
Familie und er "normal" mit dieser Grenze umzugehen. Rainer Schmidt gewann
unter anderem 2004 bei den Paralympics in Athen Silber im Einzel und Gold im
Team.“
Heute wäre diese Behinderung, die auf einer Stoffwechselstörung beruht, pränatal feststellbar und würde werdende Eltern dazu bewegen, sich möglicherweise
gegen das Kind zu entscheiden, um ihrem Kind und wohl auch sich dieses Leben
ersparen zu wollen. Dabei würden sie sich gleichzeitig der vermeintlichen gesellschaftlichen Erwartung stellen müssen, ein Kind mit einer Behinderung nicht auf
die Welt zu bringen. Dies ruft uns zum Widerspruch auf; die Belastungen aber,
die auf Eltern zukommen können, erfordern einen sehr sensiblen Umgang mit
allen Fragen rund um Pränataldiagnostik.
Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen, der Spannungsbogen des Tages ist
groß. Ich hoffe sehr und wünsche uns allen, dass die Erkenntnisse des heutigen
Tages den Willen zur Vernetzung und Kooperation stärken, eine ganzheitliche
Versorgung schwangerer Frauen und Paare fördern und einem Leben mit Kindern, die mit einer Behinderung, Fehlbildung oder Erkrankung auf die Welt kommen, mehr Chancen eröffnen.
Danke für Ihr Dasein und Ihr Mittun und danke für Ihr aufmerksames Zuhören.
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Christian Wilhelm
Die schwangere Frau zwischen guter Hoffnung und medizinischem
Risiko
Gliederung:
Was bedeutet pränatale Diagnostik?
Definition, Häufigkeit, Indikation. Die Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Historische Entwicklung, zukünftige Fragestellungen.
Zwischen guter Hoffnung und medizinischem Risiko.
Was ist eine Risikoschwangerschaft?
Die Autonomie der Schwangeren – und des Ungeborenen
Wo liegen die Schnittstellen mit anderen Ärzten, Hebammen, Sozialarbeitern,
Seelsorgern, Psychologen, Juristen?
Problemerkennung- Problembewusstsein – Lösungsvorschläge
Was bedeutet pränatale Diagnostik?
„Die pränatale Diagnostik dient dazu, die Schwangere von der Angst vor einem
kranken oder behinderten Kind zu befreien sowie Entwicklungsstörungen des
Ungeborenen so frühzeitig zu erkennen, dass eine intrauterine Therapie oder
eine adäquate Geburtsplanung unter Einbeziehung entsprechender Spezialisten
für die unmittelbare postnatale Versorgung des Ungeborenen erfolgen kann.“
(Bundes-Ärztekammer 1998a)
Heute wird mit dem Begriff pränatale Diagnostik ganz überwiegend die Ultraschalluntersuchung verbunden, obwohl dazu auch andere Untersuchungen wie
die Bestimmung mütterlicher Blutwerte, die invasive Diagnostik mittels Fruchtwasserpunktion, Nabelschnurpunktion oder Chorionzottenbiopsie oder auch die
kindliche Herztonschreibung zusammen mit der Aufzeichnung der mütterlichen
Wehen (Cardio-Tokographie,CTG ) gehören.
Auch die rechtzeitige Erkennung von schwangerschaftsspezifischen Erkrankungen der Mutter wie beispielsweise der schwangerschaftsinduzierte Bluthochdruck
gehören zur Pränataldiagnostik – ein weites Feld.
Deshalb erscheint es auch sinnvoller, die pränatale Diagnostik durch den Begriff
pränatale Medizin zu ersetzen.
Dies auch deshalb, weil sich darin die Tatsache widerspiegelt, dass zur pränatalen Diagnostik längst auch die pränatale Therapie gehört.
Dazu gehören beispielsweise bei drohender Früh- oder Mangelgeburt die über
die Mutter gegebenen Medikamente, die zu einer Lungenreifung des Ungeborenen führen und damit die Chancen für ein gesundes Überleben entscheidend
verbessern. Dazu gehören aber auch invasive Eingriffe, um eine Verschlechterung der pränatalen Erkrankung vorzubeugen.
Grundlage der pränatalen Diagnostik sind aber nach wie vor die bereits 1979
eingeführten beiden Screening-Untersuchungen in der Schwangerschaft zwischen der 19. und 22. SSW sowie zwischen der 29. und 32. SSW, die 1995
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durch die erste Screening-Untersuchung zwischen der 9. und 12. SSW ergänzt
wurden.
Das Wort screen kommt aus dem Englischen und bedeutet Sieb, also ein Suchtest zur frühzeitigen Erkennung von Risiken bzw. Erkrankungen.
Beim Erst-Trimester-Screening geht es zunächst darum, die Intaktheit der
Schwangerschaft festzustellen. Dies geschieht durch den Nachweis von Herzaktionen und von Kindsbewegungen. Besonders beruhigend ist diese Untersuchung beispielsweise für Schwangere, die in dieser Zeitspanne unter vaginalen
Blutungen leiden.
Darüber hinaus werden bei dieser Untersuchung durch Messungen – beispielsweise der Scheitel-Steißlänge - das rechnerische Schwangerschaftsalter bestätigt oder korrigiert. So können Fehlbeurteilungen zu einem späteren Schwangerschaftszeitpunkt – beispielsweise die Fehldiagnose einer Übertragung – vermieden werden. Schließlich gehört auch die exakte Beurteilung von Mehrlingsschwangerschaften in diese Untersuchung, um schon jetzt die hohen Risiken von den niedrigen Risiken differenzieren zu können.
Es erfolgt gleichzeitig der Ausschluß schwerster, meist nicht lebensfähiger Fehlbildungen.
Nicht zu unterschätzen ist das zusätzliche „bonding“ der Mutter zum Ungeborenen, das auch oft bei ambivalenten Schwangeren zu einer auch emotionalen
Annahme der Schwangerschaft führt.
Schließlich gehört dazu auch das Angebot der Messung der Nackenfalte und des
Nasenbeins, womit eine individuelle Risikoeinschätzung für altersabhängige
chromosomale Anomalien ermöglicht wird. Dabei können mehr als 90 % der
Embryonen mit altersabhängigen chromosomalen Anomalien sowie schwere
Herzerkrankungen frühzeitig erkannt werden.
Die zunehmende Inanspruchnahme dieser Methode hat bereits zu einem deutlichen Rückgang der Anzahl invasiver Eingriffe wie Fruchtwasserpunktionen geführt, mit einer damit verbundenen Reduzierung der durch diese Eingriffe verursachten Fehlgeburten – auch wenn das Fehlgeburtsrisiko durch die Konzentration auf Zentren und die strengen Qualitätskontrollen in den letzten Jahren rückläufig ist.
Die Messung der Nackenfalte und zunehmend auch des Nasenbeins setzt große
Erfahrung, professionelle Geräte und ausreichende Untersuchungszeit voraus.
Deshalb dürfen diese Untersuchungen auch nur von besonders dafür geschulten
Pränatalmedizinern durchgeführt werden, die sich einer jährlichen strengen Qualitätskontrolle unterziehen müssen.
Insbesondere ist aber mit dieser Untersuchung den ratsuchenden Frauen die
Möglichkeit gegeben, sich innerhalb ihrer eigenen ethischen Normen und Vorstellungen nach entsprechender Beratung auch gegen eine invasive Diagnostik
entscheiden zu können.
Dies setzt aber eine entsprechende professionelle Beratung voraus, in der die
Möglichkeiten und Grenzen dieser Methode aufgezeigt werden.
Beim Zweit-Trimester-Screening soll neben der Intaktheit der Schwangerschaft
die frühe Unterversorgung des Feten, sowie fetale Entwicklungsstörungen bzw.
Fehlbildungen untersucht werden. Dies beinhaltet die Darstellung und Dokumentation der fetalen Organe, um schwerwiegende, zum Teil auch nicht lebensfähige
Fehlbildungen auszuschließen bzw. zu erkennen.
Dazu gehört auch die Beurteilung der Umgebung, also Fruchtwassermenge und
Placenta. Beipielsweise kann dadurch das Vorliegen der Placenta vor dem inneren Muttermund erkannt werden. Zu geringe Fruchtwassermengen bedeuten
einen hohen Risikofaktor für das Ungeborene, auch besonders für seine zukünftige Entwicklung.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Schließlich kann durch die Messung der Blutversorgung schon sehr frühzeitig
erkannt werden, ob eine zukünftige Unterversorgung des Kindes zu befürchten
ist.
Das Dritt-Trimester-Screening schließlich befasst sich hauptsächlich mit dem
Nachweis des normalen Wachstums des Kindes bzw. dessen Abweichungen.
Die Lage des Kindes und der Placenta werden dokumentiert, die Fruchtwassermenge kontrolliert. Die Versorgung des Ungeborenen wird mittels DopplerBlutflussmessungen dargestellt. Schließlich werden die Organe des Kindes
nochmals untersucht, um sich erst später manifestierende Fehlbildungen oder zu
einem früheren Zeitpunkt nicht erkennbare Veränderungen auszuschließen.
Dazu gehören beispielsweise Herzfehler, Wassereinlagerungen beim Kind infolge einer Herzschwäche oder einer bestehenden Infektion. Aber auch Nierenfehlbildungen wie Stauungen des Nierenbeckens können durchaus erst zu diesem
Zeitpunkt manifest werden.
Dies ist insbesondere für die Zeit nach der Geburt wichtig, damit der Kinderarzt
die Ursache der Stauungsnieren untersuchen und rechtzeitig behandeln kann.
Zukünftige Entwicklungen werden zu einer weiteren Verbesserung der Erkennbarkeit von Risikosituationen von Mutter und Kind führen, zu einer früheren
und rascheren Diagnostik – mit einem geringeren Risiko für Mutter und Kind. Die
frühzeitige Erkennung und Behandlung von Erkrankungen des Ungeborenen wird
sicherlich ausgebaut werden.
Dabei müssen aber auch eine noch konsequentere Qualitätssicherung und Ausbau des fachübergreifenden Beratungsangebotes gehören.
Zwischen guter Hoffnung und medizinischem Risiko und damit der möglicherweise äußerst belastende Sturz in ungewisse Ängste, Selbstzweifel und
-vorwürfe liegt in der Natur der pränatalen Diagnostik.
Durch die immer mehr verfeinerte Ultraschalldiagnostik ist das Ungeborene aus
seiner Anonymität herausgetreten, ist visuell und akustisch erlebbar und emotional erfahrbar geworden
Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass der Prozentsatz an angeborenen
Fehlbildungen bei ca. 5 % liegt, davon – je nach Definition – 1 - 2 % schwere
Fehlbildungen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Schwangere in ihrer guten Hoffnung bestätigt
wird, liegt also bei über 95%.
Auf der anderen Seite führt die Konfrontation mit neuen, belastenden Fakten, die
Realität, Mutter eines kranken Kindes zu sein und die zerstörte Hoffnung, Mutter
eines gesunden Kindes zu sein, meist initial in ein emotionales Chaos, zum Auftreten von Schuldgefühlen, „etwas falsch gemacht zu haben“, der Versorgung
eines behinderten Kindes nicht gewachsen zu sein, zu Angst vor Leid und Behinderung. Dazu kommen Ängste, vom Partner abgelehnt oder gar verlassen zu
werden.
Auch die einzigartige Situation, dass hier zwei Patienten Berücksichtigung finden
müssen, kann zu zusätzlichen Problemen führen: Die Schwangere und das Ungeborene, die durchaus unterschiedliche Interessen haben können. Beispielsweise schädigen Nikotin, Alkohol und andere Drogen das Ungeborene nicht nur
kurzfristig, sondern auch mittel- und langfristig.
Letztendlich lassen sich aber viele Schwangere, die von diesen Drogen abhängig
sind, auch durch intensive Aufklärung von einer weiteren Einnahme abbringen.
Umgekehrt kann die Situation entstehen, dass es durch die Schwangerschaft
selbst zu einer lebensbedrohlichen Situation der Mutter kommen kann.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Manche Eltern verstehen auch nicht die Komplexität und Unsicherheiten mancher vorgeburtlich erkannter Erkrankungen, in manchen Situationen kann auch
der betreuende Arzt noch keine sichere Prognose abgeben, dies ist oft auch unmittelbar nach der Geburt noch gar nicht möglich. Viele Eltern neigen auch dazu,
nach der Mitteilung einer Fehlbildung des Kindes vorschnelle Entscheidungen,
meist gegen das Kind, zu treffen. Hier hilft nur die behutsame, rationale, professionelle und zeitintensive Information und das Angebot, zur Diagnosebestätigung
eine zweite Meinung einzuholen. Oft helfen auch Kontakte zu Spezialisten weiterer Disziplinen (Kinderneurologe, Kinderkardiologe, Kieferorthopäde usw.).
Oftmals verkehrt sich auch die gutgemeinte Durchführung eines risikoeingrenzenden Tests ins Gegenteil, weil das Testergebnis falsch interpretiert wird. Deshalb empfiehlt es sich, vor der Durchführung eines solchen Tests Möglichkeiten
und Grenzen aufzuzeigen. Ebenso sollte die Schwangere in ihrer Entscheidung
gegen solche Tests respektiert werden. Dies ist auch der Sinn der „nichtdirektiven" Beratung und des „informed consent“.
Inwieweit ein auffälliger Befund eine Schwangere zu weitergehenden Entscheidungen bewegt, bleibt in jedem Fall ihre individuelle und subjektive Entscheidung. Dies ist auch im Sinne der Autonomie der Patientin.
Eine normative Bewertung in Form medizinischer, ethischer oder gesellschaftlicher Zwänge existiert nicht.
Dem Pränataldiagnostiker fällt nun die Aufgabe zu, die Zeit und Empathie aufzubringen, um das verängstigte Paar zu begleiten. Zunächst ist es gar nicht in der
Lage, die unerwartete schlechte Nachricht zu verarbeiten. Es hat sich bewährt,
den verunsicherten Eltern Zeit zu geben, um dann in ein erneutes Gespräch einzutreten – man wundert sich oft, wie viele Missverständnisse man ausräumen
kann. Dann kann auch das weitere Vorgehen geplant werden. Neben der schon
erwähnten Vorstellung bei ärztlichen Spezialisten mit der Diagnosebestätigung
und der Prognoseeinschätzung gehören dazu das Angebot, professionelle weitere Beratungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen: psychosoziale Beratung,
Hebammenbegleitung, psychologische Betreuung, Kontaktaufnahme mit Eltern
von Kindern mit einer vergleichbaren Erkrankung, seelsorgerische Begleitung
und nicht zuletzt die weitere ärztliche Betreuung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Dazu gehören beispielsweise die Festlegung über die Frequenz der medizinischen Kontrollen, die Wahl der Entbindungsklinik, die Art der
Entbindung und die Festlegung des Entbindungszeitpunktes.
Natürlich spielen auch juristische Gesichtspunkte im Rahmen der Pränataldiagnostik eine Rolle. Die Aufklärungspflicht vor geplanten pränataldiagnostischen
Maßnahmen, insbesondere vor invasiven Eingriffen, ist mit der Entwicklung neuer Verfahren ständigen Änderungen unterworfen. Des Öfteren wird auch der Dokumentationspflicht nicht vollständig entsprochen, was im Einzelfall zu schwierigen Situationen führen kann.
Was versteht man unter einer Risikoschwangerschaft?
Es gibt mütterliche und kindliche Risiken.
Mütterliche Risiken sind beispielsweise Vorerkrankungen wie Bluthochdruck,
Diabetes, und viele weitere behandlungs- bzw. kontrollbedürftige Erkrankungen,
besonders auch dann, wenn sie mit der Einnahme von Medikamenten verbunden
sind. Auch die zunehmende Zahl von älteren Schwangeren und von Mehrlingsschwangerschaften zählen dazu. Belastungen aus der medizinischen Vorgeschichte wie Komplikationen in den vorausgegangenen Schwangerschaften,
vermehrte familiäre Fehlbildungen oder Erbkrankheiten zählen ebenso dazu.
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Kindliche Risiken sind beispielsweise mütterliche Infektionen, festgestellte oder
vermutete Fehlbildungen, untergewichtige oder überschwere Kinder, Vermehrung oder Verminderung der Fruchtwassermenge und vieles mehr. Nur die rechtzeitige Erkennung von Risiken kann zu einer optimalen Betreuung von Mutter
und Kind führen. Dabei hat die Feststellung eines Risikos nichts mit Angstmache
zu tun, sondern sie soll dazu führen, die Akzeptanz der Schwangeren durch eine
umfassende und behutsame Aufklärung zu erreichen. Dabei sollten aber übertriebene bzw. allzu häufige Kontrollen unterbleiben. Auch hier ist wiederum die
individuelle, mit der Patientin besprochene Planung entscheidend.
Wo liegen die Schnittstellen mit anderen Professionen?
Ärzte-Ärzte:
•
Pränatalmediziner
allgemeine Geburtshilfe und Gynäkologie, klinische Geburtshilfe und Gynäkologie, gemeinsame Betreuung von Risikoschwangerschaften, mit Festlegung
der Kontrollen, des Zeitpunktes der Klinikeinweisung der Vorab-information
der Kliniker,
Erstellen eines Behandlungsplanes bei mütterlichen Erkrankungen, ggf. mit
Internisten, Diabetologen, Kardiologen, Rheumatologen oder anderen.
•
Pädiater: Vorab-Information über kindliche Fehlbildungen oder Unterversorgungen ggf. Hinzuziehung zur Geburt oder pränatal zur Prognosebeurteilung.
•
Humangenetiker: Vorstellung der Patientin bei familiären Erkrankungen, bei
auffälligen Ergebnissen der invasiven Diagnostik, bei Einnahme von Medikamenten in der Schwangerschaft, bei vorausgegangenen chromosomalen oder
genetischen Erkrankungen.
•
Hebammen: Info der mitbetreuenden Hebamme bei Risiken für Mutter und
Kind, Aufbau eines gemeinsamen Behandlungsplanes, unter Einbeziehung
von ambulanten und Klinikhebammen.
Bei Nicht-Risikoschwangerschaften Absicherung vor geplanter Hausgeburt
bzw. Geburtshaus, beispielsweise bei Verdacht auf Übertragung, oder Minderversorgung des Kindes. Information über Fehleinstellung des Ungeborenen und Möglichkeiten, über die Hebamme zu entsprechenden Behandlungsvorschlägen mit Darstellung der Alternativen zu kommen. Rückmeldung wichtig (in beide Richtungen).
•
Psychosoziale Beratung: Bei erkennbaren psychosozialen Belastungen der
Schwangeren beim ersten Arztkontakt wie offensichtliche Partnerschaftskonflikte, soziale Belastungen, Ambivalente Einstellung zur Schwangerschaft,
Schwangerschaftskonflikten, nach Mitteilung einer Fehlbildung des Kindes als
zusätzliches Beratungsangebot. Die Schwangere soll darüber informiert werden, dass sie über das ärztliche Gespräch hinaus einen Anspruch auf kostenlose psychosoziale Beratung hat.
•
Seelsorger: Information über die medizinischen Gesichtspunkte
Grundsätzlich sollte für alle angestrebten Kooperationen ein Vertrauensverhältnis
aufgebaut werden, das neben dem persönlichen Kennenlernen die Möglichkeit
eröffnet, sich nicht nur in die räumlichen und persönlichen Gegebenheiten des
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Partners hineinversetzen zu können, sondern vor allem in ihre Denk- und Arbeitsweise. Eine solche Basis an Vertrauen ermöglicht erst einen effizienten Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten, und dass, falls gewünscht, die
Patientin in diese Gespräche mit einbezogen werden kann.
Dabei sollten alle Beteiligten ihre Werthaltungen in einer bewussten und kontinuierlichen Reflexion klären – auch und gerade in gemeinsamen Fallbesprechungen.
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Alexandra Jorzig
Beratung vor, während und nach Pränataldiagnostik
„Medizinische Aufklärungs- und Beratungspflicht aus haftungsrechtlicher Sicht“
I.
Vorbemerkung
Gerade in den letzten Jahren nimmt die Verrechtlichung der Medizin zu. Auch
der Bereich der Pränataldiagnostik bleibt hiervon nicht verschont. Hinzu kommt
eine Veränderung des Verständnisses von Schwangerschaften und des
Menschwerdens in der Gesellschaft. Die Menschwerdung wird nicht mehr ohne
Weiteres als Naturereignis hingenommen, sondern es wird immer mehr die Beherrschbarkeit der Situation und somit auch der Menschwerdung verlangt. Behindertes Leben wird nicht mehr als naturgegeben hingenommen, sondern von
der Ärzteschaft wird gefordert, dass jegliche Art von Behinderung erkannt und
somit ausgeschaltet wird. Dies führt auf Seiten der medizinischen Behandlung zu
gesteigerten Pflichten, insbesondere zu Aufklärungs- und Beratungspflichten, um
ein Haftungsrisiko weitgehendst zu minimieren.
II.
Allgemeines zu Aufklärungs- und Beratungspflichten
1.
Allgemeines
Jede ärztliche, die Integrität des Menschen berührende Maßnahme stellt seit der
Rechtsprechung des Reichsgerichtes tatbestandlich eine Körperverletzung dar1.
Dies gilt unabhängig davon, wie die Behandlung als solche durchgeführt worden
ist2. Auch die lege artis, d. h. fachgerecht, durchgeführte und auch gebotene ärztliche Heilbehandlung erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung im Sinne der
§§ 823 Abs. 1 BGB, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 StGB. Ohne Einwilligung ist die Haftung des Arztes dem Grunde nach begründet3. In Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 2
Abs. 2 Satz 1 GG ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten normiert. In
diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Auch gemäß in § 8 der (Muster-)Berufsordnung der Ärzte ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten. Zur Behandlung bedarf der Arzt somit der
Einwilligung des Patienten. Der Einwilligung hat grundsätzlich eine Aufklärung im
persönlichen Gespräch vorauszugehen.
Zudem ist die ärztliche Aufklärungspflicht auch eine Nebenpflicht des Behandlungsvertrages zwischen Arzt und Patient.
Aus diesen Rechtsvorschriften ist abzuleiten, dass eine Aufklärung des Patienten
vor der Behandlung unentbehrlich ist, um nicht gegen gesetzliche Vorschriften zu
verstoßen und insbesondere keine Körperverletzung im Sinne des Strafgesetzbuches zu begehen.
1
2
3
RGSt 25, 375
BGH NJW 1998, 2946
BGH VersR 2001, 592
17
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
________________________________________________________________
2.
Arten der Aufklärung
Zu differenzieren ist bei der Aufklärung zwischen diversen Arten von Aufklärungen.
a.
Verlaufsaufklärung
Die Verlaufsaufklärung wird manchmal auch als Eingriffsaufklärung bezeichnet.
Dies bedeutet, dass der Arzt dem Patienten Art, Umfang und Durchführung eines
geplanten Eingriffes detailliert darzulegen hat. Er hat den Patienten auch über
verschiedene Diagnose- und Behandlungsverfahren zu informieren. Im Rahmen
der Verlaufsaufklärung gilt insofern eine volle Aufklärungspflicht. Nur wenn der
Patient umfassend aufgeklärt wurde, bleibt sein Selbstbestimmungsrecht gewahrt, denn wer nicht weiß, worauf er sich einlässt, wer die Risiken nicht kennt,
kann nicht rechtswirksam in eine ärztliche Heilmaßnahme einwilligen. Es ist ausreichend, dass der Patient „im Großen und Ganzen“ eine Vorstellung dessen
bekannt, was auf ihn zukommt. Alles, was für seine körperliche Integrität und
Lebensführung von Bedeutung werden kann, gehört zur Verlaufsaufklärung4.
b.
Risikoaufklärung
Im Rahmen der Risikoaufklärung ist der Patient über alle typischen und nicht
völlig abseits liegenden Risiken zu informieren. Der Patient soll dadurch die Möglichkeit bekommen, sich eigenmächtig zu entscheiden, ob ein schwerwiegender
Eingriff von ihm akzeptiert wird oder nicht.
c.
Krankheits- und Befindlichkeitsaufklärung
Der Patient ist über den Krankheitszustand, die Diagnose und Prognose zu informieren.
In diesem Bereich gilt kein therapeutisches Privileg. Unter therapeutischem Privileg versteht man die Befugnis des Arztes, dem Patienten zu dessen eigener
Schonung schwerwiegende Mitteilungen über den Gesundheitszustand zu verschweigen, um den Heilungsverlauf oder den Heilungswillen nicht zu schwächen
oder gar zu untergraben. Das ist dann der Fall, wenn die Eröffnung einer Erkrankung zu einer ernsten und nicht behebbaren Gesundheitsschädigung führt oder
eine übermäßige psychische Beeinträchtigung zu erwarten ist.
d.
Therapeutische Aufklärung
Unter der therapeutischen Aufklärung versteht man Hinweise für Verhaltensmaßregeln, um den Erfolg einer Therapie zu sichern. Hierzu gehört z. B. der Hinweis
zur richtigen Einnahme von Medikamenten.
e.
Aufklärung über wirtschaftliche und versicherungsrechtliche Begleitumstände einer Behandlung
Der Arzt ist auch dazu verpflichtet, über wirtschaftliche und versicherungsrechtliche Begleitumstände einer Behandlung aufzuklären. Das ist insbesondere dann
der Fall, wenn Behandlungsmaßnahmen keine Kassenleistungen darstellen und
somit auf den Patienten Privatkosten zukommen.
4
BGH MDR 2000, 701
18
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Für die tägliche Praxis sind jedoch die Verlaufs- und Risikoaufklärung die entscheidenden und bedeutsamen Aufklärungsarten.
3.
Umfang der Aufklärung
Der Umfang der Aufklärung richtet sich nach der Dringlichkeit des Eingriffes. Als
Grundsatz gilt:
Je dringlicher der Eingriff, je weniger Alternativen, desto geringer die Aufklärungspflicht.
Je weniger dringlich, je größer die Alternativen,
desto intensiver die Aufklärungspflicht.
Die Aufklärung hat sich auch stets am verständigen Patienten zu orientieren.
Dies bedeutet, dass sich der Arzt auf den Patienten einstellen muss. Er muss
darauf achten, ob der Patient schlicht strukturiert, intelligent oder sogar ein voraufgeklärter Patient ist.
4.
Person des Aufklärenden
Grundsätzlich hat der Arzt das Aufklärungsgespräch zu führen und kann eine
Delegation an nicht ärztliche Mitarbeiter nicht vornehmen. Es ist allerdings nicht
zwingend erforderlich, dass der Arzt, der später die Maßnahme durchführt, persönlich aufklärt. Es kann auch ein unbeteiligter, anderer Arzt aufklären.
5.
Zeitpunkt der Aufklärung
Die Aufklärung muss zum richtigen Zeitpunkt stattfinden. Der Patient muss also
Gelegenheit haben, ohne Zeitdruck, sofern die Dringlichkeit der Maßnahme dies
zulässt, das Für und Wider abwägen zu können5.
Bei Patienten, die sich zunächst zu einer ambulanten Untersuchung vorstellen,
sollte die Aufklärung über mögliche Risiken bereits mit Vereinbarung des genauen Aufnahme- und Operationstermins erfolgen.
Denn, so der BGH, durch eine Aufklärung erst bei stationärer Aufnahme bestehe
die Gefahr, dass der erst dann aufgeklärte Patient schon psychische Barrieren
aufgebaut hatte, die es ihm zwar theoretisch nicht aber de facto möglich machten, noch am Vortage vor dem Eingriff selbst Abstand zu nehmen. Wenn feststeht, dass der Eingriff in jedem Fall durchgeführt werden soll, dann sollte auch
gleichzeitig die Aufklärung erfolgen6.
Einer Aufklärung am Vorabend einer Operation steht die Rechtsprechung grundsätzlich sehr zurückhaltend gegenüber. Regelmäßig wird der Patient bei einer so
späten Aufklärung, gerade über für ihn gravierende Risiken, mit einer Entscheidung überfordert sein. Eine so späte Aufklärung wird man grundsätzlich nur bei
vitaler Indikation, d. h. bei unbedingter Dringlichkeit der Operationsdurchführung,
ausreichen lassen können7.
Etwas anderes gilt bei ambulanten Operationen. Hier ist eine Aufklärung am Operationstag ausreichend. Mit dieser Ausnahme soll den Besonderheiten der
ambulanten Operationen Rechnung getragen werden.
Selbstverständlich ist es nicht ausreichend, dass das Aufklärungsgespräch des
Patienten erst im sedierten Zustand durchgeführt wird.
6.
Nachweis der Aufklärung
5
6
7
Geiß/Greiner, S. 205 ff.
Steffen/Dressler, S. 197; Marties/Winkhart, S. 54 ff.
BGH MDR 1992, 748; MDR 1998, 716; OLG Saarbrücken OLG-Report 2000, 401 f.
19
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Die Aufklärung kann nur durch ein Aufklärungsgespräch erfolgen. Das persönliche Gespräch kann nicht durch Formulare ersetzt werden! Da die Beweislast in
einem möglichen Arzthaftungsprozess für das erfolgte Aufklärungsgespräch beim
Arzt liegt, ist es besonders wichtig, auch dieses erfolgte Aufklärungsgespräch
nachzuweisen. Hierzu ist zunächst die Dokumentation des Aufklärungsgespräches besonders hervorzuheben. Zur Vereinfachung des Nachweises sollten Aufklärungsformulare benutzt werden, die dann im Detail mit dem Patienten erörtert
werden.
Erfolgen Beratungshinweise, so sollten auch diese in den Krankenunterlagen
ausdrücklich vermerkt werden. Weigert sich ein Patient trotz Hinweises bzw.
konkreter Aufklärung Maßnahmen vornehmen zu lassen, so sollte dieses vermerkt werden und um sich noch weiter abzusichern, auch vom Patienten gegengezeichnet werden. Gerade im Rahmen der Pränataldiagnostik kommt es nicht
selten vor, dass Patientinnen sich trotz Hinweises des Untersuchers dazu entscheiden, keine weitergehenden Maßnahmen an sich vornehmen zu lassen. Gerade diese Ablehnung der Patientin sollte dringend dokumentiert und am besten
gegengezeichnet werden, da nicht selten später nach Geburt des Kindes die
Mutter ausführen wird, dass gerade dieser Hinweis niemals erteilt worden sei und
sie bei Erteilung eines solchen Hinweises selbstverständlich weitergehende Untersuchungen an sich hätte vornehmen lassen.
Selbstverständlich kommen zum Nachweis der Aufklärung auch Zeugen in Betracht. Der Behandler kann auch als Partei in einem Arzthaftungsprozess vernommen werden, allerdings nur, wenn sich aus den Krankenunterlagen zumindest ein Anhalt für ein durchgeführtes Aufklärungsgespräch ergibt. Ferner kommt
noch der sog. „Immer-so“-Beweis zur Anwendung, d. h. also, dass in einem sich
anschließenden Arzthaftungsprozess eingewandt werden kann, dass der Behandler stets in entsprechender Weise vorgeht.
7.
Probleme der Aufklärung
Nicht selten kommt es im Rahmen des Aufklärungsgespräches zu Problemen.
Insbesondere bei der Beratung von ausländischen Patienten sind nicht selten
Sprachbarrieren zu überwinden, die später für den Nachweis der Aufklärung zu
Problemen führen. In diesen Fällen muss ggf. ein Dolmetscher beigezogen werden.
8.
Folgen unzureichender Aufklärung
Wird der Patient unzureichend aufgeklärt, führt dies dazu, dass keine wirksame
Einwilligung vorliegt und somit der Tatbestand der Körperverletzung erfüllt ist.
III.
Dokumentationspflichten
Wie bereits oben ausgeführt, ist die Dokumentation zum Nachweis der Beratung
bzw. der Aufklärung besonders von Bedeutung
1.
Rechtsgrundlagen
Der Arzt ist zu einer Dokumentation verpflichtet.
Aufgrund diverserer Rechtsgrundlagen ist der Arzt zur Dokumentation verpflichtet.
20
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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a.
b.
c.
d.
e.
Nebenpflicht aus Behandlungsvertrag
§§ der Musterberufsordnung-Ärzte
KHG (Landesrecht)
Kassenarztrecht
diverse Sondervorschriften (z. B. RöVo)
2.
Grundregel
Je komplizierter, je schwieriger, je atypischer ein
Fall verläuft, desto mehr und desto genauer ist
zu dokumentieren.
Es ist unbedingt zweckmäßig die Weigerung des Patienten, sinnvolle oder gar
erforderliche Maßnahme an sich vornehmen zu lassen, genau darzulegen und zu
dokumentieren. Hierbei sollte auch notiert werden, wie intensiv und durch wen
der Patient auf die Notwendigkeit dieser Maßnahme hingewiesen worden ist und
dass dieser solche Maßnahmen gleichwohl verweigert hat. Zur weiteren Absicherung sollte der Patient dies gegenzeichnen, ggf. im Beisein von Zeugen.
3.
Art und Weise der Dokumentation
Die Dokumentation erfolgt regelmäßig durch Anlegen einer Patientenkarteikarte
oder Patientenakte. Es ist nicht ausreichend, dass lediglich die Leistungen in den
Abrechnungsunterlagen des Arztes vermerkt werden, da diese Unterlagen am
Quartalsende bei der KV eingereicht werden und somit nicht mehr zugänglich
sind. Zur Dokumentation gehören auch technische Aufzeichnungen wie z. B.
Aufzeichnungen eines Wehenschreibers (CTG), Ausdrucke von Laborgeräten
etc.
Aus § 10 Abs. 5 der Musterberufsordnung-Ärzte kann der Schluss gezogen werden, dass Aufzeichnungen auf elektronischen Datenträgern (Computer) oder
anderen Speichermedien zulässig sind, wenn besondere Sicherungs- und
Schutzmaßnahmen ergriffen wurden, um Veränderungen, Vernichtungen oder
unrechtmäßige Verwendungen zu verhindern.
Allerdings kommen EDV-Dokumentationen nicht immer der Beweiswert zu wie
den klassischen handschriftlichen Dokumentationen.
4.
Zeitpunkt der Dokumentation
Um einen Beweiswert zu haben, muss die Dokumentation möglichst nahe am
Geschehen liegen und Nachtragungen sind grundsätzlich zulässig. Um allerdings
den Beweiswert der Dokumentation nicht zu beschädigen, ist es unbedingt erforderlich, das Datum und den Grund der Nachtragung niederzulegen.
5.
Person des Dokumentierenden
Auch hier gilt das zur Aufklärung Gesagte, nämlich grundsätzlich ist der Arzt zur
Dokumentation verpflichtet. Jedoch gilt hier eine Ausnahme dahingehend, dass
auch Dritte wie Arzthelferinnen oder Pflegepersonal Dokumentationen erbringen
können. Handeln mehrere Ärzte wie z. B. Anästhesist und Gynäkologe nebeneinander, so dokumentiert jeder für seinen Bereich.
21
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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6.
Folgen einer unzureichenden Dokumentation
Eine unzureichende Dokumentation kann erhebliche Folgen nach sich ziehen.
Hierzu sind z. B. berufs- und zulassungsrechtliche Konsequenzen zu nennen,
aber auch beweisrechtliche Folgen in einem Arzthaftungsprozess. Die mangelhafte Dokumentation stellt zwar keine eigene Anspruchsgrundlage dar, jedoch
kann sie zu Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr für den Patienten führen. Fehlen Aufzeichnungen über eine Behandlungsmaßnahme in den
Krankenunterlagen, so ist von der Richtigkeit der Patientenbehauptung, die
Maßnahme sei nicht erfolgt, auszugehen. Dies führt zu Schwierigkeiten in einem
Arzthaftungsprozess und der Arzt wird sich in der Regel nur über einen Zeugenbeweis oder den sog. „Immer-so“-Beweis retten können.
IV.
Bedeutung für die Pränataldiagnostik
Im Rahmen der Schwangerschaftsüberwachung schuldet der Arzt zunächst die
Routineuntersuchungen im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien, sofern die
Schwangere die Untersuchung nicht ausdrücklich ablehnt. Zu den Einstandspflichten des Arztes gehört auch eine Beratung über die Möglichkeiten einer erweiterten Pränataldiagnostik, die die individuelle Situation der Schwangeren (Alter, anamnestische Risiken, vorhergehende Schwangerschaften etc.) berücksichtigt. Die selbst durchgeführten Screening-Untersuchungen und Beratungen sind
sorgfältig zu dokumentieren.
Für Fehlbildungen, die nicht im Rahmen der Screening-Untersuchungen erkannt
werden können, haftet der Arzt nicht. Er haftet jedoch, wenn sich aus diesen
Screening-Untersuchungen Auffälligkeiten herleiten lassen, die schuldhaft nicht
zu Konsequenzen im Sinne einer weiterführenden Abklärung führen. Wenn im
Rahmen der Schwangerschaftsbetreuung eine erweiterte Fehlbildungsdiagnostik
durch den selben Arzt erbracht wird, der auch die Routineuntersuchungen durchführt, gelten an diese Untersuchungen besonders hohe Anforderungen. Hier
schuldet der Arzt der Schwangeren weiterführende Diagnostik bzw. eine entsprechende Überweisung.
