Redaktion Wissenschaft: (089) 53 06-425 [email protected] Telefax: (089) 53 06-86 61 Münchner Merkur Nr. 32 | Mittwoch, 9. Februar 2011 MEDIZINKOLUMNE Leben ............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ Die ersten sechs Wochen des neuen Jahres sind schon wieder vorbei. Und vorbei sind auch schon wieder die sogenannten guten Vorsätze. Dazu gehörten: mehr Gelassenheit, mehr Zeit für die persönliche Regeneration und nicht zuletzt mehr Zeit für Sport und Gesundheit. Doch die Realität hat uns schon in den ersten Wochen des Jahres eingeholt. Wir arbeiten noch schneller und versuchen, uns noch besser zu organisieren, damit wir noch mehr arbeiten können. Denn: „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“ So heißt es zumindest in einem bekannten Sprichwort. Doch auch noch so bekannte Sprichwörter sollten ständig auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Denn wenn Sie schon die Obergrenze Ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben, geht nicht mehr – zumindest nicht ohne Gefahr für Ihre Gesundheit. Daher sollten wir uns in der Tat einmal ganz andere Ziele setzen. Und zwar: mehr Gelassenheit. Wir müssen lernen runterzufahren und abzuschalten. Fällt Ihnen bei diesen Begriffen etwas auf? Nun, es sind technische Begriffe. Ihren Computer fahren Sie doch auch nachts runter und schalten ihn ab. Weil es nämlich auch die Haltbarkeit verlängert. Und haben Sie sich schon einmal gefragt, warum auch wir Ruhephasen so dringend brauchen? Das sind genau die Phasen, in denen sich unser Körper regeneriert. Beim Sport ist das ähnlich: Nicht beim Trainieren werden Hauptsache gesund Dr. Barbara Richartz Morgen ist auch noch ein Tag! Priv.-Doz. Dr. med. habil. Barbara Richartz, Chefärztin in Bad Wiessee, erklärt, warum man seinem Körper genug Zeit zur Erholung gönnen sollte. wir fit. Fortschritte machen wir in der anschließenden Er- holungsphase. Nach einem anstrengenden Training be- reitet sich der erschöpfte Körper darauf vor, beim nächsten Mal nicht nur genauso viel, sondern noch etwas mehr leisten zu können. Dafür braucht er aber eine Ruhephase. Wer zu früh wieder die Laufschuhe schnürt, schadet der Phase der Regeneration – die Leistungsfähigheit sinkt. Besonders die nächtliche Ruhephase ist für die Regeneration von Bedeutung, denn nachts wird das Immunsystem aktiviert und Heilungsprozesse werden in Gang gesetzt. Permanente Aktivität ohne Phasen der Ruhe und Regeneration führen neben Schlappheit und Konzentrationsmangel zu einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Schließlich „brennen die Sicherungen durch“, was sich durch vermehrte Reizbarkeit und mangelnde Stressbe- wältigung ausdrückt. Längerfristig steigt das Risiko für Diabetes mellitus, Bluthochdruck und einen Herzinfarkt. Doch was heißt mehr Ruhe und Gelassenheit? Gelassenheit hat etwas mit Zulassen und Loslassen zu tun. Das bedeutet, Geschehnisse mit einem gewissen Gleichmut anzunehmen, sie auszuhalten, nicht immer alles unter Kontrolle zu haben. Ich selbst habe einige Zeit an einer italienischen Universität verbracht und dort – neben medizinischen Fakten – vielleicht einige sehr viel wichtigere Dinge gelernt: Die Fähigkeit zur Gelassenheit, den Unterschied zwischen Schnelligkeit und Hektik und Dinge, die nicht lebensrettend sind, auch einmal gezielt liegen zu lassen. Denn, wie Sie wissen: Morgen ist auch noch ein Tag! MEDIZIN ......................