Psychotherapie bei affektiven Störungen Psychotherapie bei Depressionen Martin Hautzinger Eberhard Karls Universität Tübingen Psychologisches Institut [email protected] Interpersonale Psychotherapie: IPT Soziale und zwischenmenschliche Erfahrungen sind entscheidend bei der Depressionsgenese und –verlauf Verstehen der Erkrankung, zwischenmenschliche Konflikte (Verluste, Krisen, Rollenwechsel, Isolation, Defizite) damit in Beziehung sehen lernen Informationen über biopsychosoziales Erklärungskonzept (damit auch für Medikation), Selbstbeobachtungen Bewältigungsformen (Verstehen, Akzeptieren, positive Haltung entwickeln), Fertigkeiten lernen, zum besseren Umgang mit den interpersonalen Erfahrungen und den Schwierigkeiten im Zwischenmenschlichen, Verstärkung Erweiterung „IPSRT“ für Bipolare Affektive Störungen • Verschiede Formen und Richtungen IPT, IPSRT, STPP, GPT, KVT, MBCT, CBASP, FFT usw. • Verschiedene Settings Einzel- und Gruppentherapien • Rahmenbedingungen ambulant, stationär, Paare, Familien, Rehabilitation • Akutbehandlung, Symptomreduktion • Optimierung und Effektsteigerung • Rückfallverhinderung • Prävention bzw. Frühintervention IPT: Behandlungsabschnitte • Beziehungsaufbau, Psychoedukation, Psychobiologisches Erklärungsmodell, Problemeingrenzung (1.-3. Sitzung) • Bearbeitung zentraler interpersonaler Konflikte (z.B. Trauer, ….) Einübung von Fertigkeiten, Übungen (4.-12.Sitzung) • Beendigung, Ablösung, Vorbereitung auf Zeit nach Therapie (13.-16.Sitzung) 1 Psychodynamische Psychotherapie: STPP Trennungs- und Verlusterfahrungen, Kränkungen, Konflikte, Vereinsamung, akute und chronische Belastungen Abhängigkeit, gestörtes Idealselbst, Selbstaggression, Typus melancholicus als prämorbider Charakter, Fehlen von Durchsetzungskraft, Überanpassung, Selbstverleugnung Behandlungsstrategien: Hilflosigkeit und Konflikte bearbeiten, Analyse von Beziehungsmuster, Kompetenzen stärken, Ressourcen herausarbeiten, Erklärungen zu Krankheitsbild, Unterstützung, Bearbeiten depressogener Alltagserfahrungen, Konfrontation mit Negativität, strukturiertes und fokussiertes Vorgehen, Zielbestimmung und klarer Behandlungsrahmen Kognitive Verhaltenstherapie: KVT „STPP“: Interventionsstudien Vereinzelte kontrollierte, randomisierte Studien (Übersichten: Crits-Christoph 1992, Leichsenring 2001, 2004) Kaum Vergleiche mit IPT bzw. KVT Kaum Vergleiche mit Antidepressive Einige Katamnesestudien (ohne Kontrollen) Bescheidene Evidenz, doch bei „STPP“ (im Mittel 20 (7-40) Sitzungen) keine Unterschiede in erzielten Effektstärken zu anderen Psychotherapien Integriertes heuristisches Therapiemodell Kognitive Prozesse Cognitive Therapy, Behaviour Therapy, Behavioral Activation, Behaviour Modification, Self Control Therapy, Social Skill Training, Communication Therapy, Family Focused Therapy etc. Mindfulness Based Cognitive Therapy, Cognitive Behavior Analysis System Therapy automatische Gedanken neg. Attributionen, dysfunktionale Bewertungen Situative Bedingungen, Auslöser Verhalten, Kompetenzen Ressourcen, Bewältigung Interaktionsmuster, Defizite Depressive Symptome Aktivitäten, verstärkende Erfahrungen, Tagesstruktur 2 Sechs Therapiephasen der KVT • Phase 1: zentrale Probleme erkennen, benennen; Aufbau therapeutischer Beziehung, Akzeptanz • Phase 2: Vermittlung therapeutisches Modell, Struktur und Elemente