Höhere Mathematik IV Universität Stuttgart, SS 2010 Prof. Dr. M. Griesemer Inhaltsverzeichnis 1 Innenprodukträume und Orthonormalbasen 2 2 Konvergenz trigonometrischer Reihen 5 3 Wärmeleitung im Kreisring und schwingende Saite 9 4 Lebesguesche Integrationstheorie 13 5 Lp -Räume 18 6 Fouriertransformation und Schwartzraum 21 7 Distributionen 25 8 Sobolev-Räume 34 9 Mannigfaltigkeiten 35 1 1 Innenprodukträume und Orthonormalbasen Sei V ein Vektorraum über K (K = R oder K = C). Ein Skalarprodukt in V ist eine Abbildung V × V → K, (x, y) 7→ hx, yi mit (S1) hx, y + zi = hx, yi + hx, zi und hx, λyi = λhx, yi für alle x, y, z ∈ V, λ ∈ K, (S2) hy, xi = hx, yi, (S3) hx, xi > 0 für x 6= 0. Ein Vektorraum versehen mit einem Skalarprodukt heißt Innenproduktraum. Aus (S1) und (S2) folgt hx + y, zi = hx, zi + hy, zi hλx, yi = λ̄hx, yi. Im Fall K = R, dann gilt hx, yi = hy, xi und das Skalarprodukt ist bilinear. Theorem p 1.1 (Schwarzsche Ungleichung). Sei V ein Innenproduktraum und sei kxk := hx, xi. Dann gilt für alle x, y ∈ V |hx, yi| ≤ kxkkyk und Gleichheit gilt genau dann, wenn x und y linear abhängig sind. Zwei Vektoren x, y eine Innenproduktraums V heißen orthogonal, in Zeichen x ⊥ y, wenn hx, yi = 0. Lemma 1.2 (Satz von Pythagoras). Ist V ein Innenproduktraum und sind x1 , . . . , xN ∈ V paarweise orthogonal, dann gilt N N X 2 X xk = kxk k2 . k=1 k=1 Sei V ein Innenproduktraum über K. Eine Familie von N Vektoren {e1 , . . . , eN } ⊂ V oder eine Folge (en )n≥0 in V heißt Orthonormalsystem (ONS), wenn ( 1 k = `, hek , e` i = δk` = 0 k 6= `. 2 Lemma 1.3. Sei {e1 , . . . , eN } ⊂ V ein endliches Orthonormalsystem des Innnenproduktraums V über K. Dann gilt für alle x ∈ V , x− N X hek , xiek ⊥ [e1 , . . . , eN ] k=1 PN und k=1 hek , xiek heißt orthogonale Projektion von x auf [e1 , . . . , eN ] := P { λk ek | λk ∈ K}. Satz 1.4 (Approximationssatz). Sei V ein Innenproduktraum und {e1 , . . . , eN } ⊂ P V ein endliches Orthonormalsystem. Dann ist N k=1 hek , xiek die beste Approximation von x durch einen Vektor aus [e1 , . . . , eN ]. Genauer, für alle λ1 , . . . , λN ∈ K gilt N N X X λk ek , hek , xiek ≤ x − x − k=1 k=1 und Gleichheit gilt nur wenn λk = hek , xi für alle k. Eine Folge (xk ) des Innenproduktraums V konvergiert gegen x ∈ V , in Zeichen P limk→∞ xk = x, falls limk→∞ kxk − xk = 0. Eine Reihe ∞ k=0 xk mit Gliedern xk ∈ V heißt konvergent mit Summe s, in Zeichen s= ∞ X xk , k=0 falls limN →∞ ks − PN k=0 xk k = 0. Satz 1.5. Sei (ek )k≥0 ein ONS, endlich oder unendlich, des Innenproduktraum V . Dann gilt für alle x ∈ V die Besselsche Ungleichung: X |hek , xi|2 ≤ kxk2 , k≥0 und Gleichheit gilt genau dann, wenn x = P k≥0 hek , xiek . Sei V ein Innenproduktraum über K. Ein ONS (ek )k≥0 in V heißt Orthonormalbasis (ONB), falls für alle x ∈ V , X x= hek , xiek . (1) k≥0 Die Koeffizienten hek , xi heißen Fourierkoeffizienten und die Reihe in (1) heißt Fourierreihe von x bez. der ONB (en )n≥0 . Da die Gleichheit (1) nach Satz 1.5 äquivalent ist zu X |hek , xi|2 = kxk2 k≥0 3 P und weil die Summe der Reihe k≥0 |hek , xi|2 unabhängig ist von der Reihenfolge der Glieder, bleibt eine ONB auch nach Umnummerierung der Basisvektoren eine ONB. Korollar 1.6. Sei (en )n≥0 eine ONB des Innenproduktraums V . Dann gilt für alle x, y ∈ V die Parseval-Identität: X hx, yi = hek , xihek , yi. k≥0 4 2 Konvergenz trigonometrischer Reihen Die Fourierreihe einer stetigen Funktion f : [0, 2π] → C, Z 2π ∞ X 1 ikx e−ikx f (x)dx ck e , ck := 2π 0 k=−∞ (2) konvergiert im quadratischen Mittel gegen f , trotzdem kann sie an unendlich vielen Stellen divergieren! (Wloka: Funktionalanalysis und Anwendungen.) In diesem Kapitel diskutieren wir notwendige und hinreichende Bedingungen für punktweise und gleichmäßige Konvergenz. Periodizität von sN PN ikx Die Partialsummen sN (x) := stellen 2π-periodische Funktionen k=−N ck e dar: sN (x + 2π) = sN (x), für alle x ∈ R. Wenn für ein gegebenes x ∈ R der Limes s(x) = limN →∞ sN (x) existiert, dann existiert daher auch s(x + 2π) und s(x + 2π) = s(x). Also ist f (2π) = f (0) eine notwendige Bedingung für f = s auf [0, 2π]. Jede solche Funktion lässt sich 2π-periodisch fortsetzen durch f (x + 2πn) := f (x) für x ∈ [0, 2π] und n ∈ Z. Zwar ist diese Fortsetzung für jede Funktion f : [0, 2π) → R möglich, die Fortsetzung ist aber unstetig bei Vielfachen von 2π, wenn limx→2π f (x) 6= f (0). Berechnung von sN Z 2π N X 1 −ikt sN (x) = e f (x)dt eikx 2π 0 k=−N ! Z 2π X N 1 ik(x−t) = e f (t)dt 2π 0 k=−N Z 2π 1 = DN (x − t)f (t)dt, 2π 0 mit dem Dirichletschen Kern DN (t) := N X k=−N eikt 1 sin(N + 2 )t , t 6∈ 2πZ sin 2t = 2N + 1, t ∈ 2πZ. Für später notieren wir die Eigenschaften: 5 (3) (1) DN ist 2π-periodisch, (2) DN (−t) = DN (t), R 2π 1 (3) 2π DN (t)dt = 1. 0 -Π Π Der Dirichletkern für N = 10 Lemma 2.1. Ist f : R → C stückweise stetig und 2π-periodisch, dann gilt für alle a ∈ R: Z 2π+a Z 2π f (x)dx = f (x)dx. a 0 Lemma 2.2 (Riemannsches Lemma). Ist g : [a, b] → C stückweise stetig, dann gilt: Z b lim g(t) sin(λt) dt = 0. λ→∞ a Eine Funktion f : R → C heißt stückweise glatt, wenn sie in jedem endlichen Intervall [a, b] stückweise glatt ist. D.h. wenn eine Zerlegung a = x 0 < x 1 < . . . < xn = b von [a, b] existiert, so dass f auf jedem Teilintervall (xk−1 , xk ) stetig differenzierbar ist und sowohl f als auch f 0 einseitige Grenzwerte an den Rändern xk−1 und xk hat. Theorem 2.3. Ist f : R → C 2π-periodisch und stückweise glatt, dann gilt lim N →∞ N X k=−N ck eikx = 1 (f (x+) + f (x−)) 2 wobei ck in (2) definiert ist. Theorem 2.4. Sei f : R → C 2π-periodisch und stückweise glatt. Dann gilt: 6 (a) Ist f stetig in jedem Punkt des kompakten Intervalls [a, b], dann konvergiert die Fourierreihe von f auf [a, b] gleichmäßig gegen f . (b) Ist f überall stetig, dann konvergiert die Fouriereihe von f absolut und gleichmäßig gegen f . Satz 2.5 (Gibbs 1899). Sei f : R → C 2π-periodisch und stückweise glatt mit einer Sprungstelle bei x = a. Sei f˜(a) := (f (a+) + f (a−))/2. Dann gilt π ˜(a) ≥ c|f (a±) − f˜(a)| + o(1), sn a ± (N → ∞) − f N + 21 wobei 2 c= π Z 0 π sin t dt = 1.1789 . . . t 1 - Π2 Π 2 Gibbssches Phänomen am Beispiel von s19 der Signumfunktion. Das Gibbssche Phänomen lässt sich vermeiden indem man f nicht durch sN approximiert, sondern durch das arithmetische Mittel (Cesaro-Mittel) N N X 1 X |k| ikx sM (x) = σN (x) = ck e . 