Beratung vor, während und nach Pränataldiagnostik - Vernetzung und Kooperation der Professionen Dokumentation der Fachtagung am 22. Oktober 2005 im Maternushaus, Kardinal-Frings-Str. 1 - 3 50668 Köln Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e. V. Hrsg.: Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e. V. Referat esperanza Georgstr. 7, 50676 Köln Redaktion: Christa Pesch [email protected] Textverarbeitung: Christel Rahmen www.esperanza-online.de Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Inhaltsverzeichnis Dr. Frank Johannes Hensel, Direktor des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln .......................................................................................................5 Begrüßung und Einführung in die Fachtagung ....................................................... Vorträge Christian Wilhelm ...................................................................................................8 Die schwangere Frau zwischen guter Hoffnung und medizinischem Risiko........... Alexandra Jorzig ..................................................................................................17 Beratung vor, während und nach Pränataldiagnostik .. „Medizinische Aufklärungsund Beratungspflicht aus haftungsrechtlicher Sicht“ ............................................... Gerhard Höver .....................................................................................................25 Vor welche ethischen Fragen und Herausforderungen stellt uns „Pränataldiagnostik und Beratung“?........................................................................ Christa Pesch.......................................................................................................35 Psychosoziale Beratung, vor, während und nach Pränataldiagnostik aus Sicht von Ratsuchenden und von Pränatalmediziner(inne)n ........................................... Sanja Draschner ..................................................................................................56 Beispiel für interprofessionelle Kooperation - Erfahrungen aus dem Modellprojekt - in einer niedergelassenen Praxis.......................................................................... Bettina Schleppe ..................................................................................................61 Kooperationsbeispiel in niedergelassener Praxis ................................................... Hans-Peter Diemer ..............................................................................................66 Beispiel für interprofessionelle Kooperation - Erfahrungen aus dem Modellprojekt - in einer Klinik......................................................................................................... Margret Oslislo .....................................................................................................68 Beispiel für interprofessionelle Kooperation - Erfahrungen aus dem Modellprojekt - in einer Klinik Rainer Schmidt.....................................................................................................70 Leben mit Behinderung – Grenzen als Chancen .................................................... Foren Forum 1 "Aufbau von Kooperationen / Umgang mit den Schnittstellen zwischen Medizin und psychosozialer Beratung ................................................................ 75 Christian Wilhelm .................................................................................................75 Gesine Habermann ..............................................................................................75 Elisabeth Müller....................................................................................................76 Gisela Pingen-Rainer, Protokoll ...........................................................................79 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Forum 2 "Diagnoseeröffnung interdisziplinär gestalten" ..................................... 80 Anke Fricke ..........................................................................................................80 Barbara Baier .......................................................................................................83 Barbara Leube .....................................................................................................83 Angela Kribs.........................................................................................................84 Anke Fricke, Protokoll ..........................................................................................85 Forum 3 "Ärztliche und psychosoziale Beratung und Begleitung bei Pränataldiagnostik und zu erwartender Behinderung aus Sicht betroffener Eltern" ............................................................................................... 87 Christine Schmid ..................................................................................................87 Warda Balkae ......................................................................................................91 Sanja Draschner ..................................................................................................92 Margret Oslislo, Protokoll .....................................................................................94 Forum 4 "Wie Leben mit Behinderung in Familie und Gesellschaft gelingen kann" .................................................................................................... 96 Maren Wleklinski ..................................................................................................96 Bettina Schleppe ..................................................................................................97 Bettina Schleppe, Protokoll ..................................................................................98 Forum 5 "Fördermöglichkeiten für Kinder mit einer geistigen Behinderung" .... 100 Monique Randel-Timperman..............................................................................100 Sybille Chudziak.................................................................................................108 Marion Hahn ......................................................................................................111 Angela Kaszián, Protokoll ..................................................................................114 Abschlussgespräch Pränataldiagnostik - Vernetzung und Kooperation in der ärztlichen und psychosozialen Begleitung von schwangeren Frauen und Paaren sowie von Eltern eines Kindes mit Behinderung ........................................................... 115 Moderation: Jutta vom Hofe, Journalistin Verzeichnis der Mitwirkenden ............................................................................124 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Dr. Frank Johannes Hensel, Direktor des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln Begrüßung und Einführung in die Fachtagung "Beratung vor, während und nach Pränataldiagnostik - Vernetzung und Kooperation der Professionen" Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen, herzlich heiße ich Sie willkommen und freue mich, dass sie so zahlreich unserer Einladung gefolgt sind, übrigens weitaus zahlreicher als wir erwartet hatten. Ihre Teilnahme werte ich als ein deutliches Zeichen für die Dringlichkeit des Themas. Es ist gut und wichtig, dass alle Berufsgruppen, die mit der Einladung angesprochen wurden, heute auch tatsächlich hier vertreten sind. So sind hier u. a. Hebammen, Schwangerschaftsberaterinnen und Berater, Pädiater und Gynäkologen, Psychotherapeuten, Sprachtherapeuten, Seelsorger. Sie alle nutzen die Chance, die unterschiedlichen Blickwinkel und Möglichkeiten der anderen Professionen so einschätzen zu können, dass sie zum Besten der schwangeren Frauen und Paare zusammenwirken. Auch politisch ist das Thema immer wieder in der Diskussion. Besonders begrüße ich natürlich auch die vielen Mitwirkenden im Programm des heutigen Tages; Sie schaffen den Rahmen für unser interprofessionelles Miteinander. Der Vormittag wird dabei als Auftakt für die fünf Foren des Nachmittags dienen, wo Sie die anderen mindestens ein- und gerne auch wertschätzen mögen und über den Erfahrungsaustausch auch gleich konkrete Kooperationsmöglichkeiten aufzeigen und finden können. Der erste Vortrag "Die schwangere Frau zwischen guter Hoffnung und medizinischem Risiko" greift gleich den zentralen Zwiespalt auf. In seinem Vortrag wird Herr Professor Wilhelm, niedergelassener Pränatalmediziner in Köln, die technischen Fortschritte aufzeigen, die Früherkennungen beim ungeborenen Kind gestatten und medizinische Möglichkeiten eröffnen, mit denen die Kindersterblichkeit reduziert und Schwangerschaftsabbrüche verhindert werden können. Dadurch gewinnt die Pränataldiagnostik und -therapie ihre segensreiche Bedeutung und gibt Eltern Hoffnung, Zuversicht und oft genug auch Sicherheit. Es gibt aber auch die andere Seite, jene Fälle, in denen die Pränataldiagnostik nicht die gute Hoffnung fördert, sondern werdende Eltern in große Not stürzt, wesentlich dann, wenn Behinderungen hochwahrscheinlich oder sicher festgestellt werden, die nicht therapierbar sind. Diese Diagnosen können tiefe Krisen auslösen und in einen emotional und ethisch hoch belasteten Konflikt führen. Es entstehen Entscheidungssituationen, die die handelnden bzw. die betroffenen Personen oftmals überfordern. Nicht nur werdende Eltern, auch Ärztinnen und Ärzte erleben solche Grenzsituationen als äußerst belastend und geraten nicht zuletzt aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in sehr, sehr ernste Bedrängnis. Eltern hatten eine Ärztin auf Schadensersatz verklagt, weil diese die Behinderung des Kindes in der Pränataldiagnostik nicht erkannt bzw. nicht mitgeteilt hatte. Der Bundesgerichtshof verurteilte die Ärztin daraufhin zu Schadensersatz. 5 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht 1993 in seinen Leitsätzen zum Urteil des § 218 StGB formuliert, dass das Dasein eines Kindes nicht als Schadenquelle angesehen werden darf, der Bundesgerichtshof hat jedoch den Unterhalt für die Geburt dieses Kindes als Schadensersatz verfügt. Das Urteil hat zu heftiger Kritik geführt – ich finde es geradezu schauerlich – und nicht zuletzt hat es dazu beigetragen, dass mittlerweile fast jeder Frau pränataldiagnostische Maßnahmen angeboten werden, um sich als Ärztin oder Arzt gegen derlei haftungsrechtliche Ansprüche abzusichern. Frau Dr. Jorzig widmet sich daher in ihrem Vortrag dem Arzthaftungsrecht und seiner Entwicklung unter dem Einfluss der gegenwärtigen Rechtsprechung. Nicht nur mit Blick auf die Arzthaftung, sondern ganz schlicht und ergreifend für unser Zusammenleben hat das Urteil des Bundesgerichtshofs eine hohe symbolische Wirkung, die Geburt von Kindern mit Behinderung als haftungsrechtlichen Schadensfall anzusehen. Man fragt sich, wer hier die unerwünschten Personen sind. Es ist ein kritischer Punkt, an dem wir da stehen. Es sind große ethische Herausforderungen für uns als Bürger eines Staates, der die Würde des Menschen als das höchste Gut ansieht. In Artikel 3 des Grundgesetzes ist darüber hinaus verankert, dass kein Mensch wegen einer Behinderung benachteiligt werden darf. Und nun mein Bekenntnis, Sie werden sich nicht wundern, es bei der Caritas der katholischen Kirche zu hören, und ich möchte es auch aussprechen: Gerade hier zeigt sich die Achtung vor der Würde des Menschen, dieser unveräußerlichen, von Gott geschenkten, nicht einer sich verdienenden oder anderen Menschen offensichtlich imponierenden Würde. "Der Respekt vor der Personenwürde des Menschen umfasst daher die Unverletzlichkeit seines leiblichen Daseins von allem Anfang an", so schrieb es Papst Johannes Paul II. Aus dem Glaubensverständnis von der Gottebenbildlichkeit jedes Menschen wissen wir Christen uns in besonderer Weise daran gebunden. Herr Professor Höver, Moraltheologe an der theologischen Fakultät der Universität Bonn, wird dies in seinem Vortrag "Vor welche Fragen und Herausforderungen stellt uns 'Pränataldiagnostik und Beratung'?" aufgreifen. Schon die Formulierung des Titels drückt dabei die Verbundenheit von Pränataldiagnostik und Beratung aus. Alle Entscheidungen, die die Frau oder das Paar treffen müssen, sollen natürlich auf medizinischen Informationen basieren. Die Menschen brauchen aber auch innere Klarheit und müssen dafür die Aspekte der eigenen Lebensplanung, der Paarbeziehung und insbesondere der persönlichen, sozialen und moralischen Ressourcen einbeziehen. Gerade dabei kann psychosoziale Beratung sehr hilfreich sein. Die Erfahrungen unseres Modellprojektes mit dem etwas sperrigen Titel „Psychosoziale Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik und bei zu erwartender Behinderung des Kindes“ belegen, dass angesichts der Komplexität der Beratungserfordernisse eine Arbeitsteilung zwischen medizinisch-ärztlicher und psychosozialer Beratung sehr hilfreich ist. Frau Pesch von unserem DiözesanCaritasverband für das Erzbistum Köln wird in ihrem Vortrag den Fragen nachgehen, welche Gründe Frauen veranlasst haben, psychosoziale Beratung in Anspruch zu nehmen und wo der richtige Ort ist, um unabhängig von der Ärztin bzw. dem Arzt auf das zu schauen, was eine mögliche Diagnose für sie selbst, für ihren Partner und für die Beziehung zum Kind bedeuten würde. Aus der Projektevaluation geht interessanterweise hervor, dass Frauen auch bei ausreichend empfundener Beratung durch den Arzt gleichzeitig einen signifikanten Bedarf an psychosozialer Beratung zum Ausdruck bringen. Hier stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, dass Ärzte auf die psychosoziale Beratung hinwei6 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ sen und damit übrigens auch der Hinweispflicht, die in den Mutterschaftsrichtlinien verankert ist, nachkommen. Es erscheint wünschenswert, dass die Information über den Rechtsanspruch auf psychosoziale Beratung, wie sie im Schwangerschaftskonfliktgesetz § 2 beschrieben ist, zum anerkannten und verwirklichten Qualitätsstandard gehört. Im Rahmen unseres ja bereits erwähnten Modellprojektes, das zweieinhalb Jahre in drei esperanza-Beratungsstellen durchgeführt wurde, haben wir zwei Ziele verfolgt. Das eine Ziel lautete: Rahmenbedingungen zu erkennen, die es Frauen und Paaren erleichtern, psychosoziale Beratung in Anspruch zu nehmen. Eine der wichtigsten Rahmenbedingungen ist – nach unserer Erkenntnis – eine gut funktionierende Kooperation der Beratungsfachkraft mit den Ärztinnen und Ärzten. Dazu sind Formen der Zusammenarbeit zwischen Medizin und psychosozialer Beratung entwickelt worden, die einen beispielhaften Qualitätsstandard in einer niedergelassenen Praxis oder einer Klinik darstellen können. Frau Dr. Draschner, niedergelassene Gynäkologin, und Frau Schleppe, Beraterin bei esperanza in Bergisch Gladbach, sowie Herr Professor Diemer, Chefarzt der Gynäkologie des Marienhospitals in Düsseldorf, und Frau Oslislo, Beraterin bei esperanza in Düsseldorf, werden über konkrete Erfahrungen in der praktischen Zusammenarbeit berichten. Darüber hinaus zielte das Projekt darauf, die Eltern in ihrer Entscheidungskompetenz zu stärken und die Annahme eines Kindes mit Behinderung zu erleichtern. Wir sind aufgefordert, Frauen und Paaren in diesen Grenzsituationen beizustehen. Herr Rainer Schmidt, evangelischer Theologe und erfolgreicher Tischtennisspieler bei Paralympic, wird über sein Leben mit der Behinderung referieren und dabei Grenzen und Chancen aufzeigen. Auf dem Umschlag seines Buches mit dem eingängigen Titel "Lieber Arm ab als arm dran" heißt es: "Der Tag seiner Geburt war für seine Eltern ein Schock. Rainer Schmidt kam ohne Unterarme und mit einem verkürzten rechten Oberschenkel zur Welt. Doch mit der Zeit lernten seine Familie und er "normal" mit dieser Grenze umzugehen. Rainer Schmidt gewann unter anderem 2004 bei den Paralympics in Athen Silber im Einzel und Gold im Team.“ Heute wäre diese Behinderung, die auf einer Stoffwechselstörung beruht, pränatal feststellbar und würde werdende Eltern dazu bewegen, sich möglicherweise gegen das Kind zu entscheiden, um ihrem Kind und wohl auch sich dieses Leben ersparen zu wollen. Dabei würden sie sich gleichzeitig der vermeintlichen gesellschaftlichen Erwartung stellen müssen, ein Kind mit einer Behinderung nicht auf die Welt zu bringen. Dies ruft uns zum Widerspruch auf; die Belastungen aber, die auf Eltern zukommen können, erfordern einen sehr sensiblen Umgang mit allen Fragen rund um Pränataldiagnostik. Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen, der Spannungsbogen des Tages ist groß. Ich hoffe sehr und wünsche uns allen, dass die Erkenntnisse des heutigen Tages den Willen zur Vernetzung und Kooperation stärken, eine ganzheitliche Versorgung schwangerer Frauen und Paare fördern und einem Leben mit Kindern, die mit einer Behinderung, Fehlbildung oder Erkrankung auf die Welt kommen, mehr Chancen eröffnen. Danke für Ihr Dasein und Ihr Mittun und danke für Ihr aufmerksames Zuhören. 7 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Christian Wilhelm Die schwangere Frau zwischen guter Hoffnung und medizinischem Risiko Gliederung: Was bedeutet pränatale Diagnostik? Definition, Häufigkeit, Indikation. Die Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Historische Entwicklung, zukünftige Fragestellungen. Zwischen guter Hoffnung und medizinischem Risiko. Was ist eine Risikoschwangerschaft? Die Autonomie der Schwangeren – und des Ungeborenen Wo liegen die Schnittstellen mit anderen Ärzten, Hebammen, Sozialarbeitern, Seelsorgern, Psychologen, Juristen? Problemerkennung- Problembewusstsein – Lösungsvorschläge Was bedeutet pränatale Diagnostik? „Die pränatale Diagnostik dient dazu, die Schwangere von der Angst vor einem kranken oder behinderten Kind zu befreien sowie Entwicklungsstörungen des Ungeborenen so frühzeitig zu erkennen, dass eine intrauterine Therapie oder eine adäquate Geburtsplanung unter Einbeziehung entsprechender Spezialisten für die unmittelbare postnatale Versorgung des Ungeborenen erfolgen kann.“ (Bundes-Ärztekammer 1998a) Heute wird mit dem Begriff pränatale Diagnostik ganz überwiegend die Ultraschalluntersuchung verbunden, obwohl dazu auch andere Untersuchungen wie die Bestimmung mütterlicher Blutwerte, die invasive Diagnostik mittels Fruchtwasserpunktion, Nabelschnurpunktion oder Chorionzottenbiopsie oder auch die kindliche Herztonschreibung zusammen mit der Aufzeichnung der mütterlichen Wehen (Cardio-Tokographie,CTG ) gehören. Auch die rechtzeitige Erkennung von schwangerschaftsspezifischen Erkrankungen der Mutter wie beispielsweise der schwangerschaftsinduzierte Bluthochdruck gehören zur Pränataldiagnostik – ein weites Feld. Deshalb erscheint es auch sinnvoller, die pränatale Diagnostik durch den Begriff pränatale Medizin zu ersetzen. Dies auch deshalb, weil sich darin die Tatsache widerspiegelt, dass zur pränatalen Diagnostik längst auch die pränatale Therapie gehört. Dazu gehören beispielsweise bei drohender Früh- oder Mangelgeburt die über die Mutter gegebenen Medikamente, die zu einer Lungenreifung des Ungeborenen führen und damit die Chancen für ein gesundes Überleben entscheidend verbessern. Dazu gehören aber auch invasive Eingriffe, um eine Verschlechterung der pränatalen Erkrankung vorzubeugen. Grundlage der pränatalen Diagnostik sind aber nach wie vor die bereits 1979 eingeführten beiden Screening-Untersuchungen in der Schwangerschaft zwischen der 19. und 22. SSW sowie zwischen der 29. und 32. SSW, die 1995 8 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ durch die erste Screening-Untersuchung zwischen der 9. und 12. SSW ergänzt wurden. Das Wort screen kommt aus dem Englischen und bedeutet Sieb, also ein Suchtest zur frühzeitigen Erkennung von Risiken bzw. Erkrankungen. Beim Erst-Trimester-Screening geht es zunächst darum, die Intaktheit der Schwangerschaft festzustellen. Dies geschieht durch den Nachweis von Herzaktionen und von Kindsbewegungen. Besonders beruhigend ist diese Untersuchung beispielsweise für Schwangere, die in dieser Zeitspanne unter vaginalen Blutungen leiden. Darüber hinaus werden bei dieser Untersuchung durch Messungen – beispielsweise der Scheitel-Steißlänge - das rechnerische Schwangerschaftsalter bestätigt oder korrigiert. So können Fehlbeurteilungen zu einem späteren Schwangerschaftszeitpunkt – beispielsweise die Fehldiagnose einer Übertragung – vermieden werden. Schließlich gehört auch die exakte Beurteilung von Mehrlingsschwangerschaften in diese Untersuchung, um schon jetzt die hohen Risiken von den niedrigen Risiken differenzieren zu können. Es erfolgt gleichzeitig der Ausschluß schwerster, meist nicht lebensfähiger Fehlbildungen. Nicht zu unterschätzen ist das zusätzliche „bonding“ der Mutter zum Ungeborenen, das auch oft bei ambivalenten Schwangeren zu einer auch emotionalen Annahme der Schwangerschaft führt. Schließlich gehört dazu auch das Angebot der Messung der Nackenfalte und des Nasenbeins, womit eine individuelle Risikoeinschätzung für altersabhängige chromosomale Anomalien ermöglicht wird. Dabei können mehr als 90 % der Embryonen mit altersabhängigen chromosomalen Anomalien sowie schwere Herzerkrankungen frühzeitig erkannt werden. Die zunehmende Inanspruchnahme dieser Methode hat bereits zu einem deutlichen Rückgang der Anzahl invasiver Eingriffe wie Fruchtwasserpunktionen geführt, mit einer damit verbundenen Reduzierung der durch diese Eingriffe verursachten Fehlgeburten – auch wenn das Fehlgeburtsrisiko durch die Konzentration auf Zentren und die strengen Qualitätskontrollen in den letzten Jahren rückläufig ist. Die Messung der Nackenfalte und zunehmend auch des Nasenbeins setzt große Erfahrung, professionelle Geräte und ausreichende Untersuchungszeit voraus. Deshalb dürfen diese Untersuchungen auch nur von besonders dafür geschulten Pränatalmedizinern durchgeführt werden, die sich einer jährlichen strengen Qualitätskontrolle unterziehen müssen. Insbesondere ist aber mit dieser Untersuchung den ratsuchenden Frauen die Möglichkeit gegeben, sich innerhalb ihrer eigenen ethischen Normen und Vorstellungen nach entsprechender Beratung auch gegen eine invasive Diagnostik entscheiden zu können. Dies setzt aber eine entsprechende professionelle Beratung voraus, in der die Möglichkeiten und Grenzen dieser Methode aufgezeigt werden. Beim Zweit-Trimester-Screening soll neben der Intaktheit der Schwangerschaft die frühe Unterversorgung des Feten, sowie fetale Entwicklungsstörungen bzw. Fehlbildungen untersucht werden. Dies beinhaltet die Darstellung und Dokumentation der fetalen Organe, um schwerwiegende, zum Teil auch nicht lebensfähige Fehlbildungen auszuschließen bzw. zu erkennen. Dazu gehört auch die Beurteilung der Umgebung, also Fruchtwassermenge und Placenta. Beipielsweise kann dadurch das Vorliegen der Placenta vor dem inneren Muttermund erkannt werden. Zu geringe Fruchtwassermengen bedeuten einen hohen Risikofaktor für das Ungeborene, auch besonders für seine zukünftige Entwicklung. 9 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Schließlich kann durch die Messung der Blutversorgung schon sehr frühzeitig erkannt werden, ob eine zukünftige Unterversorgung des Kindes zu befürchten ist. Das Dritt-Trimester-Screening schließlich befasst sich hauptsächlich mit dem Nachweis des normalen Wachstums des Kindes bzw. dessen Abweichungen. Die Lage des Kindes und der Placenta werden dokumentiert, die Fruchtwassermenge kontrolliert. Die Versorgung des Ungeborenen wird mittels DopplerBlutflussmessungen dargestellt. Schließlich werden die Organe des Kindes nochmals untersucht, um sich erst später manifestierende Fehlbildungen oder zu einem früheren Zeitpunkt nicht erkennbare Veränderungen auszuschließen. Dazu gehören beispielsweise Herzfehler, Wassereinlagerungen beim Kind infolge einer Herzschwäche oder einer bestehenden Infektion. Aber auch Nierenfehlbildungen wie Stauungen des Nierenbeckens können durchaus erst zu diesem Zeitpunkt manifest werden. Dies ist insbesondere für die Zeit nach der Geburt wichtig, damit der Kinderarzt die Ursache der Stauungsnieren untersuchen und rechtzeitig behandeln kann. Zukünftige Entwicklungen werden zu einer weiteren Verbesserung der Erkennbarkeit von Risikosituationen von Mutter und Kind führen, zu einer früheren und rascheren Diagnostik – mit einem geringeren Risiko für Mutter und Kind. Die frühzeitige Erkennung und Behandlung von Erkrankungen des Ungeborenen wird sicherlich ausgebaut werden. Dabei müssen aber auch eine noch konsequentere Qualitätssicherung und Ausbau des fachübergreifenden Beratungsangebotes gehören. Zwischen guter Hoffnung und medizinischem Risiko und damit der möglicherweise äußerst belastende Sturz in ungewisse Ängste, Selbstzweifel und -vorwürfe liegt in der Natur der pränatalen Diagnostik. Durch die immer mehr verfeinerte Ultraschalldiagnostik ist das Ungeborene aus seiner Anonymität herausgetreten, ist visuell und akustisch erlebbar und emotional erfahrbar geworden Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass der Prozentsatz an angeborenen Fehlbildungen bei ca. 5 % liegt, davon – je nach Definition – 1 - 2 % schwere Fehlbildungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Schwangere in ihrer guten Hoffnung bestätigt wird, liegt also bei über 95%. Auf der anderen Seite führt die Konfrontation mit neuen, belastenden Fakten, die Realität, Mutter eines kranken Kindes zu sein und die zerstörte Hoffnung, Mutter eines gesunden Kindes zu sein, meist initial in ein emotionales Chaos, zum Auftreten von Schuldgefühlen, „etwas falsch gemacht zu haben“, der Versorgung eines behinderten Kindes nicht gewachsen zu sein, zu Angst vor Leid und Behinderung. Dazu kommen Ängste, vom Partner abgelehnt oder gar verlassen zu werden. Auch die einzigartige Situation, dass hier zwei Patienten Berücksichtigung finden müssen, kann zu zusätzlichen Problemen führen: Die Schwangere und das Ungeborene, die durchaus unterschiedliche Interessen haben können. Beispielsweise schädigen Nikotin, Alkohol und andere Drogen das Ungeborene nicht nur kurzfristig, sondern auch mittel- und langfristig. Letztendlich lassen sich aber viele Schwangere, die von diesen Drogen abhängig sind, auch durch intensive Aufklärung von einer weiteren Einnahme abbringen. Umgekehrt kann die Situation entstehen, dass es durch die Schwangerschaft selbst zu einer lebensbedrohlichen Situation der Mutter kommen kann. 10 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Manche Eltern verstehen auch nicht die Komplexität und Unsicherheiten mancher vorgeburtlich erkannter Erkrankungen, in manchen Situationen kann auch der betreuende Arzt noch keine sichere Prognose abgeben, dies ist oft auch unmittelbar nach der Geburt noch gar nicht möglich. Viele Eltern neigen auch dazu, nach der Mitteilung einer Fehlbildung des Kindes vorschnelle Entscheidungen, meist gegen das Kind, zu treffen. Hier hilft nur die behutsame, rationale, professionelle und zeitintensive Information und das Angebot, zur Diagnosebestätigung eine zweite Meinung einzuholen. Oft helfen auch Kontakte zu Spezialisten weiterer Disziplinen (Kinderneurologe, Kinderkardiologe, Kieferorthopäde usw.). Oftmals verkehrt sich auch die gutgemeinte Durchführung eines risikoeingrenzenden Tests ins Gegenteil, weil das Testergebnis falsch interpretiert wird. Deshalb empfiehlt es sich, vor der Durchführung eines solchen Tests Möglichkeiten und Grenzen aufzuzeigen. Ebenso sollte die Schwangere in ihrer Entscheidung gegen solche Tests respektiert werden. Dies ist auch der Sinn der „nichtdirektiven" Beratung und des „informed consent“. Inwieweit ein auffälliger Befund eine Schwangere zu weitergehenden Entscheidungen bewegt, bleibt in jedem Fall ihre individuelle und subjektive Entscheidung. Dies ist auch im Sinne der Autonomie der Patientin. Eine normative Bewertung in Form medizinischer, ethischer oder gesellschaftlicher Zwänge existiert nicht. Dem Pränataldiagnostiker fällt nun die Aufgabe zu, die Zeit und Empathie aufzubringen, um das verängstigte Paar zu begleiten. Zunächst ist es gar nicht in der Lage, die unerwartete schlechte Nachricht zu verarbeiten. Es hat sich bewährt, den verunsicherten Eltern Zeit zu geben, um dann in ein erneutes Gespräch einzutreten – man wundert sich oft, wie viele Missverständnisse man ausräumen kann. Dann kann auch das weitere Vorgehen geplant werden. Neben der schon erwähnten Vorstellung bei ärztlichen Spezialisten mit der Diagnosebestätigung und der Prognoseeinschätzung gehören dazu das Angebot, professionelle weitere Beratungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen: psychosoziale Beratung, Hebammenbegleitung, psychologische Betreuung, Kontaktaufnahme mit Eltern von Kindern mit einer vergleichbaren Erkrankung, seelsorgerische Begleitung und nicht zuletzt die weitere ärztliche Betreuung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Dazu gehören beispielsweise die Festlegung über die Frequenz der medizinischen Kontrollen, die Wahl der Entbindungsklinik, die Art der Entbindung und die Festlegung des Entbindungszeitpunktes. Natürlich spielen auch juristische Gesichtspunkte im Rahmen der Pränataldiagnostik eine Rolle. Die Aufklärungspflicht vor geplanten pränataldiagnostischen Maßnahmen, insbesondere vor invasiven Eingriffen, ist mit der Entwicklung neuer Verfahren ständigen Änderungen unterworfen. Des Öfteren wird auch der Dokumentationspflicht nicht vollständig entsprochen, was im Einzelfall zu schwierigen Situationen führen kann. Was versteht man unter einer Risikoschwangerschaft? Es gibt mütterliche und kindliche Risiken. Mütterliche Risiken sind beispielsweise Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, und viele weitere behandlungs- bzw. kontrollbedürftige Erkrankungen, besonders auch dann, wenn sie mit der Einnahme von Medikamenten verbunden sind. Auch die zunehmende Zahl von älteren Schwangeren und von Mehrlingsschwangerschaften zählen dazu. Belastungen aus der medizinischen Vorgeschichte wie Komplikationen in den vorausgegangenen Schwangerschaften, vermehrte familiäre Fehlbildungen oder Erbkrankheiten zählen ebenso dazu. 11 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Kindliche Risiken sind beispielsweise mütterliche Infektionen, festgestellte oder vermutete Fehlbildungen, untergewichtige oder überschwere Kinder, Vermehrung oder Verminderung der Fruchtwassermenge und vieles mehr. Nur die rechtzeitige Erkennung von Risiken kann zu einer optimalen Betreuung von Mutter und Kind führen. Dabei hat die Feststellung eines Risikos nichts mit Angstmache zu tun, sondern sie soll dazu führen, die Akzeptanz der Schwangeren durch eine umfassende und behutsame Aufklärung zu erreichen. Dabei sollten aber übertriebene bzw. allzu häufige Kontrollen unterbleiben. Auch hier ist wiederum die individuelle, mit der Patientin besprochene Planung entscheidend. Wo liegen die Schnittstellen mit anderen Professionen? Ärzte-Ärzte: • Pränatalmediziner allgemeine Geburtshilfe und Gynäkologie, klinische Geburtshilfe und Gynäkologie, gemeinsame Betreuung von Risikoschwangerschaften, mit Festlegung der Kontrollen, des Zeitpunktes der Klinikeinweisung der Vorab-information der Kliniker, Erstellen eines Behandlungsplanes bei mütterlichen Erkrankungen, ggf. mit Internisten, Diabetologen, Kardiologen, Rheumatologen oder anderen. • Pädiater: Vorab-Information über kindliche Fehlbildungen oder Unterversorgungen ggf. Hinzuziehung zur Geburt oder pränatal zur Prognosebeurteilung. • Humangenetiker: Vorstellung der Patientin bei familiären Erkrankungen, bei auffälligen Ergebnissen der invasiven Diagnostik, bei Einnahme von Medikamenten in der Schwangerschaft, bei vorausgegangenen chromosomalen oder genetischen Erkrankungen. • Hebammen: Info der mitbetreuenden Hebamme bei Risiken für Mutter und Kind, Aufbau eines gemeinsamen Behandlungsplanes, unter Einbeziehung von ambulanten und Klinikhebammen. Bei Nicht-Risikoschwangerschaften Absicherung vor geplanter Hausgeburt bzw. Geburtshaus, beispielsweise bei Verdacht auf Übertragung, oder Minderversorgung des Kindes. Information über Fehleinstellung des Ungeborenen und Möglichkeiten, über die Hebamme zu entsprechenden Behandlungsvorschlägen mit Darstellung der Alternativen zu kommen. Rückmeldung wichtig (in beide Richtungen). • Psychosoziale Beratung: Bei erkennbaren psychosozialen Belastungen der Schwangeren beim ersten Arztkontakt wie offensichtliche Partnerschaftskonflikte, soziale Belastungen, Ambivalente Einstellung zur Schwangerschaft, Schwangerschaftskonflikten, nach Mitteilung einer Fehlbildung des Kindes als zusätzliches Beratungsangebot. Die Schwangere soll darüber informiert werden, dass sie über das ärztliche Gespräch hinaus einen Anspruch auf kostenlose psychosoziale Beratung hat. • Seelsorger: Information über die medizinischen Gesichtspunkte Grundsätzlich sollte für alle angestrebten Kooperationen ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, das neben dem persönlichen Kennenlernen die Möglichkeit eröffnet, sich nicht nur in die räumlichen und persönlichen Gegebenheiten des 12 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Partners hineinversetzen zu können, sondern vor allem in ihre Denk- und Arbeitsweise. Eine solche Basis an Vertrauen ermöglicht erst einen effizienten Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten, und dass, falls gewünscht, die Patientin in diese Gespräche mit einbezogen werden kann. Dabei sollten alle Beteiligten ihre Werthaltungen in einer bewussten und kontinuierlichen Reflexion klären – auch und gerade in gemeinsamen Fallbesprechungen. 