INNOVATIVE MEDIZIN how to live it Alt macht jung. Neue Knorpel. In unserer alternden Gesellschaft wird Arthrose zunehmend zum Problem. Weil abgenutzte Knorpel als irreparabel gelten, werden immer öfter künstliche Gelenke eingesetzt. Professor Eckhard Alt (Foto rechts) hat ein neues, Erfolg versprechendes Verfahren entwickelt – er lässt mithilfe von Stammzellen neue Knorpel wachsen. Was Eckhard Alt zu sagen hat, interes- zentrifuge ab und spritzt sie zurück in siert sogar den Papst. Als Franziskus En- das schadhafte Gelenk. In bisher vier de April 2016 zur dritten internationa- klinischen Studien in den USA und len Konferenz über Fortschritte in der Deutschland hat er nachgewiesen, dass regenerativen Medizin lädt, ist der Pro- die Methode funktioniert und sicher ist. fessor aus München einer der Haupt- Eine der Studien erwies sich als be- redner. sonders aufschlussreich. Hier wurden Im Lauf seiner jahrzehntelangen For- die Patienten nach einem Jahr wieder schungen in Deutschland und den USA vorstellig und gaben die Genehmigung, hat der Gründer des Isar Klinikums im eine kleine Knorpelgewebeprobe für ei- Herzen Münchens an die 700 Patente zu ne zellbiologische Untersuchung zu ent- medizinischen Schlüsseltechnologien an- nehmen. „Es zeigte sich nach diesem ei- gehäuft. Insbesondere auf den Gebieten nen Jahr“, so Alt, „dass die Knorpelde- machen wir entsprechende Studien. Wir der Stammzellforschung und der Be- fekte zu 95 Prozent geheilt waren. Die wollen zeigen, dass die Therapie sinn- handlung von Herz-Kreislauf-Erkran- Patienten wiesen einen neu gewachsenen voll ist und die neue Methode sich auch kungen ist er erfolgreich. Knorpel auf, der an der Grenze des alten mit dem vorherrschenden Goldstandard Jetzt will er sicheren Behandlungsme- Knorpels aufgehört hatte zu wachsen. in der Behandlung vergleichen lässt. Na- thoden für Arthrosekrankheiten zum Er bildete also weder eine Narbe noch türlich lassen wir die Ergebnisse dann Durchbruch verhelfen – Erkrankungen, überwucherte er die alten, noch vorhan- von Dritten auswerten.“ die mit der Zerstörung von Gelenkknor- denen Reste.“ Arthrose ist eine hinterhältige Krank- peln einhergehen und die bisher als un- Die Methode, mit autologen Stammzel- heit. Sie schleicht sich oft lange unbe- heilbar gelten. len zu heilen, scheint bereit für die breite merkt in die Gelenke und kann das Le- Mithilfe sogenannter autologer Stamm- Anwendung. Zumal auch andere re- ben zur Hölle machen. Zunächst ist da zellen sollen beschädigte und abgenutzte nommierte Forschungsinstitute in Israel, ein Knirschen, dort ein Knacken – und Knorpel in Gelenken nachwachsen. Das England und Slowenien ähnlich Erfolg eines Morgens ist er dann da, der ste- sind adulte, also erwachsene Stammzel- versprechende klinische Daten publiziert chende Schmerz in den Knien oder der len, die überall im Körper in den Blutge- haben. Hüfte. Dieser sogenannten „Anlauf- fäßen vorkommen und am einfachsten Doch Alt ist ganz Wissenschaftler, wenn schmerz“ verschwindet zunächst recht aus Fettgewebe zu gewinnen sind. Alt er zurückhaltend sagt: „Ich bin am An- schnell nach einer warmen Dusche oder entnimmt dazu ein Stückchen Fett, fang vorsichtig mit solchen Hoffnungen leichten Bewegungsübungen. Spätestens trennt die Stammzellen in einer Spezial- und will sie erst beweisen. Deswegen jetzt sollten die Betroffenen ihren Arzt 100 pw 02.16 befragen. Arthroseschmerzen entstehen, Heute lässt sich