1− N + 1 M =0 N +1 k=−N Aus der Darstellung (3) für sN folgt Z 2π N 1 X 1 DM (x − t)f (t) dt σN (x) = N + 1 M =0 2π 0 Z 2π 1 = KN (x − t)f (t) dt 2π 0 wobei 2 N sin(N + 1) 2t 1 X 1 DM (t) = KN (t) := N + 1 M =0 N +1 sin 2t als Féjer-Kern bezeichnet wird. Wie für den Dirichlet-Kern gilt 7 (1) KN ist 2π-periodisch, (2) KN (−t) = KN (t), R 2π 1 KN (t)dt = 1. (3) 2π 0 -Π Π Der Féjerkern für N = 9 Der entscheidende Unterschied zum Dirichlet-Kern ist, dass KN (t) ≥ 0 für alle t. Daraus folgt die Ungleichung sup |σN (x)| ≤ sup |f (x)| x x und somit die Abwesenheit eines Gibbsschen Phänomens. Im quadratischen Mittel bleibt aber sN die beste Approximation von f in der Form eines trigonometrischen Polynoms N -ten Grades. 8 3 Wärmeleitung im Kreisring und schwingende Saite Wärmeleitung im Kreisring Die Wärmeleitung in einem Drahtring parametrisiert durch den Winkel x ∈ R mit anfänglicher Temperaturverteilung f : R → R, f (x + 2π) = f (x), wird beschrieben durch 2 ∂t u(x, t) = ∂x u(x, t), x ∈ R, t > 0, (4) u(x + 2π, t) = u(x, t), u(x, 0) = f (x), x ∈ R, u(x, t) = Temperatur oder innere Energie bei x zur Zeit t. Vermutungen über die Lösung: 1. Temperaturunterschiede werden ausgeglichen, d.h. falls f (x) ≥ 0 für alle x, dann sollte u(x, t) ≥ 0 für alle x, t und Z 2π 1 lim u(x, t) = f (x)dx. t→∞ 2π 0 2. Energieerhaltung: Z 2π Z 2π u(x, t)dx = f (x)dx, 0 für alle t > 0. 0 Sei u eine Lösung von (4), dann gilt in der Tat Z Z 2π d 2π u(x, t)dx = ∂t u(x, t)dx dt 0 0 Z 2π 2π = ∂x2 u(x, t)dx = ∂x u(x, t) = 0. 0 0 Berechnung der Lösung: Sei u(x, t) eine Lösung von (4). Wir versuchen u aus f zu berechnen. Es gilt u(x, t) = ∞ X cn (t)einx , n=−∞ 1 cn (t) = 2π Z 2π u(x, t)e−inx dx. 0 9 Daraus folgt Z 2π d 1 cn (t) = ∂t u(x, t)e−inx dx dt 2π 0 Z 2π 1 ∂x2 u(x, t)e−inx dx = 2π 0 Z 2π p.I. 1 = u(x, t)(−n2 )e−inx dx = −n2 cn (t). 2π 0 2 Somit ist cn (t) = e−n t cn (0) und wir erhalten die Lösung ∞ X u(x, t) = 2 e−n t cn (0)einx , (5) n=−∞ 1 cn (0) = 2π 2π Z f (y)e−iny dy. (6) 0 Um die Vermutungen zu prüfen setzen wir (6) in (5) ein und erhalten u(x, t) = ∞ X −n2 t e n=−∞ = 1 2π 1 2π Z 2π f (y)ein(x−y) dy 0 2π Z Gt (x − y)f (y)dy, (7) 0 mit der Green’schen Funktion Gt (x) := ∞ X 2 e−n t einx , t > 0, n=−∞ r ∞ π X −(x+2πn)2 /4t = e , t n=−∞ wobei wir die Summationsformel von Poisson benutzt haben. Aus diesen beiden Darstellungen von Gt (x) folgt (i) Gt (x + 2π) = Gt (x) (ii) Gt (−x) = Gt (x) R 2π 1 (iii) 2π Gt (x)dt = 1 0 (iv) 0 ≤ Gt (x) ≤ Gt (0) Wobei (v) Gt (x) = 1 + 2 P∞ n=1 2 t→∞ e−n t cos(nx) −→ 1, gleichmäßig bezüglich x. 10 Für f ≥ 0 gilt nach (iv) 1 u(x, t) = 2π 2π Z Gt (x − y)f (y)dy ≥ 0. 0 Aus (v) folgt 1 lim u(x, t) = t→∞ 2π und aus (iii) folgt Z 2π Z u(x, t)dx = 0 2π 0 2π Z f (y)dy, 0 Z 2π 1 Z 2π 1 Gt (x − y)dx f (y) = dyf (y). dy 2π 0 2π 0 Schwingende Saite Die Auslenkung u(x, t) einer bei x = 0 und x = L eingespannten Saite muss die Gleichungen ( c−2 ∂t2 u(x, t) = ∂x2 u(x, t), 0 < x < L, t > 0, u(L, t) = 0 = u(0, t), t > 0. erfüllen. Ausserdem hängt u(x, t) von Ausgangsform und Ausgangsgeschwindigkeit der Saite ab: u(x, 0) = f (x), ∂t u(x, 0) = g(x). Aufgrund der Randbedingung entwickeln wir nach sin-Funktionen u(x, t) = ∞ X cn (t) sin n=1 2 cn (t) = L Sei kn = πn . L Z nπx L L u(x, t) sin 0 nπx dx. L Zweimalige partielle Integration liefert Z 1 2 L 1 2 c̈n (t) = ∂ u(x, t) sin(kn x)dx c2 L 0 c2 t Z 2 L 2 = ∂ u(x, t) sin(kn x)dx = −kn2 cn (t), L 0 x die gewöhnliche Differentialgleichung eines Federpendels. Die Lösung ist cn (t) = cn (0) cos(ωn t) + ċn (0) 11 1 sin(ωn t) ωn wobei Z 2 L cn (0) = f (x) sin(kn x)dx =: cn (f ), L 0 Z 2 L g(x) sin(kn x)dx =: cn (g). ċn (0) = L 0 Also u(x, t) = ∞ X cn (f ) cos(ωn t) sin(kn x) + n=1 cn (g) sin(ωn t) sin(kn x) . ωn Für jedes t stellt die rechte Seite eine ungerade periodische Funktion der Periode 2L dar. Für die weitere Rechnung stellen wir uns f, g ebenfalls ungerade und 2L-periodisch fortgesetzt vor. Aus sin(kn x) cos(ωn t) = 1 sin(ωn t) = ωn 1 sin(kn (x + ct)) + sin(kn (x − ct)) , Z2 t cos(ωn s)ds, 0 folgt 1 u(x, t) = f (x + ct) + f (x − ct) + 2 1 = f (x + ct) + f (x − ct) + 2 Z 1 t g(x + cs) + g(x − cs) ds 2 0 Z 1 x+ct g(y)dy. 2c x−ct Die Summe einer links- und einer rechtslaufenden Welle: u = u+ + u− , mit Z 1 1 x+ct u+ (x, t) = f (x + ct) + g(y)dy 2 2c x Z 1 1 x u− (x, t) = f (x − ct) + g(y)dy. 2 2c x−ct 12 4 Lebesguesche Integrationstheorie Eine Menge M heißt abzählbar, wenn die Elemente von M durchnummeriert werden können. Genauer, wenn M endlich ist oder eine bijektive Abbildung ϕ : M → N (Numerierung der Elemente) existiert. Jede Teilmenge einer abzählbaren Menge ist natürlich auch abzählbar. Andereseits ist sogar die Vereinigung abzählbar vieler abzählbarer Mengen immer noch abzählbar. Beispiele: Z, Zn , Q und Qn sind abzählbar. Die Menge R ist nicht abzählbar. Das Volumen einer beschränkten, offenen Menge Ω ⊂ Rn wurde in der HM3 definiert. Ist Ω ⊂ Rn offen und unbeschränkt, dann setzten wir V n (Ω) = lim V n (ΩR ) R→∞ ΩR := {x ∈ Ω | |x| < R.} Eine “vernünftige” Volumendefinition ist nicht für alle Teilmengen des Rn möglich, aber für sogennante Lebesgue messbare Mengen. Messbare Mengen Eine Menge E ⊂ Rn heißt (Lebesgue) messbar, wenn für jedes ε > 0 eine offene Menge Ω und eine abgeschlossene Menge A existieren, so dass A ⊂ E ⊂ Ω und V n (Ω\A) < ε. Bemerkungen: 1. Nicht alle Teilmengen von Rn sind messbar. 2. Alle Riemann-messbaren Mengen sind Lebesgue messbar. 3. Alle offenen und alle abgeschlossenen Mengen sind messbar. 4. Die Familie aller messbaren Mengen von Rn ist eine σ-Algebra. D.h. (a) Rn ist messbar. (b) Ist E ⊂ Rn messbar, dann auch Rn \E. (c) Sind Ek ⊂ Rn , k ∈ N, messbare Mengen, dann ist auch ∪∞ k=1 Ek messbar. Das Lebesgue-Maß Das (Lebesgue-)Maß µ(E) einer Menge E ⊂ Rn wird definiert durch µ(E) := inf V n (Ω)Ω ist offen und E ⊂ Ω . 