BVerfGE 48, 48, 56: Nach Art

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BVerfGE 48, 48, 56:
Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die
Strafbarkeit "gesetzlich bestimmt" war, bevor die Tat begangen wurde.
Der Einzelne soll von vornherein wissen können, was strafrechtlich verboten ist, damit er in der Lage ist, sein Verhalten danach einzurichten
(…). Allerdings darf das Gebot der Gesetzesbestimmtheit nicht übersteigert werden; die Gesetze würden sonst zu starr und kasuistisch
und könnten der Vielgestaltigkeit des Lebens, dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalles nicht mehr gerecht werden.
Diese Gefahr läge nahe, wenn der Gesetzgeber stets jeden Tatbestand
bis ins letzte ausführen müßte (…]). Das Strafrecht kann deshalb nicht
darauf verzichten, allgemeine Begriffe zu verwenden, die formal nicht
allgemeingültig umschrieben werden können und mithin in besonderem
Maße einer Deutung durch den Richter bedürfen (…). Das Gebot der
Gesetzesbestimmtheit bedeutet also nicht, daß der Gesetzgeber gezwungen ist, sämtliche Straftatbestände ausschließlich mit deskriptiven,
exakt erfaßbaren Tatbestandsmerkmalen zu umschreiben (…). Generalklauseln oder unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Begriffe
im Strafrecht sind deshalb nicht von vornherein verfassungsrechtlich
zu beanstanden. Gegen die Verwendung derartiger Klauseln oder
Rechtsbegriffe bestehen jedenfalls dann keine Bedenken, wenn sich mit
Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden - insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes und durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs - oder auf Grund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung
und Anwendung der Norm gewinnen läßt, so daß der Einzelne die Möglichkeit hat, den durch die Strafnorm geschützten Wert sowie das
Ver-[S. 57]bot bestimmter Verhaltensweisen zu erkennen und die
staatliche Reaktion vorauszusehen (…). Die Beurteilung der Frage, ob
der Tatbestand einer Strafnorm "gesetzlich bestimmt" im Sinne des Art.
103 Abs. 2 GG ist, kann danach auch davon abhängen, an welchen
Kreis von Adressaten sich die Vorschrift wendet. Richtet sie sich ausschließlich an Personen, bei denen auf Grund ihrer Ausbildung oder
praktischen Erfahrung bestimmte Fachkenntnisse regelmäßig vorauszusetzen sind, und regelt sie Tatbestände, auf die sich solche Kenntnisse
zu beziehen pflegen, so begegnet die Verwendung unbestimmter
Rechtsbegriffe unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 2 GG keinen
Bedenken, wenn allgemein davon ausgegangen werden kann, daß der
Adressat auf Grund seines Fachwissens imstande ist, den Regelungsinhalt solcher Begriffe zu verstehen und ihnen konkrete Verhaltensanweisungen zu entnehmen (…).
Art. 103 GG - Grundrechte vor Gericht
(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.
(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit
gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.
(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze
mehrmals bestraft werden.
Art. 7 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) Keine
Strafe ohne Gesetz
(1) 1Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung
verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. 2Es darf
auch keine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden.
(2) [1] Dieser Artikel schließt nicht aus, dass jemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt oder bestraft wird,
die zur Zeit ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen strafbar war.
§ 1 ESchG (Embryonenschutzgesetz) - Missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe
wird bestraft, wer
1. auf eine Frau eine fremde unbefruchtete Eizelle überträgt,
…..
§ 173 StGB - Beischlaf zwischen Verwandten
(→BVerfG 2 BvR 392/07 vom 13. März 2008)
(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) 1Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt
2
auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden
leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf
vollziehen.
(3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser
Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.
geschütztes Rechtsgut:
- Schutz der Gesundheit möglicher Nachkommen??
- Schutz der Volksgesundheit??
- Schutz der sexuellen Selbstbestimmung??
- Schutz von Ehe und Familie??
- kulturhistorisch begründete gesellschaftliche Überzeugung??
§ 3 Abs. 1 Nr. 6 PreussForstdiebstahlsG (→ BGHStE 10,
375):
→ Regelstrafe für den Forstdiebstahl geschärft,
»wenn zum Zwecke des Forstdiebstahls ein bespanntes
Fuhrwerk, ein Kahn oder ein Lasttier mitgebracht ist«.
§ 224 StGB - Gefährliche Körperverletzung (→ BGHStE 22,
235 zu § 223a StGB a.F.)
(1) Wer die Körperverletzung
2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
4.
5.
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu
zehn Jahren … bestraft.
§ 86a StGB - Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (→ BVerfG NJW 2006, 3050)
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe
wird bestraft, wer
1. im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2
und 4 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet
oder öffentlich, in einer Versammlung oder in von ihm verbreiteten Schriften (§ 11 Abs. 3) verwendet oder
2. …
(2) 1Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich
Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen.
2
Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche
gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.
§ 263 StGB - Betrug
……
(3) 1In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe
von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. 2Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1. ….
2. einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder
in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von
Betrug eine GROßE ZAHL VON MENSCHEN in die Gefahr des
Verlustes von Vermögenswerten zu bringen, …
§ 265b StGB - Kreditbetrug
(1) Wer einem Betrieb oder Unternehmen im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung, Belassung oder Veränderung der Bedingungen eines Kredits für einen Betrieb
oder ein Unternehmen oder einen vorgetäuschten Betrieb
oder ein vorgetäuschtes Unternehmen
1. über wirtschaftliche Verhältnisse
a) unrichtige oder unvollständige Unterlagen, … vorlegt
oder
b) schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben
macht,
die für den Kreditnehmer vorteilhaft und für die Entscheidung über einen solchen Antrag erheblich sind, oder
2. solche Verschlechterungen der in den Unterlagen oder
Angaben dargestellten wirtschaftlichen Verhältnisse BEI
DER VORLAGE nicht mitteilt, die für die Entscheidung über
einen solchen Antrag erheblich sind,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe
bestraft.
Art. 103 GG
(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.
(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit
gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.
(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.
§ 51 III StGB
§ 153c StPO]
(1) 1Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung von Straftaten
absehen,
(2) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, wenn wegen der Tat im Ausland schon eine Strafe gegen den Beschuldigten vollstreckt worden ist und die im Inland zu erwartende
Strafe nach Anrechnung der ausländischen nicht ins Gewicht fiele oder der Beschuldigte wegen der Tat im Ausland rechtskräftig freigesprochen worden ist.
§ 315c StGB
(1) Wer im Straßenverkehr
……..
2. grob verkehrswidrig und rücksichtslos
……
a) die VORFAHRT nicht beachtet,
….
e) an unübersichtlichen Stellen nicht die RECHTE SEITE
der Fahrbahn einhält,
…….
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen
oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
aus BGHStE 40, 341, 342:
Im wesentlichen ohne Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat das Landgericht allerdings angenommen, daß er (S.
343) rechtswidrig den Tatbestand der fahrlässigen Tötung (§
222 StGB), der fahrlässigen Körperverletzung (§ 230 StGB) und
der fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung (§ 315 c Abs. 1
Nr. 1 b i.V.m. Abs. 3 Nr. 2 StGB) erfüllt hat.
a) Dem steht, auch soweit es den Vorwurf der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung anbelangt, nicht
entgegen, daß es in der unmittelbaren Unfallsituation nach dem
Beginn des Anfalls mangels willensmäßiger Steuerung oder
Beherrschbarkeit an einem strafrechtlich erheblichen Verhalten
des Angeklagten fehlt. Die den Gegenstand des Fahrlässigkeitsvorwurfs bildende Tathandlung besteht darin, daß der Angeklagte sein Fahrzeug nach der Fahrtunterbrechung in Ludwigsburg als Fahrer in Betrieb genommen und geführt hat. Die
Teilnahme des Angeklagten am Straßenverkehr als Führer eines Kraftfahrzeugs stellt sich angesichts seines Anfallsleidens
sowie der Häufigkeit und Intensität seiner Anfälle als ein Verhalten dar, das die mit Blick auf das Leben und die Gesundheit
anderer Verkehrsteilnehmer gebotene Sorgfalt vermissen läßt.
aus OLG Celle, StV 2002, 366 = NJW 2001, 2816:
"Die bei dem Unfall erlittene Verletzung der Hauptschlagader
kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Tod von R
entfiele... Der Ursachenzusammenhang wird nicht dadurch unterbrochen, dass noch andere Ursachen zur Herbeiführung des
Erfolges beitragen. Ein Ursachenzusammenhang ist nur zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter
Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt
hat.
aus BGHStE 49, 1, 3 f.
b) In dem angefochtenen Urteil hat es die Strafkammer in ihrer rechtlichen Würdigung letztlich dahinstehen lassen, ob die Gewährung des
Ausgangs eine Pflichtwidrigkeit der Angeklagten darstellte. Sie hat deren
mögliche Kausalität für den Tod und die Verletzungen der Frauen verneint, weil S. nicht ausschließbar die ungenügend gesicherte Station jederzeit gewaltsam hätte verlassen und die Verbrechen auch ohne das
den Angeklagten als rechtswidrig zur Last gelegte Verhalten hätte begehen können.
2. Der Freispruch hält der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand. Das
Landgericht hat es zu Unrecht unterlassen, die Frage der Pflichtwidrigkeit des am 4. Oktober 1998 gewährten Ausgangs abschließend zu prüfen. Dessen Ursächlichkeit für die Todesfälle und die Körperverletzungen
war nicht, wie rechtsfehlerhaft angenommen, mit Rücksicht darauf entfallen, daß S. auch durch die ungenügend gesicherten Fenster der Klinik
hätte entweichen können.
a) Der von den Angeklagten gewährte Ausgang ist nach der
maßgeblichen Bedingungstheorie kausal.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung ist als haftungsbegründende Ursache eines strafrechtlich bedeutsamen Erfolgs jede
Bedingung anzusehen, die nicht hinweggedacht werden kann,
ohne daß der Erfolg entfiele (BGHSt 39, 195, 197; 45, 270, 294
f.). Diese Voraussetzungen liegen auch dann vor, wenn die
Möglichkeit oder die Wahrscheinlichkeit besteht, daß ohne die
Handlung des Täters ein anderer eine – in Wirklichkeit jedoch
nicht geschehene – Handlung vorgenommen hätte, die ebenfalls den Erfolg herbeigeführt haben würde (BGHSt 2, 20, 24;
45, 270, 295).
aus BGHStE 39, 195, = NJW 1993, 1723 = JK vor § 13/2:
Nach der von der Rechtsprechung ständig angewendeten Bedingungstheorie (BGHSt 1,332, 333) ist als haftungsbegründende Ursache eines
strafrechtlich bedeutsamen Erfolges jede Bedingung anzusehen, die
nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele. Dabei
ist gleichgültig, ob neben dieser Bedingung noch andere Umstände zur
Herbeiführung des Erfolges mitgewirkt haben (BGHSt 2,20, 24 ; BGH GA
1960,111,112; RGSt 1,373,374; 66,181,184; 69,44,47). Allerdings ist in
der Rechtsprechung wiederholt ausgesprochen worden, daß demgegenüber eine Unterbrechung des Kausalverlaufs dann vorliege, wenn ein
späteres Ereignis die Fortwirkung einer früheren Ursache beseitige und
unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg allein herbeiführe
… Haftungsbegründende Ursächlichkeit des Täterhandelns wird nicht (S.
198) einmal dadurch ausgeschlossen, daß das Verhalten des Opfers
(…) oder - deliktisches oder undeliktisches - Verhalten eines Dritten zur
Herbeiführung des Erfolges mitgewirkt haben (…). Insbesondere aber ist
in den Fällen, in denen der Täter nach einer tötungstauglichen Handlung
eine weitere, hinzutretende Bedingung für den Tod gesetzt hat, auch die
erste Handlung für den Tod ursächlich.
Dies entspricht auch der h. M. im Schrifttum. Dort wird das Problem unter den Bezeichnungen »alternative Kausalität«, »Doppelkausalität«
oder »alternative Konkurrenz« behandelt. Eine solche wird angenommen, wenn mehrere, unabhängig voneinander gesetzte Bedingungen
zusammenwirken, die zwar auch für sich allein zur Erfolgsherbeiführung
ausgereicht hätten, die tatsächlich aber alle in dem eingetretenen Erfolg
wirksam geworden sind (…). In diesen Fällen wird - mit unterschiedlichen Akzenten in den Begründungen - allen Bedingungen Ursächlichkeit
für den Erfolgseintritt beigemessen.
aus BGH NStZ 2001, 29.
"Ursächlich ist jede Bedingung, die den Erfolg herbeigeführt hat;
dabei ist gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des
Erfolges beigetragen haben. Anders verhält es sich allerdings,
wenn ein späteres Ereignis ihre Wirkung beseitigt und unter Eröffnung einer neuen Kausalreihe den Erfolg allein herbeiführt. Dagegen schließt es die Ursächlichkeit des Täterhandelns nicht aus, dass ein
weiteres Verhalten, sei es des Täters, sei es des Opfers, sei es auch
Dritter, an der Herbeiführung des Erfolges mitgewirkt hat (ständige
Rechtsprechung und herrschende Meinung im Schrifttum, zusammenfassende Darstellung mit zahlreichen Nachweisen in BGHSt 39, 195,
197 f = RÜ 1993, 327). Ursächlich bleibt das Täterhandeln selbst dann,
wenn ein später handelnder Dritter durch ein auf denselben Erfolg gerichtetes Tun vorsätzlich zu dessen Herbeiführung beiträgt, sofern er nur
dabei an das Handeln des Täters anknüpft, dieses also die Bedingung
seines eigenen Eingreifens ist... Demgemäß ist wegen vollendeten Tötungsverbrechens auch zu bestrafen, wer jemanden mit Tötungsvorsatz
niedergeschossen und dadurch einen Dritten dazu veranlasst hat, dem
Verletzten den "Gnadenschuss" zu geben (OGHSt 2, 352, 354 f; BGH
bei Dallinger MDR 1956, 526; Jähnke in LK 10. Aufl., § 212 Rn 3)."