Jeder Arzt, der eine erweiterte Fehlbildungsdiagnostik mit Ultraschall, invasiver
Diagnostik oder serologischer Untersuchungen durchführt, muss sich an dem
jeweils gültigen Standard orientieren, die für diese Untersuchungen konsentiert
sind. Er ist gut beraten, für sich kritisch zu prüfen, ob er selbst in der Lage ist,
gegebenen Qualitätsanforderungen gerecht zu werden oder ob eine Überweisung zur weiterführenden Diagnostik ihn von Haftungsrisiken freistellt. Insgesamt
werden hohe Anforderungen an Untersucher und Dokumentation im Schadensfall gestellt.
Der schwangerschaftsbetreuende Arzt schuldet der Schwangeren zunächst eine
Überwachung nach den Mutterschaftsrichtlinien. Dazu gehört auch eine Beratung
der Eltern über die erkennbare Gefahr einer Schädigung der Leibesfrucht. Die
Verletzung der Pflichten aus diesem ärztlichen Behandlungsvertrag, der sich
nach Überzeugung des BGH auch auf die pränatale Untersuchung in der
Schwangerschaftsbetreuung zwecks Vermeidung der Geburt eines schwer vorgeschädigten Kindes erstreckt, kann Grundlage für den Anspruch gegen den Arzt
auf Erstattung des Unterhaltsbedarfs des Kindes sein, das mit schweren Behinderungen zur Welt kommt. Jeder Arzt muss im Rahmen der Schwangerschaftsüberwachung die nach den Mutterschaftsrichtlinien vorgesehenen Untersuchungen anbieten. Die Schwangere kann die entsprechenden Untersuchungen ab22
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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lehnen, denn sie hat auch ein Recht auf Nichtwissen, um sich Gewissenskonflikte zu ersparen, in die sie gelangen könnte, wenn sich ein pathologischer Befund
ergibt. Erbringt der Arzt aber die entsprechenden Leistungen, muss er sie vollständig durchführen und entsprechend dokumentieren. Aufgrund einer Entscheidung des BGH aus dem Jahre 20028 ist es erforderlich, dass im Rahmen der
Routineuntersuchungen alle Messwerte sorgfältig erhoben werden müssen und
bei Abweichungen von der Norm die Überweisung zur weiterführenden Diagnostik erforderlich wird. Zwar weist der BGH auch in dieser Entscheidung auf seine
durchgängige Rechtsprechung hin, dass grundsätzlich Zurückhaltung bei der
Bewertung von Diagnoseirrtümern als ärztliche Pflichtverletzung geübt werden
müsse, jedoch sah er in der fehlenden Konsequenz aus erhobenen Messwerten,
die als hochgradig auffällig bewertet werden mussten, einen eindeutigen Behandlungsfehler. Es handelt sich nicht etwa um die Frage einer möglicherweise
auch durch einen erfahrenen Pränataldiagnostiker schwer zu diagnostizierenden
Fehlbildung,
sondern
um
unzureichend
durchgeführte
ScreeningUntersuchungen und fehlende Befunddokumentationen. Insofern ist eine ausführliche Dokumentation unerlässlich und bei Auffälligkeiten stets eine Weiterüberweisung durchzuführen. Hier ist dann auch der Arzt in seinen Aufklärungsund Beratungspflichten gefragt. Er hat die Patientin ausführlichst darauf hinzuweisen, welche Auffälligkeiten sich ergeben haben und welche Konsequenzen
sich daraus ergeben könnten, um die Patientin zu einer mündigen Patientin zu
machen, damit diese sich eigenmächtig entscheiden kann, ob sie weitergehende
Diagnostik betreiben lassen möchte. Gerade dieses Beratungsgespräch sollte
ausführlichst erfolgen und dementsprechend ausführlich auch dokumentiert werden, um einer Haftung zu entgehen.
Im Einzelnen soll die Schwangere vor Durchführung weiterführender pränataler
Diagnostik ausführlich aufgeklärt und beraten werden über
− Art und Anlass für die Untersuchung
Im Falle eines spezifisch erhöhten, chromosomalen oder genetischen kindlichen Risikos soll die Beratung interdisziplinär unter Beteiligung von Humangenetikern und / oder Pädiatern erfolgen.
− Ziel der Untersuchung
− Risiko der Untersuchung
− Grenzen der pränataldiagnostischen Möglichkeiten und pränatal
nicht erfassbare Störungen
− Sicherheit des Untersuchungsergebnisses
− Art und Schweregrad möglicher und vermutlicher Störungen
− Möglichkeiten des Vorgehens bei einem pathologischen Befund
− Alternativen zur Inanspruchnahme weiterführender pränataler
Diagnostik
Aufgrund des Selbstbestimmungsrechtes ist der ausdrückliche Wunsch und die
Einwilligung der Schwangeren nach Aufklärung und Beratung Voraussetzung für
jede Maßnahme gezielter pränataler Diagnostik. Eine Dokumentation ist unumgänglich.
Auch nach der pränatalen Diagnostik einer Erkrankung muss die Schwangere
ausführlichst beraten und aufgeklärt werden. Hierzu gehören:
8
BGH Urt. v. 18.6.2002, Az: VI ZR 136/01
23
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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−
−
−
−
−
VII.
Erläuterung des Befundes
Art und Ursache der Erkrankung
Darstellung des zu erwartenden Krankheitsbildes
Darlegung möglicher Folgen für das Leben der Schwangeren und
ihrer Familie
ggf. Abbruch der Schwangerschaft, wenn die Voraussetzungen
des § 218 a Abs. 2 StGB gegeben sind.
Fazit
Konklusio hieraus ist, dass gerade in der Pränataldiagnostik ein besonderer
Schwerpunkt im Rahmen der Beratungs- und Aufklärungspflichten liegt. Verstößt
der Arzt gegen diese Pflichten, so droht ihm die Haftung für den gesamten Unterhaltsschaden des sodann behinderten Kindes. Insofern sollte gerade in der
Pränataldiagnostik besonderes Augenmerk auf die Beratungs- und Aufklärungspflichten gelegt werden. Zum Nachweis der Einhaltung dieser Pflichten ist eine
Dokumentation der Aufklärung unumgänglich, um das Haftungsrisiko möglichst
gänzlich zu minimieren.
24
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Gerhard Höver
Vor welche ethischen Fragen und Herausforderungen stellt uns
„Pränataldiagnostik und Beratung“?
Wenn im Titel des Vortrags von „Pränataldiagnostik und Beratung“ quasi in einem Wort die Rede ist, so trägt dies einer Entwicklung Rechnung, in der mittlerweile eine Vielfalt nicht-invasiver Diagnosemethoden bereit steht, deren Verfügbarkeit eine aufwendige, zeitintensive Beratung im Grunde bei jeder Schwangerschaft von Anfang an erforderlich macht. Zu Recht betonen daher G. Crombach
und B. Tutschek in einem Fachartikel über „Veränderte Anforderungen an die
Beratung zur pränatalen Diagnostik von fetalen Chromosomenanomalien“9, dass
eine Beratung der Schwangeren über das diagnostische Potenzial des Ultraschalls einschließlich der daraus eventuell resultierenden Konsequenzen zu Beginn der Gravidität bzw. vor der ersten Sonographie erfolgen müsste. Paradoxerweise aber erscheint den Autoren ein solches Vorgehen als unrealistisch angesichts des Wunsches der werdenden Eltern nach einer adäquaten Überwachung der Schwangerschaft und der fetalen Entwicklung sowie der an den Frauenarzt gerichteten rechtsmedizinischen Ansprüche10.
Das beschriebene Paradox wird von der Annahme her verständlich, dass Beratung zu Beginn der Schwangerschaft und vor dem Einsatz der Sonographie einen Raum voraussetzt, in dem die Schwangere noch frei ist, sich dafür oder eben dagegen, für oder gegen den Einsatz dieser Diagnoseverfahren zu entscheiden. Und genau dies erscheint Crombach und Tutschek als nicht real möglich,
wenn sie sagen: „Hier liegt ein kaum auflösbarer Widerspruch zum Recht der
Schwangeren auf Nichtwissen vor.“11
Die Autoren stehen in ihrer Einschätzung sogar in einem gewissen Konsens mit
dem Gemeinsamen Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der
Evangelischen Kirche in Deutschland „Wieviel Wissen tut uns gut? Chancen und
Risiken der voraussagenden Medizin“, wo zunächst klar gesagt wird: „Der Verzicht auf die Inanspruchnahme der pränatalen Diagnostik ist ein ethisch vertretbarer Weg. Er ist Herausforderung für alle, die die Möglichkeiten der modernen
medizinischen Diagnostik nutzen, nur weil sie angeboten werden.“12 Das Gemeinsame Wort äußert aber zugleich die nüchterne Erwartung, „dass ein verstärktes Angebot der pränatalen Diagnostik bei Schwangeren zu einem Sog zur
Anwendung führt und dass der gesellschaftliche Druck zur Inanspruchnahme
dieser Untersuchungsmöglichkeit zunimmt.“ Demgegenüber müsse „die individuelle Entscheidungsautonomie der Schwangeren Vorrang haben. Frauen bzw.
Eltern, die auf pränatale Diagnostik verzichten, sind nicht zu diskriminieren.“13
9
C. Crombach/ B. Tutschek, Veränderte Anforderungen an die Beratung zur pränatalen
Diagnostik von fetalen Chromosomenanomaliken, in: Der Gynäkologe 37, 3 (2004) 257274.
10
Vgl. u. a. Y. v. Harder, Haftungsrechtliche Aspekte pränataler Ultraschalldiagnostik, in:
Der Gynäkologe 36, 4 (2003) 366-370; G. H. Schlund, Forensische Aspekte in der
Schwangerschaft, in: Zentralblatt für Gynäkologie 126 (2004) 132-137; Y. v. Harder,
„Kind als Schaden“. Haftungsrechtliche Aspekte pränataler Ultraschalldiagnostik, in: Der
Gynäkologe 38, 1 (2005) 60-64.
11
C. Crombach/ B. Tutschek, Veränderte Anforderungen, a. a. O. 268.
12
Wieviel Wissen tut uns gut? Chancen und Risiken der voraussagenden Medizin. Gemeinsames Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen
Kirche in Deutschland zur Woche für das Leben 1997: „Jedes Kind ist liebenswert. Leben
annehmen statt auswählen.“ (Gemeinsame Texte 11), 14.
13
Ebd.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Die Entwicklung der nicht-invasiven Untersuchungsmethoden scheint aber bereits die Ausgangsbasis verändert zu haben, auf der bislang das Recht auf
Nichtwissen erhoben und verteidigt wurde. Denn einerseits besitzt eine Pränataldiagnostik, die im Rahmen der allgemeinen Schwangerenvorsorge Störungen im
Schwangerschaftsverlauf rechtzeitig erkennen und beim Kind so früh wie möglich
Unregelmäßigkeiten der Fruchtlage und der intrauterinen Entwicklung sowie fetale Erkrankungen erfassen will, um Morbidität und Mortalität der Kinder während
der Schwangerschaft und in der Perinatalphase zu verringern, eine unaufgebbare und dominante Zielsetzung, andererseits aber scheint sie untrennbar mit einer
anderen Zielsetzung verknüpft zu sein, die für eine schwangere Frau ein individuelles Risiko zu bestimmen sucht, ein Kind mit einer Behinderung zu bekommen.
Der Fachliteratur zufolge beginnt diese Verschränkung schon damit, dass nach
den geltenden Mutterschaftsrichtlinien die Ärztin/ der Arzt „bei jeder Schwangeren nach anamnestischen und klinischen Hinweiszeichen für ein genetisches
Risiko suchen. Laut Mutterpass ist eine allgemeine Beratung der Schwangeren
vorgesehen, die auch eine genetische Beratung einschließen sollte“, bei der individuelle und familiäre Risikofaktoren Berücksichtigung finden.14 Der Erfassungsbogen über das dreifache Ultraschallscreening weist für die erste Ultraschalluntersuchung im ersten Schwangerschaftsdrittel die Frage nach Auffälligkeiten mit
einem in Klammer gesetzten Beispielfall: „z. B. dorsonuchales Ödem?“ auf. Dies
deutet ohne Zweifel auf eine Erweiterung der Ansprüche in der Routinediagnostik
hin, so dass eigentlich in Konsequenz der Erweiterung die Patientinnen von Beginn der Schwangerschaft an über alle derzeit verfügbaren Diagnosemöglichkeiten inkl. deren Aussagekraft und Unsicherheiten aufgeklärt werden müssten.
Wenn sich dies tatsächlich so verhält, müsste man ja die ethische Frage stellen:
Basiert die Pränataldiagnostik, wie sie sich derzeit entwickelt, auf einer eindeutigen, nämlich therapeutischen Zielsetzung, oder ist sie von Anfang an überlagert
von einem anderen Handlungstyp, den Christiane Woopen als „existenzbezogene Pränataldiagnose“ bezeichnet hat?15 Der erste Handlungstyp pränataler Diagnose ist therapiebezogen und hat die möglichst komplikationslos verlaufende
Schwangerschaft und Geburt zum Ziel. Dieser Handlungstyp ist ethisch gesehen
nicht nur das primäre Ziel, sondern der substanzielle Zweck pränataler Diagnose,
weil er die Legitimation dafür liefert, diese Diagnose als ein ärztliches Handeln zu
begreifen und zu praktizieren. Eine Indikation zu einer diagnostischen Methode
ist in der Regel nur sinnvoll und damit auch ärztlich begründbar, „wenn aus der
Diagnose auch eine konkrete präventive oder therapeutische Handlung folgt.
Eine Indikation, die sich im Rahmen der Prinzipien und Regeln der ärztlichen
Kunst bewegt, d. h. die mit fachübergreifend gültigen Standards das Feld ärztlichen Handelns umschreibt, bindet den Handelnden, legitimiert sein Handeln und
begründet so das Vertrauen des Patienten in das ärztliche Handeln. Dessen Ziele sind durch vier Aspekte bestimmt: Retten, Heilen, Leiden mindern, Vorbeugen.
14
C. Crombach/ B. Tutschek, Veränderte Anforderungen an die Beratung zur pränatalen
Diagnostik von fetalen Chromosomenanomalien, a. a. O. 258; vgl. zum Problem A.
Strauss/ H. Hepp, Qualitätskriterien und Haftungsrisiken der sonographischen Pränataldiagnostik. Was darf man – darf man was übersehen?, in: Zeitschrift für Geburtshilfe und
Neonatologie 205 (2001) 2-11; R. Francke/ D. Regenbogen, Die ärztliche Betreuung der
schwangeren Frau nach den Vorgaben der Mutterschafts-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, in: Medizinrecht 20, 4 (2002) 174-179; A.
Strauss/ S. Müller-Egloff/ I. M. Heer, Geburtshilfliche Sonographie, in: Gynäkologischgeburtshilfliche Rundschau 42, 2 (2002) 75-83.
15
Vgl. Chr. Woopen, Ethische Fragestellung in der Pränataldiagnostik, in: Praxis der
Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 50, 9-10 (2001) 695-703, 698 ff.
26
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Richtlinien für die Indikation zu einer diagnostischen Maßnahme müssen daher
sowohl von den konkret aus der Diagnose folgenden Handlungen abgeleitet werden als auch an den medizinisch-ethischen Grundsätzen des ärztlichen Behandlungsauftrags orientiert sein.“16
Eine grundlegende ethische Problematik ist allerdings schon mit dieser Zielumschreibung gegeben. Das hat der Nationale Ethikrat in seiner Stellungnahme
„Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft“ aus dem Jahre
2003 deutlich wahrgenommen. In dem von allen Mitglieder, d. h. also auch von
den kirchlichen Vertretern mitgetragenen Teil des Dokuments wird einerseits klar
festgehalten:
„Die Linderung bzw. das Abwenden von Leid ist ohne Frage eine der wesentlichen Aufgaben des ärztlichen Behandlungsauftrages.“ Andererseits wird auch
die Konsequenz dieser Aussage nüchtern in den Blick genommen. Denn eine so
verstandene Indikation läst sich „nicht allein nach medizinisch-fachlichen Kriterien stellen. Welches Leid mit der Geburt eines kranken oder behinderten Kindes
verbunden wäre, kann nicht unabhängig vom subjektiven Erleben und Urteil der
betroffenen Frauen oder Eltern bestimmt werden.“17 In der Konsequenz sind damit Konflikte unterschiedlicher Valenz zwischen dem ärztlichen Auftrag und dem
Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren vorprogrammiert; diese Konflikte
können defensiver wie offensiver Art sein, abwehrenden wie einfordernden Charakter haben. Aus medizinischer Sicht, so beurteilt der Nationale Ethikrat die
Problematik, stellt dies Ärztinnen und Ärzte „vor ein schwieriges Abwägungsproblem“18: Einerseits müssen sie einer uneingeschränkten Selbstbestimmung entgegentreten, in deren Konsequenz die Pränataldiagnostik in den „Service“-Bereich
verlagert würde. Andererseits müssen sie „aber zugleich vermeiden, dass die
ärztliche Indikation zur Fremdbestimmung wird, die den betroffenen Eltern bei
existenziellen Konflikten die Entscheidungen über ihr zukünftiges Leben aus der
Hand nimmt. Bei allen Bemühungen, die Indikationsstellung in diesem Bereich zu
standardisieren oder durch Leitlinien zu regulieren, wird man den unverzichtbaren Spielraum für eine verantwortliche Bewertung des Einzelfalls im Rahmen der
jeweiligen Arzt-Patient-Beziehung erhalten müssen“19 – so lautet die vom Nationalen Ethikrat gemeinsam getroffene Schlussfolgerung. In diesem Spielraum der
Verantwortung können lebenseröffnendes Weiterkommen wie auch aporetisches
Nicht-Mehr-Weiter-Wissen gleichermaßen Wirklichkeit werden. Dies kann der
Pränataldiagnostik ein janusköpfiges Gesicht medizinischen Fortschritts verleihen, wie es Hermann Hepp immer wieder betont.20
Aber bei all diesen Problemen darf man zunächst die positive Bedeutung der
„therapiebezogenen Pränataldiagnostik“ nicht übersehen, bzw. nicht unterschätzen. Bernhard-J. Hackelöer hat bei öffentlichen Anhörung des EnqueteKommission des letzten Deutschen Bundestages „Recht und Ethik der modernen
Medizin“ vom 30. Mai 2005 dies eindrucksvoll belegen können: „Durch den Einsatz der Pränataldiagnostik ist es gelungen, Unkenntnis über Mutter und Kind zu
16
Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft.
Stellungnahme, Berlin 2003, 61 (www.nationalerethikrat.de).
17
Ebd. 62. Vgl. dazu beispielsweise K. Wüstner, Subjektive Krankheitstheorien als Gegenstand der genetischen Beratung am Beispiel des Wiedemann-Beckwith-Syndroms, in:
Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie 51 (2001) 308-319.
18
Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, a. a. O., 63.
19
Ebd.
20
Vgl. Hepp, Pränatalmedizin – Anspruch auf ein gesundes Kind? Januskopf medizinischen Fortschritts, in: H. Hepp/ N. Knoepffler/ Chr. Schwarke, Verantwortung und Menschenbild. Beiträge zur interdisziplinären Ethik und Anthropologie, München 1996, 75101 sowie die Ausf. w. u.
27
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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nehmen und so die Ärzte und Hebammen im Kreißsaal bei der Geburt in einer
rein reagierenden mechanischen Geburtshilfe, mit teilweise chaotischen Folgen
für Mutter und Kind, zu einer planbaren agierenden Geburtsmedizin zu ändern.“21. Noch in den 70er und 80er Jahren waren 50 % der Mehrlinge zum Geburtszeitpunkt nicht erkannt, was ein hohes Risiko für das zweite, nicht erkannte
Kind und eine hohe perinatale Mortalität bedeutete. Die Ultraschalldiagnostik hat
hier wesentlich zur Senkung der mütterlichen Sterblichkeit beigetragen. 30 %
aller Angaben zum Geburtstermin waren Anfang der 70er Jahre nicht korrekt,
was viele falsche und inkorrekte Entscheidungen zur Folge hatte.22
Auch bezüglich des zweiten sog. „existenzbezogenen Handlungstyps“ pränataler
Diagnose kann man argumentieren, dass die zahlreichen nicht-invasiven Methoden mittlerweile eine präzisere Risikoabschätzung zulassen als die Altersindikation und in Kombination mit Beratung vor, während und nach Pränataldiagnostik
mit der Risikopräzisierung auch Ängste gezielter bewältigt oder beseitigt werden
können.23 Aber bedeutet dies, dass aufgrund der faktischen Ambivalenz der Ziele
von Pränataldiagnostik, wie sie der Nationale Ethikrat beschrieben hat, - die Überlagerung des therapiebezogenen und des existenzbezogenen Handlungstyps
-, dass aufgrund dessen die Patientinnen generell über alle derzeit verfügbaren
Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik aufgeklärt werden müssen und das
heißt eben auch über ihr „individuelles Aneuploidie-Risiko“ informiert und beraten
werden sollten – ein Risiko bzgl. eines Zuviel oder Zuwenig im Chromosomensatz des Kindes, und nicht der Mutter selbst?24 Wenn dies der Fall ist, wäre aufgrund der Ambivalenz in den Zielen von Pränataldiagnostik vertieft zu überlegen,
wie das Recht auf Nichtwissen, das ja nicht ein Recht auf „Un-Wissen“ meint, in
einer inhaltlich qualifizierten Weise so gewährleistet werden kann, dass es als
Ausdruck einer Verantwortung aus sittlicher Freiheit heraus wahrgenommen wird.
Daher ergibt sich eben eine ethische Fragestellung, wie sie die EnqueteKommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ formuliert hat: „Wie wird
das Recht auf Nichtwissen der Frauen sichergestellt?“ Die Antworten der befragten Expertinnen und Experten weisen auch in diesem Punkt schon ein gewisses
Spektrum auf. So wird z. B. gesagt: „Das Recht auf Nichtwissen steht immer in
Balance mit dem Recht auf Wissen, kann also nicht darauf basieren, dass pater21
„Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven der Pränataldiagnostik (PND)“. Öffentliche
Anhörung der Enquetekommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ am 30. Mai
2005, Stellungnahme von B.-J. Hackelöer (www.bundestag.de/medizin).
22
Vgl. Stellungnahme von B.-J. Hackelöer bei der 37. Sitzung der Enquete-Kommission
„Ethik und Recht der modernen Medizin“ am 30. Mai 2005, 18 f.
23
Folgt man den Untersuchungen von I. Kowalcek/ C. Lammers/ J. Brunk/ I. Bleniakiewicz/ U. Gembruch, Angst der Schwangeren vor und nach der pränatalen Untersuchung
bei unauffälligen und bei auffälligen Befunden, in: Zentralblatt für Gynäkologie 124 (2002)
170-175, wäre zwischen Angst als Zustand und Angst als Eigenschaft unter Berücksichtigung von Situationseinflüssen und verschiedenen intrapsychischen Prozessen genauer
zu unterscheiden; unter Bezug auf andere Studien weisen sie darauf hin, dass die längerfristigen Auswirkungen der Angstreduktion bisher nicht systematisch untersucht worden
sind, „möglicherweise ist die Reduktion der Angst nur vorübergehend. Die Wirkung der
Angstreduktion sei nur kurzfristig und hat zur Folge, dass später in der Schwangerschaft
spezifische Sorgen um die fetale Gesundheit zurückkehren und Ängste ein Niveau entsprechend dem vor der Untersuchung erreichen. Das Konzept der vorliegenden Studie
lässt keine Aussage über Langzeit-Effekte pränataler Techniken zu. Kritisch wird angemerkt, dass die beobachtete Angstreduktion nach einer unauffälligen Pränataldiagnostik
ein Artefakt sein kann, der sich aufgrund des Anstiegs der Angst und der Beanpruchung
unmittelbar vor der pränatalen Untersuchung ergäbe“ (175).
24
Vgl. C. Crombach/ B. Tutschek, Veränderte Anforderungen an die Beratung zur pränatalen Diagnostik von fetalen Chromosomenanomalien, a. a. O. 260.
28
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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nalistisch Wissen vorenthalten wird. Für eine bewusste Entscheidung zum Nichtwissen ist eine qualifizierte interdisziplinäre Beratung vor einer angebotenen
Diagnostik gerade in Kontext PND von großer Bedeutung.“25 Diese Aussage
sieht das Problem insofern realistisch, als klar gestellt wird: ein bloßer Hinweis
auf ein solches Recht stellt das Recht auf Nichtwissen im Sinne einer realen freien Entscheidung noch nicht sicher. Daher betont auch A. Rhode bei derselben
Anhörung: „Da bereits die frühe Feststellung der Schwangerschaft in der 8. oder
9. Woche per Ultraschall erfolgt und auch die spätere – unbedingt sinnvolle –
Schwangerschaftsvorsorge entsprechende Ultraschalluntersuchungen einschließt, ist zumindest für einen bestimmten Teil von Erkrankungen bzw. Schädigungen das Recht auf Nichtwissen fast nicht sicherzustellen. … Aus psychotherapeutischer Sicht ist zusätzlich zu erwähnen, dass die aktive Entscheidung für
das ‚Nichtwissen’ von den Frauen einen differenzierten Entscheidungsprozess
voraussetzt, der nur auf dem Hintergrund einer intensiven Auseinandersetzung
mit dem Thema – nicht zuletzt wahrscheinlich nach einer entsprechenden psychosozialen Beratung – möglich ist.“26 Das hieße aber, dass auch eine intensive
Auseinandersetzung mit dem Thema im Rahmen eines differenzierten Entscheidungsprozesses die Beschäftigung mit einem Grundproblem von Beratung im
Kontext von Pränataldiagnostik erforderlich macht, nämlich dem Denken in Risiken.
Nicht wenige Frauen scheinen die Risikoproblematik bei Schwangerschaft durch
vermehrte Inanspruchnahme der nicht-invasiven Möglichkeiten pränataler Diagnose beantworten zu wollen. Zumindest berichtet der Leiterin der Beratungsstelle
zu Pränatalen Untersuchungen und Aufklärung des Diakonischen Werkes Württemberg-Stuttgart, Annegret Braun, bei der Anhörung Enquetekommission im
Mai 2005, dass in den neuen Bundesländern nahezu alle Schwangeren den
Fehlbildungsultraschall wahrzunehmen. Bei einer Quote von 96-97 % gesund
geborener Kinder könne es so viele Risikoschwangerschaften eigentlich gar nicht
geben. „Wenn in einer Jungmüttergruppe in Leipzig von 14 Frauen 12 mit einem
auffälligen Befund dastehen, wenn in Berlin von 25000 Schwangeren pro Jahr
20000 zum Feinultraschall gehen, dann müsste eruiert werden, wie es dazu
kommt.“27 Der Wunsch, nichts an Diagnosemöglichkeiten versäumt zu haben,
gesellschaftliche Vorgaben, medizinische Empfehlungen, Ratschläge von Freundinnen und Mitschwangeren usw. können natürlich die Bereitschaft steigern, den
Fehlbildungsultraschall auch als kostenpflichtige individuelle Gesundheitsleistung
in Anspruch zu nehmen.28. Gegenüber den von ihr beobachteten Automatismen
plädiert A. Braun für eine Empfehlungspflicht für Frauenärzte, auf eine unabhängige, psychosoziale Beratung hinzuweisen und die psychosoziale Beratung als
einen festen Bestandteil der Schwangerenvorsorge in die Mutterschaftsrichtlinien
aufzunehmen – ein Vorschlag, der mittlerweile bereits realisiert ist.
Die Idee einer Empfehlungsverpflichtung im Hinblick auf die psychosoziale Beratung ist der Sache nach schon eine Reaktion auf eine der ethischen Grundfragen
von „Pränataldiagnostik und Beratung“, nämlich: Verändert „Pränataldiagnostik
und Beratung“ die Art und Weise, mit der Frage „Was soll ich tun?“ umzugehen?
25
Vgl. die Stellungnahme von C. R. Bartram.
Vgl. die Stellungnahme von A. Rhode; vgl. zur Problematik auch R. Damm, Imperfekte
Autonomie und Neopaternalismus. Medizinrechtliche Probleme der Selbstbestimmung in
der modernen Medizin, in: Zeitschrift für Medizinrecht 20, 8 (2002) 375-387.
27
Vgl. Stellungnahme von A. Braun.
28
Ob man allerdings hierbei schon von einem „kulthaften Untersuchungsmodus“, sprechen sollte, wie A. Braun dies tut, erscheint jedoch zweifelhaft, die kritischen Reaktionen
auf diese Behauptung seitens der Ärzteschaft mahnen weit eher zur Vorsicht (vgl. Deutsches Ärzteblatt 102, 24 [2005] A 1717).
26
29
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Man kann diese Frage mit Ja beantworten. Die Frage „Was soll ich tun?“ gilt in
dem Sinne als eine spezifisch ethische Grundfrage, als es eine Reaktion bedeutet, auf die eigene Lebensführung oder Lebensgestaltung hin angesprochen zu
sein. Sie unterbricht die Selbstverständlichkeit des Zusammenhangs von Handlung und Ziel. Sie ist eine Selbstaufforderung, sich zu einem Handeln und in seinem Handeln zu bestimmen. Um zu einer Antwort zu gelangen, muss man aus
dem unmittelbaren Handlungskontext heraustreten. Von daher verändert diese
ethische Frage die Lebensführung; - aber nicht nur Ausmaß und Richtung der
Änderung, sondern auch die Art und Weise, mit dieser Frage umzugehen, können höchst unterschiedlich beschaffen sein.
In ihrem Buch „Die verrechnete Hoffnung. Von der selbstbestimmten Entscheidung durch genetische Beratung“ hat die Soziologin Silja Samerksi versucht zu
zeigen, in welcher Weise sich durch die Etablierung genetischer Beratung allgemein, außerhalb wie innerhalb des Kontextes von Pränataldiagnostik, ein veränderter Entscheidungstyp und damit auch der Umgang mit der Frage „Was soll ich
tun?“, d. h. die Art und Weise des ethischen Nachdenkens darüber, verändert
hat.29 Eine solche Beratung soll, so gilt allgemein, nicht in direktiver Form zu einer bestimmten Entscheidung raten, sondern non-direktiv eine eigenverantwortliche, für die Betreffenden tragfähige Entscheidung ermöglichen. Dies entspräche
dem herkömmlichen Verständnis von „sich entscheiden“ im Sinne einer „Bestimmung und Verfügung über sich selbst, vor allem über den eigenen Willen und die
eigenen Handlungen“30. Dieses Verständnis habe sich, so führt Samerski aus,
unter dem Einfluss statistischer Entscheidungstheorien zu einem rationalen
Wahlverfahren zwischen Möglichkeiten oder Optionen verändert. In diesem Sinne wurde auch bei der Anhörung der Enquetekommission im Mai 2005 mit plausiblen Gründen beton: Beratung soll „der betroffenen Frau und ggf. ihrem Partner
eine eigene Entscheidungsfindung in Kenntnis der relevanten Optionen und Hintergründe“ ermöglichen.31
Die Situation aber, in der eine solche Entscheidung stattfindet ist die „Ungewissheitssituation“, es handelt sich um eine „Entscheidung unter Risiko“.32 Zu wenig
wird dabei die Wandlung im Risikobegriff selber beachtet. Denn genauer besehen geht es hierbei eigentlich nicht um Bedrohungen oder Wagnis, sondern um
Unsicherheiten ohne unmittelbar gegenwärtige persönliche Gefährdung. Eher im
Versicherungsdenken beheimatet, bezeichnet Risiko „nicht einfach ein mögliches
Ereignis oder eine Gefahr, sondern es steht für die statistische und wahrscheinlichkeitstheoretische Vergegenwärtigung von möglichen Ereignissen“33. Es sind
statistisch konstruierte Möglichkeiten, die erst bei homogenen Mengen oder Populationen Regelmäßigkeiten zeigen, aber im Einzelfall nur in Form einer Unsicherheit vergegenwärtigt werden und somit einen Schatten auf Kommendes werfen können.
Im Kontext einer existenzbezogenen pränatalen Diagnose erhält diese neue
Form von Unsicherheit nun eine besondere anthropologisch-ethische Tiefendimension. Wenn man nämlich z. B. sagt, es gehe um die Abklärung eines individuellen Aneuplodie-Risikos, so betritt man erkenntnismäßig die Ebene des Genoms. Eine Struktur- und Funktionsanalyse auf dieser Ebene aber trifft uns auf
einer grundlegenden Bestimmungsebene unseres leiblichen Lebens, die uns
29
S. Samerski, Die verrechnete Hoffnung. Von der selbstbestimmten Entscheidung durch
genetische Beratung, Münster 2002.
30
Ebd. 58.
31
Vgl. Stellungnahme von C. R. Bartram.
32
Vgl. S. Samerski, Die verrechnete Hoffnung, a. a. O. 60 f.
33
Ebd. 112.
30
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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individuell zueigen ist. Genauer gesagt betrifft sie uns auf der Ebene unserer
natürlichen Veranlagung und Ausstattung, d. h. in der „Natur, mit der wir als leiblich existierende Subjekte unaufhebbar identisch sind“34. Diese Ebene für die
Diagnose zugänglich zu machen, heißt, die menschliche Natur einer Einsicht von
vormals unbekannter Tiefe zugänglich zu machen. Dies berührt uns gleichermaßen auch dann, wenn es sich nicht um das eigene Genom handelt, sondern um
das des eigenen, ungeborenen leiblichen Kindes. Die Soziologie Barbara Duden
hat es einmal drastisch formuliert, was geschieht, wenn im Rahmen pränataldiagnostischer Beratung die Ebene des Genoms in Form des Risikodenkens angesprochen wird: „Gene“ versenken das Risiko in die Tiefen des Körpers der
schwangeren Frau.35 Die Rede von Gen, Genom, Chromosom senkt etwas Latentes, nicht direkt Sichtbares, aber unterschwellig Wirksames, in den Körper,
das als Angst, Verunsicherung, als Dissoziationserfahrung zum eigenen Körper
und auch zum eigenen ungeborenen Kind wirksam ist. Es erzeugt einen Handlungsdruck, nämlich die Wahl zwischen Optionen, welche das „System“, in dem
man sich eben jetzt befindet, selbst erzeugt.
Die psychosomatische Bedeutung des pränataldiagnostisch erzielbaren Wissens
lässt sich aus diesen Zusammenhängen von Person und Genom als einer elementaren naturalen Ebene unseres Leib-Seele-Daseins heraus - in ihrer Tiefendimension ermessen oder – vielleicht besser gesagt – erahnen. Es lässt nachvollziehen, warum man tatsächlich von einer Veränderung in der Entscheidungsfindung im Kontext einer solchen pränatalen Diagnose sprechen kann, und es
lässt etwas von der Verantwortungsdimension spüren, die nur von einem vernetzten Beratungsangebot in all seiner Vieldimensionalität getragen und als Hilfe
angeboten werden kann.36
Was aber ist notwendig, damit ein solches Netz in einer tragfähigen Weise auch
zustande kommt? Bzw. anders gefragt, wo sind verantwortungsethisch gesehen
Gefahrenpunkte, an denen ein solches Netz aufreißen oder fehlende Verknüpfung aufweisen könnte? Dies kann schon bei der medizinisch-fachlichen Beratung gegeben sein. Nehmen wir einmal die Situation eines Befundes, der sich
ergeben oder gezeigt hat, und eine Entscheidung bzgl. weiterer Diagnosen erforderlich macht. Eine Beratung wird hier die notwendigen Informationen und Interpretationshilfen geben und versuchen, bei der zu Beratenden eine Art Überle34
L. Honnefelder, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen? Die Herausforderung der Humangenomforschung – Eine Einführung, in: ders./ P. Propping
(Hrsg.), Was wissen wir, wenn wir das menschlichen Genom kennen?, Köln 2001, 9-25,
18; vgl. zur Verdeutlichung u. a. M. Beckmann, Molekulare Frauenheilkunde, in: Der Gynäkologe 35, 9 (2002) 872-880; U, Meincke/ Ch. Kosinski/ K. Zerres/ G. Maio, Psychiatrische und ethische Aspekte genetischer Diagnostik am Beispiel der Chorea Huntington,
in. Der Nervenarzt 74, 5 (2003) 413-419; J. Schara/ W. Mortier, Neuromuskuläre Erkrankungen (NME) Teil 2: Muskeldystrophien (MD), in: Der Nervenarzt 76, 2 (2005) 219-239.
35
Vortrag beim Kongress für Moraltheologie und Sozialethik in Hamburg, September
2005.
36
Vgl. M. Rauchfuß, Psychosomatisch orientiertes Vorgehen in der Pränataldiagnostik,
in: Der Gynäkologe 34, 3 (2001) 200-211; A. Dewald/ M. Cierpka, Psychosoziale Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik, in: Psychotherapeut 46, 2 (2001) 154-158; A.