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... Masern – die unterschätzte Gefahr Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ihr Ziel verfehlt: Bis 2010 wollte sie die Masern in Europa ausrotten. Bereits in diesem Jahr gab es allein in München 28 Fälle. Denn zu wenige Menschen sind geimpft. Späte Meldungen an die Behörden erschweren es zudem immer wieder, Ausbrüche einzudämmen. VON SONJA GIBIS Noch immer sind viele Menschen davon überzeugt: Eine durchgemachte Masern-Infektion stärkt das Immunsystem. Experten werden dagegen nicht müde zu warnen: Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit. Schwere Verläufe sind häufig. Todesfälle nicht ausgeschlossen – auch in Deutschland. Die deutschen Gesundheitsbehörden verfolgen das Ziel der WHO daher mit Nachdruck. Sie wollen erreichen, was einst bei den Pocken gelang: die Masern auszurotten, zuerst in Europa. Um das zu schaffen, müssten 95 Prozent der Bevölkerung einen vollständigen Impfschutz haben. Zwar zeigen Kampagnen Erfolge, die Impfraten sind aber noch immer zu niedrig. Untersuchungen an Erstklässlern zeigen: Die erste Impfung erhalten noch mehr als 90 Prozent. Die notwendige zweite aber oft weniger als 80 Prozent. Zudem haben viele Erwachsene keinen Impfschutz. Noch immer kommt es in Deutschland daher jedes Jahr zu mehreren hundert Erkrankungen. Die erste Infektion ist oft aus dem Ausland eingeschleppt. Die Zahl der Er- Tückische Infektion: Die roten Masern-Flecken zeigen sich erst einige Tage nach der Erkrankung. krankungen schwankt dabei stark – auch in Bayern. Zu großen Ausbrüchen kam es im Jahr 2001. Im Freistaat erkrankten 2224 Menschen. Zwei Jahre später waren es gerade mal 16. Vergangenes Jahr stieg die Zahl wieder auf 219, davon 67 in München. Heuer könnte diese Zahl durchaus getoppt werden: Allein in der Landeshauptstadt wurden bereits 28 Fälle gemeldet. Statistisch ist das Risiko zu erkranken in München größer als im Rest des Freistaats. „Das liegt aber nicht daran, dass hier weniger Menschen geimpft sind“, sagt Katrin Zettler, Sprecherin des Münchner Referats für Gesundheit und Umwelt. Wo viele Menschen auf dichtem Raum leben, verbreiten sich Infektionen eben rascher. Wie viele es sind, wird exakt Wie schütze ich mich vor Masern? Masern sind extrem ansteckend. In der Regel leiden die Erkrankten zuerst an Fieber, Husten und Schnupfen. Während dieser Phase sind sie bereits ansteckend. Erst drei bis sieben Tage später zeigen sich dann auf der Haut die typischen roten Flecken. Bei jedem fünften Patienten kommt es zu Komplikationen, etwa einer Mittelohr- oder einer Lungenentzündung. Im schlimmsten Fall entzündet sich das Gehirn, was tödlich enden kann. In manchen Fällen, vor allem bei Säuglingen, zeigen sich die Folgen erst fünf bis zehn Jahre nach der Infektion. Diese Form der Erkrankung endet stets tödlich. Mediziner raten daher nachdrücklich zur Impfung. Diese wird als Masern-Mumps-Röteln-Impfung mit einem Kombinationsimpfstoff verabreicht, normalerweise erstmals zwischen dem 11. und 14. Lebensmonat. Nach einer zweiten Impfung – am besten im 15. und 23. Monat – sind mehr als 99 Prozent der Geimpften lebenslang immun. Die Impfung kann man auch als Erwachsener nachholen. registriert. Seit dem Jahr 2001 besteht für Masern hierzulande eine Meldepflicht. Ärzte, Labormitarbeiter und Gemeinschaftseinrichtungen müssen schon beim Verdacht das Gesundheitsamt informieren. Wird ein neuer Fall bekannt, herrscht dort Hochbetrieb. Denn Masern sind extrem ansteckend. „Setzen Sie einen Kranken in ein Zimmer FOTO: DDP mit 99 Personen, die nicht immun sind. Wahrscheinlich stecken sich 99 davon an“, sagt Zettler. Wird ein Fall gemeldet, ist es das oberste Ziel, die Infektionskette zu unterbrechen. Personen, die Kontakt zu dem Erkrankten hatten, müssen informiert, deren Impfschutz überprüft