§ 36 WaffG - Aufbewahrung von Waffen oder Munition
(1) 1Wer Waffen oder Munition besitzt, hat die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass diese Gegenstände abhanden
kommen oder Dritte sie unbefugt an sich nehmen.
§ 618 BGB - Pflicht zu Schutzmaßnahmen
(1) Der Dienstberechtigte hat Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten
und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung
oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die
Natur der Dienstleistung es gestattet.
aus BGHSt 36, 1, 16 ff. [Ungeschützte Sexualkontakte eines HIV-Infizierten]
1. Ein Fall erlaubten Risikos – sei es, daß darin ein Tatbestandsausschluß, sei es,
daß darin ein Rechtfertigungsgrund zu sehen wäre – liegt jedenfalls dann nicht vor,
wenn ein HIV-Infizierter ohne Schutzmittel Sexualverkehr ausübt (…).
Anders als bei alltäglichen und landläufigen Infekten wie etwa bei Erkältungskrankheiten, die geradezu »in der Luft« liegen und damit im
menschlichen Zusammenleben kaum abschirmbar sind und die zudem
regelmäßig keine erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer herbeiführen, fehlt es hier an der Sozialadäquanz, weil jede HIV-Übertragung einen
lebenslang wirkenden, mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich verlaufenden Eingriff in
Lebensgüter des Infizierten darstellt und weil beim Sexualverkehr als wichtigstem
Übertragungsweg für AIDS die Ansteckungsgefahr in zumutbarer Weise durch Benutzung von Kondomen wenn auch nicht völlig ausgeschlossen, so doch zumindest
abgeschirmt und damit wesentlich verringert werden kann. Demgegenüber fällt der
Grad der Wahrscheinlichkeit, daß es zu einer Infizierung kommt, nicht ins Gewicht
(…).
2. Die Taten des Angeklagten haben auch nicht unter dem Gesichtspunkt des
Handelns auf eigene Gefahr oder eines von den Partnern bewußt eingegangenen Risikos straflos zu bleiben. Allerdings besagt die vom Senat begründete neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß derjenige, der lediglich die
eigenverantwortlich gewollte und bewirkte Selbstgefährdung eines
anderen veranlaßt, ermöglicht oder fördert, regelmäßig nicht wegen eines – versuchten oder vollendeten – Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar ist, auch wenn sich das von diesem bewußt eingegangene Risiko realisiert (BGHSt 32,262…). Ob diese – insbesondere im Zusammenhang mit Todesfällen bei gemeinsamem Rauschmittelgenuß entwickelten – Rechtsgrundsätze auf sexuellen Umgang mit HIV-Infizierten überhaupt anwendbar sind (…),
bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls beginnt, wie in der angeführten Rechtsprechung dargelegt ist, die Strafbarkeit des Täters dort, wo er kraft überle-
genen Sachwissens das Risiko besser erfaßt als der sich selbst Gefährdende.
aus BGHStE 7, 363, 368 ff:
… Richtig ist, daß die Kenntnis der möglichen Folgen einer Handlungsweise und
die Billigung dieser Folgen zwei selbständige Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes sind. …. Die erwähnten Umstände sprechen zwar dafür, daß den Angeklagten der eingetretene Tod M.'s höchst unerwünscht war. Das hat das Schwurgericht
nicht verkannt, sondern ausdrücklich erwähnt. Die Billigung des Erfolges, die nach
der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs das entscheidende Unterscheidungsmerkmal des bedingten Vorsatzes von der bewußten Fahrlässigkeit bildet, bedeutet aber nicht etwa, daß der Erfolg den Wünschen des Täters
entsprechen muß. Bedingter Vorsatz kann auch dann gegeben sein, wenn dem
Täter der Eintritt des Erfolges unerwünscht ist. Im Rechtssinne billigt er diesen
Erfolg trotzdem, wenn er, um des erstrebten Zieles willen, notfalls, d. h. wofern er
anders sein Ziel nicht erreichen kann, sich auch damit abfindet, daß seine Handlung
den an sich unerwünschten Erfolg herbeiführt, und ihn damit für den Fall seines Eintritts will…. Der bedingte Vorsatz unterscheidet sich vom unbedingten Vorsatz dadurch, daß der unerwünschte Erfolg nicht als notwendig, sondern nur als möglich
vorausgesehen wird. Er unterscheidet sich von der bewußten Fahrlässigkeit dadurch,
daß der bewußt fahrlässig handelnde Täter darauf vertraut, der als möglich vorausgesehene Erfolg werde nicht eintreten, und deshalb die Gefahr in Kauf
nimmt, während der bedingt vorsätzlich handelnde Täter sie um deswillen in
Kauf nimmt, weil er, wenn er sein Ziel nicht anders erreichen kann, es auch
durch das unerwünschte Mittel erreichen will.
aus BGHStE 36, 1, 9 f.:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit handelt
der Täter
, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges
als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, daß er die Tatbestandsverwirklichung billigend in
Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit
ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein;
liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der
als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist
und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten
aus BGHStE 37, 214, 216:
Der Mitangeklagte St. hat Bernd Sch. in der Meinung getötet, es handle sich um KarlFriedrich M. Ein solcher Irrtum des Täters über die Person des Tatopfers (error in
persona) ist für ihn rechtlich unbeachtlich. Die Frage, ob der Irrtum des Täters Auswirkungen auf die Strafbarkeit des Anstifters hat, ist hingegen seit einer Entscheidung des
Preußischen Obertribunals aus dem Jahre 1859 – welches die Frage verneint hat (GA Bd.
7,332) – im rechtswissenschaftlichen Schrifttum umstritten. …
aus BGHStE 11, 268, 270:
…. der Schuß des Tatgenossen sich gegen P. selber richtete. M. hat den Entschluß,
seinen vermeintlichen Verfolger zu töten, durch die Abgabe eines Schusses aus seiner Pistole betätigt. …
; daß dieser andere ein
war, würde an der vollständigen Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch M. nichts ändern. Insoweit läge nämlich
bei diesem – ebenso wie im Falle der Mordabrede – eine sog. Objektsverwechslung vor, die nur bei Ungleichwertigkeit der angegriffenen Rechtsgüter strafrechtlich von Bedeutung ist.
aus BGH NStZ 1998, 294:
Die Annahme des Landgerichts, daß im Fall des zweiten Handgranatenanschlags die
fehlerhafte Zuordnung des Fahrzeugs zum Zeugen B. … kein nach § 16 Abs. 1 Satz
1 StGB beachtlicher Irrtum über den Kausalverlauf gewesen sei, ist rechtlich nicht zu
beanstanden.
Es handelt sich um eine Verwechslung des angegriffenen Tatopfers ("error in
persona"), die wegen tatbestandlicher Gleichwertigkeit der Rechtsgüter als Motivirrtum unerheblich ist. Die Unbeachtlichkeit der Personenverwechslung für den
Vorsatz des Täters hatte der Bundesgerichtshof bisher zwar nur für Fälle zu beurteilen, bei denen der Täter sein Opfer unmittelbar gesehen und angegriffen, sich jedoch
über dessen Identität geirrt hatte (BGHSt 11, 268, 270; 37, 214, 216). Im vorliegenden Fall haben die Täter das Opfer zwar nicht selbst optisch wahrgenommen, aber
durch das zur Sprengfalle umfunktionierte Fahrzeug mittelbar individualisiert.
In einem solchen Fall gilt im Ergebnis nichts anderes als bei optischer Wahrnehmung
des Opfers selbst. Die Angeklagten haben das als Tatmittel benutzte Fahrzeug der
falschen Person zugeordnet….
Bei Herstellen einer Autobombe mag zudem eine Konkretisierung des Tötungsvorsatzes durch den Täter von vornherein nur auf diejenige Person erfolgen können,
welche zuerst das Auto benutzt (Nachw.).
aus BGHStE 38, 32, 34:
Es kann hier dahinstehen, ob das vorliegende Problem der Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf allein unter dem Gesichtspunkt des Vorsatzes
von Bedeutung (…) oder ob bereits die objektive Zurechnung in Zweifel zu ziehen ist
(…). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Abweichungen
des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf nur dann für die rechtliche
Bewertung bedeutungslos, wenn sie sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen.
aus BGHStE 14, 193, 194:
… hatte die Angeklagte den bedingten Tötungsvorsatz, als sie Frau B. zwei Hände
voll Sand in den Mund stopfte, um sie am Schreien zu hindern. Dadurch verursachte sie den Tod zwar nicht unmittelbar, aber mittelbar. Denn die Folge war, daß Frau B.
schließlich regungslos dalag, von der Angeklagten für tot gehalten und deshalb von ihr in die Jauchegrube geworfen wurde. Zu diesem Vorgange, der den Tod unmittelbar bewirkte, wäre es ohne die
früheren Handlungen, die die Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführt hatte, nicht gekommen. Diese sind daher Ursache des Todes. Die Angeklagte hat ihn also mit bedingtem Vorsatz
herbeigeführt. Er ist zwar auf eine andere Weise eingetreten, als die Angeklagte es
für möglich gehalten hatte. Diese Abweichung des wirklichen vom vorgestellten Ursachenablauf ist aber nur gering und rechtlich ohne Bedeutung.
aus BGHStE 11, 241, 244 (Züchtigungsrecht des Volksschullehrers)
Für einen reichsgesetzlich geregelten Verbrechenstatbestand kann sich ein Rechtfertigungsgrund aus dem Landesrecht ergeben. Das ist in Rechtsprechung und Schrift-
tum unbestritten (vgl. RGSt 47, 270, 276, 277; v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, 26. Aufl.,
S. 187, 189). Es folgt einerseits aus der Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeit
zwischen Bund und Ländern und andererseits aus der Einheit der Rechtsordnung,
die alle im Bundesgebiet geltenden Normen ohne Rücksicht auf den Normengeber
umfaßt. Rechtfertigungsgründe können, weil sie den sachlichen Geltungsbereich der
Strafgesetze einengen, indem sie das Unrecht tatbestandsmäßigen Verhaltens ausschließen, nur durch Rechtssätze, jedoch nicht allein durch materielles Gesetz geschaffen werden. Sie können auch auf dem Wege des Gewohnheitsrechts entstehen. Das ist unbestritten.
§ 127 StPO - Vorläufige Festnahme
(1) 1Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er
der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. 2Die Feststellung der Identität einer Person durch die
Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b
Abs. 1.
(2) Die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes
sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt,
wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls [s. §§ 112 ff. StPO] oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen.
§ 904 BGB - [Aggressiv-]Notstand
1
Der Eigentümer einer Sache ist nicht berechtigt, die Einwirkung eines
anderen auf die Sache zu verbieten, wenn die Einwirkung zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden
gegenüber dem aus der Einwirkung dem Eigentümer entstehenden
Schaden unverhältnismäßig groß ist. 2Der Eigentümer kann Ersatz des
ihm entstehenden Schadens verlangen.
§ 228 BGB - [Defenbsiv-]Notstand
1
Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine
von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt
nicht widerrechtlich, wenn die Beschädigung oder die Zerstörung zur
Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer
Verhältnis zu der Gefahr steht. 2Hat der Handelnde die Gefahr verschuldet, so ist er zum Schadensersatz verpflichtet.
aus BGHStE 2, 111, 115 (damals: Übergesetzlicher Notstand):
Die Strafkammer hat deshalb mit Recht angenommen, daß sich der Beschwerdeführer schon wegen des Fehlens dieses »subjektiven Rechtfertigungselements«
nicht auf übergesetzlichen Notstand berufen könne. Die Handlung des Angeklagten
verwirklichte also nicht nur äußerlich den Tatbestand des § 218 Abs. 3 StGB, sie war
auch rechtswidrig.
aus BGH NStZ 1996, 29, 30:
Zur inneren Tatseite wird insbesondere die Frage des Verteidigungswillens des
Angekl. näher zu erörtern sein. Eine Rechtfertigung durch Notwehr kommt nur dann
in Betracht, wenn der Angekl. mit Verteidigungswillen gehandelt hat. Das angefochtene Urteil ist insoweit widersprüchlich: Im Zusammenhang mit der Erörterung der
Notwehrbefugnis nach § 32 StGB heißt es, „die Wut über die Beleidigung seiner
Freundin (gab zwar) den letzten Anstoß zur Tat. In erster Linie ging es dem Angekl.
aber um die Wiedererlangung seiner vollen Bewegungsfreiheit"; andererseits stellt
das Gericht im Rahmen der Erörterungen zu § 33 StGB [Entschuldigungsgrund] fest,
„aufsteigende Wut war also der Auslöser, um das Messer anzuwenden, sein Verteidigungswille dagegen in den Hintergrund getreten". Nach Letzterem könnte zweifelhaft sein, ob die Voraussetzungen rechtfertigender Notwehr vorlagen. Daß ein Verteidigungswille bei dem Angekl. bestand, versteht sich hier angesichts der Gesamtumstände, insbesondere des mehrmaligen Zustechens mit dem Messer, nicht von
selbst. Allerdings schließt eine hinzutretende Wut als Tatmotiv die Annahme eines
solchen Willens nicht notwendig aus. Eine Tat kann auch dann durch Notwehr gerechtfertigt sein, wenn der Täter neben der Abwehr noch andere Ziele verfolgt,
solange sie den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund drängen;
das gilt auch, wenn Wut bei der Tat eine Rolle spielt.
aus BGH NStZ 2000, 365, 366:
Der Angekl. handelte auch mit Verteidigungswillen. Zwar schien dem Angekl. vor
dem Beginn der körperlichen Auseinandersetzung die Gelegenheit, den Zeugen K für
dessen Verhalten zu bestrafen, günstig und im Hinblick auf sein Messer sah er auch
einem Streit trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit der Angreifer gelassen entgegen. Der Messereinsatz hatte aber dann später in der konkreten Situation nach den
getroffenen Feststellung nur noch den Zweck, zunächst die Gruppe um K und dann
diesen allein von sich fernzuhalten. Selbst wenn er in diesem Augenblick immer noch
im Sinn gehabt haben sollte, den Zeugen K zu bestrafen, so drängte dieses Motiv
den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund.)
aus BGH NStZ 2005, 332, 334:
Unter diesen Umständen ist auch gegen die Verneinung eines Verteidigungswillens des Angekl. im Rahmen der Prüfung einer Rechtfertigung durch Notwehr von
Rechts wegen nichts zu erinnern. Die StrK [=Strafkammer] nimmt zwar eine objektive
Notwehrlage an, weil M am Tatabend kein Anspruch auf Zahlung eines Betrages
i.H.v. 5000 DM (d.h. kein fälliger Anspruch in dieser Höhe) zugestanden habe und M
seine Beute auch noch nicht endgültig gesichert gehabt habe. Der Angekl. habe aber
nicht sein Eigentum und sein Vermögen schützen wollen. Darauf sei es ihm „überhaupt nicht“ angekommen. Vielmehr habe er M als Mitwisser seiner illegalen Geschäfte ausschalten wollen. Sachbeschädigungen und die Wegnahme von Gegens-
tänden aus seiner Wohnung hätten ihm unmittelbar nicht gedroht. Das Geld habe er
Ma im Vorbeigehen „freiwillig“ gegeben.