der Therapie • Phase 3: Aktivitätsaufbau, Tagesstruktur • Phase 4: Bearbeiten kognitiver Muster und dysfunktionaler Informationsverarbeitungen • Phase 5: Verbesserung der sozialen, interaktiven, problemlösender Kompetenzen • Phase 6: Vorbereitung auf Krisen, Beibehaltung des Gelernten, Rückfallverhinderung KVT Einzeltherapie Plan (16-20 Sitzungen) • Sitzungen 1-3: Anamnese, Problemanalyse, Ziele, Modell erarbeiten, Behandlungsschritte ableiten • Sitzungen 4-7: Verhaltensbezogene Maßnahmen der Tagesstrukturierung, angenehmen Tätigkeiten, Balance angenehmer und unangenehmer Aktivitäten • Sitzungen 8-13: Kognitive Interventionen, Gedankenkontrolle, Spaltenprotokolle, Schemata verändern • Sitzungen 14-18: Fertigkeiten und Kompetenzen aufbauen, Selbstsicherheit, Interaktionsfertigkeiten • Sitzungen 19-20: Erkennen von Krisen und Vorzeichen einer Depression, Rückfallverhinderung, Notfallplanung, Beibehaltung von Strategien nach Therapieende (Transfer) KVT: offene ambulante und stationäre Gruppen • Strukturiert, manualisiert, Materialien bezogen • 10-15 Therapiesitzungen: 1-2 Einzel- (60 Min) und 9-15 Gruppensitzungen (je 90-100 Minuten) • Modul 1 (3-5 Sitzungen): Aktivitätsaufbau, Tagesstruktur, Steigerung angenehmer Aktivitäten, Tages- und Wochenplan • Modul 2 (3-5 Sitzungen): Negatives Denken korrigieren, kognitives Umstrukturieren, Gedankenkontrolle, ABCMethode • Modul 3 (3-5 Sitzungen): Kompetenztraining, Erlernen neuer Fertigkeiten, Rollenspiele, Übungen Aktuelle Depression 3 % Response Psychotherapie bei Depressionen im Vergleich (Hollon et al. 2002, 2005) 60 50 MinD – Studie 40 Hautzinger, Hegerl, Henkel et al. 30 Randomisierte, prospektiveTherapiestudie zur Wirksamkeit von Pharmakotherapie und Psychotherapie bei „Minor Depression“ in einem (doppelblind) placebokontrollierten Kontrollgruppendesign 20 10 0 Behandlungen STPP IPT KVT Medikament Placebo „MinD“-Studie: Studiendesign „Minor“ Depression ... • Nicht-psychotische Episode oder Periode einer Störung, bei der eine relativ anhaltende depressive Gestimmtheit vorherrscht, ohne dass das Vollbild einer MDD erreicht wird. • Zwei oder mehr bekannter depressiver Symptome (z.B. Appetitmangel, Gewichtsverlust, Schlafstörungen, Energieverlust, Erschöpfung, Interesseverlust, Anhedonie, Selbstmitleid, Selbstvorwürfe, Konzentrationsprobleme, Todesgedanken, Pessimismus, Grübeln, Sorgen...) • Episode dauert mindestens zwei Wochen Screening in hausärztlichen Praxen (WHO-5) Baselineerhebung (CIDI / 8 ≤ HAM-D ≤ 22): Prä-Testung Stratifizierte Randomisierung Pharmakotherapie SSRI N = 100 Psychotherapie Placebo KVT N = 100 UGT N = 100 N = 100 Freie Wahl (SSRI oder KVT) N = 100 Behandlungsdauer pro Patient/Patientin: 10 Wochen Follow-up nach 12 Monaten („LIFE“-Interview) 4 KVT Kognitiv-Verhaltenstherapeutische Gruppe UGT Unspezifische, unterstützende Gruppentherapie • Strukturiert, manualisiert, Materialien bezogen, geleitet von erfahrenen, appropierten VTlerinnen • 10 Therapiesitzungen: 1 Einzel(60 Min) 9 Gruppen (je 90-100 Minuten), offene Gruppe • Modul 1 (3 Sitzungen): Aktivitätsaufbau, Tagesstruktur, Steigerung angenehmer Aktivitäten, Tages- und Wochenplan • Modul 2 (3 Sitzungen): Negatives Denken korrigieren, kognitives Umstrukturieren, Gedankenkontrolle, ABCMethode • Modul 3 (3 Sitzungen): Kompetenztraining, Erlernen neuer