Rhode/ A. Wendt/ A. Pantlen, Gynäkologische Psychosomatik. 6 Jahre Erfahrung mit
dem Bonner Modell, in: Der Gynäkologe 36, 12 (2003) 1078-1084; I. Kowalcek, Psychosomatische Aspekte der Pränatalmedizin, in: Der Gynäkologe 36, 12 (2003) 1058-1065;
R. Kuhn/ A. Dewald/ A. Riehl-Emde, Interprofessionelle Qualitätszirkel in der Pränataldiagnostik, in: Psychotherapeut 49, 5 (2004) 377-380; L. Beck/ P. Diemer/ M. Oslislo/ C.
Pesch, Beratung und Hilfe für Schwangere in Not- und Konfliktsituationen, in: Der Gynäkologe 37, 8 (2004) 749-760; B. Zabel, Schwangerschaftsbetreuung bei Skelettdysplasien. Genetische Beratung, Wiederholungsrisiko und psychosoziale Aspekte, in: Der Gynäkologe 38, 1 (2005) 39-45.
31
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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gungsgleichgewicht herzustellen, um die Basis für eine wohlerwogene Entscheidung in einer nicht-direktiven Art legen zu können. Der Begriff des Überlegungsgleichgewichts stammt von John Rawls, einem der bekanntesten Sozialphilosophen und Gesellschaftstheoretiker, und zielt auf den Vorgang der Abklärung oder
Erweiterung unserer Erkenntnisse.37 Unsere Überlegungen sind dann im Gleichgewicht, wenn wir uns darüber im Klaren sind, von welchen Voraussetzungen wir
ein Urteil bilden und welchen Grundsätzen das Urteil entspricht. Wenn man einmal unter diesem Aspekt den pränataldiagnostischen Beratungsvorgang nach
einem Befund betrachtet, so haben wir also zunächst die Ebene einer bestimmten Beobachtung oder eines Testresultats, darüber hinaus gibt es die Ebene eines relativ abgesicherten Regelwissens: dies kann umfassen medizinischnaturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten, Erfahrungswerte, statistische Korrelationen, und vieles andere mehr. Der entscheidende Schritt aber ist der Übergang auf die Ebene des Falls selbst: Um welchen „Fall“ handelt es sich hier und
jetzt? – so lautet dann die Leitfrage.
Dieser sog. „Fall“ aber ist nichts anderes als das ungeborene Kind in seiner existenzbezogenen Bedeutung. Und selbst dann, wenn z. B. eine Trisomie 21 diagnostiziert ist, weiß man eben nicht, welcher Mensch nun derjenige ist und werden
wird, der diese Anomalie hat. Daher ist dieser Übergang auf den sog. Fall, das
Erschließen des Falls aufgrund von Beobachtung oder Testresultat und Regelwissen das Problematische – die Wissenschaftstheorie spricht in dem Zusammenhang von einer Abduktion. Dieser von dem amerikanischen Philosophen
Charles S. Peirce in die Diskussion eingebrachte und seitdem viel diskutierte
Begriff bezeichnet ein unsicheres, fehleranfälliges Schlussverfahren, das weder
ein Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere (Deduktion) noch ein Schluss
vom Besonderen auf das Allgemeine (Induktion) ist, sondern die Existenz einer
noch unbekannten Sachlage zu erschließen sucht.38 Peirce illustriert dies an folgendem Beispiel: „Alle Bohnen aus diesem Beutel sind weiß; diese Bohnen sind
weiß, also sind diese Bohnen aus diesem Beutel“; obwohl das Schlussverfahren
keine sichere Form des Schließens, sondern eher eine durch die Regel begründete Vermutung oder Konstruktion darstellt (nicht selten ausgedrückt in modalen
Formulierungen wie „muss wohl“), spielt es gerade beim Umgang mit Ungewissheit eine zentrale Rolle.39 Eine Untersuchung der Logik abduktiver Schlussverfahren im Kontext pränataldiagnostischer Beratung steht bislang noch aus; sie
erhält aber insofern eine besondere Dringlichkeit, als es eben um ein existenzbezogenes, auf die Existenz eines ungeborenen Menschen bezogenes Überlegen
geht, was eben einem Subsumieren eines „Falls“ unter eine allgemeine Gesetzmäßigkeit oder Regel ethisch und anthropologisch Grenzen zieht. Daher lässt
sich die Frage stellen, ob ohne Klärung der anthropologischen und ethischen
Grundlagen die Voraussetzungen für ein fundiertes Überlegungsgleichgewicht
überhaupt gegeben sein können.
Zu den grundlegenden Fragen und Herausforderungen, vor die uns „Pränataldiagnostik und Beratung“ stellt, zählt daher ohne Zweifel die Frage nach dem Menschenbild, insbesondere die Frage, wie wir zu Behinderung, zu Menschen mit
Behinderungen stehen. Unter dem Aspekt ungehinderter Entfaltung menschlicher
Fähigkeiten, mag Behinderung als „Unvollkommenheit“ erscheinen; unter der
37
Vgl. dazu u. a. E. Tabari, Überlegungsgleichgewicht. Eine methodische Untersuchung
(www.falsafeh.com/Ueberlegungsgleichgesicht.htm).
38
Vgl. dazu A. Richter, Der Begriff der Abduktion bei Charles Sanders Peirce, Frankfurt
a. M. 1995.
39
Vgl. Chr. Hubig, Expertendilemma und Abduktion: Zum Umgang mit Ungewissheit,
Antrittsvorlesung
Universität
Stuttgart
11.
12.
1997
(www.elib.unistuttgart.de/opus/volltext4e/2000/650/).
32
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Perspektive der Menschenwürde aber ist „Unvollkommenheit“ etwas, das zum
Wesen der menschlichen Verfasstheit, der condition humaine, schlechthin gehört. Diese konstitutionelle „Unvollkommenheit“ des Menschen schlechthin ist
sein Nicht-Vollendetsein als Inbegriff aller Bewegbarkeit auf ein letztes Ziel hin, d.
h. der realen Potentialität, über sich hinauszuwachsen, sich selbst unendlich zu
übersteigen. Unter dieser Perspektive ist es genauso so, wie Peter Radtke bei
der Anhörung der Enquete-Kommission gesagt hat: Behinderung ist zwar nicht
zu glorifizieren, aber nicht automatisch mit Leid gleichzusetzen. Ein Mensch mit
Behinderung ist nicht krank, weil er behindert ist, sondern er ist so gesund und so
krank wie es ein Mensch ohne Behinderung auch ist. Behinderung ist nicht
Krankheit, sondern, so sagt er treffend, eine „Lebensform, die ihre Berechtigung
neben anderen Lebensformen hat“.40
Man könnte also sagen, das Netz der Beratung ist schon dort gefährdet, wo man
keine Vorkehrungen gegen falsche Erschließungen des sog. Falls, also gegen
falsche Abduktionen, trifft. Die Nicht-Direktivität mag zwar vor der illegitimen Beeinflussung in Form direkter Empfehlung einer bestimmten Entscheidung bewahren, sie reicht aber als solche nicht zu, um vor den Gefahren einer falschen
Fallerschließung zu schützen.
Ein Netz der Beratung wird aber erst dann tragfähig, wenn es inhaltlich kohärent
ist. Damit verbindet sich die Frage, ob es richtig sein kann, wenn sich pränataldiagnostische Beratung auf das Aufzeigen von Wahlmöglichkeiten, Optionen und
deren Hintergründe zu beschränken sucht. Ein bloßes Aufzählen von Möglichkeiten ergäbe nur ein Konglomerat von Aussagen, die in einer ganz allgemeinen,
unspezifischen Weise zusammen bestehen. Kohärent kann dieses Netz nur
werden, wenn es einer einheitlichen Zielsetzung untersteht.
Zweifellos kann pränataldiagnostische Beratung die Sinn- und Entscheidungsfindung der zu Beratenden nicht ersetzen. Wie aber soll ein Kommunikationsprozess mit dem Anspruch, der individuellen Notlage der Ratsuchenden gerecht zu
werden, zustandekommen, wenn es an einer inhaltlichen Qualifizierung des Ziels
fehlt? Ansatzpunkt dieser Qualifizierung kann nur der oberste Verfassungsgrundsatz von der Unantastbarkeit der Menschenwürde sein. Zusammen mit der
Grundgesetzergänzung von Art. 3 Abs. 3 GG „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" bedeutet diese verfassungsmäßige Wertentscheidung eine normativ verbindliche Zielorientierung aller pränataldiagnostischen und humangenetischen Beratung. Sie ist dem Schutz des individuellen
menschlichen Lebens als "Höchstwert der grundgesetzlichen Ordnung", "vitaler
Basis der Menschenwürde" und als "Voraussetzung aller anderen Grundrechte"
verpflichtet.41
So wie die "Unantastbarkeit" der Menschenwürde in der Weise eine asymmetrische Sinnstruktur aufweist, dass sie Norm ihrer selbst wie auch all dessen ist,
was diese „Unantastbarkeit" tangiert, verletzt oder zerstört, so ist auch diese
Zielorientierung in dem Sinne asymmetrisch, als es um die Überwindung der Notlage, in der sich die Ratsuchenden existentiell befinden, im Sinne des Lebensschutzes geht.
Der Zwiespalt, in dem sich die Ratsuchenden befinden, besteht doch darin, einerseits um das Lebensrecht des ungeborenen Kindes zu wissen, andererseits
nicht zu wissen, wie sie in ihrer spezifischen Lebenssituation ein Ja zum Kind
sagen können, und zwar angesichts einer Notlage, die gerade durch das Umfeld
einer direktiven Gesellschaft, wenn nicht hervorgerufen, so doch verschärft wird.
Für viele Menschen besteht heute der Eindruck: Wenn sie etwas zulassen, was
sie selber ändern könnten, dann muteten sie eben sich selber oder anderen die40
41
Vgl. Stellungnahme von P. Radtke.
Vgl. BVerfGE 39, 1, 42.
33
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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ses oder jenes zu. Bei der Frage der Zumutbarkeit wird das handelnde Subjekt
immer mehr so verstanden, dass es der Mensch selber sei, der sich hier etwas
zumutet oder nicht. Die Bereitschaft anzuerkennen, dass es im Leben ZuMutungen geben kann, die auch dann hinzunehmen sind, wenn sie für sich und
andere belastend sind, erscheint dem modernen Menschen von seinem Lebensgefühl her eher un- oder schwer verständlich.42
Hier ist auch für den Kontext von Pränataldiagnostik das angesagt, was man die
„Unterscheidung der Geister“ nennen könnte, d. h. die kritische Prüfung dessen,
von welchen Werteinstellungen und –haltungen man sich im Letzten leiten und
bestimmen lässt. Diese Frage stellt sich in einer sehr bedrängenden Art und
Weise angesichts Folgewirkungen, welche die Einordnung der sog. embryopathischen Indikation in die medizinische Indikation hat. Die traditionelle medizinische
Indikation war ohne Zweifel lebensorientiert in dem Sinne, dass nicht die Tötung
des Kindes das Ziel des Eingriffs war, sondern die „Beseitigung der unmittelbaren Bedrohung der Mutter durch die Schwangerschaft“43. „Das Ziel ist die Rettung
der Mutter und wenn irgend möglich die des Kindes oder – in einem absolut unlösbaren Konflikt - die Tötung des Kindes zur Rettung der Mutter. ... Bei der
‚embryopathischen’ Indikation ist nicht das Ziel, die Mutter aufgrund einer unmittelbaren medizinischen Bedrohung ihrer Gesundheit von der Last der Schwangerschaft, sondern eine in der Regel gesunde Mutter für die Phase nach der Geburt von der Last des geschädigten und/ oder behinderten Kindes zu befreien.
Dessen Tod ist das primäre Handlungsziel.“44 Das hat zur Folge, dass mit der
Subsumierung der sog. embryopathischen Indikation unter die medizinische Indikation auch der Sinn der medizinischen Indikation in einem ganz entscheidenden
Punkt verändert worden ist.
Die Problematik der Spätabtreibung als einer Folgewirkung dieser Gesetzesänderung macht die Größe der ethischen Herausforderung von „Pränatalmedizin
und Beratung“ in einer drastischen Weise sichtbar;45 alle Dokumente und Stellungnahmen aus der letzten Zeit sprechen hier im Konsens, denn sie lässt uns
der Existenz eines sittlichen Gesetzes gewahr werden, wie es Alexander Mitscherlich einmal ausgedrückt hat46:
„Es gibt letzte Rechtssätze, die so tief in der Natur verankert sind, dass sich alles,
was als Recht und Gesetz, Moral und Sitte gelten soll, im letzten nach diesem
Naturrecht, diesem über den Gesetzen stehenden Recht auszurichten hat.“
42
Vgl. vertiefend M. Volkenandt, Menschliches Leid und die Frage nach Gott, in: Stimmen der Zeit 207, 6 (1989) 407-418.
43
H. Hepp, Pränatalmedizin und Embryonenschutz – ein Widerspruch der Werte, in: Der
Gynäkologe 36, 7 (2003) 572-58, 574.
44
Ebd.; vgl. ferner ders., Pränatalmedizin – Anspruch auf ein gesundes Kind? Januskopf
medizinischen Fortschritts, in: H. Hepp/ N. Knoepffler/ Chr. Schwarke, Verantwortung und
Menschenbild. Beiträge zur interdisziplinären Ethik und Anthropologie, München 1996,
75-101; ders., Aporie der Pränatalmedizin, in Gynäkologisch-geburtshilfliche Rundschau
42, 2 (2002) 67-74 sowie R. Beckmann, Der „Wegfall“ der embryopathischen Indikation,
in: Zeitschrift für Medizinrecht 16, 4 (1998) 155-161; C. Woopen, Zum Anspruch der medizinisch-sozialen Indikation zum Schwangerschaftsabbruch. Leben, körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung als konfligierende Rechte, in: Der Gynäkologie 32, 12
(1999) 974-977.
45
Vgl. J. Römelt (Hrsg.), Spätabbrüche der Schwangerschaft, Leipzig 2005.
46
Zit. n. H. Hepp, Pränatalmedizin – Anspruch auf ein gesundes Kind?, a. a. O. 99.
34
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Christa Pesch
Psychosoziale Beratung, vor, während und nach Pränataldiagnostik
aus Sicht von Ratsuchenden und von Pränatalmediziner(inne)n
- Ergebnisse einer Evaluation
Mit dieser Präsentation möchte ich Ihnen einen Einblick in einige Ergebnisse aus
der Evaluation über die Arbeit der psychosozialen Beratung geben und die
Bewertung dieser Arbeit von Seiten einiger Frauen und Ärzte darstellen .
Im Rahmen des Modellprojektes "Psychosoziale Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik und bei zu erwartender Behinderung des Kindes", das an drei
Standorten mit je einer halben Vollzeitstelle für zweieinhalb Jahre durchgeführt
wurde, ging es uns im Wesentlichen um zwei Aspekte: zum einen darum, Rahmenbedingungen zu entwickeln, die Frauen den Zugang zur psychosozialen Beratung erleichtern und zum andern darum, werdende Eltern bei der Übernahme
der Entscheidungsverantwortung angesichts eines positiven Befundes zu unterstützen.
I
Ergebnisse der Erhebung der Situation der Frauen und der Beratungsleistungen
Aus der Erhebung der Beraterinnen stelle ich Ihnen zunächst die Ergebnisse der
Auswertung vor, und zwar unter folgenden Aspekten
• Profil der Frauen
• Anlass für psychosoziale Beratung
• Gründe für Pränataldiagnostik
• Empfehlungen des Arztes zu PND
• Inhalte der Beratung
• Anzahl der positiven Befunde bei ungeborenen und geborenen
Kindern
Die Evaluation bezieht sich auf 160 Frauen, die in den Beratungsstellen der Modellprojektstandorte Bergisch Gladbach, Düsseldorf, Köln in einem Zeitraum von
knapp zwei Jahren beraten wurden.
Angesichts der begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit werde ich nicht detailliert
auf alle Einzelheiten der grafischen Darstellung eingehen. Dennoch werden Ihnen einige kommentierte Zahlen einen Eindruck von der Arbeit vermitteln können.
1. Profil der Frauen
Das Alter der Frauen, die PND in Anspruch nahmen, hat sich deutlich zugunsten
von Frauen unter 35 Jahren verlagert.
Vor etlichen Jahren lag der Schwerpunkt für pränataldiagnostische Untersuchungen in der Altersgruppe ab 35 Jahren; in dieser Altersgruppe waren genau ein
Drittel dieser Frauen; 65 % der Frauen waren also im Alter bis zu 35 Jahren.
35
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Daran wird deutlich, dass Pränataldiagnostik nicht mehr vorrangig eine Frage
des Altersrisikos ist, sondern die Differenzierung der Methoden mehr Frauen den
Zugang zu PND eröffnet.
Zum Familienstand
Von allen Frauen waren 56 % verheiratet und ein Drittel der Frauen war ledig.
Bei den ledigen Frauen spielt die Sorge vor einer Behinderung des Kindes oftmals eine noch größere Rolle, weil sie alle anfallenden Aufgaben mit dem Kind
und im Zusammenhang mit einer Berufstätigkeit in der Regel allein bewältigen
müssen. Möglicherweise heißt es auch, die Berufstätigkeit für viele Jahre aufgeben zu müssen und von staatlichen Leistungen abhängig werden.
Zur Staatsangehörigkeit
29 % der Frauen hatten einen Migrationshintergrund.
Insbesondere für diese Frauen stellen sich große Verunsicherungen ein und das
Bedürfnis nach Verstehen dessen, was Pränataldiagnostik für sie und das Kind
bedeutet, ist besonders groß.
2. Anlass für psychosoziale Beratung
Hier müssen wir unterscheiden zwischen den einzelnen Phasen von Beratung,
nämlich vor, während und nach PND.
•
Vor PND waren 79 Frauen in der psychosozialen Beratung.
Mit welchen Anliegen kamen die Frauen in die Beratung?
72 % der Frauen waren verunsichert und standen der Pränataldiagnostik ambivalent gegenüber.
67 % hatten Fragen zu Methoden und Risiken.
52 % nannten Angst vor Behinderung.
43 % empfanden Unruhe und Anspannung.
Für 39 % der Frauen stellten sich ethische Fragen.
35 % standen unter Entscheidungsdruck.
Weitere Probleme waren Angst vor dem Verlust der eigenen Lebensplanung
und Angst vor familiären Schwierigkeiten, wenn das Kind behindert wäre.
•
Während PND kamen 56 Frauen in die psychosoziale Beratung.
Bei ihnen zeigt sich ein ähnliches Bild hinsichtlich der Gründe für Beratung.
Bei 77 % dominierten Ambivalenz und Verunsicherung im Warten auf ein Ergebnis.
Die Angst vor Behinderung war für 55 % der Frauen einer der Anlässe zur
Beratung.
52 % fühlten sich unruhig und angespannt, was typisch für die Phase während der Wartezeit sein dürfte.
43 % befanden sich in einem physisch-psychischen Erschöpfungszustand,
bedingt durch Ängste und Sorgen um ihr Kind und die Zukunft.
Angst vor Leid, Krankheit und Tod waren bei 41 % der Frauen mit ein Grund
für psychosoziale Beratung in dieser Phase.
Ebenso viele hatten Angst vor Überforderung angesichts der Ungewissheit,
was auf sie zukommen könnte.
Für jede vierte Frau war der äußere und innere Entscheidungsdruck ein
Thema in der Beratung. Das Erleben eines äußeren Entscheidungsdrucks ist
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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oft bedingt durch das Verhalten des Partners, aber auch Empfehlungen des
Arztes oder der Ärztin. Der innere Entscheidungsdruck entsteht auf vielfache
Weise und ist abhängig vom Wertesystem, von Loyalitätsbindungen und inneren Verpflichtungen.
•
Nach PND ließen sich 51 Frauen nochmals bzw. erstmals beraten.
Unter ihnen waren auch Frauen, die sich im Konflikt befanden, und Frauen,
die sich für ein Kind mit Behinderung entschieden hatten. Einige hatten einen
unklaren Befund und mussten weiterhin mit einem Gefühl der Unsicherheit
leben.
Jede dritte Frau äußerte ihre Angst vor Leid, Krankheit und Tod.
31 % der Frauen waren angesichts der Diagnose verunsichert.
Angst vor der Verantwortung empfanden 29 % der Frauen.
27 % der Frauen empfanden einen Loyalitätskonflikt gegenüber vorhandenen
Kindern.
Die Ursache ist darin zu sehen, dass sie sich für ihr Kind mit Behinderung
oder Erkrankung entschieden haben, aber wissen, welcher Einsatz von ihnen
gefordert sein wird; sie befürchteten, dass dies möglicherweise auf Kosten
der Geschwisterkinder geht.
3. Gründe für Pränataldiagnostik
In der psychosozialen Beratung ist es wichtig, zu erfahren, welche Gründe zu
einer erweiterten Pränataldiagnostik führen bzw. geführt haben oder der Arzt
bzw. die Ärztin Pränataldiagnostik empfiehlt.
Ich weise zunächst darauf hin, dass lediglich 144 von den 160 Frauen zum Zeitpunkt der psychosozialen Beratung ärztlich zu Pränataldiagnostik beraten worden waren.
Bei den Gründen für PND zeigt sich eine breite Palette:
Bei 32 % der Frauen waren es Altersgründe.
Bei 10 % der Frauen liegt in der Familie eine Behinderung vor.
In 10 % der Fälle war die Krankheit der Frau ein Grund für weitere Untersuchungen.
8 % wegen Mehrlingsschwangerschaft
9 % wegen vorangegangener Fehlgeburt
8 % wegen Medikamenten /Alkohol / Drogen
Bei allen anderen Nennungen lag ein Verdacht aufgrund einer Untersuchung vor,
der der weiteren Abklärung bedurfte.
Welche Untersuchung hatte der Arzt bzw. die Ärztin empfohlen oder war bereits durchgeführt worden?
Hier spielte der Dopplerultraschall die größte Rolle mit 47 %, gefolgt von der Amniozentese mit 44 %.
Die Nackentransparenzmessung hat sicher mit 33 % an Bedeutung zugenommen.
Bei 27 % ging es um das Ersttrimesterscreening.
Die anderen Untersuchungen spielten kaum eine Rolle.
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4. Inhalte der psychosozialen Beratung
•
Psychosoziale Beratung vor PND
96 % der Frauen erhielten Hilfe zur Orientierung. Was steht dahinter? Oft
stellten Frauen die Frage: "Sorge ich nicht gut für mein Kind, wenn ich die
angebotenen Untersuchungen nicht durchführen lasse?" Manche Frauen
empfanden die Empfehlung zur Fruchtwasseruntersuchung als Drucksituation.
Von allen Frauen wünschten sich 76 %, in ihrer eigenen Entscheidungskompetenz gestärkt zu werden.
73 % erhielten weitere Informationen zu Methoden und Risiken der Untersuchung.
66 % wurden in der Nutzung ihrer persönlichen Ressourcen unterstützt.
Weitere Themen in der Beratung galten der Auseinandersetzung mit der Verantwortung von Wissen oder Nichtwissen, mit ethischen Fragen und mit der
Beziehung zum Kind.
•
Psychosoziale Beratung während PND wurde von 56 Frauen in Anspruch
genommen.
Angesichts von Ängsten und Unsicherheit war die Orientierungsfindung für 71
% der Frauen eine wichtige Entlastung.
Hilfe zur Orientierung in dieser Phase der Beratung bedeutet oft eine Auseinandersetzung mit Fragen: Wie stehe ich zu einer möglichen Behinderung?
Was würde eine Behinderung des Kindes für mich und meine Familie bedeuten? Wie würde ich damit umgehen? Welche Konflikte könnten eintreten?
64 % erhielten Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Ängste. Dies geschieht insbesondere durch die Stärkung der persönlichen Ressourcen (61
%).
63 % nahmen Hilfe zur Stärkung der Entscheidungskompetenz an.
43 % suchten direkte Unterstützung bei der Entscheidungsfindung im Falle
einer Behinderung des Kindes.
Über die Hälfte der Frauen (54 %) benötigten in dieser Phase eine Krisenintervention. Dabei spielte die Auseinandersetzung mit der Beziehung zum
Kind eine besondere Rolle.
Ethische Fragen und Sinnfragen waren ebenso von Bedeutung.
In dieser Phase scheint die psychosoziale Beratung eine besondere Bedeutung zu haben, weil die Frauen emotional oft hoch belastet sind und die Beziehung zum Kind nicht selten unterbrochen wird. Dies geschieht, um die
Entscheidungskonflikte, die bei einer möglichen Diagnose auftreten, nicht
durch die emotionale Beziehung zum Kind zu verschärfen. Dahinter steht die
Angst vor einer Entscheidung, die sie ethisch überfordert.
•
Psychosoziale Beratung nach PND nahmen 51 Frauen in Anspruch.
Diese Gruppe muss differenziert werden nach Frauen
- mit einer Diagnose im Entscheidungskonflikt
- nach der Annahme des Kindes mit Behinderung
- nach PND ohne Befund.
78 % der Frauen bekamen Hilfe zur Stärkung ihrer persönlichen Ressourcen
und
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53 % zur Stärkung des Selbstwertgefühls, das oft tief verletzt ist, wenn eine
Behinderung oder Fehlbildung diagnostiziert wurde.
Die Beziehung zum Kind war für 53 % der Frauen ein wichtiges Thema.
Für 49 % der Frauen ging es um Perspektiven für ein Leben mit dem Kind in
seiner Behinderung oder Fehlbildung.
Bei 47 % der Frauen ging es um die Bewältigung von Ängsten und bei 45 %
um die Annahme des Kindes. Mehr als jede dritte Frau benötigte eine Krisenintervention und fast jede vierte Frau wurde in ihrer Entscheidungskompetenz
gestärkt.
5. Anzahl der auffälligen Befunde bei ungeborenen und ungeborenen Kindern
Bei 54 Kindern wurde eine Behinderung bzw. Fehlbildung oder Erkrankung diagnostiziert. D.h. bei einem Drittel aller Frauen, die eine der drei Beratungsstellen
aufgesucht hat, wurde ein auffälliger bzw. unklarer Befund diagnostiziert.
Bei 24 % der Kinder wurde ein Herzfehler diagnostiziert;
bei 20 % Trisomie 18,
bei 17 % Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und
bei 11 % andere Fehlbildungen.
Alle anderen festgestellten Behinderungen, Fehlbildungen oder Erkrankungen
bei den Kindern lagen unter 10 %.
II
Befragung der Frauen
In einem begrenzten Zeitrahmen wurden Frauen gebeten, einen Fragebogen
auszufüllen. 32 Frauen haben sich an der Befragung beteiligt.
Im Wesentlichen ging es darum, herauszufinden, wie sie die psychosoziale Beratung bewerten. Zu folgenden Aspekten haben diese Frauen Aussagen gemacht:
•
•
•
•
•
•
Zentrale Anliegen für die Beratung
Einschätzung der ärztlichen Beratung
Gründe für die Erstberatung vor und während PND
Besonders hilfreiche Aspekte der Beratung
Zufriedenheit mit der psychosozialen Beratung
Einschätzung der Notwendigkeit der psychosozialen Beratung
Zentrale Anliegen für psychosoziale Beratung
43 % der Frauen wünschten Beratung zu Fragen rund um PND.
Ebenso viele Frauen wünschten eine Entscheidungshilfe für weiteres Vorgehen.
29 % der Frauen bedurften der Besprechung ihrer persönlichen Situation, wie z.
B. Fehlgeburt, partnerschaftliche oder familiäre Probleme.
21 % der Frauen hatte einfach ein Kommunikationsbedürfnis angesichts der Fragen, die sich aufgrund von PND für sie stellten.
Wie haben die Frauen die ärztliche Beratung eingeschätzt?
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Wir haben diese Frage unter anderem auch deshalb gestellt, um herauszufinden,
ob bei ausreichender ärztlicher Beratung ergänzend psychosoziale Beratung
erforderlich ist.
64 % der Frauen empfanden die ärztliche Beratung ausreichend.
Nach den Gründen gefragt, warum 35 % der Frauen die Beratung nicht ausreichend empfanden, antworteten diese:
• dass die Zeit beim Arztgespräch nicht ausreichte
Es fehlten
•
•
•
•
•
Verständnis für die persönliche Situation
psychische Unterstützung
detaillierte Informationen
Aufzeigen von Alternativen zur Amniozentese
Begründung für weitere Untersuchungen
Wenn Frauen in der Beratung sich hierzu äußern, sehen wir unsere Aufgabe darin, die Frauen zu ermutigen, ein weiteres Gespräch mit dem Arzt zu suchen. Wir
helfen ihnen, ihre Fragen herauszufinden und zu formulieren.
Für uns ist interessant, dass 64 % der Frauen die ärztliche Beratung ausreichend
fanden und ergänzend psychosoziale Beratung in Anspruch nahmen. Daran wird
deutlich, dass auch bei ausreichend ärztlicher Beratung ein signifikanter Bedarf
an psychosozialer Beratung besteht.
D. h. die psychosoziale Beratung ist eine wichtige und unverzichtbare Ergänzung
in der Begleitung schwangerer Frauen im Kontext von Pränataldiagnostik und medizin. Eine besondere Rolle spielt dabei, dass die Beratung eigenständig und
unabhängig vom ärztlichen System ist.
Welche Gründe nannten die Frauen für die Erstberatung vor und während
PND?
Für 75 % der Frauen war das Besprechen möglicher Konflikte, die bei einem auffälligen Befund entstehen, ein Grund für die Beratung.
60 % der Frauen suchten Möglichkeiten zum Nachdenken über die Beziehung zu
ihrem Kind und
30 % der Frauen nannten als Grund, über das Risiko einer Fehlgeburt bei Amniozentese sprechen zu können.
Was waren besonders hilfreiche Aspekte der Beratung?
43 % der Frauen nannten das Angebot von Unterstützungsmöglichkeiten.
39 % der Frauen fanden den "neutralen Platz", um über die eigene Situation zu
sprechen, hilfreich.
Für 39 % der Frauen war die Hilfe bei der Entscheidungsfindung wichtig.
36 % der Frauen empfanden das persönliche Eingehen der Beraterin auf ihre
Situation besonders hilfreich.
Für 29 % der Frauen war das Besprechen der Zukunftsperspektiven für sich und
das Kind ein wichtiger Aspekt, ebenso das Besprechen der familiären Situation.
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Wie zufrieden waren die Frauen mit der psychosozialen Beratung?
Alle Frauen betonten, dass die Beraterin Verständnis und Einfühlung zeigte.
89 % der Frauen fanden Antworten auf ihre Fragen.
93 % erlebten die Beraterin im Umgang mit ihren Fragen fachlich qualifiziert.
86 % fanden zufriedenstellend, dass sie angeregt wurden, ihre Situation aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.
Für 93 % der Frauen war die Beratungsdauer angemessen. In der Regel dauert
ein Beratungsgespräch eine Stunde.
96 % der Frauen bewerteten die Beratung insgesamt als sehr hilfreich und alle
Frauen würden die Beratungsstelle zu Fragen von PND weiterempfehlen.
Aussagen zur Einschätzung der Notwendigkeit von psychosozialer Beratung
93 % der Frauen hielten die psychosoziale Beratung für sehr wichtig.
Hierzu einige persönliche Aussagen der Frauen:
• Beratung hat sehr geholfen und neue Anstöße und Hilfen fürs Leben gegeben
• Gespräch war sehr hilfreich, besonders wichtig bei einem auffälligen Befund
• Keine Wartezeit, unkomplizierte Hilfestellung
• Hohes Entgegenkommen, Termingestaltung schnell und flexibel
• Gut zu wissen, dass es eine neutrale Stelle gibt, wo man über alle seine Probleme reden kann
• Es sollte mehr Beratungsstellen geben.
An diesen Aussagen wird nochmals deutlich, dass die psychosoziale Beratung
eine wichtige und notwendige Ergänzung zur ärztlichen Beratung ist.
III Befragung der Pränatalmediziner(innen)
Abschließend einige Aussagen von Pränatalmedizinern und -medizinerinnen zur
Bedeutung der psychosozialen Beratung.
Bei dem Interview der Mediziner und Medizinerinnen ging es um folgende Fragen
und Aspekte:
• Welche Gründe sehen Ärzte für den Hinweis auf psychosoziale Beratung?
• Welche Perspektiven sehen sie für psychosoziale Beratung vor, während und
nach PND?
• Grundsätzliches zu PND
• Aussagen zur gesellschaftlichen Einstellung
Die Interviews wurden von der wissenschaftlichen Begleitung im Rahmen des
Modellprojektes in einem face-to-face-Gespräch geführt.
Von 10 angefragten Pränatalmedizinern und -medizinerinnen wurden mit sieben
Interviews durchgeführt.
Die Pränatalmediziner und -medizinerinnen wurden gefragt, warum sie auf
psychosoziale Beratung verweisen. Hier einige Antworten:
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•
Die medizinische Beratung kann sich nicht oder nur wenig mit dem Bereich
der Konfliktbearbeitung, der Angst und den Unsicherheiten der betroffenen
Frauen / Paaren auseinandersetzen. Unterstützung kann die psychosoziale
Beratung auch da leisten, wo sich Frauen bisher möglicherweise kein eigenes Urteil gebildet haben, sondern die Meinung ihrer Familie / des Partners
übernehmen.
Ein Arzt brachte dazu folgendes Beispiel: Eine junge Patientin wurde von
der Familie so weit beeinflusst, dass die Beendigung der Schwangerschaft über eine medizinische Indikation ausgestellt wurde. Als die Patientin in der Klinik aufgenommen wurde, fiel auf, dass sie selbst die
Beendigung der Schwangerschaft eigentlich nicht haben wollte.
•
Frauen, bei denen ein pathologischer Befund vorliegt. Wenn Frauen die Diagnose über eine Behinderung des Kindes erhalten, ist das ein großer
Schock für sie: "Ihnen wird der Boden unter den Füßen weggezogen". Sie
sind nach der Diagnose meist nicht aufnahmefähig. Ihnen wird die Adresse
von esperanza genannt. Die Chance der psychosozialen Beratung wird darin
gesehen, dass "ein Nichtmediziner nochmals mit anderen Worten beschreibt,
was los ist und versucht, gemeinsam mit der Schwangeren oder auch dem
Paar einen Weg zu finden."
•
Wichtiges Angebot, wenn es um nicht medizinische Fakten geht, z. B. Ängste
in der Wartezeit, Ambivalenzen, ob das behinderte Kind ausgetragen werden
soll oder auch Unterstützung und Begleitung, wenn das behinderte Kind geboren wurde.
•
Nach der Geburt eines behinderten Kindes besteht Beratungsbedarf, da es
hier häufig zu Partnerschaftsproblemen kommt, oder sogar zur Trennung.
•
Es ist wichtig, dass den Frauen eine psychosoziale Beratung angeboten werden kann. Ärzt(inn)e(n) müssen dafür aber auch Konfliktsituationen von Patientinnen "erspüren", denn "meistens sprechen die Frauen ihre Konfliktsituation nicht von alleine an. Ich frage dann nach dem Umfeld und führe die Patientinnen langsam dorthin. Dann mache ich die Patientinnen auf das Beratungsangebot aufmerksam".
•
Generell ist die Beratung wichtig bei allen Konflikten im Rahmen der
Schwangerschaft, "nicht jedoch, ob eine PND gemacht wird oder nicht".
Erlauben sie mir zu der letztgenannten Aussage einen kleinen Einspruch.
Die Entscheidungsverantwortung für oder gegen weiterführende pränataldiagnostische Maßnahmen liegt bei der Frau bzw. dem Paar. Es hat sich gezeigt, dass die größte Anzahl der Frauen vor PND psychosoziale Beratung
gesucht hat. Sie sind in dieser Phase verunsichert, gerade auch in der Frage,
was sie tun werden, wenn ein auffälliger Befund vorliegt. Es stellen sich Fragen nach möglichen Konflikten, die bei einer Behinderung auftreten können.
Auch haben wir die Erfahrung gemacht, dass es zwischen den Partnern zu
Differenzen kommt: z. B., dass die Frau zu einem Nein tendiert und der Mann
unbedingt weiterführende Untersuchungen anstrebt. Diese Differenz zwischen den Partnern bedarf der Bearbeitung.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Die Beraterinnen müssen sich allerdings ganz auf die psychosoziale Dimension konzentrieren. Sie haben keine Befugnis, medizinische Fragen zu beantworten.
Lassen Sie mich an der Stelle noch etwas zur Ergebnisoffenheit der Beratung
sagen:
Die Pränatalmediziner und -medizinerinnen heben in der Befragung hervor, dass
ihnen die Ergebnisoffenheit der Beratung wichtig sei, dass allerdings nach dem
Ausstieg aus der Pflichtberatung der katholischen Beratungsstellen die Sorge
entstanden sei, die Beraterinnen würden nicht mehr ergebnisoffen beraten.