13 Offenbar gilt 0 ≤ µ(E) ≤ ∞. Für abzählbare Familien messbarer Mengen Ek , k = 1, 2, . . ., gilt [ X µ Ek ≤ µ(Ek ) (8) k≥1 bzw. µ [ k≥1 Ek X = k≥1 µ(Ek ), falls Ei ∩ Ek = ∅. k≥1 Nullmengen Eine messbare Menge E ⊂ Rn heißt Nullmenge, wenn µ(E) = 0. Offensichtlich ist jede einpunktige Menge {a} ⊂ Rn eine Nullmenge. Also ist, nach (8), jede abzählbare Menge eine Nullmenge und auch jede abzählbare Vereinigung von Nullmengen ist eine Nullmenge. Z.B. ist Q eine Nullmenge in R. Eine von x ∈ Rn abhängige Eigenschaft gilt fast überall, wenn sie für alle x ∈ Rn \E gilt wobei E eine Nullmenge ist. Zum Beispiel bedeutet: lim fn (x) = f (x), fast überall, n→∞ dass eine Nullmenge E existiert, sodass fn (x) → f (x) für alle x ∈ Rn \E. Messbare Funktionen Eine Funktion f : Rn → R heißt messbar, wenn alle Mengen {x ∈ Rn | f (x) > α}, α ∈ R, messbar sind. Jede stetige Funktion ist messbar. Ausserdem gilt: Sind f, g messbare Funktionen, dann sind auch f + g, f · g, max(f, g) und min(f, g) messbar. Ist fn eine Folge messbarer Funktionen mit fn (x) → f (x) fast überall, dann ist auch f messbar. Integration Sei f : Rn → R messbar und f ≥ 0. Dann definiert man Z f dµ := sup N X inf f (x) µ(Ek ) x∈Ek k=1 wobei das Supremum über alle Zerlegungen n R = N [ k=1 14 Ek in endlich viele paarweise disjunkte messbare Mengen E1 , . . . , EN zu nehmen ist, und 0 · ∞ = ∞ · 0 = 0 per Konvention. Eine beliebige messbare Funktion f : Rn → R zerlegen wir erst in die nichtnegativen messbaren Funktionen f± , definiert durch f± (x) := max(±f (x), 0), so dass f = f+ − f− , Man definiert Z |f | = f+ + f− . Z Z f+ dµ − f− dµ R sofern wenigstens eines der beiden Integrale f± dµ endlich ist. f dµ := Eine Funktion f = u + iv heißt messbar wenn wenn u, v : Rn → R messbar sind. R Sie heißt integrierbar, wenn |f |dµ < ∞. Dann ist Z Z Z f dµ := u dµ + i v dµ eine wohldefinierte komplexe Zahl. Eine Funktion f welche a priori nur auf der messbaren Menge E ⊂ Rn definiert ist, heißt messbar (integrierbar), wenn die durch Null fortgesetzte Funktion f χE : Rn → C messbar (integrierbar) ist, und Z Z f dµ := χE f dµ. E 15 Bemerkungen: 1. Ist f : [a, b] → C stückweise stetig, dann stimmen stimmen die Werte von Lebesgue- und Riemannintegral überein: Z Z b f dµ = f (x)dx. a [a,b] 2. Ist charakteristische Funktion χD der Menge D = [0, 1] ∩ Q ist nicht Riemann integrierbar aber Lebesgue-integrierbar und Z χD dµ = µ(D) = 0. 3. In der Lebesgueschen Integrationstheorie gibt es keine uneigentlichen Integrale. Satz 4.1. Seien f, g : Rn → C integrierbar. Dann gilt: (1) Für alle α, β ∈ C: Z Z (αf + βg)dµ = α (2) f ≤ g ⇒ R f dµ ≤ R Z f dµ + β gdµ, gdµ (3) Falls f ≥ 0, dann Z f dµ = 0 ⇔ f (x) = 0 fast überall. R R (4) f dµ ≤ |f | dµ. Theorem 4.2. Seien f, fn : Rd → C messbar. Dann (1) Monotone Konvergenz. Falls 0 ≤ f1 ≤ f2 . . ., dann gilt Z Z lim fn dµ = lim fn dµ. n→∞ n→∞ (2) Lemma von Fatou. Falls fn ≥ 0 für alle n, dann Z Z lim inf fn dµ ≤ lim inf fn dµ. n→∞ n→∞ 16 (3) Satz von Lebesgue. Falls fn (x) → f (x) fast überall und falls eine integrierbare Funktion g exstiert mit |fn (x)| ≤ g(x) für alle n und alle x, dann gilt Z Z lim n→∞ fn dµ = f dµ. Theorem 4.3 (Fubini-Tonelli). Sei f : Rn × Rm → C messbar. Dann gilt: (1) Die folgenden drei Integrale sind endlich und gleich, oder alle drei Integrale sind unendlich: Z Z Z Z Z |f |d(x, y) = |f (x, y)|dy dx = |f (x, y)|dx dy. (2) Ist f integrierbar, d.h. eines der drei Integrale aus (1) ist endlich (somit sind es alle drei), dann gilt Z Z Z Z Z f (x, y) d(x, y) = f (x, y) dy dx = f (x, y) dx dy. Satz 4.4. Sei f : Rn → R messbar, f ≥ 0, und sein E := (x, y) ∈ Rn × R | 0 ≤ y < f (x) . Dann gilt Z Z f dµ = ∞ µ {x|f (x) > y} dy = µ(E). 0 17 5 Lp-Räume Für 1 ≤ p < ∞ definiert man Z o n p p n n L (R ) := f : R → C messbar |f (x)| dx < ∞ , Z 1/p p kf kp := |f (x)| dx und für p = ∞, o n L∞ (Rn ) := f : Rn → C messbar ∃C : |f (x)| ≤ C, f.ü. , kf k∞ := inf C ∈ R |f (x)| ≤ C f.ü. Satz 5.1. (a) Seien p, q > 1 mit p−1 + q −1 = 1 oder p = 1 und q = ∞. Ist f ∈ Lp (Rn ) und g ∈ Lq (Rn ), dann ist f g ∈ L1 (Rn ) und Z |f (x)g(x)|dx ≤ kf kp kgkq , (Höldersche Ungl.) (b) Sei 1 ≤ p ≤ ∞ und f, g ∈ Lp (Rn ). Dann ist f + g ∈ Lp (Rn ) und kf + gkp ≤ kf kp + kgkp , (Minkowski Ungl.) Lp (Rn ) als normierter Vektorraum Für 1 ≤ p ≤ ∞, f, g ∈ Lp (Rn ) und λ ∈ C gilt (1) kf kp ≥ 0, und kf kp = 0 ⇔ f (x) = 0 fast überall, (2) kλf kp = |λ|kf kp , (3) kf + gkp ≤ kf kp + kgkp . Auf Grund von Eigenschaft (1) identifiziert man zwei Funktionen f, g ∈ Lp (Rn ) miteinander, wenn sie fast überall übereinstimmen. Mit anderen Worten, die Aussage f = g in Lp (Rn ) bedeutet, dass f, g ∈ Lp (Rn ) und dass f (x) = g(x) fast überall. Somit können wir (1) schreiben als kf kp ≥ 0, und kf kp = 0 ⇔ f = 0 in Lp und Lp (Rn ) wird zu einem normierten Vektorraum. L2 (Rn ) versehen mit dem Skalarprodukt Z hf, gi := f (x)g(x) dx ist ein Innenproduktraum. Die zugehörige Norm ist die L2 -Norm, d.h. kf k2 = hf, f i1/2 . 18 Konvergenz in Lp (Rn ) Eine Folge (fn ) in Lp (Rn ) konvergiert gegen f ∈ Lp (Rn ), in Zeichen fn → n, (n → ∞), in Lp , wenn kfn − f kp → 0 für n → ∞. Eine Folge (fn ) in Lp (Rn ) heißt Cauchyfolge, wenn zu jedem ε > 0 ein N ∈ N existiert mit n, m ≥ N ⇒ kfn − fm k < ε. Jede konvergente Folge ist eine Cauchyfolge und in Lp gilt auch die Umkehrung dieser Aussage: Theorem 5.2 (Fischer-Riesz). Jede Cauchyfolge in Lp (Rn ), 1 ≤ p ≤ ∞, ist konvergent. Zusätzlich gilt: wenn fn → f in Lp (Rn ), dann gibt es eine Teilfolge (fnk )k≥1 , so dass k→∞ fnk (x) −→ f (x), fast überall. Bemerkungen: 1. Wenn in einem normierten Vektorraum jede Cauchyfolge konvergent ist, dann heißt der Raum vollständig oder Banachraum. Lp (Rn ) ist also ein Banachraum. 2. Ein vollständiger Innenproduktraum (vollständig bezüglich der Norm kxk = hx, xi1/2 ), heißt Hilbertraum. L2 (Rn ) ist ein Hilbertraum und jeder Hilbertraum ist auch ein Banachraum. Sei E ⊂ Rn messbar. Jede Funktion f : E → C können wir ausserhalb von E durch Null zu einer Funktion auf ganz Rn fortsetzen, welche wir mit χE f bezeichnen. D.h. ( f (x) x ∈ E, χE f (x) := 0 x 6∈ E. Wir definieren n o Lp (E) := f : E → CχE f ∈ Lp (Rn ) , kf kp := kχE f kp . Korollar 5.3. Sei E ⊂ Rn messbar und 1 ≤ p ≤ ∞. Dann ist Lp (E) ein Banachraum. L2 (E) ist somit ein Hilbertraum. Theorem 5.4. Sei H ein Hilbertraum über R oder C und sei (en ) ein ONS von H. Dann gilt: 19 (a) Für jeden Vektor ϕ ∈ H ist die Reihe ϕ− X P n≥0 hen , ϕien konvergent und hen , ϕien ⊥ ek für alle k. n≥0 (b) Das ONS (en ) ist genau dann eine ONB, wenn es maximal ist, d.h. wenn hen , ϕi = 0 für alle n ⇒ ϕ = 0. Seien f, g : Rn → C messbar. Die Faltung von f und g an der Stelle x ist definiert durch Z (f ∗ g)(x) := f (x − y)g(y)dy = (g ∗ f )(x), Rn sofern die Funktion y 7→ f (x − y)g(y) integrierbar ist. Satz 5.5. Sei 1 ≤ p ≤ ∞, f ∈ Lp (Rn ) und g ∈ L1 (Rn ). Dann ist f ∗ g ∈ Lp (Rn ) und kf ∗ gkp ≤ kf kp kgk1 . 