Foto: Geißler wettkampf-ernährung 64 TOUR 8-2014 Alles Zucker, oder was? Wer eine harte Ausdauerprüfung wie die SchwalbeTOUR-Transalp fahren möchte, braucht den richtigen Treibstoff im Tank. Wir haben Teilnehmern in die Trikottaschen geschaut und deren Inhalt einem Profi-Check unterzogen E rinnern Sie sich an den Giro d’Italia 1998? Das Jahr, in dem Marco Pantani die Rundfahrt dominierte und im Anschluss gleich die Tour de France gewann? Wissen Sie auch, womit Pantani die ItalienRundfahrt gewann? „Mit EPO“, mag mancher sarkastisch sagen und hat damit vermutlich Recht. Aber in der ­Trikottasche hatte Pantani doch etwas anderes: Der Kletterkünstler aus Cesenatico zauberte auf einer der Bergetappen ein kleines, rundes Alufolien-Gebilde aus der Trikot­tasche. Die TV-Kameras zielten auf das Päckchen, denn die Welt wollte wissen, was Pantani Flügel verlieh. Vor aller Augen schälte er die Folie ab und zum Vorschein kam … ein Salamibrötchen: simples Weizengebäck mit etwas Butter und zwei Scheiben Wurst. Beim Gedanken daran dreht sich noch heute jedem Ernährungswissenschaftler der Magen um, doch Pantani beging den Frevel mit Vorsatz: Er hatte genug von all den Zuckerriegeln, die er vom Sponsor bekam. Kohlenhydratriegel, Energy-Gel mit und ohne Koffe­in, Proteinriegel, Reiskuchen, Bananen oder Baguette – Radsportler verspachteln so ziemlich alles, was Energie bringt. Wie wichtig die Auswahl an Lebensmitteln wirklich für die Leistung auf dem Rad ist, hängt sehr stark Text Björn Kafka Wie viel treibstoff? Belastungsdauer wissenschaftlich empfohlene Kohlenhydrat­ menge pro Stunde* 3 0 – 6 0 M i n ut e n ein Schluck Kohlenhydrat­ getränk, im Mund gespült 1 –2 S tu n d e n bis zu 30 Gramm Kohlenhydrate/Stunde vom jeweiligen Wettkampf ab. Wer nur bei einem kurzen Kriterium um die Ecken flitzt, kommt meist mit einer Trinkflasche aus, die zum Beispiel mit Cola gefüllt ist, da die körpereigenen Glykogenspeicher genügend Energie für die komplette Renndistanz gespeichert haben. Anders sieht es bei längeren Straßenrennen aus, bei denen der Körper konstant Energie bereitstellen muss. Dabei entscheidet die regelmäßige Aufnahme von Kohlenhydraten darüber, ob der Sportler entspannt ankommt oder tiefenentleert dem Hungerast entgegensteuert. Die Königsdisziplin der Ernährung im Radsport sind für Profis wie Hobbysportler mehrtägige Rennen: Wer zum Beispiel eine Etappenfahrt wie die Schwalbe-TOURTransalp a­ ngeht, muss seine Energiezufuhr so dosieren, dass sie konstant Treibstoff liefert, dabei aber den MagenDarm-Trakt nicht belastet. Genau diesen Punkt beachten viele Sportler zu wenig: Wenn der Hungerast droht, werfen sie unbedacht vermeintlich wirksame, aber ihnen unbekannte Produkte in den Tank. Kohlenhydrate, der Super-treibstoff Entscheidend ist und bleibt der Verzehr von Kohlenhydraten, denn sie liefern den primären Treibstoff für intensive Ausdauerbelastungen. Kohlenhydrate benötigen bei der Verstoffwechselung weniger Sauerstoff als Fett. Neue ­Studien zum Thema förderten dabei ein kurioses Detail zu Tage: Man muss Kohlenhydrate noch nicht einmal