Eva-Maria Engelen Emotion als Kategorie

Werbung
Eva-Maria Engelen
Emotion als Kategorie
Was ist eine Emotion, was ein Gefühl und was eine Empfindung oder eine Stimmung?
Wie
werden
diese
Begriffe
in
wissenschaftlichen
Theorien
gebraucht?
Die
Verwendungsweise dieser Begriffe ist zumindest in den Geisteswissenschaften nicht
einheitlich und in den Lebenswissenschaften ist man sich der kontingenten Bedingungen
für eine Kategorisierung, die der Verwendung des Begriffs der Emotion zugrunde liegt,
oft nicht bewusst. Um zu zeigen, wie solche Kategorien gebildet und damit zum
Forschungsgegenstand werden, werden im Folgenden Kategorisierungsversuche zu
Emotionen aus verschiedenen Wissenschaften vorgestellt, die Frage gestellt, was sie
leisten und welche impliziten Annahmen in diese Kategorisierungen eingehen sowie
Nutzen und Nachteil von Kategorisierungen reflektiert.
Die Bildung von Kategorien betrifft im Rahmen der Philosophie Fragen, die
vornehmlich im Bereich der Wissenschaftstheorie und der Ontologie eine Rolle spielen.
Eine Diskussion um die Frage, was unter einer Emotion oder einem Gefühl zu verstehen
ist, beginnt sich von wissenschaftsphilosophischer Seite gerade erst zu entwickeln.1 In der
Psychologie, aber auch in den Neurowissenschaften sind diese Fragen freilich schon in
den 80er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts mittels gezielter Forschungsprogramme
begonnen worden.
Im Deutschen ist Gefühl zunächst gewissermaßen der Gattungsbegriff, unter den die
Begriffe Emotion, Gefühl, Empfindung und Stimmung zu subsumieren sind. Der
Terminus 'Gefühl' taucht bei dieser Bestimmung an zwei Stellen auf, zum einen zur
Bezeichnung der Gattung Gefühl, zum anderen als Bezeichnung der Art Gefühl. Zur
Unterscheidung wird hier nur im zweiten Fall von Gefühl im engeren Sinn gesprochen,
im ersten Fall von Gefühl im weiten Sinn.2 Emotionen sind dann eine weitere Art
Paul E. Griffiths, What Emotions really are. The Problem of Psychological Categories, Chicago/London
1997.
2 Für die Klassifikation wurden die Arbeiten folgender neurobiologischer, psychologischer und
philosophischer Studien herangezogen: A. Ben Ze’ev, The Subtlety of Emotions, Cambridge Mass, 2000;
A. R. Damasio, Descartes Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn (Emotion, Reason and
1
1
Gefühl. Wie zu sehen sein wird, sind sie in einigen Wissenschaften allerdings die
wissenschaftliche Kategorie im zu untersuchenden Gefühlsspektrum, der das fast
ausschließliche Forschungsinteresse gilt.
Vorangestellt
ist
ein
Kategorisierungsvorschlag
zu
‚Emotionen’,
‚Gefühlen’,
‚Empfindungen’ und ‚Stimmungen’, der einer ersten Begriffsklärung dienen soll und sich
an gängigen wissenschaftlichen Bestimmungen des emotionalen Begriffsfeldes orientiert.
1.
2.
3.
4.
Emotionen
Gefühle
Empfindungen
Stimmungen
Emotions
Sentiments
Feelings
Moods
Angst, Freude, Mitleid
Weltschmerz, Angst,
Schmerz, Kitzel,
Trübsinn,
Nostalgie, Urvertrauen
WärmeKältegefühl
Bewertungskomponente
Latente Disposition
und Gereiztheit,
Beschwingtheit
Körperlich
verortbar
Erregungskomponente
Keine
Erregungskomponente
Motivationale
Komponente
Motorischer Ausdruck
Kurze Dauer
Lang anhaltend
Signifikanter Wechsel
Kein
der Situation
mit
Kürzere Dauer
Zusammenhang
signifikantem
Wechsel
Intentionales
Intentionales
Objekt/Gerichtetheit
nicht
unbedingt
Objekt
Nicht gerichtet
vor-
handen
Erkennbare Ursache
the Human Brain), München 1997; R. De Sousa, The Rationality of Emotions, Cambridge Mass. 1987; P.