13 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 14 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 15 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 16 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Alexandra Jorzig Beratung vor, während und nach Pränataldiagnostik „Medizinische Aufklärungs- und Beratungspflicht aus haftungsrechtlicher Sicht“ I. Vorbemerkung Gerade in den letzten Jahren nimmt die Verrechtlichung der Medizin zu. Auch der Bereich der Pränataldiagnostik bleibt hiervon nicht verschont. Hinzu kommt eine Veränderung des Verständnisses von Schwangerschaften und des Menschwerdens in der Gesellschaft. Die Menschwerdung wird nicht mehr ohne Weiteres als Naturereignis hingenommen, sondern es wird immer mehr die Beherrschbarkeit der Situation und somit auch der Menschwerdung verlangt. Behindertes Leben wird nicht mehr als naturgegeben hingenommen, sondern von der Ärzteschaft wird gefordert, dass jegliche Art von Behinderung erkannt und somit ausgeschaltet wird. Dies führt auf Seiten der medizinischen Behandlung zu gesteigerten Pflichten, insbesondere zu Aufklärungs- und Beratungspflichten, um ein Haftungsrisiko weitgehendst zu minimieren. II. Allgemeines zu Aufklärungs- und Beratungspflichten 1. Allgemeines Jede ärztliche, die Integrität des Menschen berührende Maßnahme stellt seit der Rechtsprechung des Reichsgerichtes tatbestandlich eine Körperverletzung dar1. Dies gilt unabhängig davon, wie die Behandlung als solche durchgeführt worden ist2. Auch die lege artis, d. h. fachgerecht, durchgeführte und auch gebotene ärztliche Heilbehandlung erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung im Sinne der §§ 823 Abs. 1 BGB, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 StGB. Ohne Einwilligung ist die Haftung des Arztes dem Grunde nach begründet3. In Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten normiert. In diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Auch gemäß in § 8 der (Muster-)Berufsordnung der Ärzte ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten. Zur Behandlung bedarf der Arzt somit der Einwilligung des Patienten. Der Einwilligung hat grundsätzlich eine Aufklärung im persönlichen Gespräch vorauszugehen. Zudem ist die ärztliche Aufklärungspflicht auch eine Nebenpflicht des Behandlungsvertrages zwischen Arzt und Patient. Aus diesen Rechtsvorschriften ist abzuleiten, dass eine Aufklärung des Patienten vor der Behandlung unentbehrlich ist, um nicht gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen und insbesondere keine Körperverletzung im Sinne des Strafgesetzbuches zu begehen. 1 2 3 RGSt 25, 375 BGH NJW 1998, 2946 BGH VersR 2001, 592 17 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 2. Arten der Aufklärung Zu differenzieren ist bei der Aufklärung zwischen diversen Arten von Aufklärungen. a. Verlaufsaufklärung Die Verlaufsaufklärung wird manchmal auch als Eingriffsaufklärung bezeichnet. Dies bedeutet, dass der Arzt dem Patienten Art, Umfang und Durchführung eines geplanten Eingriffes detailliert darzulegen hat. Er hat den Patienten auch über verschiedene Diagnose- und Behandlungsverfahren zu informieren. Im Rahmen der Verlaufsaufklärung gilt insofern eine volle Aufklärungspflicht. Nur wenn der Patient umfassend aufgeklärt wurde, bleibt sein Selbstbestimmungsrecht gewahrt, denn wer nicht weiß, worauf er sich einlässt, wer die Risiken nicht kennt, kann nicht rechtswirksam in eine ärztliche Heilmaßnahme einwilligen. Es ist ausreichend, dass der Patient „im Großen und Ganzen“ eine Vorstellung dessen bekannt, was auf ihn zukommt. Alles, was für seine körperliche Integrität und Lebensführung von Bedeutung werden kann, gehört zur Verlaufsaufklärung4. b. Risikoaufklärung Im Rahmen der Risikoaufklärung ist der Patient über alle typischen und nicht völlig abseits liegenden Risiken zu informieren. Der Patient soll dadurch die Möglichkeit bekommen, sich eigenmächtig zu entscheiden, ob ein schwerwiegender Eingriff von ihm akzeptiert wird oder nicht. c. Krankheits- und Befindlichkeitsaufklärung Der Patient ist über den Krankheitszustand, die Diagnose und Prognose zu informieren. In diesem Bereich gilt kein therapeutisches Privileg. Unter therapeutischem Privileg versteht man die Befugnis des Arztes, dem Patienten zu dessen eigener Schonung schwerwiegende Mitteilungen über den Gesundheitszustand zu verschweigen, um den Heilungsverlauf oder den Heilungswillen nicht zu schwächen oder gar zu untergraben. Das ist dann der Fall, wenn die Eröffnung einer Erkrankung zu einer ernsten und nicht behebbaren Gesundheitsschädigung führt oder eine übermäßige psychische Beeinträchtigung zu erwarten ist. d. Therapeutische Aufklärung Unter der therapeutischen Aufklärung versteht man Hinweise für Verhaltensmaßregeln, um den Erfolg einer Therapie zu sichern. Hierzu gehört z. B. der Hinweis zur richtigen Einnahme von Medikamenten. e. Aufklärung über wirtschaftliche und versicherungsrechtliche Begleitumstände einer Behandlung Der Arzt ist auch dazu verpflichtet, über wirtschaftliche und versicherungsrechtliche Begleitumstände einer Behandlung aufzuklären. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Behandlungsmaßnahmen keine Kassenleistungen darstellen und somit auf den Patienten Privatkosten zukommen. 4 BGH MDR 2000, 701 18 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Für die tägliche Praxis sind jedoch die Verlaufs- und Risikoaufklärung die entscheidenden und bedeutsamen Aufklärungsarten. 3. Umfang der Aufklärung Der Umfang der Aufklärung richtet sich nach der Dringlichkeit des Eingriffes. Als Grundsatz gilt: Je dringlicher der Eingriff, je weniger Alternativen, desto geringer die Aufklärungspflicht. Je weniger dringlich, je größer die Alternativen, desto intensiver die Aufklärungspflicht. Die Aufklärung hat sich auch stets am verständigen Patienten zu orientieren. Dies bedeutet, dass sich der Arzt auf den Patienten einstellen muss. Er muss darauf achten, ob der Patient schlicht strukturiert, intelligent oder sogar ein voraufgeklärter Patient ist. 4. Person des Aufklärenden Grundsätzlich hat der Arzt das Aufklärungsgespräch zu führen und kann eine Delegation an nicht ärztliche Mitarbeiter nicht vornehmen. Es ist allerdings nicht zwingend erforderlich, dass der Arzt, der später die Maßnahme durchführt, persönlich aufklärt. Es kann auch ein unbeteiligter, anderer Arzt aufklären. 5. Zeitpunkt der Aufklärung Die Aufklärung muss zum richtigen Zeitpunkt stattfinden. Der Patient muss also Gelegenheit haben, ohne Zeitdruck, sofern die Dringlichkeit der Maßnahme dies zulässt, das Für und Wider abwägen zu können5. Bei Patienten, die sich zunächst zu einer ambulanten Untersuchung vorstellen, sollte die Aufklärung über mögliche Risiken bereits mit Vereinbarung des genauen Aufnahme- und Operationstermins erfolgen. Denn, so der BGH, durch eine Aufklärung erst bei stationärer Aufnahme bestehe die Gefahr, dass der erst dann aufgeklärte Patient schon psychische Barrieren aufgebaut hatte, die es ihm zwar theoretisch nicht aber de facto möglich machten, noch am Vortage vor dem Eingriff selbst Abstand zu nehmen. Wenn feststeht, dass der Eingriff in jedem Fall durchgeführt werden soll, dann sollte auch gleichzeitig die Aufklärung erfolgen6. Einer Aufklärung am Vorabend einer Operation steht die Rechtsprechung grundsätzlich sehr zurückhaltend gegenüber. Regelmäßig wird der Patient bei einer so späten Aufklärung, gerade über für ihn gravierende Risiken, mit einer Entscheidung überfordert sein. Eine so späte Aufklärung wird man grundsätzlich nur bei vitaler Indikation, d. h. bei unbedingter Dringlichkeit der Operationsdurchführung, ausreichen lassen können7. Etwas anderes gilt bei ambulanten Operationen. Hier ist eine Aufklärung am Operationstag ausreichend. Mit dieser Ausnahme soll den Besonderheiten der ambulanten Operationen Rechnung getragen werden. Selbstverständlich ist es nicht ausreichend, dass das Aufklärungsgespräch des Patienten erst im sedierten Zustand durchgeführt wird. 6. Nachweis der Aufklärung 5 6 7 Geiß/Greiner, S. 205 ff. Steffen/Dressler, S. 197; Marties/Winkhart, S. 54 ff. BGH MDR 1992, 748; MDR 1998, 716; OLG Saarbrücken OLG-Report 2000, 401 f. 19 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Die Aufklärung kann nur durch ein Aufklärungsgespräch erfolgen. Das persönliche Gespräch kann nicht durch Formulare ersetzt werden! Da die Beweislast in einem möglichen Arzthaftungsprozess für das erfolgte Aufklärungsgespräch beim Arzt liegt, ist es besonders wichtig, auch dieses erfolgte Aufklärungsgespräch nachzuweisen. Hierzu ist zunächst die Dokumentation des Aufklärungsgespräches besonders hervorzuheben. Zur Vereinfachung des Nachweises sollten Aufklärungsformulare benutzt werden, die dann im Detail mit dem Patienten erörtert werden. Erfolgen Beratungshinweise, so sollten auch diese in den Krankenunterlagen ausdrücklich vermerkt werden. Weigert sich ein Patient trotz Hinweises bzw. konkreter Aufklärung Maßnahmen vornehmen zu lassen, so sollte dieses vermerkt werden und um sich noch weiter abzusichern, auch vom Patienten gegengezeichnet werden. Gerade im Rahmen der Pränataldiagnostik kommt es nicht selten vor, dass Patientinnen sich trotz Hinweises des Untersuchers dazu entscheiden, keine weitergehenden Maßnahmen an sich vornehmen zu lassen. Gerade diese Ablehnung der Patientin sollte dringend dokumentiert und am besten gegengezeichnet werden, da nicht selten später nach Geburt des Kindes die Mutter ausführen wird, dass gerade dieser Hinweis niemals erteilt worden sei und sie bei Erteilung eines solchen Hinweises selbstverständlich weitergehende Untersuchungen an sich hätte vornehmen lassen. Selbstverständlich kommen zum Nachweis der Aufklärung auch Zeugen in Betracht. Der Behandler kann auch als Partei in einem Arzthaftungsprozess vernommen werden, allerdings nur, wenn sich aus den Krankenunterlagen zumindest ein Anhalt für ein durchgeführtes Aufklärungsgespräch ergibt. Ferner kommt noch der sog. „Immer-so“-Beweis zur Anwendung, d. h. also, dass in einem sich anschließenden Arzthaftungsprozess eingewandt werden kann, dass der Behandler stets in entsprechender Weise vorgeht. 7. Probleme der Aufklärung Nicht selten kommt es im Rahmen des Aufklärungsgespräches zu Problemen. Insbesondere bei der Beratung von ausländischen Patienten sind nicht selten Sprachbarrieren zu überwinden, die später für den Nachweis der Aufklärung zu Problemen führen. In diesen Fällen muss ggf. ein Dolmetscher beigezogen werden. 8. Folgen unzureichender Aufklärung Wird der Patient unzureichend aufgeklärt, führt dies dazu, dass keine wirksame Einwilligung vorliegt und somit der Tatbestand der Körperverletzung erfüllt ist. III. Dokumentationspflichten Wie bereits oben ausgeführt, ist die Dokumentation zum Nachweis der Beratung bzw. der Aufklärung besonders von Bedeutung 1. Rechtsgrundlagen Der Arzt ist zu einer Dokumentation verpflichtet. Aufgrund diverserer Rechtsgrundlagen ist der Arzt zur Dokumentation verpflichtet. 20 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ a. b. c. d. e. Nebenpflicht aus Behandlungsvertrag §§ der Musterberufsordnung-Ärzte KHG (Landesrecht) Kassenarztrecht diverse Sondervorschriften (z. B. RöVo) 2. Grundregel Je komplizierter, je schwieriger, je atypischer ein Fall verläuft, desto mehr und desto genauer ist zu dokumentieren. Es ist unbedingt zweckmäßig die Weigerung des Patienten, sinnvolle oder gar erforderliche Maßnahme an sich vornehmen zu lassen, genau darzulegen und zu dokumentieren. Hierbei sollte auch notiert werden, wie intensiv und durch wen der Patient auf die Notwendigkeit dieser Maßnahme hingewiesen worden ist und dass dieser solche Maßnahmen gleichwohl verweigert hat. Zur weiteren Absicherung sollte der Patient dies gegenzeichnen, ggf. im Beisein von Zeugen. 3. Art und Weise der Dokumentation Die Dokumentation erfolgt regelmäßig durch Anlegen einer Patientenkarteikarte oder Patientenakte. Es ist nicht ausreichend, dass lediglich die Leistungen in den Abrechnungsunterlagen des Arztes vermerkt werden, da diese Unterlagen am Quartalsende bei der KV eingereicht werden und somit nicht mehr zugänglich sind. Zur Dokumentation gehören auch technische Aufzeichnungen wie z. B. Aufzeichnungen eines Wehenschreibers (CTG), Ausdrucke von Laborgeräten etc. Aus § 10 Abs. 5 der Musterberufsordnung-Ärzte kann der Schluss gezogen werden, dass Aufzeichnungen auf elektronischen Datenträgern (Computer) oder anderen Speichermedien zulässig sind, wenn besondere Sicherungs- und Schutzmaßnahmen ergriffen wurden, um Veränderungen, Vernichtungen oder unrechtmäßige Verwendungen zu verhindern. Allerdings kommen EDV-Dokumentationen nicht immer der Beweiswert zu wie den klassischen handschriftlichen Dokumentationen. 4. Zeitpunkt der Dokumentation Um einen Beweiswert zu haben, muss die Dokumentation möglichst nahe am Geschehen liegen und Nachtragungen sind grundsätzlich zulässig. Um allerdings den Beweiswert der Dokumentation nicht zu beschädigen, ist es unbedingt erforderlich, das Datum und den Grund der Nachtragung niederzulegen. 5. Person des Dokumentierenden Auch hier gilt das zur Aufklärung Gesagte, nämlich grundsätzlich ist der Arzt zur Dokumentation verpflichtet. Jedoch gilt hier eine Ausnahme dahingehend, dass auch Dritte wie Arzthelferinnen oder Pflegepersonal Dokumentationen erbringen können. Handeln mehrere Ärzte wie z. B. Anästhesist und Gynäkologe nebeneinander, so dokumentiert jeder für seinen Bereich. 21 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 6. Folgen einer unzureichenden Dokumentation Eine unzureichende Dokumentation kann erhebliche Folgen nach sich ziehen. Hierzu sind z. B. berufs- und zulassungsrechtliche Konsequenzen zu nennen, aber auch beweisrechtliche Folgen in einem Arzthaftungsprozess. Die mangelhafte Dokumentation stellt zwar keine eigene Anspruchsgrundlage dar, jedoch kann sie zu Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr für den Patienten führen. Fehlen Aufzeichnungen über eine Behandlungsmaßnahme in den Krankenunterlagen, so ist von der Richtigkeit der Patientenbehauptung, die Maßnahme sei nicht erfolgt, auszugehen. Dies führt zu Schwierigkeiten in einem Arzthaftungsprozess und der Arzt wird sich in der Regel nur über einen Zeugenbeweis oder den sog. „Immer-so“-Beweis retten können. IV. Bedeutung für die Pränataldiagnostik Im Rahmen der Schwangerschaftsüberwachung schuldet der Arzt zunächst die Routineuntersuchungen im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien, sofern die Schwangere die Untersuchung nicht ausdrücklich ablehnt. Zu den Einstandspflichten des Arztes gehört auch eine Beratung über die Möglichkeiten einer erweiterten Pränataldiagnostik, die die individuelle Situation der Schwangeren (Alter, anamnestische Risiken, vorhergehende Schwangerschaften etc.) berücksichtigt. Die selbst durchgeführten Screening-Untersuchungen und Beratungen sind sorgfältig zu dokumentieren. Für Fehlbildungen, die nicht im Rahmen der Screening-Untersuchungen erkannt werden können, haftet der Arzt nicht. Er haftet jedoch, wenn sich aus diesen Screening-Untersuchungen Auffälligkeiten herleiten lassen, die schuldhaft nicht zu Konsequenzen im Sinne einer weiterführenden Abklärung führen. Wenn im Rahmen der Schwangerschaftsbetreuung eine erweiterte Fehlbildungsdiagnostik durch den selben Arzt erbracht wird, der auch die Routineuntersuchungen durchführt, gelten an diese Untersuchungen besonders hohe Anforderungen. Hier schuldet der Arzt der Schwangeren weiterführende Diagnostik bzw. eine entsprechende Überweisung. Jeder Arzt, der eine erweiterte Fehlbildungsdiagnostik mit Ultraschall, invasiver Diagnostik oder serologischer Untersuchungen durchführt, muss sich an dem jeweils gültigen Standard orientieren, die für diese Untersuchungen konsentiert sind. Er ist gut beraten, für sich kritisch zu prüfen, ob er selbst in der Lage ist, gegebenen Qualitätsanforderungen gerecht zu werden oder ob eine Überweisung zur weiterführenden Diagnostik ihn von Haftungsrisiken freistellt. Insgesamt werden hohe Anforderungen an Untersucher und Dokumentation im Schadensfall gestellt. Der schwangerschaftsbetreuende Arzt schuldet der Schwangeren zunächst eine Überwachung nach den Mutterschaftsrichtlinien. Dazu gehört auch eine Beratung der Eltern über die erkennbare Gefahr einer Schädigung der Leibesfrucht. Die Verletzung der Pflichten aus diesem ärztlichen Behandlungsvertrag, der sich nach Überzeugung des BGH auch auf die pränatale Untersuchung in der Schwangerschaftsbetreuung zwecks Vermeidung der Geburt eines schwer vorgeschädigten Kindes erstreckt, kann Grundlage für den Anspruch gegen den Arzt auf Erstattung des Unterhaltsbedarfs des Kindes sein, das mit schweren Behinderungen zur Welt kommt. Jeder Arzt muss im Rahmen der Schwangerschaftsüberwachung die nach den Mutterschaftsrichtlinien vorgesehenen Untersuchungen anbieten. Die Schwangere kann die entsprechenden Untersuchungen ab22 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ lehnen, denn sie hat auch ein Recht auf Nichtwissen, um sich Gewissenskonflikte zu ersparen, in die sie gelangen könnte, wenn sich ein pathologischer Befund ergibt. Erbringt der Arzt aber die entsprechenden Leistungen, muss er sie vollständig durchführen und entsprechend dokumentieren. Aufgrund einer Entscheidung des BGH aus dem Jahre 20028 ist es erforderlich, dass im Rahmen der Routineuntersuchungen alle Messwerte sorgfältig erhoben werden müssen und bei Abweichungen von der Norm die Überweisung zur weiterführenden Diagnostik erforderlich wird. Zwar weist der BGH auch in dieser Entscheidung auf seine durchgängige Rechtsprechung hin, dass grundsätzlich Zurückhaltung bei der Bewertung von Diagnoseirrtümern als ärztliche Pflichtverletzung geübt werden müsse, jedoch sah er in der fehlenden Konsequenz aus erhobenen Messwerten, die als hochgradig auffällig bewertet werden mussten, einen eindeutigen Behandlungsfehler. Es handelt sich nicht etwa um die Frage einer möglicherweise auch durch einen erfahrenen Pränataldiagnostiker schwer zu diagnostizierenden Fehlbildung, sondern um unzureichend durchgeführte ScreeningUntersuchungen und fehlende Befunddokumentationen. Insofern ist eine ausführliche Dokumentation unerlässlich und bei Auffälligkeiten stets eine Weiterüberweisung durchzuführen. Hier ist dann auch der Arzt in seinen Aufklärungsund Beratungspflichten gefragt. Er hat die Patientin ausführlichst darauf hinzuweisen, welche Auffälligkeiten sich ergeben haben und welche Konsequenzen sich daraus ergeben könnten, um die Patientin zu einer mündigen Patientin zu machen, damit diese sich eigenmächtig entscheiden kann, ob sie weitergehende Diagnostik betreiben lassen möchte. Gerade dieses Beratungsgespräch sollte ausführlichst erfolgen und dementsprechend ausführlich auch dokumentiert werden, um einer Haftung zu entgehen. Im Einzelnen soll die Schwangere vor Durchführung weiterführender pränataler Diagnostik ausführlich aufgeklärt und beraten werden über − Art und Anlass für die Untersuchung Im Falle eines spezifisch erhöhten, chromosomalen oder genetischen kindlichen Risikos soll die Beratung interdisziplinär unter Beteiligung von Humangenetikern und / oder Pädiatern erfolgen. − Ziel der Untersuchung − Risiko der Untersuchung − Grenzen der pränataldiagnostischen Möglichkeiten und pränatal nicht erfassbare Störungen − Sicherheit des Untersuchungsergebnisses − Art und Schweregrad möglicher und vermutlicher Störungen − Möglichkeiten des Vorgehens bei einem pathologischen Befund − Alternativen zur Inanspruchnahme weiterführender pränataler Diagnostik Aufgrund des Selbstbestimmungsrechtes ist der ausdrückliche Wunsch und die Einwilligung der Schwangeren nach Aufklärung und Beratung Voraussetzung für jede Maßnahme gezielter pränataler Diagnostik. Eine Dokumentation ist unumgänglich. Auch nach der pränatalen Diagnostik einer Erkrankung muss die Schwangere ausführlichst beraten und aufgeklärt werden. Hierzu gehören: 8 BGH Urt. v. 18.6.2002, Az: VI ZR 136/01 23 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ − − − − − VII. Erläuterung des Befundes Art und Ursache der Erkrankung Darstellung des zu erwartenden Krankheitsbildes Darlegung möglicher Folgen für das Leben der Schwangeren und ihrer Familie ggf. Abbruch der Schwangerschaft, wenn die Voraussetzungen des § 218 a Abs. 2 StGB gegeben sind. Fazit Konklusio hieraus ist, dass gerade in der Pränataldiagnostik ein besonderer Schwerpunkt im Rahmen der Beratungs- und Aufklärungspflichten liegt. Verstößt der Arzt gegen diese Pflichten, so droht ihm die Haftung für den gesamten Unterhaltsschaden des sodann behinderten Kindes. Insofern sollte gerade in der Pränataldiagnostik besonderes Augenmerk auf die Beratungs- und Aufklärungspflichten gelegt werden. Zum Nachweis der Einhaltung dieser Pflichten ist eine Dokumentation der Aufklärung unumgänglich, um das Haftungsrisiko möglichst gänzlich zu minimieren. 24 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Gerhard Höver Vor welche ethischen Fragen und Herausforderungen stellt uns „Pränataldiagnostik und Beratung“? Wenn im Titel des Vortrags von „Pränataldiagnostik und Beratung“ quasi in einem Wort die Rede ist, so trägt dies einer Entwicklung Rechnung, in der mittlerweile eine Vielfalt nicht-invasiver Diagnosemethoden bereit steht, deren Verfügbarkeit eine aufwendige, zeitintensive Beratung im Grunde bei jeder Schwangerschaft von Anfang an erforderlich macht. Zu Recht betonen daher G. Crombach und B. Tutschek in einem Fachartikel über „Veränderte Anforderungen an die Beratung zur pränatalen Diagnostik von fetalen Chromosomenanomalien“9, dass eine Beratung der Schwangeren über das diagnostische Potenzial des Ultraschalls einschließlich der daraus eventuell resultierenden Konsequenzen zu Beginn der Gravidität bzw. vor der ersten Sonographie erfolgen müsste. Paradoxerweise aber erscheint den Autoren ein solches Vorgehen als unrealistisch angesichts des Wunsches der werdenden Eltern nach einer adäquaten Überwachung der Schwangerschaft und der fetalen Entwicklung sowie der an den Frauenarzt gerichteten rechtsmedizinischen Ansprüche10. Das beschriebene Paradox wird von der Annahme her verständlich, dass Beratung zu Beginn der Schwangerschaft und vor dem Einsatz der Sonographie einen Raum voraussetzt, in dem die Schwangere noch frei ist, sich dafür oder eben dagegen, für oder gegen den Einsatz dieser Diagnoseverfahren zu entscheiden. Und genau dies erscheint Crombach und Tutschek als nicht real möglich, wenn sie sagen: „Hier liegt ein kaum auflösbarer Widerspruch zum Recht der Schwangeren auf Nichtwissen vor.“11 Die Autoren stehen in ihrer Einschätzung sogar in einem gewissen Konsens mit dem Gemeinsamen Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland „Wieviel Wissen tut uns gut? Chancen und Risiken der voraussagenden Medizin“, wo zunächst klar gesagt wird: „Der Verzicht auf die Inanspruchnahme der pränatalen Diagnostik ist ein ethisch vertretbarer Weg. Er ist Herausforderung für alle, die die Möglichkeiten der modernen medizinischen Diagnostik nutzen, nur weil sie angeboten werden.“12 Das Gemeinsame Wort äußert aber zugleich die nüchterne Erwartung, „dass ein verstärktes Angebot der pränatalen Diagnostik bei Schwangeren zu einem Sog zur Anwendung führt und dass der gesellschaftliche Druck zur Inanspruchnahme dieser Untersuchungsmöglichkeit zunimmt.“ Demgegenüber müsse „die individuelle Entscheidungsautonomie der Schwangeren Vorrang haben. Frauen bzw. Eltern, die auf pränatale Diagnostik verzichten, sind nicht zu diskriminieren.“13 9 C. Crombach/ B. Tutschek, Veränderte Anforderungen an die Beratung zur pränatalen Diagnostik von fetalen Chromosomenanomaliken, in: Der Gynäkologe 37, 3 (2004) 257274. 10 Vgl. u. a. Y. v. Harder, Haftungsrechtliche Aspekte pränataler Ultraschalldiagnostik, in: Der Gynäkologe 36, 4 (2003) 366-370; G. H. Schlund, Forensische Aspekte in der Schwangerschaft, in: Zentralblatt für Gynäkologie 126 (2004) 132-137; Y. v. Harder, „Kind als Schaden“. Haftungsrechtliche Aspekte pränataler Ultraschalldiagnostik, in: Der Gynäkologe 38, 1 (2005) 60-64. 11 C. Crombach/ B. Tutschek, Veränderte Anforderungen, a. a. O. 268. 12 Wieviel Wissen tut uns gut? Chancen und Risiken der voraussagenden Medizin. Gemeinsames Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Woche für das Leben 1997: „Jedes Kind ist liebenswert. Leben annehmen statt auswählen.“ (Gemeinsame Texte 11), 14. 13 Ebd. 25 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Die Entwicklung der nicht-invasiven Untersuchungsmethoden scheint aber bereits die Ausgangsbasis verändert zu haben, auf der bislang das Recht auf Nichtwissen erhoben und verteidigt wurde. Denn einerseits besitzt eine Pränataldiagnostik, die im Rahmen der allgemeinen Schwangerenvorsorge Störungen im Schwangerschaftsverlauf rechtzeitig erkennen und beim Kind so früh wie möglich Unregelmäßigkeiten der Fruchtlage und der intrauterinen Entwicklung sowie fetale Erkrankungen erfassen will, um Morbidität und Mortalität der Kinder während der Schwangerschaft und in der Perinatalphase zu verringern, eine unaufgebbare und dominante Zielsetzung, andererseits aber scheint sie untrennbar mit einer anderen Zielsetzung verknüpft zu sein, die für eine schwangere Frau ein individuelles Risiko zu bestimmen sucht, ein Kind mit einer Behinderung zu bekommen. Der Fachliteratur zufolge beginnt diese Verschränkung schon damit, dass nach den geltenden Mutterschaftsrichtlinien die Ärztin/ der Arzt „bei jeder Schwangeren nach anamnestischen und klinischen Hinweiszeichen für ein genetisches Risiko suchen. Laut Mutterpass ist eine allgemeine Beratung der Schwangeren vorgesehen, die auch eine genetische Beratung einschließen sollte“, bei der individuelle und familiäre Risikofaktoren Berücksichtigung finden.14 Der Erfassungsbogen über das dreifache Ultraschallscreening weist für die erste Ultraschalluntersuchung im ersten Schwangerschaftsdrittel die Frage nach Auffälligkeiten mit einem in Klammer gesetzten Beispielfall: „z. B. dorsonuchales Ödem?“ auf. Dies deutet ohne Zweifel auf eine Erweiterung der Ansprüche in der Routinediagnostik hin, so dass eigentlich in Konsequenz der Erweiterung die Patientinnen von Beginn der Schwangerschaft an über alle derzeit verfügbaren Diagnosemöglichkeiten inkl. deren Aussagekraft und Unsicherheiten aufgeklärt werden müssten. Wenn sich dies tatsächlich so verhält, müsste man ja die ethische Frage stellen: Basiert die Pränataldiagnostik, wie sie sich derzeit entwickelt, auf einer eindeutigen, nämlich therapeutischen Zielsetzung, oder ist sie von Anfang an überlagert von einem anderen Handlungstyp, den Christiane Woopen als „existenzbezogene Pränataldiagnose“ bezeichnet hat?15 Der erste Handlungstyp pränataler Diagnose ist therapiebezogen und hat die möglichst komplikationslos verlaufende Schwangerschaft und Geburt zum Ziel. Dieser Handlungstyp ist ethisch gesehen nicht nur das primäre Ziel, sondern der substanzielle Zweck pränataler Diagnose, weil er die Legitimation dafür liefert, diese Diagnose als ein ärztliches Handeln zu begreifen und zu praktizieren. Eine Indikation zu einer diagnostischen Methode ist in der Regel nur sinnvoll und damit auch ärztlich begründbar, „wenn aus der Diagnose auch eine konkrete präventive oder therapeutische Handlung folgt. Eine Indikation, die sich im Rahmen der Prinzipien und Regeln der ärztlichen Kunst bewegt, d. h. die mit fachübergreifend gültigen Standards das Feld ärztlichen Handelns umschreibt, bindet den Handelnden, legitimiert sein Handeln und begründet so das Vertrauen des Patienten in das ärztliche Handeln. Dessen Ziele sind durch vier Aspekte bestimmt: Retten, Heilen, Leiden mindern, Vorbeugen. 14 C. Crombach/ B. Tutschek, Veränderte Anforderungen an die Beratung zur pränatalen Diagnostik von fetalen Chromosomenanomalien, a. a. O. 258; vgl. zum Problem A. Strauss/ H. Hepp, Qualitätskriterien und Haftungsrisiken der sonographischen Pränataldiagnostik. Was darf man – darf man was übersehen?, in: Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie 205 (2001) 2-11; R. Francke/ D. Regenbogen, Die ärztliche Betreuung der schwangeren Frau nach den Vorgaben der Mutterschafts-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, in: Medizinrecht 20, 4 (2002) 174-179; A. Strauss/ S. Müller-Egloff/ I. M. Heer, Geburtshilfliche Sonographie, in: Gynäkologischgeburtshilfliche Rundschau 42, 2 (2002) 75-83. 15 Vgl. Chr. Woopen, Ethische Fragestellung in der Pränataldiagnostik, in: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 50, 9-10 (2001) 695-703, 698 ff. 26 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Richtlinien für die Indikation zu einer diagnostischen Maßnahme müssen daher sowohl von den konkret aus der Diagnose folgenden Handlungen abgeleitet werden als auch an den medizinisch-ethischen Grundsätzen des ärztlichen Behandlungsauftrags orientiert sein.“16 Eine grundlegende ethische Problematik ist allerdings schon mit dieser Zielumschreibung gegeben. Das hat der Nationale Ethikrat in seiner Stellungnahme „Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft“ aus dem Jahre 2003 deutlich wahrgenommen. In dem von allen Mitglieder, d. h. also auch von den kirchlichen Vertretern mitgetragenen Teil des Dokuments wird einerseits klar festgehalten: „Die Linderung bzw. das Abwenden von Leid ist ohne Frage eine der wesentlichen Aufgaben des ärztlichen Behandlungsauftrages.“ Andererseits wird auch die Konsequenz dieser Aussage nüchtern in den Blick genommen. Denn eine so verstandene Indikation läst sich „nicht allein nach medizinisch-fachlichen Kriterien stellen. Welches Leid mit der Geburt eines kranken oder behinderten Kindes verbunden wäre, kann nicht unabhängig vom subjektiven Erleben und Urteil der betroffenen Frauen oder Eltern bestimmt werden.“17 In der Konsequenz sind damit Konflikte unterschiedlicher Valenz zwischen dem ärztlichen Auftrag und dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren vorprogrammiert; diese Konflikte können defensiver wie offensiver Art sein, abwehrenden wie einfordernden Charakter haben. Aus medizinischer Sicht, so beurteilt der Nationale Ethikrat die Problematik, stellt dies Ärztinnen und Ärzte „vor ein schwieriges Abwägungsproblem“18: Einerseits müssen sie einer uneingeschränkten Selbstbestimmung entgegentreten, in deren Konsequenz die Pränataldiagnostik in den „Service“-Bereich verlagert würde. Andererseits müssen sie „aber zugleich vermeiden, dass die ärztliche Indikation zur Fremdbestimmung wird, die den betroffenen Eltern bei existenziellen Konflikten die Entscheidungen über ihr zukünftiges Leben aus der Hand nimmt. Bei allen Bemühungen, die Indikationsstellung in diesem Bereich zu standardisieren oder durch Leitlinien zu regulieren, wird man den unverzichtbaren Spielraum für eine verantwortliche Bewertung des Einzelfalls im Rahmen der jeweiligen Arzt-Patient-Beziehung erhalten müssen“19 – so lautet die vom Nationalen Ethikrat gemeinsam getroffene Schlussfolgerung. In diesem Spielraum der Verantwortung können lebenseröffnendes Weiterkommen wie auch aporetisches Nicht-Mehr-Weiter-Wissen gleichermaßen Wirklichkeit werden. Dies kann der Pränataldiagnostik ein janusköpfiges Gesicht medizinischen Fortschritts verleihen, wie es Hermann Hepp immer wieder betont.20 Aber bei all diesen Problemen darf man zunächst die positive Bedeutung der „therapiebezogenen Pränataldiagnostik“ nicht übersehen, bzw. nicht unterschätzen. Bernhard-J. Hackelöer hat bei öffentlichen Anhörung des EnqueteKommission des letzten Deutschen Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“ vom 30. Mai 2005 dies eindrucksvoll belegen können: „Durch den Einsatz der Pränataldiagnostik ist es gelungen, Unkenntnis über Mutter und Kind zu 16 Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft. Stellungnahme, Berlin 2003, 61 (www.nationalerethikrat.de). 17 Ebd. 62. Vgl. dazu beispielsweise K. Wüstner, Subjektive Krankheitstheorien als Gegenstand der genetischen Beratung am Beispiel des Wiedemann-Beckwith-Syndroms, in: Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie 51 (2001) 308-319. 18 Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, a. a. O., 63. 19 Ebd. 20 Vgl. Hepp, Pränatalmedizin – Anspruch auf ein gesundes Kind? Januskopf medizinischen Fortschritts, in: H. Hepp/ N. Knoepffler/ Chr. Schwarke, Verantwortung und Menschenbild. Beiträge zur interdisziplinären Ethik und Anthropologie, München 1996, 75101 sowie die Ausf. w. u. 27 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ nehmen und so die Ärzte und Hebammen im Kreißsaal bei der Geburt in einer rein reagierenden mechanischen Geburtshilfe, mit teilweise chaotischen Folgen für Mutter und Kind, zu einer planbaren agierenden Geburtsmedizin zu ändern.“21. Noch in den 70er und 80er Jahren waren 50 % der Mehrlinge zum Geburtszeitpunkt nicht erkannt, was ein hohes Risiko für das zweite, nicht erkannte Kind und eine hohe perinatale Mortalität bedeutete. Die Ultraschalldiagnostik hat hier wesentlich zur Senkung der mütterlichen Sterblichkeit beigetragen. 30 % aller Angaben zum Geburtstermin waren Anfang der 70er Jahre nicht korrekt, was viele falsche und inkorrekte Entscheidungen zur Folge hatte.22 Auch bezüglich des zweiten sog. „existenzbezogenen Handlungstyps“ pränataler Diagnose kann man argumentieren, dass die zahlreichen nicht-invasiven Methoden mittlerweile eine präzisere Risikoabschätzung zulassen als die Altersindikation und in Kombination mit Beratung vor, während und nach Pränataldiagnostik mit der Risikopräzisierung auch Ängste gezielter bewältigt oder beseitigt werden können.23 Aber bedeutet dies, dass aufgrund der faktischen Ambivalenz der Ziele von Pränataldiagnostik, wie sie der Nationale Ethikrat beschrieben hat, - die Überlagerung des therapiebezogenen und des existenzbezogenen Handlungstyps -, dass aufgrund dessen die Patientinnen generell über alle derzeit verfügbaren Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik aufgeklärt werden müssen und das heißt eben auch über ihr „individuelles Aneuploidie-Risiko“ informiert und beraten werden sollten – ein Risiko bzgl. eines Zuviel oder Zuwenig im Chromosomensatz des Kindes, und nicht der Mutter selbst?24 Wenn dies der Fall ist, wäre aufgrund der Ambivalenz in den Zielen von Pränataldiagnostik vertieft zu überlegen, wie das Recht auf Nichtwissen, das ja nicht ein Recht auf „Un-Wissen“ meint, in einer inhaltlich qualifizierten Weise so gewährleistet werden kann, dass es als Ausdruck einer Verantwortung aus sittlicher Freiheit heraus wahrgenommen wird. Daher ergibt sich eben eine ethische Fragestellung, wie sie die EnqueteKommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ formuliert hat: „Wie wird das Recht auf Nichtwissen der Frauen sichergestellt?“ Die Antworten der befragten Expertinnen und Experten weisen auch in diesem Punkt schon ein gewisses Spektrum auf. So wird z. B. gesagt: „Das Recht auf Nichtwissen steht immer in Balance mit dem Recht auf Wissen, kann also nicht darauf basieren, dass pater21 „Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven der Pränataldiagnostik (PND)“. Öffentliche Anhörung der Enquetekommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ am 30. Mai 2005, Stellungnahme von B.-J. Hackelöer (www.bundestag.de/medizin). 22 Vgl. Stellungnahme von B.