Hierzu möchte ich sehr deutlich sagen: Ergebnisoffenheit gehört wesenhaft zur
psychosozialen Beratung. Psychosoziale Beratung ist ein freiheitlicher Prozess,
in dem der Respekt vor der personalen Freiheit der Ratsuchenden konstitutiv ist.
Respekt vor der Freiheit bedeutet Respekt vor der Entscheidungsverantwortung
der Frau.
Zielorientierung und Ergebnisoffenheit widersprechen sich nicht, sondern sind
Essentials jeder psychosozialen Beratung.
Welche Perspektiven sehen die Mediziner und Medizinerinnen für die psychosoziale Beratung?
•
Sechs Mediziner(innen) sprechen sich für die Verankerung der Beratung vor,
während und nach PND in das Regelangebot von esperanza aus, dabei ist es
ihnen wichtig, dass die jeweilige Beraterin über aktuelle Fachkenntnisse verfügt: Es ist auf jeden Fall sinnvoll, dass dieser Bereich in den Schwangerschaftsberatungsstellen verankert bleibt, wenn die Mitarbeiterinnen in diesen
Beratungsstellen auf den neuesten Stand gebracht werden, und wissen, was
die ganzen Untersuchungen auch bedeuten. Eine entsprechende Fort- und
Weiterbildung der Beraterinnen ist unbedingt erforderlich. Ebenso müssen sie
Kenntnisse über Unterstützungsmöglichkeiten, wie Selbsthilfegruppen, finanzielle Hilfen und über andere Einrichtungen haben.
•
Es wird darauf hingewiesen, dass die wenigstens Patientinnen wüssten, dass
sie einen Anspruch auf Beratung haben. Hier sei insgesamt eine stärkere Öffentlichkeitsarbeit notwendig.
Abschließend noch zwei Aussagen von PND-Mediziner(inne)n.
Eine Aussage zu PND selbst.
• Es ist wichtig, dass Bild von PND in der Gesellschaft "gerade zu rücken",
auch die positiven Seiten zu sehen, d. h. PND kann auch dazu verhelfen, Leben zu retten, da Risiken in der Schwangerschaft direkt erkannt werden können.
Beispiel: Durch eine PND-Untersuchung konnte erkannt werden, dass
das Kind schlecht versorgt ist und die Geburtseinleitung direkt geschehen musste. Wäre das nicht erkannt worden, wäre das Kind tot zur Welt
gekommen.
"Das ist mit ein Grund, weshalb Deutschland die niedrigste Neugeborenensterblichkeit der Welt aufweist. Die Frauen werden in Deutschland sehr gut
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betreut, dies ist jedoch sehr schwierig nach außen zu bringen. Dieser positive
Aspekt muss deswegen auch kommuniziert werden. Viele Frauen können
durch das Ergebnis auch beruhigt werden, die ansonsten in ihrer Schwangerschaft immer wieder Zweifel haben, ob ihr Kind gesund ist und dies wirkt
sich nicht positiv auf den Schwangerschaftsverlauf aus."
Die zweite Aussage bezieht sich auf die Einstellung der Gesellschaft zu Behinderungen
•
Es wird betont, dass Frauen oft unter Druck stehen. Sie selbst können es
sich zwar vorstellen, ein Kind mit Behinderung zur Welt zu bringen, sehen
sich aber der Kritik der Familie, des Partners, der Gesellschaft ausgesetzt. Sie werden auf ihre Verantwortung hingewiesen, und diese heißt
Abbruch unter dem Motto "das kannst du nicht verantworten, nicht gegenüber deiner Familie, deinen anderen Kindern, der Gesellschaft gegenüber, Verantwortung heißt hier nicht Verantwortung für das ungeborene Leben". Diese gesellschaftliche Entwicklung hält der Arzt für sehr
problematisch, "das Verständnis der Gesellschaft, ein behindertes Kind
zu bekommen, ist nicht vorhanden". Auch hier könnte gerade eine katholische Beratungsstelle wichtige Arbeit leisten.
Mir bleibt nur noch, Ihnen zu danken für Ihre Aufmerksamkeit, verbunden mit
dem Wunsch, dass von dieser Fachtagung tatsächlich Impulse ausgehen, die die
Einstellung und Haltung in unserer Gesellschaft zu Menschen mit Behinderung
mit beeinflusst, so dass Frauen und Paare in schwierigen Grenzsituationen von
einem tragfähigen Netz aufgefangen werden.
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Sanja Draschner
Beispiel für interprofessionelle Kooperation - Erfahrungen aus dem
Modellprojekt
- in einer niedergelassenen Praxis
Thema des Vortrags
Praxisteam
Als ich vor drei Jahren nach 10jähriger Krankenhaustätigkeit eine kleine Praxis
übernommen habe, war es von Anfang an mein Wunsch, mir ein berufsübergreifendes Team zusammenzustellen, da ich persönlich gerne im Team arbeite, vor
allem wenn man die Möglichkeit hat, Gleichgesinnte dafür gewinnen zu können.
Arbeitsinhalte
Diese Folie zeigt Ihnen in der Übersicht die jeweiligen Schwerpunkte sowie die
Schnittstelle der jeweiligen Arbeitsbereiche. Dadurch, dass wir gemeinsam zeitlich und räumlich für die Schwangeren präsent sind, erleben die Schwangeren in
besonderem Maße das Ergänzen der medizinischen und sozialen Angebote. Wir
wollen dadurch vermeiden, dass eine Schwangere in einzelne Problembereiche
zerlegt wird, wofür sie sich dann bei verschiedenen Institutionen Hilfe suchen
muss.
Praxisablauf
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Um einen kontinuierlichen Informationsaustausch zu gewährleisten, haben wir
die Sprechzeiten so organisiert, dass die Hebammensprechstunde sowie die
Beratungen durch Frau Schleppe während der normalen Praxissprechzeiten
stattfinden. Alle Termine werden zentral über die Arzthelferin vereinbart und koordiniert. Unsere gemeinsame Anwesenheit hat den Vorteil, dass unmittelbar vor
oder nach Beratungen bei Bedarf immer noch einmal Rücksprache mit mir gehalten werden kann, oder wir auch gemeinsam die weitere Betreuung der betroffenen Frau (auch mit der Frau selbst) planen können.
Infomaterial
Um den Schwangeren von Beginn an unsere Kooperation zu vermitteln, bekommen alle Schwangeren nach Feststellung der Schwangerschaft mit dem Mutterpass ein Praxis-Infoheft und einen Info-Flyer als Einleger in den Mutterpass.
Das Praxis-Infoheft beinhaltet eine kurze Übersicht über den Ablauf einer normalen Schwangerschaftsvorsorge und informiert über mögliche Zusatzuntersuchungen und Wunschleistungen.
Der Info-Flyer von esperanza soll darüber hinaus noch einmal verdeutlichen,
dass jede Schwangere ein Recht auf Beratung hat in allen Fragen rund um
Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft.
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Inhalt Infoheft
Diese Folie zeigt Ihnen den Inhalt des Praxis-Infoheftes.
Mir ist es wichtig, dass neben den geläufigen medizinischen Informationen für die
Schwangere unser Team mit Namen und Funktion als Ganzes erscheint.
Kooperationsvertrag Seite 1
Da diese Arbeitsweise auf große Resonanz bei den Schwangeren gestoßen ist,
arbeiten wir jetzt seit zwei Jahren in diesem Modell zusammen.
Daraufhin haben wir diesen Sommer eine schriftliche Kooperationsvereinbarung
verfasst, die unsere Arbeit der letzten zwei Jahre reflektiert.
Die psychosoziale Beratung ist fester Bestandteil im Angebot unserer Praxis. Die
Beratung findet regelmäßig zu festen Sprechzeiten statt, dafür werden Praxisräume zur Verfügung gestellt. Die Frauen werden informiert, dass außerdem Beratungen im Büro von esperanza stattfinden können, ggf. auch kurzfristig.
Mit dem Mutterpass und der Praxis-Info wird immer der esperanza-Flyer "Mein
Recht auf Beratung" an die Schwangere ausgegeben.
In regelmäßigen Teamtreffen, d. h. Hebammen, Arzthelferin, Frau Schleppe und
mir, wird unsere gemeinsame Arbeit reflektiert und Ideen für Verbesserungen
ausgetauscht.
Unser Ziel ist dabei die ganzheitliche Beratung und Betreuung von Frauen, insbesondere bei Fällen, die über die schulmedizinische Diagnostik und Therapie
hinausgehen.
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Kooperationsvertrag Seite 2
Es wird auf das Angebot der psychosozialen Beratung im Rahmen der Pränataldiagnostik hingewiesen, ebenso auf die weiteren Hilfsangebote wie Beratung bei
Fehl- und Totgeburt, Konfliktschwangerschaft oder auch Hilfen bei persönlichen
Notlagen. Dieses Beratungsangebot stellen wir auch Nicht-Schwangeren zur
Verfügung.
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Folie 9 - Zielgruppen
Hier ist zum Schluss noch eine beispielhafte Auswahl an möglichen Zielgruppen.
Fazit
Frau Schleppe wird Ihnen jetzt einen Fall einer Schülerin aus unserer Praxis vorstellen, bei der zunächst die Problematik einer ungeplanten Schwangerschaft im
Vordergrund stand und dann im Verlauf die Diagnose einer Fehlbildung des ungeborenen Kindes dazukam, so dass die minderjährige Schwangere mit der ganzen Palette der Pränataldiagnostik konfrontiert wurde.
Frau Schleppe wird Ihnen diesen Verlauf aus ihrer Beratungssicht vorstellen.
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Bettina Schleppe
Kooperationsbeispiel in niedergelassener Praxis
Der beschriebene Fall zeigt die sinnvolle Ergänzung der Beratung zur medizinischen Betreuung, so dass ganzheitliche Versorgung der Schwangeren gewährleistet ist. Alle Daten, Namen sind selbstverständlich verfremdet.
1.
Rahmenbedingungen der Beratung
In diesem Fall weist Frau Draschner die schwangere Melanie Kreutzner auf das
psychosoziale Beratungsangebot von esperanza in der Arztpraxis hin, was diese
interessiert aufnimmt und dann mit der Sprechstundenhilfe einen Termin vereinbart.
Mit Frau Draschner findet vor dem ersten Beratungsgespräch Kooperation
durch ein kurzes Informationsgespräch statt, so dass ich weiß, was mich erwartet. Ebenso erfolgt ein knapper Austausch nach der Beratung.
Während der ganzen Begleitung der Schwangeren in der Schwangerschaft, findet ein regelmäßiger Austausch (Telefonate, Mails, Briefe) mit Frau Dr.
Draschner zur Abstimmung der Vorgehensweise oder Rückmeldung von Zwischenergebnissen statt.
Die Voraussetzung für den Austausch ist, dass Schweigepflicht im gesamten
Praxisteam besteht, die mich mit umfasst.
Ebenso erhalte ich im ersten Kontakt eine Schweigepflichtentbindung von der
Klientin.
Während der fortlaufenden Beratung von Melanie in ihrer Schwangerschaft berichte ich Frau Draschner von den Hilfen, die ich Melanie und ihrer Familie anbiete und Frau Draschner teilt mir das medizinische Befinden von Melanies ungeborenem Kind und der Kooperation mit der Schwerpunktklinik mit. Dieser fortlaufende Austausch ist Voraussetzung für eine gelingende Kooperation und bedarf
viel Zeit.
Gesprächsinhalte der psychosozialen Beratung werden kurz dokumentiert und
nach der erfolgten Schweigepflichtsentbindung mit zur Patientenakte geheftet,
ebenso erfolgt die Dokumentation für esperanza.
2.
Fall Melanie
Melanie ist 16 Jahre, besucht die 9. Klasse der Hauptschule und kommt aus sozial schwachen Verhältnissen. Der Kindesvater ist 19 Jahre alt, arbeitslos ohne
Schulabschluss und wohnt in einem anderen Ort, Internetbekanntschaft. Der
Kindesvater hat sich vor 2 Monaten von ihr getrennt, worunter sie sehr leidet. Die
Beziehung zu den Eltern ist insofern schwierig, dass vor allen Dingen Melanies
Vater den Exfreund nicht akzeptiert. Die jüngere Tochter Melanie ist für die Eltern
immens wichtig, da sie zur älteren Tochter Simone keinen Kontakt mehr haben.
Die Schwangerschaft ist nicht geplant und erst in der 16. Schwangerschaftswoche diagnostiziert.
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3.
Genogramm
Es ist wichtig Melanies System zu kennen, um ihr zu helfen, für sie passende
Lösungen zu finden und die schon bestehenden Ressourcen zu erblicken und zu
bestärken.
4.
Vorstellung von zwei Beratungssequenzen
Ich habe die ersten beiden Beratungsgespräche ausgewählt, weil es einmal um
das Beispiel einer psychosozialen Beratung geht und beim zweiten Mal um die
Beratung zur Pränataldiagnostik.
4.1 Erstes Beratungsgespräch: Bekanntmachen der Schwangerschaft
Hier geht es erst mal um die Auftragsklärung? Was wollen Sie hier erreichen?
Die Mutter ist beim ersten Gespräch auf Wunsch der Tochter anwesend. Melanie
beschreibt, dass sie erst mal die Schwangerschaft gar nicht wahr haben wollte.
Die Mutter sichert ihr im Gespräch ihre Unterstützung zu. Sie spricht sich eindeutig für die Schwangerschaft aus. Melanie möchte dieses Kind bekommen,
wünscht sich auch von mir Unterstützung und möchte ganz viel wissen, was man
alles so in einer Schwangerschaft machen muss, hat ganz viele Fragen..., auf die
ich so konkret wie möglich eingehe (gesetzliche Leistungen, Vormund, finanzielle
Hilfe für Erstausstattung). Dann erzählt Melanie von ihrer Sorge, Angst, dass ihr
Vater sie nach Bekanntwerden der Schwangerschaft rausschmeißt. In der Beratung wird an Hand eines Rollenspiels eingeübt, wie sie es ihm sagen kann. Es
werden Optionen geschaffen, gemeinsam überlegt, was es für Alternativen gibt,
z. B. Mutter-Kind-Einrichtungen, also neue Lösungen konstruiert, die machbar
sind. Ebenso wird die Möglichkeit angeboten, nach Mitteilung an den Vater sich
mit esperanza direkt in Verbindung setzen zu können.
Ich biete weitere Unterstützung, Begleitung durch Angebot weiterer Beratungsgespräche, die von wertschätzender, prozessorientierter Haltung geprägt sind,
an.
Nach diesem Gespräch ist erst mal mein Auftrag beendet.
2 Monate später:
Frau Draschner ruft mich in der Beratungsstelle an und berichtet, dass beim Organultraschall bei Melanies Kind eine schwere Fehlbildung diagnostiziert wurde.
Die Prognose ist unklar bzgl. der Überlebensfähigkeit ihres Kindes.
Melanie ist total durcheinander und hat einen weiteren Beratungstermin in der
nächsten Schwangerensprechstunde vereinbart. Sie wird wieder mit ihrer Mutter
kommen, da sie diese als Stärke braucht.
4.2 Zweites Beratungsgespräch: Bewältigung der Krise nach auffälligem
Befund
Melanie ist mittlerweile in der 25. SSW. Hier geht es erst mal nicht um das konkrete Krankheitsbild, den Befund, sondern darum, wie es ihr jetzt in dieser Situation geht, um ihr Befinden. Auf einmal muss sie nicht nur mit einer ungeplanten
Schwangerschaft umgehen, sondern mit der Unsicherheit leben, ob ihr Kind vielleicht im Bauch sterben wird oder nach der Geburt oder wenn es überlebt, wie
ein Leben mit diesem Kind aussehen kann.
Das Gespräch verläuft erst mal sehr schweigend. Auch die Mutter wirkt sehr bedrückt.
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Mein Arbeitsauftrag ist es, Melanie Raum zu geben, sie ernst zu nehmen mit ihren Ängsten und Sorgen. Auf die Frage, was ich im Moment für sie tun kann,
bittet sie mich, ihr zu helfen, ihr Kind zu beschützen. Sie hat Angst, fühlt sich so
ausgeliefert, die Konfrontation mit der Apparatemedizin erlebt sie als heftig, will
aber natürlich alles erdenklich Gute an Untersuchungen machen. Medizinische
Verständnisfragen werden direkt aufgeschrieben und es wird vereinbart, dass sie
diese bei der nächsten Vorsorgeuntersuchung mit Frau Draschner bespricht.
Unterstützung seitens der Beratung findet statt, indem sie mit Hilfe der Skalierung den Grad ihrer Sorge beschreibt und dann konkret überlegt, wie die Sorge
weniger werden kann. Eine Ressource, Aufbau von Schutz bedeutet für sie, dass
Angebot der Mutter, sie bei allen weiteren Kontrolluntersuchungen zu begleiten,
sie nicht alleine zu lassen.
Sie berichtet von ihren Träumen, die sie quälen. Sie hat Alpträume, das ihr Kind
blutüberströmt zur Welt kommt. Sie setzt sich das erste Mal mit dem Tod auseinander, fühlt sich sehr verunsichert. Sie kann sich nicht vorstellen, die Schwangerschaft vorzeitig zu beenden, auch mit dem Risiko, dass man nicht weiß, ob
das Kind bis zum Ende der Schwangerschaft überlebt.
Hier findet Entlastung statt, indem die Klientin über das Aufmalen ihres Traumes
zu sich selbe findet, Ängste bildhaft werden.
An dieser Stelle wird sie über das Angebot der Familienhebamme informiert und
nimmt einen entsprechenden Flyer mit. Sie wird sich überlegen, ob sie schon vor
der Geburt ihre unterstützende Hilfe in Anspruch nehmen möchte.
5.
Resümee
Melanie und ihre Mutter strahlen die ganze Schwangerschaft über eine große
Hoffung aus, dass das Kind es schaffen wird. Nicht zuletzt dank intensiver medizinischer Diagnostik und Behandlung. Melanie hat trotz der Fehlbildung des Kindes und ihres jungen Alters eine gute Beziehung zu dem Kind aufgebaut. Die
Prognose ist bis zum Ende der Schwangerschaft unklar, fortlaufend findet eine
engmaschige medizinische Betreuung durch Frau Draschner, Schwerpunktklinik
und der Hinzuziehung von Kinderärzten statt. Die vorzeitige Beendigung der
Schwangerschaft steht nie zur Diskussion.
Das Mädchen Lara ist mittlerweile geboren. Sie ist noch nicht über den Berg und
wird in den nächsten Jahren weiterhin intensive medizinische Behandlung benötigen. Mittlerweile sind unsere Beratungskontakte seltener geworden, ca. einmal
im Monat. Thema ist jetzt Annehmen der elterlichen Rolle und trotz Stütze der
eigenen Eltern, auch die notwendige Abgrenzung von ihnen. Ebenso muss die
Beziehung zum Exfreund neu überdacht werden, da sich ein Kontakt zu ihm wieder aufzubauen scheint.
Beratung und Tätigkeit der Familienhebamme und der Beraterin sind noch nicht
abgeschlossen. Auch als Beraterin weiß ich nicht, welche Themen noch kommen
werden, aber unterstützend ist es, dass Beratung und Begleitung bis zum dritten
Lebensjahr angeboten werden kann, die psychische Entlastung für die junge
Mutter und Familie bedeutet.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Hans-Peter Diemer
Beispiel für interprofessionelle Kooperation - Erfahrungen aus dem
Modellprojekt
- in einer Klinik
Das Marien-Hospital in Düsseldorf (MHD) ist das einzige katholische Akutkrankenhaus am Ort mit einer geburtshilflichen Abteilung. Als Geburtsklinik ohne Kinderklinik betreuen wir nahezu ausschließlich risikoarme, terminnahe Schwangerschaften und Geburten. In Düsseldorf gibt es ein Perinatalzentrum sowie ein
großes pränataldiagnostisches Institut, welche mit eigenen Beraterinnen arbeiten. Somit erfolgt an unserem Krankenhaus auch keine Pränataldiagnostik im
engeren Sinne.
Ausgangssituation MHD
y
y
y
geburtshilflich-gynäkologische Abteilung ohne Kinderklinik
keine Pränataldiagnostik im engeren Sinne
kein Schwangerschaftsabbruch
Als daher vor 2 ½ Jahren die Anfrage zur Teilnahme an dem Modellprojekt kam,
ergab sich zunächst die Frage nach der Notwendigkeit einer Kooperation mit den
katholischen Beratungsstellen. Als bei dem ersten Treffen der teilnehmenden
Kliniken und Beratungsstellen eine Bestandsaufnahme erfolgte, wurde die Situation an unserer Klinik durch die für uns zuständige Beraterin wie folgt beschrieben: „Vor der Krankenhauskapelle sind unsere Broschüren ausgelegt und im
übrigen sind alle ganz nett zu mir.“
Wie stellt sich nun die Situation aus Sicht der Klinik dar. Durch immer kürzere
Liegezeiten und zunehmend ambulanter Leistungserbringung bei abnehmenden
personellen Ressourcen ist die Möglichkeit eingehender Gespräche mit betroffenen Patienten immer schwieriger.
Klinikproblematik
y
y
y
y
kurze Liegezeit
zunehmend ambulante Leistung
Personalknappheit
Beratungsgespräch nicht codierbar, nicht DRG-relevant
Demgegenüber steht unser eigener Anspruch, dass kompetente Beratung zentraler Punkt ärztlichen Handelns sein muss. Hier bietet sich in der Kooperation mit
den Beratungsstellen eine Lösung an.
Unser Ziel war es, dass alle Frauen mit den unten genannten Diagnosen über die
bestehende Möglichkeit einer Beratung informiert werden. Bei Zustimmung sollte
innerhalb eines Tages der Kontakt zur Beratungsstelle hergestellt werden. Wie
die untenstehende Tabelle zeigt, haben wir folgende Indikationen für die Einleitung einer psychosozialen Beratung aufgenommen:
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Indikationen zur Schwangerschaftsberatung
¾
¾
¾
¾
¾
¾
¾
¾
¾
¾
¾
¾
¾
Fehlgeburt
Unerfüllter Kinderwunsch
Komplikationen nach pränataler Diagnostik
Konflikte vor und nach Pränataldiagnostik
Frühzeitiger Blasensprung
Hyperemesis mit psychosozialem Hintergrund
Vorzeitige Wehen mit psychosozialem Hintergrund
Intrauteriner Fruchttod
Totgeburt
Geburt eines Kindes mit Fehlbildungen oder Behinderungen
Wochenbettdepression
Schwere Geburtserlebnisse
In allen psychosozialen Krisensituationen:
„ Alleinstehende Schwangere
„ Minderjährige Schwangere
„ Materiell bedürftige Schwangere
„ Wunsch nach Adoption des Kindes
„ Wunsch nach anonymer Geburt
„ Partnerschaftsprobleme
Das Marien-Hospital ist nach DIN-ISO durch den TÜV Rheinland zertifiziert, der
Qualitätszirkel trifft sich monatlich. Um die Herstellung des Kontaktes zwischen
betroffener Patientin und der Beratungsstelle nicht dem Zufall zu überlassen,
haben wir die Beraterin in unseren Qualitätszirkel eingeladen, um gemeinsam
das Vorgehen abzusprechen und eine entsprechende Verfahrensanweisung in
unser Qualitätshandbuch zu übernehmen.
Entwurf einer Verfahrensanweisung für das Qualitätshandbuch
¾ Jede Patientin mit einer der o.g. Diagnose wird mündlich vom Pflegepersonal / von der Hebamme oder vom Arzt über die Beratungsstelle informiert.
¾ Die Patientin bekommt die Informationsbroschüre der Beratungsstelle.
¾ Diese mündliche und schriftliche Mitteilung wird im Pflegebericht
dokumentiert.
¾ Bei Interesse muss die Patientin ihre Einwilligung unterschreiben
(F-Datenschutzerklärung-esperanza).
¾ Die Beratungsstelle wird anschließend telefonisch informiert .
Für die Zukunft bleiben jedoch noch einige Probleme zu lösen.
Ein wichtiger Punkt war, in welcher Form die klinikeigene Seelsorge in dieses
Beratungsmodell integriert werden kann, ohne eine Konkurrenzsituation aufkommen zu lassen. In einem gemeinsamen Treffen zwischen den Klinikseelsorgern, der Beraterin von esperanza und dem zuständigen Arzt wurde ein Konzept
entwickelt, in dem die Klinikseelsorge sozusagen als „Notarzt“ das Krisenmanagement bei Konfliktsituationen vornehmen. Sie übernehmen sozusagen die Akutversorgung vor Ort, stabilisieren die Frauen in ihrer Not und stellen somit eine
„seelische Transportfähigkeit“ her. Dann erfolgt die Überleitung an die psychosoziale Beratung.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Was ist noch zu lösen
y
y
y
Einbindung der Klinikseelsorge
Überleitung an die psychosoziale Beratung
Mitteilung durch die Klinik an die Beratungsstelle
Gerade bei der kurzen Verweildauer von Patientinnen in der Klinik und ambulanten Patientinnen bietet die Kooperation mit den katholischen Beratungsstellen die
Möglichkeit, Frauen mit Schwangerschaftskonflikten in professionelle Betreuung
überzuleiten. Durch entsprechende Verfahrensanweisungen im Rahmen des
Qualitätsmanagements muss sichergestellt werden, dass bei den entsprechenden Diagnosen die Herstellung des Kontaktes zwischen betroffenen Frauen und
den Beratungsstellen sichergestellt ist. Die Einbindung der Klinikseelsorge als
„Akutversorgung“ ergänzt dieses Modell sinnvoll.
Margret Oslislo
Interprofessionelle Kooperation
- Erfahrungen aus dem Modellprojekt in der Klinik Zu Beginn des Projektes haben wir uns die Frage gestellt, welchen Gewinn haben die schwangeren Frauen, die Klinik wie auch die Beraterin durch das Angebot der psychosozialen Beratung während des Klinikaufenthaltes?
Neben der medizinischen Zuständigkeit für Pränataldiagnostik war für uns die
psychische Situation der betroffenen Schwangeren ausschlaggebend.
Was kann ich als Beraterin bieten in Abgrenzung zur Medizin?
Die anfangs von Herrn Professor Dr. Diemer dargestellten Indikationen treten in
der Regel unvorhergesehen auf. Die betroffenen Frauen haben nicht damit gerechnet.
Sie fühlen sich schlecht, sind von der Situation überwältigt, angespannt und aufgewühlt.
Sie können oft nicht sehen, wie es für sie weitergehen soll.
Die medizinischen Gegebenheiten sind vom Arzt in der Regel gut erklärbar und
in schneller Folge wird medizinisch das Notwendige getan und die Frauen sind
dankbar dafür.
Aber manchmal sind z. B. Tot- oder Fehlgeburt nicht abwendbar.
Einige Frauen halten dies für Schicksal, mit dem sie fertig werden müssen.
Viele aber machen sich Gedanken und fragen sich: Warum gerade bei mir? Warum gerade ich?
Von dem Schicksalsschlag überwältigt, sind Einschätzung und Ausdrucksmöglichkeiten oft eingeschränkt.
Kann die Patientin sich darauf einlassen, dass die Beraterin mit Ruhe und Zeit an
ihr Bett tritt, dann sind gegenseitiges emotionales Verstehen und Vertrauen vorrangig.
Häufig spielen Ängste vor dem Partnerverlust oder die weitere Lebensbewältigung eine wichtige Rolle.
Eine extreme Belastungssituation für eine Schwangere ist eine unerwartete Fehloder Totgeburt.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Ein solches Ereignis ist ein sehr tief wirkendes psychisches Trauma. In diesen
Fällen genügt nicht der ärztliche Hinweis am Krankenbett auf die Möglichkeit,
eine psychosozial-therapeutische Beratung in Anspruch zu nehmen. Vielmehr ist
es in solchen Fällen unerlässlich, dass die Beraterin sofort gerufen wird, um die
psychische Belastungssituation der Patientin zur Abwendung etwaiger Folgeschäden aufzufangen und eine Brücke zu bauen für die Fortführung der Beratung
nach Entlassung aus der Klinik.
Sowohl die psychosoziale Beratungsinstanz wie auch die in der Klinik befindliche
seelsorgerische Instanz haben die gemeinsame Aufgabe und Pflicht, in psychischen Notlagen der jeweiligen Patientin beizustehen. Die seelsorgerische Seite
kann auch im Akutfall stützend auf die seelische Notlage der Patientin eingehen.
Sie tut dies mit religiösem Auftrag und bietet, je nach Wunsch der Kindesmutter,
auch kirchliche Regelungen an wie zum Beispiel die Vorbereitung der Taufe eines Kindes, wenn dieses auf Grund seiner schweren Behinderungen wenige
Stunden oder Tage nach seiner Geburt versterben sollte.
Im Unterschied dazu wird die Beraterin die mögliche Traumatisierung der Patientin auffangen und in systematischen Schritten aufarbeiten. Durch therapeutisch
verankerte Interaktionen mit Heranziehung vielfacher – auch kreativer – Mittel
und Methoden der Soziotherapie und der systemischen Familienberatung wird
die Patientin an neue Möglichkeiten und neue Wege herangeführt, ihren großen
Verlust zu bewältigen und das künftige Leben mit neuem Sinn zu füllen. Es können verschiedene therapeutisch stützende Möglichkeiten zur Anwendung kommen, die zur vertieften Selbstreflexion bei der betroffenen Kindesmutter führen
und eine tragfähige, positive Basis für besseres Verstehen und Handeln entwickeln. Die angestrebte Stabilisierung der Patientin und das Herausarbeiten ihrer
weiteren Perspektiven werden sich dann über unterschiedlich lange Beratungszeiträume erstrecken.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Rainer Schmidt
Leben mit Behinderung – Grenzen als Chancen
1. Einleitung
Eigentlich ist das, was ich sage, gar kein Vortrag. Ich erzähle Ihnen einfach aus
meinem Leben. Ich bringe Ihnen meinen subjektiven Standpunkt nahe, meine
Perspektive.
Ich habe auch keine Folien mitgebracht. Das hat zwei Vorteile: Erstens, Sie werden mich anschauen und nicht die Wand. Ich möchte nämlich, dass Sie sich ein
Bild von mir machen. Gut, ich habe ziemlich kurze Arme, das werden Sie inzwischen bemerkt haben, aber das ist ja noch nicht alles. Ich habe auch blaue Augen und graue Haare. Und je länger Sie mich ansehen, desto eher bekommen
Sie eine Idee, wer ich bin. Machen Sie sich ein Bild von mir! Der zweite Vorteil,
ohne Folie zu reden, ist der: Ich kann doch einige Anekdoten streichen, ohne
dass Sie es merken werden.
2. Begrenzung gestaltet Identität
Jetzt aber zum Thema: Leben mit Behinderung – Grenzen als Chancen.
Vorweg: Ich wurde einmal gefragt, welchen Beruf ich gewählt hätte, wenn ich mit
Standardarmen leben würde. Wäre ich vielleicht Architekt geworden? Davon
träumte ich noch während des Abiturs. Aber das Arbeitsamt meinte, ich müsse
mindestens ein Jahr auf dem Bau arbeiten, oder eine handwerkliche Lehre machen. Vielleicht wäre ich heute auch Fußballspieler und hätte mit Tischtennis
nichts am Hut. Natürlich wollte ich als Kind gut Fußball spielen. Aber mit meiner
Beinprothese war ich nicht der Allerschnellste und Dribbelkönig hat mich auch
niemand genannt. Kurzum: Meine Begrenzung hat mich geprägt. Ich habe keine
Behinderung, so wie man ein Auto hat, sondern ich bin behindert. Ich bin mein
Körper. Das ist meine Identität. Ein kleines Beispiel: Schon von Kindesbeinen an,
haben mir Menschen hinterher geschaut. Ich bin es gewöhnt, angestarrt zu werden. Oft habe ich mich darüber geärgert. Doch dann kam ich ins Vikariat und in
die Predigerausbildung. Da musste man dann vor vielen Menschen auf die Kanzel steigen und sollte predigen. Alle meine Kollegen und Kolleginnen waren unglaublich nervös. Nur ich nicht. Die Situation, von allen angesehen zu werden,
verunsichert mich nicht mehr. Sie merken, meine Behinderung prägt meine Persönlichkeit. Meine Behinderung hat meine Identität geprägt.
3. Begrenzung als verbaute Chance
Leben mit Behinderung – Grenzen als Chancen: Viele Menschen bewerten eine
Behinderung negativ. Wie viele haben zu mir oder zu meinen Eltern gesagt: „der
arme Junge“.
Sie sehen in der Behinderung eine Belastung, eine Einschränkung, verwehrte
Chancen, verschlossene Türen, … . Und in der Tat: Ich würde auch lieber Standardarme haben und keine Beinprothese tragen. Behinderung heißt: Ich kann
etwas nicht. Und in seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten eingeschränkt zu sein,
ist nicht schön.
Darf ich Sie fragen, was glauben Sie, was ich nicht kann? Das ist jetzt keine rhetorische Frage. Ich frage Sie ernsthaft nach ihrer Vorstellung. Was glauben Sie,
kann ich nicht? Teilnehmende: „Sie können keine Schuhe binden.“ Schmidt:
„Richtig, meine Schuhe haben Klettverschluss oder gar keinen Verschluss.“ Teilnehmende: „Sie können nicht Auto fahren.“ Schmidt: „Doch, kann ich, aber natür70
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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lich ist mein Auto genau auf mich angepasst. Rechts neben dem Fahrersitz ist
eine Fernbedienung mit der ich Blinker, Licht und alles andere ansteuere. Übrigens ist Ihr Auto auch genau auf Ihren Körper angepasst. Das merken Sie, wenn
Sie in meinem Auto sitzen. Da kommen Sie viel schlechter an die Bedienelemente als ich.“
Ich verrate Ihnen mal eine Einschränkung, unter der ich wirklich gelitten habe.
Als Jugendlicher wollte ich unbedingt Klavier spielen. Ich habe mit anderen gesungen und einer hat uns am Klavier begleitet. Was habe ich den beneidet. Ich
habe mir so ein kleines Keyboard gekauft und mit einem Arm Melodien gespielt,
dann mit dem zweiten Arm und einem Stift im Mund Akkorde. Aber dann konnte
ich nicht mehr singen. Also habe ich es aufgegeben. Ich kann nicht Klavier spielen! Darf ich mal fragen: Wer von Ihnen kann nicht Klavier spielen? (Viele Arme
gehen hoch). Das ist ja schrecklich! Sie sind alle in dieser Fähigkeit eingeschränkt! Fühlen Sie sich alle behindert? Ja, es ist wohl so: Wir Menschen sind
begrenzt. Als Babys sind wir sogar extrem behindert. Wir können nicht laufen,
nicht sprechen, nicht alleine essen: 100%iger Pflegefall. Und im Alter ereilt uns
oft genug das gleiche Schicksal. Da bauen wir ab und unsere Fähigkeiten werden kleiner.
Sie merken schon, wir alle sind in unseren Fähigkeiten begrenzt. Meine Schwester zum Beispiel: Die gilt allgemein hin als nicht behindert. Ich bin nicht sicher, ob
das stimmt. Meine Schwester kann keinen Ton gerade singen. Reicht das für
eine Behinderung? Ich meine ja, denn sie leitet einen Kindergarten und natürlich
gibt es dort auch musikalische Früherziehung. Allerdings nicht durch meine
Schwester. Da lässt sie sich von Kolleginnen helfen.
Wir alle sind in unseren Fähigkeiten eingeschränkt, aber nicht immer leiden wir
darunter. Ich kann zum Beispiel nicht Bergsteigen. Das ist mir völlig egal. Ich
wollte es nie können. Nun gut, ich komme aus dem Oberbergischen. Der höchste
Hügel hat etwas weniger als 500 Meter. Wäre ich in den Alpen geboren worden,
hätte ich vielleicht unter dieser Einschränkung gelitten. Etwas nicht zu können,
bedeutet nicht automatisch, dass man darunter leidet.
4. Begrenzung als Chance
Viele Menschen empfinden Einschränkungen als die Katastrophe schlechthin. Es
muss aber nicht so sein. Für mich ist die Behinderung kein Desaster mehr. Sie
hat ihren Schrecken verloren. Ja, ich will sogar formulieren, dass mein Anderssein auch Positives hatte und hat. Ich habe aufgrund der Auseinandersetzung mit
meinen Grenzen eine besondere Lebensperspektive. Die Behinderung hat mich
leben gelehrt. Drei Dinge will ich nennen.
4.1 Ich weiß, ich kann nicht alles
Als Jugendlicher bin ich zuweilen an meine Grenzen gestoßen. Das tat weh.
Beim Fußballspielen wurde ich immer als Letzter gewählt. Fahrradtouren konnte
ich nicht mitmachen. Mein Fahrrad hatte Stützräder und ich konnte nur mit dem
linken Bein treten. Das heißt, ich war so langsam, dass ich allen die Freude verdorben hätte und das wollte ich nicht.