Auch diese Würdigung, ein Verteidigungswille habe dem Angekl. gefehlt, wird den
Äußerungen des Angekl. zu seinen Beweggründen noch gerecht. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, insbesondere den wiedergegebenen Äußerungen
des Angekl., tritt hervor, dass der Angekl. auch aus Wut, Enttäuschung und auch um
den Verlust des Geldes zu verhindern handelte, sich in erster Linie aber den lästig
gewordenen Erpresser M „vom Hals schaffen“ und die Anzeige seiner illegalen Geschäfte durch diesen verhindern wollte. Damit trat naheliegender Weise der Verteidigungszweck seines Handelns im Blick auf das Ma in die Hände gegebenen Geldes so sehr in den Hintergrund, dass er nicht mehr leitend war und den Tatentschluss nicht kennzeichnete.
aus BGH NStZ 2005, 31:
Nach allgemeinen notwehrrechtlichen Grundsätzen ist der Angegriffene berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet; unter mehreren Abwehrmöglichkeiten ist er auf die
für den Angreifer minder einschneidende nur dann verwiesen, wenn ihm Zeit zur
Auswahl sowie zur Abschätzung der Gefährlichkeit zur Verfügung steht und die für
den Angreifer weniger gefährliche Abwehr geeignet ist, die Gefahr zweifelsfrei und
sofort endgültig auszuräumen (st. Rspr.). ….. Das Gesetz verlangt von einem
rechtswidrig Angegriffenen nur dann, dass er die Flucht ergreift oder auf andere Weise dem Angriff ausweicht, wenn besondere Umstände sein Notwehrrecht einschränken, beispielsweise wenn er selbst den Angriff leichtfertig oder vorsätzlich provoziert
hat. Etwas anderes gilt auch nicht für Polizeibeamte (vgl. BayObLG MDR 1991,
367). Die hier einschlägigen Bestimmungen des thüringischen Polizeiaufgabengesetzes schränken das individuelle Notwehrrecht nicht ein (§ 58 II PAG). Im Falle
eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs auf Leib und Leben eines Polizeibeamten hängt die Frage, inwieweit dieser sich verteidigen darf, insbesondere nicht davon
ab, welches Rechtsgut zuvor von dem Angreifer verletzt worden ist. Das zulässige
Maß der erforderlichen Verteidigung i.S.d. § 32 II StGB wird auch hier durch die konkreten Umstände des Angriffs bestimmt, insbesondere durch die Stärke und Gefährlichkeit des Angreifers und durch die dem Angegriffenen zur Verfügung stehenden
Abwehrmittel. Das Notwehrrecht einschränkende besondere Umstände lagen hier
nicht vor.
§ 34 SächsPolG - Schusswaffengebrauch gegenüber Personen
(1) Schusswaffen dürfen gegen einzelne Personen nur gebraucht werden
1. um die unmittelbar bevorstehende Ausführung oder die Fortsetzung einer rechtswidrigen Tat zu verhindern, die sich den Umständen nach
a) als ein Verbrechen oder
b) als ein Vergehen, das unter Anwendung oder Mitführung von Schusswaffen
oder Sprengmitteln begangen werden soll oder ausgeführt wird, darstellt,
2. um eine Person anzuhalten, die sich der Festnahme oder Identitätsfeststellung
durch Flucht zu entziehen versucht, wenn sie
a) eines Verbrechens dringend verdächtig ist oder
b) eines Vergehens dringend verdächtig ist und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Schusswaffen oder Sprengmittel mitführt,
3. zur Vereitelung der Flucht oder zur Ergreifung einer Person, wenn diese in amtli-
chem Gewahrsam zu halten oder ihm zuzuführen ist
a) wegen eines Verbrechens oder aufgrund des dringenden Verdachts eines
Verbrechens oder
b) wegen eines Vergehens oder aufgrund des dringenden Verdachts eines Vergehens, wobei zu befürchten ist, dass sie von einer Schusswaffe oder einem
Sprengmittel Gebrauch machen werde,
4. um die gewaltsame Befreiung einer Person aus amtlichem Gewahrsam zu
verhindern, oder in sonstigen Fällen des § 100 1 des Strafvollzugsgesetzes.
…..
(6) Das Recht zum Gebrauch von Schusswaffen aufgrund anderer gesetzlicher
Vorschriften bleibt unberührt.
§ 1631 BGB - Inhalt und Grenzen der Personensorge
(1) Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind
zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.
(2) Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.
seelische Verletzungen
,
.
aus BGHStE 48, 207, 209:
1
§ 100 StVollzG - Besondere Vorschriften für den Schußwaffengebrauch
(1) 1Gegen Gefangene dürfen Schußwaffen gebraucht werden,
1. wenn sie eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug trotz wiederholter
Aufforderung nicht ablegen,
2. wenn sie eine Meuterei (§ 121 des Strafgesetzbuches) unternehmen oder
3. um ihre Flucht zu vereiteln oder um sie wiederzuergreifen.
2
Um die Flucht aus einer offenen Anstalt zu vereiteln, dürfen keine Schußwaffen gebraucht werden.
(2) Gegen andere Personen dürfen Schußwaffen gebraucht werden, wenn sie es
unternehmen, Gefangene gewaltsam zu befreien oder gewaltsam in eine Anstalt einzudringen.
Die Notwehrlage bestand für den Angeklagten während seiner Messerattacke auf M.
noch fort. M.s erpresserischer Angriff auf das Vermögen des Angeklagten war noch
»gegenwärtig« im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB. Er war zwar vollendet, aber noch
nicht beendet; denn die Beute war noch nicht gesichert (…). Notwehr ist nicht darauf
beschränkt, die Verwirklichung der gesetzlichen Merkmale des Tatbestands abzuwenden. Sie ist zum Schutz gegen den Angriff auf ein bestimmtes Rechtsgut zugelassen. Dieser Angriff kann trotz Vollendung des Delikts noch fortdauern und deshalb
noch
sein, solange die Gefahr, die daraus für das bedrohte
Rechtsgut erwächst, entweder doch noch abgewendet werden kann oder bis
sie umgekehrt endgültig in den Verlust umgeschlagen ist. Nur im Falle des endgültigen Verlustes handelt es sich etwa bei einem Angriff auf Eigentum und Besitz
beweglicher Sachen für den Berechtigten nicht mehr um die Erhaltung der Sachherrschaft, sondern um deren Wiedererlangung, für die Gewaltanwendung jedenfalls
nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Notwehr zugelassen ist (…).
aus BGH NStZ 2006, 152, 153 f.:
ist, hängt im WeOb die Verteidigungshandlung iSd § 32 Abs. 2 StGB
sentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Dabei darf sich der Angegriffene
grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und das eine
sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. Das schließt
auch den Einsatz lebensgefährlicher Mittel ein. Zwar kann dieser nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen und darf auch nur das letzte Mittel der Verteidigung
sein; doch ist der Angegriffene nicht genötigt, auf die Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die
Abwehr zweifelhaft ist. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang braucht er
sich nicht einzulassen (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH NStZ 2002, 140
m.w.N.)….. Bei mehreren Einsatzmöglichkeiten des vorhandenen Abwehrmittels
hat der Verteidigende nur dann das für den Angreifer am wenigsten gefährliche zu
wählen, wenn ihm Zeit zum Überlegen zur Verfügung steht und durch die weniger gefährliche Abwehr dieselbe, oben beschriebene Wirkung erzielt wird
(BGHR StGB § 32 II Erforderlichkeit 5). Beides trifft hier nicht zu. Das eigentliche
Tatgeschehen spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab. Als F ausrutschte, blieb
dem Angekl. keine Zeit, sich Gedanken über verschiedene Einsatzmöglichkeiten seiner Bajonette zu machen und diese - wie auch immer - als Schlagwerkzeuge zu ergreifen. Er musste angesichts der Bedrohungslage sofort reagieren.
BGH: Notwehr bei tätlichen Auseinandersetzungen zwi- NJW 1980 Heft 41 2263
schen Schülern
Notwehr bei tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Schülern
§§ 32, 33 StGB
Zu den Voraussetzungen einer Notwehr bei einer tätlichen Auseinandersetzung
zwischen 18jährigen Schülern während einer Unterrichtspause.
BGH, Urteil vom 24. 7. 1979 - 1 StR 249/79
Zum Sachverhalt:
Der 18jährige Angekl. war über einen längeren Zeitraum hin Ziel provokativer Angriffe eines Mitschülers. Nachdem er am Tattage von diesem wiederum verprügelt worden war, stach er mit einem Dolch, den er bei sich zu tragen pflegte, zu und tötete
den Angreifer. Die Jugendkammer hat den Angekl. wegen fahrlässiger Tötung zur
Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Er, zu seinen Ungunsten die StA und die Nebenkl. haben Revision
eingelegt. Das Rechtsmittel des Angekl. führte zu seinem Freispruch. Die Rechtsmittel der StA und der Nebenkl. hatten keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
… I. 1. Die Jugendkammer geht davon aus, daß der Angekl. sich in einer Notwehrsituation befunden, jedoch die Intensität des Angriffs überschätzt habe. Deshalb sei er
„in einer relativ ungefährlichen Auseinandersetzung zwischen Schülern der gleichen
Schule“ über die Grenzen der erforderlichen Verteidigung hinausgegangen.
Sein Erlaubnistatbestandsirrtum schließe eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Tatbestandsverwirklichung aus. Auch fahrlässige Tötung infolge vorwerfbarer Notwehrüberschreitung könne dem Angekl. nicht zur Last gelegt werden, weil er in einer auf
Vorerlebnissen mit dem Angreifer beruhenden „übersteigerten existentiellen Furcht“
den Stich, der ins Herz traf, geführt habe, und dieser Notwehrexzeß nach § 33 StGB
straflos sei. Dennoch sei der Angekl. eines Vergehens nach § 222 StGB schuldig. Er
hätte sich „nicht in eine Situation bringen lassen dürfen, in der er anläßlich einer
Schülerstreitigkeit den Dolch gebrauchte“. Im Hinblick auf das schon länger andauernde und in den letzten Tagen vor der Tat sich „massiv“ steigernde provokative Verhalten des Angreifers habe der Angekl. mit einem erneuten Angriff gerechnet. Er hätte bedenken müssen, daß er im Laufe einer neuen Auseinandersetzung die Beherrschung verlieren und zu unbedachten Handlungen hingerissen werden könnte. Deshalb habe der Angekl. „pflichtwidrig gehandelt“, als er auch am Tattage seinen Dolch
(Klingenlänge 10 cm) in der Hosentasche beließ und in die Schule mitnahm. Er habe
auch im übrigen nicht „die ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um
die Zuspitzung der unmittelbaren Auseinandersetzung zu vermeiden“. Am Tatort seien Mitschüler, auch Klassenkameraden zugegen gewesen. Der Angekl. hätte auch
einen Lehrer auf die Situation aufmerksam machen können, „bevor sie in eine Phase
eintrat, in der ihm nach seinen Vorstellungen nur noch die Abwehr mit dem Messer
blieb“. „Statt dessen“ habe er während des „anfänglichen Geplänkels“ ein- oder
zweimal zurückgeschlagen und damit „in einer für ihn erkennbaren Weise den Anschein erweckt, zu einer tätlichen Auseinandersetzung bereit zu sein“. In der „schulinternen Situation“ wäre aber zu erwarten gewesen, daß der Angekl. eher die Hilfe
Dritter in Anspruch genommen hätte oder „bedächtig ausgewichen“ wäre. Er habe es
auch unterlassen, durch Worte beruhigend auf seinen Gegner einzuwirken und ihn
zu warnen, bevor er das versteckt getragene Messer einsetzte.
2. Diese Erwägungen, deren Sinn häufig dunkel bleibt, weil die Jugendkammer ihre
rechtliche Tragweite nicht erörtert und insbesondere die Frage offenläßt, inwieweit
sie aufgrund der Anerkennung eines nicht vorwerfbaren Notwehrexzesses bedeutungslos geworden sind, tragen die Verurteilung nicht.
a) Der Angekl. befand sich in der Tat in einer Notwehrlage. Er war, ohne daß er dazu
irgendeinen Anlaß gegeben hatte, beleidigt, am Arm festgehalten und mit leichten
Faustschlägen gegen den Oberkörper und die Oberarme bedacht worden. Als er sich
zur Wehr setzte, weil er sich vor den Augen seiner Mitschüler nicht demütigen lassen
wollte, ging der körperlich überlegene Angreifer, der den Angekl. drei Tage zuvor
grundlos so heftig ins Gesicht geschlagen hatte, daß die Lippen aufsprangen und er
aus dem Mund blutete, in Boxerstellung und schlug kräftig auf den Angekl. ein. In
dieser Situation des Verprügeltwerdens brauchte sich der Angekl. auf das Risiko eines Kampfes mit bloßen Fäusten, dessen für ihn ungünstiger Ausgang wahrscheinlich war, nicht einzulassen. Er durfte sich vielmehr so wehren, daß die Gefahr seiner
weiteren körperlichen Mißhandlung sofort und endgültig gebannt war. Konnte dieser
Verteidigungserfolg nur unter Einsatz des Messers erreicht werden, durfte sich der
Angekl. der Stichwaffe bedienen, wenn auch nur in einer Art und Weise, die Intensität und Gefährlichkeit des Angriffs nicht unnötig überbot (BGHSt 27, 336 [337] = NJW
1978, 898; BGH, GA 1969, 23 [24]; BGH, bei Holtz, MDR 1977, 281 m.w. Nachw.).
b) Ob erfolgversprechende Verteidigungsmöglichkeiten zur sofortigen Beendigung
des Verprügeltwerdens darin lagen, daß am Tatort ein Lehrer erreichbar und Mitschüler zugegen waren, kann dahingestellt bleiben. Der Angekl. brauchte die Hilfe
von Lehrern und Mitschülern im Individual- und im Rechtsbewährungsinteresse nicht
in Anspruch zu nehmen.
