Ulrich Dendorfer Klinik für Nieren–, Hochdruck

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Ulrich Dendorfer
Klinik für Nieren–, Hochdruck– und Rheumaerkrankungen
Warum gibt es überhaupt Hyperurikämie
beim Menschen?
… wegen der Evolution!
Urat–Oxidase
Gabison et al.
Acta Crystallogr D
Biol Crystallogr
2010;66:714-24
Harnsäure–
Produktion
und –Elimination
beim Menschen
und der Maus
Chen et al. Med Sci Monit
2016;22:2501-12
Warum gibt es
überhaupt
Hyperurikämie
beim Menschen?
Pavian
Makaken
Gibbon
Kratzer et al. Proc Natl Acad
Sci USA 2014;111:3763-8
Orang–Utan
Gorilla
Chang. Proc Natl Acad Sci
USA 2014;111:3657-8
Schimpanse
Mensch
Uricase–Aktivität und URAT1–Affinität
im Verlauf der Evolution
Tan et al.
Mol Biol Evol
2016;33:
2193-200
Evolutionäre Vorteile
der Harnsäure
Johnson & Andrews. Sci Am 2015 Oct;64-9
Evolutionäre Vorteile der Harnsäure
 eines der wichtigsten Antioxidantien im menschlichen Körper
(Glantzounis et al. Curr Pharm Des 2005;11:4145)
 > 50 % der antioxidativen Kapazität im Blut
 möglicherweise Ersatz für Vitamin C
 Aufrechterhaltung des Blutdrucks bei sehr geringer Salzaufnahme
(Watanabe et al. Hypertension 2002;40:355-60)
 evtl. als Voraussetzung für den aufrechten Gang
 neuroprotektive Wirkungen:
 günstig bei Schlaganfall: Chamorro et al. Lancet Neurol 2016;15:869-81
 geringeres Risiko für M. Parkinson: Shen et al. Can J Neurol Sci 2013:40:73-9
 geringeres Risiko für M. Alzheimer: Lu et al. Ann Rheum Dis 2016;75:547-51
 EULAR-Empfehlung: Harnsäure sollte nicht unter 3 mg/dl gesenkt werden.
Álvarez–Lario & Macarrón–Vicente. Rheumatology 2010;49:2010-5
Definition der Hyperurikämie
Definition
Probleme
statistische Definition
nach Laborwerten
Harnsäure mehr als 2 Standardabweichungen über dem Mittelwert
in der Allgemeinbevölkerung
Variationen nach Ethnizität, Alter und Zeit
Unterschied zwischen Frauen und
Männern
physiologische Definition
nach dem Sättigungspunkt in vivo,
bei dem sich Harnsäurekristalle
bilden
wird durch Temperatur, pH und Knorpel–
Matrixproteine beeinflusst
nach dem Risiko, eine
Erkrankung zu
entwickeln
unbekannt
Die meisten Personen mit Hyperurikämie
entwickeln keine Gicht.
bei anderen Krankheiten wahrscheinlich
unterschiedlich
nach dem Zielbereich
bei Behandlung einer
Erkrankung
etabliert bei Gicht < 6 mg/dl (bzw.