zu sich nehmen, um von ihnen zu profitieren! Forscher ­fanden heraus: Spült man den Mund mit einem kohlen­ hydrathaltigen Getränk, aktivieren Rezeptoren in der Mundschleimhaut das zentrale Nervensystem im Gehirn, was einen leistungssteigernden Effekt bewirkt. Bei Belastungen bis zu 60 Minuten muss man also gar nichts zu sich nehmen und dadurch wertvollen Sauerstoff für die Verbrennung abzapfen – abgesehen davon, dass die Glykogenspeicher in Muskeln und Leber für solch ­kurze Belastungen ohnehin genug Kohlenhydrate bereithalten. 2 –3 S tu n d e n bis zu 60 Gramm Kohlenhydrate/Stunde M e h r a l s 3 S tu n d e n bis zu 90 Gramm Kohlen­hydrate/Stunde d e r m i x m ac h t ’ s Wird nur Glukose verzehrt, ist die Energiefreisetzung aus Kohlenhydraten auf etwa 60 Gramm pro Stunde limitiert. Jüngere Studien zeigen, dass Glukose-­ Fruk­tose-Mischungen mehr Energie bereitstellen können. Tipp Erhöhen Sie in der Trainings­ phase direkt vor dem Wett­ kampf die Kohlenhydrat­ menge über Sportgetränke, Gels oder Riegel langsam über mehrere (vier bis fünf) Tage. * unabhängig von Geschlecht oder Körpergewicht. 8-2014 TOUR 65 In die Tasche geschaut Ernährungsexperte Phillip Rauscher berät einige Straßen- und Mountainbike-Profis der Weltklasse. Er bewertet die Lebensmittel, die wir in den Trikottaschen von Transalp-Teilnehmern gefunden haben P h i l i pp R aus c h e r Der studierte ­Er­nährungsberater ­betreut seit Jahren ­erfolgreich ­Sportler verschiedener Disziplinen. Der 32-Jährige optimiert die Ernährung einiger Handball-Nationalspieler und von Sportlern des Olympia­stützpunkts Stuttgart info www. logisch-ernaehren.com 66 TOUR 8-2014 R amona Pillich (28) Dav i d B roo (4 0) Einfach mal was abgreifen: Die 28-jährige ­Berlinerin hatte ihre Ernährung auf der Transalp genau geplant, doch auf der dritten Etappe, hoch zum Grödner Joch, griff sie sich einfach mal ein Gel, das ein fremder ­Teambetreuer ihr ­anbot. David Broo quält sich jeden Tag durch die ­Transalp, aber er schwört auf seine Ernährung. Der Radsporttrainer aus Norwegen isst ­selbstgebackene Reiskuchen und trinkt einen Stunde vor dem Ziel Cola. Zutaten der Reis­ kuchen: Reis, Rührei, Kokosfett, Zucker, Salz. Die Kohlenhydrate der Squeezy Energy Gums (Kaubonbons) setzen sich ähnlich zusammen wie andere Sporternährung: Maltodextrin, ­Glukosesirup und Fruktose sollen die nötige Energie liefern. Das IsoGel von High5 ist im ­Vergleich zum EnergyGel sehr dünnflüssig, was eine schnelle Aufnahme garantiert. Salzstangen liefern langsamere Kohlenhydrate, aber vor ­allem Salz. Gels bieten Energie auf schnellstem Weg. Man sollte aber immer auf die Zusammensetzung achten und nicht spontan zu Gels greifen, die man nicht kennt. Manche Sportler bekommen bei bestimmten Fruktose- oder DextroseKonzentra­tionen eher Probleme, als dass sie Nutzen aus den Gels ziehen. Zudem sollte man genau auf die Menge achten: Zum Beispiel enthalten 30 Milliliter Gel nur 20 Gramm ­Kohlenhydrate – das reicht bei intensiven ­Belastungen nur für 20 Minuten (abhängig von der Leistung). Nur ein Tütchen einzustecken, bringt