Ekman, Approaches to Emotions, Hillsdale 1984; J. Elster, Alchemies of the Mind: Rationality and the
Emotions, Cambridge 1999; P. A. French, Philosophy of Emotions, 1999; N. Frijda, The Emotions,
Cambridge 1986; K. Scherer, Approaches to Emotions, Hillsdale 1984.
2
Vernünftig/unvernünftig
präreflexiv
1. Emotionen:
Da die begriffliche Abgrenzung von Emotionen und Gefühlen nicht immer leicht ist, ist
es hilfreich, einige paradigmatische Beispiele vor Augen geführt zu bekommen.
Paradigmatische Beispiele für Emotionen wären etwa Angst, Freude, Trauer oder Eckel.
Von Seiten der Psychologie werden nun folgende Merkmale angeführt, um Emotionen
wie die genannten als solche zu bestimmen:
1.
Emotionen weisen eine Bewertungskomponente für Situationen oder Stimuli
auf;
2.
sie enthalten eine Erregungskomponente;
3.
gehen mit einem motorischen Ausdruck einher;
4.
enthalten eine motivationale Komponente;
5.
sind von kurzer Dauer;
6.
und treten bei signifikantem Wechsel3 der Lebenssituation auf.
Zudem werden Emotionen zumeist als anthropologische, überzeitliche Konstante und
mithin als ein universal auftretendes Phänomen betrachtet, das keiner historischen oder
kulturellen Variabilität unterliegt, sondern angeboren ist.
Die philosophische Begriffsanalyse ergänzt die Liste aus der psychologischen Forschung
um die folgenden Gesichtspunkte:
7.
Emotionen haben ein spezifisches intentionales Objekt, d.h., sie sind auf etwas
oder jemanden gerichtet;4
8.
Emotionen haben eine erkennbare Ursache;
9.
Emotionen sind zudem nicht das Resultat intellektueller Anstrengungen,
können jedoch rational oder vernünftig bzw. irrational oder unvernünftig sein.5
Damasio ”Descartes' Irrtum” (Neurologie) und Ben Ze’ev ”The Subtlety of Emotions” (Philosophie).
Weil dieses Merkmal bei Liebe nicht erfüllt ist, geht auch O. H. Green davon aus, daß Liebe keine
Emotion ist. Emotionen sind auch laut Green durch folgende Merkmale bestimmt: sie haben eine
intentionale Struktur und Rationalität, die auf Annahmen beruht. Liebe sei hingegen ein Streben, eine
Gemengelage von Wünschen und beruhe nicht auf Annahmen, sondern sei vollkommen unbegründet.
Konsequenterweise nimmt er daher auch an, daß Emotionen nicht vollständig unbegründet sind. Vgl. O.
H. Green, Is Love an Emotion, in: R. E. Lamb (Ed.), Love Analyzed, Boulder Colorado/Oxford 1997, S.
209-224.
5 Am besten läßt sich diese Aussage an einem Beispiel erläutern. Man stelle sich vor, an einem Grundstück
vorbeizugehen, auf dem sich ein Hund befindet, der wütend kläffend auf einen zurast. Man gerät in einen
3
4
3
2. Gefühle (im engeren Sinne):
Paradigmatische Beispiele für Gefühle im engeren Sinn wären Weltschmerz, Angst (als
Lebensangst), Nostalgie, (lange währende) Liebe.
1.
Gefühle im engeren Sinne werden als latente Dispositionen charakterisiert
(Hintergrundsgefühle);
2.
es fehlt ihnen eine akute, signifikante Erregungskomponente;
3.
es handelt sich um lang anhaltende Phänomene;
4.
sie stehen nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einem
signifikanten Wechseln6 in einer Situation;
5.
müssen nicht intentional sein, d. h., sie sind nicht unbedingt auf ein Objekt
oder eine Person gerichtet.
6.
und sie sind nicht richtig oder falsch, vernünftig oder unvernünftig,
sondern präreflexiv.
Zum einen wird ein Unterschied zwischen Gefühlen und Emotionen auf der Ebene der
Intentionalität oder Gerichtetheit angenommen. Denn Emotionen betreffen Lebewesen
oder Objekte, während Gefühle, wie die Beispiele 'Nostalgie' oder 'Lebensangst' zeigen,
nicht gerichtet sind. Gefühle sind zudem nicht rational oder vernünftig, sondern
präreflexiv. Sie können insofern begründungs- oder vernunftresistent genannt werden.7
Zustand der Angst und will fliehen. Diese Emotion ist insofern vernünftig zu nennen, als davon
auszugehen ist, daß der Hund einen erheblich verletzen könnte. Ruft einem dann allerdings jemand zu,
daß der Hund keine Zähne mehr habe, wäre die Angst, bestünde sie fort, unvernünftig zu nennen, da man
nun weiß, daß der Hund einem unter diesen Umständen nichts mehr anhaben kann. Emotionen sind
demnach nicht prima facie begründungs- oder vernunftresistent.