Er war zur Tatzeit 18 Jahre alt. Ihm konnte nicht angesonnen werden, bei einer Lehrkraft Schutz vor einem auf tätliche Auseinandersetzung ausgehenden Mitschüler zu
suchen. Nichts anderes als dieses Ansinnen verbirgt sich aber hinter der Überlegung, daß der Angekl. einen Lehrer „auf die Situation hätte aufmerksam machen
können“. Ein solches Verhalten wäre ein unzumutbares Kneifen, eine schmähliche
Flucht gewesen. Das Gesetz verlangt aber von keinem, der rechtswidrig angegriffen
wird, ohne daß er den Angriff schuldhaft verursacht hat, daß er unter Preisgabe seiner Ehre oder anderer berechtigter Belange die Flucht ergreift oder auf andere Weise
dem Angriff ausweicht, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, welche das Notwehrrecht einschränken (BGHSt 5, 245 [248] = NJW 1954, 438; BGH, GA 1969, 117;
LK, 9. Aufl., § 53 Rdnr. 21). Umstände dieser Art lassen die Feststellungen nicht erkennen. Sie können insbesondere nicht in der sogenannten „schulinternen Situation“
gefunden werden. Sie hatte jedenfalls zwischen dem Angreifer und dem von ihm
drangsalierten erwachsenen Angekl. (vgl. 1. und 2. a) keinen Lebenskreis mit engen
persönlichen Beziehungen entstehen oder fortbestehen lassen, der das Notwehrrecht eingeschränkt hätte (vgl. BGH, MDR bei Dallinger, 1958, 12; BGH, GA 1969,
117; BGH, Urt. v. 16. 12. 1975 - 1 StR 727/75). Brauchte aber der Angekl. nicht aus
dem Felde zu gehen, dann erübrigt sich die Frage, ob der Angreifer ihm dazu überhaupt die Gelegenheit gegeben hätte.
Die Tatsache, daß Mitschüler zugegen waren, besagt für das Notwehrrecht des Angekl. nichts. Der Versuch, sie um Hilfe zu bewegen, hätte dem Angekl. kaum etwas
anderes als Gelächter oder Spott eingebracht. Jedenfalls ist nichts dafür dargelegt,
daß Mitschüler zum Eingreifen zugunsten des Angekl. bereit gewesen wären.
c) Weil er selbst dem Angriff so entgegentreten durfte, daß seine weitere körperliche
Mißhandlung sofort und endgültig gebannt wurde, konnte der Angekl. sich im Rahmen der erforderlichen Verteidigung des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand
hatte. Zur Suche nach einem weniger gefährlichen blieb ihm keine Zeit (vgl. BGH,
GA 1968, 182 [183]; LK, § 53 Rdn. 20). Unverständlich ist, was die Jugendkammer
mit der Überlegung sagen will, der Angekl. habe, weil er zunächst ein- oder zweimal
mit der Hand oder mit der Faust zurückschlug, „in für ihn erkennbarer Weise den Anschein erweckt, zu einer tätlichen Auseinandersetzung bereit zu sein“. Dieses Zurückschlagen war eine Abwehrreaktion, in der das Einverständnis mit einer Prügelei
in einem von der Gegenseitigkeit abgesteckten Rahmen nicht gefunden werden
kann. Die Tatsache aber, daß diese Abwehrreaktion den Angreifer lediglich veranlaßte, eine härtere Gangart einzuschlagen, ist Indiz dafür, daß der Angekl. genötigt war,
das ihm zur Verfügung stehende Abwehrmittel einzusetzen.
d) Die Jugendkammer legt dem Angekl. zur Last - und das scheint der eigentliche
Schuldvorwurf zu sein -, daß er zum Gebrauch des Abwehrmittels überhaupt in der
Lage war. Sie meint, er habe „pflichtwidrig gehandelt“, als er den Dolch, wie er es
immer zu tun pflegte, weiterhin in der Hosentasche herumtrug, obwohl er mit erneuten, ihm zwei Tage zuvor angedrohten Schlägen rechnete und bedenken mußte, daß
er zu unbedachten Handlungen hingerissen werden könnte.
Diese Argumentation stellt die Prinzipien des Notwehrrechts auf den Kopf. Sie bedeutet, daß das Tatgericht dem Angekl. einen Vorwurf daraus macht, daß er im Hin-
blick auf die Möglichkeit, wieder schwer verprügelt zu werden, sich nicht von einem
Messer trennte, das er ständig mit sich führte und das ihm die Chance gab, nicht nur
Objekt der Aggressionen des Angreifers
BGH: Notwehr bei tätlichen Auseinandersetzungen zwi- NJW 1980 Heft 41 2264
schen Schülern
zu sein. Sie bedeutet auch, daß das Risiko des rechtswidrigen Angriffs dem Angegriffenen aufgebürdet wird.
Der Angekl. suchte die Auseinandersetzung nicht. Er setzte sich ihr auch nicht gewollt oder leichtfertig aus. Für den Fall, daß sie ihm so, wie es geschah, auf gezwungen wurde, durfte er gerüstet sein. Das Messer war zwar eine nicht ungefährliche
Waffe, aber jedes zur Abschreckung geeignete Risiko für den Angreifer brauchte der
Angekl. nicht zu vermeiden (vgl. BGH, Urt. v. 15. 7. 1975 - 1 StR 310/75). Ihm könnte
infolgedessen aus der Tatsache des Mitführens des Messers selbst dann kein Vorwurf gemacht werden, wenn er von vornherein den Zweck verfolgt hätte, es notfalls
als Abwehrmittel einzusetzen. Da aber der Angekl. diesen Zweck nicht einmal verfolgte, ist der Schuldvorwurf der Jugendkammer im Grunde nur darauf gestützt, daß
der Angekl. nicht auf den Gedanken kam, sich wehrlos und den Angriff risikolos zu
machen. Ein solcher Vorwurf widerlegt sich selbst.
3. Es bleibt die Frage, ob dem Angekl. zur Last zu legen ist, daß er Intensität und
Gefährlichkeit des Angriffs unnötig überbot.
a) Das Tatgericht halt ihm vor, daß er nicht „mit Worten abzuwiegeln“, „durch Worte
beruhigend zu wirken“ versuchte. Es zieht aber mit Recht daraus keine Folgerungen.
Nach allen Erfahrungen, die der Angekl. mit dem Angreifer gemacht hatte, war von
einem verbalen „Abwiegeln“ nichts zu erwarten. Der Angekl. hätte sich vor seinen
Mitschülern wohl nur lächerlich gemacht.
b) Die Jugendkammer beanstandet, daß der Angekl. mit dem Messer zustieß, ohne
daß er den Gebrauch der Stichwaffe zuvor androhte. Sie geht aber der Frage nicht
nach, ob Warnungen und Drohungen in der Kampflage möglich und ausreichend
gewesen wären. Sie erübrigte sich auch für das Tatgericht, weil es die Verwendung
des Abwehrmittels ohne Vorwarnung und Androhung, wie auch die Art und Weise, in
der sie erfolgte (der Angekl. stieß die Klinge in den Oberkörper des Angreifers, ohne
daß er darauf bedacht war, dem Stich eine möglichst wenig gefährliche Zielrichtung
und Wucht zu geben), auf „übersteigerte existentielle Furcht“ des Angekl. zurückführt, auf einen „auf Furcht und Bestürzung beruhenden asthenischen Affekt“. Die
Jugendkammer hat infolgedessen die Voraussetzungen des § 33 StGB bejaht. Das
kann nicht beanstandet werden, weil die Anwendung dieser Vorschrift in rechtsfehlerfreien Feststellungen eine ausreichende Grundlage findet.
Sie tragen die Überzeugung des Tatgerichts, daß der vor den Augen seiner Mitschüler verprügelte Angekl., den die Mißhandlungen noch bewegten, die er drei Tage zuvor erlitten hatte, in einen Affektsturm geriet, in dem er ohne „weitergehende Überlegungen“ und nur auf Abwehr weiterer demütigender Schläge bedacht, rasch einen
Stich gegen den Angreifer führte, dessen Boxhiebe auf ihn fielen.
Infolgedessen ist der Angekl. freizusprechen, auch wenn er in der rückschauenden
Betrachtung des Unbeteiligten Intensität und Gefährlichkeit des Angriffs unnötig überbot (vgl. BGHSt 3, 194 [197, 198] = LM § 51 II StGB Nr. 2).
aus BGH NStZ 1987, 172:
Der Rahmen
wird durch die gesamten Umstände bestimmt, unter welchen Angriff und Abwehr sich abspielten, insb. durch die
Stärke und die Gefährlichkeit des Angreifers und durch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen (BGH, NStZ 1981, 138). Grundsätzlich darf der An-
gegriffene das für ihn erreichbare Abwehrmittel wählen (auch eine Schußwaffe, sogar die, die er ohne Erlaubnis führt: BGH, NStZ 1986, 357), das eine sofortige und
endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten läßt (BGHSt 25, 229 (230); BGH,
NJW 1980, 2263; NStZ 1982, 285; NJW 1984, 986). Beim lebensgefährlichen Einsatz einer Schußwaffe sind aber Grenzen gesetzt. Er ist zwar nicht von vornherein
verboten (vgl. BGH, Beschl. v. 15. 4. 1980 - 1 StR 130/80). Er kann aber nur das
letzte Mittel der Verteidigung sein (BGHSt 26, 143 (146)). In der Regel ist der Verteidiger gehalten, deren Verwendung zunächst anzudrohen (vgl. BGH, Urt. v. 13. 3.
1980 - 4 StR 24/80). Reicht dies nicht aus, so muß der Verteidiger, wenn möglich vor
dem tödlichen Schuß einen weniger gefährlichen Waffeneinsatz versuchen (vgl.
BGHSt 26, 143 (146)). In Frage kommen ungezielte Warnschüsse (BGH, bei Holtz,
MDR 1979, 985) oder, wenn diese nicht ausreichen, Schüsse in die Beine, um den
Angreifer kampfunfähig zu machen (vgl. BGHSt 25, 229 (230)), also solche Abwehrmittel, die einerseits für die Wirkung der Abwehr nicht zweifelhaft sind und andererseits die Intensität und Gefährlichkeit des Angriffs nicht unnötig überbieten (BGH, NStZ 1981, 138; 1982, 285; 1983, 117).
aus BGH NStZ 1998, 509:
Ob die Verteidigungshandlung i.S. des § 32 II StGB
ist, hängt im wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Dabei darf sich der Angegriffene nach gefestigter Rechtsprechung grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zu Hand
hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten läßt.
Das schließt auch den Einsatz lebensgefährlicher Mittel ein. Zwar kann dieser nur in
Ausnahmefällen in Betracht kommen und darf auch nur das letzte Mittel der Verteidigung sein (vgl. Tröndle 48. Aufl., § 32 Rn. 16 bis 16e mwN). Doch ist der Angegriffene nicht gehalten, auf die Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel
zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist. Auf einen
Kampf mit ungewissem Ausgang braucht er sich nicht einzulassen…….. Auch
soweit das LG meint, der Angekl. hätte den Einsatz des Messers androhen müssen,
sind die rechtlichen Maßstäbe, die es seiner Würdigung zugrundelegt, zwar nicht zu
beanstanden: Nach ständiger Rechtsprechung ist, wenn der Angreifer selbst unbewaffnet und ihm die Existenz einer Waffe beim Angegriffenen unbekannt ist, von diesem regelmäßig zu verlangen, daß er die Verwendung der Waffe androht, ehe er
sie lebensgefährlich einsetzt. …. Allerdings hat der Angegriffene, wenn mehrere
wirksame Einsatzmöglichkeiten eines Abwehrmittels zur Verfügung stehen und
ihm hinreichend Zeit zur Auswahl und zur Einschätzung der Gefährlichkeit
bleibt, diejenige Art des Einsatzes zu wählen, die für den Angreifer am wenigsten gefährlich ist (BGH NStZ 1981, 138; 1987, 172). Ob es dem Angekl. möglich
war, für den Messerstich eine minder gefährdete Körperstelle zu wählen, richtet sich
nach der „konkreten Kampflage", also insbesondere nach den Kräfteverhältnissen
der Kontrahenten, der dem Angekl. von S drohenden Gefahr und seiner eigenen Verteidigungsmöglichkeit (vgl. BGH StV 1990, 543; NStZ 1996, 29; BGHR StGB § 32 II
Erforderlichkeit 8). In besonders gelagerten Fällen, in denen der tödliche Einsatz eines Abwehrmittels, insbesondere eines Messers, die einzige erfolgversprechende
Verteidigungsmöglichkeit in bezug auf die Stärke und Gefährlichkeit des Angriffs war,
kann der sofortige schonungslose Einsatz der Waffe gerechtfertigt sein (vgl. BGHSt
27, 336; BGH NStE Nr. 14 zu § 32 StGB; NStZ 1996, 433; BGHR StGB § 32 II Erforderlichkeit 10). Der vorliegende Sachverhalt gab Anlaß zur Prüfung in dieser Richtung.
aus BayObLG NJW 1995, 2646 (s.a. Krey/Heinrich, Strafrecht BT, Bd. 1, Rn. 358 ff.;
Otto, JK (= Jura-Karteikarte) § 32 Nr.20:
Der Angekl. hat die Grenzen der Notwehr überschritten, sein Verhalten war rechtsmißbräuchlich. Besteht zwischen Art und Umfang der aus dem Angriff drohenden
Verletzung und der mit der Verteidigung verbundenen Beeinträchtigung oder Gefährdung des Angreifers ein grobes Mißverhältnis, so ist Notwehr, mag sie auch das
einzige Mittel sein, sowohl aus Rechtsbewährungs- als auch aus Individualschutzgründen unzulässig (vgl. Lenckner in: Schönke/Schröder, StGB, 24. Aufl., § 32 Rdnr.