-J. Hackelöer bei der 37. Sitzung der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ am 30. Mai 2005, 18 f. 23 Folgt man den Untersuchungen von I. Kowalcek/ C. Lammers/ J. Brunk/ I. Bleniakiewicz/ U. Gembruch, Angst der Schwangeren vor und nach der pränatalen Untersuchung bei unauffälligen und bei auffälligen Befunden, in: Zentralblatt für Gynäkologie 124 (2002) 170-175, wäre zwischen Angst als Zustand und Angst als Eigenschaft unter Berücksichtigung von Situationseinflüssen und verschiedenen intrapsychischen Prozessen genauer zu unterscheiden; unter Bezug auf andere Studien weisen sie darauf hin, dass die längerfristigen Auswirkungen der Angstreduktion bisher nicht systematisch untersucht worden sind, „möglicherweise ist die Reduktion der Angst nur vorübergehend. Die Wirkung der Angstreduktion sei nur kurzfristig und hat zur Folge, dass später in der Schwangerschaft spezifische Sorgen um die fetale Gesundheit zurückkehren und Ängste ein Niveau entsprechend dem vor der Untersuchung erreichen. Das Konzept der vorliegenden Studie lässt keine Aussage über Langzeit-Effekte pränataler Techniken zu. Kritisch wird angemerkt, dass die beobachtete Angstreduktion nach einer unauffälligen Pränataldiagnostik ein Artefakt sein kann, der sich aufgrund des Anstiegs der Angst und der Beanpruchung unmittelbar vor der pränatalen Untersuchung ergäbe“ (175). 24 Vgl. C. Crombach/ B. Tutschek, Veränderte Anforderungen an die Beratung zur pränatalen Diagnostik von fetalen Chromosomenanomalien, a. a. O. 260. 28 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ nalistisch Wissen vorenthalten wird. Für eine bewusste Entscheidung zum Nichtwissen ist eine qualifizierte interdisziplinäre Beratung vor einer angebotenen Diagnostik gerade in Kontext PND von großer Bedeutung.“25 Diese Aussage sieht das Problem insofern realistisch, als klar gestellt wird: ein bloßer Hinweis auf ein solches Recht stellt das Recht auf Nichtwissen im Sinne einer realen freien Entscheidung noch nicht sicher. Daher betont auch A. Rhode bei derselben Anhörung: „Da bereits die frühe Feststellung der Schwangerschaft in der 8. oder 9. Woche per Ultraschall erfolgt und auch die spätere – unbedingt sinnvolle – Schwangerschaftsvorsorge entsprechende Ultraschalluntersuchungen einschließt, ist zumindest für einen bestimmten Teil von Erkrankungen bzw. Schädigungen das Recht auf Nichtwissen fast nicht sicherzustellen. … Aus psychotherapeutischer Sicht ist zusätzlich zu erwähnen, dass die aktive Entscheidung für das ‚Nichtwissen’ von den Frauen einen differenzierten Entscheidungsprozess voraussetzt, der nur auf dem Hintergrund einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema – nicht zuletzt wahrscheinlich nach einer entsprechenden psychosozialen Beratung – möglich ist.“26 Das hieße aber, dass auch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema im Rahmen eines differenzierten Entscheidungsprozesses die Beschäftigung mit einem Grundproblem von Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik erforderlich macht, nämlich dem Denken in Risiken. Nicht wenige Frauen scheinen die Risikoproblematik bei Schwangerschaft durch vermehrte Inanspruchnahme der nicht-invasiven Möglichkeiten pränataler Diagnose beantworten zu wollen. Zumindest berichtet der Leiterin der Beratungsstelle zu Pränatalen Untersuchungen und Aufklärung des Diakonischen Werkes Württemberg-Stuttgart, Annegret Braun, bei der Anhörung Enquetekommission im Mai 2005, dass in den neuen Bundesländern nahezu alle Schwangeren den Fehlbildungsultraschall wahrzunehmen. Bei einer Quote von 96-97 % gesund geborener Kinder könne es so viele Risikoschwangerschaften eigentlich gar nicht geben. „Wenn in einer Jungmüttergruppe in Leipzig von 14 Frauen 12 mit einem auffälligen Befund dastehen, wenn in Berlin von 25000 Schwangeren pro Jahr 20000 zum Feinultraschall gehen, dann müsste eruiert werden, wie es dazu kommt.“27 Der Wunsch, nichts an Diagnosemöglichkeiten versäumt zu haben, gesellschaftliche Vorgaben, medizinische Empfehlungen, Ratschläge von Freundinnen und Mitschwangeren usw. können natürlich die Bereitschaft steigern, den Fehlbildungsultraschall auch als kostenpflichtige individuelle Gesundheitsleistung in Anspruch zu nehmen.28. Gegenüber den von ihr beobachteten Automatismen plädiert A. Braun für eine Empfehlungspflicht für Frauenärzte, auf eine unabhängige, psychosoziale Beratung hinzuweisen und die psychosoziale Beratung als einen festen Bestandteil der Schwangerenvorsorge in die Mutterschaftsrichtlinien aufzunehmen – ein Vorschlag, der mittlerweile bereits realisiert ist. Die Idee einer Empfehlungsverpflichtung im Hinblick auf die psychosoziale Beratung ist der Sache nach schon eine Reaktion auf eine der ethischen Grundfragen von „Pränataldiagnostik und Beratung“, nämlich: Verändert „Pränataldiagnostik und Beratung“ die Art und Weise, mit der Frage „Was soll ich tun?“ umzugehen? 25 Vgl. die Stellungnahme von C. R. Bartram. Vgl. die Stellungnahme von A. Rhode; vgl. zur Problematik auch R. Damm, Imperfekte Autonomie und Neopaternalismus. Medizinrechtliche Probleme der Selbstbestimmung in der modernen Medizin, in: Zeitschrift für Medizinrecht 20, 8 (2002) 375-387. 27 Vgl. Stellungnahme von A. Braun. 28 Ob man allerdings hierbei schon von einem „kulthaften Untersuchungsmodus“, sprechen sollte, wie A. Braun dies tut, erscheint jedoch zweifelhaft, die kritischen Reaktionen auf diese Behauptung seitens der Ärzteschaft mahnen weit eher zur Vorsicht (vgl. Deutsches Ärzteblatt 102, 24 [2005] A 1717). 26 29 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Man kann diese Frage mit Ja beantworten. Die Frage „Was soll ich tun?“ gilt in dem Sinne als eine spezifisch ethische Grundfrage, als es eine Reaktion bedeutet, auf die eigene Lebensführung oder Lebensgestaltung hin angesprochen zu sein. Sie unterbricht die Selbstverständlichkeit des Zusammenhangs von Handlung und Ziel. Sie ist eine Selbstaufforderung, sich zu einem Handeln und in seinem Handeln zu bestimmen. Um zu einer Antwort zu gelangen, muss man aus dem unmittelbaren Handlungskontext heraustreten. Von daher verändert diese ethische Frage die Lebensführung; - aber nicht nur Ausmaß und Richtung der Änderung, sondern auch die Art und Weise, mit dieser Frage umzugehen, können höchst unterschiedlich beschaffen sein. In ihrem Buch „Die verrechnete Hoffnung. Von der selbstbestimmten Entscheidung durch genetische Beratung“ hat die Soziologin Silja Samerksi versucht zu zeigen, in welcher Weise sich durch die Etablierung genetischer Beratung allgemein, außerhalb wie innerhalb des Kontextes von Pränataldiagnostik, ein veränderter Entscheidungstyp und damit auch der Umgang mit der Frage „Was soll ich tun?“, d. h. die Art und Weise des ethischen Nachdenkens darüber, verändert hat.29 Eine solche Beratung soll, so gilt allgemein, nicht in direktiver Form zu einer bestimmten Entscheidung raten, sondern non-direktiv eine eigenverantwortliche, für die Betreffenden tragfähige Entscheidung ermöglichen. Dies entspräche dem herkömmlichen Verständnis von „sich entscheiden“ im Sinne einer „Bestimmung und Verfügung über sich selbst, vor allem über den eigenen Willen und die eigenen Handlungen“30. Dieses Verständnis habe sich, so führt Samerski aus, unter dem Einfluss statistischer Entscheidungstheorien zu einem rationalen Wahlverfahren zwischen Möglichkeiten oder Optionen verändert. In diesem Sinne wurde auch bei der Anhörung der Enquetekommission im Mai 2005 mit plausiblen Gründen beton: Beratung soll „der betroffenen Frau und ggf. ihrem Partner eine eigene Entscheidungsfindung in Kenntnis der relevanten Optionen und Hintergründe“ ermöglichen.31 Die Situation aber, in der eine solche Entscheidung stattfindet ist die „Ungewissheitssituation“, es handelt sich um eine „Entscheidung unter Risiko“.32 Zu wenig wird dabei die Wandlung im Risikobegriff selber beachtet. Denn genauer besehen geht es hierbei eigentlich nicht um Bedrohungen oder Wagnis, sondern um Unsicherheiten ohne unmittelbar gegenwärtige persönliche Gefährdung. Eher im Versicherungsdenken beheimatet, bezeichnet Risiko „nicht einfach ein mögliches Ereignis oder eine Gefahr, sondern es steht für die statistische und wahrscheinlichkeitstheoretische Vergegenwärtigung von möglichen Ereignissen“33. Es sind statistisch konstruierte Möglichkeiten, die erst bei homogenen Mengen oder Populationen Regelmäßigkeiten zeigen, aber im Einzelfall nur in Form einer Unsicherheit vergegenwärtigt werden und somit einen Schatten auf Kommendes werfen können. Im Kontext einer existenzbezogenen pränatalen Diagnose erhält diese neue Form von Unsicherheit nun eine besondere anthropologisch-ethische Tiefendimension. Wenn man nämlich z. B. sagt, es gehe um die Abklärung eines individuellen Aneuplodie-Risikos, so betritt man erkenntnismäßig die Ebene des Genoms. Eine Struktur- und Funktionsanalyse auf dieser Ebene aber trifft uns auf einer grundlegenden Bestimmungsebene unseres leiblichen Lebens, die uns 29 S. Samerski, Die verrechnete Hoffnung. Von der selbstbestimmten Entscheidung durch genetische Beratung, Münster 2002. 30 Ebd. 58. 31 Vgl. Stellungnahme von C. R. Bartram. 32 Vgl. S. Samerski, Die verrechnete Hoffnung, a. a. O. 60 f. 33 Ebd. 112. 30 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ individuell zueigen ist. Genauer gesagt betrifft sie uns auf der Ebene unserer natürlichen Veranlagung und Ausstattung, d. h. in der „Natur, mit der wir als leiblich existierende Subjekte unaufhebbar identisch sind“34. Diese Ebene für die Diagnose zugänglich zu machen, heißt, die menschliche Natur einer Einsicht von vormals unbekannter Tiefe zugänglich zu machen. Dies berührt uns gleichermaßen auch dann, wenn es sich nicht um das eigene Genom handelt, sondern um das des eigenen, ungeborenen leiblichen Kindes. Die Soziologie Barbara Duden hat es einmal drastisch formuliert, was geschieht, wenn im Rahmen pränataldiagnostischer Beratung die Ebene des Genoms in Form des Risikodenkens angesprochen wird: „Gene“ versenken das Risiko in die Tiefen des Körpers der schwangeren Frau.35 Die Rede von Gen, Genom, Chromosom senkt etwas Latentes, nicht direkt Sichtbares, aber unterschwellig Wirksames, in den Körper, das als Angst, Verunsicherung, als Dissoziationserfahrung zum eigenen Körper und auch zum eigenen ungeborenen Kind wirksam ist. Es erzeugt einen Handlungsdruck, nämlich die Wahl zwischen Optionen, welche das „System“, in dem man sich eben jetzt befindet, selbst erzeugt. Die psychosomatische Bedeutung des pränataldiagnostisch erzielbaren Wissens lässt sich aus diesen Zusammenhängen von Person und Genom als einer elementaren naturalen Ebene unseres Leib-Seele-Daseins heraus - in ihrer Tiefendimension ermessen oder – vielleicht besser gesagt – erahnen. Es lässt nachvollziehen, warum man tatsächlich von einer Veränderung in der Entscheidungsfindung im Kontext einer solchen pränatalen Diagnose sprechen kann, und es lässt etwas von der Verantwortungsdimension spüren, die nur von einem vernetzten Beratungsangebot in all seiner Vieldimensionalität getragen und als Hilfe angeboten werden kann.36 Was aber ist notwendig, damit ein solches Netz in einer tragfähigen Weise auch zustande kommt? Bzw. anders gefragt, wo sind verantwortungsethisch gesehen Gefahrenpunkte, an denen ein solches Netz aufreißen oder fehlende Verknüpfung aufweisen könnte? Dies kann schon bei der medizinisch-fachlichen Beratung gegeben sein. Nehmen wir einmal die Situation eines Befundes, der sich ergeben oder gezeigt hat, und eine Entscheidung bzgl. weiterer Diagnosen erforderlich macht. Eine Beratung wird hier die notwendigen Informationen und Interpretationshilfen geben und versuchen, bei der zu Beratenden eine Art Überle34 L. Honnefelder, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen? Die Herausforderung der Humangenomforschung – Eine Einführung, in: ders./ P. Propping (Hrsg.), Was wissen wir, wenn wir das menschlichen Genom kennen?, Köln 2001, 9-25, 18; vgl. zur Verdeutlichung u. a. M. Beckmann, Molekulare Frauenheilkunde, in: Der Gynäkologe 35, 9 (2002) 872-880; U, Meincke/ Ch. Kosinski/ K. Zerres/ G. Maio, Psychiatrische und ethische Aspekte genetischer Diagnostik am Beispiel der Chorea Huntington, in. Der Nervenarzt 74, 5 (2003) 413-419; J. Schara/ W. Mortier, Neuromuskuläre Erkrankungen (NME) Teil 2: Muskeldystrophien (MD), in: Der Nervenarzt 76, 2 (2005) 219-239. 35 Vortrag beim Kongress für Moraltheologie und Sozialethik in Hamburg, September 2005. 36 Vgl. M. Rauchfuß, Psychosomatisch orientiertes Vorgehen in der Pränataldiagnostik, in: Der Gynäkologe 34, 3 (2001) 200-211; A. Dewald/ M. Cierpka, Psychosoziale Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik, in: Psychotherapeut 46, 2 (2001) 154-158; A. Rhode/ A. Wendt/ A. Pantlen, Gynäkologische Psychosomatik. 6 Jahre Erfahrung mit dem Bonner Modell, in: Der Gynäkologe 36, 12 (2003) 1078-1084; I. Kowalcek, Psychosomatische Aspekte der Pränatalmedizin, in: Der Gynäkologe 36, 12 (2003) 1058-1065; R. Kuhn/ A. Dewald/ A. Riehl-Emde, Interprofessionelle Qualitätszirkel in der Pränataldiagnostik, in: Psychotherapeut 49, 5 (2004) 377-380; L. Beck/ P. Diemer/ M. Oslislo/ C. Pesch, Beratung und Hilfe für Schwangere in Not- und Konfliktsituationen, in: Der Gynäkologe 37, 8 (2004) 749-760; B. Zabel, Schwangerschaftsbetreuung bei Skelettdysplasien. Genetische Beratung, Wiederholungsrisiko und psychosoziale Aspekte, in: Der Gynäkologe 38, 1 (2005) 39-45. 31 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ gungsgleichgewicht herzustellen, um die Basis für eine wohlerwogene Entscheidung in einer nicht-direktiven Art legen zu können. Der Begriff des Überlegungsgleichgewichts stammt von John Rawls, einem der bekanntesten Sozialphilosophen und Gesellschaftstheoretiker, und zielt auf den Vorgang der Abklärung oder Erweiterung unserer Erkenntnisse.37 Unsere Überlegungen sind dann im Gleichgewicht, wenn wir uns darüber im Klaren sind, von welchen Voraussetzungen wir ein Urteil bilden und welchen Grundsätzen das Urteil entspricht. Wenn man einmal unter diesem Aspekt den pränataldiagnostischen Beratungsvorgang nach einem Befund betrachtet, so haben wir also zunächst die Ebene einer bestimmten Beobachtung oder eines Testresultats, darüber hinaus gibt es die Ebene eines relativ abgesicherten Regelwissens: dies kann umfassen medizinischnaturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten, Erfahrungswerte, statistische Korrelationen, und vieles andere mehr. Der entscheidende Schritt aber ist der Übergang auf die Ebene des Falls selbst: Um welchen „Fall“ handelt es sich hier und jetzt? – so lautet dann die Leitfrage. Dieser sog. „Fall“ aber ist nichts anderes als das ungeborene Kind in seiner existenzbezogenen Bedeutung. Und selbst dann, wenn z. B. eine Trisomie 21 diagnostiziert ist, weiß man eben nicht, welcher Mensch nun derjenige ist und werden wird, der diese Anomalie hat. Daher ist dieser Übergang auf den sog. Fall, das Erschließen des Falls aufgrund von Beobachtung oder Testresultat und Regelwissen das Problematische – die Wissenschaftstheorie spricht in dem Zusammenhang von einer Abduktion. Dieser von dem amerikanischen Philosophen Charles S. Peirce in die Diskussion eingebrachte und seitdem viel diskutierte Begriff bezeichnet ein unsicheres, fehleranfälliges Schlussverfahren, das weder ein Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere (Deduktion) noch ein Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine (Induktion) ist, sondern die Existenz einer noch unbekannten Sachlage zu erschließen sucht.38 Peirce illustriert dies an folgendem Beispiel: „Alle Bohnen aus diesem Beutel sind weiß; diese Bohnen sind weiß, also sind diese Bohnen aus diesem Beutel“; obwohl das Schlussverfahren keine sichere Form des Schließens, sondern eher eine durch die Regel begründete Vermutung oder Konstruktion darstellt (nicht selten ausgedrückt in modalen Formulierungen wie „muss wohl“), spielt es gerade beim Umgang mit Ungewissheit eine zentrale Rolle.39 Eine Untersuchung der Logik abduktiver Schlussverfahren im Kontext pränataldiagnostischer Beratung steht bislang noch aus; sie erhält aber insofern eine besondere Dringlichkeit, als es eben um ein existenzbezogenes, auf die Existenz eines ungeborenen Menschen bezogenes Überlegen geht, was eben einem Subsumieren eines „Falls“ unter eine allgemeine Gesetzmäßigkeit oder Regel ethisch und anthropologisch Grenzen zieht. Daher lässt sich die Frage stellen, ob ohne Klärung der anthropologischen und ethischen Grundlagen die Voraussetzungen für ein fundiertes Überlegungsgleichgewicht überhaupt gegeben sein können. Zu den grundlegenden Fragen und Herausforderungen, vor die uns „Pränataldiagnostik und Beratung“ stellt, zählt daher ohne Zweifel die Frage nach dem Menschenbild, insbesondere die Frage, wie wir zu Behinderung, zu Menschen mit Behinderungen stehen. Unter dem Aspekt ungehinderter Entfaltung menschlicher Fähigkeiten, mag Behinderung als „Unvollkommenheit“ erscheinen; unter der 37 Vgl. dazu u. a. E. Tabari, Überlegungsgleichgewicht. Eine methodische Untersuchung (www.falsafeh.com/Ueberlegungsgleichgesicht.htm). 38 Vgl. dazu A. Richter, Der Begriff der Abduktion bei Charles Sanders Peirce, Frankfurt a. M. 1995. 39 Vgl. Chr. Hubig, Expertendilemma und Abduktion: Zum Umgang mit Ungewissheit, Antrittsvorlesung Universität Stuttgart 11. 12. 1997 (www.elib.unistuttgart.de/opus/volltext4e/2000/650/). 32 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Perspektive der Menschenwürde aber ist „Unvollkommenheit“ etwas, das zum Wesen der menschlichen Verfasstheit, der condition humaine, schlechthin gehört. Diese konstitutionelle „Unvollkommenheit“ des Menschen schlechthin ist sein Nicht-Vollendetsein als Inbegriff aller Bewegbarkeit auf ein letztes Ziel hin, d. h. der realen Potentialität, über sich hinauszuwachsen, sich selbst unendlich zu übersteigen. Unter dieser Perspektive ist es genauso so, wie Peter Radtke bei der Anhörung der Enquete-Kommission gesagt hat: Behinderung ist zwar nicht zu glorifizieren, aber nicht automatisch mit Leid gleichzusetzen. Ein Mensch mit Behinderung ist nicht krank, weil er behindert ist, sondern er ist so gesund und so krank wie es ein Mensch ohne Behinderung auch ist. Behinderung ist nicht Krankheit, sondern, so sagt er treffend, eine „Lebensform, die ihre Berechtigung neben anderen Lebensformen hat“.40 Man könnte also sagen, das Netz der Beratung ist schon dort gefährdet, wo man keine Vorkehrungen gegen falsche Erschließungen des sog. Falls, also gegen falsche Abduktionen, trifft. Die Nicht-Direktivität mag zwar vor der illegitimen Beeinflussung in Form direkter Empfehlung einer bestimmten Entscheidung bewahren, sie reicht aber als solche nicht zu, um vor den Gefahren einer falschen Fallerschließung zu schützen. Ein Netz der Beratung wird aber erst dann tragfähig, wenn es inhaltlich kohärent ist. Damit verbindet sich die Frage, ob es richtig sein kann, wenn sich pränataldiagnostische Beratung auf das Aufzeigen von Wahlmöglichkeiten, Optionen und deren Hintergründe zu beschränken sucht. Ein bloßes Aufzählen von Möglichkeiten ergäbe nur ein Konglomerat von Aussagen, die in einer ganz allgemeinen, unspezifischen Weise zusammen bestehen. Kohärent kann dieses Netz nur werden, wenn es einer einheitlichen Zielsetzung untersteht. Zweifellos kann pränataldiagnostische Beratung die Sinn- und Entscheidungsfindung der zu Beratenden nicht ersetzen. Wie aber soll ein Kommunikationsprozess mit dem Anspruch, der individuellen Notlage der Ratsuchenden gerecht zu werden, zustandekommen, wenn es an einer inhaltlichen Qualifizierung des Ziels fehlt? Ansatzpunkt dieser Qualifizierung kann nur der oberste Verfassungsgrundsatz von der Unantastbarkeit der Menschenwürde sein. Zusammen mit der Grundgesetzergänzung von Art. 3 Abs. 3 GG „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" bedeutet diese verfassungsmäßige Wertentscheidung eine normativ verbindliche Zielorientierung aller pränataldiagnostischen und humangenetischen Beratung. Sie ist dem Schutz des individuellen menschlichen Lebens als "Höchstwert der grundgesetzlichen Ordnung", "vitaler Basis der Menschenwürde" und als "Voraussetzung aller anderen Grundrechte" verpflichtet.41 So wie die "Unantastbarkeit" der Menschenwürde in der Weise eine asymmetrische Sinnstruktur aufweist, dass sie Norm ihrer selbst wie auch all dessen ist, was diese „Unantastbarkeit" tangiert, verletzt oder zerstört, so ist auch diese Zielorientierung in dem Sinne asymmetrisch, als es um die Überwindung der Notlage, in der sich die Ratsuchenden existentiell befinden, im Sinne des Lebensschutzes geht. Der Zwiespalt, in dem sich die Ratsuchenden befinden, besteht doch darin, einerseits um das Lebensrecht des ungeborenen Kindes zu wissen, andererseits nicht zu wissen, wie sie in ihrer spezifischen Lebenssituation ein Ja zum Kind sagen können, und zwar angesichts einer Notlage, die gerade durch das Umfeld einer direktiven Gesellschaft, wenn nicht hervorgerufen, so doch verschärft wird. Für viele Menschen besteht heute der Eindruck: Wenn sie etwas zulassen, was sie selber ändern könnten, dann muteten sie eben sich selber oder anderen die40 41 Vgl. Stellungnahme von P. Radtke. Vgl. BVerfGE 39, 1, 42. 33 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ ses oder jenes zu. Bei der Frage der Zumutbarkeit wird das handelnde Subjekt immer mehr so verstanden, dass es der Mensch selber sei, der sich hier etwas zumutet oder nicht. Die Bereitschaft anzuerkennen, dass es im Leben ZuMutungen geben kann, die auch dann hinzunehmen sind, wenn sie für sich und andere belastend sind, erscheint dem modernen Menschen von seinem Lebensgefühl her eher un- oder schwer verständlich.42 Hier ist auch für den Kontext von Pränataldiagnostik das angesagt, was man die „Unterscheidung der Geister“ nennen könnte, d. h. die kritische Prüfung dessen, von welchen Werteinstellungen und –haltungen man sich im Letzten leiten und bestimmen lässt. Diese Frage stellt sich in einer sehr bedrängenden Art und Weise angesichts Folgewirkungen, welche die Einordnung der sog. embryopathischen Indikation in die medizinische Indikation hat. Die traditionelle medizinische Indikation war ohne Zweifel lebensorientiert in dem Sinne, dass nicht die Tötung des Kindes das Ziel des Eingriffs war, sondern die „Beseitigung der unmittelbaren Bedrohung der Mutter durch die Schwangerschaft“43. „Das Ziel ist die Rettung der Mutter und wenn irgend möglich die des Kindes oder – in einem absolut unlösbaren Konflikt - die Tötung des Kindes zur Rettung der Mutter. ... Bei der ‚embryopathischen’ Indikation ist nicht das Ziel, die Mutter aufgrund einer unmittelbaren medizinischen Bedrohung ihrer Gesundheit von der Last der Schwangerschaft, sondern eine in der Regel gesunde Mutter für die Phase nach der Geburt von der Last des geschädigten und/ oder behinderten Kindes zu befreien. Dessen Tod ist das primäre Handlungsziel.“44 Das hat zur Folge, dass mit der Subsumierung der sog. embryopathischen Indikation unter die medizinische Indikation auch der Sinn der medizinischen Indikation in einem ganz entscheidenden Punkt verändert worden ist. Die Problematik der Spätabtreibung als einer Folgewirkung dieser Gesetzesänderung macht die Größe der ethischen Herausforderung von „Pränatalmedizin und Beratung“ in einer drastischen Weise sichtbar;45 alle Dokumente und Stellungnahmen aus der letzten Zeit sprechen hier im Konsens, denn sie lässt uns der Existenz eines sittlichen Gesetzes gewahr werden, wie es Alexander Mitscherlich einmal ausgedrückt hat46: „Es gibt letzte Rechtssätze, die so tief in der Natur verankert sind, dass sich alles, was als Recht und Gesetz, Moral und Sitte gelten soll, im letzten nach diesem Naturrecht, diesem über den Gesetzen stehenden Recht auszurichten hat.“ 42 Vgl. vertiefend M. Volkenandt, Menschliches Leid und die Frage nach Gott, in: Stimmen der Zeit 207, 6 (1989) 407-418. 43 H. Hepp, Pränatalmedizin und Embryonenschutz – ein Widerspruch der Werte, in: Der Gynäkologe 36, 7 (2003) 572-58, 574. 44 Ebd.; vgl. ferner ders., Pränatalmedizin – Anspruch auf ein gesundes Kind? Januskopf medizinischen Fortschritts, in: H. Hepp/ N. Knoepffler/ Chr. Schwarke, Verantwortung und Menschenbild. Beiträge zur interdisziplinären Ethik und Anthropologie, München 1996, 75-101; ders., Aporie der Pränatalmedizin, in Gynäkologisch-geburtshilfliche Rundschau 42, 2 (2002) 67-74 sowie R. Beckmann, Der „Wegfall“ der embryopathischen Indikation, in: Zeitschrift für Medizinrecht 16, 4 (1998) 155-161; C. Woopen, Zum Anspruch der medizinisch-sozialen Indikation zum Schwangerschaftsabbruch. Leben, körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung als konfligierende Rechte, in: Der Gynäkologie 32, 12 (1999) 974-977. 45 Vgl. J. Römelt (Hrsg.), Spätabbrüche der Schwangerschaft, Leipzig 2005. 46 Zit. n. H. Hepp, Pränatalmedizin – Anspruch auf ein gesundes Kind?, a. a. O. 99. 34 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Christa Pesch Psychosoziale Beratung, vor, während und nach Pränataldiagnostik aus Sicht von Ratsuchenden und von Pränatalmediziner(inne)n - Ergebnisse einer Evaluation Mit dieser Präsentation möchte ich Ihnen einen Einblick in einige Ergebnisse aus der Evaluation über die Arbeit der psychosozialen Beratung geben und die Bewertung dieser Arbeit von Seiten einiger Frauen und Ärzte darstellen . Im Rahmen des Modellprojektes "Psychosoziale Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik und bei zu erwartender Behinderung des Kindes", das an drei Standorten mit je einer halben Vollzeitstelle für zweieinhalb Jahre durchgeführt wurde, ging es uns im Wesentlichen um zwei Aspekte: zum einen darum, Rahmenbedingungen zu entwickeln, die Frauen den Zugang zur psychosozialen Beratung erleichtern und zum andern darum, werdende Eltern bei der Übernahme der Entscheidungsverantwortung angesichts eines positiven Befundes zu unterstützen. I Ergebnisse der Erhebung der Situation der Frauen und der Beratungsleistungen Aus der Erhebung der Beraterinnen stelle ich Ihnen zunächst die Ergebnisse der Auswertung vor, und zwar unter folgenden Aspekten • Profil der Frauen • Anlass für psychosoziale Beratung • Gründe für Pränataldiagnostik • Empfehlungen des Arztes zu PND • Inhalte der Beratung • Anzahl der positiven Befunde bei ungeborenen und geborenen Kindern Die Evaluation bezieht sich auf 160 Frauen, die in den Beratungsstellen der Modellprojektstandorte Bergisch Gladbach, Düsseldorf, Köln in einem Zeitraum von knapp zwei Jahren beraten wurden. Angesichts der begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit werde ich nicht detailliert auf alle Einzelheiten der grafischen Darstellung eingehen. Dennoch werden Ihnen einige kommentierte Zahlen einen Eindruck von der Arbeit vermitteln können. 1. Profil der Frauen Das Alter der Frauen, die PND in Anspruch nahmen, hat sich deutlich zugunsten von Frauen unter 35 Jahren verlagert. Vor etlichen Jahren lag der Schwerpunkt für pränataldiagnostische Untersuchungen in der Altersgruppe ab 35 Jahren; in dieser Altersgruppe waren genau ein Drittel dieser Frauen; 65 % der Frauen waren also im Alter bis zu 35 Jahren. 35 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Daran wird deutlich, dass Pränataldiagnostik nicht mehr vorrangig eine Frage des Altersrisikos ist, sondern die Differenzierung der Methoden mehr Frauen den Zugang zu PND eröffnet. Zum Familienstand Von allen Frauen waren 56 % verheiratet und ein Drittel der Frauen war ledig. Bei den ledigen Frauen spielt die Sorge vor einer Behinderung des Kindes oftmals eine noch größere Rolle, weil sie alle anfallenden Aufgaben mit dem Kind und im Zusammenhang mit einer Berufstätigkeit in der Regel allein bewältigen müssen. Möglicherweise heißt es auch, die Berufstätigkeit für viele Jahre aufgeben zu müssen und von staatlichen Leistungen abhängig werden. Zur Staatsangehörigkeit 29 % der Frauen hatten einen Migrationshintergrund. Insbesondere für diese Frauen stellen sich große Verunsicherungen ein und das Bedürfnis nach Verstehen dessen, was Pränataldiagnostik für sie und das Kind bedeutet, ist besonders groß. 2. Anlass für psychosoziale Beratung Hier müssen wir unterscheiden zwischen den einzelnen Phasen von Beratung, nämlich vor, während und nach PND. • Vor PND waren 79 Frauen in der psychosozialen Beratung. Mit welchen Anliegen kamen die Frauen in die Beratung? 72 % der Frauen waren verunsichert und standen der Pränataldiagnostik ambivalent gegenüber. 67 % hatten Fragen zu Methoden und Risiken. 52 % nannten Angst vor Behinderung. 43 % empfanden Unruhe und Anspannung. Für 39 % der Frauen stellten sich ethische Fragen. 35 % standen unter Entscheidungsdruck. Weitere Probleme waren Angst vor dem Verlust der eigenen Lebensplanung und Angst vor familiären Schwierigkeiten, wenn das Kind behindert wäre. • Während PND kamen 56 Frauen in die psychosoziale Beratung. Bei ihnen zeigt sich ein ähnliches Bild hinsichtlich der Gründe für Beratung. Bei 77 % dominierten Ambivalenz und Verunsicherung im Warten auf ein Ergebnis. Die Angst vor Behinderung war für 55 % der Frauen einer der Anlässe zur Beratung. 52 % fühlten sich unruhig und angespannt, was typisch für die Phase während der Wartezeit sein dürfte. 43 % befanden sich in einem physisch-psychischen Erschöpfungszustand, bedingt durch Ängste und Sorgen um ihr Kind und die Zukunft. Angst vor Leid, Krankheit und Tod waren bei 41 % der Frauen mit ein Grund für psychosoziale Beratung in dieser Phase. Ebenso viele hatten Angst vor Überforderung angesichts der Ungewissheit, was auf sie zukommen könnte. Für jede vierte Frau war der äußere und innere Entscheidungsdruck ein Thema in der Beratung. Das Erleben eines äußeren Entscheidungsdrucks ist 36 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ oft bedingt durch das Verhalten des Partners, aber auch Empfehlungen des Arztes oder der Ärztin. Der innere Entscheidungsdruck entsteht auf vielfache Weise und ist abhängig vom Wertesystem, von Loyalitätsbindungen und inneren Verpflichtungen. • Nach PND ließen sich 51 Frauen nochmals bzw. erstmals beraten. Unter ihnen waren auch Frauen, die sich im Konflikt befanden, und Frauen, die sich für ein Kind mit Behinderung entschieden hatten. Einige hatten einen unklaren Befund und mussten weiterhin mit einem Gefühl der Unsicherheit leben. Jede dritte Frau äußerte ihre Angst vor Leid, Krankheit und Tod. 31 % der Frauen waren angesichts der Diagnose verunsichert. Angst vor der Verantwortung empfanden 29 % der Frauen. 27 % der Frauen empfanden einen Loyalitätskonflikt gegenüber vorhandenen Kindern. Die Ursache ist darin zu sehen, dass sie sich für ihr Kind mit Behinderung oder Erkrankung entschieden haben, aber wissen, welcher Einsatz von ihnen gefordert sein wird; sie befürchteten, dass dies möglicherweise auf Kosten der Geschwisterkinder geht. 3. Gründe für Pränataldiagnostik In der psychosozialen Beratung ist es wichtig, zu erfahren, welche Gründe zu einer erweiterten Pränataldiagnostik führen bzw. geführt haben oder der Arzt bzw. die Ärztin Pränataldiagnostik empfiehlt. Ich weise zunächst darauf hin, dass lediglich 144 von den 160 Frauen zum Zeitpunkt der psychosozialen Beratung ärztlich zu Pränataldiagnostik beraten worden waren. Bei den Gründen für PND zeigt sich eine breite Palette: Bei 32 % der Frauen waren es Altersgründe. Bei 10 % der Frauen liegt in der Familie eine Behinderung vor. In 10 % der Fälle war die Krankheit der Frau ein Grund für weitere Untersuchungen. 8 % wegen Mehrlingsschwangerschaft 9 % wegen vorangegangener Fehlgeburt 8 % wegen Medikamenten /Alkohol / Drogen Bei allen anderen Nennungen lag ein Verdacht aufgrund einer Untersuchung vor, der der weiteren Abklärung bedurfte. Welche Untersuchung hatte der Arzt bzw. die Ärztin empfohlen oder war bereits durchgeführt worden? Hier spielte der Dopplerultraschall die größte Rolle mit 47 %, gefolgt von der Amniozentese mit 44 %. Die Nackentransparenzmessung hat sicher mit 33 % an Bedeutung zugenommen. Bei 27 % ging es um das Ersttrimesterscreening. Die anderen Untersuchungen spielten kaum eine Rolle. 37 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 4. Inhalte der psychosozialen Beratung • Psychosoziale Beratung vor PND 96 % der Frauen erhielten Hilfe zur Orientierung. Was steht dahinter? Oft stellten Frauen die Frage: "Sorge ich nicht gut für mein Kind, wenn ich die angebotenen Untersuchungen nicht durchführen lasse?" Manche Frauen empfanden die Empfehlung zur Fruchtwasseruntersuchung als Drucksituation. Von allen Frauen wünschten sich 76 %, in ihrer eigenen Entscheidungskompetenz gestärkt zu werden. 73 % erhielten weitere Informationen zu Methoden und Risiken der Untersuchung. 66 % wurden in der Nutzung ihrer persönlichen Ressourcen unterstützt. Weitere Themen in der Beratung galten der Auseinandersetzung mit der Verantwortung von Wissen oder Nichtwissen, mit ethischen Fragen und mit der Beziehung zum Kind. • Psychosoziale Beratung während PND wurde von 56 Frauen in Anspruch genommen. Angesichts von Ängsten und Unsicherheit war die Orientierungsfindung für 71 % der Frauen eine wichtige Entlastung. Hilfe zur Orientierung in dieser Phase der Beratung bedeutet oft eine Auseinandersetzung mit Fragen: Wie stehe ich zu einer möglichen Behinderung? Was würde eine Behinderung des Kindes für mich und meine Familie bedeuten? Wie würde ich damit umgehen? Welche Konflikte könnten eintreten? 64 % erhielten Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Ängste. Dies geschieht insbesondere durch die Stärkung der persönlichen Ressourcen (61 %). 63 % nahmen Hilfe zur Stärkung der Entscheidungskompetenz an. 43 % suchten direkte Unterstützung bei der Entscheidungsfindung im Falle einer Behinderung des Kindes. Über die Hälfte der Frauen (54 %) benötigten in dieser Phase eine Krisenintervention. Dabei spielte die Auseinandersetzung mit der Beziehung zum Kind eine besondere Rolle. Ethische Fragen und Sinnfragen waren ebenso von Bedeutung. In dieser Phase scheint die psychosoziale Beratung eine besondere Bedeutung zu haben, weil die Frauen emotional oft hoch belastet sind und die Beziehung zum Kind nicht selten unterbrochen wird. Dies geschieht, um die Entscheidungskonflikte, die bei einer möglichen Diagnose auftreten, nicht durch die emotionale Beziehung zum Kind zu verschärfen. Dahinter steht die Angst vor einer Entscheidung, die sie ethisch überfordert. • Psychosoziale Beratung nach PND nahmen 51 Frauen in Anspruch. Diese Gruppe muss differenziert werden nach Frauen - mit einer Diagnose im Entscheidungskonflikt - nach der Annahme des Kindes mit Behinderung - nach PND ohne Befund. 