werden. Doch immer wieder greift der Notfallplan erst spät. „Manche Ärzte erkennen die Krankheit zunächst nicht“, sagt Zettler. Rote Flecken treten erst nach Tagen auf. Und selbst diese werden manchmal für eine Allergie gehalten. Schuld sind aber auch Unwissen und Nachlässigkeit. Dass eine versäumte Meldung ernste Folgen haben kann, zeigt ein Fall aus dem vergangenen Frühjahr: Damals erkrankte nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) ein 29-jähriger Münchner nach einem Südafrika-Urlaub. In der Klinik wurde die Erkrankung erkannt, der Kranke isoliert. Doch weder der behandelnde Arzt noch das Labor meldeten den Fall. Der Kranke infizierte zwei Mitglieder des medizinischen Personals. Einer davon hatte Kontakt zu Patienten mit geschwächtem Immunsystem. Zum Glück hatte sich keiner davon angesteckt. Das RKI nützt den Fall für eine Forderung: Bei allen Mitarbeitern in der Gesundheitsversorgung sollte man schon bei der Einstellung den Immunstatus untersuchen. Auch bei einem zweiten Ausbruch im Juni führte eine verspätete Meldung zu weiteren Infektionen: Das erste Opfer war ein 34-jähriger Bulgare. Er löste eine Epidemie aus, bei der sich auch ein 17-Jähriger aus dem Münchner Umland infizierte. Die Eltern schickten ihn zur Heilpraktikerin. Die empfahl, den Fall nicht zu melden, auch nicht der Schule. „Dabei sind die Eltern dazu verpflichtet“, sagt Zettler. Der Jugendliche steckte mindestens neun Menschen an. Mit ähnlichen Problemen kämpfen laut RKI auch Gesundheitsämter in anderen Bundesländern. So erkrankte im März 2010 eine 13-jährige Waldorfschülerin in Essen. Mehr als 40 Prozent der Schüler waren nicht geimpft. Die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes empfahlen eine Riegelungsimpfung. Diese schützt auch noch, nachdem man Kontakt zu einem Infizierten hatte. Viele Eltern wollten das nicht. Insgesamt erkrankten bei dem Ausbruch 71 Personen. Später wurde klar: sieben davon bereits vor der ersten Meldung. PANDEMRIX ................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ Unter Verdacht: Der Schweinegrippe-Impfstoff aus dem Vorjahr Er sollte Millionen Menschen das Leben retten: Nichts weniger erhoffte man sich von dem Impfstoff Pandemrix, der 2009/10 gegen die Schweinegrippe eingesetzt wurde. Doch mit der Angst vor dem Virus schwand auch das Vertrauen. Kritiker fürchteten, das Mittel sei nicht ausreichend getestet. Patienten berichteten von teils heftigen Impfreaktionen. Was von der Panik übrig ist, lagert noch heute in Kühlhäusern. Längst gibt es einen neuen Grippeimpfstoff, der als sicher gilt und auch vor der Schweinegrippe schützt. Doch während die Verantwortlichen überlegen, was mit den Resten des alten Impfstoffs passieren soll, prüfen mehrere Gesundheitsinstitute europäischer Länder, ob Pandemrix vielleicht doch nicht so harmlos war, wie anfangs gedacht. Auslöser ist eine Häufung von Narkolepsiefällen in Finnland, die kurz nach der Impfung aufgetreten war. Narkolepsie ist eine seltene Nervenkrankheit, die mit einer Störung des Schlaf- und Wachrhythmus einhergeht. Viele Patienten schlafen tagsüber plötzlich ein – etwa beim Autofahren. In Finnland sind in den Jahren 2009 und 2010 insgesamt 60 Personen zwischen vier und 19 Jahren an Narkolepsie erkrankt, wie das Nationale Gesundheitsinstitut Finnlands (THL) meldet. 