50 m.zahlr. Nachw. der Rspr. und Lit.). Im vorliegenden Fall war vor allem zu berücksichtigen, daß das Recht zur Benützung einer Parklücke ein verhältnismäßig geringwertiges, auf nur losen Beziehungen vorübergehender Art beruhendes Rechtsgut ist.
Gegenüber seiner Störung ist daher eine Gegenwehr durch eine Verletzung oder
auch nur durch eine erhebliche Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit des Störers ein offensichtlicher Rechtsmißbrauch (so ausdrücklich BayObLGSt 1963, 17/20;
zust. Lenckner, in: Schönke/Schröder § 32 Rdnr. 51; Jescheck, Lehrb. des StrafR
AT, 4. Aufl., S. 312; Roxin, StrafR AT, § 15 Rdnr. 77; s. auch OLG Hamm, NJW
1972, 1826 (1827); Spendel, in: LK, 11. Aufl., § 32 Rdnr. 317). In der angeführten
Entscheidung hat das BayObLG deshalb zu Recht die Drohung, den Störer zu überfahren, um die Freigabe einer Parklücke zu erzwingen, als keine angemessene Verteidigung angesehen, so daß das Verhalten den Tatbestand der versuchten Nötigung
erfüllen könne. War aber schon das mit der konkludenten Drohung des Überfahrens
verbundene Zufahren auf den Zeugen nicht durch Notwehr gerechtfertigt, so kann
eine Rechtfertigung der durch den Anstoß herbeigeführten Körperverletzung, gleichgültig ob diese vorsätzlich oder fahrlässig erfolgte, nicht in Betracht kommen.
aus BGHStE 24, 356, 358 f.:
Auch der Umstand, daß der Angeklagte durch sein vorausgehendes rechtswidriges
Verhalten, nämlich durch seine Verkehrsverstöße und die Fahrerflucht, R. gereizt
und damit, wenn auch nicht in Erwartung solcher Folgen, dessen
hatte, konnte die Wahl des Abwehrmittels nicht in dem Sinne beeinflussen, daß ihm
die Anwendung einer Waffe überhaupt versagt blieb. Er verpflichtete ihn allerdings,
jeden anderen möglichen, weniger gefährlichen Weg zur Abwendung der ihm drohenden Leibesgefahr zu benutzen, also vor allem dem Angriff seines Gegners, wenn
auch nur vorübergehend, auszuweichen, um etwa auf diese Art eine weniger gefährliche Form der Abwehr zu finden. Bot sich jedoch eine solche Ausweichmöglichkeit
nicht mehr und stand eine körperliche Verletzung für ihn unmittelbar bevor, die nur
noch durch einen sofortigen Abwehrakt verhindert werden konnte, so durfte er sich
auch des Dolches bedienen, obwohl er den Angriff durch sein vorausgehendes Verhalten mitverschuldet hatte (…). Der Senat folgt damit der Auffassung, daß in Fällen
einer vorwerfbaren Provokation, bei der der Herausforderer die Möglichkeit des
späteren Angriffs nicht in Rechnung stellt oder gar beabsichtigt, die Verteidigung nur dann als Rechtsmißbrauch gewertet werden darf, wenn und soweit
der Täter dem Angriff ausweichen oder über ein Ausweichen zum Einsatz eines
weniger gefährlichen Verteidigungsmittels gelangen kann. Bietet sich ihm diese Möglichkeit nicht, so bleibt er zu der erforderlichen Verteidigung befugt.
Freilich ist auch hierbei in Fällen der gegebenen Art ein strengerer Maßstab anzulegen als bei Angriffen, zu denen das Opfer keinen ihm vorwerfbaren Anlaß gegeben
hat. Der wirksamen Ausgestaltung des Notwehrrechts in § 53 [heute: § 32] StGB liegt
der Gedanke zugrunde, daß dieses Recht regelmäßig nicht nur dem Schutz des
Angegriffenen, sondern zugleich der Bewährung der Rechtsordnung dient (…).
Wo dieses Allgemeininteresse im Einzelfall weniger nachdrücklich zur Geltung
kommt, weil der Angegriffene selbst durch ein ihm von Rechts wegen vorwerfbares
Verhalten zu der für ihn entstandenen Notlage beigetragen hat, muß er sich, soweit
möglich, auch mit Abwehrhandlungen begnügen, bei denen nicht unbedingt sicher
ist, ob sie den Gegner schon von der Fortsetzung seines Angriffs abhalten; das wirksamere, aber unter Umständen lebensgefährliche Abwehrmittel darf er noch nicht
sogleich zur Anwendung bringen. Solange ihm Schutzwehr Aussicht bieten kann,
darf er nicht zur Trutzwehr übergehen. Dabei wird er geringe Beeinträchtigungen und
Verletzungen hinzunehmen haben (…).
aus BGH NStZ-RR 2002, 205:
Es bedarf dabei keiner Entscheidung, ob die Ansicht des LG zutrifft, der Angekl. habe sich im Zeitpunkt des Messereinsatzes in einer Notwehrsituation befunden. …
dahinstehen, weil dem LG im Ergebnis jedenfalls darin beizupflichten ist, dass der
Angekl. gegenüber einem rechtswidrigen Angriff des Nebenklägers in seinen Verteidigungsrechten eingeschränkt war, weil er die Notwehrlage durch sein vorangegangenes Verhalten selbst schuldhaft herbeigeführt hatte; durch den Messereinsatz überschritt er die Grenzen dieses eingeschränkten Notwehrrechts. …..
Allein aus dem Umstand, dass der Angegriffene seine Lage (mit-)verschuldet hat,
lässt sich allerdings keine allgemeine Aussage ableiten, in welchem Maße er sich im
Vergleich zu einem schuldlos in eine Notwehrsituation Geratenen bei der Abwehr
des Angriffs zurückzuhalten hat. Dies hängt vielmehr von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab. Je schwerer einerseits die rechtswidrige und vorwerfbare Verursachung der Notwehrlage durch den Angegriffenen wiegt, um so mehr Zurückhaltung ist ihm bei der Abwehr zuzumuten; andererseits sind die Beschränkungen des
Notwehrrechts um so geringer, je schwerer das durch den Angriff drohende Übel
einzustufen ist (BGHSt 39, 374 [379] = NJW 1994, 871; BGHSt 42, 97 [101] = NJW
1996, 138 = NStZ 1997, 228; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB 26.
Aufl., § 32 Rn 60).
Die Abwägung zwischen der dem Angekl. durch den Angriff des Nebenkl. danach
drohenden weiteren Verletzung seiner körperlichen Integrität und dem Maß seines
Verschuldens an der Entstehung seiner Notwehrlage ergibt für die Einschränkung
seiner Notwehrbefugnisse folgendes:
Der Angekl. musste zunächst versuchen, dem Angriff des Nebenkl. auszuweichen
(BGHSt 24, 356 [358] = NJW 1972, 1821; BGHSt 42, 97 [100] = NJW 1996, 138 =
NStZ 1997, 228). Konnte er dem Angriff dadurch nicht entgehen, war er zwar nicht
verpflichtet, auf den Einsatz des Messers als Abwehrmittel unter allen Umständen zu
verzichten (vgl. BGHSt 24, 356 [358f.] = NJW 1972, 1821). Denn allein auf Grund
dessen, dass er rechtswidrig und schuldhaft die Ursache für seine Notwehrlage gesetzt hatte, war ihm sein Notwehrrecht nicht vollständig genommen. Vielmehr
war dieses Recht lediglich Beschränkungen unterworfen, die ihrerseits nicht
unbegrenzt andauerten (BGHSt 39, 374 [379] = NJW 1994, 871 mwN). Auch war
sein vorhergegangener Angriff auf die Rechtsgüter der Gastwirtin W nicht so gewichtig, dass er allein deshalb unabhängig von der weiteren Entwicklung der „Kampflage“
unter allen Umständen die weitere Auseinandersetzung mit dem Nebenkl. nur mit
bloßen Händen hätte führen dürfen (vgl. BGHSt 24, 356 [359] = NJW 1972, 1821;
BGHSt 39, 374 [379] = NJW 1994, 871; BGHSt 42, 97 [100] = NJW 1996, 138 =
NStZ 1997, 228). Jedoch war er vor und bei dem Einsatz des Messers zu besonderer Zurückhaltung verpflichtet. Er hatte daher den Messereinsatz zunächst anzudrohen, um dem Nebenkl. das erhöhte Risiko eines weiteren Angriffs aufzuzeigen,
und zwar auch dann, wenn er durch dieses Androhen Zeit für eine effektivere Verteidigung verlor und daher Gefahr lief, zunächst weitere Schläge des Nebenkl. hinnehmen zu müssen. Erst wenn auch dies erfolglos blieb, durfte er das Messer einsetzen,
wenn auch nicht sofort in lebensgefährdender Weise, sondern zunächst nur zur
Schutzwehr. Nur wenn der Nebenkl. auch hierdurch nicht von weiteren Angriffen
abzuhalten war, durfte der Angeklagte zur Trutzwehr übergehen.
aus BGH NJW 1975, 62 f.:
….erhöhter Anforderungen, was das
der Abwehrhandlung angeht, für
den Fall hingewiesen, daß es sich um an sich nicht feindlich Gesinnte desselben Lebenskreises handelt und die gewählte Verteidigung den Tod des Angreifers bedeuten
kann. Er hatte weiter ausgeführt, daß das in vermehrtem Maße unter Ehegatten gelten müsse; ihr besonderes persönliches Verhältnis, ihre Verbundenheit in enger Lebensgemeinschaft und ihre - wenn auch auf beachtenswerte Belange begrenzte Verpflichtung zu verständnisvollem Eingehen und Rücksichtnehmen auf den anderen
könne für die Frage der Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung nicht außer Betracht
bleiben. In dem weiteren Urteil BGH, NJW 1969, 802 war ergänzend dargelegt worden, dieser Gesichtspunkt führe zu der Folgerung, daß sich der angegriffene Ehegatte, sofern ihm der andere nicht nach dem Leben trachte, unter Umständen mit einer milderen Art der Abwehr begnügen müsse, auch wenn diese nur eine starke
Wahrscheinlichkeit der Beendigung des Angriffs in sich schließe.
Auch vom Boden der in diesem Sinne zu verstehenden Rechtsprechung aus war das
Verhalten der Angeklagten nicht mehr durch Notwehr gedeckt. Nach den Urteilsfeststellungen war der getötete Ehemann der Angeklagten körperlich nicht wesentlich
überlegen; beide hatten schon häufiger tätliche Auseinandersetzungen gehabt, und
die Angeklagte brauchte „bei der langjährigen Kenntnis des Verhaltens ihres Ehemannes“ mit schwereren körperlichen Verletzungen ersichtlich nicht zu rechnen. Von
ihr war zu fordern, daß sie sich auf die vom Schwurgericht bezeichneten milderen
Abwehrmittel und einen Einsatz des Messers allenfalls in nicht lebensbedrohlicher
Weise gegen die Extremitäten beschränkte.
Danach kann auf sich beruhen, ob die Angeklagte, die - offenbar nach ihren eigenen
Worten - ihrem Manne „einen Denkzettel verpassen“ wollte, bei dem Messerstich
überhaupt mit Verteidigungswillen handelte.
aus BGHStE 48, 207, 209:
Der Senat stellt allerdings klar, daß in den Fällen der Erpressung, in denen eine Drohung als sog. Dauergefahr zwischen einzelnen Angriffsakten des Täters auf die Willensentschließungsfreiheit des Opfers als gegenwärtig im Sinne des Tatbestands
fortwirkt (vgl. dazu BGHR StGB § 255 Drohung 9; BGH NStZ-RR 1998, 135), eine
Tötung des Erpressers durch sein Opfer in einer von diesem, also dem Opfer gesuchten, vorbereiteten Situation sehr wohl heimtückisch sein kann (siehe etwa BGH
NStZ 1995, 231) und dann auch nicht durch Notwehr gerechtfertigt ist. Sie wäre als
Verteidigung jedenfalls nicht geboten (im Sinne des § 32 Abs. 1 StGB). Dem Opfer
wäre regelmäßig die Inanspruchnahme staatlicher Hilfen zuzumuten (vg. § 154 c
StPO). In solcher Lage würde weder das individuelle Schutzinteresse noch das
Rechtsbewährungsinteresse, die das Notwehrprinzip prägen, eine solche »Verteidigung« tragen (so im Ergebnis auch BGH NStZ 1995, 231).
Art. 2 EMRK - Recht auf Leben
wird gesetzlich geschützt. 2Niemand darf
(1) 1Das
absichtlich getötet werden, außer durch Vollstreckung eines Todesurteils, das ein
Gericht wegen eines Verbrechens verhängt hat, für das die Todesstrafe gesetzlich
vorgesehen ist.
(2) Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie
durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um
a) jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen;
b) jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig
entzogen ist, an der Flucht zu hindern;
c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.
Art. 3 EMRK - Verbot der Folter
Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe
oder Behandlung unterworfen werden.
UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984
Artikel 1
(1) Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck "Folter" jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische
Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder
mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder
einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.
Artikel 2
(1) Jeder Vertragsstaat trifft wirksame gesetzgeberische, verwaltungsmäßige, gerichtliche oder sonstige Maßnahmen, um Folterungen in allen seiner Hoheitsgewalt
unterstehenden Gebieten zu verhindern.
(2) Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr,
innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, dürfen nicht als
Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden.