78 % der Frauen bekamen Hilfe zur Stärkung ihrer persönlichen Ressourcen und 38 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 53 % zur Stärkung des Selbstwertgefühls, das oft tief verletzt ist, wenn eine Behinderung oder Fehlbildung diagnostiziert wurde. Die Beziehung zum Kind war für 53 % der Frauen ein wichtiges Thema. Für 49 % der Frauen ging es um Perspektiven für ein Leben mit dem Kind in seiner Behinderung oder Fehlbildung. Bei 47 % der Frauen ging es um die Bewältigung von Ängsten und bei 45 % um die Annahme des Kindes. Mehr als jede dritte Frau benötigte eine Krisenintervention und fast jede vierte Frau wurde in ihrer Entscheidungskompetenz gestärkt. 5. Anzahl der auffälligen Befunde bei ungeborenen und ungeborenen Kindern Bei 54 Kindern wurde eine Behinderung bzw. Fehlbildung oder Erkrankung diagnostiziert. D.h. bei einem Drittel aller Frauen, die eine der drei Beratungsstellen aufgesucht hat, wurde ein auffälliger bzw. unklarer Befund diagnostiziert. Bei 24 % der Kinder wurde ein Herzfehler diagnostiziert; bei 20 % Trisomie 18, bei 17 % Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und bei 11 % andere Fehlbildungen. Alle anderen festgestellten Behinderungen, Fehlbildungen oder Erkrankungen bei den Kindern lagen unter 10 %. II Befragung der Frauen In einem begrenzten Zeitrahmen wurden Frauen gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. 32 Frauen haben sich an der Befragung beteiligt. Im Wesentlichen ging es darum, herauszufinden, wie sie die psychosoziale Beratung bewerten. Zu folgenden Aspekten haben diese Frauen Aussagen gemacht: • • • • • • Zentrale Anliegen für die Beratung Einschätzung der ärztlichen Beratung Gründe für die Erstberatung vor und während PND Besonders hilfreiche Aspekte der Beratung Zufriedenheit mit der psychosozialen Beratung Einschätzung der Notwendigkeit der psychosozialen Beratung Zentrale Anliegen für psychosoziale Beratung 43 % der Frauen wünschten Beratung zu Fragen rund um PND. Ebenso viele Frauen wünschten eine Entscheidungshilfe für weiteres Vorgehen. 29 % der Frauen bedurften der Besprechung ihrer persönlichen Situation, wie z. B. Fehlgeburt, partnerschaftliche oder familiäre Probleme. 21 % der Frauen hatte einfach ein Kommunikationsbedürfnis angesichts der Fragen, die sich aufgrund von PND für sie stellten. Wie haben die Frauen die ärztliche Beratung eingeschätzt? 39 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Wir haben diese Frage unter anderem auch deshalb gestellt, um herauszufinden, ob bei ausreichender ärztlicher Beratung ergänzend psychosoziale Beratung erforderlich ist. 64 % der Frauen empfanden die ärztliche Beratung ausreichend. Nach den Gründen gefragt, warum 35 % der Frauen die Beratung nicht ausreichend empfanden, antworteten diese: • dass die Zeit beim Arztgespräch nicht ausreichte Es fehlten • • • • • Verständnis für die persönliche Situation psychische Unterstützung detaillierte Informationen Aufzeigen von Alternativen zur Amniozentese Begründung für weitere Untersuchungen Wenn Frauen in der Beratung sich hierzu äußern, sehen wir unsere Aufgabe darin, die Frauen zu ermutigen, ein weiteres Gespräch mit dem Arzt zu suchen. Wir helfen ihnen, ihre Fragen herauszufinden und zu formulieren. Für uns ist interessant, dass 64 % der Frauen die ärztliche Beratung ausreichend fanden und ergänzend psychosoziale Beratung in Anspruch nahmen. Daran wird deutlich, dass auch bei ausreichend ärztlicher Beratung ein signifikanter Bedarf an psychosozialer Beratung besteht. D. h. die psychosoziale Beratung ist eine wichtige und unverzichtbare Ergänzung in der Begleitung schwangerer Frauen im Kontext von Pränataldiagnostik und medizin. Eine besondere Rolle spielt dabei, dass die Beratung eigenständig und unabhängig vom ärztlichen System ist. Welche Gründe nannten die Frauen für die Erstberatung vor und während PND? Für 75 % der Frauen war das Besprechen möglicher Konflikte, die bei einem auffälligen Befund entstehen, ein Grund für die Beratung. 60 % der Frauen suchten Möglichkeiten zum Nachdenken über die Beziehung zu ihrem Kind und 30 % der Frauen nannten als Grund, über das Risiko einer Fehlgeburt bei Amniozentese sprechen zu können. Was waren besonders hilfreiche Aspekte der Beratung? 43 % der Frauen nannten das Angebot von Unterstützungsmöglichkeiten. 39 % der Frauen fanden den "neutralen Platz", um über die eigene Situation zu sprechen, hilfreich. Für 39 % der Frauen war die Hilfe bei der Entscheidungsfindung wichtig. 36 % der Frauen empfanden das persönliche Eingehen der Beraterin auf ihre Situation besonders hilfreich. Für 29 % der Frauen war das Besprechen der Zukunftsperspektiven für sich und das Kind ein wichtiger Aspekt, ebenso das Besprechen der familiären Situation. 40 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Wie zufrieden waren die Frauen mit der psychosozialen Beratung? Alle Frauen betonten, dass die Beraterin Verständnis und Einfühlung zeigte. 89 % der Frauen fanden Antworten auf ihre Fragen. 93 % erlebten die Beraterin im Umgang mit ihren Fragen fachlich qualifiziert. 86 % fanden zufriedenstellend, dass sie angeregt wurden, ihre Situation aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Für 93 % der Frauen war die Beratungsdauer angemessen. In der Regel dauert ein Beratungsgespräch eine Stunde. 96 % der Frauen bewerteten die Beratung insgesamt als sehr hilfreich und alle Frauen würden die Beratungsstelle zu Fragen von PND weiterempfehlen. Aussagen zur Einschätzung der Notwendigkeit von psychosozialer Beratung 93 % der Frauen hielten die psychosoziale Beratung für sehr wichtig. Hierzu einige persönliche Aussagen der Frauen: • Beratung hat sehr geholfen und neue Anstöße und Hilfen fürs Leben gegeben • Gespräch war sehr hilfreich, besonders wichtig bei einem auffälligen Befund • Keine Wartezeit, unkomplizierte Hilfestellung • Hohes Entgegenkommen, Termingestaltung schnell und flexibel • Gut zu wissen, dass es eine neutrale Stelle gibt, wo man über alle seine Probleme reden kann • Es sollte mehr Beratungsstellen geben. An diesen Aussagen wird nochmals deutlich, dass die psychosoziale Beratung eine wichtige und notwendige Ergänzung zur ärztlichen Beratung ist. III Befragung der Pränatalmediziner(innen) Abschließend einige Aussagen von Pränatalmedizinern und -medizinerinnen zur Bedeutung der psychosozialen Beratung. Bei dem Interview der Mediziner und Medizinerinnen ging es um folgende Fragen und Aspekte: • Welche Gründe sehen Ärzte für den Hinweis auf psychosoziale Beratung? • Welche Perspektiven sehen sie für psychosoziale Beratung vor, während und nach PND? • Grundsätzliches zu PND • Aussagen zur gesellschaftlichen Einstellung Die Interviews wurden von der wissenschaftlichen Begleitung im Rahmen des Modellprojektes in einem face-to-face-Gespräch geführt. Von 10 angefragten Pränatalmedizinern und -medizinerinnen wurden mit sieben Interviews durchgeführt. Die Pränatalmediziner und -medizinerinnen wurden gefragt, warum sie auf psychosoziale Beratung verweisen. Hier einige Antworten: 41 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ • Die medizinische Beratung kann sich nicht oder nur wenig mit dem Bereich der Konfliktbearbeitung, der Angst und den Unsicherheiten der betroffenen Frauen / Paaren auseinandersetzen. Unterstützung kann die psychosoziale Beratung auch da leisten, wo sich Frauen bisher möglicherweise kein eigenes Urteil gebildet haben, sondern die Meinung ihrer Familie / des Partners übernehmen. Ein Arzt brachte dazu folgendes Beispiel: Eine junge Patientin wurde von der Familie so weit beeinflusst, dass die Beendigung der Schwangerschaft über eine medizinische Indikation ausgestellt wurde. Als die Patientin in der Klinik aufgenommen wurde, fiel auf, dass sie selbst die Beendigung der Schwangerschaft eigentlich nicht haben wollte. • Frauen, bei denen ein pathologischer Befund vorliegt. Wenn Frauen die Diagnose über eine Behinderung des Kindes erhalten, ist das ein großer Schock für sie: "Ihnen wird der Boden unter den Füßen weggezogen". Sie sind nach der Diagnose meist nicht aufnahmefähig. Ihnen wird die Adresse von esperanza genannt. Die Chance der psychosozialen Beratung wird darin gesehen, dass "ein Nichtmediziner nochmals mit anderen Worten beschreibt, was los ist und versucht, gemeinsam mit der Schwangeren oder auch dem Paar einen Weg zu finden." • Wichtiges Angebot, wenn es um nicht medizinische Fakten geht, z. B. Ängste in der Wartezeit, Ambivalenzen, ob das behinderte Kind ausgetragen werden soll oder auch Unterstützung und Begleitung, wenn das behinderte Kind geboren wurde. • Nach der Geburt eines behinderten Kindes besteht Beratungsbedarf, da es hier häufig zu Partnerschaftsproblemen kommt, oder sogar zur Trennung. • Es ist wichtig, dass den Frauen eine psychosoziale Beratung angeboten werden kann. Ärzt(inn)e(n) müssen dafür aber auch Konfliktsituationen von Patientinnen "erspüren", denn "meistens sprechen die Frauen ihre Konfliktsituation nicht von alleine an. Ich frage dann nach dem Umfeld und führe die Patientinnen langsam dorthin. Dann mache ich die Patientinnen auf das Beratungsangebot aufmerksam". • Generell ist die Beratung wichtig bei allen Konflikten im Rahmen der Schwangerschaft, "nicht jedoch, ob eine PND gemacht wird oder nicht". Erlauben sie mir zu der letztgenannten Aussage einen kleinen Einspruch. Die Entscheidungsverantwortung für oder gegen weiterführende pränataldiagnostische Maßnahmen liegt bei der Frau bzw. dem Paar. Es hat sich gezeigt, dass die größte Anzahl der Frauen vor PND psychosoziale Beratung gesucht hat. Sie sind in dieser Phase verunsichert, gerade auch in der Frage, was sie tun werden, wenn ein auffälliger Befund vorliegt. Es stellen sich Fragen nach möglichen Konflikten, die bei einer Behinderung auftreten können. Auch haben wir die Erfahrung gemacht, dass es zwischen den Partnern zu Differenzen kommt: z. B., dass die Frau zu einem Nein tendiert und der Mann unbedingt weiterführende Untersuchungen anstrebt. Diese Differenz zwischen den Partnern bedarf der Bearbeitung. 42 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Die Beraterinnen müssen sich allerdings ganz auf die psychosoziale Dimension konzentrieren. Sie haben keine Befugnis, medizinische Fragen zu beantworten. Lassen Sie mich an der Stelle noch etwas zur Ergebnisoffenheit der Beratung sagen: Die Pränatalmediziner und -medizinerinnen heben in der Befragung hervor, dass ihnen die Ergebnisoffenheit der Beratung wichtig sei, dass allerdings nach dem Ausstieg aus der Pflichtberatung der katholischen Beratungsstellen die Sorge entstanden sei, die Beraterinnen würden nicht mehr ergebnisoffen beraten. Hierzu möchte ich sehr deutlich sagen: Ergebnisoffenheit gehört wesenhaft zur psychosozialen Beratung. Psychosoziale Beratung ist ein freiheitlicher Prozess, in dem der Respekt vor der personalen Freiheit der Ratsuchenden konstitutiv ist. Respekt vor der Freiheit bedeutet Respekt vor der Entscheidungsverantwortung der Frau. Zielorientierung und Ergebnisoffenheit widersprechen sich nicht, sondern sind Essentials jeder psychosozialen Beratung. Welche Perspektiven sehen die Mediziner und Medizinerinnen für die psychosoziale Beratung? • Sechs Mediziner(innen) sprechen sich für die Verankerung der Beratung vor, während und nach PND in das Regelangebot von esperanza aus, dabei ist es ihnen wichtig, dass die jeweilige Beraterin über aktuelle Fachkenntnisse verfügt: Es ist auf jeden Fall sinnvoll, dass dieser Bereich in den Schwangerschaftsberatungsstellen verankert bleibt, wenn die Mitarbeiterinnen in diesen Beratungsstellen auf den neuesten Stand gebracht werden, und wissen, was die ganzen Untersuchungen auch bedeuten. Eine entsprechende Fort- und Weiterbildung der Beraterinnen ist unbedingt erforderlich. Ebenso müssen sie Kenntnisse über Unterstützungsmöglichkeiten, wie Selbsthilfegruppen, finanzielle Hilfen und über andere Einrichtungen haben. • Es wird darauf hingewiesen, dass die wenigstens Patientinnen wüssten, dass sie einen Anspruch auf Beratung haben. Hier sei insgesamt eine stärkere Öffentlichkeitsarbeit notwendig. Abschließend noch zwei Aussagen von PND-Mediziner(inne)n. Eine Aussage zu PND selbst. • Es ist wichtig, dass Bild von PND in der Gesellschaft "gerade zu rücken", auch die positiven Seiten zu sehen, d. h. PND kann auch dazu verhelfen, Leben zu retten, da Risiken in der Schwangerschaft direkt erkannt werden können. Beispiel: Durch eine PND-Untersuchung konnte erkannt werden, dass das Kind schlecht versorgt ist und die Geburtseinleitung direkt geschehen musste. Wäre das nicht erkannt worden, wäre das Kind tot zur Welt gekommen. "Das ist mit ein Grund, weshalb Deutschland die niedrigste Neugeborenensterblichkeit der Welt aufweist. Die Frauen werden in Deutschland sehr gut 43 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ betreut, dies ist jedoch sehr schwierig nach außen zu bringen. Dieser positive Aspekt muss deswegen auch kommuniziert werden. Viele Frauen können durch das Ergebnis auch beruhigt werden, die ansonsten in ihrer Schwangerschaft immer wieder Zweifel haben, ob ihr Kind gesund ist und dies wirkt sich nicht positiv auf den Schwangerschaftsverlauf aus." Die zweite Aussage bezieht sich auf die Einstellung der Gesellschaft zu Behinderungen • Es wird betont, dass Frauen oft unter Druck stehen. Sie selbst können es sich zwar vorstellen, ein Kind mit Behinderung zur Welt zu bringen, sehen sich aber der Kritik der Familie, des Partners, der Gesellschaft ausgesetzt. Sie werden auf ihre Verantwortung hingewiesen, und diese heißt Abbruch unter dem Motto "das kannst du nicht verantworten, nicht gegenüber deiner Familie, deinen anderen Kindern, der Gesellschaft gegenüber, Verantwortung heißt hier nicht Verantwortung für das ungeborene Leben". Diese gesellschaftliche Entwicklung hält der Arzt für sehr problematisch, "das Verständnis der Gesellschaft, ein behindertes Kind zu bekommen, ist nicht vorhanden". Auch hier könnte gerade eine katholische Beratungsstelle wichtige Arbeit leisten. Mir bleibt nur noch, Ihnen zu danken für Ihre Aufmerksamkeit, verbunden mit dem Wunsch, dass von dieser Fachtagung tatsächlich Impulse ausgehen, die die Einstellung und Haltung in unserer Gesellschaft zu Menschen mit Behinderung mit beeinflusst, so dass Frauen und Paare in schwierigen Grenzsituationen von einem tragfähigen Netz aufgefangen werden. 44 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 45 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 46 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 47 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 48 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 49 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 50 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 51 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 52 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 53 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 54 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 55 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Sanja Draschner Beispiel für interprofessionelle Kooperation - Erfahrungen aus dem Modellprojekt - in einer niedergelassenen Praxis Thema des Vortrags Praxisteam Als ich vor drei Jahren nach 10jähriger Krankenhaustätigkeit eine kleine Praxis übernommen habe, war es von Anfang an mein Wunsch, mir ein berufsübergreifendes Team zusammenzustellen, da ich persönlich gerne im Team arbeite, vor allem wenn man die Möglichkeit hat, Gleichgesinnte dafür gewinnen zu können. Arbeitsinhalte Diese Folie zeigt Ihnen in der Übersicht die jeweiligen Schwerpunkte sowie die Schnittstelle der jeweiligen Arbeitsbereiche. Dadurch, dass wir gemeinsam zeitlich und räumlich für die Schwangeren präsent sind, erleben die Schwangeren in besonderem Maße das Ergänzen der medizinischen und sozialen Angebote. Wir wollen dadurch vermeiden, dass eine Schwangere in einzelne Problembereiche zerlegt wird, wofür sie sich dann bei verschiedenen Institutionen Hilfe suchen muss. Praxisablauf 56 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Um einen kontinuierlichen Informationsaustausch zu gewährleisten, haben wir die Sprechzeiten so organisiert, dass die Hebammensprechstunde sowie die Beratungen durch Frau Schleppe während der normalen Praxissprechzeiten stattfinden. Alle Termine werden zentral über die Arzthelferin vereinbart und koordiniert. Unsere gemeinsame Anwesenheit hat den Vorteil, dass unmittelbar vor oder nach Beratungen bei Bedarf immer noch einmal Rücksprache mit mir gehalten werden kann, oder wir auch gemeinsam die weitere Betreuung der betroffenen Frau (auch mit der Frau selbst) planen können. Infomaterial Um den Schwangeren von Beginn an unsere Kooperation zu vermitteln, bekommen alle Schwangeren nach Feststellung der Schwangerschaft mit dem Mutterpass ein Praxis-Infoheft und einen Info-Flyer als Einleger in den Mutterpass. Das Praxis-Infoheft beinhaltet eine kurze Übersicht über den Ablauf einer normalen Schwangerschaftsvorsorge und informiert über mögliche Zusatzuntersuchungen und Wunschleistungen. Der Info-Flyer von esperanza soll darüber hinaus noch einmal verdeutlichen, dass jede Schwangere ein Recht auf Beratung hat in allen Fragen rund um Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft. 57 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Inhalt Infoheft Diese Folie zeigt Ihnen den Inhalt des Praxis-Infoheftes. Mir ist es wichtig, dass neben den geläufigen medizinischen Informationen für die Schwangere unser Team mit Namen und Funktion als Ganzes erscheint. Kooperationsvertrag Seite 1 Da diese Arbeitsweise auf große Resonanz bei den Schwangeren gestoßen ist, arbeiten wir jetzt seit zwei Jahren in diesem Modell zusammen. Daraufhin haben wir diesen Sommer eine schriftliche Kooperationsvereinbarung verfasst, die unsere Arbeit der letzten zwei Jahre reflektiert. Die psychosoziale Beratung ist fester Bestandteil im Angebot unserer Praxis. Die Beratung findet regelmäßig zu festen Sprechzeiten statt, dafür werden Praxisräume zur Verfügung gestellt. Die Frauen werden informiert, dass außerdem Beratungen im Büro von esperanza stattfinden können, ggf. auch kurzfristig. Mit dem Mutterpass und der Praxis-Info wird immer der esperanza-Flyer "Mein Recht auf Beratung" an die Schwangere ausgegeben. In regelmäßigen Teamtreffen, d. h. Hebammen, Arzthelferin, Frau Schleppe und mir, wird unsere gemeinsame Arbeit reflektiert und Ideen für Verbesserungen ausgetauscht. Unser Ziel ist dabei die ganzheitliche Beratung und Betreuung von Frauen, insbesondere bei Fällen, die über die schulmedizinische Diagnostik und Therapie hinausgehen. 58 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Kooperationsvertrag Seite 2 Es wird auf das Angebot der psychosozialen Beratung im Rahmen der Pränataldiagnostik hingewiesen, ebenso auf die weiteren Hilfsangebote wie Beratung bei Fehl- und Totgeburt, Konfliktschwangerschaft oder auch Hilfen bei persönlichen Notlagen. Dieses Beratungsangebot stellen wir auch Nicht-Schwangeren zur Verfügung. 59 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Folie 9 - Zielgruppen Hier ist zum Schluss noch eine beispielhafte Auswahl an möglichen Zielgruppen. Fazit Frau Schleppe wird Ihnen jetzt einen Fall einer Schülerin aus unserer Praxis vorstellen, bei der zunächst die Problematik einer ungeplanten Schwangerschaft im Vordergrund stand und dann im Verlauf die Diagnose einer Fehlbildung des ungeborenen Kindes dazukam, so dass die minderjährige Schwangere mit der ganzen Palette der Pränataldiagnostik konfrontiert wurde. Frau Schleppe wird Ihnen diesen Verlauf aus ihrer Beratungssicht vorstellen. 60 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Bettina Schleppe Kooperationsbeispiel in niedergelassener Praxis Der beschriebene Fall zeigt die sinnvolle Ergänzung der Beratung zur medizinischen Betreuung, so dass ganzheitliche Versorgung der Schwangeren gewährleistet ist. Alle Daten, Namen sind selbstverständlich verfremdet. 1. Rahmenbedingungen der Beratung In diesem Fall weist Frau Draschner die schwangere Melanie Kreutzner auf das psychosoziale Beratungsangebot von esperanza in der Arztpraxis hin, was diese interessiert aufnimmt und dann mit der Sprechstundenhilfe einen Termin vereinbart. Mit Frau Draschner findet vor dem ersten Beratungsgespräch Kooperation durch ein kurzes Informationsgespräch statt, so dass ich weiß, was mich erwartet. Ebenso erfolgt ein knapper Austausch nach der Beratung. Während der ganzen Begleitung der Schwangeren in der Schwangerschaft, findet ein regelmäßiger Austausch (Telefonate, Mails, Briefe) mit Frau Dr. Draschner zur Abstimmung der Vorgehensweise oder Rückmeldung von Zwischenergebnissen statt. Die Voraussetzung für den Austausch ist, dass Schweigepflicht im gesamten Praxisteam besteht, die mich mit umfasst. Ebenso erhalte ich im ersten Kontakt eine Schweigepflichtentbindung von der Klientin. Während der fortlaufenden Beratung von Melanie in ihrer Schwangerschaft berichte ich Frau Draschner von den Hilfen, die ich Melanie und ihrer Familie anbiete und Frau Draschner teilt mir das medizinische Befinden von Melanies ungeborenem Kind und der Kooperation mit der Schwerpunktklinik mit. Dieser fortlaufende Austausch ist Voraussetzung für eine gelingende Kooperation und bedarf viel Zeit. Gesprächsinhalte der psychosozialen Beratung werden kurz dokumentiert und nach der erfolgten Schweigepflichtsentbindung mit zur Patientenakte geheftet, ebenso erfolgt die Dokumentation für esperanza. 2. Fall Melanie Melanie ist 16 Jahre, besucht die 9. Klasse der Hauptschule und kommt aus sozial schwachen Verhältnissen. Der Kindesvater ist 19 Jahre alt, arbeitslos ohne Schulabschluss und wohnt in einem anderen Ort, Internetbekanntschaft. Der Kindesvater hat sich vor 2 Monaten von ihr getrennt, worunter sie sehr leidet. Die Beziehung zu den Eltern ist insofern schwierig, dass vor allen Dingen Melanies Vater den Exfreund nicht akzeptiert. Die jüngere Tochter Melanie ist für die Eltern immens wichtig, da sie zur älteren Tochter Simone keinen Kontakt mehr haben. Die Schwangerschaft ist nicht geplant und erst in der 16. Schwangerschaftswoche diagnostiziert. 61 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 3. Genogramm Es ist wichtig Melanies System zu kennen, um ihr zu helfen, für sie passende Lösungen zu finden und die schon bestehenden Ressourcen zu erblicken und zu bestärken. 4. Vorstellung von zwei Beratungssequenzen Ich habe die ersten beiden Beratungsgespräche ausgewählt, weil es einmal um das Beispiel einer psychosozialen Beratung geht und beim zweiten Mal um die Beratung zur Pränataldiagnostik. 4.1 Erstes Beratungsgespräch: Bekanntmachen der Schwangerschaft Hier geht es erst mal um die Auftragsklärung? Was wollen Sie hier erreichen? Die Mutter ist beim ersten Gespräch auf Wunsch der Tochter anwesend. Melanie beschreibt, dass sie erst mal die Schwangerschaft gar nicht wahr haben wollte. Die Mutter sichert ihr im Gespräch ihre Unterstützung zu. Sie spricht sich eindeutig für die Schwangerschaft aus. Melanie möchte dieses Kind bekommen, wünscht sich auch von mir Unterstützung und möchte ganz viel wissen, was man alles so in einer Schwangerschaft machen muss, hat ganz viele Fragen..., auf die ich so konkret wie möglich eingehe (gesetzliche Leistungen, Vormund, finanzielle Hilfe für Erstausstattung). Dann erzählt Melanie von ihrer Sorge, Angst, dass ihr Vater sie nach Bekanntwerden der Schwangerschaft rausschmeißt. In der Beratung wird an Hand eines Rollenspiels eingeübt, wie sie es ihm sagen kann. Es werden Optionen geschaffen, gemeinsam überlegt, was es für Alternativen gibt, z. B. Mutter-Kind-Einrichtungen, also neue Lösungen konstruiert, die machbar sind. Ebenso wird die Möglichkeit angeboten, nach Mitteilung an den Vater sich mit esperanza direkt in Verbindung setzen zu können. Ich biete weitere Unterstützung, Begleitung durch Angebot weiterer Beratungsgespräche, die von wertschätzender, prozessorientierter Haltung geprägt sind, an. Nach diesem Gespräch ist erst mal mein Auftrag beendet. 2 Monate später: Frau Draschner ruft mich in der Beratungsstelle an und berichtet, dass beim Organultraschall bei Melanies Kind eine schwere Fehlbildung diagnostiziert wurde. Die Prognose ist unklar bzgl. der Überlebensfähigkeit ihres Kindes. Melanie ist total durcheinander und hat einen weiteren Beratungstermin in der nächsten Schwangerensprechstunde vereinbart. Sie wird wieder mit ihrer Mutter kommen, da sie diese als Stärke braucht. 4.2 Zweites Beratungsgespräch: Bewältigung der Krise nach auffälligem Befund Melanie ist mittlerweile in der 25. SSW. Hier geht es erst mal nicht um das konkrete Krankheitsbild, den Befund, sondern darum, wie es ihr jetzt in dieser Situation geht, um ihr Befinden. Auf einmal muss sie nicht nur mit einer ungeplanten Schwangerschaft umgehen, sondern mit der Unsicherheit leben, ob ihr Kind vielleicht im Bauch sterben wird oder nach der Geburt oder wenn es überlebt, wie ein Leben mit diesem Kind aussehen kann. Das Gespräch verläuft erst mal sehr schweigend. Auch die Mutter wirkt sehr bedrückt. 62 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Mein Arbeitsauftrag ist es, Melanie Raum zu geben, sie ernst zu nehmen mit ihren Ängsten und Sorgen. Auf die Frage, was ich im Moment für sie tun kann, bittet sie mich, ihr zu helfen, ihr Kind zu beschützen. Sie hat Angst, fühlt sich so ausgeliefert, die Konfrontation mit der Apparatemedizin erlebt sie als heftig, will aber natürlich alles erdenklich Gute an Untersuchungen machen. Medizinische Verständnisfragen werden direkt aufgeschrieben und es wird vereinbart, dass sie diese bei der nächsten Vorsorgeuntersuchung mit Frau Draschner bespricht. Unterstützung seitens der Beratung findet statt, indem sie mit Hilfe der Skalierung den Grad ihrer Sorge beschreibt und dann konkret überlegt, wie die Sorge weniger werden kann. Eine Ressource, Aufbau von Schutz bedeutet für sie, dass Angebot der Mutter, sie bei allen weiteren Kontrolluntersuchungen zu begleiten, sie nicht alleine zu lassen. Sie berichtet von ihren Träumen, die sie quälen. Sie hat Alpträume, das ihr Kind blutüberströmt zur Welt kommt. Sie setzt sich das erste Mal mit dem Tod auseinander, fühlt sich sehr verunsichert. Sie kann sich nicht vorstellen, die Schwangerschaft vorzeitig zu beenden, auch mit dem Risiko, dass man nicht weiß, ob das Kind bis zum Ende der Schwangerschaft überlebt. Hier findet Entlastung statt, indem die Klientin über das Aufmalen ihres Traumes zu sich selbe findet, Ängste bildhaft werden. An dieser Stelle wird sie über das Angebot der Familienhebamme informiert und nimmt einen entsprechenden Flyer mit. Sie wird sich überlegen, ob sie schon vor der Geburt ihre unterstützende Hilfe in Anspruch nehmen möchte. 5. Resümee Melanie und ihre Mutter strahlen die ganze Schwangerschaft über eine große Hoffung aus, dass das Kind es schaffen wird. Nicht zuletzt dank intensiver medizinischer Diagnostik und Behandlung. Melanie hat trotz der Fehlbildung des Kindes und ihres jungen Alters eine gute Beziehung zu dem Kind aufgebaut. Die Prognose ist bis zum Ende der Schwangerschaft unklar, fortlaufend findet eine engmaschige medizinische Betreuung durch Frau Draschner, Schwerpunktklinik und der Hinzuziehung von Kinderärzten statt. Die vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft steht nie zur Diskussion. Das Mädchen Lara ist mittlerweile geboren. Sie ist noch nicht über den Berg und wird in den nächsten Jahren weiterhin intensive medizinische Behandlung benötigen. Mittlerweile sind unsere Beratungskontakte seltener geworden, ca. einmal im Monat. Thema ist jetzt Annehmen der elterlichen Rolle und trotz Stütze der eigenen Eltern, auch die notwendige Abgrenzung von ihnen. Ebenso muss die Beziehung zum Exfreund neu überdacht werden, da sich ein Kontakt zu ihm wieder aufzubauen scheint. Beratung und Tätigkeit der Familienhebamme und der Beraterin sind noch nicht abgeschlossen. Auch als Beraterin weiß ich nicht, welche Themen noch kommen werden, aber unterstützend ist es, dass Beratung und Begleitung bis zum dritten Lebensjahr angeboten werden kann, die psychische Entlastung für die junge Mutter und Familie bedeutet. 63 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 64 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 65 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Hans-Peter Diemer Beispiel für interprofessionelle Kooperation - Erfahrungen aus dem Modellprojekt - in einer Klinik Das Marien-Hospital in Düsseldorf (MHD) ist das einzige katholische Akutkrankenhaus am Ort mit einer geburtshilflichen Abteilung. Als Geburtsklinik ohne Kinderklinik betreuen wir nahezu ausschließlich risikoarme, terminnahe Schwangerschaften und Geburten. In Düsseldorf gibt es ein Perinatalzentrum sowie ein großes pränataldiagnostisches Institut, welche mit eigenen Beraterinnen arbeiten. Somit erfolgt an unserem Krankenhaus auch keine Pränataldiagnostik im engeren Sinne. Ausgangssituation MHD y y y geburtshilflich-gynäkologische Abteilung ohne Kinderklinik keine Pränataldiagnostik im engeren Sinne kein Schwangerschaftsabbruch Als daher vor 2 ½ Jahren die Anfrage zur Teilnahme an dem Modellprojekt kam, ergab sich zunächst die Frage nach der Notwendigkeit einer Kooperation mit den katholischen Beratungsstellen. Als bei dem ersten Treffen der teilnehmenden Kliniken und Beratungsstellen eine Bestandsaufnahme erfolgte, wurde die Situation an unserer Klinik durch die für uns zuständige Beraterin wie folgt beschrieben: „Vor der Krankenhauskapelle sind unsere Broschüren ausgelegt und im übrigen sind alle ganz nett zu mir.“ Wie stellt sich nun die Situation aus Sicht der Klinik dar. Durch immer kürzere Liegezeiten und zunehmend ambulanter Leistungserbringung bei abnehmenden personellen Ressourcen ist die Möglichkeit eingehender Gespräche mit betroffenen Patienten immer schwieriger. Klinikproblematik y y y y kurze Liegezeit zunehmend ambulante Leistung Personalknappheit Beratungsgespräch nicht codierbar, nicht DRG-relevant Demgegenüber steht unser eigener Anspruch, dass kompetente Beratung zentraler Punkt ärztlichen Handelns sein muss. Hier bietet sich in der Kooperation mit den Beratungsstellen eine Lösung an. Unser Ziel war es, dass alle Frauen mit den unten genannten Diagnosen über die bestehende Möglichkeit einer Beratung informiert werden. Bei Zustimmung sollte innerhalb eines Tages der Kontakt zur Beratungsstelle hergestellt werden. Wie die untenstehende Tabelle zeigt, haben wir folgende Indikationen für die Einleitung einer psychosozialen Beratung aufgenommen: 66 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Indikationen zur Schwangerschaftsberatung ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ Fehlgeburt Unerfüllter Kinderwunsch Komplikationen nach pränataler Diagnostik Konflikte vor und nach Pränataldiagnostik Frühzeitiger Blasensprung Hyperemesis mit psychosozialem Hintergrund Vorzeitige Wehen mit psychosozialem Hintergrund Intrauteriner Fruchttod Totgeburt Geburt eines Kindes mit Fehlbildungen oder Behinderungen Wochenbettdepression Schwere Geburtserlebnisse In allen psychosozialen Krisensituationen: Alleinstehende Schwangere Minderjährige Schwangere Materiell bedürftige Schwangere Wunsch nach Adoption des Kindes Wunsch nach anonymer Geburt Partnerschaftsprobleme Das Marien-Hospital ist nach DIN-ISO durch den TÜV Rheinland zertifiziert, der Qualitätszirkel trifft sich monatlich. Um die Herstellung des Kontaktes zwischen betroffener Patientin und der Beratungsstelle nicht dem Zufall zu überlassen, haben wir die Beraterin in unseren Qualitätszirkel eingeladen, um gemeinsam das Vorgehen abzusprechen und eine entsprechende Verfahrensanweisung in unser Qualitätshandbuch zu übernehmen. Entwurf einer Verfahrensanweisung für das Qualitätshandbuch ¾ Jede Patientin mit einer der o.g. Diagnose wird mündlich vom Pflegepersonal / von der Hebamme oder vom Arzt über die Beratungsstelle informiert. ¾ Die Patientin bekommt die Informationsbroschüre der Beratungsstelle. ¾ Diese mündliche und schriftliche Mitteilung wird im Pflegebericht dokumentiert. ¾ Bei Interesse muss die Patientin ihre Einwilligung unterschreiben (F-Datenschutzerklärung-esperanza). ¾ Die Beratungsstelle wird anschließend telefonisch informiert . Für die Zukunft bleiben jedoch noch einige Probleme zu lösen. Ein wichtiger Punkt war, in welcher Form die klinikeigene Seelsorge in dieses Beratungsmodell integriert werden kann, ohne eine Konkurrenzsituation aufkommen zu lassen. In einem gemeinsamen Treffen zwischen den Klinikseelsorgern, der Beraterin von esperanza und dem zuständigen Arzt wurde ein Konzept entwickelt, in dem die Klinikseelsorge sozusagen als „Notarzt“ das Krisenmanagement bei Konfliktsituationen vornehmen. Sie übernehmen sozusagen die Akutversorgung vor Ort, stabilisieren die Frauen in ihrer Not und stellen somit eine „seelische Transportfähigkeit“ her. Dann erfolgt die Überleitung an die psychosoziale Beratung. 67 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Was ist noch zu lösen y y y Einbindung der Klinikseelsorge Überleitung an die psychosoziale Beratung Mitteilung durch die Klinik an die Beratungsstelle Gerade bei der kurzen Verweildauer von Patientinnen in der Klinik und ambulanten Patientinnen bietet die Kooperation mit den katholischen Beratungsstellen die Möglichkeit, Frauen mit Schwangerschaftskonflikten in professionelle Betreuung überzuleiten. Durch entsprechende Verfahrensanweisungen im Rahmen des Qualitätsmanagements muss sichergestellt werden, dass bei den entsprechenden Diagnosen die Herstellung des Kontaktes zwischen betroffenen Frauen und den Beratungsstellen sichergestellt ist. Die Einbindung der Klinikseelsorge als „Akutversorgung“ ergänzt dieses Modell sinnvoll. Margret Oslislo Interprofessionelle Kooperation - Erfahrungen aus dem Modellprojekt in der Klinik Zu Beginn des Projektes haben wir uns die Frage gestellt, welchen Gewinn haben die schwangeren Frauen, die Klinik wie auch die Beraterin durch das Angebot der psychosozialen Beratung während des Klinikaufenthaltes? Neben der medizinischen Zuständigkeit für Pränataldiagnostik war für uns die psychische Situation der betroffenen Schwangeren ausschlaggebend. Was kann ich als Beraterin bieten in Abgrenzung zur Medizin? Die anfangs von Herrn Professor Dr. Diemer dargestellten Indikationen treten in der Regel unvorhergesehen auf. Die betroffenen Frauen haben nicht damit gerechnet. Sie fühlen sich schlecht, sind von der Situation überwältigt, angespannt und aufgewühlt. Sie können oft nicht sehen, wie es für sie weitergehen soll. Die medizinischen Gegebenheiten sind vom Arzt in der Regel gut erklärbar und in schneller Folge wird medizinisch das Notwendige getan und die Frauen sind dankbar dafür. Aber manchmal sind z. B. Tot- oder Fehlgeburt nicht abwendbar. Einige Frauen halten dies für Schicksal, mit dem sie fertig werden müssen. Viele aber machen sich Gedanken und fragen sich: Warum gerade bei mir? Warum gerade ich? Von dem Schicksalsschlag überwältigt, sind Einschätzung und Ausdrucksmöglichkeiten oft eingeschränkt. Kann die Patientin sich darauf einlassen, dass die Beraterin mit Ruhe und Zeit an ihr Bett tritt, dann sind gegenseitiges emotionales Verstehen und Vertrauen vorrangig. Häufig spielen Ängste vor dem Partnerverlust oder die weitere Lebensbewältigung eine wichtige Rolle. Eine extreme Belastungssituation für eine Schwangere ist eine unerwartete Fehloder Totgeburt. 