6 Eine andere Art von Wechsel liegt Gefühlen hingegen eher zugrunde. Dieser Typus ist mehr eine
Ursache für Gefühle als selbst ein Gefühl und hängt mit der Tatsache zusammen, daß der Mensch
sterblich ist, was immer im Hintergrund unseres Selbstverständnisses und des Verständnisses der
Ereignisse ist.
7 Auch hier wird ein Beispiel helfen, zu erläutern, was gemeint ist: Angenommen, man wisse von Herrn
Maier, daß er eine andauernde Liebe zu Gott empfindet. Nun glaubt man, Herrn Maier über die wahren
Hintergründe seiner Liebe aufklären zu müssen, damit er einsieht, daß seine Liebe ein rein kulturell
bedingtes Zufallsprodukt ist und als solches nicht in der Weise ernstzunehmen, wie es Herr Maier meint.
Also wird Herrn Maier mitgeteilt, daß es erwiesen ist, daß 99% der katholischen (gläubigen) Bevölkerung
zu einer solchen Liebe zu Gott gelangt sind, weil sie so erzogen wurden. Mit einiger Wahrscheinlichkeit
wird man Herrn Maier auf diese Weise von seiner Liebe zu Gott nicht abbringen. Sein Gefühl ist
vernunftresistent. Beispiel von D. Birnbacher: A hat Angst vorm Fliegen, obwohl er es für ungefährlich
hält – reines Gefühl. B hat Angst vorm Fliegen, weil er es für gefährlich hält – Emotion mit kognitivem
Gehalt. D. Birnbacher, Gegenstand und Ursache der Emotion in Spinozas Affektenlehre, in: Affekte.
Philosophische Beiträge zur Theorie der Emotionen, hg. v. S. Hübsch u. D. Kaegi, Heidelberg 1999, S.
101-115 hier S. 108.
4
Beim Gefühl (im engeren Sinn) ist für die Kategorisierung sowohl das
Vorhandensein
einer
emotiven
Komponente
entscheidend,
als
auch
der
Dispositionscharakter, mit dem eine lang anhaltende Gefühlshaltung einhergeht, die nicht
fortwährend bewusst empfunden wird.
3. Empfindungen:
Schmerz, Kitzel, Wärme- und Kältegefühl sind paradigmatische Beispiele für
Empfindungen. Sie sind dadurch charakterisiert, dass sie sich (im Gegensatz zu Gefühlen,
Stimmungen und Emotionen) von der empfindenden Person körperlich verorten lassen.
Wie das Gefühl des Weltschmerzes zeigt, sind Schmerzen keine Empfindungen, sondern
Gefühle, wenn sie sich am Körper nicht lokalisieren lassen. Und auch Liebe ist im
Unterschied zum Schmerz keine Empfindung, da wir sie nicht am Körper lokalisieren
können. Sie geht höchstens mit körperlichen Symptomen wie Magenkrampf oder
Kopfschmerzen einher. Während der Schmerz verschwindet, wenn die körperliche
Ursache behoben ist, hält das Gefühl an, wenn die mit ihm einhergehenden körperlichen
Symptome verschwunden sind. Der Magenkrampf der Liebeskranken lässt sich mit
Medikamenten beseitigen, damit einhergehend verschwindet aber nicht auch der
Liebeskummer.
4. Stimmungen: Mit ihnen wird die Weise des Sich-selbst-bewußt-Seins bezeichnet, die
unseren eigenen Zustand kennzeichnet, aber nicht auf ein bestimmtes Objekt gerichtet
ist.8 Stimmungen sind weniger intensiv als Emotionen und sie haben im Gegensatz zu
diesen keinen klaren Anlass beziehungsweise keine klare Ursache. Stimmungen sind
zudem von zeitlich kürzerer Dauer als Gefühle.