also herzlich wenig. Reiskuchen finden im Profizirkus großen Anklang. Ihr Vorteil: Reis ist sehr gut verdaulich und liefert Kohlenhydrate über die Stärke. ­Zudem steckt einige Flüssigkeit im Reiskuchen, was der Rehydration helfen kann. Das Kokosfett liefert zusätzlich Energie. Der Zucker begünstigt eine schnelle Treibstoffaufnahme. Salz hilft, den Natriumhaushalt stabil zu halten. Die richtige Wahl? Die Nahrung ist für Sebastian bedingt geeignet. Die Kaubonbons zeigen gute Nährwertdaten, doch praktikabel sind sie nicht. Das Aufreißen der Packung und Herausfummeln der Gummis kann nervig und auf A­ bfahrten oder im Feld auch gefährlich sein. Zudem müssen sie gut gekaut werden. Eine Packung davon plus drei Gels sind im Grunde zu wenig für Sebastian, doch er fährt wegen seines schwächeren ­Partners deutlich unter seinen Möglichkeiten. Der 32-Jährige verstoffwechselt vor allem Fett. Der instinktive Griff zu den Salzstangen erklärt sich dadurch, dass er nur Wasser in den Flaschen hat; ein Elektrolyt­getränk wäre besser. Zudem könnte Sebastian zu günstigeren Kohlehydraten greifen: Brötchen mit Honig, da er weniger i­ntensiv unterwegs ist. Die richtige Wahl? Das Gel von High5 (EnergyGel Caribbean Crush) nutzt Maltodextrin, Glukose und Fruchtsaft als Kohlenhydratquellen. Die Mischung kann die Kohlenhydrataufnahme auf über 60 Gramm pro Stunde steigern. Maltodextrin ist gut verträglich. Die Glukose kann in größeren Mengen Probleme bereiten (ab 30 Gramm). Die natür­ liche Fruktose des Safts ist besser verträglich als isolierte. Das beigefügte Seesalz kann ­Elektrolytverlusten entgegenwirken. Die richtige Wahl? David Broo fährt mit einem Powermeter am Rad. Seine Wattwerte zeigen, dass er vielleicht nicht optimal isst. Der Norweger bewegt sich oft an seiner funktionellen Schwellenleistung (295 Watt), was viel Energie verbraucht. Mit vier Reiskuchen (je etwa 200 kcal) streikt bei David schon nach zwei bis drei Stunden der Motor. Besonders auf der zweiten Etappe bekam er das zu spüren: Broo fiel in ein Hungerloch und schaffte nur noch 210 bis 220 Watt am Jaufenpass. Die Cola am Gipfel wirkte Wunder. Auf der Abfahrt erholte sich der 40-Jährige, das Koffein zeigte nach etwa 20 bis 30 Minuten ­Wirkung. Broo fuhr auf dem flachen Gelände nach Brixen wieder deutlich stärker. Fotos: Kafka (2), Marathon-Photos.com, privat Das meint der Experte S e b a st i a n G i e s e ( 3 2 ) Der Deutsch- und Sportlehrer aus Malmö nimmt nur Dinge zu sich, die er kennt: In seiner ­Trikottasche stecken isotonische Gels mit K­ offein; zudem noch Kaubonbons. An den ­offiziellen Verpflegungsstationen knabbert der 32-Jährige vor allem Salzstangen. Kohlenhydrate im überblick Maltodextrin + – Geringe Osmolarität (Wasserbindung), erlaubt die schnelle Aufnahme großer Kalorienmengen Geschmacksneutral, keine Süße – für manche Sportler ungewohnt Glukose, Dextrose + – Natürlichste Zuckerquelle, die schnell für den Körper verfügbar ist Dextrose bindet viel Wasser; größere Mengen Dextrose (ab 30 Gramm) können zu ­Magen­problemen führen T h or s t e n B i r k ( 3 9) f l or