68 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Ein solches Ereignis ist ein sehr tief wirkendes psychisches Trauma. In diesen Fällen genügt nicht der ärztliche Hinweis am Krankenbett auf die Möglichkeit, eine psychosozial-therapeutische Beratung in Anspruch zu nehmen. Vielmehr ist es in solchen Fällen unerlässlich, dass die Beraterin sofort gerufen wird, um die psychische Belastungssituation der Patientin zur Abwendung etwaiger Folgeschäden aufzufangen und eine Brücke zu bauen für die Fortführung der Beratung nach Entlassung aus der Klinik. Sowohl die psychosoziale Beratungsinstanz wie auch die in der Klinik befindliche seelsorgerische Instanz haben die gemeinsame Aufgabe und Pflicht, in psychischen Notlagen der jeweiligen Patientin beizustehen. Die seelsorgerische Seite kann auch im Akutfall stützend auf die seelische Notlage der Patientin eingehen. Sie tut dies mit religiösem Auftrag und bietet, je nach Wunsch der Kindesmutter, auch kirchliche Regelungen an wie zum Beispiel die Vorbereitung der Taufe eines Kindes, wenn dieses auf Grund seiner schweren Behinderungen wenige Stunden oder Tage nach seiner Geburt versterben sollte. Im Unterschied dazu wird die Beraterin die mögliche Traumatisierung der Patientin auffangen und in systematischen Schritten aufarbeiten. Durch therapeutisch verankerte Interaktionen mit Heranziehung vielfacher – auch kreativer – Mittel und Methoden der Soziotherapie und der systemischen Familienberatung wird die Patientin an neue Möglichkeiten und neue Wege herangeführt, ihren großen Verlust zu bewältigen und das künftige Leben mit neuem Sinn zu füllen. Es können verschiedene therapeutisch stützende Möglichkeiten zur Anwendung kommen, die zur vertieften Selbstreflexion bei der betroffenen Kindesmutter führen und eine tragfähige, positive Basis für besseres Verstehen und Handeln entwickeln. Die angestrebte Stabilisierung der Patientin und das Herausarbeiten ihrer weiteren Perspektiven werden sich dann über unterschiedlich lange Beratungszeiträume erstrecken. 69 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Rainer Schmidt Leben mit Behinderung – Grenzen als Chancen 1. Einleitung Eigentlich ist das, was ich sage, gar kein Vortrag. Ich erzähle Ihnen einfach aus meinem Leben. Ich bringe Ihnen meinen subjektiven Standpunkt nahe, meine Perspektive. Ich habe auch keine Folien mitgebracht. Das hat zwei Vorteile: Erstens, Sie werden mich anschauen und nicht die Wand. Ich möchte nämlich, dass Sie sich ein Bild von mir machen. Gut, ich habe ziemlich kurze Arme, das werden Sie inzwischen bemerkt haben, aber das ist ja noch nicht alles. Ich habe auch blaue Augen und graue Haare. Und je länger Sie mich ansehen, desto eher bekommen Sie eine Idee, wer ich bin. Machen Sie sich ein Bild von mir! Der zweite Vorteil, ohne Folie zu reden, ist der: Ich kann doch einige Anekdoten streichen, ohne dass Sie es merken werden. 2. Begrenzung gestaltet Identität Jetzt aber zum Thema: Leben mit Behinderung – Grenzen als Chancen. Vorweg: Ich wurde einmal gefragt, welchen Beruf ich gewählt hätte, wenn ich mit Standardarmen leben würde. Wäre ich vielleicht Architekt geworden? Davon träumte ich noch während des Abiturs. Aber das Arbeitsamt meinte, ich müsse mindestens ein Jahr auf dem Bau arbeiten, oder eine handwerkliche Lehre machen. Vielleicht wäre ich heute auch Fußballspieler und hätte mit Tischtennis nichts am Hut. Natürlich wollte ich als Kind gut Fußball spielen. Aber mit meiner Beinprothese war ich nicht der Allerschnellste und Dribbelkönig hat mich auch niemand genannt. Kurzum: Meine Begrenzung hat mich geprägt. Ich habe keine Behinderung, so wie man ein Auto hat, sondern ich bin behindert. Ich bin mein Körper. Das ist meine Identität. Ein kleines Beispiel: Schon von Kindesbeinen an, haben mir Menschen hinterher geschaut. Ich bin es gewöhnt, angestarrt zu werden. Oft habe ich mich darüber geärgert. Doch dann kam ich ins Vikariat und in die Predigerausbildung. Da musste man dann vor vielen Menschen auf die Kanzel steigen und sollte predigen. Alle meine Kollegen und Kolleginnen waren unglaublich nervös. Nur ich nicht. Die Situation, von allen angesehen zu werden, verunsichert mich nicht mehr. Sie merken, meine Behinderung prägt meine Persönlichkeit. Meine Behinderung hat meine Identität geprägt. 3. Begrenzung als verbaute Chance Leben mit Behinderung – Grenzen als Chancen: Viele Menschen bewerten eine Behinderung negativ. Wie viele haben zu mir oder zu meinen Eltern gesagt: „der arme Junge“. Sie sehen in der Behinderung eine Belastung, eine Einschränkung, verwehrte Chancen, verschlossene Türen, … . Und in der Tat: Ich würde auch lieber Standardarme haben und keine Beinprothese tragen. Behinderung heißt: Ich kann etwas nicht. Und in seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten eingeschränkt zu sein, ist nicht schön. Darf ich Sie fragen, was glauben Sie, was ich nicht kann? Das ist jetzt keine rhetorische Frage. Ich frage Sie ernsthaft nach ihrer Vorstellung. Was glauben Sie, kann ich nicht? Teilnehmende: „Sie können keine Schuhe binden.“ Schmidt: „Richtig, meine Schuhe haben Klettverschluss oder gar keinen Verschluss.“ Teilnehmende: „Sie können nicht Auto fahren.“ Schmidt: „Doch, kann ich, aber natür70 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ lich ist mein Auto genau auf mich angepasst. Rechts neben dem Fahrersitz ist eine Fernbedienung mit der ich Blinker, Licht und alles andere ansteuere. Übrigens ist Ihr Auto auch genau auf Ihren Körper angepasst. Das merken Sie, wenn Sie in meinem Auto sitzen. Da kommen Sie viel schlechter an die Bedienelemente als ich.“ Ich verrate Ihnen mal eine Einschränkung, unter der ich wirklich gelitten habe. Als Jugendlicher wollte ich unbedingt Klavier spielen. Ich habe mit anderen gesungen und einer hat uns am Klavier begleitet. Was habe ich den beneidet. Ich habe mir so ein kleines Keyboard gekauft und mit einem Arm Melodien gespielt, dann mit dem zweiten Arm und einem Stift im Mund Akkorde. Aber dann konnte ich nicht mehr singen. Also habe ich es aufgegeben. Ich kann nicht Klavier spielen! Darf ich mal fragen: Wer von Ihnen kann nicht Klavier spielen? (Viele Arme gehen hoch). Das ist ja schrecklich! Sie sind alle in dieser Fähigkeit eingeschränkt! Fühlen Sie sich alle behindert? Ja, es ist wohl so: Wir Menschen sind begrenzt. Als Babys sind wir sogar extrem behindert. Wir können nicht laufen, nicht sprechen, nicht alleine essen: 100%iger Pflegefall. Und im Alter ereilt uns oft genug das gleiche Schicksal. Da bauen wir ab und unsere Fähigkeiten werden kleiner. Sie merken schon, wir alle sind in unseren Fähigkeiten begrenzt. Meine Schwester zum Beispiel: Die gilt allgemein hin als nicht behindert. Ich bin nicht sicher, ob das stimmt. Meine Schwester kann keinen Ton gerade singen. Reicht das für eine Behinderung? Ich meine ja, denn sie leitet einen Kindergarten und natürlich gibt es dort auch musikalische Früherziehung. Allerdings nicht durch meine Schwester. Da lässt sie sich von Kolleginnen helfen. Wir alle sind in unseren Fähigkeiten eingeschränkt, aber nicht immer leiden wir darunter. Ich kann zum Beispiel nicht Bergsteigen. Das ist mir völlig egal. Ich wollte es nie können. Nun gut, ich komme aus dem Oberbergischen. Der höchste Hügel hat etwas weniger als 500 Meter. Wäre ich in den Alpen geboren worden, hätte ich vielleicht unter dieser Einschränkung gelitten. Etwas nicht zu können, bedeutet nicht automatisch, dass man darunter leidet. 4. Begrenzung als Chance Viele Menschen empfinden Einschränkungen als die Katastrophe schlechthin. Es muss aber nicht so sein. Für mich ist die Behinderung kein Desaster mehr. Sie hat ihren Schrecken verloren. Ja, ich will sogar formulieren, dass mein Anderssein auch Positives hatte und hat. Ich habe aufgrund der Auseinandersetzung mit meinen Grenzen eine besondere Lebensperspektive. Die Behinderung hat mich leben gelehrt. Drei Dinge will ich nennen. 4.1 Ich weiß, ich kann nicht alles Als Jugendlicher bin ich zuweilen an meine Grenzen gestoßen. Das tat weh. Beim Fußballspielen wurde ich immer als Letzter gewählt. Fahrradtouren konnte ich nicht mitmachen. Mein Fahrrad hatte Stützräder und ich konnte nur mit dem linken Bein treten. Das heißt, ich war so langsam, dass ich allen die Freude verdorben hätte und das wollte ich nicht. Ich habe gelernt, meine Begrenzungen zu akzeptieren. Manchmal muss man eine Grenze akzeptieren, damit man am Leben nicht verzweifelt. Heute leiden viele Menschen unter ihrer Unvollkommenheit. Ich glaube, wir fallen auf die Vorstellung herein, alles sei möglich. Mädchen empfinden sich als nicht hübsch genug. Die Zahl der Schönheitsoperationen bei unter 25-jährigen ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Oft sind es sogar diejenigen, die andere schön finden, die selbst mit sich unzufrieden sind. Ich weiß, dass ich nicht alles kann 71 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ und nicht allen Idealen entspreche. Das ist ein heilsames Wissen, eine „gesunde“ Einstellung zum Leben. Ich habe das schon in meiner Jugend gelernt. Eine wichtige Erfahrung müssen Sie allerdings machen, um das zu lernen. Sie müssen Menschen begegnen, die sie nicht vor allen Dingen an Ihren Leistungen messen und beurteilen. Menschen, die sie schlicht mögen wie sie sind. Grundlose Sympathie. Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Fähigkeiten. Wer als Mensch akzeptiert ist, der kann auch seine Schwächen akzeptieren. Mein Dank gilt allen, die in mir keinen Behinderten gesehen haben, sondern ihren Freund Rainer. Sie haben mich gelehrt, meine Grenzen zu akzeptieren. 4.2 Ich kann nicht nichts Was hat mir außerdem geholfen, an meinen Unfähigkeiten, etwa nicht Klavier spielen zu können, nicht zu verzweifeln? Ich glaube, es waren meine Fähigkeiten. Wenige Jahre vor meinem Klavierfrust hatte ich begonnen, Tischtennis zu spielen. Schnell bin ich besser geworden. Und damit habe ich mich getröstet: Du kannst nicht nichts. Ich habe mich auf meine Stärken konzentriert, statt mich stets mit meinen Einschränkungen zu beschäftigen. Ich habe Gaben, bin begabt. Meine Behinderung hat mich auch zur Dankbarkeit gebracht. Für mich ist mein Lebensglas halbvoll, nicht halbleer. Ich freue mich an den Möglichkeiten meines Lebens und akzeptiere die Grenzen. So, jetzt kommt ein kurzer Werbeblock: Meine Nichte Ronja hat mir die Augen geöffnet: Meine kurzen Arme stellen nicht nur eine Einschränkung dar. Zuweilen können sie sogar eine Gabe sein. Zitat Seite 64f aus dem Buch: „Lieber Arm ab als arm dran“: Habe ich gerade dargelegt, dass jede Gabe eine Aufgabe braucht, so möchte ich Sie nun für den Gedanken gewinnen, dass jede Beschränkung auch zur Begabung werden kann. Es hängt ganz von den Lebensumständen ab. An einem Weihnachtsfest machten die Familie meiner Schwester und ich einen Winterspaziergang. Nach einer Schneeballschlacht hatte meine Nichte Ronja eiskalte Hände. Auch in den Handschuhen wurden ihre Finger nicht mehr richtig warm. Da sah sie, wie ich meine Arme kurzerhand (kleines Wortspiel:-) in das Innere meiner Jacke zurückgezogen hatte. Ich erklärte ihr, ich könne ganz leicht meine Arme sogar bis in meinen Pullover einziehen. „Immer, wenn meine Arme kalt werden, wärme ich sie an meinem Körper wieder auf“, sagte ich ihr. „Manchmal sind kurze Arme ganz schön praktisch“, kommentierte sie. Da hatte sie doch wahrhaftig herausgefunden, dass je nach Lebenssituation meine Einschränkung auch zum Vorteil werden konnte. Ein anderes Mal kam sie auf die Idee, dass ich mich sicher nie beim Ausziehen eines T-Shirts mit meinen Armen im Selbigen verheddern würde. Wir überprüften das in einem T-Shirt-um-dieWette-an-und-ausziehen-Wettkampf und ich gewann. Nun mögen sich die beiden Beispiele kindlich naiv anhören. Ich meine aber, meine Nichte hat etwas Richtiges erkannt: Es kommt auch auf die Situation an, ob ich benachteiligt oder im Vorteil bin. In manchen Lebensumständen wandelt sich eine vermeintliche Schwäche zur Stärke. Ein Jockey mag in vielen Lebenssituationen an seiner begrenzten Körpergröße leiden, aber sitzt er auf einem Rennpferd, dann ist er klar im Vorteil. Vermutlich fühlt sich der Zwerg da ganz groß. Wäre ich Personalchef eines Parfümherstellers sähe ich mich nach blinden Mitarbeitenden um. Bekannterweise prägen sich die anderen Sinneswahrnehmungen besser aus, wenn einer der Sinne ausfällt. Ich selbst habe versucht, körperliche Schlagfertigkeit durch verbale zu ersetzen. 72 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 4.3 Ich schäme mich nicht (Hilfe zu brauchen) Ein drittes habe ich durch meine Begrenzung gelernt. „Ich weiß, ich kann nicht alles“, zugleich „ich kann nicht nichts“ und schließlich „ich schäme mich nicht (Hilfe zu brauchen)“. Dieses Jahr ging ich als Häftling verkleidet zum Karneval. Ich entschied mich stilecht für Turnschuhe. Die aber haben keinen Klettverschluss. Also zog ich mit ungebundenen Schuhen los und traf glücklicherweise auf der Außentreppe meine Nachbarin Marina. Ich bat sie, die Schuhe zu binden und sie erfüllte meinen Wunsch. Dann aber runzelte sich ihre Stirn: „Sag mal, Rainer, Du konntest doch gar nicht wissen, dass ich hier draußen bin. Wärest Du mit offenen Schnürsenkeln in die Stadt gegangen? „Nein“ antworte ich: „spätestens an der Bushaltestelle wäre ich jemandem begegnet, den ich hätte fragen können.“ Darauf Marina: „Du hättest einfach einen Fremden angesprochen? Das würde ich mich nicht trauen.“ Ich: „Nun ja, ich kann es halt alleine nicht und deswegen lasse ich mir helfen. Besser, als zu Hause zu bleiben.“ In viele Menschen ist die Vorstellung, sie müssten alles alleine können tief verwurzelt. Ich will auch möglichst selbstständig sein und soviel wie möglich selber können. Aber stoße ich an meine Grenzen, dann will ich mich nicht klein fühlen, wenn ich um Hilfe bitte. Angewiesen sein auf einen anderen Menschen muss keine Erniedrigung sein. Der Chef braucht auch seine Schreibkraft, sonst überfordert ihn die Büroorganisation. Hilfe zu brauchen und sich dabei nicht klein, unnütz oder gering zu achten, sollten wir alle lernen. Es erleichtert das Leben ungemein und eröffnet neue Möglichkeiten. 5. Drei Schlussgedanken 5.1 Was ich lernte, tut allen Menschen gut Ich habe es oft angedeutet, will es aber noch einmal explizit sagen. Was ich durch die Auseinandersetzung mit meiner Begrenzung gelernt habe, tut jedem Menschen gut. Überhaupt teile ich die Menschen nicht mehr in Menschen mit und ohne Behinderung ein. Alle haben Einschränkungen und jeder weicht mehr oder weniger stark vom Normalen ab. Die Beschäftigung mit den eigenen Grenzen, Unfähigkeiten und Schwächen kann heilsam sein. 5.2 Menschen scheitern an Behinderungen, warum ich nicht? Ich sage bewusst „kann“ heilsam sein. Man kann auch an den Grenzen verzweifeln, scheitern und zugrunde gehen. Wovon hängt es nun ab, ob wir Grenzerfahrungen bewältigen oder ob sie uns bewältigt? Darüber denken wir nachher in Forum 4 nach. Allen anderen will ich ausdrücklich auf zwei Erfahrungen verweisen, die auch schon zur Sprache kamen. Erstens: Wer an seine Grenzen stößt, braucht Menschen die einen mögen. Zuneigung trotz „Unfähigkeit“. Also, gefühlte Unfähigkeit meine ich. Kein Mensch ist gänzlich zu nichts fähig. Auf den Punkt gebracht: wer geliebt wird, kann sich so akzeptieren wie er ist. Wer verachtet wird, verachtet sich selbst. Zweitens: ich kann was! Menschen müssen entdecken, dass Begrenzung nur eine Wahrheit ist. Begabung ist ebenso wahr. Um das zu entdecken, brauchen wir zu bewältigende Herausforderungen, nicht Überforderungen. Die Grenzerfahrung wird durch die Überwindung der Grenze zu einer Erfolgserfahrung. 73 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 5.3 Mein Vortrag war nicht ergebnisoffen Sie haben gemerkt, mein Vortrag war nicht ergebnisoffen. Für mich stellen nicht Behinderungen, sprich Begrenzungen das eigentliche Problem dar, sondern die Utopie, wir könnten alle Behinderungen loswerden. Oft genug werden wir aber nur die Embryonen mit Behinderungen los. Das Gesetz ist übrigens auch nicht ergebnisoffen. Grundsätzlich ist jedes ungeborene Leben zu schützen. § 218 b nennt als Ausnahme nur die Gefährdung des Lebens der Mutter oder eine starke Beeinträchtigung der Gesundheit der Mutter. Gefährdet die Geburt eines Babys mit Down-Syndrom oder eines mit kurzen Armen wirklich das Leben der Mutter? Wir sollten dringend wieder das Gesetz bei seinem Wortlaut nehmen. So, jetzt habe ich lang genug geredet. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit ! 74 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Foren Forum 1 "Aufbau von Kooperationen / Umgang mit den Schnittstellen zwischen Medizin und psychosozialer Beratung Mitwirkende: Christian Wilhelm Gesine Habermann Elisabeth Müller Gisela Pingen-Rainer, Christian Wilhelm In eigener Frauenarztpraxis mit dem Schwerpunkt Pränatalmedizin versuche ich, von ärztlicher Seite den betroffenen Schwangeren die Möglichkeiten der Kooperation mit ärztlichen Kollegen wie Humangenetikern, Kinderärzten oder Klinikärzten aufzuzeigen. Zusätzlich hat sich in den letzten Jahren die Zusammenarbeit mit psychosozialen Beratungsstellen erfreulich entwickelt, nicht zuletzt durch den Aufbau von persönlichen Kontakten. So wird inzwischen Schwangeren die Beratung bei persönlichen, psychosozialen und Partnerschaftsproblemen ebenso angeboten wie nach Feststellung einer Erkrankung des Ungeborenen. Für den Aufbau von Kooperationen lassen sich folgende Merkmale als besonders wichtig beschreiben • Eine Tätigkeitsbeschreibung hilft, Verständnis und Vertrauen zwischen den einzelnen Professionen herzustellen. Wer noch nie bei einer pränatalmedizinischen Untersuchung bzw. Beratung dabei war, kann nur schwer die Möglichkeiten und Probleme erkennen, um die es geht. Es muß definiert werden, welches medizinische bzw. ärztliche Aufgaben sind, wann eine Information bzw. Einbeziehung von Hebammen oder psychosozialen Beratern wünschenswert, sinnvoll oder notwendig erscheint. • Erst dadurch kann ein Vertrauensverhältnis entstehen, das auch einen für beide Seiten notwendigen Informationsaustausch möglich macht. Der Aufbau von Kooperationen ist in einzelnen Modellprojekten auf gutem Wege, es hat sich gezeigt, dass ein solches Netz auf lokaler Ebene am besten aufgebaut werden kann. Gesine Habermann "Man braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen" (afrikanisches Sprichwort) Das gilt meiner Meinung nach auch für die Schwangerschaft. Die Frau/das Paar erlebt in dieser Phase des Übergangs zur Elternschaft die ganz normalen Unsicherheiten, schon ohne Überlegungen zu PND. Seien wir uns bewusst, was und wie wir etwas in dieser biografisch, ja existenziell wichtigen Zeit der Frau und dem Paar anbieten. Die Tätigkeit der Hebamme steht für individuelle Begleitung der Schwangeren bzw. der Mutter von (Fach-)Frau zu Frau und für die Unterstützung der MutterKind-Beziehung. Hebammenleistungen sind: Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen, 75 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Schwangerenberatung, Hilfe bei Schwangerschaftsbeschwerden, Betreuung bei der Geburt und danach, und zwar bis zur 8. Woche; bei Bedarf und Vorliegen einer ärztlichen Verordnung auch darüber hinaus. Originäres und typisches Merkmal sind die Hausbesuche. Die schwangere Frau kann sich sicher fühlen in ihrer eigenen Umgebung und eine vertrauensvolle und selbstbestimmte Beziehung aufbauen. Die Hebamme lernt die Frau mit und in ihrem familiären und sozialen Umfeld kennen. Eine Hebamme bietet Gespräche an, die auch mal eine Stunde dauern können. Und sie sitzt am Bettrand neben der Schwangeren, um Bauch und Kind abzutasten. In dieser Situation der persönlichen Zuwendung und Akzeptanz kann die Frau Zugang zu ihren Gefühlen und Gedanken finden. Hebammen können Atem- und Entspannungsübungen anleiten. Diese und evtl. andere Methoden, z. B. Phantasiereisen können je nach Qualifikation der Hebamme eingesetzt werden, um die Frau bei ihrer Entscheidungsfindung zu begleiten. Wie kommt der Kontakt zur Schwangeren zustande? In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle haben Frauen vor Inanspruchnahme von Pränataldiagnostik gar keinen Kontakt zu einer Hebamme. Die Mutterschaftsrichtlinien sehen leider keinen Hinweis im Mutterpass auf das Recht auf Hebammenhilfe vor, wie unser Berufsverband seit Jahren fordert. Nur sehr gut informierte Frauen suchen früh in der Schwangerschaft eine Hebamme auf - meist sind es die, die eine Hausgeburt planen oder das zweite Kind erwarten und genau wissen, was sie wollen und nicht wollen. Hier wäre eine Vernetzung zwischen Ärztinnen und Ärzten und Hebammen oder Beratungsstelle wünschenswert. Vereinzelt gibt es diese Zusammenarbeit auf der Basis persönlicher Bekanntheit oder im Rahmen von Praxiskooperationen. Das Hebammen-Netzwerk Köln e. V. versucht, flächendeckend seine Flyer in Gynäkologenpraxen auszulegen. Häufig erleben wir Frauen, die von einem unklaren oder positiven Befund überrascht werden, da ihnen jetzt erst klar wird, in welchem Entscheidungsdilemma sie sich befinden. Eine Vernetzung zwischen Beratungsstelle und Gynäkologen ist hier besonders notwendig. Über esperanza werden Kontakte zur Hebamme vermittelt. Viele Frauen suchen - natürlich - keinen Geburtsvorbereitungskurs (und kontaktieren keine Hebamme), während sie in der Warte- oder Entscheidungssituation sind, eher eine Beratungsstelle. Die meisten Erfahrungen habe ich persönlich mit Frauen bzw. Paaren, die sich für das behinderte Kind entschieden haben, und mit Schwangeren, die nach der Diagnose „nicht lebensfähig“ das Kind bis zu seinem Tod austragen wollen. Elisabeth Müller Ich möchte noch einige kurze Anmerkungen zur psychosozialen Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik machen: Psychosoziale Beratung (PB): spricht Frauen und Männer gleichermaßen an geht immer auf das Anliegen der Ratsuchenden ein und begegnet ihnen mit Wertschätzung ist als Ergänzung zur medizinischen Beratung zu verstehen findet ohne Zeitdruck statt, bezogen auf die Beratung an sich hilft Eltern, hoch belastende Lebensereignisse, wie einen pathologischen Befund zu verarbeiten und wieder entscheidungs- und handlungsfähig zu werden 76 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ - ist lösungs- und ressourcenorientiert und unterstützt Eltern in ihrer eigenen Kompetenz ist zielorientiert und ergebnisoffen bietet Begleitung in allen Phasen von PND und bis drei Jahre nach der Geburt des Kindes, nach Fehl- oder Totgeburt und nach einem Schwangerschaftsabbruch Im Folgenden nun möchte ich einmal exemplarisch darstellen, an welchen Schnittstellen es aus unserer Sicht für die verschiedenen Professionen sinnvoll sein kann, psychosoziale Beratung einzubeziehen und umgekehrt, wann wir es für sinnvoll halten, an andere Professionen zu verweisen oder diese mit einzubeziehen. Vor PND: Beispiel: Klientin in der 10. Schwangerschaftswoche hat 3-jähriges Kind mit Down-Syndrom, ist medizinisch bestens informiert und findet für sich keine Klarheit. Sie ist verunsichert, ob und welche Untersuchungen für sie in Frage kommen und welche Konsequenzen ein auffälliger Befund haben würde. In anderen Fällen sind Paare sehr unterschiedlicher Meinung, wollen aber zu einer Entscheidung finden, die sie auch gemeinsam tragen können. Deshalb ist es wünschenswert, dass betreuende Gynäkologen Frauen und Paare den Weg in die psychosoziale Beratung frühzeitig möglich machen und über das Angebot informieren. Erfahrungen zeigen, dass Empfehlungen von Ärzten in diesen Fällen gerne aufgegriffen werden. Während der PND erleben manche Eltern - die Wartezeit auf den Befund als sehr belastend - sind in großer Unruhe, halten Ungewissheit kaum aus - und Frauen fühlen sich häufig in Distanz zu ihrem Kind Hier kann es notwendig sein, dass wir als Ansprechpartnerinnen begleitend zur Verfügung stehen und es ist sinnvoll, eine Hebamme einzubeziehen für Entspannungsübungen und zur Unterstützung und Förderung des Mutter – Kind – Kontaktes. So wäre es sinnvoll, wenn betreuende Ärzte auch in dieser Phase daran denken, Frauen / Paaren die begleitende Unterstützung anzubieten. Nach einem pathologischen Befund stehen manche Eltern unter Schock, geraten jedenfalls häufig in Konflikt, und in der psychosozialen Beratung können sie mit ihrem gesamten Befinden aufgefangen und angenommen werden. Hier geht es eher um das Befinden und weniger um den Befund. Und dennoch sind für mich Kenntnisse von dem Befund wichtig und, bestenfalls, dass ich für Rückfragen während des Gespräches zum betreuenden Pränatalmediziner Kontakt aufnehmen könnte. - Eltern können Kenntnisse über gesetzliche und persönliche Unterstützungsmöglichkeiten, sowie Informationen über die Behinderung, Erkrankung oder Fehlbildung ihres Kindes erhalten. 77 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ - Ebenso können sie sich auch mit einem Schwangerschaftsabbruch auseinandersetzen. - Nach einem pathologischen Befund kann es insbesondere um Fragen der Bedingungen für die Geburt gehen und um Fragen der Behandlungsmöglichkeiten und Prognosen der möglichen Lebensqualität des Kindes, um Fragen zu Fördermöglichkeiten, aber auch um Schuldgefühle, Sinnfragen und Fragen des Heilwerdens. Hier finde ich es optimal, wenn Betroffenen ein multiprofessionelles Team zu all diesen Fragen unverzüglich angeboten werden könnte, bestehend aus z. B.: KlinikgynäkologIn, Hebamme, NeurologIn, Kinderarzt/-ärztin, Frühförderung, SeelsorgerIn und psychosoziale Beraterin. Für mich ist es eine herausfordernde Aufgabe, ein solches Team mit aufzubauen und somit allmählich optimale Versorgungsstandards für Frauen / Paare mit zu entwickeln. Wenn ein Schwangerschaftsabbruch als Ausweg erwogen wird, sollen Eltern sich auseinandersetzen können mit dem, was auf die Frau zukommt, womöglich eine eingeleitete Geburt des Kindes. Dazu gehört auch der Abschied vom Kind. Sie sollten Informationen über Bestattungsmöglichkeiten bekommen. Aus diesem Grunde halte ich es für wichtig, dass allen Professionen, die Eltern hierzu beraten und begleiten, Kenntnisse über die Standards in Kliniken zur Verfügung stehen, damit Eltern Orientierung und Unterstützung erfahren können. Nach der Geburt eines Kindes mit Behinderung wäre es sinnvoll, dass alle Professionen in der Geburtshilfestation sowie Klinikseelsorge und –sozialarbeit über das Beratungsangebot in Kenntnis sind und einschätzen können, wann es für Eltern sinnvoll ist, die Beratung hinzuzuziehen. Psychosoziale Beratung ist nun insbesondere eine Anlaufstelle für die Eltern persönlich, hier können sie sich ihren Gefühlen von Ohnmacht, Wut, Zukunftsangst, Trauer um den unerfüllten Wunsch nach einem gesunden Kind widmen. Und sie erhalten das Angebot zur Begleitung bei allen lebenspraktischen Fragen, bis zum 3. Jahr nach der Geburt des Kindes. In dem Zusammenhang könnte ich mir vorstellen, gemeinsam mit einem Geburtshilfeteam einer Klinik einen Flyer zu entwickeln, in dem alle Professionen außerhalb der Klinik mit ihrem Versorgungsangebot kurz skizziert aufgelistet werden, der den Eltern dann bei der Entlassung aus der Klinik mitgegeben werden kann. Meine eigenen Grenzen in der Beratung sind dann gegeben, wenn Frauen / Paare medizinische Fragen aufwerfen, die über meine Grundkenntnisse hinausgehen. Hier verweise ich an die Mediziner(innen), ggf. vermittle ich Kontakte oder begleite Eltern im Einzelfall auch, bspw. wenn sie als Migrantinnen sprachlich nicht gut versiert sind oder derart aufgeregt, dass sie nicht alles mitbekommen. Beispiel: E.-M. Wenn Frauen / Paare in der Frühschwangerschaft zu der Entscheidung kommen, keine PND Angebote in Anspruch zu nehmen und sich auf ihr Recht auf Nichtwissen beziehen, dann setze ich sie auch in Kenntnis über die Möglichkeit der 78 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Schwangerenvorsorge durch eine Hebamme und vermittle ggf. zu einem Informationsgespräch. Abschließend bleibt mir zu sagen, dass es mir ein Anliegen ist, dass Eltern in allen Phasen von PND gut versorgt werden können und ich gerne multiprofessionelle Versorgungsstandards mit entwickeln möchte, die für die Professionen untereinander und besonders für Frauen und Paare kurze Kommunikationswege ermöglichen. Gisela Pingen-Rainer, Protokoll Das Forum wurde eröffnet durch Beiträge der Referent(inn)en. Zunächst erläuterte die freiberufliche Hebamme Frau Gesine Habermann ihren Ansatz von Beratung und Begleitung der Frauen, zu denen sie i. d. R. erst in der fortgeschrittenen Schwangerschaft Kontakt hat. Da die Hebammensicht als Profession bisher nicht auf der Tagung zu Wort gekommen war, legte Frau Habermann das Selbstverständnis ihrer Profession dar. Sie erläuterte, als Hebamme nahe an der Frau zu sein, diese durch körperlichen und seelischen Beistand durch die Schwangerschaft und nach der Geburt des Kindes zu begleiten. Frau Elisabeth Müller veranschaulichte die Schwerpunktsetzung und die Beratungsaufgaben im Kontext von Pränataldiagnostik in ihrer Arbeit als Beraterin bei esperanza und in Kooperation mit der ärztlichen Praxis von Prof. Dr. Christian Wilhelm, der bereits am Vormittag sein Aufgabenspektrum dargestellt hatte. Psychosoziale Beratung setze in allen Phasen von Pränataldiagnostik bei dem emotionalen Befinden und den Entscheidungsnöten an, die einerseits durch die Auseinandersetzung mit Fragen zur Inanspruchnahme von Untersuchungen und andererseits mit (unklaren) medizinischen Befunden bei der Frau und dem Paar ausgelöst werden. Psychosoziale Beratung habe aber auch ihren Stellenwert vor der Inanspruchnahme von Untersuchungen in der Schwangerschaft. Prof. Wilhelm als Pränatalmediziner in eigener Praxis und Frau Müller von der Beratungsstelle esperanza haben bereits Ende 2003 eine Kooperationsvereinbarung geschlossen und berichteten von ihren ersten positiven Erfahrungen der Zusammenarbeit. Die anschließende Diskussion und Fragen der Teilnehmer bezogen sich vor allem auf das Thema Kooperation der Professionen. Es wurde angefragt, welches Beratungskonzept von Hebammen vertreten wird und wie sich dieses von der psychosozialen Beratung unterscheide; hier gebe es Klärungsbedarf. Es gab ein großes Bedürfnis der Teilnehmer(innen) konkret in Formen der Zusammenarbeit zum Thema Pränataldiagnostik und Beratung der Schwangeren einzusteigen. Besonders herausgestellt wurde die Schwierigkeit, einen Zugang zu niedergelassenen Gynäkologen zu finden. Die Bildung von öffentlichen Foren, Arbeitskreisen und öffentlichen Veranstaltungen zum Thema „Vernetzung und Kooperation“ sowie „Umgang mit einem positiven Befund / diagnostizierter Behinderung“ (z. B. Kinofilm, Podiumsdiskussion) wurden angeregt, um Kontakte zu anderen interessierten Professionellen aufnehmen zu können. Darüber hinaus gab es von ärztlicher Seite ein großes Interesse an der Bildung von Qualitätszirkeln mit anderen Professionen, um die Versorgung in der Pränataldiagnostik qualitativ zu verbessern. Im Anschluss wurden im Forum erste konkrete Schritte zur Gründung eines Qualitätszirkels geplant. 79 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Forum 2 "Diagnoseeröffnung interdisziplinär gestalten" Mitwirkende: Barbara Baier Barbara Leube Angela Kribs Anke Fricke Anke Fricke Zunächst möchte ich nach Absprache mit Frau Dr. Baier, Frau Dr. Leube und Frau Dr. Kribs unser Thema „Diagnoseeröffnung interdisziplinär gestalten“ etwas erweitern. Es geht nicht nur um den Zeitpunkt der Diagnoseeröffnung, die selbstverständlich im Kompetenzbereich der Mediziner liegt, sondern darüber hinaus um die daran anschließende Begleitung von Frauen und Paare in der interdisziplinären Zusammenarbeit. Ich möchte kurz aus meiner Perspektive als psychologische und psychosoziale Beraterin Erfahrungen berichten, die mich bewogen haben, in eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Pränataldiagnostikern, Humangenetikern, Pädiatern und flankierenden Disziplinen wie z.B. Hebammen, Krankenhausseelsorgerinnen und Elternvereine zu gehen: Frauen und Paare, die sich in die Pränataldiagnostik begeben, befinden sich im Prozeß des Elternwerdens. Ihr Lebensplan, ihre Vorstellung, eine Familie zu gründen oder zu ergänzen nimmt Form an und hat begonnen Realität zu werden. Sie haben bereits eine innere Repräsentanz (Vorstellung) von ihrem Kind. Der Ultraschall macht zusätzlich die visuelle Wahrnehmung ihres Kindes möglich. Es ist ihr Kind, das sich auf dem Bildschirm bewegt, sich für sie vital und gesund zeigt. Ihr Kind wird zu einer Beziehungsperson. So gestimmt begeben sich Frauen und Paare in die Pränataldiagnostik. So finden wir in der Pränataldiagnostik eine Situation wieder, die durch widersprüchliche Aufträge und Sprache definiert ist: - Die Ärztin, der Arzt möchte so viel, wie möglich auf dem Bildschirm erkennen aber auch davor bewahrt werden, etwas Beunruhigendes zu sehen und die werdenden Eltern damit beunruhigen zu müssen. - Die Frau / das Paar möchte einerseits auch, dass alles gesehen wird (deshalb kommen sie), andererseits möchten sie nicht, dass etwas sichtbar wird, dass sie beunruhigen könnte. - Das, was als positiver Befund bezeichnet wird, hat eine negative Bedeutung für die Eltern. Warum halte ich mich mit dieser Beschreibung auf? Meines Erachtens birgt das Setting der PND, in das sich Frauen, Paare, Pränataldiagnostiker(innen) und Humangenetiker(innen) begeben, bereits ein gewisses Stresspotential in sich, weil es im Falle eines pathologischen Befundes dieses eben beschriebene, nicht aufzulösende Dilemma inne hat. Es wird von allen Beteiligten Konfliktfähigkeit abverlangt. Frauen, die durch die Schwangerschaft emotional höchst verletzbar sind, machen sich häufig diese Situation vorab nicht bewusst. Mit der Eröffnung eines pathologischen Befundes über ihr Kind, ist für die Eltern nichts mehr wie vorher. Die meist hoffnungsvoll erlebte Schwangerschaft wird nun zu einem kritischen Lebensereignis. 