Die kriterielle Bestimmung von Emotionen, Gefühlen und Emotionen wird von
funktionalen Überlegungen begleitet. Welche Funktionen haben Emotionen? In der
gegenwärtigen philosophischen Debatte wird ihnen eine evaluative Funktion
zugeschrieben, wenn nach dem Verhältnis von Rationalität und Gefühlen (im weiten
Sinne) gefragt wird. Im Mittelpunkt steht hier die Frage, inwiefern Emotionen und
Empfindungen an rationalen Entscheidungen beteiligt sind, und/oder diese erst
5
ermöglichen. Ist eine Entscheidung nur dann rational, wenn gute Gründe für sie geltend
gemacht werden können? In der Literatur wird dies zunehmend verneint und darauf
verwiesen, dass Rationalität auf die Beteiligung von Empfindungen oder Emotionen
angewiesen ist.
Damit werden traditionelle Annahmen der an der Spieltheorie ausgerichteten
Entscheidungstheorie aufgegeben, nach welcher rationale Entscheidungen einer
leidenschaftslosen
Kosten-Nutzen-Abwägung
entsprechen.
Das
Modell
der
leidenschaftslosen Kosten-Nutzen-Rechnung wird sowohl in den Sozialwissenschaften
als auch in der Philosophie in der jüngsten Zeit wegen seiner praktischen
Undurchführbarkeit kritisiert. Denn selbst bei nur einer Entscheidungsalternative ist es
für den Menschen bereits ausgeschlossen in einer angemessenen Zeit zu einer
Entscheidung zu gelangen.9 Emotionen werden in diesem Zusammenhang auf Grund der
mit
ihnen
einhergehenden
Bewertungskomponente
zunehmend
als
für
die
Entscheidungsfindung Richtung weisende Faktoren genannt.
In der Neurologie führt Damasio somatische Marker ein, um zu erklären, inwiefern
Empfindungen am rationalen Entscheidungsprozeß beteiligt sind. Ein somatischer
Marker ist etwa eine angenehme Empfindung, die bei einem erwünschten Ergebnis
verbunden mit einer gegebenen Reaktionsmöglichkeit auftritt. Der Marker lenkt die
Aufmerksamkeit auf das Ergebnis, wirkt als Warnsignal und vermindert die Anzahl der in
Frage kommenden möglichen Entscheidungen. Die Kosten-Nutzen-Analyse für eine
rationale
Entscheidung
bezieht
sich
nun
auf
die
verminderte
Zahl
der
Wahlmöglichkeiten.
Ähnliche Funktionen werden Emotionen in der philosophischen Debatte
zugesprochen. Ben Ze'ev versteht etwa die funktionale Rolle von Emotionen als eine
evolutionäre Antwort auf drei Beschränkungen für die Durchführbarkeit rationaler
Entscheidungen: (a) unsichere oder gefährliche Situationen verlangen sofortige
Entscheidungen. (b) Menschen haben begrenzte Ressourcen, mit denen sie zahlreiche
Entspricht Ben Ze’evs Definition für Empfindung. Ich schlage sie als die passende Definition für
Stimmungen vor.
9 Ein weiteres Problem besteht darin, die jeweils relevante Information herauszufiltern. Beispiel von
Daniel Dennett: Ein Roboter erhält die Information, daß in der Flugzeughalle eine Bombe explodieren
wird. Als die Bombe explodiert, ist der Roboter immer noch mit seinen Abwägungen beschäftigt; er ist
gerade mit der Deduktion zu Ende, daß das sich Entfernen mit dem Fahrzeug aus der Halle die Teepreise
in China nicht verändern würde.
8
6
Ziele verfolgen. (c) Um ihre Ziele zu erreichen brauchen Menschen andere Menschen,.
Die funktionale Rolle von Emotionen ermöglicht es trotz dieser Beschränkungen: (a)
einen ersten Anhaltspunkt zu geben, wie zu reagieren ist (Beispiel Angst-Flucht); (b) eine
schnelle Aktivierung von Ressourcen (Ausschüttung von Adrenalin); (c) soziale
Kommunikation. Kurz: Emotionen zeigen die Prioritäten an, die (rationalen)
Entscheidungen und Handlungen zu Grunde zu legen sind. Eine emotionslose Person
verfügt über kein Warn- oder Leitsystem, das die Bewertung und die Einordnung der
Wichtigkeit von Entscheidungen und Situationen ermöglicht.