Arthrose mit Fug und schnell zu einem künstlichen Gelenk. weil sich winzige Knorpelstücke selbst- Recht als Volkskrankheit bezeichnen. Denn viele der traditionellen Heilungs- ständig machen und an den Knochen Sie ist die häufigste Krankheitsgruppe versuche sind bislang gescheitert. Eine reiben. Wenn es ganz schlimm kommt, bei Arbeitsunfähigkeitstagen, Frühbe- Prothese gilt deshalb als letzte probate schaben die Knochen bereits direkt an- rentungen, Rehabilitationsmaßnahmen Möglichkeit. einander. und Krankenhausbehandlungen. Ver- Je nach Schweregrad der Knorpelschä- Leider wachsen Knorpel nur äußerst lässliche volkswirtschaftliche Schadens- den wurde in der Vergangenheit zum langsam nach, sehr viel langsamer, als summen liegen allerdings nicht vor. Beispiel versucht, den Abbauprozess mit sie abgenutzt werden. Denn das Gewebe Meist erwischt es die Kniegelenke, ge- entzündungshemmenden Medikamen- durchzieht kein Blutgefäß, das die Zel- folgt von Hüft- und Schultergelenken. ten, mit Hyaluronsäure- oder Kortison- len versorgen könnte. Die einzige Mög- Im Jahre 2008, so die letzte Aufstellung injektionen zu stoppen – ohne bleibende lichkeit des Körpers, die Knorpelzellen des Robert-Koch-Instituts und des Sta- Linderung. Wenig Erfolg ist auch den zu versorgen, ist die langsame Diffusion tistischen Bundesamts, betrugen die Ver- Versuchen beschieden, bei denen Ärzte von Nährstoffen über die sogenannte luste durch Knorpelschäden in Deutsch- den verbliebenen Knorpel abtrugen und Synovialflüssigkeit im Gelenkspalt. Das land rund 70 000 Erwerbstätigkeits- kleine Löcher in den Knochen bohrten, ist die Gelenkschmiere, die die Innen- jahre. in der Hoffnung, dass dort neue Knor- schicht der Gelenkkapsel ausscheidet, Obwohl es Methoden gibt, den Knor- pelzellen wachsen. Das passierte zwar, um die Gelenkflächen mit einem Gleit- pelverfall zumindest zu verzögern, raten aber es war minderwertiger Knorpel, so- film zu überziehen. die meisten Orthopäden den Patienten genannter Faserknorpel, der wenig ro- > 02.16 pw 101 INNOVATIVE MEDIZIN how to live it bust ist und sich schnell wieder abnutzt. Hohe Erwartungen setzten Ärzte einst auch auf die Transplantation von Knorpelzellen. Dazu nahmen sie von den verbliebenen Zellen im Gelenk eine kleine Probe, die sie im Reagenzglas unter optimalen Bedingungen zur Vermehrung animierten. Aufgebracht auf dünnes Trägermaterial, wurden sie zurück ins Gelenk verpflanzt. Das Dumme nur: Im Reagenzglas verloren die Zellen die Orientierung. Denn Knorpelzellen brauchen den Druck des Körpergewichts, damit sie lernen, was und wo sie sind. Nach zwei bis drei Jahren ist die so ge- Knorpel wachsen lassen. züchtete Knorpelschicht wieder aufgebraucht und nur die Unterlage übrig. Eine weitere medizinische Neuerung in der zeitige Gabe von Wachstumsfaktoren ist der Derart zerschlagene Hoffnungen bei ei- Knorpelrettung hat sich schon länger durch- Erfolg einer Stoßwellentherapie unter Exper- ner so weitverbreiteten Krankheit öff- setzen können. Die Injektion von sogenann- ten äußerst umstritten. nen natürlich Geschäftemachern Tür ten Wachstumsfaktoren erwies sich in der Stoßwellen sind Schallwellen mit niedriger und Tor. Denn in ihrer Verzweiflung Vergangenheit als recht erfolgreich. Wachs- Energie, deren Stärke je nach Organ einge- greifen viele Patienten auch noch nach tumsfaktoren sind Eiweißstoffe, die Zellen stellt werden muss. „Dadurch werden die dem allerletzten Strohhalm. zur