Masern – die unterschätzte Gefahr

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Münchner Merkur Nr. 32 | Mittwoch, 9. Februar 2011
MEDIZINKOLUMNE
Leben
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Die ersten sechs Wochen des
neuen Jahres sind schon wieder vorbei. Und vorbei sind
auch schon wieder die sogenannten guten Vorsätze. Dazu gehörten: mehr Gelassenheit, mehr Zeit für die persönliche Regeneration und nicht
zuletzt mehr Zeit für Sport
und Gesundheit.
Doch die Realität hat uns
schon in den ersten Wochen
des Jahres eingeholt. Wir arbeiten noch schneller und versuchen, uns noch besser zu
organisieren, damit wir noch
mehr arbeiten können. Denn:
„Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf
morgen.“ So heißt es zumindest in einem bekannten
Sprichwort.
Doch auch noch so bekannte Sprichwörter sollten
ständig auf ihre Richtigkeit
überprüft
werden.
Denn
wenn Sie schon die Obergrenze Ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben, geht nicht mehr
– zumindest nicht ohne Gefahr für Ihre Gesundheit. Daher sollten wir uns in der Tat
einmal ganz andere Ziele setzen. Und zwar: mehr Gelassenheit. Wir müssen lernen
runterzufahren und abzuschalten.
Fällt Ihnen bei diesen Begriffen etwas auf? Nun, es
sind technische Begriffe. Ihren Computer fahren Sie doch
auch nachts runter und schalten ihn ab. Weil es nämlich
auch die Haltbarkeit verlängert. Und haben Sie sich
schon einmal gefragt, warum
auch wir Ruhephasen so dringend brauchen? Das sind genau die Phasen, in denen sich
unser Körper regeneriert.
Beim Sport ist das ähnlich:
Nicht beim Trainieren werden
Hauptsache gesund
Dr. Barbara Richartz
Morgen ist auch noch ein Tag!
Priv.-Doz. Dr. med. habil. Barbara Richartz,
Chefärztin in Bad Wiessee, erklärt, warum man seinem Körper genug Zeit zur Erholung gönnen sollte.
wir fit. Fortschritte machen
wir in der anschließenden Er-
holungsphase. Nach einem
anstrengenden Training be-
reitet sich der erschöpfte Körper darauf vor, beim nächsten
Mal nicht nur genauso viel,
sondern noch etwas mehr
leisten zu können. Dafür
braucht er aber eine Ruhephase. Wer zu früh wieder die
Laufschuhe schnürt, schadet
der Phase der Regeneration –
die Leistungsfähigheit sinkt.
Besonders die nächtliche
Ruhephase ist für die Regeneration von Bedeutung, denn
nachts wird das Immunsystem aktiviert und Heilungsprozesse werden in Gang gesetzt. Permanente Aktivität
ohne Phasen der Ruhe und
Regeneration führen neben
Schlappheit und Konzentrationsmangel zu einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Schließlich „brennen
die Sicherungen durch“, was
sich durch vermehrte Reizbarkeit und mangelnde Stressbe-
wältigung ausdrückt. Längerfristig steigt das Risiko für
Diabetes mellitus, Bluthochdruck und einen Herzinfarkt.
Doch was heißt mehr Ruhe
und Gelassenheit? Gelassenheit hat etwas mit Zulassen
und Loslassen zu tun. Das bedeutet, Geschehnisse mit einem gewissen Gleichmut anzunehmen, sie auszuhalten,
nicht immer alles unter Kontrolle zu haben. Ich selbst habe einige Zeit an einer italienischen Universität verbracht
und dort – neben medizinischen Fakten – vielleicht einige sehr viel wichtigere Dinge
gelernt: Die Fähigkeit zur Gelassenheit, den Unterschied
zwischen Schnelligkeit und
Hektik und Dinge, die nicht
lebensrettend sind, auch einmal gezielt liegen zu lassen.
Denn, wie Sie wissen: Morgen
ist auch noch ein Tag!
MEDIZIN .........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................
Masern – die unterschätzte Gefahr
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ihr
Ziel verfehlt: Bis 2010
wollte sie die Masern in
Europa ausrotten. Bereits
in diesem Jahr gab es allein in München 28 Fälle.
Denn zu wenige Menschen sind geimpft. Späte
Meldungen an die Behörden erschweren es zudem immer wieder, Ausbrüche einzudämmen.