Hinsichtlich des Zusammenhangs von Gefühlen (im weiten Sinne) und Rationalität
stellen diese Annahmen insofern schwache Thesen dar, als Emotionen Rationalität
lediglich in einem zeitlich begrenzten Leben ermöglichen. Es ist jedoch fraglich, inwiefern
sich die Dichotomie Rationalität – Gefühl überhaupt aufrechterhalten lässt oder ob
Emotionen selbst bereits vernünftig genannt werden können und mentale Prozesse sind.
Ist der Unterschied zwischen Furcht und Schuld beispielsweise nicht größer als der
zwischen Schuld und Denken? Sind mit anderen Worten einige emotionale Zustände
nicht unähnlicher zu anderen emotionalen Zuständen als zu begrifflichen Ableitungen
oder
Begründungen?
Solche
Fragen
verschwinden
hinter
den
gängigen
Kategorisierungen, deren Leistung vor allem eine der Operationalisierbarkeit für
experimentell arbeitende Wissenschaften ist.
Hinzu kommt, dass die Reduzierung von Emotionen auf ihre Funktion als Warnoder Leitsignal im Entscheidungsfindungsprozess bereits ein Rationalitätsmodell als
Hintergrundannahme voraussetzt. Vor dem Hintergrund dieses Modells wird Emotionen
dann ihre Rolle zugewiesen. Emotionen werden so häufig auf die Funktion von
„Abkürzungsmechanismen“ im Rationalitätsprozess verkürzt.
Doch selbst wenn Emotionen nur als automatische Antwort auf einen
Situationswechsel verstanden werden wie etwa beim Lächeln müssen kognitive
Aktivitäten daran beteiligt sein, damit die Muskelbewegung des Lächelns beispielsweise
dazu führen kann, dass man sich besser oder schlechter fühlt. Denn die Muskelbewegung
des Lächelns muss mit der qualitativen Bewertung des Vorgangs einhergehen, um zu dem
„besseren Gefühl“ zu gelangen. Die bloße Muskelbewegung alleine reicht nicht aus, um
zu dem Ergebnis zu gelangen, dass man lacht und diesen Umstand als Ausdruck oder
Ergebnis des sich besser Fühlens begreift.
7
Die Operationalisierungsleistung gängiger Kategorisierungen für Emotionen ist nicht
gering zu schätzen, aber selbst innerhalb der operationalisierenden Disziplinen muss die
Funktion von Emotionen als automatisierten Antworten kritisch hinterfragt werden. Die
Konzentration der Diskussion auf das somatische und evolutionäre Element bei
Gefühlen oder Emotionen hat von wissenschaftsphilosophischer Seite zuerst durch Paul
Griffiths Kritik erfahren. Griffiths wendet sich gegen die Vereinnahmung des Begriffs
Emotion durch Psychologen und Neurologen und verweist darauf, dass sich mit dem von
diesen Disziplinen bestimmten Begriff nur ein Ausschnitt der Semantik wiedergeben
lässt. Da Griffiths im Englischen die Unterscheidung in Emotion und Gefühl anders als
im Deutschen nicht ohne weiteres zur Verfügung steht, weicht er auf eine Umschreibung
derjenigen mentalen Zustände aus, die er auch unter Gefühle oder Emotionen gefasst
haben möchte, die aber durch die enge Definition der Psychologie und der
Neurowissenschaften ausgeschlossen werden. Er nennt diese Emotionen "höhere
kognitive Emotionen" (higher cognitive emotions) und fordert eine Theorie solcher
Emotionen, um die Beteiligung emotionaler Zustände an kognitiven Prozessen erklären
zu können, die für länger andauernde Handlungen von Bedeutung sind. In der oben
vorgenommenen Klassifikation entspräche Griffiths Unterscheidung in Emotionen und
höhere kognitive Emotionen die Unterscheidung in Emotionen und Gefühle (im engeren
Sinne).
Emotionen, wie Angst, Freude, Mitleid, Ekel, Traurigkeit, Überraschung und Wut
können die Beteiligung emotionaler Zustände an kognitiven Prozessen, die für länger
andauernde Handlungen von Bedeutung sind, gerade nicht leisten, weil es sich bei diesen
Gefühlszuständen um kurzzeitige stereotype Antworten auf eine Situation handelt, die
mit bestimmten Gesichtsausdrücken einhergehen und in allen Kulturen sowie bei einigen
dem Menschen verwandten Arten in gleicher Weise vorkommen. Anders verhält es sich
hingegen
mit
Gefühlen,
denen
als
latente
Dispositionen
eine
akute
Erregungskomponente fehlt. Denn bei diesen handelt es sich um lang anhaltende
Phänomene, die in keinem unmittelbarem Zusammenhang mit einem signifikanten
Wechseln in einer Situation stehen.