Ich habe gelernt, meine Begrenzungen zu akzeptieren. Manchmal muss man
eine Grenze akzeptieren, damit man am Leben nicht verzweifelt. Heute leiden
viele Menschen unter ihrer Unvollkommenheit. Ich glaube, wir fallen auf die Vorstellung herein, alles sei möglich. Mädchen empfinden sich als nicht hübsch genug. Die Zahl der Schönheitsoperationen bei unter 25-jährigen ist in den letzten
Jahren sprunghaft angestiegen. Oft sind es sogar diejenigen, die andere schön
finden, die selbst mit sich unzufrieden sind. Ich weiß, dass ich nicht alles kann
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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und nicht allen Idealen entspreche. Das ist ein heilsames Wissen, eine „gesunde“
Einstellung zum Leben. Ich habe das schon in meiner Jugend gelernt. Eine wichtige Erfahrung müssen Sie allerdings machen, um das zu lernen. Sie müssen
Menschen begegnen, die sie nicht vor allen Dingen an Ihren Leistungen messen
und beurteilen. Menschen, die sie schlicht mögen wie sie sind. Grundlose Sympathie. Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Fähigkeiten. Wer als Mensch
akzeptiert ist, der kann auch seine Schwächen akzeptieren. Mein Dank gilt allen,
die in mir keinen Behinderten gesehen haben, sondern ihren Freund Rainer. Sie
haben mich gelehrt, meine Grenzen zu akzeptieren.
4.2 Ich kann nicht nichts
Was hat mir außerdem geholfen, an meinen Unfähigkeiten, etwa nicht Klavier
spielen zu können, nicht zu verzweifeln? Ich glaube, es waren meine Fähigkeiten. Wenige Jahre vor meinem Klavierfrust hatte ich begonnen, Tischtennis zu
spielen. Schnell bin ich besser geworden. Und damit habe ich mich getröstet: Du
kannst nicht nichts. Ich habe mich auf meine Stärken konzentriert, statt mich
stets mit meinen Einschränkungen zu beschäftigen. Ich habe Gaben, bin begabt.
Meine Behinderung hat mich auch zur Dankbarkeit gebracht. Für mich ist mein
Lebensglas halbvoll, nicht halbleer. Ich freue mich an den Möglichkeiten meines
Lebens und akzeptiere die Grenzen.
So, jetzt kommt ein kurzer Werbeblock: Meine Nichte Ronja hat mir die Augen
geöffnet: Meine kurzen Arme stellen nicht nur eine Einschränkung dar. Zuweilen
können sie sogar eine Gabe sein. Zitat Seite 64f aus dem Buch: „Lieber Arm ab
als arm dran“: Habe ich gerade dargelegt, dass jede Gabe eine Aufgabe braucht,
so möchte ich Sie nun für den Gedanken gewinnen, dass jede Beschränkung
auch zur Begabung werden kann. Es hängt ganz von den Lebensumständen ab.
An einem Weihnachtsfest machten die Familie meiner Schwester und ich einen
Winterspaziergang. Nach einer Schneeballschlacht hatte meine Nichte Ronja
eiskalte Hände. Auch in den Handschuhen wurden ihre Finger nicht mehr richtig
warm. Da sah sie, wie ich meine Arme kurzerhand (kleines Wortspiel:-) in das
Innere meiner Jacke zurückgezogen hatte. Ich erklärte ihr, ich könne ganz leicht
meine Arme sogar bis in meinen Pullover einziehen. „Immer, wenn meine Arme
kalt werden, wärme ich sie an meinem Körper wieder auf“, sagte ich ihr.
„Manchmal sind kurze Arme ganz schön praktisch“, kommentierte sie. Da hatte
sie doch wahrhaftig herausgefunden, dass je nach Lebenssituation meine Einschränkung auch zum Vorteil werden konnte. Ein anderes Mal kam sie auf die
Idee, dass ich mich sicher nie beim Ausziehen eines T-Shirts mit meinen Armen
im Selbigen verheddern würde. Wir überprüften das in einem T-Shirt-um-dieWette-an-und-ausziehen-Wettkampf und ich gewann. Nun mögen sich die beiden
Beispiele kindlich naiv anhören. Ich meine aber, meine Nichte hat etwas Richtiges erkannt: Es kommt auch auf die Situation an, ob ich benachteiligt oder im
Vorteil bin. In manchen Lebensumständen wandelt sich eine vermeintliche
Schwäche zur Stärke. Ein Jockey mag in vielen Lebenssituationen an seiner begrenzten Körpergröße leiden, aber sitzt er auf einem Rennpferd, dann ist er klar
im Vorteil. Vermutlich fühlt sich der Zwerg da ganz groß.
Wäre ich Personalchef eines Parfümherstellers sähe ich mich nach blinden Mitarbeitenden um. Bekannterweise prägen sich die anderen Sinneswahrnehmungen besser aus, wenn einer der Sinne ausfällt. Ich selbst habe versucht, körperliche Schlagfertigkeit durch verbale zu ersetzen.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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4.3 Ich schäme mich nicht (Hilfe zu brauchen)
Ein drittes habe ich durch meine Begrenzung gelernt. „Ich weiß, ich kann nicht
alles“, zugleich „ich kann nicht nichts“ und schließlich „ich schäme mich nicht
(Hilfe zu brauchen)“.
Dieses Jahr ging ich als Häftling verkleidet zum Karneval. Ich entschied mich
stilecht für Turnschuhe. Die aber haben keinen Klettverschluss. Also zog ich mit
ungebundenen Schuhen los und traf glücklicherweise auf der Außentreppe meine Nachbarin Marina. Ich bat sie, die Schuhe zu binden und sie erfüllte meinen
Wunsch. Dann aber runzelte sich ihre Stirn: „Sag mal, Rainer, Du konntest doch
gar nicht wissen, dass ich hier draußen bin. Wärest Du mit offenen Schnürsenkeln in die Stadt gegangen? „Nein“ antworte ich: „spätestens an der Bushaltestelle wäre ich jemandem begegnet, den ich hätte fragen können.“ Darauf Marina:
„Du hättest einfach einen Fremden angesprochen? Das würde ich mich nicht
trauen.“ Ich: „Nun ja, ich kann es halt alleine nicht und deswegen lasse ich mir
helfen. Besser, als zu Hause zu bleiben.“ In viele Menschen ist die Vorstellung,
sie müssten alles alleine können tief verwurzelt. Ich will auch möglichst selbstständig sein und soviel wie möglich selber können. Aber stoße ich an meine
Grenzen, dann will ich mich nicht klein fühlen, wenn ich um Hilfe bitte. Angewiesen sein auf einen anderen Menschen muss keine Erniedrigung sein. Der Chef
braucht auch seine Schreibkraft, sonst überfordert ihn die Büroorganisation. Hilfe
zu brauchen und sich dabei nicht klein, unnütz oder gering zu achten, sollten wir
alle lernen. Es erleichtert das Leben ungemein und eröffnet neue Möglichkeiten.
5. Drei Schlussgedanken
5.1 Was ich lernte, tut allen Menschen gut
Ich habe es oft angedeutet, will es aber noch einmal explizit sagen. Was ich
durch die Auseinandersetzung mit meiner Begrenzung gelernt habe, tut jedem
Menschen gut. Überhaupt teile ich die Menschen nicht mehr in Menschen mit
und ohne Behinderung ein. Alle haben Einschränkungen und jeder weicht mehr
oder weniger stark vom Normalen ab. Die Beschäftigung mit den eigenen Grenzen, Unfähigkeiten und Schwächen kann heilsam sein.
5.2 Menschen scheitern an Behinderungen, warum ich nicht?
Ich sage bewusst „kann“ heilsam sein. Man kann auch an den Grenzen verzweifeln, scheitern und zugrunde gehen.
Wovon hängt es nun ab, ob wir Grenzerfahrungen bewältigen oder ob sie uns
bewältigt? Darüber denken wir nachher in Forum 4 nach. Allen anderen will ich
ausdrücklich auf zwei Erfahrungen verweisen, die auch schon zur Sprache kamen.
Erstens: Wer an seine Grenzen stößt, braucht Menschen die einen mögen. Zuneigung trotz „Unfähigkeit“. Also, gefühlte Unfähigkeit meine ich. Kein Mensch ist
gänzlich zu nichts fähig. Auf den Punkt gebracht: wer geliebt wird, kann sich so
akzeptieren wie er ist. Wer verachtet wird, verachtet sich selbst.
Zweitens: ich kann was! Menschen müssen entdecken, dass Begrenzung nur
eine Wahrheit ist. Begabung ist ebenso wahr. Um das zu entdecken, brauchen
wir zu bewältigende Herausforderungen, nicht Überforderungen. Die Grenzerfahrung wird durch die Überwindung der Grenze zu einer Erfolgserfahrung.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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5.3 Mein Vortrag war nicht ergebnisoffen
Sie haben gemerkt, mein Vortrag war nicht ergebnisoffen. Für mich stellen nicht
Behinderungen, sprich Begrenzungen das eigentliche Problem dar, sondern die
Utopie, wir könnten alle Behinderungen loswerden. Oft genug werden wir aber
nur die Embryonen mit Behinderungen los.
Das Gesetz ist übrigens auch nicht ergebnisoffen. Grundsätzlich ist jedes ungeborene Leben zu schützen. § 218 b nennt als Ausnahme nur die Gefährdung des
Lebens der Mutter oder eine starke Beeinträchtigung der Gesundheit der Mutter.
Gefährdet die Geburt eines Babys mit Down-Syndrom oder eines mit kurzen Armen wirklich das Leben der Mutter? Wir sollten dringend wieder das Gesetz bei
seinem Wortlaut nehmen.
So, jetzt habe ich lang genug geredet. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Foren
Forum 1 "Aufbau von Kooperationen / Umgang mit den Schnittstellen
zwischen Medizin und psychosozialer Beratung
Mitwirkende: Christian Wilhelm
Gesine Habermann
Elisabeth Müller
Gisela Pingen-Rainer,
Christian Wilhelm
In eigener Frauenarztpraxis mit dem Schwerpunkt Pränatalmedizin versuche
ich, von ärztlicher Seite den betroffenen Schwangeren die Möglichkeiten der Kooperation mit ärztlichen Kollegen wie Humangenetikern, Kinderärzten oder Klinikärzten aufzuzeigen. Zusätzlich hat sich in den letzten Jahren die Zusammenarbeit mit psychosozialen Beratungsstellen erfreulich entwickelt, nicht zuletzt
durch den Aufbau von persönlichen Kontakten. So wird inzwischen Schwangeren
die Beratung bei persönlichen, psychosozialen und Partnerschaftsproblemen
ebenso angeboten wie nach Feststellung einer Erkrankung des Ungeborenen.
Für den Aufbau von Kooperationen lassen sich folgende Merkmale als besonders wichtig beschreiben
• Eine Tätigkeitsbeschreibung hilft, Verständnis und Vertrauen zwischen den
einzelnen Professionen herzustellen. Wer noch nie bei einer pränatalmedizinischen Untersuchung bzw. Beratung dabei war, kann nur schwer die Möglichkeiten und Probleme erkennen, um die es geht. Es muß definiert werden, welches medizinische bzw. ärztliche Aufgaben sind, wann eine Information bzw.
Einbeziehung von Hebammen oder psychosozialen Beratern wünschenswert,
sinnvoll oder notwendig erscheint.
• Erst dadurch kann ein Vertrauensverhältnis entstehen, das auch einen für
beide Seiten notwendigen Informationsaustausch möglich macht.
Der Aufbau von Kooperationen ist in einzelnen Modellprojekten auf gutem Wege, es hat sich gezeigt, dass ein solches Netz auf lokaler Ebene am besten aufgebaut werden kann.
Gesine Habermann
"Man braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen" (afrikanisches Sprichwort)
Das gilt meiner Meinung nach auch für die Schwangerschaft.
Die Frau/das Paar erlebt in dieser Phase des Übergangs zur Elternschaft die
ganz normalen Unsicherheiten, schon ohne Überlegungen zu PND.
Seien wir uns bewusst, was und wie wir etwas in dieser biografisch, ja existenziell wichtigen Zeit der Frau und dem Paar anbieten.
Die Tätigkeit der Hebamme steht für individuelle Begleitung der Schwangeren
bzw. der Mutter von (Fach-)Frau zu Frau und für die Unterstützung der MutterKind-Beziehung.
Hebammenleistungen sind: Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen,
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Schwangerenberatung, Hilfe bei Schwangerschaftsbeschwerden, Betreuung bei
der Geburt und danach, und zwar bis zur 8. Woche; bei Bedarf und Vorliegen
einer ärztlichen Verordnung auch darüber hinaus.
Originäres und typisches Merkmal sind die Hausbesuche. Die schwangere Frau
kann sich sicher fühlen in ihrer eigenen Umgebung und eine vertrauensvolle und
selbstbestimmte Beziehung aufbauen.
Die Hebamme lernt die Frau mit und in ihrem familiären und sozialen Umfeld
kennen. Eine Hebamme bietet Gespräche an, die auch mal eine Stunde dauern
können. Und sie sitzt am Bettrand neben der Schwangeren, um Bauch und Kind
abzutasten. In dieser Situation der persönlichen Zuwendung und Akzeptanz kann
die Frau Zugang zu ihren Gefühlen und Gedanken finden.
Hebammen können Atem- und Entspannungsübungen anleiten. Diese und evtl.
andere Methoden, z. B. Phantasiereisen können je nach Qualifikation der Hebamme eingesetzt werden, um die Frau bei ihrer Entscheidungsfindung zu begleiten.
Wie kommt der Kontakt zur Schwangeren zustande?
In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle haben Frauen vor Inanspruchnahme
von Pränataldiagnostik gar keinen Kontakt zu einer Hebamme.
Die Mutterschaftsrichtlinien sehen leider keinen Hinweis im Mutterpass auf das
Recht auf Hebammenhilfe vor, wie unser Berufsverband seit Jahren fordert. Nur
sehr gut informierte Frauen suchen früh in der Schwangerschaft eine Hebamme
auf - meist sind es die, die eine Hausgeburt planen oder das zweite Kind erwarten und genau wissen, was sie wollen und nicht wollen. Hier wäre eine Vernetzung zwischen Ärztinnen und Ärzten und Hebammen oder Beratungsstelle wünschenswert. Vereinzelt gibt es diese Zusammenarbeit auf der Basis persönlicher
Bekanntheit oder im Rahmen von Praxiskooperationen. Das Hebammen-Netzwerk Köln e. V. versucht, flächendeckend seine Flyer in Gynäkologenpraxen
auszulegen. Häufig erleben wir Frauen, die von einem unklaren oder positiven
Befund überrascht werden, da ihnen jetzt erst klar wird, in welchem Entscheidungsdilemma sie sich befinden. Eine Vernetzung zwischen Beratungsstelle und
Gynäkologen ist hier besonders notwendig. Über esperanza werden Kontakte zur
Hebamme vermittelt. Viele Frauen suchen - natürlich - keinen Geburtsvorbereitungskurs (und kontaktieren keine Hebamme), während sie in der Warte- oder
Entscheidungssituation sind, eher eine Beratungsstelle. Die meisten Erfahrungen
habe ich persönlich mit Frauen bzw. Paaren, die sich für das behinderte Kind
entschieden haben, und mit Schwangeren, die nach der Diagnose „nicht lebensfähig“ das Kind bis zu seinem Tod austragen wollen.
Elisabeth Müller
Ich möchte noch einige kurze Anmerkungen zur psychosozialen Beratung im
Kontext von Pränataldiagnostik machen:
Psychosoziale Beratung (PB):
spricht Frauen und Männer gleichermaßen an
geht immer auf das Anliegen der Ratsuchenden ein und begegnet ihnen mit Wertschätzung
ist als Ergänzung zur medizinischen Beratung zu verstehen
findet ohne Zeitdruck statt, bezogen auf die Beratung an sich
hilft Eltern, hoch belastende Lebensereignisse, wie einen pathologischen Befund zu verarbeiten und wieder entscheidungs- und handlungsfähig zu werden
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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-
ist lösungs- und ressourcenorientiert und unterstützt Eltern in ihrer eigenen Kompetenz
ist zielorientiert und ergebnisoffen
bietet Begleitung in allen Phasen von PND und bis drei Jahre nach
der Geburt des Kindes, nach Fehl- oder Totgeburt und nach einem
Schwangerschaftsabbruch
Im Folgenden nun möchte ich einmal exemplarisch darstellen, an welchen
Schnittstellen es aus unserer Sicht für die verschiedenen Professionen sinnvoll
sein kann, psychosoziale Beratung einzubeziehen und umgekehrt, wann wir es
für sinnvoll halten, an andere Professionen zu verweisen oder diese mit einzubeziehen.
Vor PND:
Beispiel: Klientin in der 10. Schwangerschaftswoche hat 3-jähriges
Kind mit Down-Syndrom, ist medizinisch bestens informiert und findet
für sich keine Klarheit. Sie ist verunsichert, ob und welche Untersuchungen für sie in Frage kommen und welche Konsequenzen ein auffälliger Befund haben würde.
In anderen Fällen sind Paare sehr unterschiedlicher Meinung, wollen aber zu
einer Entscheidung finden, die sie auch gemeinsam tragen können.
Deshalb ist es wünschenswert, dass betreuende Gynäkologen Frauen und Paare
den Weg in die psychosoziale Beratung frühzeitig möglich machen und über das
Angebot informieren. Erfahrungen zeigen, dass Empfehlungen von Ärzten in diesen Fällen gerne aufgegriffen werden.
Während der PND
erleben manche Eltern
- die Wartezeit auf den Befund als sehr belastend
- sind in großer Unruhe, halten Ungewissheit kaum aus
- und Frauen fühlen sich häufig in Distanz zu ihrem Kind
Hier kann es notwendig sein, dass wir als Ansprechpartnerinnen begleitend zur
Verfügung stehen
und es ist sinnvoll,
eine Hebamme einzubeziehen für
Entspannungsübungen und zur
Unterstützung und Förderung des Mutter – Kind – Kontaktes.
So wäre es sinnvoll, wenn betreuende Ärzte auch in dieser Phase daran denken,
Frauen / Paaren die begleitende Unterstützung anzubieten.
Nach einem pathologischen Befund
stehen manche Eltern unter Schock, geraten jedenfalls häufig in Konflikt, und
in der psychosozialen Beratung können sie mit ihrem gesamten Befinden
aufgefangen und angenommen werden.
Hier geht es eher um das Befinden und weniger um den Befund. Und dennoch sind für mich Kenntnisse von dem Befund wichtig und, bestenfalls,
dass ich für Rückfragen während des Gespräches zum betreuenden Pränatalmediziner Kontakt aufnehmen könnte.
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Eltern können Kenntnisse über gesetzliche und persönliche Unterstützungsmöglichkeiten, sowie Informationen über die Behinderung, Erkrankung oder
Fehlbildung ihres Kindes erhalten.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Ebenso können sie sich auch mit einem Schwangerschaftsabbruch auseinandersetzen.
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Nach einem pathologischen Befund kann es insbesondere um Fragen der
Bedingungen für die Geburt gehen und um Fragen der Behandlungsmöglichkeiten und Prognosen der möglichen Lebensqualität des Kindes, um Fragen zu Fördermöglichkeiten, aber auch um Schuldgefühle, Sinnfragen und
Fragen des Heilwerdens.
Hier finde ich es optimal, wenn Betroffenen ein multiprofessionelles Team zu all
diesen Fragen unverzüglich angeboten werden könnte, bestehend aus z. B.: KlinikgynäkologIn, Hebamme, NeurologIn, Kinderarzt/-ärztin, Frühförderung, SeelsorgerIn und psychosoziale Beraterin.
Für mich ist es eine herausfordernde Aufgabe, ein solches Team mit aufzubauen
und somit allmählich optimale Versorgungsstandards für Frauen / Paare mit zu
entwickeln.
Wenn ein Schwangerschaftsabbruch als Ausweg erwogen wird, sollen Eltern sich
auseinandersetzen können mit dem, was auf die Frau zukommt, womöglich eine
eingeleitete Geburt des Kindes. Dazu gehört auch der Abschied vom Kind. Sie
sollten Informationen über Bestattungsmöglichkeiten bekommen.
Aus diesem Grunde halte ich es für wichtig, dass allen Professionen, die Eltern
hierzu beraten und begleiten, Kenntnisse über die Standards in Kliniken zur Verfügung stehen, damit Eltern Orientierung und Unterstützung erfahren können.
Nach der Geburt eines Kindes mit Behinderung
wäre es sinnvoll, dass alle Professionen in der Geburtshilfestation sowie Klinikseelsorge und –sozialarbeit über das Beratungsangebot in Kenntnis sind und
einschätzen können, wann es für Eltern sinnvoll ist, die Beratung hinzuzuziehen.
Psychosoziale Beratung ist nun insbesondere eine Anlaufstelle für die Eltern persönlich, hier können sie sich ihren Gefühlen von Ohnmacht, Wut, Zukunftsangst,
Trauer um den unerfüllten Wunsch nach einem gesunden Kind widmen.
Und sie erhalten das Angebot zur Begleitung bei allen lebenspraktischen Fragen,
bis zum 3. Jahr nach der Geburt des Kindes.
In dem Zusammenhang könnte ich mir vorstellen, gemeinsam mit einem Geburtshilfeteam einer Klinik einen Flyer zu entwickeln, in dem alle Professionen
außerhalb der Klinik mit ihrem Versorgungsangebot kurz skizziert aufgelistet
werden, der den Eltern dann bei der Entlassung aus der Klinik mitgegeben werden kann.
Meine eigenen Grenzen in der Beratung sind dann gegeben, wenn Frauen /
Paare medizinische Fragen aufwerfen, die über meine Grundkenntnisse hinausgehen. Hier verweise ich an die Mediziner(innen), ggf. vermittle ich Kontakte oder
begleite Eltern im Einzelfall auch, bspw. wenn sie als Migrantinnen sprachlich
nicht gut versiert sind oder derart aufgeregt, dass sie nicht alles mitbekommen.
Beispiel: E.-M.
Wenn Frauen / Paare in der Frühschwangerschaft zu der Entscheidung kommen,
keine PND Angebote in Anspruch zu nehmen und sich auf ihr Recht auf Nichtwissen beziehen, dann setze ich sie auch in Kenntnis über die Möglichkeit der
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Schwangerenvorsorge durch eine Hebamme und vermittle ggf. zu einem Informationsgespräch.
Abschließend bleibt mir zu sagen, dass es mir ein Anliegen ist, dass Eltern in
allen Phasen von PND gut versorgt werden können und ich gerne multiprofessionelle Versorgungsstandards mit entwickeln möchte, die für die Professionen
untereinander und besonders für Frauen und Paare kurze Kommunikationswege
ermöglichen.
Gisela Pingen-Rainer, Protokoll
Das Forum wurde eröffnet durch Beiträge der Referent(inn)en. Zunächst erläuterte die freiberufliche Hebamme Frau Gesine Habermann ihren Ansatz von Beratung und Begleitung der Frauen, zu denen sie i. d. R. erst in der fortgeschrittenen
Schwangerschaft Kontakt hat. Da die Hebammensicht als Profession bisher nicht
auf der Tagung zu Wort gekommen war, legte Frau Habermann das Selbstverständnis ihrer Profession dar. Sie erläuterte, als Hebamme nahe an der Frau zu
sein, diese durch körperlichen und seelischen Beistand durch die Schwangerschaft und nach der Geburt des Kindes zu begleiten.
Frau Elisabeth Müller veranschaulichte die Schwerpunktsetzung und die Beratungsaufgaben im Kontext von Pränataldiagnostik in ihrer Arbeit als Beraterin bei
esperanza und in Kooperation mit der ärztlichen Praxis von Prof. Dr. Christian
Wilhelm, der bereits am Vormittag sein Aufgabenspektrum dargestellt hatte. Psychosoziale Beratung setze in allen Phasen von Pränataldiagnostik bei dem emotionalen Befinden und den Entscheidungsnöten an, die einerseits durch die Auseinandersetzung mit Fragen zur Inanspruchnahme von Untersuchungen und andererseits mit (unklaren) medizinischen Befunden bei der Frau und dem Paar
ausgelöst werden. Psychosoziale Beratung habe aber auch ihren Stellenwert vor
der Inanspruchnahme von Untersuchungen in der Schwangerschaft.
Prof. Wilhelm als Pränatalmediziner in eigener Praxis und Frau Müller von der
Beratungsstelle esperanza haben bereits Ende 2003 eine Kooperationsvereinbarung geschlossen und berichteten von ihren ersten positiven Erfahrungen der
Zusammenarbeit.
Die anschließende Diskussion und Fragen der Teilnehmer bezogen sich vor allem auf das Thema Kooperation der Professionen. Es wurde angefragt, welches
Beratungskonzept von Hebammen vertreten wird und wie sich dieses von der
psychosozialen Beratung unterscheide; hier gebe es Klärungsbedarf. Es gab ein
großes Bedürfnis der Teilnehmer(innen) konkret in Formen der Zusammenarbeit
zum Thema Pränataldiagnostik und Beratung der Schwangeren einzusteigen.
Besonders herausgestellt wurde die Schwierigkeit, einen Zugang zu niedergelassenen Gynäkologen zu finden. Die Bildung von öffentlichen Foren, Arbeitskreisen
und öffentlichen Veranstaltungen zum Thema „Vernetzung und Kooperation“ sowie „Umgang mit einem positiven Befund / diagnostizierter Behinderung“ (z. B.
Kinofilm, Podiumsdiskussion) wurden angeregt, um Kontakte zu anderen interessierten Professionellen aufnehmen zu können. Darüber hinaus gab es von ärztlicher Seite ein großes Interesse an der Bildung von Qualitätszirkeln mit anderen
Professionen, um die Versorgung in der Pränataldiagnostik qualitativ zu verbessern. Im Anschluss wurden im Forum erste konkrete Schritte zur Gründung eines
Qualitätszirkels geplant.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Forum 2 "Diagnoseeröffnung interdisziplinär gestalten"
Mitwirkende: Barbara Baier
Barbara Leube
Angela Kribs
Anke Fricke
Anke Fricke
Zunächst möchte ich nach Absprache mit Frau Dr. Baier, Frau Dr. Leube und
Frau Dr. Kribs unser Thema „Diagnoseeröffnung interdisziplinär gestalten“ etwas
erweitern. Es geht nicht nur um den Zeitpunkt der Diagnoseeröffnung, die selbstverständlich im Kompetenzbereich der Mediziner liegt, sondern darüber hinaus
um die daran anschließende Begleitung von Frauen und Paare in der interdisziplinären Zusammenarbeit.
Ich möchte kurz aus meiner Perspektive als psychologische und psychosoziale
Beraterin Erfahrungen berichten, die mich bewogen haben, in eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Pränataldiagnostikern, Humangenetikern, Pädiatern
und flankierenden Disziplinen wie z.B. Hebammen, Krankenhausseelsorgerinnen
und Elternvereine zu gehen:
Frauen und Paare, die sich in die Pränataldiagnostik begeben, befinden sich im
Prozeß des Elternwerdens. Ihr Lebensplan, ihre Vorstellung, eine Familie zu
gründen oder zu ergänzen nimmt Form an und hat begonnen Realität zu werden.
Sie haben bereits eine innere Repräsentanz (Vorstellung) von ihrem Kind. Der
Ultraschall macht zusätzlich die visuelle Wahrnehmung ihres Kindes möglich. Es
ist ihr Kind, das sich auf dem Bildschirm bewegt, sich für sie vital und gesund
zeigt. Ihr Kind wird zu einer Beziehungsperson. So gestimmt begeben sich Frauen und Paare in die Pränataldiagnostik.
So finden wir in der Pränataldiagnostik eine Situation wieder, die durch widersprüchliche Aufträge und Sprache definiert ist:
- Die Ärztin, der Arzt möchte so viel, wie möglich auf dem Bildschirm erkennen aber auch davor bewahrt werden, etwas Beunruhigendes zu sehen und die werdenden Eltern damit beunruhigen zu müssen.
- Die Frau / das Paar möchte einerseits auch, dass alles gesehen wird
(deshalb kommen sie), andererseits möchten sie nicht, dass etwas sichtbar wird, dass sie beunruhigen könnte.
- Das, was als positiver Befund bezeichnet wird, hat eine negative Bedeutung für die Eltern.
Warum halte ich mich mit dieser Beschreibung auf?
Meines Erachtens birgt das Setting der PND, in das sich Frauen, Paare, Pränataldiagnostiker(innen) und Humangenetiker(innen) begeben, bereits ein gewisses
Stresspotential in sich, weil es im Falle eines pathologischen Befundes dieses
eben beschriebene, nicht aufzulösende Dilemma inne hat. Es wird von allen Beteiligten Konfliktfähigkeit abverlangt.
Frauen, die durch die Schwangerschaft emotional höchst verletzbar sind, machen sich häufig diese Situation vorab nicht bewusst.
Mit der Eröffnung eines pathologischen Befundes über ihr Kind, ist für die
Eltern nichts mehr wie vorher. Die meist hoffnungsvoll erlebte Schwangerschaft
wird nun zu einem kritischen Lebensereignis.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Eine Krisensituation zeichnet sich auf der körperlichen und Erlebensebene u.a.
aus durch
- Adrenalinausschüttung
- Hohen Puls
- Eingeschränkte Wahrnehmung
- Kurzzeitige Regredierung
- Das Gefühl von Kontrollverlust
- Kurzfristigen Identitätsverlust
- Kuddelmuddel im Kopf (haltlose Verwirrung)
- Widerstand (Schweigen: “Diese Not versteht keiner“)
- Das Gefühl, in ein schwarzes Loch zu fallen
Das Bestreben, wieder in ein psychisches Gleichgewicht zu kommen (coping),
funktioniert nicht, weil die geläufigen, zur Verfügung stehenden Strategien, nicht
greifen.
„Kritische Lebensereignisse fordern zu Entscheidungen und Handlungen auf,
die nicht ausschließlich auf bisher erworbene Routinen zurückgreifen können,
sondern neue Verarbeitungsmodi und Problemlösungen erfordern“ (Oerter, 1994)
Bei der Diagnoseeröffnung haben wir demnach folgendes Szenario:
Durch die Schocksituation ist die Frau / das Paar nicht mehr für alle Informationen aufnahmefähig, obwohl sie Informationen haben möchten und brauchen.
Das führt für diejenigen, die die Diagnose eröffnen zu folgender Situation:
Was sie gesagt haben, muss die Frau / das Paar nicht unbedingt gehört
haben.
Und wenn sie es gehört hat / haben, heißt das nicht, dass sie es verstanden
hat / haben.
Warum werden die Informationen nur teilweise oder verzerrt aufgenommen?
Zum einen durch die Symptome, die durch den Schock wie oben beschrieben,
ausgelöst werden und zum anderen, weil sich die Aufmerksamkeit der Eltern
nach innen richtet, sie mit sich beschäftigt sind:
- Sie möchten begreifen, was los ist, fühlen sich dazu aber nicht in der Lage
„Du fühlst Dich wie in einem falschen Film“, „es ist als seiest Du in einen
falschen Zug eingestiegen, aber Du kannst nicht mehr aussteigen.“
-
Sie möchten wieder Kontrolle über ihre Emotionen und die Situation gewinnen.
Sie möchten so schnell, wie möglich eine Lösung ihrer inneren Spannung.
Sie möchten sich gehen lassen können und gleichzeitig Haltung bewahren.
Sie möchten kurzfristig die Verantwortung an eine Autorität abgeben.
...
In dieser Situation ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit gefragt, um die
Eltern in der aktuellen Krise aufzufangen und eine möglichst stabile Basis für die
weiteren Schritte zu ebnen. In dieser kritischen Phase bedarf es einer aufmerksamen sensiblen Kommunikation und Interaktion zwischen den Akteuren. Um die
erhaltenen Informationen sowohl mit dem Kopf (kognitiv) als auch mit dem Herzen (emotional) verarbeiten zu können, brauchen die Frauen / Paare jetzt Mentoren. Diese haben die Aufgabe, sie fürsorglich zu begleiten, sie darin zu unterstüt81
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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zen, ihr seelisches Gleichgewicht wiederzugewinnen, um eine verantwortliche
Entscheidung für ihre weitere Elternschaft zu treffen oder diese gegebenenfalls
aufzugeben. Hier greift die medizinische und psychosoziale Beratung ineinander.
Im Idealfall ist eine psychosoziale Beraterin bei der Diagnoseeröffnung anwesend, bzw. es kann eine Überleitung in die psychosoziale Beratung erfolgen.
An dieser Stelle sind je nach den Möglichkeiten vor Ort verschiedene Formen der
interdisziplinären Zusammenarbeit denkbar. Aus meinem Erfahrungsbereich
kann ich folgende Beispiele nennen:
- Angebot einer psychosozialen Sprechstunde in der Klinik
- Weitervermittlung der Frauen/Paare
aus der Klinik
aus humangenetischen Praxen
aus pränataldiagnostischen Schwerpunktpraxen in die Beratungsstelle, wenn
möglich mit direkter telefonischer Terminvereinbarung.
• Was kann die psychosoziale Beratung leisten?
Eine Krisen- oder Schocksituation kann zu emotionalen Blockaden führen. Die
Gefühle müssen sozusagen wieder durchlässig, der Zugang zu ihnen geöffnet
werden (Öffnung des inneren psychischen Raumes). Die psychosoziale Beratung
schafft eine „emotionale Rahmung“, d.h. die Beraterin erzeugt einen stabilen
strukturierenden Rahmen, der der Frau / dem Paar den Zugang zu ihren Gefühlen öffnet, Platz für Affekte gibt. Es kommt zur Spannungsregulierung und damit
einhergehend zum Stressabbau. Fragen, Gedanken, und Gefühle zur aktuellen
Situation können in Fluß kommen, ihr Zusammenspiel in Gang gesetzt werden
(Vorbeugung von Abspaltung).
• Die psychosoziale Beratung
In der interdisziplinären Zusammenarbeit setzt an
- als Krisenintervention nach Diagnoseeröffnung
- als Ergänzung bei einer interdisziplinären Diagnosemitteilung (Konzil)
- als Prozessbegleitung bei der Entscheidungsfindung
- als Auseinandersetzungsprozess vor in Anspruchnahme von Pränataldiagnostik
- als Begleitung zur Verarbeitung eines Schwangerschaftsabbruchs
Dabei können die bundesweit arbeitenden Beratungsstellen vom Sozialdienst
kath. Frauen und Caritas auf Netzwerke zurückgreifen, die Frühförderung, Familienentlastung und integrative Betreuungsformen anbieten.
Die Diagnoseeröffnung in der PND ist ein komplexes Geschehen von Informationsvermittlung und –verarbeitung durch Kommunikation und Interaktion. Für die
betroffenen Frauen / Paare kann sie im Falle eines pathologischen Befundes bei
ihrem Kind zu einem kritischen Lebensereignis werden.
Durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit wird den Eltern ermöglicht, die in
der PND erhaltenen Informationen kognitiv und emotional zu verarbeiten und sie
in ihren zukünftigen persönlichen Lebensplan zu integrieren. Eine sorgsame interdisziplinäre Begleitung vermittelt den Eltern die Annahme und Wertschätzung
ihres konfliktreichen Prozesses. Indem die Beraterin Orientierungsmöglichkeiten
eröffnet und die Entscheidungskompetenz der Eltern erweitert, leistet sie einen
Beitrag zur Übernahme von verantwortlicher Elternschaft.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Barbara Baier
Der Pränatalmediziner ist derjenige, der der Schwangeren möglicherweise eine
Problemdiagnose übermittelt, die sich beim Ultraschall herausstellt.
Die Reaktion der Schwangeren und ihrer Begleitung ist nicht vorhersehbar.
Der Pränatalmediziner ist auch meist nicht in Kenntnis darüber, welche Erwartungen und Sorgen, welche Vorkenntnisse und welche Einstellungen eine
Schwangere begleiten, wenn sie zum Ultraschall kommt.
Wir Pränatalmediziner wissen, dass sich viele Schwangere im Vorfeld nicht im
Klaren darüber sind und sich keine Gedanken darüber machen, welche Konflikte
sich aus einer möglichen Problemdiagnose ergeben.
Die Diagnoseeröffnung muss unverzüglich beim Ultraschall erfolgen, da der
Schwangeren eine Problematik nicht verheimlicht werden kann .
Eine Hinzuziehung anderer Disziplinen ist notwendig, um der Schwangeren einen umfassenden Überblick über eine mögliche Problematik, Prognose und Therapiemöglichkeit zu geben.
Diese Kontakte zu Kinderärzten, Kinderchirurgen und Kinderkardiologen, Humangenetikern etc. sollten möglichst schnell hergestellt werden.
Mit der Schwangeren ist zu besprechen, wie dieses am besten zu organisieren
ist.