VON SONJA GIBIS
Noch immer sind viele Menschen davon überzeugt: Eine
durchgemachte Masern-Infektion stärkt das Immunsystem. Experten werden dagegen nicht müde zu warnen:
Masern sind keine harmlose
Kinderkrankheit.
Schwere
Verläufe sind häufig. Todesfälle nicht ausgeschlossen –
auch in Deutschland.
Die deutschen Gesundheitsbehörden verfolgen das
Ziel der WHO daher mit
Nachdruck. Sie wollen erreichen, was einst bei den Pocken gelang: die Masern auszurotten, zuerst in Europa.
Um das zu schaffen, müssten
95 Prozent der Bevölkerung
einen vollständigen Impfschutz haben. Zwar zeigen
Kampagnen Erfolge, die Impfraten sind aber noch immer zu
niedrig. Untersuchungen an
Erstklässlern zeigen: Die erste
Impfung erhalten noch mehr
als 90 Prozent. Die notwendige zweite aber oft weniger als
80 Prozent. Zudem haben viele Erwachsene keinen Impfschutz.
Noch immer kommt es in
Deutschland daher jedes Jahr
zu mehreren hundert Erkrankungen. Die erste Infektion ist
oft aus dem Ausland eingeschleppt. Die Zahl der Er-
Tückische Infektion: Die roten Masern-Flecken zeigen sich erst einige Tage nach der Erkrankung.
krankungen schwankt dabei
stark – auch in Bayern. Zu
großen Ausbrüchen kam es
im Jahr 2001. Im Freistaat erkrankten 2224 Menschen.
Zwei Jahre später waren es gerade mal 16. Vergangenes Jahr
stieg die Zahl wieder auf 219,
davon 67 in München. Heuer
könnte diese Zahl durchaus
getoppt werden: Allein in der
Landeshauptstadt wurden bereits 28 Fälle gemeldet.
Statistisch ist das Risiko zu
erkranken in München größer als im Rest des Freistaats.
„Das liegt aber nicht daran,
dass hier weniger Menschen
geimpft sind“, sagt Katrin
Zettler,
Sprecherin
des
Münchner Referats für Gesundheit und Umwelt. Wo
viele Menschen auf dichtem
Raum leben, verbreiten sich
Infektionen eben rascher.
Wie viele es sind, wird exakt
Wie schütze ich mich vor Masern?
Masern sind extrem ansteckend. In der Regel leiden die Erkrankten
zuerst an Fieber, Husten und Schnupfen. Während dieser Phase
sind sie bereits ansteckend. Erst drei bis sieben Tage später zeigen
sich dann auf der Haut die typischen roten Flecken. Bei jedem
fünften Patienten kommt es zu Komplikationen, etwa einer Mittelohr- oder einer Lungenentzündung. Im schlimmsten Fall entzündet
sich das Gehirn, was tödlich enden kann. In manchen Fällen, vor allem bei Säuglingen, zeigen sich die Folgen erst fünf bis zehn Jahre
nach der Infektion. Diese Form der Erkrankung endet stets tödlich.
Mediziner raten daher nachdrücklich zur Impfung. Diese wird als
Masern-Mumps-Röteln-Impfung mit einem Kombinationsimpfstoff
verabreicht, normalerweise erstmals zwischen dem 11. und 14. Lebensmonat. Nach einer zweiten Impfung – am besten im 15. und
23. Monat – sind mehr als 99 Prozent der Geimpften lebenslang immun. Die Impfung kann man auch als Erwachsener nachholen.
registriert. Seit dem Jahr 2001
besteht für Masern hierzulande eine Meldepflicht. Ärzte,
Labormitarbeiter und Gemeinschaftseinrichtungen
müssen schon beim Verdacht
das Gesundheitsamt informieren. Wird ein neuer Fall
bekannt, herrscht dort Hochbetrieb. Denn Masern sind extrem ansteckend. „Setzen Sie
einen Kranken in ein Zimmer
FOTO: DDP
mit 99 Personen, die nicht immun sind. Wahrscheinlich
stecken sich 99 davon an“,
sagt Zettler.
Wird ein Fall gemeldet, ist
es das oberste Ziel, die Infektionskette zu unterbrechen.
Personen, die Kontakt zu dem
Erkrankten hatten, müssen
informiert, deren Impfschutz
überprüft werden. Doch immer wieder greift der Notfallplan erst spät. „Manche Ärzte
erkennen die Krankheit zunächst nicht“, sagt Zettler.