80 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Eine Krisensituation zeichnet sich auf der körperlichen und Erlebensebene u.a. aus durch - Adrenalinausschüttung - Hohen Puls - Eingeschränkte Wahrnehmung - Kurzzeitige Regredierung - Das Gefühl von Kontrollverlust - Kurzfristigen Identitätsverlust - Kuddelmuddel im Kopf (haltlose Verwirrung) - Widerstand (Schweigen: “Diese Not versteht keiner“) - Das Gefühl, in ein schwarzes Loch zu fallen Das Bestreben, wieder in ein psychisches Gleichgewicht zu kommen (coping), funktioniert nicht, weil die geläufigen, zur Verfügung stehenden Strategien, nicht greifen. „Kritische Lebensereignisse fordern zu Entscheidungen und Handlungen auf, die nicht ausschließlich auf bisher erworbene Routinen zurückgreifen können, sondern neue Verarbeitungsmodi und Problemlösungen erfordern“ (Oerter, 1994) Bei der Diagnoseeröffnung haben wir demnach folgendes Szenario: Durch die Schocksituation ist die Frau / das Paar nicht mehr für alle Informationen aufnahmefähig, obwohl sie Informationen haben möchten und brauchen. Das führt für diejenigen, die die Diagnose eröffnen zu folgender Situation: Was sie gesagt haben, muss die Frau / das Paar nicht unbedingt gehört haben. Und wenn sie es gehört hat / haben, heißt das nicht, dass sie es verstanden hat / haben. Warum werden die Informationen nur teilweise oder verzerrt aufgenommen? Zum einen durch die Symptome, die durch den Schock wie oben beschrieben, ausgelöst werden und zum anderen, weil sich die Aufmerksamkeit der Eltern nach innen richtet, sie mit sich beschäftigt sind: - Sie möchten begreifen, was los ist, fühlen sich dazu aber nicht in der Lage „Du fühlst Dich wie in einem falschen Film“, „es ist als seiest Du in einen falschen Zug eingestiegen, aber Du kannst nicht mehr aussteigen.“ - Sie möchten wieder Kontrolle über ihre Emotionen und die Situation gewinnen. Sie möchten so schnell, wie möglich eine Lösung ihrer inneren Spannung. Sie möchten sich gehen lassen können und gleichzeitig Haltung bewahren. Sie möchten kurzfristig die Verantwortung an eine Autorität abgeben. ... In dieser Situation ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit gefragt, um die Eltern in der aktuellen Krise aufzufangen und eine möglichst stabile Basis für die weiteren Schritte zu ebnen. In dieser kritischen Phase bedarf es einer aufmerksamen sensiblen Kommunikation und Interaktion zwischen den Akteuren. Um die erhaltenen Informationen sowohl mit dem Kopf (kognitiv) als auch mit dem Herzen (emotional) verarbeiten zu können, brauchen die Frauen / Paare jetzt Mentoren. Diese haben die Aufgabe, sie fürsorglich zu begleiten, sie darin zu unterstüt81 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ zen, ihr seelisches Gleichgewicht wiederzugewinnen, um eine verantwortliche Entscheidung für ihre weitere Elternschaft zu treffen oder diese gegebenenfalls aufzugeben. Hier greift die medizinische und psychosoziale Beratung ineinander. Im Idealfall ist eine psychosoziale Beraterin bei der Diagnoseeröffnung anwesend, bzw. es kann eine Überleitung in die psychosoziale Beratung erfolgen. An dieser Stelle sind je nach den Möglichkeiten vor Ort verschiedene Formen der interdisziplinären Zusammenarbeit denkbar. Aus meinem Erfahrungsbereich kann ich folgende Beispiele nennen: - Angebot einer psychosozialen Sprechstunde in der Klinik - Weitervermittlung der Frauen/Paare aus der Klinik aus humangenetischen Praxen aus pränataldiagnostischen Schwerpunktpraxen in die Beratungsstelle, wenn möglich mit direkter telefonischer Terminvereinbarung. • Was kann die psychosoziale Beratung leisten? Eine Krisen- oder Schocksituation kann zu emotionalen Blockaden führen. Die Gefühle müssen sozusagen wieder durchlässig, der Zugang zu ihnen geöffnet werden (Öffnung des inneren psychischen Raumes). Die psychosoziale Beratung schafft eine „emotionale Rahmung“, d.h. die Beraterin erzeugt einen stabilen strukturierenden Rahmen, der der Frau / dem Paar den Zugang zu ihren Gefühlen öffnet, Platz für Affekte gibt. Es kommt zur Spannungsregulierung und damit einhergehend zum Stressabbau. Fragen, Gedanken, und Gefühle zur aktuellen Situation können in Fluß kommen, ihr Zusammenspiel in Gang gesetzt werden (Vorbeugung von Abspaltung). • Die psychosoziale Beratung In der interdisziplinären Zusammenarbeit setzt an - als Krisenintervention nach Diagnoseeröffnung - als Ergänzung bei einer interdisziplinären Diagnosemitteilung (Konzil) - als Prozessbegleitung bei der Entscheidungsfindung - als Auseinandersetzungsprozess vor in Anspruchnahme von Pränataldiagnostik - als Begleitung zur Verarbeitung eines Schwangerschaftsabbruchs Dabei können die bundesweit arbeitenden Beratungsstellen vom Sozialdienst kath. Frauen und Caritas auf Netzwerke zurückgreifen, die Frühförderung, Familienentlastung und integrative Betreuungsformen anbieten. Die Diagnoseeröffnung in der PND ist ein komplexes Geschehen von Informationsvermittlung und –verarbeitung durch Kommunikation und Interaktion. Für die betroffenen Frauen / Paare kann sie im Falle eines pathologischen Befundes bei ihrem Kind zu einem kritischen Lebensereignis werden. Durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit wird den Eltern ermöglicht, die in der PND erhaltenen Informationen kognitiv und emotional zu verarbeiten und sie in ihren zukünftigen persönlichen Lebensplan zu integrieren. Eine sorgsame interdisziplinäre Begleitung vermittelt den Eltern die Annahme und Wertschätzung ihres konfliktreichen Prozesses. Indem die Beraterin Orientierungsmöglichkeiten eröffnet und die Entscheidungskompetenz der Eltern erweitert, leistet sie einen Beitrag zur Übernahme von verantwortlicher Elternschaft. 82 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Barbara Baier Der Pränatalmediziner ist derjenige, der der Schwangeren möglicherweise eine Problemdiagnose übermittelt, die sich beim Ultraschall herausstellt. Die Reaktion der Schwangeren und ihrer Begleitung ist nicht vorhersehbar. Der Pränatalmediziner ist auch meist nicht in Kenntnis darüber, welche Erwartungen und Sorgen, welche Vorkenntnisse und welche Einstellungen eine Schwangere begleiten, wenn sie zum Ultraschall kommt. Wir Pränatalmediziner wissen, dass sich viele Schwangere im Vorfeld nicht im Klaren darüber sind und sich keine Gedanken darüber machen, welche Konflikte sich aus einer möglichen Problemdiagnose ergeben. Die Diagnoseeröffnung muss unverzüglich beim Ultraschall erfolgen, da der Schwangeren eine Problematik nicht verheimlicht werden kann . Eine Hinzuziehung anderer Disziplinen ist notwendig, um der Schwangeren einen umfassenden Überblick über eine mögliche Problematik, Prognose und Therapiemöglichkeit zu geben. Diese Kontakte zu Kinderärzten, Kinderchirurgen und Kinderkardiologen, Humangenetikern etc. sollten möglichst schnell hergestellt werden. Mit der Schwangeren ist zu besprechen, wie dieses am besten zu organisieren ist. Der Erst-Kontakt zu einer Beraterin in dieser Situation der Diagnoseeröffnung in Hinsicht auf eine dann folgende und zu vereinbarende psychosoziale Betreuung ist unseres Erachtens unerlässlich. Diese Betreuung kann aus unserer Erfahrung fast nur befriedigend gelingen, wenn die Beraterin vor Ort den Erst-Kontakt herstellen kann. Nach Mitteilung erfahrener Beraterinnen sollte die Beraterin bei der Ultraschalluntersuchung selbst nicht zugegen sein, um einen vertrauensvollen und offenen Kontakt der Schwangeren zur Beraterin nicht zu behindern. Ein schneller Kontakt der Schwangeren mit ihrem eventuell kranken Ungeborenen zu Betroffenen ist ebenfalls sinnvoll und notwendig. Im Wissen um einen im Vorfeld eher sorglosen Umgang mit Pränataldiagnostik seitens der Schwangeren wäre eine psychosoziale Beratung vor Pränataldiagnostik sinnvoll. In dieser Beratung kann geklärt und bewusst gemacht werden, was möglicherweise ein Problembefund für die Schwangere bedeuten könnte. Barbara Leube Allgemeine Überlegungen 1. Psychosoziale Beratung sollte möglichst niedrigschwellig erreichbar sein und eine „neutrale“ Bezeichnung haben („Schwangerenberatung“, „Familienberatung“?). 2. Mehrere medizinische Fachdisziplinen zusammen in einer Beratungssitzung sind wahrscheinlich nicht günstig. 3. Humangenetische und psychosoziale Beratung gemeinsam erscheint prinzipiell möglich und wird andernorts auch durchgeführt (Bsp. Freiburg), jedoch besteht auch hier das Problem des Informationsbedürfnis der Schwangeren bei Terminvergabe (s. Beitrag Dr. Baier). 83 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ 4. Optimal wäre eine interdisziplinäre Begleitung vor Diagnosemitteilung, möglichst noch vor dem Einsatz pränataler Diagnostik, zumindest bei AZ, CVS und Ersttrimesterscreening (siehe Dewald und Cierpka, DÄB 13, A825-6: Vorschlag, Standardpaket bei der Schwangerenvorsorge aufzulösen), evtl. über „Infoabende“. 5. Besonderheiten des Ersttrimesterscreenings (bzw. Nackentransparenzmessung, Triple-Test), die eine besondere Begleitung wichtig erscheinen lassen: a) Es wird als IGel-Leistung nahezu allen Schwangeren angeboten b) Die statistischen Hintergründe (s.u.) sind kaum einer Schwangeren klar und nur schwer zu vermitteln, ein auffälliges Ergebnis wird in der Regel in seiner Aussagekraft überbewertet. c) Über die erste, in der Schwangerenvorsorge regelhaft vorgesehene Ultraschalluntersuchung mit Beurteilung bzgl. eines „Nackenödems“ kann auch eine Schwangere in diese Untersuchung „hineinrutschen“, die das ursprünglich nicht beabsichtigt hat. Statistik des ETS (Falsch-positiv-Rate 5%, Erfassungswahrscheinlichkeit für Trisomie 21 80-90%): Von 10.000 Schwangeren um 35 Jahre bekommen 500 (5%) ein auffälliges Ergebnis. Von diesen 500 Frauen haben 20 ein Kind mit Trisomie 21, die restlichen 480 ein in dieser Hinsicht unauffälliges Kind. Außerdem haben 2-4 der 9500 Frauen mit unauffälligem Testergebnis ein Kind mit Trisomie 21, das durch den Test nicht erfasst wurde. Beispiel: Ein werdender Vater berichtet von seinen Erfahrungen mit einer AZ nach auffälligem Triple-Test: 2 Wochen nach Punktion rief uns das Krankenhaus an. Sie hatten das Ergebnis der Fruchtwasseruntersuchung fertig: "ein XY ohne Chromosomenstörung" stand auf dem Dokument. Uns fiel natürlich ein Stein vom Herzen. Mir selbst fiel ein gewaltiger Klotz vom Herzen, aber meine Frau fand diese Erleichterung erst Monate später im Kreißsaal, wie ich erst kurz nach der Geburt erfuhr. Ein Dorn an Zweifel saß tief und still in ihr fest und die erste Frage nach der Geburt war, ist das Kind gesund. Die Sorge, ob nicht doch irgendetwas nicht ganz in Ordnung ist, hat sie die ganze Zeit begleitet. Sie hatte mir davon nie etwas gesagt. Unser Sohn kam am 06.07. eine Woche zu früh auf natürlichem Weg auf die Welt. Heute sind wir überglücklich, es ist das großartigste Kind auf der Welt. Vielleicht ist es diese große Sorge um seine Gesundheit, die zu einer enormen Beziehung zwischen Mutter und Kind führte. Beide können keinen Augenblick ohne den anderen auskommen. Ich glaube schon, dass die Beunruhigung Spuren hinterlassen hat, in dem Kleinen und uns... Angela Kribs Welche Aufgaben kann / sollte der Kinderarzt erfüllen ? Setting 1: Vor geplanter pränataler Diagnostik In dieser Situation spielt der Kinderarzt in der Regel keine Rolle. Werdende Eltern begeben sich meist in pränatale Diagnostik hinein, in der Hoffnung hinsichtlich der Gesundheit ihres Kindes beruhigt zu werden. Eine Aufklärung über ein bestimmtes Krankheitsbild ist daher nicht angezeigt, es sei denn, es hat bereits ein vorausgehendes Kind in der Familie mit einer bestimmten gesundheitlichen Störung gegeben. 84 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ In dieser Situation stellt u.U. der behandelnde oder damals behandelnde Kinderarzt als vertraute medizinische Bezugsperson den Kontakt zu Pränataldiagnostiker und / oder Humangenetikern her. Wünschenswert wäre, dass auch in anderen Situationen, insbesondere wenn aufgrund einer belastenden Anamnese in der erweiterten Familie eine gezielte Diagnostik erfolgt, vor Durchführung von Pränataldiagnostik die Vermittlung eines Gesprächs mit einem Kinderarzt angeboten wird. Setting 2: Nach gestellter Diagnose a) Sicherung einer genetischen Auffälligkeit nach AC b) Organische Auffälligkeit bei „Organultraschall“ c) Auffälligkeiten in der Entwicklung bei einem organisch und genetisch gesunden Kind Zu a) Die Mitteilung des Befundes erfolgt in der Regel durch den die Untersuchung durchführenden Pränatalmediziner. Spätestens bei der Diagnosemitteilung sollte das Gespräch mit dem Kinderarzt ebenso wie mit der psychosozialen BeraterIn angeboten und zeitnah vermittelt werden. Eingespielte Kooperationen sind dafür notwendig und sollten etabliert werden. Zu b) Auch hier erfolgt die Mitteilung des Befundes durch den die Untersuchung durchführenden Pränatalmediziner. Der Befunderhebung und Befundmitteilung sollte zeitnah eine interdisziplinäre Konferenz folgen, in der ein Procedere geplant wird, das den werdenden Eltern angeboten werden kann. Hierzu gehört auch die nahtlose Vermittlung von Gesprächen mit Vertretern aller potentiell involvierten Fachrichtungen. Tür an Tür-Lösungen von pränatalmedizinischen Einrichtungen mit Kinderkliniken bieten diesbezüglich ideale Vorraussetzungen. In Praxen sollten Strukturen geschaffen werden, in denen in entsprechenden Fällen die Patientinnen entweder weiter verwiesen werden oder zu fixen Terminen entsprechende Konferenzen stattfinden. Zu c) Werden im Rahmen der pränatalen Diagnostik Störungen der kindlichen Entwicklung festgestellt, die eine vorzeitige Entbindung notwendig erscheinen lassen, sollten die werdenden Mütter in Einrichtungen mit Kinderklinik eingewiesen werden, in denen ihnen aus kinderärztlicher Sicht Chancen und Risiken der Kinder dargestellt werden können. Anke Fricke, Protokoll Die Diagnosemitteilung, muss in Bezug auf die Vermittlung von Statistiken und Wahrscheinlichkeiten, sehr sensibel und differenziert vorgenommen werden. Wichtig ist eine verständliche Alltagssprache zu wählen. Den Betroffenen muss die Möglichkeit, Fragen zu stellen, eröffnet werden. Sie dürfen sich nicht mit unverständlichen Zahlen konfrontiert sehen. Daher sind Sprechpausen bei der Diagnoseübermittlung notwendig. Die Überleitung in eine psychosoziale Beratung wurde im Hinblick auf die strukturellen Gegebenheiten kontrovers diskutiert. Bei der Tür an Tür Vermittlung (eine Beraterin bietet in einer Praxis oder Klinik vor Ort eine Sprechstunde an) ist gesichert, dass die Patientin mit der Beraterin zumindest in Kontakt tritt. Die Hemmschwelle für ein Gespräch kann so herabgesetzt werden. Der Begriff "Psychosoziale Beratung" ist für manche Frauen / Paare negativ besetzt. Andererseits gibt es Frauen / Paare, die die psychosoziale Beratung vom medizinischen Rahmen 85 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ trennen möchten. Ist die Beraterin nicht vor Ort scheint folgende Vorgehensweise sinnvoll und Erfolg versprechend: In Anwesenheit und Absprache mit der Patientin vereinbart die Ärztin telefonisch einen Termin mit der Beraterin in der Beratungsstelle für die Patientin. Die beschriebenen Formen werden bereits an verschiedenen Standorten praktiziert. Eine tragfähige Kooperation zwischen den Professionen, die sich im Laufe eines Prozesses entwickelt hat, ist dafür Voraussetzung. Die Notwendigkeit der Aufklärung über die interdisziplinäre Zusammenarbeit wurde sehr deutlich. Zum einen sind betroffene Frauen / Paare zu wenig über die Möglichkeit der psychosozialen Beratung informiert. Neben Pränataldiagnostikern, Humangenetikern und Kinderärzten haben hier Gynäkologen eine wichtige Schlüsselfunktion. Parallel sollte Aufklärung schon präventiv durch Schulen, Bildungsträger, Gemeindezentren zur Meinungsbildung und Sensibilisierung für das Thema Pränataldiagnostik und all seinen Gegebenheiten erfolgen. 86 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Forum 3 "Ärztliche und psychosoziale Beratung und Begleitung bei Pränataldiagnostik und zu erwartender Behinderung aus Sicht betroffener Eltern" Mitwirkende: Christine Schmid Warda Balkae Dr. Sanja Draschner Margret Oslislo Christine Schmid Ich bin Mutter von zwei Töchtern, die ältere ist 20 Jahre, die zweite ist 19, sie heißt Katherine und sie hat das Down-Syndrom. Ich erzähle Ihnen jetzt in Kürze von meinen persönlichen Erfahrungen vor und kurz nach der Geburt von Katherine, meine damalige Sicht des Themas und meine heutige. Aus meiner langjährigen Mitarbeit im Bereich Down-Syndrom weiß ich aus vielen Gesprächen, dass meine Erfahrungen nicht ungewöhnlich sind, damals nicht und heute auch nicht. Es gibt noch viel zu tun. Bei meiner ersten Schwangerschaft war ich knapp 35 Jahre alt. Das veranlasste meine Ärztin abzuwägen: das statistische Altersrisiko, ein Kind mit DownSyndrom zu bekommen, hat eine bestimmte Größe, das Risiko für eine Fehlgeburt, ausgelöst durch Amniozentese, ist prozentual etwas geringer. Das verwirrte mich im Nachhinein. Denn, erstens, was nützt die Statistik, ich bin entweder zu 0 oder zu 100 Prozent betroffen. Zweitens, handelt es sich hier um ein Rechenproblem? Dahinter verbirgt sich doch unausgesprochen die Frage, ob ich ein Kind – falls es Down-Syndrom haben sollte, leben lassen will oder nicht. Beunruhigt durch die ärztliche Prozentrechnerei überlegte ich schriftlich, welche Gründe für und welche gegen das Leben eines solchen Kindes sprächen. Ich fand keine, die mich überzeugten, dass es nicht leben dürfte. Und weil Amniozentese und Chorionzottenbiopsie auch lebensbedrohlich sein können, gilt für sie dasselbe. Auf meine Frage, was er tun würde, falls wir ein Kind mit einer Behinderung bekommen würden, hatte mein Mann schon früher geantwortet: „lieb haben und groß ziehen“. Das war beruhigend für mich. Anne-Sophie kam dann gesund zur Welt und verbreitete Lust auf Geschwister für sie. Der Schwangerschaftstest von Katherine war an meinem 37. Geburtstag und war positiv. Die Ärztin sagte sofort: „diesmal würde ich Ihnen dringend zu einer Amniozentese raten“. Mir wäre lieber gewesen, sie hätte mich gefragt, wie ich denn zu der Thematik stehe. Mir fiel auch später immer wieder auf, dass meine Ansichten nicht gefragt waren. An unserer Einstellung änderte sich nichts. Die Vorsorgeuntersuchungen liefen so ab: mehrfach Ultraschall, Kommentar: „Ihr Baby ist putzmunter“. Dann im Sprechzimmer: „Haben Sie sich die Amniozentese überlegt? Ich muss Sie das jetzt fragen, bis der Termin (20.Woche) vorbei ist“. Ich empfand die Situation als schizophren, kam mir selbst feige vor und fragte deshalb einmal: „Warum sollen diese Kinder denn nicht leben?“ Die Ärztin, die ich selbstverständlich als Fachfrau betrachtet habe, sagte: „Sie bringen viel Leid 87 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ über die Familie, sie haben oft schwere Herzfehler und sterben dann doch“. Auf irgendeine Bemerkung von mir sagte sie: „Ja, jetzt sind Sie fit, was aber ist, wenn Sie alt sind und nicht mehr können?“ Ich bekam ganz schlechte Gefühle und meinte spontan: „Diese Entscheidung ist das Schlimmste an der ganzen Schwangerschaft.“ Als ich die Praxis verließ, wünschte ich, ich könnte der ganzen Situation entfliehen. – Später meinte die Ärztin dann einmal: „Wenn man nicht bereit ist, die Konsequenzen zu ziehen, ist die Amniozentese Quatsch.“ Mich störte zunehmend, mit welch verschleiernder Sprache da gesprochen wurde. Wollte ich verstehen, dann musste ich mir allein in meinem Kopf vorstellen, was eigentlich gemeint war. Man setzte mich quasi ohne mein Einverständnis grauenvollen Vermutungen und Überlegungen aus, und ich konnte sehen, wie ich damit zurecht kam. Katherine kam nach einer problemlosen Schwangerschaft genau zum Termin vormittags zur Welt. Man sagte mir direkt, sie sei etwas kühl und sollte erst im Wärmebettchen aufgewärmt werden. Ich kam in ein Dreibett-Zimmer und machte mir klar, dass ich mich jetzt eigentlich erholen könnte. Das Mittagessen kam, ich setzte mich an den Bettrand und begann zu essen. Da kamen der Geburtshelfer und mein Mann ins Zimmer. Der Arzt stellte sich ans Fußende, schaute in die Akte und sagte: „Ihr Kind muss in die Kinderklinik. Es besteht ein Verdacht auf Chromosomenanomalie.... Haben Sie Fragen?“ Ich fragte, ob ich mein Kind noch vorher sehen konnte. Als einzige Hilfe zur Verarbeitung dieses Verdachts bekam ich auf eigenen Wunsch – weil ich sehr lange weinen musste - nach Stunden eine Beruhigungstablette. Auf meine Frage, welches Medikament das sei, sagte die Schwester: „Das ist, um Sie ruhig zu stellen“. Man ignorierte meine Situation und mein Problem im Alltagsgetriebe. Am dritten Lebenstag sollte ich in der Kinderklinik mit einem Arzt sprechen. Nach dreistündigem Warten kam der Chef der Klinik auf mich zu und fragte: „Frau Schmid, wie alt sind Sie? Hatte Sie Ihr Gynäkologe auf die Fruchtwasseruntersuchung hingewiesen?“ Mir ging durch den Kopf: Hält er mich für blöd? Ist das ein verschleierter Hinweis, dass solche Menschen heute nicht mehr leben dürfen? Hatten sich hier bereits gesundheitstechnische Einstellungen verfestigt, die ich bis dahin so krass nicht gesehen hatte? Ich war sehr verunsichert. Die meisten schwiegen. Es war ganz anders als bei Anne-Sophie. Ich litt unter dem Gefühl, dass dieses Kind nicht dazu gehörte, unerwünscht war. Meine Gynäkologin meinte dann: „Das tut mir leid. Hätten wir vielleicht doch besser eine Amniozentese gemacht“. Ihre Angestellte: „Herzlichen Glückwunsch trotzdem“. Das gefiel mir. Wir gingen noch ein weiteres Mal das Risiko einer Schwangerschaft ein. Diesmal machte die Gynäkologin direkt einen Termin in einem renommierten humangenetischen Institut. Nach stundenlangem Warten dort wurden mein Mann und ich in ein abgedunkeltes Zimmer gerufen, in dem eine Reihe Leute saßen, wohl Studenten. Eine Schwester sagte sofort: „Haben Sie die Blase voll? Dann legen Sie sich dorthin“. Der Arzt saß am Ultraschall, sah auf den Bildschirm und fragte, in 88 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ welcher Woche ich sei. Meine Auskunft kommentierte er mit „Unmöglich“. Dann konnte ich auf die Toilette gehen. Meine panische Angst, was denn nun sei, blieb unbemerkt. Das Gespräch war pur medizintechnologisch: das Risiko der Fehlgeburt bei Chrorionzottenbiopsie sei höher als das der Amniozentese. Wenn man sich eine Fehlgeburt sehr zu Herzen nehme, dann sei die Amniozentese besser. Die Fehlgeburten seien auch eine Belastung für die Ärzte, sie kämen statistisch so und so oft im Jahr vor. Ich selbst kam bei dem Gespräch eigentlich nicht vor. Ich verzichtete auf Pränataldiagnostik. Die Ärztin meinte, das müsse sie aber in meinem Mütterpass dokumentieren. Es kam mir vor wie ein Tadel im Klassenbuch. Warum sagt man nicht: „So ist nun mal die Rechtslage, deshalb muss ich dokumentieren, dass ich Sie informiert habe“. Warum wird eigentlich nicht vom statistisch höheren Risiko gesprochen, darüber aufgeklärt, dass ohnehin bei jeder Schwangerschaft etwa vier Prozent Risiko besteht, dass das Kind mit einer gravierenden Behinderung zur Welt kommt? Ich hatte oft das Gefühl, ein Exot zu sein und mich wegen dieser Schwangerschaft rechtfertigen zu müssen. Unser drittes Kind kam viel zu früh zur Welt. Es starb vier Tage nach seiner Geburt. Wie sehe ich unser Thema heute? Ich kann sagen, dass ich in den 19 Jahren, die Katherine mittlerweile lebt, viel mehr über das Leben in allen seinen Facetten gelernt habe als durch alle Ausbildungen. Natürlich bin ich auch manchmal ratlos, ungeduldig und ängstlich. Aber ich kann Ihnen sagen, dass ich mir Problemlösungen oft nicht aus den Fingern saugen musste, Kati selbst hat mir mit ihrer Sicht oft den Weg gewiesen. Die damalige Prognose der Ärztin, wir würden viel Leid haben, hat sich in der Tat bewahrheitet. Aber dieses Leid war meist sozial gemacht, bräuchte also nicht zu sein: das ging von der freundlichen aber bestimmten Ablehnung: „Entschuldige Christine, aber so ein Kind wollte ich nicht“ (hatte ich es denn gewollt?) Dann die gesellschaftlich geduldete Diskriminierung, etwa von Seiten der Schule: das und das können die nicht lernen, das verstehen sie nicht, eine Einstellung, die wissenschaftlich längst als unsinnig widerlegt ist, aber in der Förderpraxis noch sehr verbreitet ist. Dazu der Verdacht, dass Eltern, die z.B. schulische Integration für ihr Kind mit Behinderung wollten, eigentlich Schmarotzer seien, weil das doch zu teuer sei, obwohl es das nachgewiesenermaßen nicht ist. Oder neuerdings, Kati ist ja aus der Schule entlassen und soll ins Arbeitsleben; die Lehrerin: „Also an Ihrer Stelle wäre ich doch froh, wenn mein Kind lebenslang in der Werkstatt für behinderte Menschen versorgt wäre.“ Meine Tochter hat einen starken Willen zur Selbstbestimmung. Der wird weitgehend ignoriert. Die Zusammenarbeit mit der zuständigen Arbeitsagentur ist nur mit hohem Einsatz an Zeit und Nerven erreichbar. Nach unserer wirklich jahrelangen Erfahrung wurden rationale Möglichkeiten, Menschen mit D-S auf heutigem Stand, so wie es uns das Ausland vormacht, möglichst gut zu fördern, von den zuständigen Seiten nur sehr suboptimal genutzt, manchmal trotz unserer konsequenten Hinweise und Hilfsangebote einfach ignoriert. Katis Schulkarriere wäre ein Musterbeispiel für einen Kultusbürokratenkrimi mit DiskriminierungsAnhang. Familien leiden auch sehr, wenn Kosten-Nutzen-Rechnungen angestellt werden: „Die Behinderten sind zu teuer für die Gesellschaft“, ein bösartiges Scheinargu89 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ ment. Man sollte erst einmal allen solidarisch dabei helfen, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und sie dabei nicht behindern. Es fällt auf, dass bei diesen Rechnungen nie die sozialen Folgekosten auftauchen, die verantwortungslose „Normale“ und „Fachidioten“ erzeugen. Der tatsächliche, vielleicht auch oft unbewusste Grund für viele Missstände ist wohl, dass sich Menschen nicht gern mit dem Thema Behinderung befassen und lieber wegsehen. Zum Thema Herzfehler: ja, Kati musste am Herzen operiert werden, das wurde gemacht, als sie drei Jahre alt war. Es verlief exzellent, und seitdem gilt sie als gesund und kann jeden Sport treiben. Zum Thema: „Was ist, wenn Sie alt und krank sind und nicht mehr können?“ Da bei Menschen nie auszuschließen ist, dass sie irgendwann ausfallen, heißt für mich die menschenwürdige Antwort auf dieses Problem: Solidarität. Meine Angst, ich könnte meine Tochter nicht verstehen, war weitgehend unbegründet. Sie zwingt mich oft, präziser nachzudenken und zu erklären, weil sie mehr Mühe hat, zu verstehen als andere Menschen. Gut war für mich, dass ich ihre ältere Schwester zum Vergleich hatte. An das viele Glück, das wir alle durch sie auch geschenkt bekamen, hatte ich damals wohl gar nicht gedacht. Ich hätte mir ihr positives, fröhliches Wesen, das Ausmaß ihrer Liebe, ihre einfühlsame Hilfsbereitschaft, ihre Motivation und Ausdauer nicht träumen lassen. Davon leite ich als Fazit für die pränatale Diagnostik und Beratung ab: Weil heute schwangere Frauen und ihre Partner sich mit dem Thema Pränataldiagnostik auseinander setzen müssen, müssen alle die Gelegenheit bekommen, sich in demjenigen Umfang mit allen wichtigen Fragen zu befassen, den sie persönlich brauchen, um zu einer Entscheidung kommen zu können, die sie verantworten und mit der sie dann auch leben können (schon die Entscheidung für die pränataldiagnostischen Verfahren heißt in der Regel, dass die Eltern ein Risiko für das Leben ihres Kindes in Kauf nehmen). Die Bedingungen für eine sinnvolle Beratung sind: - Respekt vor den Eltern - Sie müssen genügend Zeit haben (der übliche ärztliche Sprechstundenablauf schafft automatisch Zeitdruck) sowohl für eine medizinische und psychologisch / pädagogisch sachlich richtige Informationen über die mögliche ganzheitliche Entwicklung des Kindes: gesundheitliche, soziale, intellektuelle Entwicklung von Menschen mit Down-Syndrom als Prototyp - als auch für eine umfassende Information über Unterstützungsmöglichkeiten für ein Leben mit einem Kind mit einer Behinderung, - ebenso für die Auseinandersetzung mit dem Sinn und Wert eines Lebens mit Behinderung, bevor die Möglichkeit einer Abtreibung ins Auge gefasst wird - und die Möglichkeit, mit so genannten Betroffenen zu sprechen Außerdem sollten verpflichtend gemacht werden regelmäßige, zertifizierte Fortbildungen für medizinische und andere Berater über das heutige breite Spektrum von Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern mit Behinderungen, damit diese die Realität vermitteln können. 90 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Der Tenor der Gespräche und der Begleitung sollte etwa folgender sein: - Es ist nicht nötig und richtig, sich - aus vermeintlich vernünftigen Gründen auf schwarze Erwartungen zu beschränken. - Die Lebenserfahrung zeigt, dass es in den meisten Situationen einen Perspektivenwechsel und damit ungeahnte positive Entwicklungen geben kann. - Neben den möglichen Belastungen müssen auch die positiven Seiten eines Lebens mit einem Menschen mit Down-Syndrom sachlich vernünftig dargestellt und herausstellt werden, auch in diesem Bereich können Eltern wachsen und reifen. - Es darf nicht mehr sein, dass Menschen mit Behinderungen, speziell DownSyndrom gleichgesetzt werden mit schwerer Krankheit, Leid, schwerer Belastung, ja Bedrohung von Ehe und Familie. Das diskriminiert die Menschen, die mit Behinderungen leben und ihre Umgebung, und es manipuliert unzulässig die Ängste werdender Eltern. Wie sollen denn werdende Eltern, die noch keine Beziehung zu ihrem Kind aufbauen konnten - sie haben es noch nicht im Arm gehalten - sich eine glückliche Beziehung zu einem Kind mit Down-Syndrom als möglich vorstellen können? Mich erschreckt es tief und es ist für mich unverständlich, dass auf der Basis von sachlich falschen Vorstellungen über die Frage von Leben oder Tod entschieden wird. Haben Menschen mit Behinderungen nicht dadurch eine wichtige Funktion in der Gesellschaft, dass sie uns darauf hinweisen, dass es im Leben um mehr geht als um Macht, Reichtum und Karriere, nämlich um Mitmenschlichkeit und Liebe. Warda Balkae Ich bin Krankenschwester und arbeite in der Klinik auf einer Station, wo mir immer wieder Frauen als Patientinnen begegnen mit intrauterinem Fruchttod. Von der Arbeit auf der Station kann ich aussagen, dass die Patientinnen medizinisch gut betreut und die notwendigen medizinischen Abläufe einwandfrei durchgeführt werden. Aus meiner Arbeit heraus ist es aber mein dringender Wunsch, dass für diese betroffenen Frauen in der Klinik auch eine kompetente Fachkraft zur Verfügung steht, die die Frauen in ihren psychosozialen Nöten auffängt und begleitet. Meine eigenen Erfahrungen mit der Pränataldiagnostik: Ich komme aus einer genetisch stark vorbelasteten Familie (Ductus Botalli). Das war für mich ausschlaggebend, die Pränataldiagnostik in Anspruch zu nehmen. Ich habe bei mir einen ausführlichen Ultraschall durchführen lassen. Ich war sehr erleichtert, als ich das Ergebnis bekam. Es waren keine negativen Abweichungen bei meinem Kind zu sehen. Allerdings wurde auf Grund des großen Abdomenumfangs vermutet, dass ich einen Diabetes habe. 91 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Der Arzt riet mir, dass ich bei meiner niedergelassenen Gynäkologin einen Toleranztest machen lasse. Das habe ich auch getan. Wie zuvor vermutet war der Test positiv. Durch meine Schwester habe ich erfahren, dass es Beratungsstellen für psychosoziale Beratung gibt. Ich habe zur katholischen Beratungsstelle Kontakt aufgenommen. Es lag mir daran, schnellstmöglich einen Termin zu bekommen und habe einen solchen auch erhalten. In der Beratungsstelle konnte ich über meine Ängste sprechen, dass mir das gleiche widerfährt, wie den Frauen, die ich auf der Station im Krankenhaus betreue. Ich konnte über meinen entstandenen Diabetes sprechen und über meine weiteren sozialen Probleme. Die Gespräche haben mir viel Entlastung gebracht. Sanja Draschner Zentrales Thema des Forums ist die persönliche Schilderung zweier Mütter, ihrer Erlebnisse und Eindrücke in der Begegnung mit Pränataldiagnostik. Immer wieder ist festzustellen, dass fehlendes Einfühlungsvermögen in die Nöte von Schwangeren oder Müttern von kranken oder behinderten Kindern ein Problem ist, dass sich durch die Jahrzehnte bis in die Gegenwart zieht. Die Belastung der Schwangeren / Mütter setzt sich aus folgenden Faktoren zusammen: 1. Pränataldiagnostik wird angeboten mit der Botschaft, dass „schwere Behinderungen“ erkannt werden können und die Schwangerschaft abgebrochen werden kann 2. Die Medizin versteckt sich, mit dem, was sie tut, hinter einer verschleiernden Sprache 3. Enttäuschung der (werdenden) Mutter, nicht ein gesundes Kind zu haben 4. Angst wegen der gesundheitlichen Sorge um das Kind (Wird es überleben?) 5. Schuldzuweisungen der Mitmenschen (So was kann man doch vorher feststellen. So ein Kind muss man heute doch nicht mehr bekommen.) 6. Ausgrenzen der behinderten Kinder und deren Mütter durch Schweigen und Meiden in der Gesellschaft 7. Wertungen und Ratschläge von Medizinern, die nur einseitig über das Thema Bescheid wissen (z. B. kennen sie die Genetik einer Trisomie 21 und die gesundheitlichen Risiken dieser Kinder, z. B. mit einem Herzfehler geboren zu sein, aber die meisten wissen nicht, wie es ist, mit ihnen zu leben). 8. Fehlende Solidarität in der Gesellschaft zur Förderung und Ausbildung behinderter Kinder 92 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Mein Anliegen als betreuende Frauenärztin ist, diesen Konfliktpunkten folgende Schwerpunkte entgegen zu setzen: Zu 1. Schwangere sollten sich nicht verpflichtet fühlen (weil sie evtl. zu einer Risikogruppe gehören), Pränataldiagnostik in Anspruch nehmen zu müssen. Zu 2. Schwangere können ermutigt werden, das Risiko eines behinderten Kindes zu akzeptieren (Auch ein gesund geborenes Kind kann einen Unfall oder eine schwerwiegende Krankheit mit bleibenden Schäden erleiden, und man wird es trotzdem als das eigene Kind lieben.) Zu 3. Bei Feststellen einer Erkrankung des Kindes sollten seine positiven Seiten nicht vergessen werden (z. B. beim Ultraschall nicht nur von dem Herzfehler oder der Handfehlbildung reden, sondern wir gut das Kind wächst, wie lebhaft es sich bewegt, was für ein hübsches Profil es hat. Eine werdende Mutter soll stolz auf ihr Kind sein können, auch wenn es eine „Anamolie“ hat.) Zu 4. Mit Prognosen über die Lebensfähigkeit von Kindern muss man vorsichtig sein. Medizinische Fortschritte, unklare Diagnosen oder das unbekannte Potential von behinderten Kindern kann die Einzelprognose ständig ändern. Der Kontakt zu Fachleuten (z. B. Kinderärzten) oder Selbsthilfegruppen und betroffenen Eltern sollte das eigene (evtl. begrenzte Lehrbuchwissen) ergänzen. Zu 5. Keine Mutter wünscht sich, ein krankes Kind zu bekommen. Auch bei Pränataldiagnostik sollte sich eine Mutter nicht verpflichtet fühlen, dass sie einen „Beitrag“ leisten müsste, die Geburt eines behinderten Kindes vermeiden zu müssen. Zu 6. Mütter von Kindern mit Behinderung wünschen sich einen normalen Umgang mit der Umwelt. Auch bei der Geburt freut sich eine Mutter über einen „Herzlichen Glückwunsch“ und dass man sich nach ihrem Befinden und dem Kind erkundigt. Das gilt für Familienangehörige, Nachbarn und auch medizinisches Personal. Zu 7. 