<5 mg/dl bei schwerer Erkrankung)
unbekannt bei anderen Krankheiten
je nach Erkrankung anders
große klinische Studien zur Festlegung
des Zielbereichs erforderlich
Stamp & Dalbeth. Semin Arthritis Rheum 2016; Epub 28 Jul
Bardin & Richette. Curr Opin Rheumatol 2014;26:186–91
Häufigkeit der Hyperurikämie
 5.707 Teilnehmer in NHANES 2007–2008, Harnsäure > 7,0 mg/dl für Männer
und > 5,7 mg/dl für Frauen (Zhu et al. Arthritis Rheum 2011;63:3136-41):
Prävalenz der Hyperurikämie 21,2 % bei Männern und 21,6 % bei Frauen
Prävalenz der Gicht 5,9 % ♂ bzw. 2,0 % ♀
Anstieg im Vergleich zu den Daten von 1988–1994
 North West Adelaide Health Study 2008–2010, N = 2.462, gleiche Definition
wie oben (Ting et al. Intern Med J 2016;46:566-73):
Prävalenz der Hyperurikämie 17,8 % bei Männern und 15,4 % bei Frauen
Prävalenz der Gicht 8,5 % ♂ bzw. 2,1 % ♀
Mit Hyperurikämie assoziierte Erkrankungen
kausaler Zusammenhang:
Kausalität nicht gesichert:
Gicht
arterielle Hypertonie
akute Urat–Nephropathie
kardiovaskuläre Erkrankungen
koronare Herzerkrankung
pAVK
Herzinsuffizienz
Schlaganfall
CV–Mortalität
Feig et al. N Engl J Med
2008;359:1811-21
Sattui, Singh & Gaffo.
Rheum Dis Clin North Am
2014;40:251-78
Nierenerkrankungen
chronische Niereninsuffizienz
akutes Nierenversagen
Harnsäure–Nephrolithiasis
metabolisches Syndrom
Insulinresistenz und Diabetes
Adipositas
Hypertriglyceridämie
niedriges HDL–Cholesterin
chronische Entzündung
Möglicher
Mechanismus
der harnsäure–
vermittelten
art. Hypertonie
Feig et al. N Engl J Med
2008;359:1811-21
Hyperurikämie und inzidente Hypertonie
 Metaanalyse von 18 prospektiven Kohortenstudien
mit insgesamt 55.607
Teilnehmern
 größere Effekte bei
jüngeren Studienpopulationen,
Frauen und
afrikanischer
Abstammung
Grayson et al. Arthritis Care
Res 2011;63:102-10
Harnsäure, Nierenfunktion und
kardiovaskuläre Mortalität in USA
 Population: erwachsene Teilnehmer der NHANES–Studie von 1988 – 2002
 mittleres Follow–up 7,7 Jahre
 primäre Analysen bei fast
11.000 Personen
 signifikante Korrelation mit
eGFR (r = –0,29; p < 0,001)
Frauen
Männer
Odden et al. Am J Kidney
Dis 2014;64:550-7
Harnsäure als Risikofaktor für Niereninsuffizienz
 Vienna Health Screening Project:
prospektive Kohortenstudie mit
N = 21.475 Teilnehmern
 medianes Follow–up 7 Jahre
 Endpunkt: eGFR < 60 ml/min.
 gründliche Adjustierung für
andere Risikofaktoren
Obermayr et al. J Am Soc
Nephrol 2008;19:2407-13
Kausale Rolle der Harnsäure bei kardiometabolischen Erkrankungen: Mendelsche Randomisierung
 mehrere große Datenbanken wie z.B. PROMIS (Pakistan Risk of Myocardial
Infarction Study, N = 18.828), Global BPgen Consortium (N = 134.433), Global
Lipids Genetics Consortium (N = 100.000) etc.