Rote Flecken treten erst nach
Tagen auf. Und selbst diese
werden manchmal für eine Allergie gehalten. Schuld sind
aber auch Unwissen und
Nachlässigkeit.
Dass eine versäumte Meldung ernste Folgen haben
kann, zeigt ein Fall aus dem
vergangenen Frühjahr: Damals erkrankte nach Angaben
des Robert Koch-Instituts
(RKI) ein 29-jähriger Münchner nach einem Südafrika-Urlaub. In der Klinik wurde die
Erkrankung erkannt, der
Kranke isoliert. Doch weder
der behandelnde Arzt noch
das Labor meldeten den Fall.
Der Kranke infizierte zwei
Mitglieder des medizinischen
Personals. Einer davon hatte
Kontakt zu Patienten mit geschwächtem Immunsystem.
Zum Glück hatte sich keiner
davon angesteckt. Das RKI
nützt den Fall für eine Forderung: Bei allen Mitarbeitern in
der Gesundheitsversorgung
sollte man schon bei der Einstellung den Immunstatus untersuchen.
Auch bei einem zweiten
Ausbruch im Juni führte eine
verspätete Meldung zu weiteren Infektionen: Das erste
Opfer war ein 34-jähriger Bulgare. Er löste eine Epidemie
aus, bei der sich auch ein
17-Jähriger aus dem Münchner Umland infizierte. Die Eltern schickten ihn zur Heilpraktikerin. Die empfahl, den
Fall nicht zu melden, auch
nicht der Schule. „Dabei sind
die Eltern dazu verpflichtet“,
sagt Zettler. Der Jugendliche
steckte mindestens neun
Menschen an.
Mit ähnlichen Problemen
kämpfen laut RKI auch Gesundheitsämter in anderen
Bundesländern. So erkrankte
im März 2010 eine 13-jährige
Waldorfschülerin in Essen.
Mehr als 40 Prozent der Schüler waren nicht geimpft. Die
Mitarbeiter des Gesundheitsamtes empfahlen eine Riegelungsimpfung. Diese schützt
auch noch, nachdem man
Kontakt zu einem Infizierten
hatte. Viele Eltern wollten das
nicht. Insgesamt erkrankten
bei dem Ausbruch 71 Personen. Später wurde klar: sieben
davon bereits vor der ersten
Meldung.
PANDEMRIX ................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................
Unter Verdacht: Der Schweinegrippe-Impfstoff aus dem Vorjahr
Er sollte Millionen Menschen
das Leben retten: Nichts weniger erhoffte man sich von
dem Impfstoff Pandemrix, der
2009/10 gegen die Schweinegrippe eingesetzt wurde.
Doch mit der Angst vor dem
Virus schwand auch das Vertrauen. Kritiker fürchteten,
das Mittel sei nicht ausreichend getestet. Patienten berichteten von teils heftigen
Impfreaktionen.
Was von der Panik übrig ist,
lagert noch heute in Kühlhäusern. Längst gibt es einen neuen Grippeimpfstoff, der als sicher gilt und auch vor der
Schweinegrippe
schützt.
Doch während die Verantwortlichen überlegen, was mit
den Resten des alten Impfstoffs passieren soll, prüfen
mehrere Gesundheitsinstitute
europäischer Länder, ob Pandemrix vielleicht doch nicht
so harmlos war, wie anfangs
gedacht. Auslöser ist eine
Häufung von Narkolepsiefällen in Finnland, die kurz nach
der Impfung aufgetreten war.
Narkolepsie ist eine seltene
Nervenkrankheit, die mit einer Störung des Schlaf- und
Wachrhythmus einhergeht.
Viele Patienten schlafen tagsüber plötzlich ein – etwa beim
Autofahren. In Finnland sind
in den Jahren 2009 und 2010
insgesamt 60 Personen zwischen vier und 19 Jahren an
Narkolepsie erkrankt, wie das
Nationale Gesundheitsinstitut Finnlands (THL) meldet.
52 davon seien zuvor mit Pandemrix geimpft worden. Bei
Impfung mit Folgen? Experten prüfen, ob der 2009/10 eingesetzte Impfstoff Pandemrix Narkolepsie auslösen kann. DPA
den Geimpften ist das Risiko
einer Erkrankung damit um
das Neunfache erhöht.
Eine Häufung von Narko-
lepsiefällen bei Heranwachsenden hat man auch in
Schweden und Island beobachtet. Allerdings sei die Zahl
der Erkrankten in Island auch
bei den Ungeimpften erhöht
gewesen, heißt es beim THL.