Der Erst-Kontakt zu einer Beraterin in dieser Situation der Diagnoseeröffnung in
Hinsicht auf eine dann folgende und zu vereinbarende psychosoziale Betreuung
ist unseres Erachtens unerlässlich. Diese Betreuung kann aus unserer Erfahrung
fast nur befriedigend gelingen, wenn die Beraterin vor Ort den Erst-Kontakt herstellen kann.
Nach Mitteilung erfahrener Beraterinnen sollte die Beraterin bei der Ultraschalluntersuchung selbst nicht zugegen sein, um einen vertrauensvollen und offenen
Kontakt der Schwangeren zur Beraterin nicht zu behindern.
Ein schneller Kontakt der Schwangeren mit ihrem eventuell kranken Ungeborenen zu Betroffenen ist ebenfalls sinnvoll und notwendig.
Im Wissen um einen im Vorfeld eher sorglosen Umgang mit Pränataldiagnostik
seitens der Schwangeren wäre eine psychosoziale Beratung vor Pränataldiagnostik sinnvoll.
In dieser Beratung kann geklärt und bewusst gemacht werden, was möglicherweise ein Problembefund für die Schwangere bedeuten könnte.
Barbara Leube
Allgemeine Überlegungen
1. Psychosoziale Beratung sollte möglichst niedrigschwellig erreichbar sein
und eine „neutrale“ Bezeichnung haben („Schwangerenberatung“, „Familienberatung“?).
2. Mehrere medizinische Fachdisziplinen zusammen in einer Beratungssitzung sind wahrscheinlich nicht günstig.
3. Humangenetische und psychosoziale Beratung gemeinsam erscheint
prinzipiell möglich und wird andernorts auch durchgeführt (Bsp. Freiburg),
jedoch besteht auch hier das Problem des Informationsbedürfnis der
Schwangeren bei Terminvergabe (s. Beitrag Dr. Baier).
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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4. Optimal wäre eine interdisziplinäre Begleitung vor Diagnosemitteilung,
möglichst noch vor dem Einsatz pränataler Diagnostik, zumindest bei AZ,
CVS und Ersttrimesterscreening (siehe Dewald und Cierpka, DÄB 13,
A825-6: Vorschlag, Standardpaket bei der Schwangerenvorsorge aufzulösen), evtl. über „Infoabende“.
5. Besonderheiten des Ersttrimesterscreenings (bzw. Nackentransparenzmessung, Triple-Test), die eine besondere Begleitung wichtig erscheinen
lassen:
a) Es wird als IGel-Leistung nahezu allen Schwangeren angeboten
b) Die statistischen Hintergründe (s.u.) sind kaum einer Schwangeren
klar und nur schwer zu vermitteln, ein auffälliges Ergebnis wird in der
Regel in seiner Aussagekraft überbewertet.
c) Über die erste, in der Schwangerenvorsorge regelhaft vorgesehene
Ultraschalluntersuchung mit Beurteilung bzgl. eines „Nackenödems“
kann auch eine Schwangere in diese Untersuchung „hineinrutschen“,
die das ursprünglich nicht beabsichtigt hat.
Statistik des ETS (Falsch-positiv-Rate 5%, Erfassungswahrscheinlichkeit
für Trisomie 21 80-90%):
Von 10.000 Schwangeren um 35 Jahre bekommen 500 (5%) ein auffälliges Ergebnis. Von diesen 500 Frauen haben 20 ein Kind mit Trisomie 21, die restlichen
480 ein in dieser Hinsicht unauffälliges Kind. Außerdem haben 2-4 der 9500
Frauen mit unauffälligem Testergebnis ein Kind mit Trisomie 21, das durch den
Test nicht erfasst wurde.
Beispiel:
Ein werdender Vater berichtet von seinen Erfahrungen mit einer AZ nach
auffälligem Triple-Test:
2 Wochen nach Punktion rief uns das Krankenhaus an. Sie hatten das Ergebnis
der Fruchtwasseruntersuchung fertig: "ein XY ohne Chromosomenstörung" stand
auf dem Dokument. Uns fiel natürlich ein Stein vom Herzen. Mir selbst fiel ein
gewaltiger Klotz vom Herzen, aber meine Frau fand diese Erleichterung erst Monate später im Kreißsaal, wie ich erst kurz nach der Geburt erfuhr. Ein Dorn an
Zweifel saß tief und still in ihr fest und die erste Frage nach der Geburt war, ist
das Kind gesund. Die Sorge, ob nicht doch irgendetwas nicht ganz in Ordnung
ist, hat sie die ganze Zeit begleitet. Sie hatte mir davon nie etwas gesagt. Unser
Sohn kam am 06.07. eine Woche zu früh auf natürlichem Weg auf die Welt. Heute sind wir überglücklich, es ist das großartigste Kind auf der Welt. Vielleicht ist
es diese große Sorge um seine Gesundheit, die zu einer enormen Beziehung
zwischen Mutter und Kind führte. Beide können keinen Augenblick ohne den anderen auskommen. Ich glaube schon, dass die Beunruhigung Spuren hinterlassen hat, in dem Kleinen und uns...
Angela Kribs
Welche Aufgaben kann / sollte der Kinderarzt erfüllen ?
Setting 1: Vor geplanter pränataler Diagnostik
In dieser Situation spielt der Kinderarzt in der Regel keine Rolle. Werdende Eltern begeben sich meist in pränatale Diagnostik hinein, in der Hoffnung hinsichtlich der Gesundheit ihres Kindes beruhigt zu werden. Eine Aufklärung über ein
bestimmtes Krankheitsbild ist daher nicht angezeigt, es sei denn, es hat bereits
ein vorausgehendes Kind in der Familie mit einer bestimmten gesundheitlichen
Störung gegeben.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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In dieser Situation stellt u.U. der behandelnde oder damals behandelnde Kinderarzt als vertraute medizinische Bezugsperson den Kontakt zu Pränataldiagnostiker und / oder Humangenetikern her.
Wünschenswert wäre, dass auch in anderen Situationen, insbesondere wenn
aufgrund einer belastenden Anamnese in der erweiterten Familie eine gezielte
Diagnostik erfolgt, vor Durchführung von Pränataldiagnostik die Vermittlung eines
Gesprächs mit einem Kinderarzt angeboten wird.
Setting 2: Nach gestellter Diagnose
a) Sicherung einer genetischen Auffälligkeit nach AC
b) Organische Auffälligkeit bei „Organultraschall“
c) Auffälligkeiten in der Entwicklung bei einem organisch und genetisch gesunden Kind
Zu a) Die Mitteilung des Befundes erfolgt in der Regel durch den die Untersuchung durchführenden Pränatalmediziner. Spätestens bei der Diagnosemitteilung
sollte das Gespräch mit dem Kinderarzt ebenso wie mit der psychosozialen BeraterIn angeboten und zeitnah vermittelt werden. Eingespielte Kooperationen sind
dafür notwendig und sollten etabliert werden.
Zu b) Auch hier erfolgt die Mitteilung des Befundes durch den die Untersuchung
durchführenden Pränatalmediziner. Der Befunderhebung und Befundmitteilung
sollte zeitnah eine interdisziplinäre Konferenz folgen, in der ein Procedere geplant wird, das den werdenden Eltern angeboten werden kann. Hierzu gehört
auch die nahtlose Vermittlung von Gesprächen mit Vertretern aller potentiell involvierten Fachrichtungen. Tür an Tür-Lösungen von pränatalmedizinischen Einrichtungen mit Kinderkliniken bieten diesbezüglich ideale Vorraussetzungen. In
Praxen sollten Strukturen geschaffen werden, in denen in entsprechenden Fällen
die Patientinnen entweder weiter verwiesen werden oder zu fixen Terminen entsprechende Konferenzen stattfinden.
Zu c) Werden im Rahmen der pränatalen Diagnostik Störungen der kindlichen
Entwicklung festgestellt, die eine vorzeitige Entbindung notwendig erscheinen
lassen, sollten die werdenden Mütter in Einrichtungen mit Kinderklinik eingewiesen werden, in denen ihnen aus kinderärztlicher Sicht Chancen und Risiken der
Kinder dargestellt werden können.
Anke Fricke, Protokoll
Die Diagnosemitteilung, muss in Bezug auf die Vermittlung von Statistiken und
Wahrscheinlichkeiten, sehr sensibel und differenziert vorgenommen werden.
Wichtig ist eine verständliche Alltagssprache zu wählen. Den Betroffenen muss
die Möglichkeit, Fragen zu stellen, eröffnet werden. Sie dürfen sich nicht mit unverständlichen Zahlen konfrontiert sehen. Daher sind Sprechpausen bei der Diagnoseübermittlung notwendig.
Die Überleitung in eine psychosoziale Beratung wurde im Hinblick auf die strukturellen Gegebenheiten kontrovers diskutiert. Bei der Tür an Tür Vermittlung (eine
Beraterin bietet in einer Praxis oder Klinik vor Ort eine Sprechstunde an) ist gesichert, dass die Patientin mit der Beraterin zumindest in Kontakt tritt. Die Hemmschwelle für ein Gespräch kann so herabgesetzt werden. Der Begriff "Psychosoziale Beratung" ist für manche Frauen / Paare negativ besetzt. Andererseits gibt
es Frauen / Paare, die die psychosoziale Beratung vom medizinischen Rahmen
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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trennen möchten. Ist die Beraterin nicht vor Ort scheint folgende Vorgehensweise sinnvoll und Erfolg versprechend: In Anwesenheit und Absprache mit der Patientin vereinbart die Ärztin telefonisch einen Termin mit der Beraterin in der Beratungsstelle für die Patientin. Die beschriebenen Formen werden bereits an verschiedenen Standorten praktiziert. Eine tragfähige Kooperation zwischen den
Professionen, die sich im Laufe eines Prozesses entwickelt hat, ist dafür Voraussetzung. Die Notwendigkeit der Aufklärung über die interdisziplinäre Zusammenarbeit wurde sehr deutlich. Zum einen sind betroffene Frauen / Paare zu wenig
über die Möglichkeit der psychosozialen Beratung informiert. Neben Pränataldiagnostikern, Humangenetikern und Kinderärzten haben hier Gynäkologen eine
wichtige Schlüsselfunktion. Parallel sollte Aufklärung schon präventiv durch
Schulen, Bildungsträger, Gemeindezentren zur Meinungsbildung und Sensibilisierung für das Thema Pränataldiagnostik und all seinen Gegebenheiten erfolgen.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Forum 3 "Ärztliche und psychosoziale Beratung und Begleitung bei
Pränataldiagnostik und zu erwartender Behinderung aus Sicht betroffener Eltern"
Mitwirkende: Christine Schmid
Warda Balkae
Dr. Sanja Draschner
Margret Oslislo
Christine Schmid
Ich bin Mutter von zwei Töchtern, die ältere ist 20 Jahre, die zweite ist 19, sie
heißt Katherine und sie hat das Down-Syndrom. Ich erzähle Ihnen jetzt in Kürze
von meinen persönlichen Erfahrungen vor und kurz nach der Geburt von Katherine, meine damalige Sicht des Themas und meine heutige. Aus meiner langjährigen Mitarbeit im Bereich Down-Syndrom weiß ich aus vielen Gesprächen, dass
meine Erfahrungen nicht ungewöhnlich sind, damals nicht und heute auch nicht.
Es gibt noch viel zu tun.
Bei meiner ersten Schwangerschaft war ich knapp 35 Jahre alt. Das veranlasste
meine Ärztin abzuwägen: das statistische Altersrisiko, ein Kind mit DownSyndrom zu bekommen, hat eine bestimmte Größe, das Risiko für eine Fehlgeburt, ausgelöst durch Amniozentese, ist prozentual etwas geringer.
Das verwirrte mich im Nachhinein. Denn, erstens, was nützt die Statistik, ich bin
entweder zu 0 oder zu 100 Prozent betroffen. Zweitens, handelt es sich hier um
ein Rechenproblem? Dahinter verbirgt sich doch unausgesprochen die Frage, ob
ich ein Kind – falls es Down-Syndrom haben sollte, leben lassen will oder nicht.
Beunruhigt durch die ärztliche Prozentrechnerei überlegte ich schriftlich, welche
Gründe für und welche gegen das Leben eines solchen Kindes sprächen. Ich
fand keine, die mich überzeugten, dass es nicht leben dürfte. Und weil Amniozentese und Chorionzottenbiopsie auch lebensbedrohlich sein können, gilt für sie
dasselbe. Auf meine Frage, was er tun würde, falls wir ein Kind mit einer Behinderung bekommen würden, hatte mein Mann schon früher geantwortet: „lieb haben und groß ziehen“. Das war beruhigend für mich.
Anne-Sophie kam dann gesund zur Welt und verbreitete Lust auf Geschwister für
sie. Der Schwangerschaftstest von Katherine war an meinem 37. Geburtstag und
war positiv. Die Ärztin sagte sofort: „diesmal würde ich Ihnen dringend zu einer
Amniozentese raten“. Mir wäre lieber gewesen, sie hätte mich gefragt, wie ich
denn zu der Thematik stehe. Mir fiel auch später immer wieder auf, dass meine
Ansichten nicht gefragt waren.
An unserer Einstellung änderte sich nichts. Die Vorsorgeuntersuchungen liefen
so ab: mehrfach Ultraschall, Kommentar: „Ihr Baby ist putzmunter“. Dann im
Sprechzimmer: „Haben Sie sich die Amniozentese überlegt? Ich muss Sie das
jetzt fragen, bis der Termin (20.Woche) vorbei ist“.
Ich empfand die Situation als schizophren, kam mir selbst feige vor und fragte
deshalb einmal: „Warum sollen diese Kinder denn nicht leben?“ Die Ärztin, die
ich selbstverständlich als Fachfrau betrachtet habe, sagte: „Sie bringen viel Leid
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über die Familie, sie haben oft schwere Herzfehler und sterben dann doch“. Auf
irgendeine Bemerkung von mir sagte sie: „Ja, jetzt sind Sie fit, was aber ist, wenn
Sie alt sind und nicht mehr können?“ Ich bekam ganz schlechte Gefühle und
meinte spontan: „Diese Entscheidung ist das Schlimmste an der ganzen
Schwangerschaft.“
Als ich die Praxis verließ, wünschte ich, ich könnte der ganzen Situation entfliehen. – Später meinte die Ärztin dann einmal: „Wenn man nicht bereit ist, die
Konsequenzen zu ziehen, ist die Amniozentese Quatsch.“
Mich störte zunehmend, mit welch verschleiernder Sprache da gesprochen wurde. Wollte ich verstehen, dann musste ich mir allein in meinem Kopf vorstellen,
was eigentlich gemeint war. Man setzte mich quasi ohne mein Einverständnis
grauenvollen Vermutungen und Überlegungen aus, und ich konnte sehen, wie
ich damit zurecht kam.
Katherine kam nach einer problemlosen Schwangerschaft genau zum Termin
vormittags zur Welt. Man sagte mir direkt, sie sei etwas kühl und sollte erst im
Wärmebettchen aufgewärmt werden. Ich kam in ein Dreibett-Zimmer und machte
mir klar, dass ich mich jetzt eigentlich erholen könnte. Das Mittagessen kam, ich
setzte mich an den Bettrand und begann zu essen. Da kamen der Geburtshelfer
und mein Mann ins Zimmer. Der Arzt stellte sich ans Fußende, schaute in die
Akte und sagte: „Ihr Kind muss in die Kinderklinik. Es besteht ein Verdacht auf
Chromosomenanomalie.... Haben Sie Fragen?“ Ich fragte, ob ich mein Kind
noch vorher sehen konnte.
Als einzige Hilfe zur Verarbeitung dieses Verdachts bekam ich auf eigenen
Wunsch – weil ich sehr lange weinen musste - nach Stunden eine Beruhigungstablette. Auf meine Frage, welches Medikament das sei, sagte die Schwester:
„Das ist, um Sie ruhig zu stellen“. Man ignorierte meine Situation und mein Problem im Alltagsgetriebe.
Am dritten Lebenstag sollte ich in der Kinderklinik mit einem Arzt sprechen. Nach
dreistündigem Warten kam der Chef der Klinik auf mich zu und fragte: „Frau
Schmid, wie alt sind Sie? Hatte Sie Ihr Gynäkologe auf die Fruchtwasseruntersuchung hingewiesen?“
Mir ging durch den Kopf: Hält er mich für blöd? Ist das ein verschleierter Hinweis,
dass solche Menschen heute nicht mehr leben dürfen? Hatten sich hier bereits
gesundheitstechnische Einstellungen verfestigt, die ich bis dahin so krass nicht
gesehen hatte? Ich war sehr verunsichert. Die meisten schwiegen. Es war ganz
anders als bei Anne-Sophie. Ich litt unter dem Gefühl, dass dieses Kind nicht
dazu gehörte, unerwünscht war.
Meine Gynäkologin meinte dann: „Das tut mir leid. Hätten wir vielleicht doch besser eine Amniozentese gemacht“. Ihre Angestellte: „Herzlichen Glückwunsch
trotzdem“. Das gefiel mir.
Wir gingen noch ein weiteres Mal das Risiko einer Schwangerschaft ein. Diesmal
machte die Gynäkologin direkt einen Termin in einem renommierten humangenetischen Institut. Nach stundenlangem Warten dort wurden mein Mann und ich in
ein abgedunkeltes Zimmer gerufen, in dem eine Reihe Leute saßen, wohl Studenten. Eine Schwester sagte sofort: „Haben Sie die Blase voll? Dann legen Sie
sich dorthin“. Der Arzt saß am Ultraschall, sah auf den Bildschirm und fragte, in
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welcher Woche ich sei. Meine Auskunft kommentierte er mit „Unmöglich“. Dann
konnte ich auf die Toilette gehen.
Meine panische Angst, was denn nun sei, blieb unbemerkt. Das Gespräch war
pur medizintechnologisch: das Risiko der Fehlgeburt bei Chrorionzottenbiopsie
sei höher als das der Amniozentese. Wenn man sich eine Fehlgeburt sehr zu
Herzen nehme, dann sei die Amniozentese besser. Die Fehlgeburten seien auch
eine Belastung für die Ärzte, sie kämen statistisch so und so oft im Jahr vor.
Ich selbst kam bei dem Gespräch eigentlich nicht vor.
Ich verzichtete auf Pränataldiagnostik. Die Ärztin meinte, das müsse sie aber in
meinem Mütterpass dokumentieren. Es kam mir vor wie ein Tadel im Klassenbuch. Warum sagt man nicht: „So ist nun mal die Rechtslage, deshalb muss ich
dokumentieren, dass ich Sie informiert habe“. Warum wird eigentlich nicht vom
statistisch höheren Risiko gesprochen, darüber aufgeklärt, dass ohnehin bei jeder Schwangerschaft etwa vier Prozent Risiko besteht, dass das Kind mit einer
gravierenden Behinderung zur Welt kommt?
Ich hatte oft das Gefühl, ein Exot zu sein und mich wegen dieser Schwangerschaft rechtfertigen zu müssen.
Unser drittes Kind kam viel zu früh zur Welt. Es starb vier Tage nach seiner Geburt.
Wie sehe ich unser Thema heute?
Ich kann sagen, dass ich in den 19 Jahren, die Katherine mittlerweile lebt, viel
mehr über das Leben in allen seinen Facetten gelernt habe als durch alle Ausbildungen. Natürlich bin ich auch manchmal ratlos, ungeduldig und ängstlich. Aber
ich kann Ihnen sagen, dass ich mir Problemlösungen oft nicht aus den Fingern
saugen musste, Kati selbst hat mir mit ihrer Sicht oft den Weg gewiesen.
Die damalige Prognose der Ärztin, wir würden viel Leid haben, hat sich in der Tat
bewahrheitet. Aber dieses Leid war meist sozial gemacht, bräuchte also nicht
zu sein: das ging von der freundlichen aber bestimmten Ablehnung: „Entschuldige Christine, aber so ein Kind wollte ich nicht“ (hatte ich es denn gewollt?)
Dann die gesellschaftlich geduldete Diskriminierung, etwa von Seiten der Schule:
das und das können die nicht lernen, das verstehen sie nicht, eine Einstellung,
die wissenschaftlich längst als unsinnig widerlegt ist, aber in der Förderpraxis
noch sehr verbreitet ist. Dazu der Verdacht, dass Eltern, die z.B. schulische Integration für ihr Kind mit Behinderung wollten, eigentlich Schmarotzer seien, weil
das doch zu teuer sei, obwohl es das nachgewiesenermaßen nicht ist.
Oder neuerdings, Kati ist ja aus der Schule entlassen und soll ins Arbeitsleben;
die Lehrerin: „Also an Ihrer Stelle wäre ich doch froh, wenn mein Kind lebenslang
in der Werkstatt für behinderte Menschen versorgt wäre.“
Meine Tochter hat einen starken Willen zur Selbstbestimmung. Der wird weitgehend ignoriert. Die Zusammenarbeit mit der zuständigen Arbeitsagentur ist nur
mit hohem Einsatz an Zeit und Nerven erreichbar. Nach unserer wirklich jahrelangen Erfahrung wurden rationale Möglichkeiten, Menschen mit D-S auf heutigem Stand, so wie es uns das Ausland vormacht, möglichst gut zu fördern, von
den zuständigen Seiten nur sehr suboptimal genutzt, manchmal trotz unserer
konsequenten Hinweise und Hilfsangebote einfach ignoriert. Katis Schulkarriere
wäre ein Musterbeispiel für einen Kultusbürokratenkrimi mit DiskriminierungsAnhang.
Familien leiden auch sehr, wenn Kosten-Nutzen-Rechnungen angestellt werden:
„Die Behinderten sind zu teuer für die Gesellschaft“, ein bösartiges Scheinargu89
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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ment. Man sollte erst einmal allen solidarisch dabei helfen, ihre Fähigkeiten zu
entwickeln und sie dabei nicht behindern. Es fällt auf, dass bei diesen Rechnungen nie die sozialen Folgekosten auftauchen, die verantwortungslose „Normale“
und „Fachidioten“ erzeugen.
Der tatsächliche, vielleicht auch oft unbewusste Grund für viele Missstände ist
wohl, dass sich Menschen nicht gern mit dem Thema Behinderung befassen und
lieber wegsehen.
Zum Thema Herzfehler: ja, Kati musste am Herzen operiert werden, das wurde
gemacht, als sie drei Jahre alt war. Es verlief exzellent, und seitdem gilt sie als
gesund und kann jeden Sport treiben.
Zum Thema: „Was ist, wenn Sie alt und krank sind und nicht mehr können?“ Da
bei Menschen nie auszuschließen ist, dass sie irgendwann ausfallen, heißt für
mich die menschenwürdige Antwort auf dieses Problem: Solidarität.
Meine Angst, ich könnte meine Tochter nicht verstehen, war weitgehend unbegründet. Sie zwingt mich oft, präziser nachzudenken und zu erklären, weil sie
mehr Mühe hat, zu verstehen als andere Menschen. Gut war für mich, dass ich
ihre ältere Schwester zum Vergleich hatte.
An das viele Glück, das wir alle durch sie auch geschenkt bekamen, hatte ich
damals wohl gar nicht gedacht. Ich hätte mir ihr positives, fröhliches Wesen, das
Ausmaß ihrer Liebe, ihre einfühlsame Hilfsbereitschaft, ihre Motivation und Ausdauer nicht träumen lassen.
Davon leite ich als Fazit für die pränatale Diagnostik und Beratung ab:
Weil heute schwangere Frauen und ihre Partner sich mit dem Thema Pränataldiagnostik auseinander setzen müssen, müssen alle die Gelegenheit bekommen,
sich in demjenigen Umfang mit allen wichtigen Fragen zu befassen, den sie persönlich brauchen, um zu einer Entscheidung kommen zu können, die sie verantworten und mit der sie dann auch leben können (schon die Entscheidung für die
pränataldiagnostischen Verfahren heißt in der Regel, dass die Eltern ein Risiko
für das Leben ihres Kindes in Kauf nehmen).
Die Bedingungen für eine sinnvolle Beratung sind:
- Respekt vor den Eltern
- Sie müssen genügend Zeit haben (der übliche ärztliche Sprechstundenablauf schafft automatisch Zeitdruck) sowohl für eine medizinische und psychologisch / pädagogisch sachlich richtige Informationen über die mögliche ganzheitliche Entwicklung des Kindes: gesundheitliche, soziale, intellektuelle Entwicklung von Menschen mit Down-Syndrom als Prototyp
- als auch für eine umfassende Information über Unterstützungsmöglichkeiten
für ein Leben mit einem Kind mit einer Behinderung,
- ebenso für die Auseinandersetzung mit dem Sinn und Wert eines Lebens mit
Behinderung, bevor die Möglichkeit einer Abtreibung ins Auge gefasst wird
- und die Möglichkeit, mit so genannten Betroffenen zu sprechen
Außerdem sollten verpflichtend gemacht werden regelmäßige, zertifizierte
Fortbildungen für medizinische und andere Berater über das heutige breite
Spektrum von Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern mit Behinderungen, damit
diese die Realität vermitteln können.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Der Tenor der Gespräche und der Begleitung sollte etwa folgender sein:
- Es ist nicht nötig und richtig, sich - aus vermeintlich vernünftigen Gründen auf schwarze Erwartungen zu beschränken.
- Die Lebenserfahrung zeigt, dass es in den meisten Situationen einen Perspektivenwechsel und damit ungeahnte positive Entwicklungen geben kann.
- Neben den möglichen Belastungen müssen auch die positiven Seiten eines
Lebens mit einem Menschen mit Down-Syndrom sachlich vernünftig dargestellt und herausstellt werden, auch in diesem Bereich können Eltern wachsen
und reifen.
- Es darf nicht mehr sein, dass Menschen mit Behinderungen, speziell DownSyndrom gleichgesetzt werden mit schwerer Krankheit, Leid, schwerer Belastung, ja Bedrohung von Ehe und Familie. Das diskriminiert die Menschen, die
mit Behinderungen leben und ihre Umgebung, und es manipuliert unzulässig
die Ängste werdender Eltern.
Wie sollen denn werdende Eltern, die noch keine Beziehung zu ihrem Kind aufbauen konnten - sie haben es noch nicht im Arm gehalten - sich eine glückliche
Beziehung zu einem Kind mit Down-Syndrom als möglich vorstellen können?
Mich erschreckt es tief und es ist für mich unverständlich, dass auf der Basis von
sachlich falschen Vorstellungen über die Frage von Leben oder Tod entschieden
wird. Haben Menschen mit Behinderungen nicht dadurch eine wichtige Funktion
in der Gesellschaft, dass sie uns darauf hinweisen, dass es im Leben um mehr
geht als um Macht, Reichtum und Karriere, nämlich um Mitmenschlichkeit und
Liebe.
Warda Balkae
Ich bin Krankenschwester und arbeite in der Klinik auf einer Station, wo mir immer wieder Frauen als Patientinnen begegnen mit intrauterinem Fruchttod.
Von der Arbeit auf der Station kann ich aussagen, dass die Patientinnen medizinisch gut betreut und die notwendigen medizinischen Abläufe einwandfrei durchgeführt werden.
Aus meiner Arbeit heraus ist es aber mein dringender Wunsch, dass für diese
betroffenen Frauen in der Klinik auch eine kompetente Fachkraft zur Verfügung
steht, die die Frauen in ihren psychosozialen Nöten auffängt und begleitet.
Meine eigenen Erfahrungen mit der Pränataldiagnostik:
Ich komme aus einer genetisch stark vorbelasteten Familie (Ductus Botalli).
Das war für mich ausschlaggebend, die Pränataldiagnostik in Anspruch zu nehmen.
Ich habe bei mir einen ausführlichen Ultraschall durchführen lassen. Ich war sehr
erleichtert, als ich das Ergebnis bekam. Es waren keine negativen Abweichungen
bei meinem Kind zu sehen. Allerdings wurde auf Grund des großen Abdomenumfangs vermutet, dass ich einen Diabetes habe.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Der Arzt riet mir, dass ich bei meiner niedergelassenen Gynäkologin einen Toleranztest machen lasse.
Das habe ich auch getan.
Wie zuvor vermutet war der Test positiv.
Durch meine Schwester habe ich erfahren, dass es Beratungsstellen für psychosoziale Beratung gibt.
Ich habe zur katholischen Beratungsstelle Kontakt aufgenommen. Es lag mir
daran, schnellstmöglich einen Termin zu bekommen und habe einen solchen
auch erhalten.
In der Beratungsstelle konnte ich über meine Ängste sprechen, dass mir das
gleiche widerfährt, wie den Frauen, die ich auf der Station im Krankenhaus
betreue.
Ich konnte über meinen entstandenen Diabetes sprechen und über meine weiteren sozialen Probleme. Die Gespräche haben mir viel Entlastung gebracht.
Sanja Draschner
Zentrales Thema des Forums ist die persönliche Schilderung zweier Mütter, ihrer
Erlebnisse und Eindrücke in der Begegnung mit Pränataldiagnostik. Immer wieder ist festzustellen, dass fehlendes Einfühlungsvermögen in die Nöte von
Schwangeren oder Müttern von kranken oder behinderten Kindern ein Problem
ist, dass sich durch die Jahrzehnte bis in die Gegenwart zieht.
Die Belastung der Schwangeren / Mütter setzt sich aus folgenden Faktoren zusammen:
1. Pränataldiagnostik wird angeboten mit der Botschaft, dass „schwere Behinderungen“ erkannt werden können und die Schwangerschaft abgebrochen werden kann
2. Die Medizin versteckt sich, mit dem, was sie tut, hinter einer verschleiernden
Sprache
3. Enttäuschung der (werdenden) Mutter, nicht ein gesundes Kind zu haben
4. Angst wegen der gesundheitlichen Sorge um das Kind (Wird es überleben?)
5. Schuldzuweisungen der Mitmenschen (So was kann man doch vorher feststellen. So ein Kind muss man heute doch nicht mehr bekommen.)
6. Ausgrenzen der behinderten Kinder und deren Mütter durch Schweigen und
Meiden in der Gesellschaft
7. Wertungen und Ratschläge von Medizinern, die nur einseitig über das Thema
Bescheid wissen (z. B. kennen sie die Genetik einer Trisomie 21 und die gesundheitlichen Risiken dieser Kinder, z. B. mit einem Herzfehler geboren zu
sein, aber die meisten wissen nicht, wie es ist, mit ihnen zu leben).
8. Fehlende Solidarität in der Gesellschaft zur Förderung und Ausbildung behinderter Kinder
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Mein Anliegen als betreuende Frauenärztin ist, diesen Konfliktpunkten folgende
Schwerpunkte entgegen zu setzen:
Zu 1. Schwangere sollten sich nicht verpflichtet fühlen (weil sie evtl. zu einer Risikogruppe gehören), Pränataldiagnostik in Anspruch nehmen zu müssen.
Zu 2. Schwangere können ermutigt werden, das Risiko eines behinderten Kindes
zu akzeptieren (Auch ein gesund geborenes Kind kann einen Unfall oder eine
schwerwiegende Krankheit mit bleibenden Schäden erleiden, und man wird es
trotzdem als das eigene Kind lieben.)
Zu 3. Bei Feststellen einer Erkrankung des Kindes sollten seine positiven Seiten
nicht vergessen werden (z. B. beim Ultraschall nicht nur von dem Herzfehler oder
der Handfehlbildung reden, sondern wir gut das Kind wächst, wie lebhaft es sich
bewegt, was für ein hübsches Profil es hat. Eine werdende Mutter soll stolz auf
ihr Kind sein können, auch wenn es eine „Anamolie“ hat.)
Zu 4. Mit Prognosen über die Lebensfähigkeit von Kindern muss man vorsichtig
sein. Medizinische Fortschritte, unklare Diagnosen oder das unbekannte Potential von behinderten Kindern kann die Einzelprognose ständig ändern. Der Kontakt
zu Fachleuten (z. B. Kinderärzten) oder Selbsthilfegruppen und betroffenen Eltern sollte das eigene (evtl. begrenzte Lehrbuchwissen) ergänzen.
Zu 5. Keine Mutter wünscht sich, ein krankes Kind zu bekommen. Auch bei Pränataldiagnostik sollte sich eine Mutter nicht verpflichtet fühlen, dass sie einen
„Beitrag“ leisten müsste, die Geburt eines behinderten Kindes vermeiden zu
müssen.
Zu 6. Mütter von Kindern mit Behinderung wünschen sich einen normalen Umgang mit der Umwelt. Auch bei der Geburt freut sich eine Mutter über einen
„Herzlichen Glückwunsch“ und dass man sich nach ihrem Befinden und dem
Kind erkundigt. Das gilt für Familienangehörige, Nachbarn und auch medizinisches Personal.
Zu 7. 8. und 9. Mütter von kranken Kindern oder Kindern mit Behinderungen
werden die größten Experten zu dem sie betreffenden Thema. Ich lasse mir als
Ärztin gerne von ihren Erfahrungen erzählen: von den besten Fachärzten für ihr
Kind, den neuesten Methoden, den Entwicklungsfortschritten ihres Kindes, aber
auch von ihrem Befinden als Mutter. Es ist ein Verlust, wenn man nicht an diesem Expertenwissen teilhat. Unser Interesse an ihr und ihrem Kind ist ein erster
Schritt gegen Schweigen, Ausgrenzung und Vorurteilen.
In unserer Praxis ist es unser Anliegen, diesem komplexen Thema neben unserem medizinischen Auftrag auch menschlich zu begegnen. Dafür ist unter Umständen viel Zeit und ein geschützter Raum notwendig. Um dieses auch im normalen Praxisalltag anbieten zu können, haben wir im Praxisteam kompetente
Hebammen und eine Sozialpädagogin für Schwangeren- und Familienberatung
mit Zusatzausbildung für Psychosoziale Beratung bei Pränataldiagnostik. Gespräche können abseits vom Warte- und Sprechzimmer in einem gesonderten
Raum in wohnlicher Atmosphäre ohne Zeitdruck stattfinden. Im Interesse der
betroffenen Frau können wir Informationen austauschen und helfen, Probleme zu
lösen.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Dieses Kooperationsmodell hat die Möglichkeiten der Schwangerenbetreuung
deutlich erweitert. Ich kann jederzeit auf das Fachwissen des Teams zurückgreifen. Im Praxisalltag erfahre ich Entlastung bei Schwangeren mit erhöhtem Gesprächsbedarf. Durch regelmäßigen Austausch kennen wir gegenseitig unsere
jeweiligen Tätigkeitsfelder.
Margret Oslislo, Protokoll
Frau Christine Schmid, Mutter einer inzwischen erwachsenen Tochter mit DownSyndrom legte zu Beginn dar, wie sie damals Pränataldiagnostik selbst in akuter
Situation erlebt hat, wie sie sie heute sieht und was nach ihrer Meinung für Eltern
hilfreich ist.
Aus der anschließenden Diskussion ergaben sich folgende Aussagen:
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•
Schon vor der Schwangerschaft war partnerschaftlich geklärt, auch
der Mann hätte ein behindertes Kind gewollt.
Eine verschleiernde Sprache bei Medizinern hilft den Eltern bei der
Entscheidung nicht weiter.
Das „Persönliche“ steht in der Gefahr, hinter der medizinisch technischen Seite unterzugehen.
Das Leid, was auf die Familien zukommt, die ein Kind mit einer Behinderung haben, ist zum allergrößten Teil „sozial“ gemacht.
Das Selbstbestimmungsrecht der Behinderten wird von vielen Stellen
übergangen. Die Grenzen zur Diskriminierung sind fließend.
Oft werden „Kostenrechnungen“ vorgeschoben, um nicht mit dem
Thema „Behinderung“ befasst zu werden.
Die Gleichsetzung von „Behinderung“ mit „Leid“ und „Krankheit“ ist
diskriminierend.
Wenn die Möglichkeit zur psychosozialen Beratung bei Pränataldiagnostik besteht, so sollte auch genügend Zeit eingeräumt werden, um
eine verantwortliche Entscheidung treffen zu können. Dazu gehört
auch ein Gespräch mit Eltern, die bereits ein Kind mit einer Behinderung haben. Dies ist über Selbsthilfegruppen gut zu bewerkstelligen.
(Hinweis auf die Broschüre „Blickwechsel“ bei esperanza und vielen
anderen Veröffentlichungen im Internet)
Betroffene Frauen und auch das pflegende Personal im stationären
Bereich brauchen eine Ansprechpartnerin.
Die Beraterin sollte nach dem Klinikaufenthalt der betroffenen Frau
diese in der Familie weiter begleiten.
Das Beratungsangebot soll als Raum dienen, in dem das Schweigen
gebrochen wird, dass sich oft um Behinderung erhebt.
Anhand des Beitrags von Warda Balkae, die Pränataldiagnostik als Krankenschwester in der Klinik erlebte und auch selber die Pränatalmedizin in Anspruch
nahm, setzt sich die Diskussion fort mit Wortmeldungen zum würdevollen Abschied von verstorbenen Kindern.
Auch nach Totgeburt greift die Hilfe und Betreuung der Hebammen.