20 6 Fouriertransformation und Schwartzraum Für f, g ∈ L1 (Rn ) definieren wir fˆ(x) := (2π)−n/2 Z e−ip·x f (x) dx, Rn −n/2 Z eip·x g(p) dp, ǧ(x) := (2π) Rn P wobei p · x := nk=1 pk xk . Offensichtlich gilt ǧ(x) = ĝ(−x) und fˆ, ǧ ∈ L∞ (Rn ). Die Funktion fˆ heißt Fouriertransformierte von f . Lemma 6.1. Sei f : Rn → R die Funktion definiert durch f (x) := e−x P x2 := nk=1 x2k . Dann gilt fˆ = f . Lemma 6.2. Sei f ∈ L1 (Rn ), λ > 0 und fλ (x) := f (λx). Dann gilt fbλ (p) = λ−n fˆ(p/λ). Lemma 6.3. Seien f, g ∈ L1 (Rn ). Dann gilt ¯ (i) fˆ = fˇ¯ und f¯ˇ = fˆ¯, R R R R (ii) fˆ(x)g(x) dx = f (x)ĝ(x) dx und fˇ(x)g(x) dx = f (x)ǧ(x) dx, (iii) (2π)−n/2 f[ ∗ g = fˆĝ. Multiindizes Für α, β ∈ Nn , x, y ∈ Rn definiert man α≤β ⇔ αi ≤ βi , i = 1, . . . , n n n Y X αi , α! = αi ! |α| = α β = xα = i=1 n Y αi i=1 n Y βi xαi i , i=1 = α! , β!(α − β)! ∂α = i=1 ∂xα1 1 α≥β ∂ |α| . · · · ∂xαnn Dann gilt die Binomische Formel X α (x + y) = xβ y α−β β β≤α α und die Leibnizsche Produktregel X α α ∂ (f · g) = ∂ β f ∂ α−β g . β β≤α 21 2 /2 , C0∞ -Funktionen und Schwartzraum Der Träger supp(f ) einer Funktion f : Rn → C ist definiert als die Menge supp f := {x ∈ Rn | f (x) 6= 0}, d.h., die kleinste abgeschlossene Menge, welche {x | f (x) 6= 0} enthält. Man definiert C0∞ (Rn ) := {f ∈ C ∞ (Rn ) | supp(f ) ist kompakt}. Ein einfaches, explizites Beispiel einer Funktion J ∈ C0∞ (Rn ) ist ( 2 e−1/(1−x ) |x| < 1, J(x) := 0 |x| ≥ 1. Wenn u ∈ L1 (Rn ) kompakten Träger hat, dann ist J ∗ u ∈ C0∞ (Rn ) und für alle α ∈ Nn0 gilt ∂ α (J ∗ u) = (∂ α J) ∗ u. Satz 6.4. Sei 1 ≤ p < ∞. Dann ist C0∞ (Rn ) dicht in Lp (Rn ). D.h., für jedes u ∈ Lp (Rn ) gibt es eine Folge (un ) in C0∞ (Rn ) mit kun − ukp → 0 für n → ∞. R Eine messbare Funktion f : Rn → C heisst lokal integrierbar, K |f |dx < ∞ für jede kompakte Menge K ⊂ Rn . Der Vektorraum der lokal integrierbaren Funktionen auf Rn wir mit L1loc (Rn ) bezeichnet. Theorem 6.5. Falls u ∈ L1loc (Rn ) und Z u(x)ϕ(x)dx = 0 für alle ϕ ∈ C0∞ (Rn ), dann gilt u(x) = 0 für fast alle x ∈ Rn . Der Schwartzraum ist der Vektorraum S(Rn ) := {f ∈ C ∞ (Rn ) | xα ∂ β f ∈ L∞ (Rn ) für alle α, β ∈ Nn }. Offensichtlich ist C0∞ (Rn ) ⊂ S(Rn ). Ein Beispiel für eine Funktion f ∈ S(Rn )\C0∞ (Rn ) 2 ist f (x) = e−x /2. Satz 6.6. (a) S(Rn ) ⊂ Lp (Rn ) für 1 ≤ p ≤ ∞. (b) f ∈ S(Rn ) ⇒ xα f, ∂ α f ∈ S(Rn ) für alle α ∈ Nn0 . (c) f, g ∈ S(Rn ) ⇒ f g, f ∗ g ∈ S(Rn ). 22 Theorem 6.7. (a) Ist f ∈ S(Rn ), dann ist fˆ ∈ S(Rn ) und für alle α ∈ Nn0 gilt α pα fˆ(p) = (−i)|α| ∂d x f (p), α f (p). ∂ α fˆ(p) = (−i)|α| xd p (b) Die Fouriertransformation f 7→ fˆ ist eine bijektive, lineare Abbildung von ˇ S(Rn ) auf sich und fˆ = f , fˆˇ = f . (c) Für alle f, g ∈ S(Rn ) gilt hfˆ, ĝi = hf, gi. Theorem 6.8 (Riemann-Lebesgue-Lemma). Sei f ∈ L1 (Rn ). Dann ist fˆ ∈ L∞ (Rn ) ∩ C(Rn ), kfˆk∞ ≤ (2π)−n/2 kf k1 und fˆ(p) → 0 (|p| → ∞). Theorem 6.9. Sind f, fˆ ∈ L1 (Rn ), dann gilt Z −n/2 f (x) = (2π) eip·x fˆ(p)dp, fast alle x ∈ Rn . Rn Theorem 6.10. Es gibt eine eindeutig bestimmte, bijektive, lineare Abbildung F : L2 (Rn ) → L2 (Rn ) mit F(f ) = fˆ kF(f )k = kf k für alle f ∈ S(Rn ), für alle f ∈ L2 (Rn ). Zudem gilt: (a) Für alle f, g ∈ S(Rn ) ist hF(f ), F(g)i = hf, gi, (Plancherel-Identität) (b) Falls f ∈ L1 (Rn ) ∩ L2 (Rn ), dann gilt F(f ) = fˆ. (c) Für alle f ∈ L2 (Rn ) gilt F(f ) = L2 − limR→∞ fc R wobei Z −n/2 c fR := (2π) e−ip·x f (x) dx. |x|≤R Bemerkungen: 23 1. Aus der Linearität und der Isometrie kF(f )k = kf k folgt die Stetigkeit fn → f ⇒ F(fn ) → F(f ), (n → ∞) bezüglich der L2 -Norm. 2. Die Fouriertransformation F ist eine unitäre Abbildung in L2 (Rn ), d.h., für alle f, g ∈ L2 (Rn ) gilt hF(f ), gi = hf, F −1 (g)i. 24 7 Distributionen Testfunktionen Die Elemente von D = D(Rn ) := C0∞ (Rn ) heißen Testfunktionen. Eine Folge (ϕk ) in D konvergiert gegen ϕ ∈ D, in Zeichen D ϕk −→ ϕ, (k → ∞) falls eine kompakte Menge K ⊂ Rn existiert, so dass supp(ϕk ) ⊂ K für alle k ∈ N und k∂ α ϕk − ∂ α ϕk → 0 für alle α ∈ Nn0 . D D.h. alle Ableitungen konvergieren gleichmäßig. Offensichtlich ist ϕk −→ ϕ äquiD valent zu ϕk − ϕ −→ 0 und es gilt D ϕk −→ ϕ D ∂ β ϕk −→ ∂ β ϕ ⇒ für jeden Multiindex β ∈ Nn0 . Distributionen Eine Distribution T in Rn ist eine stetige lineare Abbildung T : D → C. D.h. (i) T (αϕ + βψ) = αT (ϕ) + βT (ψ) α, β ∈ C ϕ, ψ ∈ D D (ii) ϕk −→ ϕ ⇒ T (ϕk ) → T (ϕ) (k → ∞) . Der Vektorraum der Distributionen auf Rn wird mit D0 bezeichnet. Wegen (i) ist D (ii) äquivalent in ϕ → 0 ⇒ T (ϕk ) → 0 für k → ∞. Eine Distribution T heisst regulär, wenn es eine Funktion u ∈ L1loc (Rn ) gibt mit Z T (ϕ) = u(x)ϕ(x) dx, ∀ϕ ∈ D. (9) R die Funktion u ist dann eindeutig durch T bestimmt, denn u(x)ϕ(x) dx = R v(x)ϕ(x) dx für alle ϕ ∈ D impliziert u(x) = v(x) fast überall. Satz 7.1. Jede Funktion u ∈ L1loc (Rn ) definiert eine reguläre Distribution Tu ∈ D0 durch die Gleichung (9). Beispiele: 1. Deltadistributionen δa : Sei a ∈ Rn . Dann wird durch δa (ϕ) = ϕ(a) ϕ ∈ D eine Distribution δa ∈ D0 definiert. δa ist nicht regulär. 25 2. Der Cauchy-Hauptwert: Durch Z Z ϕ(x) ϕ(x) T (ϕ) := P dx = lim dx →0 |x|≥ x x wird eine Distribution T ∈ D0 (R) definiert. Man bezeichnet sie mit P x1 . Konvergenz von Distributionen Eine Folge von Distributionen (Tk ) in D0 konvergiert gegen T ∈ D0 , in Zeichen D0 Tk → T, (k → ∞) wenn Tk (ϕ) → T (ϕ) (k → ∞) für alle ϕ ∈ D. Beispiel: Sei J ∈ L1 (Rn ) mit R J(x) dx = 1 und sei Jk (x) = k n J(kx). Dann gilt D0 Jk → δ (k → ∞). Satz 7.2. Sei (uk ) eine Folge in L1loc (Rn ) mit uk (x) → u(x) f.ü. Falls eine Funktion v ∈ L1loc (Rn ) existiert mit |uk (x)| ≤ v(x) für alle k, x, dann ist u ∈ L1loc (Rn ) und Tuk → Tu in D0 . Ableitung von Distributionen Ist u ∈ C k (Rn ) und α ∈ Nn0 mit |α| ≤ k, dann gilt für alle ϕ ∈ D Z Z α |α| ∂ u(x)ϕ(x) dx = (−1) u(x)∂ α ϕ(x) dx. Also T∂ α u (ϕ) = (−1)|α| Tu (∂ α ϕ) ∀ϕ ∈ D. Sei T ∈ D0 und α ∈ Nn0 , dann definiert man ∂ α T ∈ D0 durch ∂ α T (ϕ) := (−1)|α| T (∂ α ϕ) ∀ϕ ∈ D. Ist f ∈ C ∞ (Rn ) dann ist das Produkt f T ∈ D0 definiert durch f T (ϕ) := T (f ϕ) ∀ϕ ∈ D. 26 Satz 7.3. Für T ∈ D0 , f ∈ C ∞ (Rn ) und α ∈ Nn0 gilt X α α ∂ (f T ) = ∂ β f (∂ α−β T ). β β≤α Beispiele: 1. Sei Θ(x) = 1 für x ≥ 0 und Θ(x) = 0 für x < 0. Dann Θ0 = δ 2. in D0 (R). d 1 ln |x| = P dx x in D0 (R). Satz 7.4. Sei Tk → T in D0 , α ∈ Nn0 und f ∈ C α (Rn ). Dann gilt D0 ∂ α Tk → ∂ α T f Tk → f T (k → ∞) (k → ∞). Beispiel: Es gilt 1 1 = P − iπδ x + i0 x in D0 (R). P Sei P = |α|≤m cα (x)∂ α ein linearer Differentialoperator, wobei cα ∈ C α (Rn ) für alle α. Jede Distribution T ∈ D0 (Rn ) mit PT = δ heißt Fundamentallösung (oder Grundlösung) von P . Beispiele: 1. die Heaviside-Funktion Θ ist eine Fundamentallösung von 2. xn−1 Θ (n−1)! ist eine Fundamentallösung von d . dx dn . dxn Bemerkungen: 1. Jeder Differentialoperator P mit konstanten Koeffizienten hat eine Fundamentallösung (Satz von Malgrange und Ehrenpreis). 