Vermehrung anregen. Wachstumsfaktoren erklärt Das Therapieverzeichnis des Deutschen Einer der Mediziner, die diese Methode an- Schleicher. In den fünf Jahren, in denen er Arthrose-Forums, einem Online-Selbst- wenden, ist der niedergelassene Arzt Peter seine Arthrosepatienten mit dieser Methode hilfeforum, listet mittlerweile sagenhaf- Schleicher, ebenfalls aus München. Er extra- behandelt, erlebte er noch keinen Rückfall. te 229 „Therapien“ auf, die der Ge- hiert für 350 Euro pro Sitzung die Wachs- Eckhard Alt bestätigt, dass Wachstumsfak- sundheitsmarkt zur Linderung von Ar- tumsfaktoren aus Blutplasma, konzentriert toren aus Blut den Knorpelzellen einen extra throse bietet. Einige davon mögen hilf- sie in einer Zentrifuge und spritzt sie zurück Schub geben. „Wenn die Knorpelschicht aber reich und nützlich sein. Aber viele wer- ins Gelenk, wo sie das Wachstum der noch schon weitgehend aufgebraucht ist, helfen den in den Leitlinien der wissenschaft- vorhandenen Zellen anregen. Sein besonde- auch Wachstumsfaktoren aus Blutplasma lichen medizinischen Fachgesellschaften angeregt“, rer Ansatz: „Wir führen diese Therapie in nicht mehr“, meint er. Die Wirkung von Stoß- erst gar nicht erwähnt. Äußerst umstrit- Kombination mit Stoßwellen durch.“ wellen hält er ebenfalls für plausibel. „Sie ten sind zum Beispiel die zahlreichen Auch die Stoßwellentherapie selbst ist in die- mobilisieren die im Gewebe als Reservear- Nahrungsergänzungsmittel. Deren Her- sem Zusammenhang ziemlich neu, jedenfalls mee sitzenden Stammzellen, die normaler- steller beteuern zwar auf Beipackzet- soweit es die Anwendung beim Menschen be- weise bei Bedarf durch Eiweißbotenstoffe teln, dass die Mittel „die Ernährung trifft. Bei Pferden mit Beschwerden in ihren herausgelöst werden“, erklärt er. und den gesunden Stoffwechsel im Ge- empfindlichen Sprunggelenken ist das Ver- Er selbst wendet weder Stoßwellen noch lenk“ unterstützen – aber das trifft auch fahren seit den Achtzigerjahren üblich. Für Wachstumsfaktoren bei seinen Patienten an. auf Leitungswasser zu. die Anwendung beim Menschen wurde es in Nach dem Motto: „Keep it as simple as pos- Eckhard Alt ist überzeugt, dass sich die Israel weiterentwickelt und in Deutschland sible“, beschränkt er sich auf die Trennung echte und erfolgreiche Innovation der zwölf Jahre lang mit Patientenstudien an der und das Zurückspritzen autologer Stammzel- autologen Stammzelltransplantationen Universität Essen überprüft. Das Ergebnis: len, wobei er durchaus Wachstumsfaktoren in der Behandlung von Knorpelschäden Der beschädigte Knorpel regeneriert sich beimischt, um das Wachstum des neuen durchsetzen werden. Er prophezeit aber innerhalb weniger Wochen. Ohne die gleich- Knorpelgewebes zu beschleunigen. auch, dies werde die Praxis der Medizin gewaltig durchrütteln: „Denn damit 102 pw 02.16 how to live it INNOVATIVE MEDIZIN wird einigen Menschen etwas von ihrer Geschäftsgrundlage genommen.“ Dazu gehören die Hersteller von künstlichen Gelenken ebenso wie Ärzte und Kliniken, die sich auf Prothesenoperationen spezialisiert haben – und natürlich alle Anbieter zweifelhafter Therapien. Der Mediziner spürt den Gegenwind bereits heute. Zwar ist seine Methode bei Knorpelschäden in Europa von der europäischen Gesundheitsbehörde EMA in London zugelassen und hat auch das umfassende CE-Zeichen. Doch muss Alt feststellen: „Die deutschen Behörden sagen, wir kümmern uns nicht um diesen Kniegelenkknorpel vor (links) und nach der Behandlung mit autologen Stammzellen. bindenden europäischen Beschluss.