 Auswahl von 14 harnsäure–spezifischen Polymorphismen zur Berechnung eines
GRS14
 Ergebnisse:
Keenan et al. J Am Coll Cardiol 2016;67:407-16
Wirkung von Allopurinol auf den Blutdruck
 systematische Review
und Metaanalyse von
10 klinischen Studien
mit N = 738 Teilnehmern
 Reduktion des systolischen um 3,3 mmHg und
des diastolischen Blutdrucks um 1,4 mmHg
 geringe aber signifikante
Blutdruck–Abnahme
 stärkerer Effekt bei
Jugendlichen (Feig et al.,
JAMA 2008;300:924-32)
Agarwal et al. J Clin Hypertens 2013;15:435-42
Harnsäuresenkung bei Herzinsuffizienz
 EXACT-HF–Studie = Xanthine
Oxidase Inhibition for Hyperuricemic
Heart Failure Patients
 doppelblinde Multizenterstudie mit
N = 253 Patienten
 Einschlusskriterien: symptomatische
Herzinsuffizienz, EF ≤ 40 % und
Harnsäure ≥ 9,5 mg/dl
 Intervention: Allopurinol Zieldosis
600 mg pro Tag oder Placebo
 Studiendauer 24 Wochen
 kombinierter Endpunkt: Mortalität,
Verschlechterung der Herzinsuffizienz und Patientenbeurteilung
Givertz et al. Circulation 2015;131:1763-71
Febuxostat bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und asymptomatischer Hyperurikämie
 doppelblinde, randomisierte, placebo–kontrollierte Studie
 mit N = 93 Patienten im östlichen Indien
 Intervention: Febuxostat 1 x 40 mg oder Placebo
 Studiendauer 6 Monate
 primärer Endpunkt: Reduktion der eGFR um mehr als 10 %
 Baseline–Charakteristika der Patienten:
71 % Männer
Sircar et al. Am J Kidney
Gewicht 60,5 kg
Dis 2015;66:945-50
Harnsäure 8,6 mg/dl
Kreatinin 2,2 mg/dl, eGFR 32 ml/min.
Komorbiditäten: art. Hypertonie 98 %, DM 2 und KHK jeweils 38 %
ARBs/ACE–Hemmer 66 %
Febuxostat bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und asymptomatischer Hyperurikämie
Ergebnisse:
Febuxostat
(n = 45)
Placebo
(n = 48)
P–Wert
eGFR–Abnahme ≥ 10 %
17 (38 %)
26 (54 %)
0,004
eGFR–Abnahme < 10 %
1 (2 %)
9 (19 %)
keine Veränderung oder
Verbesserung
21 (47 %)
11 (23 %)
fehlende Patientendaten
6 (13 %)
2 (4 %)
Kategorie
Sircar et al. Am J Kidney
Dis 2015;66:945-50
 mittlere eGFR in der Placebo–Gruppe von 32,6  28,2 ml/min. (– 4,4 ml/min.),
in der Febuxostat–Gruppe von 31,5  34,7 ml/min. (+ 3,2 ml/min.)
 Harnsäure in der Placebo–Gruppe von 8,2  7,8 mg/dl (– 0,4 mg/dl),
in der Febuxostat–Gruppe von 9,0  5,2 mg/dl (– 3,8 mg/dl)
Febuxostat bei Gichtpatienten
mit chronischer Niereninsuffizienz
 randomisierte, doppelblinde, placebo–kontrollierte Multizenterstudie
 N = 96, eGFR 15 – 50 ml/min., Harnsäure 10,5 mg/dl, Follow–up 12 Monate
 drei Gruppen: Febuxostat 2 x 30 mg, Febuxostat 1 x 40/80 mg oder Placebo
Saag et al. Arthritis Rheumatol 2016;68:2035-43
Allopurinol, Progression der chronischen Niereninsuffizienz und kardiovaskuläre Ereignisse
 randomisierte Studie mit N = 113
Patienten über zwei Jahre
 107 Patienten konnten weitere 5 Jahre
nachbeobachtet werden.