2. Die Fundamentallösung eines Differentialoperators ist im allgemeinen nicht eindeutig. Satz 7.5. Ist die reguläre Distribution G ∈ L1loc (Rn ) eine Fundamentallösung von P P = |α|≤m cα ∂ α , cα ∈ C, und ist f ∈ L1 (Rn ) mit kompaktem Träger, dann ist Z u(x) := (G ∗ f )(x) = G(x − y)f (x) dx lokal integrierbar und P u = f . 27 Fundamentallösung des Laplaceoperators Sei Gn ∈ L1loc (Rn ) definiert durch Gn (x) = ( 1 − 2π log |x|, 1 , (n−2)ωn |x|n−2 n = 2, n ≥ 3. wobei ωn die Oberfläche der Einheitskugel in Rn bezeichnet, d.h. n 2π 2 ωn = n . Γ( 2 ) Z.B. ist G3 (x) = Satz 7.6. Sei ∆ = Pn k=1 1 . 4π|x| ∂k2 der Laplaceoperator in Rn . Dann gilt −∆Gn = δ in D0 (Rn ). Fundamentallösung der Wellengleichung Satz 7.7. Die reguläre Distribution G1 ∈ L1loc (R2 ) definiert durch ( 1 , t > |x|, G1 (x, t) = 2 0, t ≤ |x|, ist Fundamentallösung der ein-dimensionalen Wellengleichung. D.h. (∂t2 −∂x2 )G1 = δ. Bemerkung: Auch ( G− 1 (x, t) = 1 , 2 t < −|x|, 0, t ≥ −|x|, ist eine Fundamentallösung der ein-dimensionalen Wellengleichung. Satz 7.8. Die reguläre Distribution G2 ∈ L1loc (R3 ) definiert durch √1 , t > |x|, 2 2 G2 (x, t) = 2π t −|x| 0, t ≤ |x|, ist eine Fundamentallösung der zwei-dimensionalen Wellengleichung. d.h. (∂t2 − (∂x21 + ∂x22 ))G2 = δ. 28 Satz 7.9. Die Distribution G3 ∈ D0 (R4 ) definiert durch Z ∞ Z 1 dt ϕ(x, t)dσ(x) G3 (ϕ) := 4π 0 t |x|=t Z 1 ϕ(x, |x|) 3 = dx 4π R3 |x| ist eine Fundamentallösung der drei-dimensionalen Wellengleichung. Ist f ∈ L1 (R4 ) mit kompaktem Träger, dann ist Z 1 f (y, t − |x − y|) 3 u(x, t) = dy 4π |x − y| eine Lösung von (∂t2 − ∆)u = f. Bemerkungen: 1. G3 ist keine reguläre Distribution und folglich ergibt sich die Lösung u von (∂t2 − ∆)u = f nicht aus 7.6 . Formal ist trotzdem U = G3 ∗ f mit G3 (x, t) = 1 δ(t − |x|). 4π|x| (10) 2. Der Wert von u an der Stelle (x, t) ist nach (10) bestimmt durch die Werte von f auf dem Rückwärtslichtkegel bei (x, t): (y, τ )τ = t − |x − y| u heisst daher retardierte Lösung. 3. Die Lösung G1 ∗ f und G2 ∗ f bei (x, t) der ein- bzw. zweidimensionalen Wellengleichung hängen von f in der ganzen Kugel (y, τ )τ < t − |x − y| ab. Satz 7.10. Die reguläre Distribution w ∈ L1loc (Rn+1 ) definiert durch w(x, t) = ( n x2 (4πt)− 2 e− 4t t>0 t≤0 0 ist eine Fundamentallösung der n-dimensionalen Wärmeleitungsleichung: d.h. (∂t − ∆)w = δ. 29 Temperierte Distribution eine Folge (ϕn ) in S(Rn ) konvergiert gegen ϕ ∈ S(Rn ), in Zeichen S ϕk → ϕ (k → ∞) wenn supx∈Rn |xα ∂ β (ϕk − ϕ)(x)| → 0 für alle α, β ∈ Nn0 . Bemerkungen: 1. Für alle α, β ∈ Nn0 und alle ψ ∈ S(Rn ) sind die Abbildungen ϕ 7→ xα ϕ ϕ 7→ ∂ β ϕ ϕ 7→ ψϕ stetig in S(Rn ). D S 2. Aus ϕk → ϕ folgt ϕk → ϕ. Die Abbildung D → S, ϕ 7→ ϕ ist also stetig. S 3. D ⊂ S dicht. D.h. für jedes ϕ ∈ S gibt es eine Folge (ϕk ) in D mit ϕk → ϕ. 4. Die Fouriertransformation F : S → S ist stetig. Eine temperierte Distribution auf Rn ist eine stetige lineare Abbildung T : S(Rn ) → C. Die Menge der temperierten Distributionen auf Rn wird mit S 0 (Rn ) bezeichnet. Satz 7.11. Jede temperierte Distribution ist eine Distribution 0 T ∈S =⇒ T ∈ D0 . D Zu einer Distribution Te ∈ D0 gibt es höchstens eine temperierte Distribution T ∈ S 0 mit Te = T . D Nach obigem Satz kann man S 0 als Teilmenge von D0 auffassen, d.h. D⊂S und D0 ⊃ S 0 . Nicht jede reguläre Distribution u ∈ L1loc (Rn ) ist eine temperierte Distribution, es gilt aber Satz 7.12. Ist u : Rn → C messbar und u ∈ Lp (Rn ), 1 ≤ p ≤ ∞ oder |u(x)| ≤ c(1 + |x|)N für ein N ∈ N dann ist u ∈ S 0 (Rn ). 30 Eine Folge von temperierten Distributionen (Tk ) konvergiert gegen T ∈ S 0 , in Zeichen S0 Tk → T (k → ∞) wenn Tk (ϕ) → T (ϕ) für alle ϕ ∈ S(Rn ). Satz 7.13. Ist T ∈ S 0 (Rn ), α ∈ Nn0 und ψ ∈ S(Rn ), dann xα T, ∂ α T und ψT ∈ S 0 Fouriertransformation von Distributionen Ist u ∈ L1 (Rn ) und ϕ ∈ S(Rn ), dann gilt Z Z Tû (ϕ) = û(x)ϕ(x)dx = u(x)ϕ̂(x)dx = Tu (ϕ̂). Definition 7.14. Sei T ∈ S 0 (Rn ). Dann ist T̂ ∈ S 0 (Rn ) definiert durch T̂ (ϕ) := T (ϕ̂) für ϕ ∈ S(Rn ). S Bemerkung: Wenn ϕk → 0 dann ϕ̂k → 0 in S (Bem. 4), also T̂ (ϕk ) = T (ϕˆk ) → 0 (k → ∞). Somit ist T̂ ∈ D0 . Beispiele: n 1. δ̂ = (2π)− 2 denn −n 2 Z δ(ϕ̂) = ϕ̂(0) = (2π) ϕ(x)dx. n 2. u(x) = (2π)− 2 dann û = δ in S 0 , denn Z Z −n u(x)ϕ̂(x)dx = (2π) 2 ϕ̂(x)dx = ϕ(0) = δ(ϕ) . n 3. u(x) = (2π)− 2 xα dann Tu ∈ S 0 und Tˆu = (i∂)α δ. Satz 7.15. (a) Die Fouriertransformation F : S 0 → S 0 ist linear, bijektiv und stetig. (b) für alle T ∈ S 0 und alle α ∈ Nn0 gilt ∂ α T̂ = F (−ix)α T xα T̂ = F (−i∂)α T . 31 Notation: Sei P (x) = schreiben wir D := −i∂, P |α|≤N cα xα ein Polynom von Grad N mit cα ∈ C. Dann Dα = (−i∂)α = (−i)|α| ∂ α , P (D) = X cα D α . |α|≤N Für alle T ∈ S 0 , ϕ ∈ S gilt P\ (D)T = P (x)T̂ , P\ (D)ϕ = p(x)ϕ̂. Falls P (D) eine Fundamentallösung T hat, welche in S 0 liegt, dann gilt n P (x)T̂ = (2π)− 2 . Satz 7.16. Ist |P (x)| ≥ > 0 für alle x ∈ Rn dann ist n T = (2π)− 2 F −1 1 p ∈ S 0 und 1 p die einzige Fundamentallösung von P (D). Beispiele: p(x) = x2 + m2 mit m > 0. Dann p(x) ≥ m2 > 0 für alle x ∈ Rn . Also ist 1 n (2π)− 2 F −1 p die Fundamentallösung von P (D) = −∆ + m2 . Für n = 1, 3 bekommt man G1 (x) = e−m|x| , 1 −m|x| G3 (x) = e . 4π|x| Konstruktion der Fundamentallösung Sei ϕ ∈ D(Rn ). Dann ist −n 2 Z ϕ̂(z) := (2π) e−izx ϕ(x)dx auch für z = (z1 , . . . , zn ) ∈ Cn wohldefiniert, denn −izx e ϕ(x) = |ϕ(x)|e|x|| Im z| ≤ |ϕ(x)|eR| Im z| falls supp(ϕ) ⊂ x|x| ≤ R = KR , Im z = (Im z1 , . . . , Im zn ). 