Fertigkeiten, Rollenspiele, Übungen • Keine Materialien, wenig Struktur, geleitet durch erfahrene Therapeutinnen, festgelegte und erlaubte Elemente und Vorgehensweisen • 1 Einzelgespräch, 9 Gruppensitzungen, offene Gruppe • Entspannungstraining (gegen Stress, für Schlaf) • Austausch über Alltag, Themen und Probleme die einen bewegen (Klärung und Unterstützung) • Empathische, verständnisvolle und zugewandte Therapeutinnen, Informationen über Depression erlaubt • Botschaft: Gruppe will anregen, anstossen, durch Unterstützung und Kontakte helfen Endergebnisse IDS Reduktion (ITT) Depressionen im Alter KVT - Gruppenprogramm IDS 28 26 24 22 p < .01 20 18 16 prä (t0) KVT post (t10) UGT SSRI Umgang mit Verlusten, Einschränkungen, Mangel an Positivem, Isolation, Kontrollverlust, Defiziten, Vorbehalte gegen „Psycho“, jüngere Therapeuten… Typische Struktur: 2 Gruppensitzungen Einführung, Modell, Edukation 3 Gruppensitzungen Modul „Aktivierung“ 3 Gruppensitzungen Modul „Kognitionen“ 3 Gruppensitzungen Modul „Soziale Fertigkeiten 1 Gruppensitzung Beibehaltung des Gelernten, Erkennen von Krisen, Notfallplanung 5 DiA 3: Design Programm Varianten (MDD, Dystymia, Alter > 65 J, MMST > 21, Medikation erlaubt, 15 Wochen Therapie) Gruppe Setting • 12 Wochen Programm in geschlossenen Gruppen zu 68 Teilnehmern (über 60 J.) ambulant, stationär • 15 Wochen Programm in offenen Gruppen zu 5-7 Teilnehmern (zwischen 65 und 85 J.) 1 Einzelgespräch zur Einführung 5 Gruppensitzungen Modul „Aktivierung“ 4 Gruppensitzungen Modul „Kognitionen“ 4 Gruppensitzungen Modul „Soziale Fertigkeiten 1 Einzelgespräch zum Abschluss, Notfallplanung und Beibehaltung des Gelernten Einzel N= 31 N= 26 N= 27 N= 25 DiA SuT it Ze Wo 72 Wo 20 (post) 0 (prä) Art der Therapie DiA 3: Stichprobenmerkmale DiA (58) DiA 3: IDS Zeit! Art der Therapie SuT (51) I G I 71,7 72,6 69,9 70,2 28 > 75 yrs 32 % 26% 18% 26% 26 DiA 71 % 51% 65 % 80% 24 SuT Female Diagnosis MDD Dysthymia 70,6 % 63,0% 76,9 % 92,0% 19,4 % 37,0% 23,1 % 8,0% IDS G Age 17,0 16,3 SuT 25,7 20,1 21,1 58,4 % 70,7% 68,5 % 68,0% 16 Antidepressive Med. Mild cogn. imp. (25> MMST >21) 68,4 % 70,4% 51,6 % 29,6% 14 23,1 % 71,5 % 80,0% 50,0 % 50,0% 72 DiA 25,5 MDD, lifetime 22,2% 20 20 18 16,1 % 0 22 24,0% Komorbidity Wochen 0 20 72 Wo 6 DiA 3: IDS Zeit x Setting DiA 3: IDS Zeit!Art Therapie!Setting 28 28 24 IDS Wochen Group 0 20 72 G 25,4 17,5 18,1 I 25,7 15,7 15,5 Individual 22 20 18 n. s. 16 Wochen 0 22 20 20 72 DiA G 23,7 18,3 18,75 23,2 15,6 15,4 SuT G 26,8 21,1 22,2 I 19,0 19,8 I 18 16 24,5 14 14 0 20 0 72 Wo 22 with ADM (N=82) 20 without ADM (N=27) KVT 20 SUT KVT E KVT G 95 Wochen 0 72 Wo Prozent remittierter bzw. rückfallfreier Patienten % 100 18 20 DiA 3: DiA 3: Zeit!Antidepressiva GDS 24 IDS 26 DiA G DiA I SuT G SuT I 26 90 72 85 80 mit 16 ohne 14 20,8 20,1 14,5 14,4 13,9 75 13,8 70 65 60 12 55 10 50 0 20 72 Wo post t3 t6 t9 t12 7 Rückfallverhinderung nach Remission CBT (3 booster), ADM (continuation), Placebo (continuation) (Hollon et al. 2005) % ohne Rückfall CBT ADM Placebo 4 6 8 Was sind die Wirkmechanismen? Wodurch wirkt Psychotherapie? 