Haftungsfalle beim Betriebsübergang

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Haftungsfalle beim Betriebsübergang
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte am 22. Oktober 2009 zum Aktenzeichen 8 AZR 766/08 über einen
Sachverhalt zu entscheiden, bei dem zwischen den Prozessparteien streitig war, ob ein Betriebsübergang
stattgefunden hatte oder eine Betriebsstilllegung erfolgt war. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt
zugrunde:
Ein Metzgereibetrieb mit Ladengeschäft, Mittagstisch und Partyservice war in finanzielle Notlage geraten.
Am 29. Juli 2005 war über das Vermögen des Inhabers das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der
Inhaber hatte allerdings schon zuvor am 16. Juli 2005 den Betrieb der Metzgerei eingestellt.
Der Insolvenzverwalter hat sämtliche Arbeitsverhältnisse unter Einhaltung der in § 113 InsO erwähnten
Frist von drei Monaten gekündigt, so dass die Arbeitsverhältnisse mit Ablauf des 31. Oktober 2005 geendet
hätten. Das Mietverhältnis über die Räumlichkeiten, in denen die Metzgerei betrieben worden war, wurde
zum 21. Juli 2005 aufgelöst.
Am 1. September 2005, also nach etwa 1 ½ Monaten, hat ein neuer Pächter die Räumlichkeiten und auch
einen Teil des Inventars übernommen und dort ebenfalls eine Metzgerei mit Partyservice betrieben. Er hat
sieben der in der ehemaligen Metzgerei beschäftigten Arbeitnehmer eingestellt und für eine Übergangszeit
den Namen des Betriebes fortgeführt sowie die ehemalige Telefon- und Telefaxnummer weiter genutzt. In
Bezug auf die vom Insolvenzverwalter gekündigten Arbeitnehmer, die der neue Geschäftsinhaber nicht
übernommen hatte, wurde er von Seiten der Agentur für Arbeit in Regress genommen. Die Agentur für
Arbeit hatte bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Arbeitslosengeld nach § 143 Abs. 3 SGB III gezahlt. Dieses
verlangte sie von dem neuen Inhaber der Metzgerei erstattet, weil sie sich auf den Standpunkt stellte, dass
ein Betriebsübergang gem. § 613 a BGB stattgefunden habe, so dass der neue Inhaber als
Betriebserwerber in alle Rechte und Pflichten aus den ehemals bestehenden Arbeitsverhältnissen
eingetreten sei.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat die Klage der Agentur für Arbeit abgewiesen. Das Hessische
Landesarbeitsgericht hat der Agentur für Arbeit in der Berufungsinstanz insoweit Recht gegeben, dass ein
Betriebsübergang stattgefunden habe. Das BAG hat dies in letzter Instanz bestätigt.
Es hat ausgeführt, dass sich die Betriebsstilllegung und ein Betriebsübergang ausschließen. Unter einer
Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern bestehenden
Produktionsgemeinschaft zu verstehen. Es kommt insoweit ganz entscheidend darauf an, dass eine
Betriebsstilllegung erst abgeschlossen ist, wenn die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer auch wirklich
beendet sind.
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Armin Rudolf [email protected]
Diese Voraussetzung war im hier vom BAG entschiedenen Fall nicht gegeben. Die Arbeitsverhältnisse
sollten zum 31. Oktober 2005 enden. Die neue Metzgerei nahm ihre Tätigkeit in den alten
Geschäftsräumen schon zum 1. September 2005 auf. Insoweit ist folgendes zu beachten:
Wenn es nach einer faktischen Einstellung des Betriebs – wie hier zum 16. Juli 2005 – aber vor Ablauf der
Kündigungsfristen zu einem Betriebsübergang kommt, dann tritt der Betriebserwerber gem. § 613 a Abs. 1
Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten aus den noch bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Dies gilt – so
das BAG in dem am 22. Oktober 2009 entschiedenen Fall – auch in der Insolvenz.