32 Satz 7.17. Sei ϕ ∈ D mit supp(ϕ) ⊂ KR . Dann ist ϕ̂ analytisch in Cn und für jedes m ∈ N existiert ein cm mit |ϕ̂(z)| ≤ cm (1 + |z|)−m eR| Im z| . Bemerkung: ϕ̂ ist analytisch“bedeutet , daß ϕ̂(z1 , . . . , zn ) bezüglich jeder Varia” blen für sich analytisch ist, d.h. lim h→∞ ϕ̂(z1 , . . . , zi + h, . . . , zn ) − ϕ̂(z1 , . . . , zn ) h existiert. P Satz 7.18. Sei P (x) = |α|≤m cα xα ein Polynom von Grad N . Sei (x0 , xn ) ∈ Rn−1 × R, und für jedes x0 ∈ Rn−1 sei γx0 : R → C ein Integrationsweg welcher Nullstellen von xn 7→ P (x0 , xn ) meidet. Dann wird durch Z Z ϕ̌(x) 0 −n 2 dx dxn , ϕ ∈ D, T (ϕ) = (2π) P (x) Rn−1 γx0 eine Fundamentallösung T ∈ D0 (Rn ) von P (D) definiert. In der Literatur findet man oft folgende Schreibweise Z Z 1 −n 0 T = (2π) dk dkn eikx . P (k 0 , kn ) Rn−1 γk 0 33 8 Sobolev-Räume Sei s ∈ R. Der Sobolev-Raum H s (Rn ) besteht aus allen temperierten Distribus tionen u ∈ S 0 (Rn ) mit û ∈ L1loc (Rn ) und (1 + |p|2 ) 2 û ∈ L2 (Rn ). Offenbar gilt H 0 (Rn ) = L2 (Rn ) und H t (Rn ) ⊂ H s (Rn ) für t > s. Satz 8.1. H s (Rn ) versehen mit dem Skalarprodukt Z hu, vi := û(p)v̂(p)(1 + p2 )s dp ist ein Hilbertraum und S(Rn ) ist dicht in H s (Rn ). Satz 8.2. Für m ∈ N gilt H m (Rn ) = u ∈ L2 (Rn )∂ α u ∈ L2 (Rn ), für alle |α| ≤ m . Theorem 8.3 (Sobolev-Lemma). Sei k ∈ N und s > k + n2 , dann gilt H s (Rn ) ⊂ C k (Rn ) und für alle u ∈ H s (Rn ) und α mit |α| ≤ k gilt (i) supx∈Rn |∂ α u(x)| ≤ Cs,n kuks , (ii) ∂ α u(x) → 0 für |x| → ∞. Anwendung: Sei V : Rn → R ein beschränktes Potential und sei ψ ∈ L2 (Rn ) ein Lösung der Schrödingerschen Eigenwertgleichung: (−∆ + V )ψ = Eψ. (11) Dann gilt ∆ψ = (V − E)ψ ∈ L2 (Rn ). Aber ψ, ∆ψ ∈ L2 (Rn ) ⇒ ψ ∈ H 2 (Rn ). Aus dem Sobolev-Lemma folgt somit, dass jede quadratintegrierbare Lösung ψ von (11) im Fall n ≤ 3 stetig ist und dass lim|x|→∞ ψ(x) = 0. Diese Schlussfolgerung ist auch richtig für eine große Klasse unbeschränkter Potentiale, wie z.B. V (x) = −1/|x|. 34 9 Mannigfaltigkeiten In diesem Kapitel nennen wir eine Funktion f : U ⊂ Rn → Rm differenzierbar, wenn sie beliebig oft stetig partiell differenzierbar ist. Eine k-dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit ist eine Menge M zusammen mit einer Familie von injektiven Abbildungen ϕi : Mi → Rn , mit (i) [ Mi = M i (ii) Für jedes Paar i, j mit Mi ∩ Mj 6= ∅ ist ϕi (Mi ∩ Mj ) offen in Rk und ϕj ◦ ϕ−1 i : ϕi (Mi ∩ Mj ) → ϕj (Mi ∩ Mj ) ist differenzierbar. Insbesondere ist ϕi (Mi ) ⊂ Rk offen. (iii) Die Familie von Abbildungen ϕi : Mi → Rk ist maximal bezüglich (ii). Die Abbildungen ϕi (auch mit (Mi , ϕi ) bezeichnet) heißen Karten oder Koordinatensysteme. Mi heißt Kartengebiet oder Koordinatenumgebung. Die Abbildung ϕ−1 i : ϕi (Mi ) → Mi heißen Parametrisierung, ϕi (Mi ) heißt Parameterbereich und ϕj ◦ ϕ−1 heißt Kartenwechsel. Eine Familie von Karten (Mi , ϕi ), i welche (i),(ii) erfüllt, heißt (differenzierbarer) Atlas. Ein Atlas mit (iii) heißt maximal. Ein allgemeiner Satz besagt, dass sich jeder Atlas ergänzen lässt zu einem eindeutig bestimmten maximalen Atlas, durch Hinzunahme aller Karten die mit den vorhandenen Karten verträglich sind. Also genügt es jeweils die Menge M und einen, nicht notwendigerweise maximalen, Atlas anzugeben. Notation. Das Koordinatensystem ϕ einer Karte (U, ϕ) wird oft mit x = (x1 , . . . , xn ) bezeichnet, also ϕ(p) = (x1 (p), . . . , xk (p)). Zur Unterscheidung von den Koordinaten des Rk schreiben wir für letztere u = (u1 , . . . , uk ). Also u = x(p) bzw. p = x−1 (u). Ist (V, y) eine zweite Karte mit U ∩V 6= ∅ dann ist y ◦x−1 : x(U ∩V ) → y(U ∩V ) der Kartenwechsel. Beispiele: 1. Jede offene Teilmenge M ⊂ Rn zusammen mit der Karte ϕ : M → Rn , ϕ(x) = x definiert eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit. 35 2. Jeder k-dimensionale Vektorraum V über R zusammen mit der Koordinatenabbildung: X ϕ(v) = (ξ 1 , . . . , ξ n ), v = ξ j ej j bezüglich einer Basis {e1 , . . . , en } ist eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit. 3. S n−1 = {p ∈ Rn ||p| = 1} zusammen mit den 2n Karten Mi,+ = {p ∈ S n−1 |pi > 0}, Mi,− = {p ∈ S n−1 |pi < 0}, ϕi,± (p) = (p1 , . . . , pi−1 , pi+1 , . . . , pn ), i = 1, . . . , n, ist eine (n − 1)-dimensionale Mannigfaltigkeit. 4. Sind M, N Mannigfaltigkeiten und ϕ : U → Rm , ψ : V → Rn zugehörige Karten, dann sei die Abbildung ϕ × ψ : U × V → Rm × Rn definiert durch (ϕ × ψ)(p, q) := (ϕ(p), ψ(p)). Das kartesische Produkt M ×N versehen mit den Karten (Mi ×Nj , ϕi ×ψj ) ist eine (m + n)-dimensionale Mannigfaltigkeit. Typische Beispiele sind der Zylinder S 1 × R und der Torus T 2 = S 1 × S 1 . 5. Jedes Kartengebiet U einer n-dimensionalen Mannigfaltigkeit M ist selbst auch eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit. Differenzierbare Abbildungen Sei M eine n-Mannigfaltigkeit. Eine Abbildung f : M → R heißt differenzierbar, wenn für jede Karte (U, x) von M die Abbildung f ◦ x−1 : U → R differenzierbar ist. Man schreibt dann ∂f ∂ ∂i f ≡ (f ◦ x−1 )(u), := i ∂x p ∂ui p u := x(p). Beispiel: Sei (V, y) eine Karte einer Mannigfaltigkeit M . Dann sind die Koordinaten y k : V → R differenzierbare Abbildungen und ( 1, i = k, ∂y k = δik = i ∂y p 0, i 6= k, 36 denn y k ◦ y −1 (u) = uk . Ist (U, x) eine andere Karte von M mit p ∈ U ∩ V , dann ist ∂ k ∂y k = (y ◦ x−1 )(u), u = x(p). ∂xi p ∂ui Das sind die Koeffizienten der Jacobi-Matrix des Basiswechsels y ◦ x−1 : x(U ∩ V ) → y(U ∩ V ). Sei M eine m-dimensionale und N eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit. Eine Abbildung F : M → N heißt differenzierbar, wenn für alle Karten (U, ϕ) von M und (V, ψ) von N die Abbildung ψ ◦ F ◦ ϕ−1 auf einer offenen Menge definiert und dort differenzierbar ist. Erinnerung: Für jede m × n Matrix A := (~a1 , . . . , ~an ), ~ai ∈ Rm , ist RangA = dim. des Zeilenranges = dim. des Spaltenranges = dim. Lin{~a1 , . . . , ~an }. Wobei Lin{~a1 , . . . , ~an } = n nX o xk~ak xk ∈ R k=1 = Bildraum der Abbildung A : Rn → Rm . Satz 9.1. Sei F : M → N differenzierbar und p ∈ M . Dann ist der Rang der Jacobi-Matrix von y ◦F ◦x−1 im Punkt x(p) unabhängig von der Wahl der Karten (U, x) und (V, y) bei p beziehungsweise bei F (p). Diese Zahl heißt Rang von F bei p. Ist F : M → N differenzierbar, p ∈ M und Ran F p = dim N , dann heißt p regulärer Punkt von F . Ein Punkt p ∈ N heißt regulärer Wert, wenn jeder Punkt p ∈ M mit F (p) = q ein regulärer Punkt ist. Untermannigfaltigkeiten Sei M eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit. Eine Teilmenge M0 ⊂ M heißt kdimensionale Untermannigfaltigkeit von M , wenn es zu jedem Punkt p ∈ M0 eine Karte (U, x) von M gibt mit p ∈ U und x(U ∩ M0 ) = x(U ) ∩ Rk × {0} 37 wobei Rk × {0} = {(u1 , . . . , uk , 0, . . . 