Ein weiterer Diskussionspunkt wurde die Frage: Wie kann man Väter früher mit
der Entscheidungsnot befassen, die die Frauen haben?
Zum Abschluss der Arbeitsgruppe ergaben sich folgende 3 Beiträge:
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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•
Medizin:
Es ist sehr wichtig, wie der Mediziner seine Worte setzt, damit keine Diskriminierung entsteht im Falle eines Kindes mit Behinderung.
•
Hebammen:
Auch Gynäkologen/innen können hilflos sein in der Beratung im Falle
eines Kindes mit Behinderung.
•
BeraterInnen:
Wir können darüber reden, was Leben mit Behinderung positiv ausmacht.
Es wird vieles von der Gesellschaft totgeschwiegen.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Forum 4 "Wie Leben mit Behinderung in Familie und Gesellschaft
gelingen kann"
Mitwirkende: Rainer Schmidt
Maren Wleklinski
Bettina Schleppe
Maren Wleklinski
Mein Name ist Maren Wleklinski, ich bin 42 Jahre alt und lebe in BergischGladbach. Nebenberuflich bin ich in einer neurologischen Praxis als med. Fachangestellte für Funktionsdiagnostik beschäftigt. Hauptberuflich allerdings bin ich
Hausfrau und Mutter von 4 Kindern im Alter von 9 bis 19 Jahren.
Meine jüngste Tochter Annika kam im August 96 als scheinbar gesundes Mädchen zur Welt, doch nach einigen Wochen war klar, dass sie sich nicht altersgemäß entwickelte. Nach diversen Krankenhausaufenthalten und viel Diagnostik
wurde eine Verdachtsdiagnose gestellt: V. a. Mitochondriopathie. Das ist eine
sehr seltene Erkrankung, die in den Bereich der Stoffwechselerkrankungen fällt.
Heute mit 9 Jahren ist Annika ein Kind, dass allgemein als schwerst mehrfachbehindert tituliert wird, sie kann weder sitzen noch laufen, sie ist hochgradig sehbehindert, auf Grund einer Opticusatrophie. Sie hat eine schwere Schluckstörung
und muß zusätzlich zur oralen Nahrungsaufnahme mit ausschließlich pürierter
Kost über eine dauerhaft liegende Magensonde (PEG-Sonde) ernährt werden.
Zusätzlich hat sie eine schwere dystone Bewegungsstörung, sie kann ihre Hände
nur eingeschränkt benutzen. Über Lautsprache verfügt sie natürlich auch nicht.
Was für ein Mädchen stellen Sie sich nach Aufzählung dieser „Defizite“ vor?
Wahrscheinlich haben Sie ein falsches Bild von Annika.
Annika ist ein sehr fröhliches, ausgeglichenes Mädchen, dass aktiv an ihrer Umwelt teilnimmt. Sie geht sehr gerne zur Schule (KB-Schule in Rösrath), wo sie
erfolgreich am Unterricht teilnimmt und viele Freunde hat. Um sich zu verständigen hat sie Zeichen für „ja“ und „nein“, außerdem benutzt sie ein elektronisches
Kommunikationsgerät. Sie geht sehr gerne schwimmen und reiten, außerdem
liebt sie Musik und besucht einmal wöchentlich die Musikschule. Im Moment lässt
sie ihre Haare lang wachsen wie ihre Schwestern und könnte stundenlang vor
dem Fernseher sitzen, wenn ich sie ließe. Ihr bester Freund heißt Christian, mit
ihm hat sie in den Sommerferien im Garten gezeltet.
Sicherlich ist Annika in vielen Dingen zu 100 % auf Hilfe angewiesen und doch
zeigt sie uns allen, dass sie trotz ihrer schweren Behinderung ein ausgefülltes
Leben führt. Ohne ihre Behinderung wäre das Leben für sie sicherlich leichter,
aber ich glaube nicht unbedingt glücklicher.
Annika hatte das Glück, in eine große Familie hineingeboren zu werden, ihre
Geschwister und auch wir Eltern haben sie so angenommen, wie sie war. Natürlich waren auch wir einmal sauer auf ihre Behinderung, haben jedoch Annikas
Dasein nie in Frage gestellt. Annika wurde von klein auf überall mit hingenommen, wenn dies ihr Gesundheitszustand zuließ. Urlaube und Unternehmungen
mit Annika müssen etwas besser geplant werden, als mit ihren gesunden Geschwistern, aber meist trifft man auf hilfsbereite und nette Mitmenschen Sicher96
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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lich braucht man als Eltern Mut, um mit gewohnten Konventionen zu brechen.
Annika z. B. isst sehr gerne Cheeseburger, kann ja aber leider nicht kauen. Ich
gehe trotzdem mit ihr in das gewisse Fastfoodrestaurant und kaue ihr den Cheeseburger vor. Das ist dann schon für manche Mitmenschen gewöhnungsbedürftig, ich verweise dann auf Eskimos oder andere Naturvölker, bei denen so etwas
vollkommen natürlich ist.
Ein Netzwerk von gleich gesinnten Eltern ist auf jeden Fall hilfreich, nicht nur zum
Austausch von Informationen und Tipps, sondern ist auch oft die Basis für neue
Freundschaften.
Annika hat dem Leben unserer Familie eine Wendung gegeben, ich denke eine
positive. Als ihre Geschwister für eine Radiosendung des WDR zur Situation „von
Geschwistern behinderter Kinder“ interviewt wurden, haben alle drei sehr positiv
über das Leben mit ihrer Schwester berichtet. Sie bezeichneten unser Leben als
vollkommen "normal".
Bettina Schleppe
Gelungenes Leben bedeutet, das Leben in seiner Vielfältigkeit zuzulassen, weil
gerade diese Vielfältigkeit die Erde bunt und lebendig macht.
„Was wäre es für eine Ethik, die menschliches Glück nur an der Perfektion des
menschlichen Körpers festmachen wollte? Zu Würde und Wert des menschlichen Lebens gehören auch Begrenztheit und Fehlerhaftigkeit, Verletzbarkeit und
Endlichkeit.“(Zitat Dr. Wolfgang Thierse, aus: das 1000 Fragen-Projekt 2004, Die
Paten - Ihre Fragen & Statements, S. 58)
Dies heißt für mich, dass Menschenwürde nicht von der Funktionsfähigkeit in
unserer Gesellschaft abhängt, sondern dass das Da-Sein jedes Menschen eine
Berechtigung hat, dem respektvoll zu begegnen ist.
Liebenswert ist deshalb jeder Mensch, der schwerstbehinderte neunjährige Martin sowie die bekannte Ulk-Comedy-Frau Gaby Köster...
Gelungenes Leben bedeutet für mich, gute Erfahrungen zu machen, die mich
durch mein Leben tragen, geliebt zu werden....
In meiner Arbeit wirke ich mit, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, die
es schwangeren Frauen, Paaren erleichtern, ein Kind mit einer Behinderung anzunehmen. Menschen, die zu uns kommen, finden einen Raum, in dem sie über
das, was sie bewegt, sprechen können. Wir haben Zeit, Schweigepflicht und die
Möglichkeit, bis zum Alter von 3 Jahren des Kindes zu beraten und auch nach
einem Schwangerschaftsabbruch begleitend da zu sein. Die Beratung ist zielorientiert und ergebnisoffen und von einer wertschätzenden Atmosphäre geprägt.
Ziel der Beratung ist es, Ratsuchende, die zu uns kommen, in ihrer Eigenverantwortlichkeit kompetent zu machen. Die systemisch-orientierte Beratung ist eine
Sicht- und Handlungsweise, die die Ratsuchenden als kompetent betrachtet,
auch in einer Krise. Die Klientinnen tragen ihre Lösung schon in sich, in der gelungenen Beratung geschieht häufig ein Blickwechsel, neue Wahlmöglichkeiten
werden entdeckt.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Kirche ist ein Ort, der verschiedenste Menschen beheimatet und gerade auch für
die Schwachen da ist. Persönlich wünsche ich mir, dass, wenn ich z.B. durch
eine größere Behinderung krank werden sollte, das mir dann mit Würde und Liebe begegnet wird, dies ist eine große Motivation für meine Arbeit.
Enden möchte ich mit einem Zitat aus unserer neuen Broschüre "Blickwechsel":
“Die Behinderung eines Kindes ist nicht zu verharmlosen. Nicht schön zu malen.
Sie wird die Eltern und das Kind immer wieder einholen, vor immer neue Aufgaben stellen. Sie wird ihnen aber auch immer neue Wege zeigen. Ein guter Grund
für die Umgebung, diese Wege nicht mit Vorurteilen zu belasten, sondern respektvoll und hilfreich zu begleiten.
Bettina Schleppe, Protokoll
Als Einstieg fand eine Vorstellung der Referentinnen mit Hilfe ihrer vorbereiteten
Statements statt, unter dem Aspekt „gelungenes Leben“. Rainer Schmidt verzichtete auf eine weitere persönliche Vorstellung, da er laut Rückmeldung der anwesenden Teilnehmerinnen sich am Vormittag ausreichend präsentiert hatte.
Da ein großer Bedarf der Teilnehmerinnen an aktiver Eigenarbeit bestand, nach
einem informationsreichen Vormittag, teilte sich dann das Forum in Arbeitsgruppen à ca. sechs Personen auf. Die Fragestellung lautete, „was macht mein Leben lebenswert“ und die Ergebnisse wurden anschließend zusammengetragen.
Jede Gruppe hatte Stichwörter wie Verständnis, Natur und Zeit, kleine Dinge
wahrnehmen, Arbeit, Partnerschaft, Hobby, Familie, Gesundheit, Liebe, unerwartete Hilfe erfahren, Liebe Gottes / Glaube an eine göttliche Kraft, Zeit und Ruhe
haben...auf Zettel notiert und diese wurden dann dem gesamten Forum vorgestellt und an eine Pinwand geheftet, unter der Moderation von Pfarrer Rainer
Schmidt.
Rainer Schmidt bildete dann für diese Stichwörter drei umfassende Kategorien:
Genussfähigkeit, Leistungsfähigkeit, Gemeinschaft / Unterstützung durch Mitmenschen und bezog die göttliche Dimension mit ein. In der folgenden Diskussion kam heraus, dass Behinderung eine Einschränkung der Lebensqualität aus
Sicht der „Gesunden“ bedeuten kann, aber möglicherweise nicht aus Sicht der
Betroffenen. Sicherlich ist häufig eine der drei Kategorien erfüllt, die Leben lebenswert macht. Deutlich wurde auch, dass Gesundheit kein Garant für Glück
sein muss, dass ich einsam sein kann, ob ich eine Behinderung habe oder nicht.
Fazit war, dass jeder Mensch Liebe braucht.
Menschen mit Behinderung benötigen häufiger mehr Pflege und Aufwendung.
Jeder Mensch leistet Verschiedenes und hierbei ist die soziale Dimension wichtig, die Unterstützung durch andere. In diesem Zusammenhang stellte sich in der
Diskussion heraus, dass das Leben leichter zu bewältigen ist, wenn ich das annehmen kann, was auf mich zukommt.
Die Gruppe, viele Hebammen hatten ein starkes Interesse daran, von Frau
Wleklinski zu erfahren, wie sie es geschafft hat, so positiv, selbstverständlich mit
der schweren Behinderung ihrer Tochter umzugehen. Frau Wleklinski führt dies
unter anderem darauf zurück, dass sie noch mehr Kinder hat, die sie immer wieder in den normalen Alltag einbetten und auch diese Schwester lieben. Für sie ist
ein Leben ohne ihre Tochter nicht mehr vorstellbar.
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Das Forum war sich einig, dass Menschen mit einer Behinderung genau wie andere ihren Stellenwert in dieser Gesellschaft haben.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Forum 5 "Fördermöglichkeiten für Kinder mit einer geistigen Behinderung"
Mitwirkende: Monique Randel-Timperman
Sybille Chudziak
Marion Hahn
Angela Kaszián
Monique Randel-Timperman
Video Paloma Cecilia García
Mit diesem Video-Ausschnitt möchte ich eine Frau mit Down-Syndrom zu Wort
kommen lassen, die ich vor etwa 12 Jahren kennen gelernt habe. Sie kann besser als jeder andere zum Ausdruck bringen, was es bedeutet, dieses Syndrom zu
haben. Frau Montero ist nicht „repräsentativ“ für die „durchschnittliche“ Entwicklung der Menschen, die mit diesem Syndrom geboren werden. Der Film zeigt
aber, dass Öffentlichkeit und Fachwelt, gerade im Rahmen der Pränataldiagnostik, Abschied nehmen müssen von dem Eindruck, dass sich das Leben eines
geistig behinderten Menschen nicht zu leben lohnt. Er soll helfen, „das Bild in den
Köpfen“ zu ändern.
Mehr als 95 % der Ungeborenen mit Down-Syndrom werden in Deutschland abgetrieben.
Script des Video-Ausschnitts
Dennis und Paloma
Wortauszug des Beitrags von Angelika Fell aus der ZDF-Sendung "Mona Lisa"
vom 9. Januar 1994
Mallorca im Dezember - die Fahrt vom Flughafen nach Palma. Auf meinem
Schoß Dennis, nach zwei größeren Kindern mein kleiner Nachkömmling. Dennis
hat Down-Syndrom.
Eine moderne Anlage in einem guten Wohnviertel. Hier in diesem Haus werden
wir von Paloma Sicilia Montero erwartet. Ich bin etwas aufgeregt. Denn zum ersten Mal werde ich mit einer Frau sprechen, die mir aus eigener Erfahrung sagen
kann, was es bedeutet, mit dem Down-Syndrom zu leben.
Paloma lebt ganz selbstständig in der gepflegten Vier-Zimmer-Wohnung, die von
ihren Eltern, einer wohlhabenden Familie aus Madrid, finanziert wird.
Vor drei Jahren verließ die 42-Jährige nach harten Ablösekämpfen ihr Elternhaus. Nimmt sie auch kein Messer in die Hand? Sie könnte sich verletzen. Sagt
sie auch nichts Unpassendes? Lässt sie in ihren Fähigkeiten auch nicht nach?
Von ihrer Mutter fühlte sie sich wie ein Kind behandelt. Da Palomas Lieblingsschwester in Palma lebt, zog sie von Madrid hierher in ihre Nähe.
Aus Angst, sie würde darunter leiden, hatten die Eltern Paloma ihr die Behinderung verschwiegen. Erst als sie mit 18 Jahren im Fernsehen das Porträt eines
Mädchens mit Down-Syndrom sah, formten sie die Bilder zu der Erkenntnis: Ich
bin ja genauso wie die. Bei Gedanken an ihre Kindheit schmerzt auch die Vorstellung, erst einmal der große Kummer der Eltern gewesen zu sein:
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Paloma: "Ich glaube, es war anfangs für sie sehr deprimierend, ein behindertes
Kind zu haben. Das kann ich heute verstehen - es muss sehr schwer sein, das
anzunehmen. Das Wichtigste für uns Menschen mit Down-Syndrom ist, dass wir
uns so akzeptieren, wie wir sind. Man ist damit geboren, man kann nicht sagen:
Ich möchte es jetzt ändern. Niemand kann es einem fortnehmen. Auch die Eltern
können nichts daran ändern. Es ist eine genetische Sache, die eben passiert."
Es annehmen - wie schwer war es damals für mich gewesen! Die Fruchtwasseruntersuchung hatte ich als Routine betrachtet. Dann der niederschmetternde
Befund: Down-Syndrom, Trisomie 21. Das 21. Chromosom statt zweimal dreifach
vorhanden. Nur ein kleiner Strich zuviel! Verzweiflung, Trauer - warum gerade
ich? "Das Bett für die Abtreibung haben wir nächste Woche", sagte mein Arzt. "In
ein paar Monaten können Sie schon wieder schwanger sein." Aber ich liebte dieses Kind doch schon! Ratsuche bei der "Lebenshilfe" für geistig Behinderte. Ich
versuchte, nicht zu weinen. Können solche Kinder je ein glückliches, erfülltes
Leben führen?
Gerlinde Engelmann, Lebenshilfe München:
"Sie werden durchaus ein sinnerfülltes Leben leben können. Sie können einer
Arbeit nachgehen, sei es in der freien Wirtschaft, sei es in einer Werkstatt für
Behinderte. Sie können ihre Freizeit in Grenzen genießen. Sie können Freundschaft und Partnerschaft leben. Im Grunde können sie alles, fast alles tun, was
auch wir tun, wenn wir ihnen Lebensbedingungen gestalten, in denen dies möglich ist."
Als ich den kleinen Timo mit Down-Syndrom besuchte, und sah, von wie viel Liebe er umgeben war, wuchs mir Kraft zu. Hatte ich vorher insgeheim auf eine
Fehlgeburt gehofft, die mir die Entscheidung abnehmen könnte, dachte ich jetzt
über eine Zukunft mit dem Kind nach. Da Kinder mit Down-Syndrom oft organische Leiden haben, sollte eine ausführliche Untersuchung Auskunft geben.
So ganz abhängig von mir, so ganz unschuldig, wartete es da auf seine Geburt.
Die Bürde, ihm sein Leben genommen zu haben, hätte ich ein Leben lang tragen
müssen.
Dr. Gloning, Pränatale Diagnostik am Ultraschallgerät:
"Ich kann Ihnen sagen, insgesamt ein ganz unauffälliger Fetus, der keine Zeichen einer Erkrankung hat... jetzt geht der Mund auf... Da bin ich sicher, da meine, ich kann Ihnen sagen, dass es keine organischen Fehler, keinen Herzfehler,
kein Problem mit dem Magen-Darm-Trakt usw. haben wird. Dieses alles sehen
wir heute schon..."
Am 13. August 1999 kam Dennis ohne Komplikationen auf die Welt.
Ich wage die Frage an Paloma, was sie von Abtreibung wegen Down-Syndrom
hält:
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Mit 39 Jahren von Madrid nach Palma de Mallorca umgezogen
und jetzt als Computerschreibkraft tätig: Paloma Garcia Cecilia Montero
Paloma: "Ich denke, dass es nicht gut ist. Man tötet ein Leben. Ich bin nicht gegen Abtreibung, es kommt in einem solchen Moment auf die Gesundheit der Mutter an. Aber wenn sie wirklich weiß, was ihr Baby hat, wenn es nur das DownSyndrom ist, dann darf sie nicht so ein Verbrechen an ihm begehen."
Dennis erkundet die Wohnung. Wir folgen ihm ins Arbeitszimmer. Stolz zeigt Paloma ihre gerahmten Zeugnisse: der Abschluss einer ganz normalen Schule, die
Urkunde über die Assistententätigkeit bei einer Konferenz über Down-Syndrom.
Daneben ihr schon vor 20 Jahren erworbenes Zeugnis für Englisch als Fremdsprache.
Das Klassenfoto - Erinnerung an Freundschaften, aber auch an Lernen, Lernen
und nochmals Lernen. Zu Hause wurde von Paloma genau so viel erwartet wie
von den vier Geschwistern. Das war, neben einer Sprechtherapie, die beste Förderung, meint sie.
Palomas großes Hobby: englischsprachige Literatur. Hemingway und Oscar Wilde sind ihre Lieblingsautoren. Auch Bücher über Down-Syndrom sind im Regal.
Sie, die eine milde Ausprägung des Down-Syndroms hat, will alles darüber wissen: sie schreibt gerade ein Buch über ihre Erfahrungen. Die Bücher - damals in
der Entscheidungsphase hatte ich mir jede Menge besorgt. Es war schlimm, wie
im Ratgeber Kinderkrankheiten nachzulesen: Günstigenfalls bleibt die Entwicklung auf der Stufe 6 bis 7Jähriger stehen. Leider sind "mongoloide" Kinder nur
sehr begrenzt förderbar. In einer Sonderschule für geistig Behinderte können
ihnen aber zumindest die Anfänge des Lesens und Schreibens sowie einfache
Arbeiten beigebracht werden.
Was ich in Palma sehe, stimmt mich optimistisch. Hier in diesem von einem Orden betreuten Integrationsmodell ist Palomas Arbeitsplatz. Für einen Monatsverdienst von rund 800 DM schreibt sie Briefe für die Stadtverwaltung in den Computer. Je nach Länge sind es durchschnittlich zehn pro Tag. Diese Arbeit mit dem
Computer macht Spaß. Im Großraumbüro ist sie neben Gehörlosen und spastischen Menschen die einzige mit Down-Syndrom.
... und die Einzige, die das Gespräch mit ihrem Informatik-Lehrer übersetzen
kann. Er erzählt, wie er es geschafft hat, Paloma alle Funktionen des Systems
"Word Perfect" beizubringen:
Vicente Segui, Informatik-Lehrer: "Die Ausdauer war das größte Problem. Sie
gab immer gleich auf und ich musste die ganze Zeit hinter ihr hersein: Mach's
noch einmal, und noch einmal und noch einmal, bloß keine Angst. Es schien, als
wollte sie nicht weiterkommen. Und langsam - durch das beständige Wiederho102
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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len 'Du musst es tun, du musst es tun - dadurch hat sie es dann überwunden. So
sind wir Schritt für Schritt weitergekommen und jetzt sehen Sie selbst, sie bleibt
genauso dabei wie alle anderen auch.
Vicente ist mit Recht stolz. Wie sehr wünschte ich mir auch für Dennis so eine
qualifizierte Arbeit!
Dennis zu Hause! Mit wie viel Eifer ist er beim Lernen! Schon sechs Wochen
nach seiner Geburt begann die Frühförderung mit Gymnastik und später Spieltherapie. Wir wiederholen immer wieder, was er schon kann, damit er es nicht
vergisst. Lilli, seine Schwester, ist auf seine kleinen Erfolge stolz.
Der kleine Viktor, Viola und andere Kinder aus der Nachbarschaft kommen gern
zum Spielen. Ab nächster Woche wird er täglich in eine Spielgruppe gehen und
für den Herbst ist er in einem Integrationskindergarten für behinderte und nichtbehinderte Kinder angemeldet. Danach werden sich die Wege von ihm und seinen Spielkameraden vielleicht trennen müssen. Denn in Bayern gibt es gesetzlich noch nicht die Integrationsschule, für die wir betroffenen Eltern kämpfen.
"Nutzen Sie möglichst viele Alltagssituationen zum Lernen aus", hatte mir seine
Spieltherapeutin geraten, die mit Dennis zweimal wöchentlich zu Hause arbeitet
(jeden Montag gehen wir in eine Mutter-Kind-Gruppe nach Montessori-Pädagogik
im Münchner Kinderzentrum). Dort lernen Dennis und ich gemeinsam: Ich das
genaue Hinschauen, die Geduld und die Konsequenz in der Erziehung; er, die
Fähigkeit, sich zu konzentrieren, seine Wünsche auszudrücken, seine Neugier in
Erfahrung umzuwandeln. Die Leute mögen Dennis, das tut mir gut... Bisweilen
kommen aber doch die Sorgen: Wie wird es sein, wenn er nicht mehr das kleine
Kind ist? Wenn er sich alleine und unbeschützt draußen bewegt? Die Nachrichten über Angriffe auf Behinderte bedrücken mich sehr. Auch, dass heute wieder
über "unwertes" Leben diskutiert wird.
Die Autorin des Fernsehbeitrags, Angelika Fell, mit ihrem Sohn Dennis
"Man muss sich die richtigen Freunde aussuchen, das schützt auch", meint Paloma hier beim Essen in der Kantine mit ihrem Kollegen Josef. Nur gute Freundschaft verbindet sie, eine Ehe habe sie nie wirklich vermisst. Ob sie glücklich ist?
Paloma: "Ja, ich bin glücklich, ich bin konkurrenzfähig in meiner Arbeit, ich habe
die Freiheit und Verantwortung, über mein Leben zu entscheiden, wie ich es le103
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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ben möchte. Ich finde Bestätigung in meinem Job und werde dort sehr unterstützt
und vor allem: ich werde akzeptiert. Und das ist das Wesentliche, heute und immer."
Beim Abschied gibt mir Paloma ein paar Worte mit auf den Weg:
"Seien Sie geduldig mit Dennis, seien Sie seinetwegen nie traurig, denn Depressionen führen zu gar nichts. Fördern Sie ihn nach besten Kräften - lassen Sie ihn,
wenn er erwachsen ist, los, aber lassen Sie ihn niemals im Stich."
Angelika Fell
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Mona Lisa-Redaktion
Die Bedeutung der Förderung und der Befähigung der Eltern für die
Lebensqualität eines Kindes mit geistiger Behinderung
Einführung
Ich möchte hier an den Worten Palomas anknüpfen und Ihnen auch einige Botschaften mitgeben, die Sie an junge Eltern weitergeben können. Denn Sie als
Hebammen, Mediziner, Krankenschwester oder Therapeuten und Erzieher können wesentlich dazu beitragen, dass die Eltern ihr geistig behindertes Kind annehmen können und zuversichtlich das gemeinsame Leben beginnen.
Diese Botschaften lauten:
1. Jedes Kind kann lernen
2. Die Entwicklung eines Kindes ist nicht nur genetisch festgelegt,
sie ist auch von den angebotenen Lernchancen abhängig.
3. Ein Kind lernt nicht auf der Basis von Fehlschlägen, sondern von Sicherheit,
Zuneigung und einem Gefühl der Kompetenz.
4. Gegenseitige Achtung, Vertrauen und Zuneigung sind die besten Lehrer.
5. Befähigen Sie die Eltern, ihr Kind anzunehmen, mit ihm zu kommunizieren
und seine Stärken zu nutzen. So können sie ihre natürliche Elternrolle finden
und erfüllen.
Ein Leben lang Lernchancen ermöglichen
Lange wurde das Gehirn eines Kindes als eine Tabula rasa betrachtet, eine leere
Tafel, in die durch Übung und Training auf der Basis von Belohnung und Strafe,
neues Wissen, neue Verhaltensweisen geprägt werden mussten.
Psychologen wie Wygotski oder Piaget, besonders aber der Aufschwung der
Neurowissenschaften, haben gezeigt, wie falsch diese Annahme war.
Diese früheren Ansichten hatten u. a. dazu geführt, dass an Kindern mit Minderbegabung keinerlei kognitiven Erwartungen gestellt wurden. Sie sollten lernen,
sich selbst zu versorgen, und das war es dann auch schon fast alles.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Leider bestimmt diese irrige Lehrmeinung auch heute noch oft die Ansichten von
Eltern, Pädagogen, Medizinern – z. B. in der Pränataldiagnostik - und bei Behörden, z. B. in den Ministerien, wo Richtlinien für die Förderung von Sonderschülern festgelegt werden oder bei der Agentur für Arbeit, wo die Ausbildungsprogramme für minderbegabte junge Menschen bezuschusst werden.
Wir wissen heute aber, dass Lernen nicht nur an einem funktionierenden Apparat
(ein intaktes Gehirn/Zentralnervensystem, Sinnesorgane und ihre Wahrnehmungsfähigkeit, ein funktionierendes Muskelsystem mit einer ausreichenden Tonusregulierung, eine angemessene Regulierung der Aktivierung, d. h. der Wachheit, Aufmerksamkeit und Konzentration usw.) gebunden ist, sondern ebenso an
einem passenden Angebot – den Lernchancen - aus der Umwelt. Die Gene alleine bestimmen nicht den Lebensweg eines Menschen.
Noch vor zwei Jahrzehnten ging man z. B. bei Kindern mit Down-Syndrom von
einem Entwicklungsplateau aus, das spätestens mit der Pubertät sogar eine
Rückentwicklungstendenz zeigte. Dass dies einer fehlenden Förderung sowie
mangelnden geeigneten und altersgerechten Impulsen aus der Umwelt zuzuschreiben war, war damals unbekannt. Und leider versteht man auch heute noch
nicht so recht, dass das Förderangebot, besonders bei einer Bevölkerungsgruppe, die langsamer lernt, im Erwachsenenalter fortgesetzt werden soll. Das wird
sehr deutlich, wenn man manche beschützte Werkstatt besichtigt, wo das Fortbildungsangebot doch meist sehr dünn ist, und die Tätigkeiten selbst wenig geistige Entwicklung erlauben.
Dennoch wissen wir heute auch, dass die Gehirnentwicklung, also die Lernfähigkeit, ein Vorgang ist, der sich über die gesamte Lebensspanne hinzieht. Die Gehirnfunktionen und Hirnstrukturen werden durch das Lernen und die Aktivitäten
des Kindes und des Erwachsenen ein Leben lang verändert und auf neues Wissen programmiert.
Welche Fortschritte und welche Fähigkeiten im Laufe des Lebens erreicht werden können, kann auch nur festgestellt werden, indem wir einfach ausprobieren,
was das Kind lernen kann: ihm Chancen zu lernen geben - und nicht indem wir
von vorneherein fatalistisch glauben, das Kind werde nichts lernen. Dabei sollten
die Ziele allmählich etwas höher gesetzt werden und der Weg zu diesen Zielen
so angepasst, dass das Kind sie erreichen kann.
Das Etikett "geistig behindert" mag manchmal auch Schutz bieten, es stellt aber
oft an sich eine „Be-hinderung“ dar, denn ein Etikett steht auch für ein soziales
und politisches Programm.
Ganzheitliche Förderung basierend auf Kommunikation: Abstimmung des
elterlichen Verhaltens auf die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Stärken des
Kindes
Jedes Kind, ob mit oder ohne Behinderung, ist ein geborener Entdeckungsreisender. Durch die Erfahrungen, die es macht, knüpft sein Gehirn laufend neue
Nervenverbindungen und macht neue Lern- und Entwicklungsschritte möglich,
aber fehlende Grundfähigkeiten oder entmutigende Erfahrungen rauben ihm diesen Elan, weil sein Gehirn mit Botenstoffen überflutet wird, die zu Abwehr oder
Flucht, also Versuche, die Situation künftig zu vermeiden, führen. Gleichzeitig
wird das Gedächtnis blockiert.
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Wenn einem Kind also die Grundfertigkeiten fehlen, um den nächsten Entwicklungsschritt zu meistern, muss es erst ganzheitlich unterstützt werden, d. h. durch
eine Förderung, die alle Entwicklungsbereiche abdeckt: die Motorik, die Wahrnehmung, der soziale Austausch allgemein und die Sprache im Besonderen.
Wenn ein wenige Tage altes Baby uns mit großen Augen anschaut, lernt es dabei nicht nur, seine visuelle Wahrnehmung zu schärfen, es ist auch der Beginn
der Kommunikation: es ist an uns die Aufforderung, mit ihm eine enge Bindung
einzugehen, für sein Wohlbefinden zu sorgen und seine Bedürfnisse zu erkennen.
Wenn das Baby dann wenige Wochen später seine Hand zu unserem Gesicht
führt, versucht es nun auch aktiv das, was es sieht und hört, mit einer taktilen
Wahrnehmung durch das gezielte Einsetzen seiner Muskeln zu verbinden. So
verbindet es Sehen – Fühlen – Hören – Eigenempfindung – Tiefensensibilität und
Handlung. Dies alles wird in seinem Gehirn miteinander vernetzt und die Weichen für späteres Lernen werden gestellt. (Diese Bindung und die Vernetzung
aller Sinneserfahrungen werden besonders durch das Stillen gefördert. Stillen ist
außerdem eine ausgezeichnete Vorbereitung der Sprachmuskulatur. Indem Sie
das Stillen unterstützen, tun Sie bereits sehr viel für die geistige und soziale Entwicklung des Kindes). Es ist aber auch der Beginn der Sprache. Das Kind macht
sich ein inneres Bild von dem, was es erlebt: „Dies sieht so aus, es fühlt sich so
an und es hat auch einen Klang. Das finde ich gut, das möchte ich immer haben“. Bald lernt es dann, dass zu all diesen Eindrücken, der Laut „Mama“ gehört.
Zunächst berührt das Kind unser Gesicht unwillkürlich, aber sobald es bewusst
hingreift lernt es, dass es selbst etwas in seiner Welt bewegen kann. Es kann
unsere Reaktion herauslocken.
Durch diese ursprüngliche Form der Kommunikation macht der Säugling seine
ersten sozialen Erfahrungen und merkt, dass es sich lohnt, sprechen zu lernen
und später, dass es sich lohnt, zu lesen, zu schreiben.
Gerade die Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit, muss immer im engsten
Zusammenhang mit allen anderen Entwicklungsbereichen gesehen werden und
darf nie isoliert gefördert werden. Sprachentwicklung und Lernen gehen Hand in
Hand, weil das Kind Fragen stellt und sie beantwortet bekommt. Durch die Benutzung von Gebärden kann diese Entwicklung bei Kleinkindern, die einen Rückstand in ihrer Sprachentwicklung haben, unterstützt werden.
Es kann nicht genug betont werden, dass gerade der bewusste, intensive Austausch mit dem Säugling, mit dem Kleinkind und später Schulkind seine Sprache
und seine weitere Entwicklung am besten unterstützt. Dieses Wissen kann gerade Hebammen oder Kinderkrankenschwestern den neuen Eltern mit auf den
Weg geben.
Damit Kinder ihre Lebenswelt verstehen lernen können, am Anfang ist das ja im
wahrsten Sinne „be-greifen“ lernen, kommt dem Mediator – dem Erzieher - eine
entscheidende Rolle zu. Das gilt ganz besonders für Kinder mit einer Entwicklungsverzögerung. Durch die Abstimmung des Verhaltens der Eltern auf seine
Bedürfnisse und Fähigkeiten, lernt das Kind seine Aufmerksamkeit immer
schärfer zu konzentrieren, seine Umwelt genauer wahrzunehmen, zu unterscheiden, was wichtig und unwichtig ist.
Aber auch indem der Erwachsene die Signale des Kindes erkennt und aufnimmt,
die Umwelt so aufbereitet, dass das Kind sie erfassen kann, werden sein Lernund Entwicklungspotential ausgeschöpft. (Bei Kindern mit einer geistigen Behinderung können diese Signale schwächer oder undeutlicher sein. Auch hier brau-
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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chen die Eltern am Anfang Bestätigung und Zuversicht, damit sie einen engen
Kontakt zu ihrem Kind bekommen.)
Diese Form der Vermittlung zwischen dem Kind und der Umwelt, die auf Achtsamkeit, Gegenseitigkeit und Achtung vor dem anderen beruht, ist entscheidend
für die Fortschritte des Kindes und deshalb auch für seine spätere Lebensqualität.
Glaube an das Kind und Vermittlung des Kompetenzgefühls als Basis der
Entwicklungsförderung
Kein Kind lernt auf der Basis von Fehlschlägen, sondern von Sicherheit, Selbstvertrauen und Erfolg. Deshalb sollten wir auch immer die individuellen Fähigkeiten und Stärken erkennen und sie in den Vordergrund stellen und jeden Lernschritt so anbieten, dass das Kind erfolgreich sein kann.
Durch Erfolgserlebnisse gewinnt das Kind an Selbstachtung und Selbständigkeit.
Das beeinflusst entscheidend sein Sozialverhalten und seine geistige Entwicklung.
Ich möchte deshalb die Worte des belgischen Pädagogen Janssens zitieren:
Jeder Mensch hat ein Recht darauf, von Menschen umgeben zu sein, die an ihn
glauben.
Aus der modernen Entwicklungs- und Persönlichkeitsforschung wissen wir, dass
das Kind jede noch so große Schwierigkeit in seinem jungen Leben überwinden
kann und gestärkt aus ihr hervorgeht, wenn es einen Menschen hat, der an ihm
glaubt, ihm Zuneigung und Selbstachtung gibt. Das gilt auch, wenn ein Kind mit
einer Behinderung aufwachsen muss.
Wichtigster Partner in der Förderung: die Mutter und die Familie
Die Familie spielt eine zentrale Rolle in der Entwicklung. Sie muss deshalb von
Anfang an befähigt werden, das Kind so anzunehmen, wie es ist, seine Schwächen zu berücksichtigen und seine Stärken zu nutzen.
Sie sollten wissen, dass die Eltern eines behinderten Kindes, wie sie auch auftreten mögen, in den ersten Monaten und Jahren traumatisierte Menschen sind, die
auf die Hilfe ihrer Umwelt angewiesen sind. Sie können mit Ihrem Fachwissen,
mit Ihrer Professionalität, diese Menschen stärken. Ein behindertes Kind mit starken Eltern, wird sich auf jeden Fall besser entwickeln, als ein Kind von unsicheren oder gar depressiven Eltern.
Das medizinische Fachpersonal, die Hebammen, die Ärzte und Kinderkrankenschwestern und später alle Therapeuten und Erzieher mit denen die Eltern – und
das Kind - zu tun haben, sollten bereits in den ersten Lebenswochen - so früh
wie möglich oder unmittelbar nach Bekanntwerden der Diagnose - den Eltern die
wichtigsten Entwicklungszusammenhänge, die hier kurz angesprochen wurden,
erklären, damit sie zuversichtlich ihre natürliche Elternrolle erfüllen können. Damit
sie wissen, dass mehr als jedes Programm, besser als jede Methode oder Therapie, der Austausch mit dem Kind, in dem das Kind trotz seiner Behinderung ein
gleichberechtigter Partner sein darf, seine Entwicklung vorantreiben wird.