(3) Eine von einem Vorgesetzten oder einem Träger öffentlicher Gewalt erteilte Weisung darf nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden
Artikel 4
(1) Jeder Vertragsstaat trägt dafür Sorge, dass nach seinem Strafrecht alle Folterhandlungen als Straftaten gelten. Das gleiche gilt für versuchte Folterung und
für von irgendeiner Person begangene Handlungen, die eine Mittäterschaft oder Teilnahme an einer Folterung darstellen.
(2) Jeder Vertragsstaat bedroht diese Straftaten mit angemessenen Strafen, welche
die Schwere der Tat berücksichtigen.
aus BGHStE 42, 301, 305:
Eine
bei einem sterbenden Patienten
wird nämlich nicht dadurch unzulässig, daß sie als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann. … kann
das zu einer Lebensverkürzung führende, den Tatbestand des § 212 oder des § 216
StGB erfüllende Handeln des Arztes jedenfalls nach der Notstandsregelung des § 34
StGB gerechtfertigt sein (…). … Denn die Ermöglichung eines Todes in Würde und
Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen ist ein höherwertiges Rechtsgut als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen (vgl. Kutzer NStZ
1994, 110, 115 und FS für Salger 1995 S. 663, 672).
§ 206 StGB - Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
(1) Wer unbefugt einer anderen Person eine Mitteilung über Tatsachen macht, die
dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegen und die ihm als Inhaber oder Beschäftigtem eines Unternehmens bekanntgeworden sind, das geschäftsmäßig Postoder Telekommunikationsdienste erbringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren
oder mit Geldstrafe bestraft.
§ 404 Aktiengesetz - Verletzung der Geheimhaltungspflicht
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, bei börsennotierten Gesellschaften bis zu
zwei Jahren, oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ein Geheimnis der Gesellschaft,
namentlich ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, das ihm in seiner Eigenschaft als
1. Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats oder Abwickler,
2. Prüfer oder Gehilfe eines Prüfers
bekanntgeworden ist, unbefugt offenbart; ….
aus OLG Düsseldorf NJW 2006, 630 f.:
Die Taten waren nicht durch einen Notstand nach
gerechtfertigt. … Die
Sicherheit des Lufttransports, die durch § 27 IV 1 Nr. 1 LuftVG, § 11 I Nr. 1 LuftSiG
geschützt wird, ist ein anderes Rechtsgut i.S. von § 34 S. 1 StGB. Die aufgedeckten
Sicherheitsmängel mögen auch eine gegenwärtige Dauergefahr (…) für die Sicherheit des Lufttransports gewesen sein. Ob diese Gefahr nicht anders als durch Taten
abwendbar (vgl. BGHSt 48, 255 [260f.] = NJW 2003, 2464 = NStZ 2003, 482) war,
die einen Straftatbestand erfüllten, ist unklar, kann aber offen bleiben. Die konkret
ausgeführten Taten waren jedenfalls nicht gerechtfertigt, weil der Angekl. den angestrebten Erfolg - verbesserte Sicherheitskontrollen - durch geringere Rechtsverletzungen hätte erreichen können.
b) Sicherheitskontrollen finden nur beim Zutritt zu den nicht allgemein zugänglichen
Bereichen auf Flugplätzen statt; vor oder im Flugzeug wird nicht mehr kontrolliert.
Dieser jedem Flugreisenden bekannte Umstand war ein Grund, die „waffenfreie Zone“ des § 27 IV 1 LuftVG durch das 11. Änderungsgesetz zum Luftverkehrsgesetz
(BGBI I 1998, 2432 [2436]) ab März 1999 auf die nicht allgemein zugänglichen Bereiche auf Flugplätzen zu erweitern (BT-Dr 13/9513, S. 31). Der Sicherheitsmangel,
um den es dem Angekl. ging, war demnach aufgedeckt, sobald er die Sicherheitskontrolle am Eingang des nicht allgemein zugänglichen Bereichs mit dem Messer
passiert hatte. An dieser Stelle (zu diesem Zeitpunkt) hätte der Angekl. die Aktion
abbrechen können und müssen. Dass - worauf das LG schon zutreffend hingewiesen
hat - die „journalistische Brisanz“ des späteren Sendeberichts dadurch verstärkt wurde, dass der Angekl. mit dem Messer die Flüge tatsächlich angetreten und beendet
hat, steht außer Frage. Dieser Teil war aber nicht mehr notwendig, um die (unterstellte) Dauergefahr abzuwenden, die der Sicherheit des Lufttransports durch - aus
der Sicht des Angekl. - zu laxe Sicherheitskontrollen drohte. Er hat die Gefahr, die es
nach Ansicht des Angekl. abzuwenden galt, sogar vergrößert, denn es liegt auf der
Hand, dass eine Waffe in der Luft eine größere Bedrohung darstellt als am Boden.
c) … Ein zunächst gerechtfertigtes Dauerdelikt wird demnach rechtswidrig, wenn
und sobald der rechtfertigende Grund wegfällt.
§ 19 LuftsicherheitsG - Strafvorschriften
(1) Wer entgegen § 11 Abs. 1 die dort bezeichneten Gegenstände in Luftfahrzeugen oder in nicht allgemein zugänglichen Bereichen auf Flugplätzen im Handgepäck
mit sich führt oder an sich trägt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit
Geldstrafe bestraft.
(2) Wer die Tat fahrlässig begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bestraft.
§ 11 LuftsicherheitsG- Verbotene Gegenstände
(1) Das Mitführen im Handgepäck oder Ansichtragen von
1. Schuss-, Hieb- und Stoßwaffen sowie Sprühgeräten, die zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken verwendet werden können,
….
in Luftfahrzeugen und in nicht allgemein zugänglichen Bereichen auf Flugplätzen
ist verboten.
aus BGHStE 48, 255, 257 ff.
Die Rechtswidrigkeit der Tat der Angeklagten hat das Landgericht im Ergebnis ebenfalls zu Recht bejaht. Notwehr hat es ausgeschlossen, allerdings die Frage eines
rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) nicht erörtert. Dessen Voraussetzungen
lagen auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen jedoch ersichtlich nicht vor.
Die Annahme eines rechtfertigenden Notstands setzt eine Interessenabwägung
voraus. Diese muß zum Ergebnis haben, daß das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt (§ 34 Satz 1 StGB). Es liegt auf der Hand, daß die
hier in Rede stehenden zu schützenden Rechtsgüter, die körperliche Unversehrtheit der Angeklagten und der gemeinsamen Töchter, das durch die Tat
beeinträchtigte Interesse, nämlich das Leben M. F.s als vernichtetes Rechtsgut,
nicht überwogen. Das Ergebnis der Abwägung würde selbst dann nicht zugunsten
der Angeklagten ausfallen, wenn eine zugespitzte Situation mit akuter Lebensgefahr
für einen Familienangehörigen M. F.s unterstellt würde (vgl. zur sog. Abwägung von
»Leben gegen Leben«: Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 34
Rdn. 30, 31; Rengier NStZ 1984, 21, 22; siehe weiter zur Frage einer Rechtfertigung
der Tötung des sog. »Haus- oder Familientyrannen« in zugespitzten Gefahrensituationen: Lackner/Kühl, StGB 24. Aufl. § 32 Rdn. 4, § 34 Rdn. 9; Roxin, Strafrecht AT 3.
Aufl. § 16 Rdn. 76; …).
4. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hätte die Strafkammer jedoch
die Frage prüfen müssen, ob die Angeklagte in einem entschuldigenden Notstand
gehandelt hat oder etwa über dessen Voraussetzungen – vermeidbar oder unvermeidbar – irrte (§ 35 StGB). Im Falle eines solchen Notstands oder eines unvermeidbaren Irrtums über das Vorliegen entschuldigender Umstände käme ein Freispruch in
Betracht. Bei einem vermeidbaren Irrtum wäre die Strafe obligatorisch nach § 49
Abs. 1 StGB zu mildern; diese Milderung wäre derjenigen nach den Grundsätzen der
Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen wegen Vorliegens außergewöhnlicher Umstände vorgreiflich (vgl. BGH NStZ 1984, 20).
a) Bei Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben des Täters, eines Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person ist eine
rechtswidrige Tat entschuldigt und wird nicht bestraft, wenn die Gefahr nicht anders
als durch die Tat abwendbar war (§ 35 Abs. 1 Satz 1 StGB). Die bisher von der
Kammer getroffenen Feststellungen legen nahe, daß eine derartige gegenwärtige
Gefahr für die Angeklagte und ihre Kinder bestand und eine Entschuldigung der Tat
deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint. Die Strafkammer hätte deshalb auch erwägen müssen, ob eine solche Gefahr anders als durch die Tat abwendbar war. Dazu hätte sie die für diese Bewertung erforderlichen weiteren Feststellungen zu treffen gehabt.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Gefahr im Sinne des § 35 Abs. 1 StGB
ein Zustand, in dem aufgrund tatsächlicher Umstände die Wahrscheinlichkeit des
Eintritts eines schädigenden Ereignisses besteht (vgl. nur BGHSt 18, 271). Dazu
zählt auch eine Dauergefahr, bei der ein länger andauernder gefahrdrohender Zustand jederzeit in einen Schaden umschlagen kann (BGH NJW 1979, 2053, 2054 →
Spanner-Fall; hierzu: Schroeder, JuS 1980, 336 ff. - bitte nachlesen). Insoweit unterscheidet sich der Anknüpfungspunkt des entschuldigenden Notstands, die gegenwärtige
Gefahr, von demjenigen der Notwehr, die einen gegenwärtigen Angriff voraussetzt.
Nach den Urteilsgründen drängte sich hier die Annahme auf, daß die Angeklagte und
ihre Kinder sich in einer von M. F. ausgehenden Dauergefahr für ihre körperliche Unversehrtheit und möglicherweise auch für ihr Leben befanden. Die Gewalttätigkeiten
des Ehemannes gegen die Angeklagte dauerten seit etwa 15 Jahren an. Sie hatten
sich in den Monaten und Tagen vor der Tat ständig gesteigert und schon früher zu
schweren Verletzungen der Angeklagten geführt. Sie richteten sich mittlerweile auch
gegen die gemeinsamen Töchter. Nach den getroffenen Feststellungen lag daher
nahe, daß hier eine an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeit auch zukünftiger
Verletzungshandlungen bestand.
Gegenwärtig ist die Gefahr dann, wenn sich die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nach einem objektiven Urteil aus der ex-ante-Sicht so verdichtet hat,
daß die zum Schutz des bedrohten Rechtsguts notwendigen Maßnahmen sofort eingeleitet werden müssen, um den Eintritt des Schadens sicher zu verhindern. Bei einer Dauergefahr ist eine solche Verdichtung der Gefahr dann anzunehmen, wenn
der Schaden jederzeit eintreten kann, auch wenn die Möglichkeit offen bleibt,
daß der Schadenseintritt noch einige Zeit auf sich warten läßt (BGH NJW 1979,
2053, 2054;…
Auf der Grundlage dieses Maßstabs war die Annahme einer »gegenwärtigen Gefahr« im Sinne des § 35 Abs. 1 StGB hier naheliegend. Diese konnte sich jederzeit
realisieren, auch wenn M. F. im Tatzeitpunkt schlief; er hatte die Angeklagte bereits
in der Vergangenheit aus dem Schlaf heraus und ohne konkreten Anlaß mißhandelt.
Zudem war mit seinem Erwachen und der sofortigen Aufnahme weiteren Streits mit
den allfälligen körperlichen Mißhandlungen zu rechnen. Zur Vermeidung weiteren
Schadenseintritts war deshalb im Grundsatz sofortiges Handeln geboten.
bb) Die Annahme eines entschuldigenden Notstands wäre hier nicht deshalb ausgeschlossen gewesen, weil die Angeklagte die von M. F. ausgehende Gefahr etwa
»selbst verursacht« hätte oder weil ihr aufgrund der Ehe mit diesem die Hinnahme der Gefahr zumutbar gewesen wäre (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 StGB). Eine
»Verursachung der Gefahr« in diesem Sinne kommt nicht deshalb in Betracht, weil
die Angeklagte über Jahre hinweg trotz der Mißhandlungen und Beleidigungen bei
ihrem Ehemann ausgeharrt hatte. Die Ehe mit ihm als solche war angesichts des
Gewichts der langdauernden, wiederkehrenden Mißhandlungen hier kein Rechtsverhältnis, aufgrund dessen der Angeklagten die Hinnahme der Gefahr weiterer, auch
heftiger körperlicher Attacken zuzumuten gewesen wäre.
cc) Danach kann die Frage einer Entschuldigung der Angeklagten davon abhängen,
ob die Gefahr für sie anders – als durch die Tat – abwendbar gewesen wäre. Die
Kammer hat den Sachverhalt nicht unter diesem Gesichtspunkt gewürdigt und dazu
auch keine Feststellungen getroffen. Dies wird nachzuholen sein. Hierzu gilt:
Die Gefahr wäre dann nicht anders als durch die Notstandstat abwendbar gewesen, wenn diese das einzig geeignete Mittel gewesen wäre, der Notstandslage
wirksam zu begegnen (…). Als anderweitige Abwendungsmöglichkeiten kamen hier
ersichtlich die Inanspruchnahme behördlicher Hilfe oder der Hilfe karitativer Einrichtungen in Betracht, namentlich der Auszug der Angeklagten mit den Töchtern aus
dem gemeinsamen Haus und die Übersiedlung etwa in ein Frauenhaus, aber auch
das Suchen von Zuflucht bei der Polizei mit der Bitte um Hilfe im Rahmen der Gefahrenabwehr; letzteres wäre naheliegenderweise mit einer Strafanzeige verbunden
gewesen. Die Angeklagte hat indessen nicht versucht, sich auf diese Weise aus ihrer
bedrängten Lage zu befreien. Unter diesen Umständen könnte die Gefahr nur dann
als nicht anders abwendbar bewertet werden, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte des Einzelfalls die hinreichende Wirksamkeit der Handlungsalternativen von vornherein zweifelhaft gewesen wäre. Denn auch bei Bestehen einer Dauergefahr muß
die Abwehr nicht darauf beschränkt werden, die Gefahr nur hinauszuschieben
(BGHSt 5, 371, 375; BGH NJW 1979, 2053, 2054). Anhaltspunkte dafür, daß die Alternativen zur Abwehr der Gefahr nicht in diesem Sinne wirksam gewesen wären,
können sich etwa daraus ergeben, daß die Behörden trotz Hilfeersuchens und
Kenntnis der Lage in der Vergangenheit nicht wirksam eingeschritten waren und daher ungewiß bleiben mußte, ob sie in der aktuellen Notstandslage nachhaltig eingreifen würden (BGH NJW 1966, 1823, 1824 f.; 1979, 2053, 2054), oder daß mögliche
polizeiliche Hilfe die Notstandslage nicht wirksam hätte beseitigen können (vgl. BGH
GA 1967, 113).