0) ∈ Rn }. Eine solche Karte heißt Flachmacher oder der Untermannigfaltigkeit angepasstes Koordinatensystem. Die Zahl n − k heißt Kodimension von M0 in M . Satz 9.2. Eine k-dimensionale Untermannigfaltigkeit M0 der n-Mannigfaltigkeit M ist eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit. Ist A ein Atlas von M dann ist (M0 ∩ U, xM0 ∩U )(U, x) ∈ A ist Flachmacher ein Atlas von M0 . Theorem 9.3 (Satz vom regulären Wert). Sei F : M → N differenzierbar, q ∈ N ein regulärer Wert und M0 := F −1 (q) = {p ∈ M |F (p) = q} = 6 ∅. Dann ist M0 eine Untermannigfaltigkeit von M der Kodimension dim N . Korollar 9.4. Ist F : Rm → Rn differenzierbar, q ∈ Rn ein regulärer Wert von F und F −1 (q) 6= ∅, dann ist F −1 (q) eine (m − n)-dimensionale Untermannigfaltigkeit von Rm . Beispiel: Ist f : Rm → R differenzierbar, E ∈ R, und ∇f (x) 6= 0 für alle x ∈ Rm mit f (x) = E, dann ist {x ∈ Rm |f (x) = E} eine (m − 1)-dimensionale Untermannigfaltigkeit von Rm . Als Anwendung davon bekommen wir: • S n−1 ist eine (n − 1)-dimensionale Untermannigfaltigkeit, denn 1 ∈ R ist ein regulärer Wert der Funktion f (x) = |x|2 . • Die Energiefläche Σ := {(p, q)| 21 p2 +V (q) = E} ist eine (2n−1)-dimensionale Untermannigfaltigkeit von R2n falls (p, ∇V (q)) 6= 0 für alle (p, q) ∈ Σ. Der Tangentialraum Eine (differenzierbare) Kurve c in der n-Mannigfaltigkeit M ist eine differenzierbare Abbildung c : (a, b) → M, −∞ ≤ a, b ≤ ∞ . D.h. für alle Karten (U, x) von M ist c−1 (U ) ⊂ R offen und x ◦ c : c−1 (U ) → Rn ist differenzierbar. Sei M eine n−dimensionale Untermannigfaltigkeit von Rk und sei p ∈ M . Dann ist der Tangentialraum von M im Punkt p die Menge der in p angemachten“Geschwindigkeitsvektoren ċ(0) von Kurven in M mit c(0) = p. ” Genauer Tp M := (p, v) ∈ M × Rn Es gibt eine Kurve c : (−, ) → M mit c(0) = p und ċ(0) = v . Die Elemente von Tp M heißen Tangentialvektoren von M im Punkt p. 38 Satz 9.5. Sei M eine n-dimensionale Untermannigfaltigkeit von Rk . Dann ist Tp M für jedes p ∈ M ein n-dimensionaler Vektorraum wenn (p, v) + (p, w) := (p, v + w) λ(p, v) := (p, λv) λ ∈ R. Für jede Karte (U, x) bei p ∈ M gilt Tp M = {p} × Jx−1 (x(p))Rn . Für eine n-Mannigfaltigkeit M , welche nicht Untermannigfaltigkeit eines Rk ist, ergibt obige Definition von Tp M keinen Sinn, da ċ(0) auch für differenzierbare Kurven nicht existiert ([c(h) − c(0)]/h ist im Allgemeinen nicht definiert). Man kann aber die Koordinaten x(c(t)) bezüglich einer Karte (U, x) differenzieren. Sind (U, x) und (V, y) zwei Karten von M bei p, dann müssen d (x ◦ c) dt t=0 und d (y ◦ c) dt t=0 als äquivalente Repräsentanten eines Tangentialvektors betrachtet werden. Relationen Eine Relation auf einer Menge A ist eine Teilmenge R von A×A. Statt (a, b) ∈ R schreibt man aber a ∼R b oder a ∼ b. Eine Relation auf A heißt Äquivalenzrelation falls für alle a, b ∈ A gilt: 1) a ∼ a 2) a ∼ b ⇒ b∼a 3) a ∼ b ∧ b ∼ c ⇒ Symmetrie a∼c Transitivität Die Menge [a] := {b ∈ A|b ∼ a} heißt Äquivalenzklasse von a. Die Elemente von [a] heißen Repräsentanten der Klasse [a]. (1) Tangentialvektoren als Äquivalenzklassen von Koordinaten-n-Tupeln (phys. Definition von Tp M ). Sei p ∈ M . Für Karten (U, x), (V, y) bei p und Vektoren ξ, η ∈ Rn definieren wir eine Äquivalenzrelation durch (x, ξ) ∼ (y, η) ⇐⇒ n X ∂xk i ξ = η. i p ∂y i=1 k Die zugehörigen Äquivalenzklassen heißen (physikalische) Tangentialvektoren von M in p. 39 (2) Tangentialvektoren als Äquivalenzklassen von Kurven (geom. Definition von Tp M ). Sei p ∈ M . Zwei Kurven c1 , c2 : (−, ) → M mit c1 (0) = c2 (0) = p seien äquivalent, c1 ∼ c2 , wenn für eine und damit für jede Karte (U, x) bei p gilt d d (x ◦ c1 ) = (x ◦ c2 ) . dt dt t=0 t=0 Die zugehörige Äquivalenzklassen heißen (geometrische) Tangentialvektoren von M in p. Zwischen den Definitionen (1) und (2) besteht folgender Zusammenhang: Der physikalische Tangentialvektor [(x, ξ)] entspricht dem geometrischen [c] mit c(t) := x−1 (x(p) + tξ), und der geom. Trangentialvektor [c] entspricht dem phys. Tangentialvektor [(x, ξ)] mit d ξ := (x ◦ c)(t) . dt t=0 Die Definition (1) und (2) von Tp M haben den Nachteil, dass sie Tangentialvektoren als Äquivalenzklassen definieren, was oft umständlich ist. Das wird durch folgende algebraische Definition vermieden. Wir betrachten zuerst den Fall M = Rn : Ist p ∈ Rn dann entspricht jedem Vektor (p, v) ∈ Tp Rn eine Richtungsableitung ∂v definiert durch d ∂v f (p) := f (p + vt) dt t=0 für differenzierbare Funktionen f : M → R. Sie ist linear und erfüllt die Produktregel. (3) Tangentialvektoren als Richtungsableitungen (alg. Definition von Tp M ). Sei F(M ) der reelle Vektorraum der differenzierbaren Abbildungen f : M → R. Ein Tangentialvektor (oder Derivation) v von M im Punkt p ∈ M ist eine lineare Abbildung v : F(M ) → R, welche die Produktregel im Punkt p erfüllt. D.h. für alle f, g ∈ F(M ), λ ∈ R gilt. v(f + g) = v(f ) + v(g), v(λf ) = λv(f ), v(f g) = v(f )g(p) + f (p)v(g). 40 Beispiel: Sei (U, x) eine Karte von M bei p. Dann werden durch ∂f f 7→ k = 1, . . . , n , ∂xk p n Derivationen aus Tp M definiert. Sie werden mit ∂ oder ∂k k ∂x p p bezeichnet. Lemma 9.6. Sei v eine Derivation aus Tp M . Dann gilt (a) v(f ) = 0 für jede konstante Funktion f ∈ F(M ). (b) v(f ) = v(g) falls f und g in einer Umgebung von p übereinstimmen. Die Elemente von Fp (M ) := [ F(U )U ist eine Umgebung von p heißen Keime differenzierbarer Funktionen auf M bei p: Jede Funktion f ∈ Fp (M ) lässt sich fortsetzen zu einer differenzierbaren Funktion f˜ ∈ F(M ) mit f = f˜ in einer Umgebung von p. Aus obigem Lemma folgt, dass v(f˜) für v ∈ Tp M unabhängig ist von der Wahl der Fortsetzung f˜. Man definiert v : Fp (M ) → R durch v(f ) = v(f˜). Satz 9.7. Der (algebraische) Tangentialraum Tp M einer n-dimensionalen Mannigfaltigkeit M ist ein n-dimensionaler reeller Vektorraum. Ist x = (x1 , . . . , xn ) ein Koordinatensystem bei p, dann ist ∂ ∂ , . . . , ∂x1 p ∂xn p eine Basis von Tp M und für jeden Vektor v ∈ Tp M gilt n X ∂ v= ξk k , ξ k = v(xk ). ∂x p k=1 Korollar 9.8. Für Koordinatensysteme (U, x), (V, y) bei p ∈ M gilt n X ∂ ∂y i ∂ (p) i . = ∂xk p k=1 ∂xk ∂y p Für einen Vektor v ∈ Tp M mit v= n X k=1 n ξk X ∂ ∂ = ηi , ∂xk p k=1 ∂y i p gilt n X ∂y i (p)ξ k . η = k ∂x k=1 i 41 Dieses Korrolar zeigt insbesondere, dass (x, ξ) und (y, η) äquivalente Repräsentanten eines physikalischen Tangentialvektors sind. Äquivalente Beschreibungen eines Tangentialvektors: X ∂ ξ k k : Richtungsableitung, ∂x p (x, ξ) : Richtung ξ ∈ Rn bezüglich Karte x, x−1 (x(p) + tξ) : Kurve in M durch p mit Koordinaten x(p) + tξ. Insbesondere entspricht ∂x∂ k p dem physikalischen Tangentialvektor repräsentiert durch (x, ek ), ek = (0, . . . , 1, . . . 