 Endpunkte: renal = Dialyse, Verdoppelung des Kreatinins oder Halbierung
der eGFR
 kombinierter kardiovaskulärer Endpunkt
= Herzinfarkt, Revaskularisierung, AP,
Herzinsuffizienz, Schlaganfall, pAVK
 renaler Endpunkt: HR 0,32, P = 0,004
 kardiovaskulärer Endpunkt: HR 0,43,
P = 0,02
Goicoechea et al. Am J Kidney Dis 2015;65:543-9
Harnsäuresenkung bei Patienten mit
chronischer Niereninsuffizienz
 Metaanalyse mit 19 randomisierten klinischen Studien mit 992 Patienten
 eGFR besser um 3.2 ml/min/1,73 m2, 95% CI 0,16-6.2 ml/min/1,73 m2, p=0,039
Kanji et al. BMC Nephrol 2015;16:58
Unerwünschte Wirkungen
harnsäuresenkender Medikamente
 insbesondere: Allopurinol–Hypersensitivitätssyndrom
 große bevölkerungsweite Studie aus Taiwan: jährliche Inzidenz 4,68,
Hospitalisierung 2,02 und damit verbundene Mortalität 0,39, jeweils pro 1.000
neu behandelten Patienten
 Risikofaktoren: weibliches Geschlecht, Alter ≥ 60 Jahre, initiale Dosis höher
als 100 mg pro Tag, renale oder kardiovaskuläre Komorbiditäten
 erhöhtes Risiko bei Verordnung wegen asymptomatischer Hyperurikämie:
OR 2,08 für AHS und 2,32 für damit verbundene Mortalität!
 außerdem: Wechselwirkung zwischen Xanthinoxidase–Inhibitoren und Azathioprin
Yang et al. JAMA Intern Med 2015;175:1550-7
Stamp et al. Nat Rev Rheumatol 2016;12:235-42
„Nicht–medikamentöse“ Harnsäuresenkung
 DASH–Diät: Reduktion der Harnsäure um 1,3 mg/dl bei Hyperurikämie (Juraschek
et al. Arthritis Rheumatol 2016;68:3002-9)
 Gewichtsabnahme bei Adipositas
 Medikation überprüfen:
 Diuretika unbedingt erforderlich?
 ACE–Hemmer  Losartan?
 bei Transplantation: Calcineurin–
Inhibitor entbehrlich?
Inverse Ernährungspyramide bei Gicht.
Beyl et al. Am J Med 2016;129:1153-8
Asymptomatische Hyperurikämie –
behandeln oder nicht?
Asymptomatische Hyperurikämie –
behandeln oder nicht?
nein
(Stand 13.05.2017)
Behandlung der Hyperurikämie bei Gicht
 siehe die Empfehlungen der EULAR, des ACP und der DGRh
 Indikation bei allen Patienten mit rezidivierenden Gichtanfällen, Harnsäure–Tophi, Gicht–Arthropathie und/oder Harnsäure–Nierensteinen
 Indikation bereits nach dem ersten Anfall bei Patienten
im jungen Lebensalter (< 40 Jahre),
mit sehr hoher Serum–Harnsäure > 8,0 mg/dl und/oder
Komorbiditäten wie z.B. Niereninsuffizienz, art. Hypertonie,
KHK oder Herzinsuffizienz
Richette et al. Ann Rheum Dis 2017;76:29-42
Qaseem et al. Ann Intern Med 2017;166:58-68
Kiltz et al. 2016; http://www.awmf.org/leitlinien/detail/II/060-005.html
Zusammenfassung
1. Hyperurikämie ist häufig und Ursache der Gicht.
2. Epidemiologische Studien zeigen die Harnsäure als Risikofaktor für arterielle
Hypertonie, Herz– und Nierenerkrankungen und das metabolische Syndrom.
3. Studien mit Mendelscher Randomisierung konnten eine kausale Rolle der Harnsäure
nicht bestätigen.
4. Randomisierte Studien zur Harnsäuresenkung bei arterieller Hypertonie und
Herzinsuffizienz hatten (überwiegend) negative Ergebnisse.
5. Bezüglich chronischer Niereninsuffizienz wurden knapp 1.000 Patienten in mehreren
kleineren Studien untersucht; Metaanalysen weisen darauf hin, dass Harnsäuresenkung zu einer Progressions–Verzögerung der Niereninsuffizienz führen kann.
6. Große randomisierte Studien mit harten Endpunkten (wie z. B. Verdoppelung des
Kreatinins oder Dialysebeginn) sind erforderlich, bevor allgemeine Therapieempfehlungen gegeben werden können.
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