“ Der hellere Knorpel aus Stammzellen wuchs lückenlos an die alten, gelblichen Knorpel. Fotos: ISAR Klinikum // Agentur Focus RM / ZEPHYR/SCIENCE PHOTO LIBRARY Für sie ist einzig die Frage wichtig, ob die Stammzellen des Patienten ein Arz- „Die offizielle Argumentation könnte stellte. Denn Alt ist überzeugt: „Wer ei- neimittel oder ein autologes Transplan- wohl von anderen Motiven getragen nen Forschungsantrag schreibt, gelangt tat sind. Nutzt man sie unverändert im werden“, ist Alt überzeugt und meint an Gutachter, die nicht unbedingt auf Rahmen eines medizinischen Verfah- damit das Lobbying derer, die etwas zu dem gleichen Wissensniveau sind, oder rens, dann gehören sie zum Handwerks- verlieren haben. die an derselben Stelle häufig ein tieferes zeug des Operateurs, der sie in seiner Oben genannte Zulassung braucht Alt, Loch bohren wollen. Die wenigen, die es ärztlichen einsetzen um das Verfahren in der Klinik bewer- verstehen, sagen dann zum Teil: Das ist darf. Sind sie dagegen ein Medikament, ben zu können. Ohne sie ist ein Arzt eine gute Idee, aber lass uns das mal ab- das gespritzt wird, unterliegen sie völlig nicht versichert und Krankenkassen lehnen und selbst machen.“ anderen Zulassungsvoraussetzungen, dürfen die Kosten auch nicht überneh- nämlich der Prüfung ihres chemischen men. Dennoch: Wenn ein Patient um Verantwortung und biologischen Verhaltens in großen, Hilfe bittet, sagt der Mediziner, würde aufwendigen Studien, wie sie von der er die Operation durchführen. Pharmaindustrie verlangt werden. Rückblickend kritisiert der Wissen- Dass das Paul-Ehrlich-Institut, zustän- schaftler auch das System der medizini- dig für die Zulassung von Arzneimitteln, schen Innovationsförderung. Hätte er die Stammzellen nach Worten von Alt sich darauf verlassen und seine For- ! Autor: Hanns-J. Neubert Forschung unterstützen. Damit die Ergebnisse innovativer medi- als Medikamente einstuft, hält der Me- schungen nicht mit eigenem Geld finan- zinischer Forschung schnell den Patien- dizininnovator für falsch: „Es ist ein me- ziert, wäre er wohl nicht so weit gekom- ten zugute kommen, sind oft private dizinisches Verfahren. Die Zellen verlas- men, sei es im Bereich des Knorpelauf- Forschungsmittel nötig. Sie kürzen den sen nicht den Operationssaal und sie baus oder bei Neuerungen bei Herz- langwierigen und bürokratischen Weg werden auch nicht künstlich verändert, schrittmachern. Dazu gründete Alt vor über öffentliche Fördermittel ab. sondern nur extrahiert.“ Deshalb seien vielen Jahren die Internationale Stiftung Die „Internationale Stiftung Medizin und sie eben keine Arzneimittel. Er sieht sich Medizin und Wissenschaft in Deutsch- Wissenschaft“ von Professor Eckhard darin von den europäischen Nachbar- land sowie die Stiftung „Alliance Of Alt unterstützt dies und ist offen für Zu- ländern und vom Europarechtler Rudolf Cardiovascular Researchers“ in New stiftungen und Spenden. Mit ihnen wird Streinz von der Ludwig-Maximilians- Orleans, USA. zudem ein Krankenhaus in Tansania Universität in München bestätigt, der Gemeinsames Ziel: Die Umsetzung in- unterstützt. Adresse: c/o Isar Klinikum, das Verhalten des zuständigen Bundes- novativer medizinischer Forschung – Sonnenstr. 24–26, 80331 München. instituts für nicht rechtskonform hält. ohne Bürokratie und Verwaltungsange- 02.16 pw 103