100 80 60 40 20 0 0 2 10 12 24 Monate Wirkkomponenten Analyse der KVT (Jacobson et al. 1996) 137 Patienten (unmediziert) mit Major Depression wurden zufällig zugewiesen: Verhaltenstherapie („nur“ Tages- und Wochenplanung, Alltagsstruktur, Steigerung angenehmer Aktivitäten, Reduktion unangenehmer Aktivitäten) Bewältigungstherapie (VT plus Herausarbeiten negativer Gedanken, Formulierung hilfreicher, positiver Gedanken, Selbstinstruktionstraining, Verhaltensübungen) Kognitive VT (VT plus Bearbeiten negativer Gedanken, Bearbeitung von Grundüberzeugungen, Schemata, Verhaltensübungen) Wirkkomponenten Analyse der KVT (Jacobson et al. 1996) Abhängige Variablen: BDI (Selbstbeurteilung) HAMD (Fremdbeurteilung) Effekte und Ergebnisse: Weder nach 16 Wochen (Therapieende) noch nach 6 und 12 und 18 Monaten (Katamnesen) ergaben sich signifikante Unterschiede! 8 Möglich Wirkkomponenten von Psychotherapie bei Depressionen • Information zum Krankheitsbild, Begründung liefern zu Entstehungs- und Bedingungsfaktoren • Ziele konkret formulieren • Plan, Struktur der Behandlung transparent machen • Aktuelle Probleme lösen bzw. bewältigen • Gestuftes, nicht überforderndes Vorgehen • Anwendung des Erarbeiteten außerhalb der Therapie • Aktive und direktive Therapeuten Modellvorstellungen: Rezidivierende D. Rezidivierende Depressionen Rückfallverhinderung durch KVT (Jarett et al. 2001) Krankheitskonzept Persönlichkeit, Bewältigungsstile Lebensereignisse, Belastungen Soziales Netz und Stützsystem Vulnerabilitäten Biologische Anfälligkeit Psychologische Anfälligkeit Traumatisierung 100 90 Kooperation Compliance Medikament Verhaltensänderung Responder % 80 Erleben von Stress Bewältigungs -verhalten Lebensstil Lebensart 70 60 50 Prodromalsymptomatik Syndrom Affekt Antrieb Kontrollen KVT 30 20 Verhalten Denken 40 Depression 10 0 104 Wochen 9 „Well-Being Therapy“ • Einsatz in der Regel nach Pharmakotherapie der akuten Episode • Ziel ist Überwindung der Pharmakotherapie • Ausgangspunkt: Psychologisches „WellBeing“-Modell von Ryff • 10 Sitzungen in 2-wöchentlichem Abstand mit einer Dauer von je 45 Minuten Dimensionen des Well-Being nach Ryff (1989) • • • • • Bewältigung der Umwelt (Kontrollüberzeugung) Persönliches Wachstum (Weiterentwicklung) Lebenssinn (Ziele, Bedeutung des Lebens) Autonomie (Unabhängigkeit, Selbst-Management) Selbstakzeptanz (akzeptiert eigene positive und negative Eigenschaften) • Positive Beziehungen zu anderen (warmes und vertrauensvolles Verhältnis zu anderen, Empathie) Therapieprinzipien • Rückfallprophylaxe strebt in erster Linie eine Verbesserung des „Well-Being“ an • „absence of well being is a risk factor for future difficulties“ • Aufmerksamkeit wird bewusst auf Momente gelegt, in denen sich Pat. wohlfühlen und versucht diese zu fördern • Life Balance • Nur durch Verhaltens- und Einstellungs-änderung gelingt Überwindung der Depression KVT zur Rückfallverhinderung bei Recurrent Depression (Fava et al. 2004) KVT+TAU (N=20) 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 0 12 24 CM+TAU (N=20) 36 48 60 72 Monate 10 MBCT Mindfulness Based Cognitive Therapy Achtsamkeit • Manualisierte Gruppentherapie (8 Sitzungen) • Integriert KVT, Achtsamkeit, Stressbewältigung • Bewusstmachen von Stress, Gefühlen, Gedanken, Körperempfindungen („awareness, staying present, allowing, letting be“) • Diese Sensationen als vorübergehende, passagere Empfindungen vermitteln (Gelassenheit vermitteln, „thoughts are not facts“) • Aufgeben und Abbau (Automatismen, Grübeln, Risikoverhalten, Verhaltensgewohnheiten) • Lernen von neuem Verhalten (Skill training, „how can I best take care of myself“) „Achtsamkeit meint seine Aufmerksamkeit in einer bestimmten Weise auszurichten: absichtsvoll, im gegenwärtigen Augenblick und nicht wertend“ (Kabat-Zinn, 1990) Verlaufskurven: Patienten ohne Rückfall (Teasdale et al. 2000; Ma etal. 2004) Wesentliche Ziele der MBCT • „Dezentrierung“: Erkennen, dass Gedanken und Gefühle vorübergehende Phänomene sind • Erlernen wesentlicher Fakten über depressive Störungen 100 90 80 70 60 50 40 30 MBCT TAU 20 10 0 week 00 week 10 week 20 week 30 week 40 week 50 week 60 11 Ziele der Studie Aktuelle Studie: „Combined Cognitive-behavioral and Pharmacological Continuation and Maintenance Treatment of Recurrent Depression“ Stangier (Jena), Hautzinger (Tübingen), Schlösser (Jena), Barocka (Hohe Mark/Oberursel), Heidenreich (Frankfurt) Studiendesign 1. Vergleich der Langzeiteffekte von kognitivverhaltens- therapeutischer Rückfallprävention (CBMT) plus medikamentöser Erhaltungstherapie vs. aktive Psychoedukation (MAPE) plus TAU bei Patienten mit rezidivierender Depression auf die Rückfallrate 2. Identifikation von Prädiktoren für stabile Remission und Rückfall Kognitiv-behaviorale Rückfallprävention (CBMT): 16 Einzelsitzungen in 8 Monaten 12 Orientierung zur zeitlichen Strukturierung Modul Inhalt Sitzungen Frequenz 1 Psychoedukation, Diagnostik und Therapieplanung 3 Wöchentlich 2 Akzeptanz / Werteorientierte Verhaltensaktivierung 4 14tägig 3+5 Kognitive Umstrukturierung, Well-Being, Lifestyle 6 14tägig / 3wöchig 4 Belastungstest 2 (12. + 13.) 3wöchig 6 Rückfallprophylaxe 1 4wöchig 16 32 Wo/8Mo Gesamt % Remission Verläufe depressiver Störungen Therapieresistente und chronische Depressionen „Chronische Depression“ kein einheitliches Konstrukt 100 • Unterschiedliche Schweregrade 90 (Dysthymie, Major Depression) 80 70 • Unterschiedliche Verläufe 60 (Lebenslang, wenige Jahre, in Folge rezidivierender Depression) 50 • Hohe Komorbidität mit anderen Störungen 40 30 (psychischen, körperlichen Erkrankungen) 20 • Hohe Anpassung der Lebensbedingungen 10 (familiäre, freizeitliche, soziale, berufliche) 0 0 < 1/2 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 > 10 • Multiple Behandlungsversuche (pharmakologisch, physikalisch, psychologisch) 13 Besonderheiten der chronischen Depression • • • • • • • • Unter 681 chronisch depressiven Patienten erlebten: 34% Verlust eines Elternteils vor 15.Lbj.; 42% körperlichen Missbrauch; 16% sexuellen Missbrauch; • nur bei etwa 1/3 kein Kindheitstrauma Misshandlungen (sexuell, physisch) Frühe (soz.) Verlusterfahrungen ohne Ersatz Langanhaltende Belastungen (multiple) Fertigkeitendefizite (kognitiv, sozial, coping) Zahlreiche Fehlschläge bei Behandlung Stationäre und ambulante Beh. (Resistenz) Resigninative Anpassung • Missbrauch (7-19% Inzidenz) „Childhood Sexual Abuse“ erhöht Depressionsrisiko (Odd Ratio 2.4) Ausschluss von CSA reduziert Depressionsrate um 35% Therapieresistente Depressionen Biol. Vulnerabilität Genetische, Physische, Physiologische, Anatomisch und andere Risikofaktoren Defizite in Neurotransmission, neuronalen Strukturen, in biolog. Robustheit Psychologische Vulnerabilität Lerndefizite, dysfunktionale Kognitionen, Selbstwertprobleme, Mangel an Resourcen, negative Ereignisse Akute Depression Umweltbezogene Vulnerabilitäten aversive soziale