Nach den bisherigen Feststellungen läßt sich nicht verläßlich beurteilen, ob die Angeklagte zur Abwendung der ihr und den Kindern drohenden Gefahr ohne aussichtsreiche, wirksame Handlungsalternative war, wiewohl dies eher fernliegen wird. Auch
wenn im Falle des Auszugs und der Inanspruchnahme von Hilfe Nachstellungen M.
F.s zu besorgen gewesen wären, so bleibt zu bewerten, wie ernst die von diesem
ausgesprochenen Drohungen tatsächlich zu nehmen waren. Schließlich ist im
Grundsatz bei vollständiger Kenntnis des objektiven Sachverhalts davon auszugehen, daß solcherart in Bedrängnis geratenen Familienangehörigen von staatlichen
Stellen und karitativen Einrichtungen auch wirksame Hilfe zuteil wird. Das wird auch
dann gelten, wenn – wie hier – die rechtlichen Möglichkeiten des mittlerweile in Kraft
getretenen Gewaltschutzgesetzes noch nicht bestanden haben, unter dessen Geltung aber zukünftig um so mehr (Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten
und Nachstellungen vom 11. Dezember 2001 – BGBl I 3513). An die Annahme anderweitiger Abwendbarkeit der Dauergefahr sind nicht zuletzt aus normativen
Gründen und zumal dann, wenn die Vernichtung des Rechtsguts Leben in Re-
de steht, keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Dem entspricht die Verpflichtung staatlicher Stellen (der Polizei, aber zum Beispiel auch der Jugendämter)
zum wirksamen Einschreiten. Danach gilt: Die von einem »Familientyrannen« aufgrund seiner immer wiederkehrenden erheblichen Gewalttätigkeiten ausgehende
Dauergefahr für die übrigen Familienmitglieder ist regelmäßig im Sinne des § 35 Abs.
1 StGB anders abwendbar als durch die Tötung des »Tyrannen«, indem Hilfe Dritter,
namentlich staatlicher Stellen in Anspruch genommen wird.
aus BGHStE 45, 219, 221 ff. (= NJW 2000, 885 = NStZ 2000, 30):
In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das Landgericht in der Sterilisation der L. eine tatbestandliche Körperverletzung gesehen
(BGHSt 11,111 f.), die nicht durch eine
der Patientin gerechtfertigt war. Auch eine
, die einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund bilden würde, hat es mit zutreffenden Erwägungen
verneint.
Im Hinblick auf den Vorrang des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist der Inhalt des mutmaßlichen Willens in erster Linie aus den persönlichen Umständen
des Betroffenen, aus seinen individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und
Wertvorstellungen zu ermitteln. Objektive Kriterien, insbesondere die Beurteilung
der Maßnahme als gemeinhin vernünftig und normal sowie den Interessen eines verständigen Patienten üblicherweise entsprechend, haben keine eigenständige Bedeutung, sondern dienen lediglich der Ermittlung des individuellen hypothetischen Willens. Liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß sich der Patient anders entschieden hätte, wird allerdings davon auszugehen sein, daß sein (hypothetischer) Wille mit dem übereinstimmt, was gemeinhin als normal und vernünftig
angesehen wird (BGHSt 35,246, 249 f.; ….
Objektive Kriterien, die Anhaltspunkte für das mutmaßliche Interesse der L. an der
hier vorgenommenen Operationserweiterung bieten könnten, ergeben sich zum einen aus dem Risiko, das die Patientin eingegangen wäre, wenn die Sterilisation überhaupt unterblieben wäre, zum anderen aus der physischen und psychischen Belastung, die gegebenenfalls mit einer weiteren, gesondert erfolgenden Operation
verbunden gewesen wäre. …… so hätte für L. zudem die Möglichkeit bestanden,
eine erneute Schwangerschaft mittels selbstbestimmter kontrazeptorischer Maßnahmen zu verhindern. Eine irreversible Sterilisation, die tief in die Persönlichkeitssphäre der betroffenen Frau eingreift, war daher nicht angezeigt. Eine solche Maßnahme ohne Rücksprache mit der Patientin vorzunehmen, war hier umsoweniger
geboten, als der Verzicht auf eine Operationserweiterung keine nennenswerten
Nachteile für die Frau mit sich gebracht hätte. Vielmehr hätte eine Sterilisation ohne
besondere gesundheitliche Belastungen auch noch später durchgeführt werden können…..
…. Dagegen wird nicht in Frage gestellt, daß eine mutmaßliche Einwilligung als
Rechtfertigungsgrund nur dann in Betracht kommt, wenn ohne einen - sofort oder
später - erfolgenden Eingriff eine erhebliche Gefahr für Leben oder Gesundheit des
Patienten besteht. …..
Sprachen schon objektive Kriterien gegen ein Interesse der L., im Anschluß an den
erfolgten Kaiserschnitt sofort sterilisiert zu werden, so kam noch hinzu, daß die Patientin eine solche Maßnahme vor der Operation ausdrücklich abgelehnt hatte. Zwar
war die Weigerung, den ihr von der Angeklagten B. nahegelegten Eingriff vornehmen
zu lassen, in Unkenntnis der später aufgetretenen Komplikationen erfolgt. Zudem
dürfte die Patientin aufgrund ihres physischen und psychischen Zustandes kaum in
der Lage gewesen sein, eine so weitreichende Entscheidung voll verantwortlich zu
treffen. Mit Recht weist das Landgericht jedoch darauf hin, daß den Ärzten aufgrund
der Befragung zumindest die grundsätzliche Abneigung der jungen Frau gegen eine
Sterilisation bekannt war.
Hält ein Arzt eine Operationserweiterung im Interesse des Patienten für geboten und
nimmt er dabei irrigerweise an, der Betroffene hätte bei vorheriger Befragung seine
Zustimmung gegeben, dann irrt er über das Vorliegen von tatsächlichen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes der mutmaßlichen Einwilligung. Ein solcher Erlaubnistatbestandsirrtum schließt in Analogie zu § 16 StGB vorsätzliches
Handeln aus (BGHSt 11,111, 114; 35, 246, 250 ; BGH JZ 1964, 231). Dagegen liegt
ein Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB vor, wenn der Arzt das fehlende Einverständnis
des Patienten erkennt oder doch zumindest für möglich hält (dolus eventualis), einen
körperlichen Eingriff aber gleichwohl für rechtlich zulässig erachtet, weil ihm dieser
aus medizinischer Sicht sinnvoll und geboten erscheint. In diesem Fall mißachtet er wenn auch wohlmeinend - das dem Patienten grundsätzlich zustehende Selbstbestimmungsrecht (BGHSt 11,111, 114) und irrt damit lediglich über die Grenzen eines
Rechtfertigungsgrundes. Ein solcher Irrtum läßt den Vorsatz unberührt. War er für
den Arzt vermeidbar (was kaum je zweifelhaft sein dürfte), so kann er lediglich strafmildernd wirken (vgl. hierzu Ulsenheimer aaO § 139 Rdn. 59 ff.; kritisch Geppert JZ
1988, 1024, 1028).
aus BGH NStZ-RR 2004, 16, 17 (s.a. Eisele, JA 2005, 252; Geppert JK § 223
Nr.3):
. Zutreffend geht das LG im rechtlichen Ansatz davon aus, dass ärztliche Heileingriffe
nur durch eine von Willensmängeln nicht beeinflusste Einwilligung des Patienten
gemäß § 228 StGB gerechtfertigt sind (BGHSt 16, 309 = NJW 1962, 682). Es hat
daher rechtsfehlerfrei angenommen, dass die durch Täuschung herbeigeführte
Einwilligung - über die Ursache der notwendig gewordenen zweiten Operation unwirksam war, d.h. keine rechtfertigende Wirkung entfalten konnte. ….
2. Soweit die Kammer sich mit einer „mutmaßlichen Einwilligung“ befasst, ist offenkundig eine hypothetische Einwilligung gemeint. Um einen ärztlichen Eingriff,
der dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht, der nicht befragt werden kann, geht es hier erkennbar nicht. …
Die Rechtswidrigkeit entfällt aber, wenn der Patient
bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation
eingewilligt hätte. Der nachgewiesene Aufklärungsmangel kann nur dann zur
Strafbarkeit wegen Körperverletzung… führen, wenn bei ordnungsgemäßer
Aufklärung die Einwilligung unterblieben wäre (…). Dies ist dem Arzt nachzuweisen. Verbleiben Zweifel, so ist nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ zu Gunsten des Arztes davon auszugehen, dass die Einwilligung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erfolgt wäre (BGH, NStZ 1996, 34; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 3. Aufl., Rn 132).
Die Kausalität des Aufklärungsmangels hat das LG offengelassen. Bei der Kausalitätsprüfung ist auf das konkrete Entscheidungsergebnis des jeweiligen Patienten abzuheben. Es kommt nicht darauf an, dass er sich ohnehin hätte operieren
lassen müssen oder dass ein vernünftiger Patient eingewilligt hätte.
aus BGHStE 49, 166, 169 ff. (Einverständliche sadomasochistische Handlungen und § 228 StGB):
Gemäß § 228 StGB ist eine mit Einwilligung der verletzten Person vorgenommenen
Körperverletzung rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten
Sitten verstößt. Der Begriff der »guten Sitten« betrifft weniger außerrechtliche, ethisch-moralische Kategorien. Um dem Gebot der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens zu genügen, muß der Begriff der guten Sitten auf seinen rechtlichen Kern beschränkt werden. Ein Verstoß gegen die Wertvorstellungen einzelner gesellschaftlicher Gruppen oder des mit der Tat befaßten Strafgerichts genügt nicht. Läßt sich
nach rechtlichen Maßstäben die Sittenwidrigkeit nicht sicher feststellen, scheidet eine
Verurteilung wegen eines Körperverletzungsdelikts aus (vgl. BGHSt 49, 34 m.w.N.).
Welche Kriterien im einzelnen als Beurteilungsgrundlage für die Sittenwidrigkeit
der Tat heranzuziehen sind, ist umstritten. Streitig ist vor allem, ob die Tat allein
nach Art und Umfang des Rechtsgutsangriffs zu betrachten ist oder ob bzw. inwiefern auch der mit der Tat verfolgte Zweck oder die zugrundeliegenden Umstände für
das Sittenwidrigkeitsurteil von Bedeutung sind. Nach einer auf das Reichsgericht
zurückgehenden Rechtsprechung und nach einem Teil der Literatur sind der
Zweck sowie die der Tat zugrundeliegenden Ziele und Beweggründe der Beteiligten maßgeblich in die Beurteilung einzubeziehen, auch bzw. gerade dann,
wenn es sich um »unlautere«, d.h. sittlich-moralisch verwerfliche Zwecke handelt
(BGHSt 4, 24, 31; RGSt 74, 91, 94; vgl. auch OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 325,
327; LG Mönchengladbach NStZ-RR 1997, 169, 170; BayObLG NJW 1999, 372, 373
und BayObLGSt 1977, 105, 106 f.; Stree in Schönke/Schröder aaO § 228 Rdn. 8;
Lackner/Kühl, StGB 24. Aufl. § 228 Rdn. 10; Berz GA 1969, 145).
Gegen eine allein oder vorrangig auf den Zweck der Handlung abstellende Betrachtung wird vor allem vorgebracht, daß sie häufig zu unklaren Abgrenzungen führe und
sich zu sehr vom Rechtsgutschutz entferne (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl.
Rdn. 9; Hardtung in MüKo Rdn. 25 jew. zu § 228). Die grundsätzliche Ausrichtung
am Zweckgedanken gebe das vom Gesetz vorgegebene ausschließliche Abstellen
auf die Tat als Bezugspunkt der Sittenwidrigkeit der Sache nach auf, weil sie Gesichtspunkte einbeziehe, die nur die Sittenwidrigkeit der Einwilligung selbst beträfen
(vgl. Hirsch in LK 11. Aufl. § 228 Rdn. 9 und in 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe der Wissenschaft Bd. IV S. 199, 218; Otto in Festschrift für Tröndle S. 157, 168).
Nach neuerer Rechtsprechung und in der Literatur überwiegend vertretener Auffassung ist für die Sittenwidrigkeit der Tat entscheidend, ob die Körperverletzung wegen
des besonderen Gewichts des jeweiligen tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs
unter Berücksichtigung des Umfangs der eingetretenen Körperverletzung und des
damit verbundenen Gefahrengrads für Leib und Leben des Opfers trotz Einwilligung des Rechtsgutsträgers nicht mehr als von der Rechtsordnung hinnehmbar erscheint. Für das Sittenwidrigkeitsurteil im Sinne des § 228 StGB ist demnach grundsätzlich auf Art und Gewicht des Körperverletzungserfolgs und den Grad der möglichen Lebensgefahr abzustellen, weil generalpräventiv-fürsorgliche Eingriffe des
Staates in die Dispositionsbefugnis des Rechtsgutsinhabers nur im Bereich gravierender Verletzungen zu legitimieren sind (vgl. Hirsch in LK aaO § 228 Rdn. 9 und in
BGH-Festgabe S. 199, 219; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 9 zu § 228 StGB; Otto aaO S.