52 davon seien zuvor mit Pandemrix geimpft worden. Bei Impfung mit Folgen? Experten prüfen, ob der 2009/10 eingesetzte Impfstoff Pandemrix Narkolepsie auslösen kann. DPA den Geimpften ist das Risiko einer Erkrankung damit um das Neunfache erhöht. Eine Häufung von Narko- lepsiefällen bei Heranwachsenden hat man auch in Schweden und Island beobachtet. Allerdings sei die Zahl der Erkrankten in Island auch bei den Ungeimpften erhöht gewesen, heißt es beim THL. In Deutschland ist das Paul Ehrlich-Institut in Langen für die Impfstoffsicherheit zuständig. Seit Oktober 2010 sind dort acht Fälle von Narkolepsie nach einer Pandemrix-Impfung nachgemeldet worden. In einem davon habe sich die Diagnose nicht bestätigt, hieß es. Bei einem anderen waren schon vor der Impfung erste Symptome aufgetreten, bei zwei weiteren ist die Diagnose noch nicht zweifelsfrei geklärt. Noch ist unklar, ob die Impfung Auslöser der Erkrankung ist. Das soll nun eine vom Europäischen Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) finanzierte Studie in elf europäischen Ländern klären, darunter Deutschland. Das THL betont, dass auch andere Faktoren für den Anstieg verantwortlich sein könnten. Doch sei der Zusammenhang so auffällig, dass er sich damit allein wohl nicht erklären ließe. An dem Rat, sich gegen Grippe impfen zu lassen, ändert dies jedoch nichts. Pandemrix und der derzeit eingesetzte saisonale Grippeimpfstoff sind völlig verschiedene Mittel. Zudem würden saisonale Grippeimpfstoffe seit Jahren eingesetzt, ohne dass sich ein Hinweis auf Narkolepsie ergeben hätte, sagte eine Sprecherin des Paul Ehrlich-Instituts. ANDREA EPPNER 17 DIE AKTUELLE MEDIZIN Heute: Lebermodell für Arzneimitteltests Im Labor, im Tierversuch und schließlich an Freiwilligen: Ehe ein neues Medikament in die Apotheke kommt, wird es aufwendig in Studien getestet. Dennoch gibt es manchmal Nebenwirkungen, die erst lange nach der Markteinführung entdeckt werden. Oft sind das schädliche Wirkungen auf die Leber. Diese lassen sich bislang weit schlechter vorhersagen als etwa Nebenwirkungen auf das HerzKreislauf-System oder den Verdauungstrakt. „Das soll sich nun ändern“, sagt Dr. Ursula Müller-Vieira von der Pharmacelsus GmbH. Sie leitet den Forschungsverbund HepaTox, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Die Wissenschaftler des Projekts arbeiten an einem Lebermodell, mit dessen Hilfe man schon im Labor mögliche Nebenwirkungen erkennen kann. Trotz Tests: Manche Wirkungen neuer Arzneien bleiben unentdeckt. DPA Leberzellen im Labor Schon lange wissen Forscher, wie sie menschliche Leberzellen im Labor züchten können. Doch dazu verwenden sie in der Regel flache Plastikschalen, auf denen die Zellen in dünner Schicht in einem Nährmedium wachsen – also unter völlig anderen Bedingungen als im menschlichen Körper. Sie reagieren darum oft auch anders. Leberzellen verlieren zum Beispiel viele ihrer typischen Funktionen, darunter auch die, arzneiliche Wirkstoffe abzubauen. „Deshalb sind diese Modelle besonders für die Untersuchung von Langzeiteffekten nur eingeschränkt geeignet“, sagt Müller-Vieira. „Leberschädigende Nebenwirkungen treten jedoch oftmals erst mit einer gewissen Latenzzeit auf.“ In flachen Schalen wurden die Leberzellen bislang für die Tests kultiviert. DPA Tests mit Bioreaktor Forscher versuchen darum, die Leber im Labor noch besser nachzuahmen. Sie lassen die Zellen dazu in einem Mini-Bioreaktor wachsen. Das ist ein kleines Gefäß, in dem die Zellen eine dreidimensionale, gewebeähnliche Struktur bilden. Sie heften sich dazu an Fasern, die sich im Inneren des Bioreaktors befinden. Über Schläuche werden die Zellen kontinuierlich mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt – ähnlich wie im menschlichen Körper. Noch ist das Lebermodell in der Testphase. Ob es einen Leberschaden anzeigen kann, wird derzeit mit Wirkstoffen geprüft, die als leberschädigend bekannt sind. ANDREA EPPNER