So wie die Eltern an der Entwicklung ihres Kindes beteiligt werden sollen, muss
auch das Kind mit seiner Behinderung ein Leben lang an allem, was das Leben
ausmacht, beteiligt werden, denn nur so kann sein Gehirn die erforderlichen Änderungen erfahren, die Entwicklung und Lernen ermöglichen.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Dieses Förderprinzip ist aber nicht neu, ich möchte deshalb diese wenigen Gedanken zur Förderung eines Kindes mit Behinderung mit einigen Worten, die
Benjamin Franklin zugeschrieben wurden, schließen:
„Sag’ es mir, und ich vergesse.
Lehre es mich, und ich behalte.
Beteilige mich, und ich lerne.“
Sybille Chudziak
Gedanken und Gefühle einer betroffenen Mutter
Mein Name ist Sibylle Chudziak, ich bin 46 Jahre alt, verheiratet und wir haben
einen kleinen / großen „Sonnenschein“, Christian, 8 Jahre. Als ich noch berufstätig war, übte ich den Beruf als Erzieherin aus und war in verschiedenen Fachbereichen tätig.
Wenn ich heute gefragt werde, was ich jetzt
beruflich mache, kommt folgende Antwort: Ich
versuche, ein kleines Familienunternehmen zu
leiten. Manchmal erfolgreich, manchmal auch
weniger. Für diesen abwechslungsreichen
Erfolgsverlauf sorgt unser Christian.
Wenn ein Kind – zumal wenn es das erste ist
– geboren wird, kommt der eingespielte Tagesablauf oft ganz schön durcheinander. Nach
einer Bilderbuch-Schwangerschaft und einer
guten Geburt hielten wir glücklich unseren
kleinen Winzling in den Armen. Natürlich war
er für uns das schönste Kind der Welt! Wir
waren 15 Minuten glückliche, stolze Eltern,
dann fielen wir ganz tief. Diagnose: Christian
hat das Down-Syndrom – die Untersuchungen begannen.
Vom Kopf her war ich Erzieherin. Schwerer Herzfehler, geistige Behinderung,
evtl. weitere Organstörungen. Vom Bauch her war ich Mutter. Wo ist mein Kind?
Ich will Christian endlich wieder in die Arme nehmen. Er braucht mich mehr als
irgendetwas anderes. Egal, was die ganze Ärzte-Palette mir erzählte, ich wollte
endlich unser Kind, mit ihm kuscheln. All das, was man sich so schön während
der Schwangerschaft ausgemalt hat. Wir hatten doch schon einen so innigen
Draht zueinander und das bleibt auch weiter so – Down-Syndrom hin oder her.
Die ersten Tage waren medizinisch gesehen wirkliche „Kampftage“ für unseren
Christian. Dabei ist mir sehr schnell klar geworden, dass immer verschiedene
Ansichten da sind.
1. die rein medizinische Seite: Was ist für das Kind mit der Behinderung
wichtig? Was könnte evtl. alles noch auftreten. Ein enormer medizinischer
Katalog stürzt auf das Kind und die Eltern ein.
2. auf der anderen Seite stehe ich als Mutter (wir als Eltern). Hörte ich doch
früher von Ärzten, Kinderschwestern, Hebammen und las in vielen
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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schlauen Büchern, wie wichtig die emotionale Bindung ist, Körperkontakt,
Sichtkontakt, mit dem Kind reden ...
Meiner Meinung nach sind beide Seiten für das Kind enorm wichtig und sollten
gut ausgewogen sein. Aber leider habe ich oft den Eindruck, dass Kinder, egal
mit welcher Behinderung, in gewisse Schubladen gesteckt werden ... und das
finde ich falsch.
Auch unsere Kinder (gemeint sind alle Kinder mit einem Handykap) haben ihre
eigene Persönlichkeit und ihre individuelle Entwicklung. Von daher war und ist es
mir immer noch sehr wichtig, zu versuchen, genau auf Christian zu schauen. Wo
steht er, was braucht er jetzt? Die Gefahr besteht oft, wenn man ein Kind mit
Handykap hat, dass es viele Therapien bekommt, um es bestmöglich zu fördern.
Dazu fällt mir meine Hebamme ein.
Als ich ein Tief hatte, und sie fragte, wie ich denn gute Therapeuten für Christian
bekommen würde, bekam ich folgende Antwort: „Ich kenne eine sehr gute Therapeutin.“ Und sie nannte meine Adresse. „Du bist die Mutter und bist mit deinem
Kind schon 9 Monate ganz eng zusammen. Du weißt was Christian braucht, was
ihm gut tut.“ Das half mir sehr.
Mir fielen viele Therapien ein: Aber dann kommen wieder die Zweifel: Krankengymnastik, Ergotherapie, Gruppen für Körpermassage und vieles mehr. Aber
dann kommen mir wieder die Zweifel. Hat er auch Zeit für sich, hat er auch Zeit
zum Spielen, hat er auch Zeit, sich einfach auf die Matratze zu legen und zu
träumen? Ich denke, an diesem Punkt ist man als Mutter sehr gefragt, aktiv zu
werden im Handeln. Man muss versuchen, den „goldenen Mittelweg“ zu finden,
was nicht immer einfach ist.
Dazu kommt, dass man bei den anderen Eltern mit ihren „normalen“ Kindern
auch Angebote sieht, die wichtig für die kindliche Entwicklung sind, z. B. Kontakt
mit Gleichgesinnten.
Wir gehen in eine Krabbelgruppe. Da stellt sich aber die Frage, bekomme ich
einen Platz, da wir ja etwas Besonderes sind. Nach einigen Misserfolgen gründete ich selber eine integrative Krabbel- und Spielgruppe. Unterstützt durch meine
Gemeinde, die mir die Räumlichkeiten zur Verfügung stellte. Dadurch bekamen
wir, die Mütter, sehr viel Erfahrungsaustausch, aber auch im aktiven Leben mit
unseren Kindern.
Die Kinder hatten keine Probleme miteinander. Wir lernten gemeinsam oder einzeln, genau und bewusst auf unsere Kinder zu schauen. Wo hat mein Kind Probleme, und wie kann ich ihm dabei helfen? Zum Beispiel, als Christian mit mir zu
reden begann, setzte er Gebärden ein, die von ihm kamen. Trinken – Hand an
den Mund führen und nuckeln, Essen – Finger in den Mund und schmatzen, Vogel fliegt vorbei – mit Armen Flügelschlag nachahmen. Das sind nur kleine Beispiele. Darüber entwickelte sich bei Christian das Sprechen.
Ich suchte eine geeignete Sprachtherapie, die ihm half, über Gebärden das
Sprechen zu erlernen (Guk-Sprachtherapie). Dabei ist mir wichtig bei Verständigungsschwierigkeiten, Christian das Gefühl zu geben,“ Mama hat nicht richtig
hingehört“, um ihn weiter zum Sprechen zu motivieren.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Auch die Musik hat uns in vielen Bereichen weitergeholfen. Sie war die Vorstufe
zur Sprache. Einfache Kinderlieder begleite ich durch passende Gebärden und
Bewegungen, die Christian viel Spaß bereiteten. Gleichzeitig wurde sein Bewegungsablauf sicherer. Somit kam ich mit Christian in die Musikschule. Wir lernten
viele Lieder, Fingerspiele und freies Tanzen. Wenn ich ehrlich bin, hatten wir beide viel Spaß dabei.
Später lernten wir auch einige Instrumente, und Christian zeigte großes Interesse. Ich bemerkte auch, dass die Musik zur Entspannung für Christian beitrug.
Wenn zu viele Eindrücke auf ihn einwirkten, wurde Christian unruhig, fing an zu
weinen und bekam Angst. Bestimmte Lieder und sanfte Bewegungen beruhigten
Christian und gaben Ihm Ruhe und Kraft.
Das setzte ich auch ein, als Christian zum heilpädagogischen Reiten kam. Man
wollte ja auf das Pferd, aber es war schrecklich groß. Mit Mama nebenher, unsere Palette von Kinderliedern singend, ging es prima. Nach der dritten Stunde
musste ich zum Glück nur noch nebenher gehen. Jetzt reitet Christian ganz
selbstbewusst auf seinem Pferd Möwe und ich als Mutter werde öfters etwas
unruhig, wenn ich meinen mutigen Reiter sehe.
So kann man in einigen Bereichen seinen Kindern zu Hause individuelle Förderung anbieten. Sicherlich kommen die einzelnen Entwicklungsphasen später,
aber ich glaube, sie werden auch intensiver erlebt. Dabei versuche ich, Christian
entsprechende Hilfsmittel zu geben, damit er die Möglichkeit hat, seine neuen
Erfahrungen und Eindrücke zu verarbeiten (Verkleidungsmaterial, diverses Belebungsmaterial).
Mir ist aber ganz wichtig, dass man als Mutter eines behinderten Kindes – seinen
Sohn, seine Tochter – als ein Kind sieht, dass ein normales Leben führen möchte
und sich mit allen Kräften dafür einzusetzen, dass dies möglich wird. Hierzu
möchte ich Ihnen ein Beispiel geben.
Auf dem Spielplatz hatte Christian großen Spaß, hoch auf ein Klettergerüst zu
steigen. Ein anderer, größerer Junge hatte Schwierigkeiten ihm zu folgen. Die
Mutter des Jungen ermutigte ihn, es Christian gleichzutun. Erst als mein Sohn
wieder strahlend auf mich zukam, fiel ihr sein Handykap auf. Erstaunt aber
gleichzeitig mit großem Bedauern gab sie mir zu verstehen, dass es sicher sehr
schlimm ist, ein Down-Kind zu haben. Darauf schaute Christian die Frau ganz
erstaunt an und meinte: „Frau, nicht Down, fit wie ein Turnschuh!“ und begann
wieder zu klettern.
So könnte ich eine ganze Menge Beispiele aufführen, die zum Schmunzeln sind,
aber auch einige, die mich nachdenklich machen.
Es ist sicher eine besondere Aufgabe, ein Kind bis zum Erwachsenenalter zu
begleiten, besonders, wenn es ein „besonderes“ Kind ist (in Frankreich heißen
unsere Kinder „Sonnenschein“).
Auch die Partnerschaft wird oft auf eine harte Probe gestellt, da man als Mutter
nochmals ganz anders gefordert wird und vielleicht auch anders fühlt und empfindet.
Das Leben, unser Leben mit Christian ist reicher geworden. Man sieht vieles
nicht mehr so selbstverständlich an. Sicherlich werde ich mir oft und später die
Frage stellen: Haben wir alles richtig gemacht, damit Christian sich gut entwi110
Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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ckeln kann? Gibt es, oder gab es geeignete Therapien, hat er auch Zeit gehabt,
Kind zu sein? Können wir ihm auch ganz persönliche Werte vermitteln, die uns
ganz wichtig sind und in keinem Therapieprogramm stehen? Ich denke mir, so
ähnliche Fragen begleiten auch Eltern von Kindern ohne Handykap.
Wir möchten dieses Leben mit einem geistig behinderten Kind, einfacher gesagt
mit einem Sonnenschein, nicht mehr missen. Und wenn ich Christian wieder herumflitzen sehe, irgendeinen Streich ausheckend, sein lachendes Gesicht voller
Fröhlichkeit, denke ich, unsere Kinder sind oft viel fröhlicher und zufriedener als
andere Kinder...
Ja, wir sind glückliche Eltern und stolz, wie vor 8 Jahren auf unseren Sonnenschein.
Vielen dank für Ihre Aufmerksamkeit ...
Christian würde jetzt sagen: So, das war’s!
Marion Hahn
Jeder verantwortlichen Intervention muss eine sorgfältige Beobachtung vorausgehen.
Zunächst wird jedes Kind als eigene Persönlichkeit willkommen geheißen.
1. Wahrnehmen und verstehen
-
Mit welchen Fähigkeiten und Verhaltensweisen kommt das Kind?
Wo benötigt es Unterstützung und Hilfe?
Was spielt es gerne und was mag es gar nicht?
In welchen Situationen verhält es sich wie?
Weshalb reagiert es in manchen Situationen so ganz anders?
Was ist dem Kind wichtig? (Familie, spezielle Personen, Märchenwelt
usw.
Welches Spielverhalten hat das Kind?
Mit wem spielt es gerne und zu wem lehnt es einen Kontakt strikt ab?
2. Austausch mit den Eltern und sonstigen Institutionen
Welche Kommunikationsformen haben sich zwischen dem Kind und den
einzelnen Bezugspersonen entwickelt?
- Welche Rituale gibt es?
- Wie lässt das Kind sich trösten oder helfen?
Besonderheiten
Die Eltern kennen ihr Kind bis zu diesem Zeitpunkt schon drei Jahre, die Einrichtung z.B. nur einen Monat.
-
3. Emotionale Annahme
Hierbei geht es um Akzeptanz, Zuwendung und Förderung positiver Selbstwertgefühle, wie Selbstvertrauen usw.
„So wie Du bist, bist Du ok!“
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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„Es ist ok, wenn Du nein sagst oder Dich zunächst ganz oder gegen Vieles
weigerst.
Die vorbehaltlose Annahme des Kindes ist die erste Voraussetzung für eine
nachfolgende, wirksame Hilfe.
Am Beispiel von Christian möchte ich alle nachfolgenden Förderschwerpunkte schildern.
Beispiel: Christian macht gerne Schabernack, aber auch ganz großen Blödsinn, wie Zahnbürsten in die WC's werfen.
Christian sah das ganz anders. Er hatte für alles eine gute Erklärung.
Aus dem gestalttherapeutischen Ansatz heraus forderten wir Christian in den
besagten Momenten, den Blödsinn wegzuwerfen.
„Wohin fragte Christian?“ Wir überlegten zusammen. Christian darauf: „Nach
draußen.“ Er lief zur Tür und schickte den Blödsinn hinaus. „So, weg!“
„Kommt nicht wieder.“
Mal wurde der Blödsinn in den Mülleimer geworfen, mal in eine Schachtel
usw., je nach Situation.
Sein Schabernack hingegen trug zu einer guten Integration bei. Die Kinder
hatten viel Spaß zusammen.
4. Beistand und Schutz
Aus dem Schutzraum des Zuhauses tritt das Kind in die Kindertagesstätte
ein. Die Kindertagesstätte ist die erste kontinuierliche soziale Gruppe neben
der Familie.
Da nicht alle Kinder den Umgang mit dem Anderssein gewohnt sind, bedarf
es hier, Hemmschwellen zueinander zu überwinden.
Es ist hilfreich, dass die Kinder die Gelegenheit erhalten, die Lebenssituation,
Gefühle, Bedürfnisse und Schwierigkeiten der jeweiligen anderen Kinder
kennen lernen, um Verständnis zu entwickeln.
Die Aufgabe des Heilpädagogen ist es, den Kindern mit Trisomie 21 einen
besonderen Schutz zu gewähren, weil sie Konflikte oftmals alleine nicht lösen können aufgrund ihrer Sprachverständigungsprobleme und den geringen
Korrekturmechanismen.
5. Förderung kommunikativer Kompetenz und Beziehungsfähigkeit
Ein wesentliches Ziel liegt in der Vermittlung von Ausdrucksmöglichkeiten.
Hier gilt es, Kontakt-, Begegnungs-, Beziehungsfähigkeit und soziale Wahrnehmung auszuweiten.
Die wesentlichen Funktionen von Kontaktaufnahme sind Hören, Sehen, Riechen, Berühren, Bewegen, Sprechen.
Alle wesentlichen Erfahrungen, die wir machen, sind auch Beziehungserfahrungen zu den Mitmenschen, zur Umgebung, zur Natur, zu Dingen und Ideen.
„DER MENSCH WIRD AM DU ZUM ICH.“ (Martin Buber)
Die Gruppe dient als soziales Umfeld.
Hierbei ergeben sich viele Möglichkeiten, sich zu erproben und sich über andere zu erkennen.
Für Christian waren die Kinder als Spiegel seiner Verhaltensweisen sehr
wichtig. „Wie komme ich an?“ „Mögen sie mich?“ Akzeptieren sie mich?“
usw.. Christian spielte gerne Rollenspiele, was bei den anderen Kindern auf
eine große Resonanz stieß. Er hatte gute Ideen und war lustig.
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Als nächstes Ziel war es wichtig, Christian die Möglichkeit zu geben, die
Sprache als Kommunikation verwenden zu können, und zwar so, dass die
anderen Kinder ihn verstehen. In diesem Fall wendeten wir die GukGebärden an.
Dazu einige allgemeine Informationen.
Die gebärdeten Wörter werden nach Interesse der betreffenden Kinder ausgewählt und in Situationen angewendet, die für das Kind von Bedeutung sind.
Auch spezielle Schwierigkeiten beim Hören und in der Wahrnehmung können
durch die Verknüpfung von auditiver und visueller Information verringert werden.
Alle Kinder lernten die Gebärden gleich mit.
Dadurch, dass die nicht behinderten Kinder die Gebärden können, entsteht
ein reger Austausch und eine Beziehungsmöglichkeit, eine Basis der Kommunikation.
Die Guk-Gebärden:
- Das Sprechen wird nicht ersetzt, sondern nur mit Gebärden unterstützt.
- Über die Gebärden kommt man zum gesprochenen Wort.
- Guk unterstützt das Verstehen und Verständigen.
- Guk ist auch geeignet für nicht behinderte Kinder.(Die Kinder können lernen, wie man mit den Händen spricht.)
- Dadurch können die Verständigungsschwierigkeiten für das behinderte
Kind erweitert und seine Integration unterstützt werden.
6. Hilfe bei der praktischen Lebensbewältigung
Für die Entwicklung der eigenen Identität ist es wichtig, die alltäglichen Dinge
des Alltags alleine erledigen zu können.
Durch die ständige Anforderung zur Hilfe fühlt sich das Kind in einer Abhängigkeit, die es zu einem bestimmten Zeitpunkt ablehnt.
Christian deutete dieses so an: „Alleine machen.“ Das wurde mit entsprechender Gestik und Mimik unterstützt und verfehlte so selten die Wirkung.
Z. B. übernahmen wir die Idee der Mutter, eine Anziehstraße zur Hilfe und Orientierung zu legen. (Unterhose- Unterhemd,- Socken usw. )
Knöpfe und Reisverschlüsse übten wir an einer Anziehpuppe und das Schleifebinden an einem alten Schuh usw.
7. Weitere Förderungen
Förderung der Wahrnehmung (sinnliche Wahrnehmung - alle Sinne)
Propriozeptive Wahrnehmung - Hängematte, Schwebeschaukel, Rollbrett….
Vestibuläre Wahrnehmung – Trampolin, Tonne, Schaukelwanne …..
Visuelle Wahrnehmung - Puzzle, Bilderbücher, …….
Auditive Wahrnehmung - Geräuschdosen, Musikinstrumente, Lieder, ….
Körperwahrnehmung: Rasierschaum, Wassertablett, Sandwanne, Kiste mit
Bohnen gefüllt - zum Hineinsetzen, kleine Kiste mit Erbsen gefüllt - zum Ertasten ,Gegenstände suchen oder verstecken …..
usw.
Förderung der Grob- und Feinmotorik
Klettern - Anhöhen ersteigen, Fädelspiel, Kreisel, Anziehpuppe aus Pappe,
Dosen mit verschiedenen Schraubverschlüssen usw.
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Heranführen ans Rollenspiel (dem natürlich das Funktionsspiel und Konstruktionsspiel vorausgegangen ist)
Beim Fiktions- und Rollenspiel deutet das Kind einen Gegenstand sowie das
auf ihn bezogene Handeln nach eigenen Wunsch- und Zielvorstellungen um.
Das Rollenspiel stellt den geeignetsten Weg dar, frühzeitig soziales Verhalten
einzuüben. Gleichzeitig entwickelt sich im Rollenspiel sozial angemessen der
emotionale Bereich.
Christian tauchte mit großer Vorliebe in eine Rolle ein. So war er z.B. Karneval der Zwerg Bim-Bam. Er hieß an dem Morgen auch nur so und hörte nicht
auf die Ansprache Christian.
Wichtig bei allem ist es, den kleinsten Entwicklungsschritt des Kindes zu registrieren, ihn zu vertiefen und zu erweitern.
8. Teamarbeit
Bei allen Förderungen und dem Umgang mit Kindern ist die Teamarbeit von
großer Wichtigkeit, ohne die eine konstruktive Arbeit nicht möglich ist.
Angela Kaszián, Protokoll
Unabdingbare Voraussetzung jeglicher Förderung ist die liebevolle Annahme des
Kindes. Häufig jedoch verengt sich der Blick auf die Defizite. Das Kind als Person
in seiner Individualität wahrzunehmen ist von zentraler Bedeutung. Individuell
ausgerichtete Förderung setzt die aufmerksame und empathische Beobachtung
des Kindes voraus.
Begleitende Personen - Hebammen, Ärzte, Berater/in, Selbsthilfegruppen - können einen wesentlichen Beitrag leisten und betroffene Eltern in der Annahme
ihres Kindes unterstützen.
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Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln
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Abschlussgespräch
Pränataldiagnostik - Vernetzung und Kooperation in der ärztlichen
und psychosozialen Begleitung von schwangeren Frauen und Paaren
sowie von Eltern eines Kindes mit Behinderung
Moderation:
Jutta vom Hofe, freie Journalistin, Köln
Mein Name ist Jutta vom Hofe, Journalistin in Köln, und ich möchte Sie nun ganz
herzlich zu unserem abschließenden Gespräch zum Thema „Pränataldiagnostik – Vernetzung und Kooperation in der ärztlichen und psychosozialen Begleitung schwangerer Frauen bzw. Paaren sowie Eltern eines Kindes mit
Behinderung“ einladen.
Vorgeburtliche Untersuchungen sind heute ein Selbstverständlichkeit. Sie gehören zu einer Schwangerschaft meist genauso dazu wie der stetig dicker werdende Bauch. Und zwar nicht nur die Schwangerenvorsorge, sondern eben auch in
immer größerem Umfang die Pränataldiagnostik. Aufgrund der jetzt schon recht
langen Erfahrungen mit diesen Untersuchungen gibt es sehr viel Sachverstand
auf seiten von Medizinern, psychosozialen Beratungsstellen, Hebammen oder
humangenetischen Beratern und dennoch haben viele das Gefühl: Es läuft nicht
richtig. Es läuft zu vieles nebeneinander her. Wie man das ändern kann, wie die
einzelnen Berufe und Experten stärker kooperieren und sich vernetzen können,
darüber wollen wir jetzt in dieser Abschlussrunde reden. Ich begrüße Prof. Dr.
Christian Willhelm, Pränatalmediziner aus Köln, Dr. Barbara Baier, Pränatalmedizinerin aus Dortmund, Rainer Schmidt, evangelischer Pfarrer aus Odenthal, Dr.
Angela Kribs, Kinderärztin am Klinikum der Universität Köln, Monique RandelTimpermann, Entwicklungspsychologin aus Erftstadt, Margret Oslislo vom Sozialdienst Katholischer Frauen und Männer in Düsseldorf und schließlich Gisela
Pingen-Rainer vom Sozialdienst katholischer Frauen in Dortmund.
Prof. Wilhelm, was ist aus Ihrer Sicht als Pränatalmediziner notwendig, damit Vernetzung und Kooperation der Professionen gelingen kann?
Für Vernetzung und Kooperation der Professionen halte ich für notwendig, dass
die Vertreter der einzelnen Professionen sich zunächst die Arbeitsweise der jeweils anderen Bewteiligten besser kennelernen. Das könnte zum Beispiel durch
gegenseitige Hospitationen geschehen, oder durch den Austausch von Tätigkeitsbeschreibungen oder anderer konkreter Informationen. Darüber hinaus ist
aber auch wichtig, dass die Möglichkeiten und Grenzen jeder Profession definiert
wird und auch abgegrenzt wird. So ist zum Besipiel wichtig, dass medizinische
Informationen zur Pränataldiagnostik von Medizinern vermittelt werden. Darüber
hinaus sollten lokale Netze aufgebaut werden, in denen man sich persönlich
kennenlernt und Kontakte knüpft. Und schlielich halte ich es für wichtig, dass
interdisziplinäre Fortbildungen durchgeführt werden und dass auch Qualitätskontrollen statfinden. Das Ganze sollte wissenschaftlich begleitet werden.
Frau Pingen-Rainer, sind das die Dinge, die Ihrer Erfahrung nach einer besseren Kooperation der einzelnen Berufe und damit letztlich einer besseren
Unterstützung schwangerer Frauen dienen?
Ja, ich denke auch, dass an vorderster Stelle das Interesse stehen muss mit einer anderen Berufsgruppe zusammen arbeiten zu wollen. Zum einen, um sich
selbst bei umfangreicher Problematik zu entlasten, und zum anderen, um gemeinsam mit einer anderen Fachkraft für die Schwangere eine ganzheitlichere
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Beratung zu erreichen. Wenn wirklich das gemeinsame Interesse an Zusammenarbeit besteht, dann schafft man es auch, fest vereinbarte Prozessabläufe
innerhalb noch zu schaffender Strukturen regelmäßig wahrzunehmen. Dies wäre
meiner Ansicht nach zum Beispiel in regelmäßig stattfindenden Arbeitskreisen
möglich, in sogenannten Qualitätszirkeln, oder in Dienst- oder Fallbesprechungen. Für wichtig halte ich es auch, die unterschiedliche Wahrnehmung auf einen
„Fall“ aus verschiedenen Blickwinkeln zu reflektieren. Persönliche Offenheit und
Reflektionsbereitschaft ist hier eine wichtige Voraussetzung zur Kommunikation
innerhalb der Zusammenarbeit.
Rainer Schmidt, Sie nicken. Stimmen Sie dem zu?
Es ist vor allem die Bereitschaft, miteinander zu arbeiten, die uns weiterbringt.
Und die Einsicht, dass werdende Eltern in einer Konfliktsituation die verschiedensten Bedürfnisse haben, die nicht alleine von einer Einrichtung oder Person
abgedeckt werden können. Vernetzung sollte schließlich in Vereinbarungen festgehalten werden, damit sie auch auf längere Zeit hin funktioniert.
Frau Dr. Kribs, wenn ein Kind mit einer Krankheit oder Behinderung geboren ist, haben die Eltern ein großes Bedürfnis nach Unterstützung und Beratung. Wünschen Sie sich als Kinderärztin da manchmal mehr Unterstützung von anderen in der Beratung?
Ja, man man muss bei all dem auch bedenken, dass Pränatalmedizin für die Mitglieder aller hier involvierten Berufsgruppen auch eine erhebliche persönliche
Belastung darstellt, die sowohl emotionale Betroffenheit als auch ggf. Ängste vor
rechtlichen Konsequenzen des eigenen Handelns beinhaltet. Aus dieser persönlichen Situation können Berührungsängste resultieren, die eine Kooperation mit
anderen Berufsgruppen erschweren. Es müssen daher Strukturen geschaffen
werden, in denen ein sachlicher Austausch über einzelne „Fälle“ unproblematisch
und selbstverständlich möglich ist. Tür an Tür-Lösungen in Praxen oder Kliniken
sind dazu gut geeignet. Auf dem Boden einer solchen Zusammenarbeit kann die
Vernetzung und Kooperation der Berufsgruppen nicht nur für die betroffenen Eltern ausgesprochen hilfreich, sondern auch für die professionellen Helfer persönlich entlastend sein.
Frau Randel-Timperman, was ist aus Ihrer Sicht als Mutter eines Kindes mit
Down Syndrom besonders wichtig? Was haben Sie selbst manchmal vermisst, was müsste sich bessern?
Zur besseren Vernetzung der verschiedenen Fachdienste sollten meines Erachtens die Selbsthilfegruppen mehr eingebunden werden. Zum einen können sie
aus eigener Betroffenheit Trost, Rat und Unterstützung anbieten, andererseits
sind sie mit Behandlungsmaßnahmen und den entsprechenden Anlaufstellen
vertraut und geben diese Informationen gerne weiter. Die bisherige Praxis zeigt
leider, dass Selbsthilfegruppen insbesondere von Fachärzten und Klinikstellen
als Partner nicht immer ernst genommen werden. Informationsbroschüren verschwinden meist in die Schublade, ohne weiter gegeben zu werden. Im sensiblen, vielschichtigen Komplex Pränataldiagnostik und Beratung sollten Fachleute
und erfahrene Betroffene ebenbürtige, sich respektierende Partner sein.
Margret Oslislo, kennen Sie als psychosoziale Beraterin dieses Problem
auch: Dass die Vertreter der einzelnen Berufsgruppen immer noch zu wenig
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miteinander reden, dass die einzelnen Partner sich nicht immer als ebenbürtig respektieren?
Dass sich die unterschiedlichen Berufsgruppen gegenseitig akzeptieren und respektieren, halte ich persönlich für besonders wichtig. Die unterschiedlichen Ansätze können dann in einem der Sache dienenden Mainstream zusammenlaufen.
Dabei ist ein ständiger Kontakt der unterschiedlichen, beruflichen Vernetzungspunkte untereinander zu erhalten und zu fördern. Das hat mir auch an dieser
Tagung sehr gut gefallen. Sie war in begrüßenswerter Weise von Vertretern unterschiedlicher Berufsgruppen besetzt. Alle haben von jeweils unterschiedlicher
Position her auch mit unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungen mit dem
Problem der Risikoschwangerschaft zu tun.
Dr. Barbara Baier, hier wird miteinander geredet und es werden, so denke
ich, auch erste Netze geknüpft. Sind Sie optimistisch, dass sich dies auf
die Praxis übertragen lässt?
Die unterschiedlichen Professionen müssen ganz einfach die Wichtigkeit und
Wertigkeit einer Vernetzung bzw. Kooperation erkennen, d.h. es muss das für die
Schwangere möglicherweise entstehende Konfliktpotential einer Pränataldiagnostik bewusst sein. Dazu gehört auch, das die betreuenden Frauenärzt/innen
informiert und einbezogen werden. Es muss auch von vornherein klar sein, dass
keine Konkurrenz der verschiedenen Professionen besteht, dass – im Gegenteil
– die unterschiedlichen Professionen voneinander Im Sinne der betreuenden
Frauen lernen und profitieren. Dabei muss auch erkannt und anerkannt werden,
dass eine andere Profession Hilfe leisten kann bei der Betreuung der Schwangeren, die man selbst nicht geben kann, da das eigene Arbeitsfeld ein anderes ist.
Berührungsängste der einzelnen Professionen müssen abgebaut werden. Darüber hinaus sollten gemeinsame Fortbildungen zwischen Niedergelassenen
Frauenärzten, Pränatalmedizinern und Beraterinnen organisiert werden. Der Berufsverband der Frauenärzte/der Pränatalmediziner, der zur Zeit gegründet wird,
müsste angesprochen werden. Ich halte es außerdem auch für wichtig, dass sollte das Thema Pränatalmedizin und Psychosoziale Beratung in den Schulen subtil
und feinfühlig thematisiert werden.
Dabei wäre es auch hilfreich, Strukturen zu geschaffen, die es einer Schwangeren ermöglichen, sofortKontakt zu einer Beraterin zu bekommen. Diese Information könnte zum Beispiel eine geschulte Arzthelferin geben, es könnten Flyer
verteilt werden oder Aushänge im Wartezimmer gemacht werden. Eine spannende Idee ist auch - und dazu haben wir ja heute vormittag ein spannendes Beispiel
gehört -, dass es ein „Büro“ der beratenden Profession direkt in einem Pränatalmedizinischen Zentrum gibt.
Viele Idee, viele gute Ansätze. Nun müssen sie nur noch den Weg in diese
Praxis finden. Dabei gibt es schon eine ganze Reihe vielversprechender
Projekte zur besseren Kooperation zwischen den einzelnen Partner in der
Pränataldiagnostik. Und ich denke vieles von dem, was wir jetzt und auch
heute vormittag gehört haben, sind wichtige Anstöße für die weitere Arbeit.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und auch Ihnen, den Gästen dieser Gesprächsrunde, ganz herzlich, dass Sie dabei waren. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und kommen Sie gut nach Hause.
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Verzeichnis der Mitwirkenden
Baier, Barbara, Dr. med., Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin, DEGUM Stufe II, Praxis für Pränatalmedizin, Dortmund
Balkae, Warda, Krankenschwester im Heinrich-Heine-Universitätsklinikum und
Mutter
Chudziak, Sybille, Erzieherin und Mutter eines Kindes mit Down-Syndrom, Bergisch-Gladbach
Diemer, Hans-Peter, Prof. Dr. med., Chefarzt der Abteilung für Frauenheilkunde
und Geburtshilfe im Marienhospital, Düsseldorf, Vorsitzender der DiözesanArbeitsgemeinschaft Katholischer Krankenhäuser im Erzbistum Köln
Draschner, Sanja, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, DEGUM II,
in niedergelassener Praxis, Bergisch Gladbach
Fricke, Anke, Dipl. Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und psychosoziale Beraterin beim Sozialdienst kath. Frauen e.V. Berlin, Sprechstunde in der
Charité, Pränatalmedizin, Berlin
Habermann, Gesine, freiberufliche Hebamme mit Erfahrung in klinischer und
Hausgeburtshilfe, Zusammenarbeit mit esperanza des Sozialdienst katholischer
Frauen Köln e. V. seit drei Jahren
Hahn, Marion, Heilpädagogin in der Integrativen Kindertagesstätte Schneckenhaus, Bergisch-Gladbach
Höver, Gerhard, Prof. Dr. theol., Moraltheologe an der Katholisch-Theologischen
Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Mitglied des ehrenamtlichen Fachteams der Referates esperanza im Diözesan-Caritasverband
für das Erzbistum Köln
Jorzig, Alexandra, Dr. jur., tätig als Rechtsanwältin in der Sozietät Dr. Rehborn,
Rechtsanwälte Berlin - Dortmund - Köln - Leipzig - München
Kaszián, Angela, Dipl. Sozialpädagogin, Zusatzqualifikation für psychosoziale
Beratung in Krisen- und Konfliktsituationen, psychosoziale Beraterin bei esperanza des Sozialdienst katholischer Frauen Leverkusen e. V.
Kribs, Angela, Dr. med. Pädiaterin, Oberärztin in der Universitätskinderklinik Köln
Leube, Barbara, Dr. med., Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Humangenetik und Anthropologie
Müller, Elisabeth, Dipl. Sozialpädagogin, Zusatzqualifikation für psychosoziale
Beratung in Krisen- und Konfliktsituationen und im Kontext von Pränataldiagnostik, psychosoziale Beraterin bei esperanza des Sozialdienst katholischer Frauen
Köln e. V.
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Oslislo, Margret, Dipl. Sozialarbeiterin, Zusatzqualifikation für psychosoziale Beratung in Krisen- und Konfliktsituationen, Zusatzausbildung in Gestalttherapie,
psychosoziale Beraterin bei esperanza des Sozialdienst Katholischer Frauen und
Männer Düsseldorf e. V.
Pesch, Christa, Dipl. Sozialpädagogin, Supervisorin, Referentin für esperanza im
Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e. V.
Pingen-Rainer, Gisela, Dipl. Sozialarbeiterin, Referentin in der Zentrale des Sozialdienst kath. Fraunen, Dortmund, als psychosoziale Beraterin Erfahrungen im
Modellprojekt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
"Entwicklung von Beratungskriterien für die Beratung Schwangerer bei zu erwartender Behinderung des Kindes" beim Sozialdienst kath. Frauen Dülmen e.V.
Randel-Timperman, Monique, Dipl.-Dolm., MA Psychologie-Patholinguistik, Mutter eines Sohnes mit Down-Syndrom, Mitglied der European Down Syndrome
Association, Publikationen und Übersetzungen zum Down-Syndrom und zu entwicklungspsychologischen Fragestellungen, wohnhaft in Erftstadt
Schleppe, Bettina, Dipl. Sozialpädagogin, Zusatzqualifikation für psychosoziale
Beratung in Krisen- und Konfliktsituationen und im Kontext von Pränataldiagnostik, psychosoziale Beraterin bei esperanza des Caritasverbandes für den Rheinisch Bergischen Kreis e.V.
Schmid, Christine, Mutter einer 18jährigen Tochter mit Down-Syndrom, Mitglied
im Arbeitskreis Down-Syndrom, wohnhaft in Lohmar
Schmidt, Rainer, evangelischer Theologe und Pastor, Referent am Pädagogisch
Theologischen Institut in Bonn, Paralympicsteilnehmer (Tischtennis), mehrfacher
Medaillengewinner, Autor des Buches "Lieber Arm ab als arm dran", 3. Auflage
2006, Gütersloher Verlagshaus. www.schmidt-rainer.com.
Wilhelm, Christian, Prof. Dr. med., Facharzt für Frauenheilkunde, Geburtshilfe
und Pränatalmedizin in niedergelassener Praxis in Köln
Wleklinski, Maren, Mutter einer Tochter mit Mehrfachbehinderung, wohnhaft in
Bergisch Gladbach
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