Ein Betriebsübergang im Sinne des § 613 a Abs. 1 BGB liegt nach der mittlerweile ständigen
Rechtsprechung des BAG vor, wenn ein neuer Rechtsträger eine wirtschaftliche Einheit unter Wahrung
ihrer Identität fortführt. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit unter Wahrung ihrer Identität übergegangen
ist, sind sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen zu berücksichtigen. Zu diesen
Tatsachen zählen insbesondere die Art des betreffenden Betriebs, der Übergang materieller Betriebsmittel
wie Gebäude und bewegliche Güter sowie deren Wert und Bedeutung, die Übernahme der immateriellen
Betriebsmittel und der vorhandenen Organisation, der Grad der Ähnlichkeit mit der Betriebstätigkeit des
bisherigen Inhabers, die Weiterbeschäftigung der Hauptbelegschaft, der Übergang von Kundschaft, von
Lieferanten
und
Kundenbeziehungen
sowie
die
Dauer
einer
eventuellen
Unterbrechung
der
Betriebstätigkeit. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führte zur Annahme eines
Betriebsübergangs.
Der neue Inhaber der Metzgerei übernahm materielle Güter wie die Einrichtung des Verkaufsraums. Er
übernahm auch immaterielle Güter wie den Namen und die Telefon- und Telefaxnummer. Auch Kunden hat
er übernommen. Zudem hat er einen Großteil der ehemaligen Beschäftigten des Vorgängerunternehmens
eingestellt. Die gut sechswöchige Unterbrechung des Betriebs während der Sommerzeit hatte das
Hessische Landesarbeitgericht in zweiter Instanz als keine die Betriebsidentität beeinträchtigende Zäsur
angesehen, weil diese kaum von ausgedehnten Betriebsferien zu unterscheiden gewesen sei.
Obwohl also der frühere Inhaber und der Betriebserwerber zu keiner Zeit über den Verkauf des Geschäfts
verhandelt
haben,
sieht
die
arbeitsgerichtliche
Rechtsprechung
einen
Betriebsübergang
durch
Rechtsgeschäft im Sinne des § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB als gegeben an. Zur Begründung wird darauf
verwiesen, dass es keiner unmittelbaren rechtsgeschäftlichen Vereinbarung zwischen dem bisherigen und
dem neuen Betriebsinhaber bedarf. Es reicht vielmehr, wenn die betriebliche Fortführungsmöglichkeit durch
mehrere Rechtsgeschäfte erlangt wird. Im vorliegenden Fall fiel die Mietsache aufgrund der Vereinbarung
vom 21. Juli 2005 (Auflösung des Mietverhältnisses, s. o.) mit Wirkung zum 19. Juli 2005 an den Vermieter
zurück. Dieser überließ sie aufgrund eines neuen Mietvertrages dem neuen Inhaber der Metzgerei.
Entsprechend verhielt es sich mit den Gegenständen des beweglichen Anlagevermögens.
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Armin Rudolf [email protected]
Tipp für Arbeitgeber:
Der geschilderte Fall zeigt, dass die Gefahr eines Betriebsübergangs und der damit verbundenen
Haftungsrisiken gegenüber den Arbeitnehmern des früheren Geschäftsinhabers und auch gegenüber der
Agentur für Arbeit, wenn diese Leistungen erbracht hat, auch dort lauern können, wo man sie nicht auf den
ersten Blick vermuten würde. Unternehmer sollten daher zumindest ein gewisses Problembewusstsein in
diesem Bereich entwickeln. Wenn dieses letztlich dazu führt, vermeintliche „Schnäppchen“ im Vorfeld einer
unternehmerischen Entscheidung arbeitsrechtlich von einem Spezialisten überprüfen zu lassen, so können
nicht unerhebliche Haftungsrisiken vermieden werden.
Armin Rudolf
Fachanwalt für Arbeitsrecht
RITTER GENT COLLEGEN
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Armin Rudolf [email protected]
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