In Deutschland ist das Paul
Ehrlich-Institut in Langen für
die Impfstoffsicherheit zuständig. Seit Oktober 2010
sind dort acht Fälle von Narkolepsie nach einer Pandemrix-Impfung
nachgemeldet
worden. In einem davon habe
sich die Diagnose nicht bestätigt, hieß es. Bei einem anderen waren schon vor der Impfung erste Symptome aufgetreten, bei zwei weiteren ist
die Diagnose noch nicht zweifelsfrei geklärt.
Noch ist unklar, ob die
Impfung Auslöser der Erkrankung ist. Das soll nun eine
vom Europäischen Zentrum
für Prävention und Kontrolle
von Krankheiten (ECDC) finanzierte Studie in elf europäischen Ländern klären, darunter Deutschland. Das THL
betont, dass auch andere Faktoren für den Anstieg verantwortlich sein könnten. Doch
sei der Zusammenhang so
auffällig, dass er sich damit allein wohl nicht erklären ließe.
An dem Rat, sich gegen
Grippe impfen zu lassen, ändert dies jedoch nichts. Pandemrix und der derzeit eingesetzte saisonale Grippeimpfstoff sind völlig verschiedene
Mittel. Zudem würden saisonale Grippeimpfstoffe seit
Jahren eingesetzt, ohne dass
sich ein Hinweis auf Narkolepsie ergeben hätte, sagte eine Sprecherin des Paul Ehrlich-Instituts. ANDREA EPPNER
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DIE AKTUELLE
MEDIZIN
Heute: Lebermodell
für Arzneimitteltests
Im Labor, im Tierversuch
und schließlich an Freiwilligen: Ehe ein neues Medikament in die Apotheke
kommt, wird es aufwendig
in Studien getestet. Dennoch gibt es manchmal
Nebenwirkungen, die erst
lange nach der Markteinführung entdeckt werden.
Oft sind das schädliche
Wirkungen auf die Leber.
Diese lassen sich bislang
weit schlechter vorhersagen als etwa Nebenwirkungen auf das HerzKreislauf-System oder den
Verdauungstrakt.
„Das
soll sich nun ändern“, sagt
Dr. Ursula Müller-Vieira
von der Pharmacelsus
GmbH. Sie leitet den Forschungsverbund
HepaTox, der vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) gefördert wird. Die Wissenschaftler des Projekts arbeiten an einem Lebermodell, mit dessen Hilfe man
schon im Labor mögliche
Nebenwirkungen erkennen kann.
Trotz Tests: Manche Wirkungen neuer Arzneien
bleiben unentdeckt.
DPA
Leberzellen im Labor
Schon lange wissen Forscher, wie sie menschliche
Leberzellen im Labor
züchten können. Doch dazu verwenden sie in der
Regel flache Plastikschalen, auf denen die Zellen
in dünner Schicht in einem Nährmedium wachsen – also unter völlig anderen Bedingungen als im
menschlichen Körper. Sie
reagieren darum oft auch
anders. Leberzellen verlieren zum Beispiel viele ihrer typischen Funktionen,
darunter auch die, arzneiliche Wirkstoffe abzubauen. „Deshalb sind diese
Modelle besonders für die
Untersuchung von Langzeiteffekten nur eingeschränkt geeignet“, sagt
Müller-Vieira.
„Leberschädigende
Nebenwirkungen treten jedoch oftmals erst mit einer gewissen Latenzzeit auf.“
In flachen Schalen wurden
die Leberzellen bislang
für die Tests kultiviert. DPA
Tests mit Bioreaktor
Forscher versuchen darum, die Leber im Labor
noch besser nachzuahmen. Sie lassen die Zellen
dazu in einem Mini-Bioreaktor wachsen. Das ist ein
kleines Gefäß, in dem die
Zellen eine dreidimensionale,
gewebeähnliche
Struktur bilden. Sie heften
sich dazu an Fasern, die
sich im Inneren des Bioreaktors befinden. Über
Schläuche werden die Zellen kontinuierlich mit
Sauerstoff und Nährstoffen versorgt – ähnlich wie
im menschlichen Körper.
Noch ist das Lebermodell
in der Testphase. Ob es einen Leberschaden anzeigen kann, wird derzeit mit
Wirkstoffen geprüft, die
als leberschädigend bekannt sind. ANDREA EPPNER
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