Zwar sind Theorien mit naturwissenschaftlichen Methoden gut zu untersuchen, die
sich
ausschließlich
mit
Emotionen
beschäftigen
und
Gefühle
als
Untersuchungsgegenstand vernachlässigen. Denn Emotionen sind auf Grund der akuten
8
Erregungskomponente sowie dem sie manifestierenden motorischen Ausdruck messbar
und lassen einen Experimentaufbau zu. Der Anwendungsbereich solcher Theorien ist
jedoch auf solch messbare, quantifizierbare Gefühle eingeschränkt.
Die Lebenswissenschaften haben mit dieser Begriffsbildung einen ihren Anliegen
adäquaten Gegenstandbereich geschaffen, bei dem anscheinend universale Phänomene,
die in allen Kulturen gleichermaßen vertreten sind und gleichermaßen ihren Ausdruck
finden, naturgemäß in den Fokus dieser Wissenschaften treten. Da es zum
Wissenschaftsverständnis dieser Wissenschaften dazugehört, von kontingenten, historisch
auftretenden Phänomenen abzusehen, müssen die semantischen Begriffsverwendungen
von Gefühl oder Emotion, die diesem Ideal nicht entsprechen, automatisch herausfallen.
Die Kategorisierung soll zu dem führen, was man in der Wissenschaftstheorie natürliche
oder indifferente Arten nennt. Arten, die sich auf Grund ihrer notwendigen Merkmale
eindeutig über die Zeiten hinweg identifizieren lassen.
Übersehen wird dabei leicht, dass es den von den Lebenswissenschaften
geschaffenen Phänomenbereich als wissenschaftlichen Gegenstand in dieser Weise
vorher nicht gegeben hat und dass dessen Bildung selbst bereits eine bestimmte Wissensund Wissenschaftskultur voraussetzt. Maßgeblich für die Bildung des derzeit in
Psychologie und Neurowissenschaften verwendeten Emotionsbegriffs war, dass sich ein
messbarer und so nicht nur phänomenal, sondern auch kausal feststellbarer
Gegenstandsbereich eingrenzen lässt. Die semantische Ausgrenzung von Phänomenen,
die sich in diese Kategorisierung nicht einpassen lassen, ist dann eine zwangsläufig
auftretende Erscheinung.
Dass diese Kategorisierung allerdings keine selbstverständliche ist, zeigt sich daran,
dass das, was wir heute Emotionen, Stimmungen oder Gefühle nennen, von der Antike
bis ins 19. Jahrhundert Konzepte einer Affektenlehre waren, die sich mit den
Temperamenten und unterschiedlichen Charakteren von Menschen beschäftigt hat. Die
Vorstellung etwa, Emotionen seien Produkte des Gehirns gehörte zu dieser Lehre nicht
dazu.
Die Frage, ob Gefühle wie Weltschmerz, Nostalgie oder Vertrauen in ähnlicher Weise
evolutionär entstanden und damit universal sind wie Emotionen, ist bisher freilich noch
fast ebenso wenig gestellt worden, wie die Frage, ob Gefühle kulturellen oder sozialen
9
Prägungen und Ausdifferenzierungen unterliegen. Für Emotionen wird diese Frage nicht
nur gestellt, sondern es werden auch unterschiedliche Antworten gegeben. Griffiths
argumentiert allerdings im Laufe seiner Arbeit dafür, die Dichotomie Biologie-Kultur
hinsichtlich Emotionen und Gefühlen fallen zu lassen, weil sie verhindert, dass sich
Phänomene und Verhaltensweisen erfolgreich in eine Theorie integrieren lassen, die zwar
auf biologischen Dispositionen beruhen, sich jedoch erst in einem spezifischen sozialen
oder kulturellen Umfeld entfalten lassen. Denn die vorhandene biologische Anlage reicht
unter Umständen alleine nicht aus, um ein bestimmtes Verhalten hervorzubringen. Dieser
Einwand betrifft demnach insbesondere die Ausgrenzung derjenigen Phänomene, die in
vorliegendem Zusammenhang unter der Kategorie Gefühle erscheinen.