8. und 9. Mütter von kranken Kindern oder Kindern mit Behinderungen werden die größten Experten zu dem sie betreffenden Thema. Ich lasse mir als Ärztin gerne von ihren Erfahrungen erzählen: von den besten Fachärzten für ihr Kind, den neuesten Methoden, den Entwicklungsfortschritten ihres Kindes, aber auch von ihrem Befinden als Mutter. Es ist ein Verlust, wenn man nicht an diesem Expertenwissen teilhat. Unser Interesse an ihr und ihrem Kind ist ein erster Schritt gegen Schweigen, Ausgrenzung und Vorurteilen. In unserer Praxis ist es unser Anliegen, diesem komplexen Thema neben unserem medizinischen Auftrag auch menschlich zu begegnen. Dafür ist unter Umständen viel Zeit und ein geschützter Raum notwendig. Um dieses auch im normalen Praxisalltag anbieten zu können, haben wir im Praxisteam kompetente Hebammen und eine Sozialpädagogin für Schwangeren- und Familienberatung mit Zusatzausbildung für Psychosoziale Beratung bei Pränataldiagnostik. Gespräche können abseits vom Warte- und Sprechzimmer in einem gesonderten Raum in wohnlicher Atmosphäre ohne Zeitdruck stattfinden. Im Interesse der betroffenen Frau können wir Informationen austauschen und helfen, Probleme zu lösen. 93 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Dieses Kooperationsmodell hat die Möglichkeiten der Schwangerenbetreuung deutlich erweitert. Ich kann jederzeit auf das Fachwissen des Teams zurückgreifen. Im Praxisalltag erfahre ich Entlastung bei Schwangeren mit erhöhtem Gesprächsbedarf. Durch regelmäßigen Austausch kennen wir gegenseitig unsere jeweiligen Tätigkeitsfelder. Margret Oslislo, Protokoll Frau Christine Schmid, Mutter einer inzwischen erwachsenen Tochter mit DownSyndrom legte zu Beginn dar, wie sie damals Pränataldiagnostik selbst in akuter Situation erlebt hat, wie sie sie heute sieht und was nach ihrer Meinung für Eltern hilfreich ist. Aus der anschließenden Diskussion ergaben sich folgende Aussagen: • • • • • • • • • • • Schon vor der Schwangerschaft war partnerschaftlich geklärt, auch der Mann hätte ein behindertes Kind gewollt. Eine verschleiernde Sprache bei Medizinern hilft den Eltern bei der Entscheidung nicht weiter. Das „Persönliche“ steht in der Gefahr, hinter der medizinisch technischen Seite unterzugehen. Das Leid, was auf die Familien zukommt, die ein Kind mit einer Behinderung haben, ist zum allergrößten Teil „sozial“ gemacht. Das Selbstbestimmungsrecht der Behinderten wird von vielen Stellen übergangen. Die Grenzen zur Diskriminierung sind fließend. Oft werden „Kostenrechnungen“ vorgeschoben, um nicht mit dem Thema „Behinderung“ befasst zu werden. Die Gleichsetzung von „Behinderung“ mit „Leid“ und „Krankheit“ ist diskriminierend. Wenn die Möglichkeit zur psychosozialen Beratung bei Pränataldiagnostik besteht, so sollte auch genügend Zeit eingeräumt werden, um eine verantwortliche Entscheidung treffen zu können. Dazu gehört auch ein Gespräch mit Eltern, die bereits ein Kind mit einer Behinderung haben. Dies ist über Selbsthilfegruppen gut zu bewerkstelligen. (Hinweis auf die Broschüre „Blickwechsel“ bei esperanza und vielen anderen Veröffentlichungen im Internet) Betroffene Frauen und auch das pflegende Personal im stationären Bereich brauchen eine Ansprechpartnerin. Die Beraterin sollte nach dem Klinikaufenthalt der betroffenen Frau diese in der Familie weiter begleiten. Das Beratungsangebot soll als Raum dienen, in dem das Schweigen gebrochen wird, dass sich oft um Behinderung erhebt. Anhand des Beitrags von Warda Balkae, die Pränataldiagnostik als Krankenschwester in der Klinik erlebte und auch selber die Pränatalmedizin in Anspruch nahm, setzt sich die Diskussion fort mit Wortmeldungen zum würdevollen Abschied von verstorbenen Kindern. Auch nach Totgeburt greift die Hilfe und Betreuung der Hebammen. Ein weiterer Diskussionspunkt wurde die Frage: Wie kann man Väter früher mit der Entscheidungsnot befassen, die die Frauen haben? Zum Abschluss der Arbeitsgruppe ergaben sich folgende 3 Beiträge: 94 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ • Medizin: Es ist sehr wichtig, wie der Mediziner seine Worte setzt, damit keine Diskriminierung entsteht im Falle eines Kindes mit Behinderung. • Hebammen: Auch Gynäkologen/innen können hilflos sein in der Beratung im Falle eines Kindes mit Behinderung. • BeraterInnen: Wir können darüber reden, was Leben mit Behinderung positiv ausmacht. Es wird vieles von der Gesellschaft totgeschwiegen. 95 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Forum 4 "Wie Leben mit Behinderung in Familie und Gesellschaft gelingen kann" Mitwirkende: Rainer Schmidt Maren Wleklinski Bettina Schleppe Maren Wleklinski Mein Name ist Maren Wleklinski, ich bin 42 Jahre alt und lebe in BergischGladbach. Nebenberuflich bin ich in einer neurologischen Praxis als med. Fachangestellte für Funktionsdiagnostik beschäftigt. Hauptberuflich allerdings bin ich Hausfrau und Mutter von 4 Kindern im Alter von 9 bis 19 Jahren. Meine jüngste Tochter Annika kam im August 96 als scheinbar gesundes Mädchen zur Welt, doch nach einigen Wochen war klar, dass sie sich nicht altersgemäß entwickelte. Nach diversen Krankenhausaufenthalten und viel Diagnostik wurde eine Verdachtsdiagnose gestellt: V. a. Mitochondriopathie. Das ist eine sehr seltene Erkrankung, die in den Bereich der Stoffwechselerkrankungen fällt. Heute mit 9 Jahren ist Annika ein Kind, dass allgemein als schwerst mehrfachbehindert tituliert wird, sie kann weder sitzen noch laufen, sie ist hochgradig sehbehindert, auf Grund einer Opticusatrophie. Sie hat eine schwere Schluckstörung und muß zusätzlich zur oralen Nahrungsaufnahme mit ausschließlich pürierter Kost über eine dauerhaft liegende Magensonde (PEG-Sonde) ernährt werden. Zusätzlich hat sie eine schwere dystone Bewegungsstörung, sie kann ihre Hände nur eingeschränkt benutzen. Über Lautsprache verfügt sie natürlich auch nicht. Was für ein Mädchen stellen Sie sich nach Aufzählung dieser „Defizite“ vor? Wahrscheinlich haben Sie ein falsches Bild von Annika. Annika ist ein sehr fröhliches, ausgeglichenes Mädchen, dass aktiv an ihrer Umwelt teilnimmt. Sie geht sehr gerne zur Schule (KB-Schule in Rösrath), wo sie erfolgreich am Unterricht teilnimmt und viele Freunde hat. Um sich zu verständigen hat sie Zeichen für „ja“ und „nein“, außerdem benutzt sie ein elektronisches Kommunikationsgerät. Sie geht sehr gerne schwimmen und reiten, außerdem liebt sie Musik und besucht einmal wöchentlich die Musikschule. Im Moment lässt sie ihre Haare lang wachsen wie ihre Schwestern und könnte stundenlang vor dem Fernseher sitzen, wenn ich sie ließe. Ihr bester Freund heißt Christian, mit ihm hat sie in den Sommerferien im Garten gezeltet. Sicherlich ist Annika in vielen Dingen zu 100 % auf Hilfe angewiesen und doch zeigt sie uns allen, dass sie trotz ihrer schweren Behinderung ein ausgefülltes Leben führt. Ohne ihre Behinderung wäre das Leben für sie sicherlich leichter, aber ich glaube nicht unbedingt glücklicher. Annika hatte das Glück, in eine große Familie hineingeboren zu werden, ihre Geschwister und auch wir Eltern haben sie so angenommen, wie sie war. Natürlich waren auch wir einmal sauer auf ihre Behinderung, haben jedoch Annikas Dasein nie in Frage gestellt. Annika wurde von klein auf überall mit hingenommen, wenn dies ihr Gesundheitszustand zuließ. Urlaube und Unternehmungen mit Annika müssen etwas besser geplant werden, als mit ihren gesunden Geschwistern, aber meist trifft man auf hilfsbereite und nette Mitmenschen Sicher96 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ lich braucht man als Eltern Mut, um mit gewohnten Konventionen zu brechen. Annika z. B. isst sehr gerne Cheeseburger, kann ja aber leider nicht kauen. Ich gehe trotzdem mit ihr in das gewisse Fastfoodrestaurant und kaue ihr den Cheeseburger vor. Das ist dann schon für manche Mitmenschen gewöhnungsbedürftig, ich verweise dann auf Eskimos oder andere Naturvölker, bei denen so etwas vollkommen natürlich ist. Ein Netzwerk von gleich gesinnten Eltern ist auf jeden Fall hilfreich, nicht nur zum Austausch von Informationen und Tipps, sondern ist auch oft die Basis für neue Freundschaften. Annika hat dem Leben unserer Familie eine Wendung gegeben, ich denke eine positive. Als ihre Geschwister für eine Radiosendung des WDR zur Situation „von Geschwistern behinderter Kinder“ interviewt wurden, haben alle drei sehr positiv über das Leben mit ihrer Schwester berichtet. Sie bezeichneten unser Leben als vollkommen "normal". Bettina Schleppe Gelungenes Leben bedeutet, das Leben in seiner Vielfältigkeit zuzulassen, weil gerade diese Vielfältigkeit die Erde bunt und lebendig macht. „Was wäre es für eine Ethik, die menschliches Glück nur an der Perfektion des menschlichen Körpers festmachen wollte? Zu Würde und Wert des menschlichen Lebens gehören auch Begrenztheit und Fehlerhaftigkeit, Verletzbarkeit und Endlichkeit.“(Zitat Dr. Wolfgang Thierse, aus: das 1000 Fragen-Projekt 2004, Die Paten - Ihre Fragen & Statements, S. 58) Dies heißt für mich, dass Menschenwürde nicht von der Funktionsfähigkeit in unserer Gesellschaft abhängt, sondern dass das Da-Sein jedes Menschen eine Berechtigung hat, dem respektvoll zu begegnen ist. Liebenswert ist deshalb jeder Mensch, der schwerstbehinderte neunjährige Martin sowie die bekannte Ulk-Comedy-Frau Gaby Köster... Gelungenes Leben bedeutet für mich, gute Erfahrungen zu machen, die mich durch mein Leben tragen, geliebt zu werden.... In meiner Arbeit wirke ich mit, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es schwangeren Frauen, Paaren erleichtern, ein Kind mit einer Behinderung anzunehmen. Menschen, die zu uns kommen, finden einen Raum, in dem sie über das, was sie bewegt, sprechen können. Wir haben Zeit, Schweigepflicht und die Möglichkeit, bis zum Alter von 3 Jahren des Kindes zu beraten und auch nach einem Schwangerschaftsabbruch begleitend da zu sein. Die Beratung ist zielorientiert und ergebnisoffen und von einer wertschätzenden Atmosphäre geprägt. Ziel der Beratung ist es, Ratsuchende, die zu uns kommen, in ihrer Eigenverantwortlichkeit kompetent zu machen. Die systemisch-orientierte Beratung ist eine Sicht- und Handlungsweise, die die Ratsuchenden als kompetent betrachtet, auch in einer Krise. Die Klientinnen tragen ihre Lösung schon in sich, in der gelungenen Beratung geschieht häufig ein Blickwechsel, neue Wahlmöglichkeiten werden entdeckt. 97 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Kirche ist ein Ort, der verschiedenste Menschen beheimatet und gerade auch für die Schwachen da ist. Persönlich wünsche ich mir, dass, wenn ich z.B. durch eine größere Behinderung krank werden sollte, das mir dann mit Würde und Liebe begegnet wird, dies ist eine große Motivation für meine Arbeit. Enden möchte ich mit einem Zitat aus unserer neuen Broschüre "Blickwechsel": “Die Behinderung eines Kindes ist nicht zu verharmlosen. Nicht schön zu malen. Sie wird die Eltern und das Kind immer wieder einholen, vor immer neue Aufgaben stellen. Sie wird ihnen aber auch immer neue Wege zeigen. Ein guter Grund für die Umgebung, diese Wege nicht mit Vorurteilen zu belasten, sondern respektvoll und hilfreich zu begleiten. Bettina Schleppe, Protokoll Als Einstieg fand eine Vorstellung der Referentinnen mit Hilfe ihrer vorbereiteten Statements statt, unter dem Aspekt „gelungenes Leben“. Rainer Schmidt verzichtete auf eine weitere persönliche Vorstellung, da er laut Rückmeldung der anwesenden Teilnehmerinnen sich am Vormittag ausreichend präsentiert hatte. Da ein großer Bedarf der Teilnehmerinnen an aktiver Eigenarbeit bestand, nach einem informationsreichen Vormittag, teilte sich dann das Forum in Arbeitsgruppen à ca. sechs Personen auf. Die Fragestellung lautete, „was macht mein Leben lebenswert“ und die Ergebnisse wurden anschließend zusammengetragen. Jede Gruppe hatte Stichwörter wie Verständnis, Natur und Zeit, kleine Dinge wahrnehmen, Arbeit, Partnerschaft, Hobby, Familie, Gesundheit, Liebe, unerwartete Hilfe erfahren, Liebe Gottes / Glaube an eine göttliche Kraft, Zeit und Ruhe haben...auf Zettel notiert und diese wurden dann dem gesamten Forum vorgestellt und an eine Pinwand geheftet, unter der Moderation von Pfarrer Rainer Schmidt. Rainer Schmidt bildete dann für diese Stichwörter drei umfassende Kategorien: Genussfähigkeit, Leistungsfähigkeit, Gemeinschaft / Unterstützung durch Mitmenschen und bezog die göttliche Dimension mit ein. In der folgenden Diskussion kam heraus, dass Behinderung eine Einschränkung der Lebensqualität aus Sicht der „Gesunden“ bedeuten kann, aber möglicherweise nicht aus Sicht der Betroffenen. Sicherlich ist häufig eine der drei Kategorien erfüllt, die Leben lebenswert macht. Deutlich wurde auch, dass Gesundheit kein Garant für Glück sein muss, dass ich einsam sein kann, ob ich eine Behinderung habe oder nicht. Fazit war, dass jeder Mensch Liebe braucht. Menschen mit Behinderung benötigen häufiger mehr Pflege und Aufwendung. Jeder Mensch leistet Verschiedenes und hierbei ist die soziale Dimension wichtig, die Unterstützung durch andere. In diesem Zusammenhang stellte sich in der Diskussion heraus, dass das Leben leichter zu bewältigen ist, wenn ich das annehmen kann, was auf mich zukommt. Die Gruppe, viele Hebammen hatten ein starkes Interesse daran, von Frau Wleklinski zu erfahren, wie sie es geschafft hat, so positiv, selbstverständlich mit der schweren Behinderung ihrer Tochter umzugehen. Frau Wleklinski führt dies unter anderem darauf zurück, dass sie noch mehr Kinder hat, die sie immer wieder in den normalen Alltag einbetten und auch diese Schwester lieben. Für sie ist ein Leben ohne ihre Tochter nicht mehr vorstellbar. 98 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Das Forum war sich einig, dass Menschen mit einer Behinderung genau wie andere ihren Stellenwert in dieser Gesellschaft haben. 99 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Forum 5 "Fördermöglichkeiten für Kinder mit einer geistigen Behinderung" Mitwirkende: Monique Randel-Timperman Sybille Chudziak Marion Hahn Angela Kaszián Monique Randel-Timperman Video Paloma Cecilia García Mit diesem Video-Ausschnitt möchte ich eine Frau mit Down-Syndrom zu Wort kommen lassen, die ich vor etwa 12 Jahren kennen gelernt habe. Sie kann besser als jeder andere zum Ausdruck bringen, was es bedeutet, dieses Syndrom zu haben. Frau Montero ist nicht „repräsentativ“ für die „durchschnittliche“ Entwicklung der Menschen, die mit diesem Syndrom geboren werden. Der Film zeigt aber, dass Öffentlichkeit und Fachwelt, gerade im Rahmen der Pränataldiagnostik, Abschied nehmen müssen von dem Eindruck, dass sich das Leben eines geistig behinderten Menschen nicht zu leben lohnt. Er soll helfen, „das Bild in den Köpfen“ zu ändern. Mehr als 95 % der Ungeborenen mit Down-Syndrom werden in Deutschland abgetrieben. Script des Video-Ausschnitts Dennis und Paloma Wortauszug des Beitrags von Angelika Fell aus der ZDF-Sendung "Mona Lisa" vom 9. Januar 1994 Mallorca im Dezember - die Fahrt vom Flughafen nach Palma. Auf meinem Schoß Dennis, nach zwei größeren Kindern mein kleiner Nachkömmling. Dennis hat Down-Syndrom. Eine moderne Anlage in einem guten Wohnviertel. Hier in diesem Haus werden wir von Paloma Sicilia Montero erwartet. Ich bin etwas aufgeregt. Denn zum ersten Mal werde ich mit einer Frau sprechen, die mir aus eigener Erfahrung sagen kann, was es bedeutet, mit dem Down-Syndrom zu leben. Paloma lebt ganz selbstständig in der gepflegten Vier-Zimmer-Wohnung, die von ihren Eltern, einer wohlhabenden Familie aus Madrid, finanziert wird. Vor drei Jahren verließ die 42-Jährige nach harten Ablösekämpfen ihr Elternhaus. Nimmt sie auch kein Messer in die Hand? Sie könnte sich verletzen. Sagt sie auch nichts Unpassendes? Lässt sie in ihren Fähigkeiten auch nicht nach? Von ihrer Mutter fühlte sie sich wie ein Kind behandelt. Da Palomas Lieblingsschwester in Palma lebt, zog sie von Madrid hierher in ihre Nähe. Aus Angst, sie würde darunter leiden, hatten die Eltern Paloma ihr die Behinderung verschwiegen. Erst als sie mit 18 Jahren im Fernsehen das Porträt eines Mädchens mit Down-Syndrom sah, formten sie die Bilder zu der Erkenntnis: Ich bin ja genauso wie die. Bei Gedanken an ihre Kindheit schmerzt auch die Vorstellung, erst einmal der große Kummer der Eltern gewesen zu sein: 100 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Paloma: "Ich glaube, es war anfangs für sie sehr deprimierend, ein behindertes Kind zu haben. Das kann ich heute verstehen - es muss sehr schwer sein, das anzunehmen. Das Wichtigste für uns Menschen mit Down-Syndrom ist, dass wir uns so akzeptieren, wie wir sind. Man ist damit geboren, man kann nicht sagen: Ich möchte es jetzt ändern. Niemand kann es einem fortnehmen. Auch die Eltern können nichts daran ändern. Es ist eine genetische Sache, die eben passiert." Es annehmen - wie schwer war es damals für mich gewesen! Die Fruchtwasseruntersuchung hatte ich als Routine betrachtet. Dann der niederschmetternde Befund: Down-Syndrom, Trisomie 21. Das 21. Chromosom statt zweimal dreifach vorhanden. Nur ein kleiner Strich zuviel! Verzweiflung, Trauer - warum gerade ich? "Das Bett für die Abtreibung haben wir nächste Woche", sagte mein Arzt. "In ein paar Monaten können Sie schon wieder schwanger sein." Aber ich liebte dieses Kind doch schon! Ratsuche bei der "Lebenshilfe" für geistig Behinderte. Ich versuchte, nicht zu weinen. Können solche Kinder je ein glückliches, erfülltes Leben führen? Gerlinde Engelmann, Lebenshilfe München: "Sie werden durchaus ein sinnerfülltes Leben leben können. Sie können einer Arbeit nachgehen, sei es in der freien Wirtschaft, sei es in einer Werkstatt für Behinderte. Sie können ihre Freizeit in Grenzen genießen. Sie können Freundschaft und Partnerschaft leben. Im Grunde können sie alles, fast alles tun, was auch wir tun, wenn wir ihnen Lebensbedingungen gestalten, in denen dies möglich ist." Als ich den kleinen Timo mit Down-Syndrom besuchte, und sah, von wie viel Liebe er umgeben war, wuchs mir Kraft zu. Hatte ich vorher insgeheim auf eine Fehlgeburt gehofft, die mir die Entscheidung abnehmen könnte, dachte ich jetzt über eine Zukunft mit dem Kind nach. Da Kinder mit Down-Syndrom oft organische Leiden haben, sollte eine ausführliche Untersuchung Auskunft geben. So ganz abhängig von mir, so ganz unschuldig, wartete es da auf seine Geburt. Die Bürde, ihm sein Leben genommen zu haben, hätte ich ein Leben lang tragen müssen. Dr. Gloning, Pränatale Diagnostik am Ultraschallgerät: "Ich kann Ihnen sagen, insgesamt ein ganz unauffälliger Fetus, der keine Zeichen einer Erkrankung hat... jetzt geht der Mund auf... Da bin ich sicher, da meine, ich kann Ihnen sagen, dass es keine organischen Fehler, keinen Herzfehler, kein Problem mit dem Magen-Darm-Trakt usw. haben wird. Dieses alles sehen wir heute schon..." Am 13. August 1999 kam Dennis ohne Komplikationen auf die Welt. Ich wage die Frage an Paloma, was sie von Abtreibung wegen Down-Syndrom hält: 101 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Mit 39 Jahren von Madrid nach Palma de Mallorca umgezogen und jetzt als Computerschreibkraft tätig: Paloma Garcia Cecilia Montero Paloma: "Ich denke, dass es nicht gut ist. Man tötet ein Leben. Ich bin nicht gegen Abtreibung, es kommt in einem solchen Moment auf die Gesundheit der Mutter an. Aber wenn sie wirklich weiß, was ihr Baby hat, wenn es nur das DownSyndrom ist, dann darf sie nicht so ein Verbrechen an ihm begehen." Dennis erkundet die Wohnung. Wir folgen ihm ins Arbeitszimmer. Stolz zeigt Paloma ihre gerahmten Zeugnisse: der Abschluss einer ganz normalen Schule, die Urkunde über die Assistententätigkeit bei einer Konferenz über Down-Syndrom. Daneben ihr schon vor 20 Jahren erworbenes Zeugnis für Englisch als Fremdsprache. Das Klassenfoto - Erinnerung an Freundschaften, aber auch an Lernen, Lernen und nochmals Lernen. Zu Hause wurde von Paloma genau so viel erwartet wie von den vier Geschwistern. Das war, neben einer Sprechtherapie, die beste Förderung, meint sie. Palomas großes Hobby: englischsprachige Literatur. Hemingway und Oscar Wilde sind ihre Lieblingsautoren. Auch Bücher über Down-Syndrom sind im Regal. Sie, die eine milde Ausprägung des Down-Syndroms hat, will alles darüber wissen: sie schreibt gerade ein Buch über ihre Erfahrungen. Die Bücher - damals in der Entscheidungsphase hatte ich mir jede Menge besorgt. Es war schlimm, wie im Ratgeber Kinderkrankheiten nachzulesen: Günstigenfalls bleibt die Entwicklung auf der Stufe 6 bis 7Jähriger stehen. Leider sind "mongoloide" Kinder nur sehr begrenzt förderbar. In einer Sonderschule für geistig Behinderte können ihnen aber zumindest die Anfänge des Lesens und Schreibens sowie einfache Arbeiten beigebracht werden. Was ich in Palma sehe, stimmt mich optimistisch. Hier in diesem von einem Orden betreuten Integrationsmodell ist Palomas Arbeitsplatz. Für einen Monatsverdienst von rund 800 DM schreibt sie Briefe für die Stadtverwaltung in den Computer. Je nach Länge sind es durchschnittlich zehn pro Tag. Diese Arbeit mit dem Computer macht Spaß. Im Großraumbüro ist sie neben Gehörlosen und spastischen Menschen die einzige mit Down-Syndrom. ... und die Einzige, die das Gespräch mit ihrem Informatik-Lehrer übersetzen kann. Er erzählt, wie er es geschafft hat, Paloma alle Funktionen des Systems "Word Perfect" beizubringen: Vicente Segui, Informatik-Lehrer: "Die Ausdauer war das größte Problem. Sie gab immer gleich auf und ich musste die ganze Zeit hinter ihr hersein: Mach's noch einmal, und noch einmal und noch einmal, bloß keine Angst. Es schien, als wollte sie nicht weiterkommen. Und langsam - durch das beständige Wiederho102 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ len 'Du musst es tun, du musst es tun - dadurch hat sie es dann überwunden. So sind wir Schritt für Schritt weitergekommen und jetzt sehen Sie selbst, sie bleibt genauso dabei wie alle anderen auch. Vicente ist mit Recht stolz. Wie sehr wünschte ich mir auch für Dennis so eine qualifizierte Arbeit! Dennis zu Hause! Mit wie viel Eifer ist er beim Lernen! Schon sechs Wochen nach seiner Geburt begann die Frühförderung mit Gymnastik und später Spieltherapie. Wir wiederholen immer wieder, was er schon kann, damit er es nicht vergisst. Lilli, seine Schwester, ist auf seine kleinen Erfolge stolz. Der kleine Viktor, Viola und andere Kinder aus der Nachbarschaft kommen gern zum Spielen. Ab nächster Woche wird er täglich in eine Spielgruppe gehen und für den Herbst ist er in einem Integrationskindergarten für behinderte und nichtbehinderte Kinder angemeldet. Danach werden sich die Wege von ihm und seinen Spielkameraden vielleicht trennen müssen. Denn in Bayern gibt es gesetzlich noch nicht die Integrationsschule, für die wir betroffenen Eltern kämpfen. "Nutzen Sie möglichst viele Alltagssituationen zum Lernen aus", hatte mir seine Spieltherapeutin geraten, die mit Dennis zweimal wöchentlich zu Hause arbeitet (jeden Montag gehen wir in eine Mutter-Kind-Gruppe nach Montessori-Pädagogik im Münchner Kinderzentrum). Dort lernen Dennis und ich gemeinsam: Ich das genaue Hinschauen, die Geduld und die Konsequenz in der Erziehung; er, die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, seine Wünsche auszudrücken, seine Neugier in Erfahrung umzuwandeln. Die Leute mögen Dennis, das tut mir gut... Bisweilen kommen aber doch die Sorgen: Wie wird es sein, wenn er nicht mehr das kleine Kind ist? Wenn er sich alleine und unbeschützt draußen bewegt? Die Nachrichten über Angriffe auf Behinderte bedrücken mich sehr. Auch, dass heute wieder über "unwertes" Leben diskutiert wird. Die Autorin des Fernsehbeitrags, Angelika Fell, mit ihrem Sohn Dennis "Man muss sich die richtigen Freunde aussuchen, das schützt auch", meint Paloma hier beim Essen in der Kantine mit ihrem Kollegen Josef. Nur gute Freundschaft verbindet sie, eine Ehe habe sie nie wirklich vermisst. Ob sie glücklich ist? Paloma: "Ja, ich bin glücklich, ich bin konkurrenzfähig in meiner Arbeit, ich habe die Freiheit und Verantwortung, über mein Leben zu entscheiden, wie ich es le103 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ ben möchte. Ich finde Bestätigung in meinem Job und werde dort sehr unterstützt und vor allem: ich werde akzeptiert. Und das ist das Wesentliche, heute und immer." Beim Abschied gibt mir Paloma ein paar Worte mit auf den Weg: "Seien Sie geduldig mit Dennis, seien Sie seinetwegen nie traurig, denn Depressionen führen zu gar nichts. Fördern Sie ihn nach besten Kräften - lassen Sie ihn, wenn er erwachsen ist, los, aber lassen Sie ihn niemals im Stich." Angelika Fell Mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Mona Lisa-Redaktion Die Bedeutung der Förderung und der Befähigung der Eltern für die Lebensqualität eines Kindes mit geistiger Behinderung Einführung Ich möchte hier an den Worten Palomas anknüpfen und Ihnen auch einige Botschaften mitgeben, die Sie an junge Eltern weitergeben können. Denn Sie als Hebammen, Mediziner, Krankenschwester oder Therapeuten und Erzieher können wesentlich dazu beitragen, dass die Eltern ihr geistig behindertes Kind annehmen können und zuversichtlich das gemeinsame Leben beginnen. Diese Botschaften lauten: 1. Jedes Kind kann lernen 2. Die Entwicklung eines Kindes ist nicht nur genetisch festgelegt, sie ist auch von den angebotenen Lernchancen abhängig. 3. Ein Kind lernt nicht auf der Basis von Fehlschlägen, sondern von Sicherheit, Zuneigung und einem Gefühl der Kompetenz. 4. Gegenseitige Achtung, Vertrauen und Zuneigung sind die besten Lehrer. 5. Befähigen Sie die Eltern, ihr Kind anzunehmen, mit ihm zu kommunizieren und seine Stärken zu nutzen. So können sie ihre natürliche Elternrolle finden und erfüllen. Ein Leben lang Lernchancen ermöglichen Lange wurde das Gehirn eines Kindes als eine Tabula rasa betrachtet, eine leere Tafel, in die durch Übung und Training auf der Basis von Belohnung und Strafe, neues Wissen, neue Verhaltensweisen geprägt werden mussten. Psychologen wie Wygotski oder Piaget, besonders aber der Aufschwung der Neurowissenschaften, haben gezeigt, wie falsch diese Annahme war. Diese früheren Ansichten hatten u. a. dazu geführt, dass an Kindern mit Minderbegabung keinerlei kognitiven Erwartungen gestellt wurden. Sie sollten lernen, sich selbst zu versorgen, und das war es dann auch schon fast alles. 104 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Leider bestimmt diese irrige Lehrmeinung auch heute noch oft die Ansichten von Eltern, Pädagogen, Medizinern – z. B. in der Pränataldiagnostik - und bei Behörden, z. B. in den Ministerien, wo Richtlinien für die Förderung von Sonderschülern festgelegt werden oder bei der Agentur für Arbeit, wo die Ausbildungsprogramme für minderbegabte junge Menschen bezuschusst werden. Wir wissen heute aber, dass Lernen nicht nur an einem funktionierenden Apparat (ein intaktes Gehirn/Zentralnervensystem, Sinnesorgane und ihre Wahrnehmungsfähigkeit, ein funktionierendes Muskelsystem mit einer ausreichenden Tonusregulierung, eine angemessene Regulierung der Aktivierung, d. h. der Wachheit, Aufmerksamkeit und Konzentration usw.) gebunden ist, sondern ebenso an einem passenden Angebot – den Lernchancen - aus der Umwelt. Die Gene alleine bestimmen nicht den Lebensweg eines Menschen. Noch vor zwei Jahrzehnten ging man z. B. bei Kindern mit Down-Syndrom von einem Entwicklungsplateau aus, das spätestens mit der Pubertät sogar eine Rückentwicklungstendenz zeigte. Dass dies einer fehlenden Förderung sowie mangelnden geeigneten und altersgerechten Impulsen aus der Umwelt zuzuschreiben war, war damals unbekannt. Und leider versteht man auch heute noch nicht so recht, dass das Förderangebot, besonders bei einer Bevölkerungsgruppe, die langsamer lernt, im Erwachsenenalter fortgesetzt werden soll. Das wird sehr deutlich, wenn man manche beschützte Werkstatt besichtigt, wo das Fortbildungsangebot doch meist sehr dünn ist, und die Tätigkeiten selbst wenig geistige Entwicklung erlauben. Dennoch wissen wir heute auch, dass die Gehirnentwicklung, also die Lernfähigkeit, ein Vorgang ist, der sich über die gesamte Lebensspanne hinzieht. Die Gehirnfunktionen und Hirnstrukturen werden durch das Lernen und die Aktivitäten des Kindes und des Erwachsenen ein Leben lang verändert und auf neues Wissen programmiert. Welche Fortschritte und welche Fähigkeiten im Laufe des Lebens erreicht werden können, kann auch nur festgestellt werden, indem wir einfach ausprobieren, was das Kind lernen kann: ihm Chancen zu lernen geben - und nicht indem wir von vorneherein fatalistisch glauben, das Kind werde nichts lernen. Dabei sollten die Ziele allmählich etwas höher gesetzt werden und der Weg zu diesen Zielen so angepasst, dass das Kind sie erreichen kann. Das Etikett "geistig behindert" mag manchmal auch Schutz bieten, es stellt aber oft an sich eine „Be-hinderung“ dar, denn ein Etikett steht auch für ein soziales und politisches Programm. Ganzheitliche Förderung basierend auf Kommunikation: Abstimmung des elterlichen Verhaltens auf die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Stärken des Kindes Jedes Kind, ob mit oder ohne Behinderung, ist ein geborener Entdeckungsreisender. Durch die Erfahrungen, die es macht, knüpft sein Gehirn laufend neue Nervenverbindungen und macht neue Lern- und Entwicklungsschritte möglich, aber fehlende Grundfähigkeiten oder entmutigende Erfahrungen rauben ihm diesen Elan, weil sein Gehirn mit Botenstoffen überflutet wird, die zu Abwehr oder Flucht, also Versuche, die Situation künftig zu vermeiden, führen. Gleichzeitig wird das Gedächtnis blockiert. 105 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Wenn einem Kind also die Grundfertigkeiten fehlen, um den nächsten Entwicklungsschritt zu meistern, muss es erst ganzheitlich unterstützt werden, d. h. durch eine Förderung, die alle Entwicklungsbereiche abdeckt: die Motorik, die Wahrnehmung, der soziale Austausch allgemein und die Sprache im Besonderen. Wenn ein wenige Tage altes Baby uns mit großen Augen anschaut, lernt es dabei nicht nur, seine visuelle Wahrnehmung zu schärfen, es ist auch der Beginn der Kommunikation: es ist an uns die Aufforderung, mit ihm eine enge Bindung einzugehen, für sein Wohlbefinden zu sorgen und seine Bedürfnisse zu erkennen. Wenn das Baby dann wenige Wochen später seine Hand zu unserem Gesicht führt, versucht es nun auch aktiv das, was es sieht und hört, mit einer taktilen Wahrnehmung durch das gezielte Einsetzen seiner Muskeln zu verbinden. So verbindet es Sehen – Fühlen – Hören – Eigenempfindung – Tiefensensibilität und Handlung. Dies alles wird in seinem Gehirn miteinander vernetzt und die Weichen für späteres Lernen werden gestellt. (Diese Bindung und die Vernetzung aller Sinneserfahrungen werden besonders durch das Stillen gefördert. Stillen ist außerdem eine ausgezeichnete Vorbereitung der Sprachmuskulatur. Indem Sie das Stillen unterstützen, tun Sie bereits sehr viel für die geistige und soziale Entwicklung des Kindes). Es ist aber auch der Beginn der Sprache. Das Kind macht sich ein inneres Bild von dem, was es erlebt: „Dies sieht so aus, es fühlt sich so an und es hat auch einen Klang. Das finde ich gut, das möchte ich immer haben“. Bald lernt es dann, dass zu all diesen Eindrücken, der Laut „Mama“ gehört. Zunächst berührt das Kind unser Gesicht unwillkürlich, aber sobald es bewusst hingreift lernt es, dass es selbst etwas in seiner Welt bewegen kann. Es kann unsere Reaktion herauslocken. Durch diese ursprüngliche Form der Kommunikation macht der Säugling seine ersten sozialen Erfahrungen und merkt, dass es sich lohnt, sprechen zu lernen und später, dass es sich lohnt, zu lesen, zu schreiben. Gerade die Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit, muss immer im engsten Zusammenhang mit allen anderen Entwicklungsbereichen gesehen werden und darf nie isoliert gefördert werden. Sprachentwicklung und Lernen gehen Hand in Hand, weil das Kind Fragen stellt und sie beantwortet bekommt. Durch die Benutzung von Gebärden kann diese Entwicklung bei Kleinkindern, die einen Rückstand in ihrer Sprachentwicklung haben, unterstützt werden. Es kann nicht genug betont werden, dass gerade der bewusste, intensive Austausch mit dem Säugling, mit dem Kleinkind und später Schulkind seine Sprache und seine weitere Entwicklung am besten unterstützt. Dieses Wissen kann gerade Hebammen oder Kinderkrankenschwestern den neuen Eltern mit auf den Weg geben. Damit Kinder ihre Lebenswelt verstehen lernen können, am Anfang ist das ja im wahrsten Sinne „be-greifen“ lernen, kommt dem Mediator – dem Erzieher - eine entscheidende Rolle zu. Das gilt ganz besonders für Kinder mit einer Entwicklungsverzögerung. Durch die Abstimmung des Verhaltens der Eltern auf seine Bedürfnisse und Fähigkeiten, lernt das Kind seine Aufmerksamkeit immer schärfer zu konzentrieren, seine Umwelt genauer wahrzunehmen, zu unterscheiden, was wichtig und unwichtig ist. Aber auch indem der Erwachsene die Signale des Kindes erkennt und aufnimmt, die Umwelt so aufbereitet, dass das Kind sie erfassen kann, werden sein Lernund Entwicklungspotential ausgeschöpft. (Bei Kindern mit einer geistigen Behinderung können diese Signale schwächer oder undeutlicher sein. Auch hier brau- 106 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ chen die Eltern am Anfang Bestätigung und Zuversicht, damit sie einen engen Kontakt zu ihrem Kind bekommen.) Diese Form der Vermittlung zwischen dem Kind und der Umwelt, die auf Achtsamkeit, Gegenseitigkeit und Achtung vor dem anderen beruht, ist entscheidend für die Fortschritte des Kindes und deshalb auch für seine spätere Lebensqualität. Glaube an das Kind und Vermittlung des Kompetenzgefühls als Basis der Entwicklungsförderung Kein Kind lernt auf der Basis von Fehlschlägen, sondern von Sicherheit, Selbstvertrauen und Erfolg. Deshalb sollten wir auch immer die individuellen Fähigkeiten und Stärken erkennen und sie in den Vordergrund stellen und jeden Lernschritt so anbieten, dass das Kind erfolgreich sein kann. Durch Erfolgserlebnisse gewinnt das Kind an Selbstachtung und Selbständigkeit. Das beeinflusst entscheidend sein Sozialverhalten und seine geistige Entwicklung. Ich möchte deshalb die Worte des belgischen Pädagogen Janssens zitieren: Jeder Mensch hat ein Recht darauf, von Menschen umgeben zu sein, die an ihn glauben. Aus der modernen Entwicklungs- und Persönlichkeitsforschung wissen wir, dass das Kind jede noch so große Schwierigkeit in seinem jungen Leben überwinden kann und gestärkt aus ihr hervorgeht, wenn es einen Menschen hat, der an ihm glaubt, ihm Zuneigung und Selbstachtung gibt. Das gilt auch, wenn ein Kind mit einer Behinderung aufwachsen muss. Wichtigster Partner in der Förderung: die Mutter und die Familie Die Familie spielt eine zentrale Rolle in der Entwicklung. Sie muss deshalb von Anfang an befähigt werden, das Kind so anzunehmen, wie es ist, seine Schwächen zu berücksichtigen und seine Stärken zu nutzen. Sie sollten wissen, dass die Eltern eines behinderten Kindes, wie sie auch auftreten mögen, in den ersten Monaten und Jahren traumatisierte Menschen sind, die auf die Hilfe ihrer Umwelt angewiesen sind. Sie können mit Ihrem Fachwissen, mit Ihrer Professionalität, diese Menschen stärken. Ein behindertes Kind mit starken Eltern, wird sich auf jeden Fall besser entwickeln, als ein Kind von unsicheren oder gar depressiven Eltern. Das medizinische Fachpersonal, die Hebammen, die Ärzte und Kinderkrankenschwestern und später alle Therapeuten und Erzieher mit denen die Eltern – und das Kind - zu tun haben, sollten bereits in den ersten Lebenswochen - so früh wie möglich oder unmittelbar nach Bekanntwerden der Diagnose - den Eltern die wichtigsten Entwicklungszusammenhänge, die hier kurz angesprochen wurden, erklären, damit sie zuversichtlich ihre natürliche Elternrolle erfüllen können. Damit sie wissen, dass mehr als jedes Programm, besser als jede Methode oder Therapie, der Austausch mit dem Kind, in dem das Kind trotz seiner Behinderung ein gleichberechtigter Partner sein darf, seine Entwicklung vorantreiben wird. So wie die Eltern an der Entwicklung ihres Kindes beteiligt werden sollen, muss auch das Kind mit seiner Behinderung ein Leben lang an allem, was das Leben ausmacht, beteiligt werden, denn nur so kann sein Gehirn die erforderlichen Änderungen erfahren, die Entwicklung und Lernen ermöglichen. 