Bedingungen, Mangel an Verstärkung, Traumata, Kontrollverlust Coping Defizite, Mangel an Fertigkeiten in Problemlösen, an Unterstützung, an Behinderungstoleranz Therapeutische Besonderheiten: „Spezifische kognitive Vulnerabilitäten“ • • • • Chronisch niedriger Selbstwert Generalisierte Hoffnungslosigkeit Gedächtnis- und Erinnerungsprobleme Ungenaues Beobachten und mangelhafte Selbstwahrnehmung • Mangelhafte Erfahrungsverarbeitung Chronische, therapieresistent Depression 14 Therapeutische Besonderheiten: „Sozialbeziehungen, Therapeuten“ KVT Gruppentherapie in Kombination mit SSRI (Fluoxetin) bei Dysthymia (Hellerstein et al. 2001) • Gestörte Sozialbeziehungen, frustrierte Partner und Familienangehörige, Feindseligkeit • Phasenweise stationäre Behandlung erforderlich • Erfahrene Therapeuten, die kreativ und flexibel auf die Anforderungen reagieren können • Häufige Kontakte (2-3 wöchentlich) mit flexibler zeitlicher Länge erforderlich Nach 8 Wochen SSRI wurden 40 remittierte Patienten mit Dysthymia entweder der für 16 Wochen fortgesetzten SSRI Medikation oder 16 Sitzungen KVTGruppentherapie plus SSRI zugewiesen. % Responder 70 60 50 40 KVT+SSRI SSRI 30 20 10 0 6 Monate KVT bei Residualsymptomatik (Paykel et al. 1999, Teasdale et al. 2001) 158 Patienten (MDD doch nur teilremittiert seit Monaten trotz angemessener Pharmakotherapie) * 80 Pat. erhielten zusätzlich KVT (16+2 Sitzungen) * 78 Pat. wurden unverändert psychiatrisch weiterbehandelt (KG) Über 1 J. Nachuntersuchung zeigte sich: KVT KG 23 (29%) Rückfälle, unveränderte Symptomatik 35 (45%) Rückfälle, unveränderte Symptomatik KVT KG 71% Remission und kein Rezidiv 55% Remission und kein Rezidiv CBASP McCullough J.P. (2000) Treatment for Chronic Depression. Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy • Blockierte Reifung und Entwicklung (fixiert auf prä-operationalem Entwicklungsstadium) durch „Missbrauch und Fehlsozialisation“ • Dynamische Interaktion von Person und Umwelt ist gestört („entkoppelt“) • Maladaptives Coping, ungeschicktes bzw. defizitäres soziales Problemlösen Sign. Differenz! 15 Grundüberlegungen von CBASP: (1) chronic depressive disorder is best understood when it is viewed as the result of a person‘s long-term failure to cope adequately with life stressors. (2) teaching patients to view their problems-inliving from a person x environment perspective results in behavior change, personal empowerment, and in the amelioration of emotional dysregulation • Situations- und Bedingungsanalysen erstellen, automatische persönliche kognitive, affektive Muster erkennen, deren aktuellen Konsequenzen („actual outcome“) analysieren und erwünschte Alternativen und Ziele („desired outcome“) generieren • Verhalten trainieren und erproben. • Verwendung von operanten Prinzipien (Verstärkung). • Kognitive Strategien („fostering the ability to engage in formal operations“), Problemlösen, sozial kompetentes Interaktionsverhalten („empathic responsivity“). • Therapeuten engagieren sich diszipliniert doch persönlich (auch konfrontativ) in Beziehung („become personally involved with patients“), um so Übertragungsprozesse zu fördern („transference technique … to target interpersonal hot spots…“), Veränderungen ermöglichen, Modellwirkung zu entfalten Chronische Depressionen: Nefazodon und CBASP (Keller et al. 2000) HAMD 30 25 20 15 