i a n s i n g h ( 3 5) Thorsten kann sein Glück kaum fassen: Er hat mit seinem Partner das Scott-Attack-Trikot ­gewonnen, mit dem bei der Transalp jeden Tag das Team ausgezeichnet wird, das die meisten Plätze im Klassement gutgemacht hat. Haben ihn die Bananen, die er häufig isst, schnell gemacht? Egal, was kommt – der Hamburger Florian Singh steckt sich jeden Tag unterschiedliche Produkte in die Trikottasche. Auf der letzten Etappe greift Singh auf Powerbar-Gels zurück, mit denen er schon ein paar Tage zuvor gute Erfahrungen gemacht hat. Bananen sind aus dem Radsport nicht weg­ zudenken. Die gelbe Frucht liefert Kohlenhydrate, Kalium und Magnesium. Bananen sind zudem fast überall zu kaufen und gut verträglich. Die natürliche Verpackung macht sie zu einem ­Allround-Energieriegel für Sport und Alltag. Powerbars-Gels liefern auf 41 Gramm Inhalt 26,7 Gramm Kohlenhydrate. Zudem stecken noch 210 Milligramm Natrium drin, was ein vernünftiger Wert zur Vermeidung von Elektrolytverlusten ist. Etwas verwirrend ist die Ein­ nahmeempfehlung: Ein bis vier Gels sollen täglich verzehrt werden. An anderer Stelle steht, dass alle 20 Minuten ein Gel genommen werden soll. B­ edeutet das, dass man nach etwa zwei Stunden schon keine Gels mehr zuführen darf? Für einen Marathon wäre das zu wenig. Florian b­ elässt es bei drei Tütchen und versorgt sich zusätzlich an den Verpflegungsstationen. Fotos: Grieshaber, Imago (2), Kafka, Kraus, Marathon-Photos.com, Simon, Stockfood Die richtige Wahl? Als Zwischenmahlzeit eignen sich Bananen hervorragend, doch während der Transalp, besonders bei hohen Belastungen, sollten andere Kohlenhydratquellen verwendet werden. Die Ballaststoffe und Fruchtsäuren in der Frucht behindern eine effektive Energiezufuhr, sodass die Kohlenhydrate zum Teil erst nach zwei ­Stunden im Blut ankommen. Zudem bietet das Kalium-Natrium-Verhältnis keinen effektiven Schutz vor elektrolytbedingten Krämpfen. ­Dennoch haben Bananen einen immensen ­Vorteil: Sie sind sehr gut verträglich. Wer sie im Rennen verwendet, sollte sie sehr gut ­kauen, dadurch verkürzt sich die Verweildauer im Magen. Fruktose + – Leicht verdaulich; erhöht in Kombination mit anderen Kohlenhydraten die Energieaufnahme Das meint der Experte Bei zu viel Fruktose besteht Durchfallgefahr. Schwankung des Insulinspiegels möglich Isomaltose, Palatinose P h i l i pp R au s c h e r + – Geringer glykämischer Index. Liefert lange Energie Wirkt nicht sofort. Am besten mit anderen K­ ohlenhydraten kombinieren (z. B. Maltodextrin, Vitargo) Die richtige Wahl? Die Formel von Powerbar liefert nachweislich mehr Kohlenhydrate pro Stunde. Die Zusammen­setzung sieht ähnlich aus wie bei den Mit­bewerbern: Maltodextrin und Fruktose. Die isolierte Fruktose kann Probleme bei der Verdauung bereiten, besonders in größeren Mengen. Bei Florian ist das nicht der Fall; auf der letzten, extrem heißen Etappe profitiert er vom erhöhten Elektrolytanteil der Gels. Amylopektin, Vitargo + – Schnelle Verfügbarkeit für den Körper. Extrem geringe Wasserbindung Teuer. Neigt zur Klumpenbildung 8-2014 TOUR 67