107 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Dieses Förderprinzip ist aber nicht neu, ich möchte deshalb diese wenigen Gedanken zur Förderung eines Kindes mit Behinderung mit einigen Worten, die Benjamin Franklin zugeschrieben wurden, schließen: „Sag’ es mir, und ich vergesse. Lehre es mich, und ich behalte. Beteilige mich, und ich lerne.“ Sybille Chudziak Gedanken und Gefühle einer betroffenen Mutter Mein Name ist Sibylle Chudziak, ich bin 46 Jahre alt, verheiratet und wir haben einen kleinen / großen „Sonnenschein“, Christian, 8 Jahre. Als ich noch berufstätig war, übte ich den Beruf als Erzieherin aus und war in verschiedenen Fachbereichen tätig. Wenn ich heute gefragt werde, was ich jetzt beruflich mache, kommt folgende Antwort: Ich versuche, ein kleines Familienunternehmen zu leiten. Manchmal erfolgreich, manchmal auch weniger. Für diesen abwechslungsreichen Erfolgsverlauf sorgt unser Christian. Wenn ein Kind – zumal wenn es das erste ist – geboren wird, kommt der eingespielte Tagesablauf oft ganz schön durcheinander. Nach einer Bilderbuch-Schwangerschaft und einer guten Geburt hielten wir glücklich unseren kleinen Winzling in den Armen. Natürlich war er für uns das schönste Kind der Welt! Wir waren 15 Minuten glückliche, stolze Eltern, dann fielen wir ganz tief. Diagnose: Christian hat das Down-Syndrom – die Untersuchungen begannen. Vom Kopf her war ich Erzieherin. Schwerer Herzfehler, geistige Behinderung, evtl. weitere Organstörungen. Vom Bauch her war ich Mutter. Wo ist mein Kind? Ich will Christian endlich wieder in die Arme nehmen. Er braucht mich mehr als irgendetwas anderes. Egal, was die ganze Ärzte-Palette mir erzählte, ich wollte endlich unser Kind, mit ihm kuscheln. All das, was man sich so schön während der Schwangerschaft ausgemalt hat. Wir hatten doch schon einen so innigen Draht zueinander und das bleibt auch weiter so – Down-Syndrom hin oder her. Die ersten Tage waren medizinisch gesehen wirkliche „Kampftage“ für unseren Christian. Dabei ist mir sehr schnell klar geworden, dass immer verschiedene Ansichten da sind. 1. die rein medizinische Seite: Was ist für das Kind mit der Behinderung wichtig? Was könnte evtl. alles noch auftreten. Ein enormer medizinischer Katalog stürzt auf das Kind und die Eltern ein. 2. auf der anderen Seite stehe ich als Mutter (wir als Eltern). Hörte ich doch früher von Ärzten, Kinderschwestern, Hebammen und las in vielen 108 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ schlauen Büchern, wie wichtig die emotionale Bindung ist, Körperkontakt, Sichtkontakt, mit dem Kind reden ... Meiner Meinung nach sind beide Seiten für das Kind enorm wichtig und sollten gut ausgewogen sein. Aber leider habe ich oft den Eindruck, dass Kinder, egal mit welcher Behinderung, in gewisse Schubladen gesteckt werden ... und das finde ich falsch. Auch unsere Kinder (gemeint sind alle Kinder mit einem Handykap) haben ihre eigene Persönlichkeit und ihre individuelle Entwicklung. Von daher war und ist es mir immer noch sehr wichtig, zu versuchen, genau auf Christian zu schauen. Wo steht er, was braucht er jetzt? Die Gefahr besteht oft, wenn man ein Kind mit Handykap hat, dass es viele Therapien bekommt, um es bestmöglich zu fördern. Dazu fällt mir meine Hebamme ein. Als ich ein Tief hatte, und sie fragte, wie ich denn gute Therapeuten für Christian bekommen würde, bekam ich folgende Antwort: „Ich kenne eine sehr gute Therapeutin.“ Und sie nannte meine Adresse. „Du bist die Mutter und bist mit deinem Kind schon 9 Monate ganz eng zusammen. Du weißt was Christian braucht, was ihm gut tut.“ Das half mir sehr. Mir fielen viele Therapien ein: Aber dann kommen wieder die Zweifel: Krankengymnastik, Ergotherapie, Gruppen für Körpermassage und vieles mehr. Aber dann kommen mir wieder die Zweifel. Hat er auch Zeit für sich, hat er auch Zeit zum Spielen, hat er auch Zeit, sich einfach auf die Matratze zu legen und zu träumen? Ich denke, an diesem Punkt ist man als Mutter sehr gefragt, aktiv zu werden im Handeln. Man muss versuchen, den „goldenen Mittelweg“ zu finden, was nicht immer einfach ist. Dazu kommt, dass man bei den anderen Eltern mit ihren „normalen“ Kindern auch Angebote sieht, die wichtig für die kindliche Entwicklung sind, z. B. Kontakt mit Gleichgesinnten. Wir gehen in eine Krabbelgruppe. Da stellt sich aber die Frage, bekomme ich einen Platz, da wir ja etwas Besonderes sind. Nach einigen Misserfolgen gründete ich selber eine integrative Krabbel- und Spielgruppe. Unterstützt durch meine Gemeinde, die mir die Räumlichkeiten zur Verfügung stellte. Dadurch bekamen wir, die Mütter, sehr viel Erfahrungsaustausch, aber auch im aktiven Leben mit unseren Kindern. Die Kinder hatten keine Probleme miteinander. Wir lernten gemeinsam oder einzeln, genau und bewusst auf unsere Kinder zu schauen. Wo hat mein Kind Probleme, und wie kann ich ihm dabei helfen? Zum Beispiel, als Christian mit mir zu reden begann, setzte er Gebärden ein, die von ihm kamen. Trinken – Hand an den Mund führen und nuckeln, Essen – Finger in den Mund und schmatzen, Vogel fliegt vorbei – mit Armen Flügelschlag nachahmen. Das sind nur kleine Beispiele. Darüber entwickelte sich bei Christian das Sprechen. Ich suchte eine geeignete Sprachtherapie, die ihm half, über Gebärden das Sprechen zu erlernen (Guk-Sprachtherapie). Dabei ist mir wichtig bei Verständigungsschwierigkeiten, Christian das Gefühl zu geben,“ Mama hat nicht richtig hingehört“, um ihn weiter zum Sprechen zu motivieren. 109 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Auch die Musik hat uns in vielen Bereichen weitergeholfen. Sie war die Vorstufe zur Sprache. Einfache Kinderlieder begleite ich durch passende Gebärden und Bewegungen, die Christian viel Spaß bereiteten. Gleichzeitig wurde sein Bewegungsablauf sicherer. Somit kam ich mit Christian in die Musikschule. Wir lernten viele Lieder, Fingerspiele und freies Tanzen. Wenn ich ehrlich bin, hatten wir beide viel Spaß dabei. Später lernten wir auch einige Instrumente, und Christian zeigte großes Interesse. Ich bemerkte auch, dass die Musik zur Entspannung für Christian beitrug. Wenn zu viele Eindrücke auf ihn einwirkten, wurde Christian unruhig, fing an zu weinen und bekam Angst. Bestimmte Lieder und sanfte Bewegungen beruhigten Christian und gaben Ihm Ruhe und Kraft. Das setzte ich auch ein, als Christian zum heilpädagogischen Reiten kam. Man wollte ja auf das Pferd, aber es war schrecklich groß. Mit Mama nebenher, unsere Palette von Kinderliedern singend, ging es prima. Nach der dritten Stunde musste ich zum Glück nur noch nebenher gehen. Jetzt reitet Christian ganz selbstbewusst auf seinem Pferd Möwe und ich als Mutter werde öfters etwas unruhig, wenn ich meinen mutigen Reiter sehe. So kann man in einigen Bereichen seinen Kindern zu Hause individuelle Förderung anbieten. Sicherlich kommen die einzelnen Entwicklungsphasen später, aber ich glaube, sie werden auch intensiver erlebt. Dabei versuche ich, Christian entsprechende Hilfsmittel zu geben, damit er die Möglichkeit hat, seine neuen Erfahrungen und Eindrücke zu verarbeiten (Verkleidungsmaterial, diverses Belebungsmaterial). Mir ist aber ganz wichtig, dass man als Mutter eines behinderten Kindes – seinen Sohn, seine Tochter – als ein Kind sieht, dass ein normales Leben führen möchte und sich mit allen Kräften dafür einzusetzen, dass dies möglich wird. Hierzu möchte ich Ihnen ein Beispiel geben. Auf dem Spielplatz hatte Christian großen Spaß, hoch auf ein Klettergerüst zu steigen. Ein anderer, größerer Junge hatte Schwierigkeiten ihm zu folgen. Die Mutter des Jungen ermutigte ihn, es Christian gleichzutun. Erst als mein Sohn wieder strahlend auf mich zukam, fiel ihr sein Handykap auf. Erstaunt aber gleichzeitig mit großem Bedauern gab sie mir zu verstehen, dass es sicher sehr schlimm ist, ein Down-Kind zu haben. Darauf schaute Christian die Frau ganz erstaunt an und meinte: „Frau, nicht Down, fit wie ein Turnschuh!“ und begann wieder zu klettern. So könnte ich eine ganze Menge Beispiele aufführen, die zum Schmunzeln sind, aber auch einige, die mich nachdenklich machen. Es ist sicher eine besondere Aufgabe, ein Kind bis zum Erwachsenenalter zu begleiten, besonders, wenn es ein „besonderes“ Kind ist (in Frankreich heißen unsere Kinder „Sonnenschein“). Auch die Partnerschaft wird oft auf eine harte Probe gestellt, da man als Mutter nochmals ganz anders gefordert wird und vielleicht auch anders fühlt und empfindet. Das Leben, unser Leben mit Christian ist reicher geworden. Man sieht vieles nicht mehr so selbstverständlich an. Sicherlich werde ich mir oft und später die Frage stellen: Haben wir alles richtig gemacht, damit Christian sich gut entwi110 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ ckeln kann? Gibt es, oder gab es geeignete Therapien, hat er auch Zeit gehabt, Kind zu sein? Können wir ihm auch ganz persönliche Werte vermitteln, die uns ganz wichtig sind und in keinem Therapieprogramm stehen? Ich denke mir, so ähnliche Fragen begleiten auch Eltern von Kindern ohne Handykap. Wir möchten dieses Leben mit einem geistig behinderten Kind, einfacher gesagt mit einem Sonnenschein, nicht mehr missen. Und wenn ich Christian wieder herumflitzen sehe, irgendeinen Streich ausheckend, sein lachendes Gesicht voller Fröhlichkeit, denke ich, unsere Kinder sind oft viel fröhlicher und zufriedener als andere Kinder... Ja, wir sind glückliche Eltern und stolz, wie vor 8 Jahren auf unseren Sonnenschein. Vielen dank für Ihre Aufmerksamkeit ... Christian würde jetzt sagen: So, das war’s! Marion Hahn Jeder verantwortlichen Intervention muss eine sorgfältige Beobachtung vorausgehen. Zunächst wird jedes Kind als eigene Persönlichkeit willkommen geheißen. 1. Wahrnehmen und verstehen - Mit welchen Fähigkeiten und Verhaltensweisen kommt das Kind? Wo benötigt es Unterstützung und Hilfe? Was spielt es gerne und was mag es gar nicht? In welchen Situationen verhält es sich wie? Weshalb reagiert es in manchen Situationen so ganz anders? Was ist dem Kind wichtig? (Familie, spezielle Personen, Märchenwelt usw. Welches Spielverhalten hat das Kind? Mit wem spielt es gerne und zu wem lehnt es einen Kontakt strikt ab? 2. Austausch mit den Eltern und sonstigen Institutionen Welche Kommunikationsformen haben sich zwischen dem Kind und den einzelnen Bezugspersonen entwickelt? - Welche Rituale gibt es? - Wie lässt das Kind sich trösten oder helfen? Besonderheiten Die Eltern kennen ihr Kind bis zu diesem Zeitpunkt schon drei Jahre, die Einrichtung z.B. nur einen Monat. - 3. Emotionale Annahme Hierbei geht es um Akzeptanz, Zuwendung und Förderung positiver Selbstwertgefühle, wie Selbstvertrauen usw. „So wie Du bist, bist Du ok!“ 111 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ „Es ist ok, wenn Du nein sagst oder Dich zunächst ganz oder gegen Vieles weigerst. Die vorbehaltlose Annahme des Kindes ist die erste Voraussetzung für eine nachfolgende, wirksame Hilfe. Am Beispiel von Christian möchte ich alle nachfolgenden Förderschwerpunkte schildern. Beispiel: Christian macht gerne Schabernack, aber auch ganz großen Blödsinn, wie Zahnbürsten in die WC's werfen. Christian sah das ganz anders. Er hatte für alles eine gute Erklärung. Aus dem gestalttherapeutischen Ansatz heraus forderten wir Christian in den besagten Momenten, den Blödsinn wegzuwerfen. „Wohin fragte Christian?“ Wir überlegten zusammen. Christian darauf: „Nach draußen.“ Er lief zur Tür und schickte den Blödsinn hinaus. „So, weg!“ „Kommt nicht wieder.“ Mal wurde der Blödsinn in den Mülleimer geworfen, mal in eine Schachtel usw., je nach Situation. Sein Schabernack hingegen trug zu einer guten Integration bei. Die Kinder hatten viel Spaß zusammen. 4. Beistand und Schutz Aus dem Schutzraum des Zuhauses tritt das Kind in die Kindertagesstätte ein. Die Kindertagesstätte ist die erste kontinuierliche soziale Gruppe neben der Familie. Da nicht alle Kinder den Umgang mit dem Anderssein gewohnt sind, bedarf es hier, Hemmschwellen zueinander zu überwinden. Es ist hilfreich, dass die Kinder die Gelegenheit erhalten, die Lebenssituation, Gefühle, Bedürfnisse und Schwierigkeiten der jeweiligen anderen Kinder kennen lernen, um Verständnis zu entwickeln. Die Aufgabe des Heilpädagogen ist es, den Kindern mit Trisomie 21 einen besonderen Schutz zu gewähren, weil sie Konflikte oftmals alleine nicht lösen können aufgrund ihrer Sprachverständigungsprobleme und den geringen Korrekturmechanismen. 5. Förderung kommunikativer Kompetenz und Beziehungsfähigkeit Ein wesentliches Ziel liegt in der Vermittlung von Ausdrucksmöglichkeiten. Hier gilt es, Kontakt-, Begegnungs-, Beziehungsfähigkeit und soziale Wahrnehmung auszuweiten. Die wesentlichen Funktionen von Kontaktaufnahme sind Hören, Sehen, Riechen, Berühren, Bewegen, Sprechen. Alle wesentlichen Erfahrungen, die wir machen, sind auch Beziehungserfahrungen zu den Mitmenschen, zur Umgebung, zur Natur, zu Dingen und Ideen. „DER MENSCH WIRD AM DU ZUM ICH.“ (Martin Buber) Die Gruppe dient als soziales Umfeld. Hierbei ergeben sich viele Möglichkeiten, sich zu erproben und sich über andere zu erkennen. Für Christian waren die Kinder als Spiegel seiner Verhaltensweisen sehr wichtig. „Wie komme ich an?“ „Mögen sie mich?“ Akzeptieren sie mich?“ usw.. Christian spielte gerne Rollenspiele, was bei den anderen Kindern auf eine große Resonanz stieß. Er hatte gute Ideen und war lustig. 112 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Als nächstes Ziel war es wichtig, Christian die Möglichkeit zu geben, die Sprache als Kommunikation verwenden zu können, und zwar so, dass die anderen Kinder ihn verstehen. In diesem Fall wendeten wir die GukGebärden an. Dazu einige allgemeine Informationen. Die gebärdeten Wörter werden nach Interesse der betreffenden Kinder ausgewählt und in Situationen angewendet, die für das Kind von Bedeutung sind. Auch spezielle Schwierigkeiten beim Hören und in der Wahrnehmung können durch die Verknüpfung von auditiver und visueller Information verringert werden. Alle Kinder lernten die Gebärden gleich mit. Dadurch, dass die nicht behinderten Kinder die Gebärden können, entsteht ein reger Austausch und eine Beziehungsmöglichkeit, eine Basis der Kommunikation. Die Guk-Gebärden: - Das Sprechen wird nicht ersetzt, sondern nur mit Gebärden unterstützt. - Über die Gebärden kommt man zum gesprochenen Wort. - Guk unterstützt das Verstehen und Verständigen. - Guk ist auch geeignet für nicht behinderte Kinder.(Die Kinder können lernen, wie man mit den Händen spricht.) - Dadurch können die Verständigungsschwierigkeiten für das behinderte Kind erweitert und seine Integration unterstützt werden. 6. Hilfe bei der praktischen Lebensbewältigung Für die Entwicklung der eigenen Identität ist es wichtig, die alltäglichen Dinge des Alltags alleine erledigen zu können. Durch die ständige Anforderung zur Hilfe fühlt sich das Kind in einer Abhängigkeit, die es zu einem bestimmten Zeitpunkt ablehnt. Christian deutete dieses so an: „Alleine machen.“ Das wurde mit entsprechender Gestik und Mimik unterstützt und verfehlte so selten die Wirkung. Z. B. übernahmen wir die Idee der Mutter, eine Anziehstraße zur Hilfe und Orientierung zu legen. (Unterhose- Unterhemd,- Socken usw. ) Knöpfe und Reisverschlüsse übten wir an einer Anziehpuppe und das Schleifebinden an einem alten Schuh usw. 7. Weitere Förderungen Förderung der Wahrnehmung (sinnliche Wahrnehmung - alle Sinne) Propriozeptive Wahrnehmung - Hängematte, Schwebeschaukel, Rollbrett…. Vestibuläre Wahrnehmung – Trampolin, Tonne, Schaukelwanne ….. Visuelle Wahrnehmung - Puzzle, Bilderbücher, ……. Auditive Wahrnehmung - Geräuschdosen, Musikinstrumente, Lieder, …. Körperwahrnehmung: Rasierschaum, Wassertablett, Sandwanne, Kiste mit Bohnen gefüllt - zum Hineinsetzen, kleine Kiste mit Erbsen gefüllt - zum Ertasten ,Gegenstände suchen oder verstecken ….. usw. Förderung der Grob- und Feinmotorik Klettern - Anhöhen ersteigen, Fädelspiel, Kreisel, Anziehpuppe aus Pappe, Dosen mit verschiedenen Schraubverschlüssen usw. 113 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Heranführen ans Rollenspiel (dem natürlich das Funktionsspiel und Konstruktionsspiel vorausgegangen ist) Beim Fiktions- und Rollenspiel deutet das Kind einen Gegenstand sowie das auf ihn bezogene Handeln nach eigenen Wunsch- und Zielvorstellungen um. Das Rollenspiel stellt den geeignetsten Weg dar, frühzeitig soziales Verhalten einzuüben. Gleichzeitig entwickelt sich im Rollenspiel sozial angemessen der emotionale Bereich. Christian tauchte mit großer Vorliebe in eine Rolle ein. So war er z.B. Karneval der Zwerg Bim-Bam. Er hieß an dem Morgen auch nur so und hörte nicht auf die Ansprache Christian. Wichtig bei allem ist es, den kleinsten Entwicklungsschritt des Kindes zu registrieren, ihn zu vertiefen und zu erweitern. 8. Teamarbeit Bei allen Förderungen und dem Umgang mit Kindern ist die Teamarbeit von großer Wichtigkeit, ohne die eine konstruktive Arbeit nicht möglich ist. Angela Kaszián, Protokoll Unabdingbare Voraussetzung jeglicher Förderung ist die liebevolle Annahme des Kindes. Häufig jedoch verengt sich der Blick auf die Defizite. Das Kind als Person in seiner Individualität wahrzunehmen ist von zentraler Bedeutung. Individuell ausgerichtete Förderung setzt die aufmerksame und empathische Beobachtung des Kindes voraus. Begleitende Personen - Hebammen, Ärzte, Berater/in, Selbsthilfegruppen - können einen wesentlichen Beitrag leisten und betroffene Eltern in der Annahme ihres Kindes unterstützen. 114 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Abschlussgespräch Pränataldiagnostik - Vernetzung und Kooperation in der ärztlichen und psychosozialen Begleitung von schwangeren Frauen und Paaren sowie von Eltern eines Kindes mit Behinderung Moderation: Jutta vom Hofe, freie Journalistin, Köln Mein Name ist Jutta vom Hofe, Journalistin in Köln, und ich möchte Sie nun ganz herzlich zu unserem abschließenden Gespräch zum Thema „Pränataldiagnostik – Vernetzung und Kooperation in der ärztlichen und psychosozialen Begleitung schwangerer Frauen bzw. Paaren sowie Eltern eines Kindes mit Behinderung“ einladen. Vorgeburtliche Untersuchungen sind heute ein Selbstverständlichkeit. Sie gehören zu einer Schwangerschaft meist genauso dazu wie der stetig dicker werdende Bauch. Und zwar nicht nur die Schwangerenvorsorge, sondern eben auch in immer größerem Umfang die Pränataldiagnostik. Aufgrund der jetzt schon recht langen Erfahrungen mit diesen Untersuchungen gibt es sehr viel Sachverstand auf seiten von Medizinern, psychosozialen Beratungsstellen, Hebammen oder humangenetischen Beratern und dennoch haben viele das Gefühl: Es läuft nicht richtig. Es läuft zu vieles nebeneinander her. Wie man das ändern kann, wie die einzelnen Berufe und Experten stärker kooperieren und sich vernetzen können, darüber wollen wir jetzt in dieser Abschlussrunde reden. Ich begrüße Prof. Dr. Christian Willhelm, Pränatalmediziner aus Köln, Dr. Barbara Baier, Pränatalmedizinerin aus Dortmund, Rainer Schmidt, evangelischer Pfarrer aus Odenthal, Dr. Angela Kribs, Kinderärztin am Klinikum der Universität Köln, Monique RandelTimpermann, Entwicklungspsychologin aus Erftstadt, Margret Oslislo vom Sozialdienst Katholischer Frauen und Männer in Düsseldorf und schließlich Gisela Pingen-Rainer vom Sozialdienst katholischer Frauen in Dortmund. Prof. Wilhelm, was ist aus Ihrer Sicht als Pränatalmediziner notwendig, damit Vernetzung und Kooperation der Professionen gelingen kann? Für Vernetzung und Kooperation der Professionen halte ich für notwendig, dass die Vertreter der einzelnen Professionen sich zunächst die Arbeitsweise der jeweils anderen Bewteiligten besser kennelernen. Das könnte zum Beispiel durch gegenseitige Hospitationen geschehen, oder durch den Austausch von Tätigkeitsbeschreibungen oder anderer konkreter Informationen. Darüber hinaus ist aber auch wichtig, dass die Möglichkeiten und Grenzen jeder Profession definiert wird und auch abgegrenzt wird. So ist zum Besipiel wichtig, dass medizinische Informationen zur Pränataldiagnostik von Medizinern vermittelt werden. Darüber hinaus sollten lokale Netze aufgebaut werden, in denen man sich persönlich kennenlernt und Kontakte knüpft. Und schlielich halte ich es für wichtig, dass interdisziplinäre Fortbildungen durchgeführt werden und dass auch Qualitätskontrollen statfinden. Das Ganze sollte wissenschaftlich begleitet werden. Frau Pingen-Rainer, sind das die Dinge, die Ihrer Erfahrung nach einer besseren Kooperation der einzelnen Berufe und damit letztlich einer besseren Unterstützung schwangerer Frauen dienen? Ja, ich denke auch, dass an vorderster Stelle das Interesse stehen muss mit einer anderen Berufsgruppe zusammen arbeiten zu wollen. Zum einen, um sich selbst bei umfangreicher Problematik zu entlasten, und zum anderen, um gemeinsam mit einer anderen Fachkraft für die Schwangere eine ganzheitlichere 115 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Beratung zu erreichen. Wenn wirklich das gemeinsame Interesse an Zusammenarbeit besteht, dann schafft man es auch, fest vereinbarte Prozessabläufe innerhalb noch zu schaffender Strukturen regelmäßig wahrzunehmen. Dies wäre meiner Ansicht nach zum Beispiel in regelmäßig stattfindenden Arbeitskreisen möglich, in sogenannten Qualitätszirkeln, oder in Dienst- oder Fallbesprechungen. Für wichtig halte ich es auch, die unterschiedliche Wahrnehmung auf einen „Fall“ aus verschiedenen Blickwinkeln zu reflektieren. Persönliche Offenheit und Reflektionsbereitschaft ist hier eine wichtige Voraussetzung zur Kommunikation innerhalb der Zusammenarbeit. Rainer Schmidt, Sie nicken. Stimmen Sie dem zu? Es ist vor allem die Bereitschaft, miteinander zu arbeiten, die uns weiterbringt. Und die Einsicht, dass werdende Eltern in einer Konfliktsituation die verschiedensten Bedürfnisse haben, die nicht alleine von einer Einrichtung oder Person abgedeckt werden können. Vernetzung sollte schließlich in Vereinbarungen festgehalten werden, damit sie auch auf längere Zeit hin funktioniert. Frau Dr. Kribs, wenn ein Kind mit einer Krankheit oder Behinderung geboren ist, haben die Eltern ein großes Bedürfnis nach Unterstützung und Beratung. Wünschen Sie sich als Kinderärztin da manchmal mehr Unterstützung von anderen in der Beratung? Ja, man man muss bei all dem auch bedenken, dass Pränatalmedizin für die Mitglieder aller hier involvierten Berufsgruppen auch eine erhebliche persönliche Belastung darstellt, die sowohl emotionale Betroffenheit als auch ggf. Ängste vor rechtlichen Konsequenzen des eigenen Handelns beinhaltet. Aus dieser persönlichen Situation können Berührungsängste resultieren, die eine Kooperation mit anderen Berufsgruppen erschweren. Es müssen daher Strukturen geschaffen werden, in denen ein sachlicher Austausch über einzelne „Fälle“ unproblematisch und selbstverständlich möglich ist. Tür an Tür-Lösungen in Praxen oder Kliniken sind dazu gut geeignet. Auf dem Boden einer solchen Zusammenarbeit kann die Vernetzung und Kooperation der Berufsgruppen nicht nur für die betroffenen Eltern ausgesprochen hilfreich, sondern auch für die professionellen Helfer persönlich entlastend sein. Frau Randel-Timperman, was ist aus Ihrer Sicht als Mutter eines Kindes mit Down Syndrom besonders wichtig? Was haben Sie selbst manchmal vermisst, was müsste sich bessern? Zur besseren Vernetzung der verschiedenen Fachdienste sollten meines Erachtens die Selbsthilfegruppen mehr eingebunden werden. Zum einen können sie aus eigener Betroffenheit Trost, Rat und Unterstützung anbieten, andererseits sind sie mit Behandlungsmaßnahmen und den entsprechenden Anlaufstellen vertraut und geben diese Informationen gerne weiter. Die bisherige Praxis zeigt leider, dass Selbsthilfegruppen insbesondere von Fachärzten und Klinikstellen als Partner nicht immer ernst genommen werden. Informationsbroschüren verschwinden meist in die Schublade, ohne weiter gegeben zu werden. Im sensiblen, vielschichtigen Komplex Pränataldiagnostik und Beratung sollten Fachleute und erfahrene Betroffene ebenbürtige, sich respektierende Partner sein. Margret Oslislo, kennen Sie als psychosoziale Beraterin dieses Problem auch: Dass die Vertreter der einzelnen Berufsgruppen immer noch zu wenig 116 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ miteinander reden, dass die einzelnen Partner sich nicht immer als ebenbürtig respektieren? Dass sich die unterschiedlichen Berufsgruppen gegenseitig akzeptieren und respektieren, halte ich persönlich für besonders wichtig. Die unterschiedlichen Ansätze können dann in einem der Sache dienenden Mainstream zusammenlaufen. Dabei ist ein ständiger Kontakt der unterschiedlichen, beruflichen Vernetzungspunkte untereinander zu erhalten und zu fördern. Das hat mir auch an dieser Tagung sehr gut gefallen. Sie war in begrüßenswerter Weise von Vertretern unterschiedlicher Berufsgruppen besetzt. Alle haben von jeweils unterschiedlicher Position her auch mit unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungen mit dem Problem der Risikoschwangerschaft zu tun. Dr. Barbara Baier, hier wird miteinander geredet und es werden, so denke ich, auch erste Netze geknüpft. Sind Sie optimistisch, dass sich dies auf die Praxis übertragen lässt? Die unterschiedlichen Professionen müssen ganz einfach die Wichtigkeit und Wertigkeit einer Vernetzung bzw. Kooperation erkennen, d.h. es muss das für die Schwangere möglicherweise entstehende Konfliktpotential einer Pränataldiagnostik bewusst sein. Dazu gehört auch, das die betreuenden Frauenärzt/innen informiert und einbezogen werden. Es muss auch von vornherein klar sein, dass keine Konkurrenz der verschiedenen Professionen besteht, dass – im Gegenteil – die unterschiedlichen Professionen voneinander Im Sinne der betreuenden Frauen lernen und profitieren. Dabei muss auch erkannt und anerkannt werden, dass eine andere Profession Hilfe leisten kann bei der Betreuung der Schwangeren, die man selbst nicht geben kann, da das eigene Arbeitsfeld ein anderes ist. Berührungsängste der einzelnen Professionen müssen abgebaut werden. Darüber hinaus sollten gemeinsame Fortbildungen zwischen Niedergelassenen Frauenärzten, Pränatalmedizinern und Beraterinnen organisiert werden. Der Berufsverband der Frauenärzte/der Pränatalmediziner, der zur Zeit gegründet wird, müsste angesprochen werden. Ich halte es außerdem auch für wichtig, dass sollte das Thema Pränatalmedizin und Psychosoziale Beratung in den Schulen subtil und feinfühlig thematisiert werden. Dabei wäre es auch hilfreich, Strukturen zu geschaffen, die es einer Schwangeren ermöglichen, sofortKontakt zu einer Beraterin zu bekommen. Diese Information könnte zum Beispiel eine geschulte Arzthelferin geben, es könnten Flyer verteilt werden oder Aushänge im Wartezimmer gemacht werden. Eine spannende Idee ist auch - und dazu haben wir ja heute vormittag ein spannendes Beispiel gehört -, dass es ein „Büro“ der beratenden Profession direkt in einem Pränatalmedizinischen Zentrum gibt. Viele Idee, viele gute Ansätze. Nun müssen sie nur noch den Weg in diese Praxis finden. Dabei gibt es schon eine ganze Reihe vielversprechender Projekte zur besseren Kooperation zwischen den einzelnen Partner in der Pränataldiagnostik. Und ich denke vieles von dem, was wir jetzt und auch heute vormittag gehört haben, sind wichtige Anstöße für die weitere Arbeit. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und auch Ihnen, den Gästen dieser Gesprächsrunde, ganz herzlich, dass Sie dabei waren. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und kommen Sie gut nach Hause. 117 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Verzeichnis der Mitwirkenden Baier, Barbara, Dr. med., Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin, DEGUM Stufe II, Praxis für Pränatalmedizin, Dortmund Balkae, Warda, Krankenschwester im Heinrich-Heine-Universitätsklinikum und Mutter Chudziak, Sybille, Erzieherin und Mutter eines Kindes mit Down-Syndrom, Bergisch-Gladbach Diemer, Hans-Peter, Prof. Dr. med., Chefarzt der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Marienhospital, Düsseldorf, Vorsitzender der DiözesanArbeitsgemeinschaft Katholischer Krankenhäuser im Erzbistum Köln Draschner, Sanja, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, DEGUM II, in niedergelassener Praxis, Bergisch Gladbach Fricke, Anke, Dipl. Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und psychosoziale Beraterin beim Sozialdienst kath. Frauen e.V. Berlin, Sprechstunde in der Charité, Pränatalmedizin, Berlin Habermann, Gesine, freiberufliche Hebamme mit Erfahrung in klinischer und Hausgeburtshilfe, Zusammenarbeit mit esperanza des Sozialdienst katholischer Frauen Köln e. V. seit drei Jahren Hahn, Marion, Heilpädagogin in der Integrativen Kindertagesstätte Schneckenhaus, Bergisch-Gladbach Höver, Gerhard, Prof. Dr. theol., Moraltheologe an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Mitglied des ehrenamtlichen Fachteams der Referates esperanza im Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln Jorzig, Alexandra, Dr. jur., tätig als Rechtsanwältin in der Sozietät Dr. Rehborn, Rechtsanwälte Berlin - Dortmund - Köln - Leipzig - München Kaszián, Angela, Dipl. Sozialpädagogin, Zusatzqualifikation für psychosoziale Beratung in Krisen- und Konfliktsituationen, psychosoziale Beraterin bei esperanza des Sozialdienst katholischer Frauen Leverkusen e. V. Kribs, Angela, Dr. med. Pädiaterin, Oberärztin in der Universitätskinderklinik Köln Leube, Barbara, Dr. med., Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Humangenetik und Anthropologie Müller, Elisabeth, Dipl. Sozialpädagogin, Zusatzqualifikation für psychosoziale Beratung in Krisen- und Konfliktsituationen und im Kontext von Pränataldiagnostik, psychosoziale Beraterin bei esperanza des Sozialdienst katholischer Frauen Köln e. V. 118 Dokumentation der Fachtagung am 22.10.2005 im Maternushaus, Köln ________________________________________________________________ Oslislo, Margret, Dipl. Sozialarbeiterin, Zusatzqualifikation für psychosoziale Beratung in Krisen- und Konfliktsituationen, Zusatzausbildung in Gestalttherapie, psychosoziale Beraterin bei esperanza des Sozialdienst Katholischer Frauen und Männer Düsseldorf e. V. Pesch, Christa, Dipl. Sozialpädagogin, Supervisorin, Referentin für esperanza im Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e. V. Pingen-Rainer, Gisela, Dipl. Sozialarbeiterin, Referentin in der Zentrale des Sozialdienst kath. Fraunen, Dortmund, als psychosoziale Beraterin Erfahrungen im Modellprojekt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend "Entwicklung von Beratungskriterien für die Beratung Schwangerer bei zu erwartender Behinderung des Kindes" beim Sozialdienst kath. Frauen Dülmen e.V. Randel-Timperman, Monique, Dipl.-Dolm., MA Psychologie-Patholinguistik, Mutter eines Sohnes mit Down-Syndrom, Mitglied der European Down Syndrome Association, Publikationen und Übersetzungen zum Down-Syndrom und zu entwicklungspsychologischen Fragestellungen, wohnhaft in Erftstadt Schleppe, Bettina, Dipl. Sozialpädagogin, Zusatzqualifikation für psychosoziale Beratung in Krisen- und Konfliktsituationen und im Kontext von Pränataldiagnostik, psychosoziale Beraterin bei esperanza des Caritasverbandes für den Rheinisch Bergischen Kreis e.V. Schmid, Christine, Mutter einer 18jährigen Tochter mit Down-Syndrom, Mitglied im Arbeitskreis Down-Syndrom, wohnhaft in Lohmar Schmidt, Rainer, evangelischer Theologe und Pastor, Referent am Pädagogisch Theologischen Institut in Bonn, Paralympicsteilnehmer (Tischtennis), mehrfacher Medaillengewinner, Autor des Buches "Lieber Arm ab als arm dran", 3. Auflage 2006, Gütersloher Verlagshaus. www.schmidt-rainer.com. Wilhelm, Christian, Prof. Dr. med., Facharzt für Frauenheilkunde, Geburtshilfe und Pränatalmedizin in niedergelassener Praxis in Köln Wleklinski, Maren, Mutter einer Tochter mit Mehrfachbehinderung, wohnhaft in Bergisch Gladbach 119