157, 168; Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht als Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts S. 55 f.; Arzt, Willensmängel bei der Einwilligung S. 36 ff.; ähnlich
Frisch in Festschrift für Hirsch S. 485, 487), die in ihrem Gewicht an die in § 226
StGB geregelten erheblichen Beeinträchtigungen heranreichen. Der mit der Tat
verfolgte Zweck ist nach dieser Ansicht für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit
nach § 228 StGB nur ausnahmsweise von Bedeutung, nämlich dann, wenn die
betreffende Körperverletzung für sich allein betrachtet als sittenwidrig anzusehen
wäre, eine solche negative Bewertung aber durch einen positiven oder jedenfalls
einsehbaren Zweck kompensiert wird. Selbst bei schwerwiegenden Rechtsgutsangriffen ist danach der Bereich der freien Disposition des Rechtsgutsinhabers nicht
überschritten, wenn ein positiv-kompensierender Zweck hinzukommt, wie z.B. bei
lebensgefährlichen ärztlichen Eingriffen, die zum Zwecke der Lebenserhaltung vorgenommen werden (vgl. Hirsch aaO § 228 Rdn. 9; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 10).
Teilweise wird in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, eine Güterabwägung vorzunehmen, um die Rechtfertigung eines schweren, mit Einwilligung erfolgten Eingriffs
in die körperliche Integrität zu begründen; insbesondere könne ein höherrangiges
Interesse im Sinne des § 34 StGB beachtlich sein (vgl. etwa Göbel aaO S. 56; Otto
aaO S. 168; Arzt aaO S. 39).
b) In Übereinstimmung mit dem Urteil des 3. Strafsenats vom 11. Dezember 2003
(BGHSt 49, 34), das zum strafbaren Verabreichen von Betäubungsmitteln mit tödlichen Folgen ergangen ist, und der herrschenden Lehre hält der Senat für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Tat nach § 228 StGB vorrangig das Gewicht des jeweiligen tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs und damit ein objektives Kriterium für
ausschlaggebend. Hierbei sind in erster Linie der Umfang der vom Opfer hingenommenen körperlichen Mißhandlung oder Gesundheitsschädigung und der Grad der
damit verbundenen Leibes- oder Lebensgefahr maßgeblich.
aus BayObLG, NJW 1999, 372 f.(Einwilligung in lebensgefährdendes Aufnahmeritual
/ § 228 StGB:
1. Auf rechtliche Bedenken stößt das Urteil des LG insoweit, als es - wie das AG - ohne nähere Erörterung von der Wirksamkeit einer Einwilligung des geschädigten Zeugen J ausgeht. Denn insoweit
wäre zu prüfen gewesen, ob der noch 15jährige Geschädigte einwilligungsfähig war. Die Einwilligungsfähigkeit beurteilt sich nicht nach bestimmten Altersgrenzen oder nach den Regeln, die für die
zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit gelten, sondern nach der tatsächlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit
desjenigen, der sich durch die Einwilligungserklärung des Rechtsschutzes begibt (BGHSt 4, 88 [90] =
NJW 1953, 912; BGHSt 12, 379 [382f.] = NJW 1959, 825; BGHSt 23, 1 [4] = NJW 1969, 1582). Der
Einwilligende muß imstande sein, Wesen, Bedeutung und Tragweite des fraglichen Eingriffs voll zu
erfassen und seinen Willen danach zu bestimmen. Dabei kommt es bei Minderjährigen auf den individuellen Reifegrad an (Lenckner, in: Schönke-Schröder, StGB, 25. Aufl., Vorb. §§ 32ff. Rdnr. 40). Hierzu und auch zu den Vorstellungen des Geschädigten über die möglichen Folgen der mit seiner Einwilligung vorgenommenen Körperverletzungen durch drei Jugendliche mit einer Dauer von 1½ Minuten
hat das LG Feststellungen nicht getroffen. Schon die Tatsache, daß der Geschädigte die Einwilligung
erklärt hat, sich von drei Personen zusammenschlagen zu lassen, spricht eher dafür, daß bei dem
15jährigen eine ausreichende Urteilsfähigkeit zur Bewertung des zugelassenen Eingriffs in seine körperliche Integrität nicht bestand. Der Mangel der Erörterung der Einwilligungsfähigkeit ist allerdings
unschädlich, weil das LG von der Sittenwidrigkeit der Tat nach § 226a StGB a.F. ausgegangen ist.
Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob die Einwilligung des Geschädigten (insbesondere zur Fortsetzung des „Aufnahmerituals“) ernsthaft und freiwillig erteilt wurde oder
möglicherweise durch einen von solchen Gangs in derartigen Situationen ausgehenden
psychologischen Druck beeinflußt wurde. Für letzteres könnte der Versuch des Geschädigten zur Vereinbarung nur eines Scheinkampfes sprechen. Nach Ablehnung dieses Vorschlags durch die Angekl. könnte sich J bereits (373)
so sehr in die Situation verstrickt gehabt haben, daß er aus Angst vor dem Vorwurf der Feigheit es
nicht mehr wagte, von dem vorgesehenen Aufnahmeritual Abstand zu nehmen.
2. Eine abschließende Klärung der Rechtswirksamkeit einer Einwilligung ist jedoch nicht erforderlich,
weil die Tat selbst bei Vorliegen einer wirksamen Einwilligung des Verletzten gegen die guten Sitten
verstößt (§ 226a StGB a.F., § 228 StGB n.F.). Eine Körperverletzung ist nämlich trotz Einwilligung des
Verletzten sittenwidrig, wenn sie auch bei grundsätzlicher Anerkennung des Verfügungsrechts über
die eigene Körperintegrität nach Ziel, Beweggründen, Mittel und Art der Verletzung gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt und ihr deshalb die rechtliche Billigung nach
der für das Zusammenleben grundlegenden Ordnung zu versagen ist (BGHSt 4, 88 [91] = NJW 1953,
912; BayObLG, JR 1978, 296f.; OLG Hamm, JMBlNW 1964, 128f.).
Das ist hier der Fall. Die „Aufnahmeprüfung“ bestand - was von vornherein auch vorgesehen und von
den „Prüfern“ auch so gewollt war - aus vielfachen brutalen, hemmungs- und rücksichtslosen Schlägen und Tritten, die selbst dann noch fortgesetzt werden sollten und wurden, als der „Prüfling“ schon
auf dem Boden lag. Dabei wurden auch Schläge und Tritte gegen den Kopf geführt. Es ist für jeden
vernünftigen Menschen ohne weiteres klar, daß vor allem durch auf solche Weise zugefügte Kopfverletzungen schwerste Schädigungen, ja sogar der Tod des Opfers, eintreten können. Die für den „Prüfling“ bestehende akute und schwerwiegende Gefahr wurde auch nicht dadurch in relevanter Weise
vermindert, daß er sich gegen die Angreifer wehren und jederzeit den Abbruch des Vorgangs verlangen durfte. Denn seine Abwehrchancen waren angesichts der dreifachen Überlegenheit der Angreifer
gering. Bis zur Äußerung des Wunsches auf Abbruch der Schlägerei konnten ihm bereits so viele und
schwere Verletzungen zugefügt worden sein, daß er möglicherweise gar nicht mehr (frei) entscheiden
konnte, ob er den Abbruch oder eine Fortsetzung wünschte.
Unter diesen vom LG festgestellten Umständen steht die Tat der Angekl. in Widerspruch zu sozialethischen Wertvorstellungen. Der jugendliche Geschädigte wird durch die Handlungsweise der Angekl. zum Objekt herabgewürdigt und der Gefahr schwerer gesundheitlicher Schäden ausgesetzt. Die
konkreten Folgen der festgestellten Handlungen der Angekl. waren für die Beteiligten nicht vorhersehbar. Die Gefährlichkeit der Schläge und Tritte schloß schwerste Verletzungen nicht aus. …
Das sozialethische Unwerturteil über die Tat entfällt auch nicht deshalb, weil die körperliche Auseinandersetzung nach den Regeln beurteilt werden könnte, die für sportliche Kämpfe mit Verletzungsgefahr gelten.
Auch wenn entgegen Schmidt (JZ 1954, 369) die Anerkennung einer körperlichen Auseinandersetzung als Sportkampf nicht notwendig von der Einschätzung des Deutschen Sportbunds oder einer
anderen Fachorganisation abhängig sein kann (Hirsch, in: LK, 10. Aufl., § 226a Rdnr. 12), so fehlen
der hier vorgenommenen Schlägerei doch alle Kriterien, sie als Sport bewerten zu können. Denn die
hier dem Opfer abverlangte Mitwirkung bei einer Auseinandersetzung war nicht auf einen Wettbewerb
oder auf ein jugendtypisches Messen der körperlichen Kräfte gerichtet, sondern unmittelbar auf eine
massive Körperverletzung. Der Bewerber für die Aufnahme in die Jugendgang sollte sich „zusammenschlagen“ lassen. Die mit dem Opfer getroffene Abrede enthält außerhalb der Zeitbestimmung und der
Möglichkeit, den Abbruch der Schläge zu verlangen, keine Regelungen über die Art des körperlichen
Angriffs oder Begrenzungen der Schläge auf bestimmte Körperteile. Der Annahme eines sportlichen
Kampfes widerspricht weiter der Umstand, daß das Ausmaß der herbeigeführten Verletzungen nicht
abschätzbar war und zudem zur Verhütung schweren Schadens keinerlei Vorkehrungen getroffen
waren (vgl. BGHSt 4, 88 [92] = NJW 1953, 912). Hinzu tritt weiter, daß die Abrede eine grundsätzliche
Überlegenheit der Angekl. gegenüber dem Opfer aufgrund ihrer Zahl vorsah. Die Verteidigungsmöglichkeiten bei drei Angreifern waren von vorneherein außerordentlich beschränkt.
Das verfahrensgegenständliche Ritual unterscheidet sich damit grundsätzlich von Sportkämpfen der
verschiedensten Art, weil hierfür eine gewisse Chancengleichheit und realistische Verteidigungsmög-
lichkeiten kennzeichnend sind (vgl. OLG Hamm, JMBlNW 1964, 129). Es bedarf hier keiner Erörterung, inwieweit Sittenwidrigkeit einer vorsätzlichen Körperverletzung selbst dann vorliegen kann, wenn
derartige sportliche Kriterien - wie etwa bei der studentischen Schlägermensur - erfüllt sind.
Die Sittenwidrigkeit der Tat entfällt auch nicht dadurch, daß ihr Zweck sie in ein positives Licht stellen
könnte. Eine sinnvolle gedankliche Verbindung zwischen der erstrebten Teilnahme an einer Jugendgang und dem hier vorgesehenen auf bloße Gewaltanwendung reduzierten Aufnahmeritual ist nicht
herzustellen. Zwar sind „Mutproben“ in jugendlichen Gruppierungen nicht selten. Sie bergen auch in
vielen Fällen das Risiko schwerer körperlichen Verletzungen. Das besondere der vorliegenden Fallgestaltung ist jedoch, daß die Aufnahmebedingungen einerseits die menschenunwürdige Unterwerfung des Bewerbers unter eine für ihn nicht bestimmbare Gefährdung verlangen, andererseits den
Mitgliedern der Gang eine unbegrenzte willkürliche und brutale Verletzung des Bewerbers ermöglichen sollen.
Im übrigen ist der Hinweis der Revision, solche Rituale seien „nicht nur jugendtypisch“, sondern
durchzögen „die gesamte Kulturgeschichte der Menschheit“, kein schlüssiges Argument gegen die
Sittenwidrigkeit der hier vorliegenden Gewalttat.
Beschneidung eines Minderjährigen aus rituellen Gründen
§ 223 StGB
I. Tatbestand: [+]
Körperverletzung: (+) → Gesundheitsbeschädigung infolge Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit
(kein - nach h.L. tatbestandsloser - ärztlicher Heileingriff, da nicht medizinisch indiziert / keine Tatbestandslosigkeit infolge Sozialadäquanz)
II. Rechtswidrigkeit: idR [+]
ggf. gerechtfertigt durch Einwilligung:
(1) des Betroffenen:
(a) Frage der Einwilligungsfähigkeit (idR fehlendes Einschätzungsfähigkeit der Tragweite
[Zuordnung zu Religionsgemeinschaft] / Anknüpfen an Religionsmündigkeit [14 J. gemäß G
über religiöse Kindererziehung von 1921]: sehr zw.)
(b) sofern Einwilligungsfähig: Einwilligung wirksam (keine Sittenwidrigkeit iSv § 228 StGB
mangels Gewicht/Gefährlichkeit des Eingriffs 2 )
(2) der Eltern als gesetzliche Vertreter:
(a) grundsätzlich vertretungsbefugt infolge elterlichen Sorgerechts (§§ 1626 I, 1629 I BGB)
(b) aber: Einwilligung der Eltern unwirksam infolge Missbrauchs des elterlichen Sorgerechts
(mangels medizinischer Indikation nicht am Kindeswohl orientiert/ keine Legitimation aus
2
Anders bei Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane, die ohnehin regelmäßig ohne wirksame Einwilligung der betroffenen Frauen durchgeführt werden.
Art. 6 I GG (Pflicht-Recht) sowie Art 4 I II GG: verfassungsimmanente Schranke aus Art. 2 II
(Körperintegrität] und 1 I iVm 2 I GG [allg. Persönlichkeitsrecht] des Kindes)
Hierzu:
- LG (Z) Frankenthal, MedR 2005, 243 ff.
- Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, NStZ 2008, 313 ff. (Heft 6)
- Putzke, Die strafrechtliche Relevanz der Bescheidung von Knaben. Zugleich ein Beitrag
über die Grenzen der Einwilligung in Fällen der Personensorge, in: Herzberg-Festschrift,
2008, S. 669 ff.
- zum verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis von staatlichen (Verbots)Gesetzen und der
Religionsfreiheit s.a. BVerfGE 104, 337, 353 ff. (TierschutzG/Schächten); BVerfGE 32, 98
ff. (zur religiös bestimmten unterlassenen Hilfeleistung iSv § 323c StGB);
weitere Beispiele (Lehrerin-Kopftuch/ Teilnahme am gemeinsamen Sport- oder Sexualkundeunterricht/elektronisch verstärkter Muezzin-Ruf) zu möglichen Grenzen der Religionsausübungsfreiheit bei Kokott, in: Sachs, Grundgesetz, 4. Aufl., 2007, Art. 4 Rn. 54 ff.
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