sign. sign. 10 SSRI CBASP COMB 5 0 pre post follow up 16 KVT: Therapieplan Chronische Depression ohne frühes Trauma Die Behandlung chronischer, therapieresistenter Depressionen erfordert nicht nur zusätzliche Behandlungselemente, sondern vor allem auch mehr Zeit sowie intensivere, häufigere bzw. verlängerte Arbeitsphasen. Entsprechend sollte Behandlung auf 1 bis 1 ½ Jahre angelegt werden und bis 60 Sitzungen umfassen. Neben den regelmäßigen Einzelsitzungen mit Patienten, sind Paar- bzw. Familiensitzungen sinnvoll Chronische Depression ohne frühes Trauma Chronische Depression mit frühem Trauma Chronische Depression mit frühem Trauma Kognitive Verhaltenstherapie für CD Zusammenfassung des aktuellen Wissenstands zu Psychotherapie bei Depressionen (1) KVT Phase 1: Beziehung, positive Haltung, zentrale Probleme erkennen Problemhierarchie, Lebens, Erkrankungs-, Behandlungsgeschichte, Hintergrundbedingungen, (Fehl-) Anpassung Phase 2: Modell Psychoedukation, Begrenztheit der Möglichkeiten, Akzeptanz, Ziele Patientenerwartungen, Mitarbeit (Übungen), Beh.struktur, Medikation Phase 3 und 4: Alltagsgestaltung, Umstrukturierung S-R Analysen, Beobachtungen, Erfahrungen, konkrete Ziele auf kognitiver und motorischer Ebene Phase 5 und 6: Bearbeitung kognitiver Schemata und Info.verarb., Erwerb von Fertigkeiten, Achtsamtkeit, Gelassenheit, Akzeptanz, Werte Phase 7, 8 u. 9: Bearbeitung von Hintergrundbedin -gungen(Trauma), Persönlichkeit, Verbesserung der sozialen, problemlösenden Kompetenzen Einbezug der Familie, Partner Phase 10: Stabilisierung, weitere Hilfen, Krisenbewältigung Grundmerkmale: aktive, strukturierte, flexible, kreative Therapeuten IPT STPP Akuttherapie unipolare Depressionen Einzeltherapie I I I Gruppentherapie I II III III Paartherapie I II Ambulante Therapie I I I Stationäre Therapie II II III Leichte Depressionen I III III Schwere Depressionen I II III Kombinationstherapie unipolare Depression I II III Erhaltungstherapie unipolare Depression I I III Therapie chronischer Depressionen I I III Therapie rezidivierender Depressionen I II III 17 Zusammenfassung des aktuellen Wissenstands zu Psychotherapie bei Depressionen (2) KVT IPT STPP Depressionen bei Kindern und Jugendlichen I II III Depressionen im höheren Alter I II II Depressionen Schwangerschaft/Postpartum II II II Depressionen im Klimakterium II III III Kombinationstherapie bipolare Störungen I II III Prävention affektiver Störungen I III III Gesamtbewertung (Summe) 20 33 45 Schlußfolgerung Psychotherapie • wirksame Methode zur Behandlung unipolarer Depressionen • erbringt (kurzfristig) ähnliche Effekte wie Pharmakotherapie • Kann im Einzel- wie im Gruppenrahmen sowie verschiedensten Altersgruppen erfolgreich eingesetzt werden • Zur Effektsteigerung in Kombination mit Medikamenten bei chronischen D. einsetzbar Schlußfolgerung Psychotherapie • längerfristig klare Vorteile gegenüber anderen Therapien • Zur Rückfallverhinderung im Anschluss an eine erfolgreiche Pharmakotherapie (nach Teil- bzw. Vollremission) indiziert • reduziert Rückfälle und neue Episoden bei rezidivierenden Depressionen • wirkungsvolle Ergänzung zur Phasenprophylaxe Medikation bei Bipolaren Affektiven Störungen Danke für Ihr Interesse! Die eigenen Studien wurden möglich durch Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung [email protected] 18