0)T , mit der 1 an der k-ten Stelle. Ist M eine P Untermannigfaltigkeit eines Rn , dann entspricht nk=1 ξ k ∂x∂ k p dem Tangentialvektor d ċ(0) = x−1 x(p) + tξ = Jx−1 (x(p))ξ ∈ Rn . dt t=0 Das Differential differenzierbarer Abbildungen Sie φ : M → N differenzierbar und sei q = φ(p). Die Ableitung oder das Differential dφp : Tp M → Tq N ist definiert durch (dφp v)(g) = v(g ◦ φ), g ∈ Fq (N ). Es gilt die Kettenregel: d(γ ◦ φ)p = dγφ(p) ◦ dφp , wenn φ : M → N und γ : N → G differenzierbare Abbildungen zwischen Mannigfaltigkeiten M, N, G sind. Nach Satz (9.7) gilt n X ∂ k (dφp v)(y ) k dφp v = ∂y p k=1 n X ∂ k = v(y ◦ φ) k . ∂y φ(p) k=1 Also insbesondere n X ∂ ∂(y k ◦ φ) ∂ dφp i = , ∂x p k=1 ∂xi p ∂y k φ(p) (12) wobei x1 , . . . , xn und y 1 , . . . , y n Koordinatensysteme bei p bzw. φ(p) sind. Daraus leiten wir das Abbildungsverhalten eines phys. Tangentialvektor ab: m X ∂(y k ◦ φ) i dφp [(x, ξ)] = [(y, η)], ηk = ξ. i ∂x p i=1 42 Für den geometrischen Tangentialvektor [c] gilt dφp [c] = [φ ◦ c]. Ist M ⊂ Rm eine offene Teilmenge, φ : M → M die Identität und sind x1 , . . . , xn und y 1 , . . . , y n zwei Kartensysteme bei p, dann gilt dφp = 1. Und aus (12) folgt n X ∂ ∂y k ∂ = , ∂xi p k=1 ∂xi p ∂y k φ(p) was die aus der HM 2 bzw. der Analysis bekannte Kettenregel ist. Das Tangentialbündel Die Vereinigung der Tangentialräume [ T M := Tp M = (p, v)p ∈ M, v ∈ Tp M p∈M heißt Tangentialbündel von M . T M wird zu einer 2n-dimensionalen Mannigfaltigkeit, wenn man zu jeder Karte (U, x) von M eine Karte n X i ∂ ξ p, 7→ (x(p), ξ) ∈ R2n i p ∂x k=1 von T M definiert. Beispiel: Die Lagrange-Funktion eines Punktteilchens auf einer Untermannigfaltigkeit M des R3 ist eine Funktion L : T M → R. Vektorfelder Ein Vektorfeld X auf einer Mannigfaltigkeit M ist eine Abbildung X : M → T M, p 7→ Xp ∈ Tp M. Das Vektorfeld X heißt differenzierbar, wenn für alle f ∈ F(M ) durch M → R, p 7→ Xp (f ) eine differenzierbare Abbildung definiert wird. Die Menge der differenzierbaren Vektorfelder auf M wird mit X (M ) bezeichnet. Ist f ∈ F(M ) und X ∈ X (M ) dann sind das Vektorfelder f X und die Funktion X(f ) defniert durch (f X)p := f (p)Xp X(f )(p) := Xp (f ). Die Abbildung f 7→ X(f ) ist linear auf F(M ) und sie erfüllt die Produktregel: X(f g) = X(f )g + f X(g). 43 1-Formen Sei V ein n-dimensionaler reeller Vektorraum. Die Menge der linearen Abbildungen vx : V → R wird mit V ∗ bezeichnet und heißt Dualraum von V . Die Elemente von V ∗ heißen Linearformen oder Kovektoren. V ∗ ist ebenfalls eine n-dimensionaler Vektorraum über R und zu jeder Basis v1 , . . . , vn von V gibt es eine duale Basis v∗1 , . . . , v∗n von V ∗ bestehend aus den Linearformen v∗k definiert durch v∗k (vi ) = δik , i, k = 1, . . . , n. Jeder Vektor v ∈ V hat somit die Darstellung v= n X v∗k (v)vk . k=1 Eine 1-Form ω auf einer Mannigfaltigkeit M ist eine Abbildung ω : p 7→ ωp ∈ Tp∗ M, ∗ wobei Tp∗ M := Tp M der Kotangentialraum von M im Punkt p ist. Eine 1-Form heißt differenzierbar, wenn für jedes differenzierbare Vektorfeld X auf M die Funktion ω(X) : M → R, p 7→ ωp (Xp ) differenzierbar ist. Die Menge der differenzierbaren 1-Formen wird mit X ∗ (M ) bezeichnet. Das Differential df einer Funktion f ∈ F(M ) definiert durch für f ∈ F(M ) dfp (v) := v(f ), ist eine differenzierbare 1-Form, denn für jedes Vektorfeld X ∈ X (M ) ist df (X) = X(f ) eine differenzierbare Funktion. Ist x = (x1 , . . . , xn ) ein Koordinatensystem bei p, dann gilt ∂ ∂f dfp = (13) ∂xk p ∂xk p und insbesondere gilt für die Koordinatenfunktion x1 , . . . , xn , ∂ i dxp = δki . k ∂x p Die Differentiale dx1p , . . . , dxnp bilden somit die zu ∂1 p , . . . , ∂n p duale Basis. Für jeden Kovektor ωp ∈ Tp∗ M gilt ωp = n X k=1 ωp ∂ dxkp k ∂x p 44 (14) und für jede Funktion f ∈ F(M ) gilt nach (13), (14) dfp = n X ∂f k dxp . k p ∂x k=1 (15) Eine 1-Form ω heißt exakt, wenn es eine Funktion f ∈ F(M ) gibt mit ω = df . Das Integral einer 1-Form ω längs einer differenzierbaren Kurve γ : [a, b] → M ist definiert durch Z Z b ω := ωγ(t) γ̇(t) dt. (16) a γ Wobei γ̇(t) ∈ Tγ(t) M den Tangentialvektor γ̇(t)f := d f (γ(s)) , ds s=t f ∈ F(M ) bezeichnet. Mit der Abkürzung xk (t) := xk (γ(t)) gilt n X ∂ ẋ (t) k . γ̇(t) = ∂x γ(t) k=1 k (17) Satz 9.9. Ist γ eine differenzierbare Kurve in M , welche p1 ∈ M mit p2 ∈ M verbindet, dann gilt für jede Funktion f ∈ F(M ) Z df = f (p2 ) − f (p1 ). γ Für Kurven die innerhalb eines einzigen Kartengebiets von M liegen, folgt dieser Satz leicht aus (13), (16), (17) und der Kettenregel. Thermodynamik Thermische Gleichgewichtszustände einfacher Systeme bilden eine Mannigfaltigkeit M . Der erste Hauptsatz der Thermodynamik garantiert die Existenz einer Funktion U : M → R, (innere Energie), so dass ∆U = U (p2 ) − U (p1 ) die am System geleistete Arbeit ist, welche aufgebracht werden muss um das System in einem adiabatischen Prozess von p1 in p2 überzuführen. Bei einem beliebigen Prozess, welcher p1 mit p2 verbindet, wobei die Arbeit ∆A geleistet wird, definiert man ∆Q = ∆U − ∆A 45 als die dem System zugeführte Wärme. Von nun an betrachten wir nur noch reversible, quasistatische Prozesse, wo das System zu jedem Zeitpunkt in einem Gleichgewichtszustand ist. Ein solcher Prozess lässt sich durch eine Kurve γ in M beschreiben und die dabei geleistet Arbeit kann durch das Linienintegral Z ∆A = α γ einer 1-Form α= n X y i dxi (18) i=1 berechnen werden. Die Funktionen y i : M → R sind dabei durch andere Theorien (Mechanik, Elektrodynamik,...) gegeben. Im Fall eines idealen Gases fester Teilchenzahl N ist N kT α = −pdV, p(T, V ) = . V Man definiert nun eine 1-Form ω der reversibel zugeführten Wärme durch ω = dU − α. Denn (19) Z ω = ∆U − ∆A = ∆Q γ ist ja die dem System bei reversibler Zustandsänderung längs γ zugeführte Wärme. Dabei haben wir U als differenzierbar angenommen. Als Folge des zweiten Hauptsatzes gibt es eine differenzierbare Funktion S : M → R, so dass dS = ω . T (20) S heißt Entropie und ist (wie die innere Energie U ) nur bis auf eine additive Konstante bestimmt. Nach dem 3. Hauptsatz der Thermodynamik kann man diese aber so wählen, dass limT →0 S = 0. Durch Kombination von (18), (19), und (20) erhalten wir n X dU = T dS + y i dxi . i=1 46