Griffiths kritisiert auch die Annahme, Emotionen seien biologisch verankert und
stellten evolutionäre Antworten auf die Anforderungen der Umwelt für das Überleben
dar, während das bei Gefühlen (höhere kognitive Emotionen bei Griffiths oder
sekundäre Emotionen bei Damasio) nicht so sei. Er bezweifelt, dass das Aufkommen von
Gefühlen sich weniger direkt evolutionär erklären lasse als Emotionen10 und erläutert dies
mit Hilfe eines Beispiels: Der Umstand, dass die Entwicklung des Sexualverhaltens von
Rhesusaffen von bestimmten sozialen Interaktionen in den jungen Jahren der Affen
abhänge, zeige, inwiefern es nicht nur biologisch angelegter Dispositionen bedürfe,
sondern auch eines entsprechenden kulturellen und sozialen Umfeldes, damit Gefühle
zur Entfaltung kommen. Käme es nämlich allein auf die biologische angelegte
Disposition an, damit sich das Sexualverhalten entwickelt, wäre keine vorangehende
soziale Interaktion nötig. Die Unterscheidung in rein dispositional angelegte und
evolutionär entstandene Emotionen auf der einen Seite und kulturell oder sozial
vermittelte Gefühle auf der anderen hält er daher für irreführend.
Eine solche Unterscheidung als strikte Unterscheidung einzuführen, mag in der Tat
irreführend sein. Dennoch scheint das von Griffiths angeführte Beispiel nicht das zu
zeigen, was es nachweisen soll, nämlich die biologische Dispositionsabhängigkeit und
kulturelle Vermitteltheit von Gefühlen. Gefühle mögen sich indirekt evolutionär erklären
lassen, aber dass sie sich wie Griffiths behauptet, genauso direkt evolutionär erklären
lassen wie Emotionen, lässt sich mittels des Beispieles zum Trieb gesteuerten
10
Griffiths, S. 105-106.
10
Sexualverhalten nicht zeigen. Denn das Trieb gesteuerte Sexualverhalten mag als
stammesgeschichtlich entwickeltes Merkmal nur aufkommen, wenn bestimmte soziale
Interaktionen vorangegangen sind, es mag auch auf einer Hintergrundsdisposition
beruhen, aber es ist sicherlich nicht unabhängig von einer konkret auftretenden Situation.
Die Unterscheidung in rein dispositional angelegte und evolutionär entstandene
Emotionen auf der einen Seite und kulturell oder sozial vermittelte Gefühle auf der
anderen ist daher nicht in beide Richtungen (Emotionen-Gefühle, Gefühle-Emotionen)
gleichermaßen durchlässig.
Hinter dieser Annahme von Griffiths steckt bereits eine implizite Akzeptanz. Die
Akzeptanz nämlich, evolutionäre Antworten seien authentischer, da älter. Der durchaus
gängigen Darstellung des Verhältnisses von Emotionen und Rationalität nach waren im
Verlauf der Evolution Emotionen vor den rationalen Fähigkeiten des Menschen
vorhanden. Mit dieser Darstellung geht einher, dass Emotionen authentischer, schneller
und immanenter seien als rational fundierte Handlungsentschlüsse, Entscheidungen oder
Urteile. Dieser Darstellungsweise entspricht das Verständnis von Emotionen als
automatisierten Antworten auf eine Situation oder Entscheidung, die die Evolution
hervorgebracht hat, ehe ein rationaler Zugang in Form narrativer Komponenten in
Emotionen oder Gefühlen Eingang gefunden haben. Griffiths kritisiert mithin eine Weise
der Kategorisierung, an der er dann schließlich selbst mit seiner Kritik partizipiert.
Diese Überlegungen sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kategorisierungen für
wissenschaftliches Arbeiten unerlässlich sind. Sie normieren einen Gegenstandsbereich
und damit ein Untersuchungsfeld. Ob es sich um brauchbare Kategorien handelt, zeigt
sich nicht zuletzt im Verlauf des wissenschaftlichen Arbeitens. Die Verabsolutierung
solcher Kategorienbildung täuscht jedoch leicht über die Reichweite der herausgebildeten
Untersuchungsgegenstände und der dazugehörigen wissenschaftlichen Theorien hinweg.
Die tatsächlich legitimierte Reichweite klar zu stellen, ist letztlich nicht nur der
wissenschaftlichen Redlichkeit geschuldet, sondern entlastet die betreffenden Theorien
auch hinsichtlich überzogener Erwartungen an die Erklärungsleistung.
11
Herunterladen