Highlight 478 Haplotypen und die systematische Analyse genetischer Variation: Krankheitsgene, „Drug Targets“ und Pharmakogenomik Margret Hoehe, Bernd Timmermann, Hans Lehrach Max Planck Institut für Molekulare Genetik, Berlin Wesentliche Ziele der modernen Genomforschung/Pharmakogenomik sind die Identifikation von Krankheitsgenen, die Aufklärung der genetischen Variabilität von „Drug Targets“ und ihrer funktionellen Implikationen, sowie die umfassende Analyse der Variabilität von Genen, die den Transport und die Metabolisierung von Pharmaka steuern. So können die Voraussetzungen für eine individuell optimierte Pharmakotherapie, valide Diagnostik und wirkungsvolle Prävention geschaffen werden. Ein Schlüsselschritt ist dabei der systematische Vergleich individueller Gensequenzen mit dem Ziel der Identifizierung spezifischer Sequenzvarianten, die mit Krankheitsdisposition oder individuell unterschiedlicher Reaktion auf Pharmaka assoziiert sind. Dabei kann die Korrelierung genetischer Variation mit Funktionen von Genen nur auf der Basis von „Haplotypen“ erfolgen, da nur so Struktur-Funktionsbeziehungen erkannt werden können. Erste Ansätze und Arbeiten zur Analyse von Haplotypen und Etablierung komplexer Haplotyp/Genotyp-PhänotypBeziehungen bei hoher natürlicher genomischer Variabilität werden beschrieben. Abb. 1: Haplotypen-Paare zweier Individuen für ein Gen mit multiplen (5) SNPs. In diesem Fall bestimmt die Zuordnung der SNPs zu den beiden Chromosomen den Genotyp; obwohl beide Individuen an den Positionen 2 und 4 heterozygot sind, exprimiert das Individuum rechts das Gen korrekt, das Individuum links nicht. Akkurate Haplotypisierung ist also – besonders bei multiplen SNPs – notwendig, um diese SNPs mit Genfunktion zu korrelieren. Typische Einzel-SNP-Analysen würden nicht zwischen beiden Haplotypenpaaren differenzieren. Gegenwärtige Methoden, SNPs in diploiden Organismen z.B. durch direkte Sequenzierung zu „genotypisieren“, ermöglichen es nicht, zu bestimmen, welches Chromosom eines diploiden Paares mit jedem Polymorphismus assoziiert ist. Es ist eine seit langem bekannte Tatsache, dass Arzneimittel bei verschiedenen Menschen verschieden wirken können. Das Spektrum der Beobachtungen reicht von ungewöhnlich starken Reaktionen auf Pharmaka über das vollkommene Fehlen oder die mangelnde Effizienz einer therapeutischen Wirkung bis hin zu schweren und im Extremfall sogar tödlichen Nebenwirkungen. Diese individuell unterschiedliche Reaktion auf Pharmaka wurde bereits seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts mit der genetisch bedingten, biochemischen Individualität des Menschen in Zusammenhang gebracht. Das humane Genomprojekt hat nun durch die Veröffentlichung der nahezu vollständigen Referenzsequenz des menschlichen Genoms im Jahr 2001 die Voraussetzung dafür geschaffen, diese Unterschiede systematisch auf der DNA-Sequenzebene zu erforschen und durch Aufklärung ihrer genetischen Ursachen den Weg zu einer Verbesserung der Pharmakotherapie des Individuums zu bahnen. Solche Ursachen könnten darin bestehen, dass a) das verabreichte Medikament nicht den beim betreffenden Individuum tatsächlich gegebenen ursächlichen Krankheitsmechanismus beeinflusst; b) das durch das Medikament unmittelbar beeinflusste Zielmolekül in individuell unterschiedlichen Genprofilen vorliegt, so dass eine optimale Interaktion des Zielmoleküls mit dem Medikament nur bei einem Teil der Patienten möglich ist; und c) die Gene, die den Transport und die Metabolisierung der pharmazeutischen Wirksubstanzen steuern, sehr variabel sind, was zu großen individuellen Unterschieden in Wirksamkeit und Toxizität vieler Arzneimittel führen kann. Zentrales Thema ist also die systematische Analyse der genetischen Variabilität von Genen, die eine ursächliche Rolle bei der Entstehung der Erkrankungen spielen könnten, oder deren Genprodukte potenzielle „Drug Targets“ sind bzw. im Gesamtkontext der Wechselwirkungen zwischen Medikament und Organismus wirksam werden. Ziel ist die Identifizierung derjenigen spezifischen Varianten, die mit dem Krankheitsphänotyp oder unterschiedlichen Reaktionen auf Pharmaka assoziiert sind, d.h. funktionelle Veränderungen des Moleküls implizieren. Schlüsselschritt ist dabei der systematische Vergleich von Gensequenzen in Kranken und Gesunden oder in Individuen, die sich hinsichtlich ihrer Reaktion auf Pharmaka unterscheiden. BIOspektrum · Sonderausgabe · 8. Jahrgang Highlight 480 Abb. 2: Polymorphes Spektrum des µ-Opiatrezeptorgens[5]. Die 6968 bp genomische Referenzsequenz ist als Baseline präsentiert; alle Genvarianten sind durch Positionsnummern (relativ zum Startcodon) gekennzeichnet, Nukleotid-Variationen (Basenaustausche, Insertionen und Deletionen) sind angegeben. Die mit einem Stern versehenen Varianten sind in die Haplotyp-Analysen miteinbezogen worden. Der Schlüsselschritt: der Vergleich individueller Kandidatengensequenzen und Bestimmung der Haplotypen Da das gesamte Gen und sein kodiertes Protein als Einheit die Funktion bestimmen, ist es zwingend notwendig, die gesamten Sequenzen der individuellen Gene einschließlich ihrer regulierenden, exonischen und wichtiger intronischen Regionen zu analysieren. In diploiden Organismen ist es weiter essentiell, die spezifischen Kombinationen der Sequenzvarianten (die Haplotypen) für jedes der beiden (väterlichen und mütterlichen) Chromosomen des Genes zu bestimmen, da nur so eindeutige Aussagen über die Funktionalität der beiden Genkopien möglich sind (Abb. 1). So lassen zwei verschiedene Mutationen, die sich auf dem gleichen Chromosom befinden (in cis), die Funktion der anderen Kopie des Gens intakt. Wenn sie sich auf den verschiedenen Chromosomen befinden (in trans) werden beide Genkopien inaktiviert. Demselben SNP können daher unterschiedliche Haplotypen-Konstellationen zugrunde liegen, im Extremfall funktionale und nicht-funktionale, wie aus Abb. 1 eindeutig hervorgeht. Reine Assoziationsstudien auf der Basis der Analyse einzelner SNPs können daher leicht zu widersprüchlichen Ergebnissen führen, wie die Literatur inzwischen hinlänglich bewiesen hat. Die Bedeutung der Analyse von Haplotypen für die Identifizierung genetischer Risikoprofile und Vorhersage klinischer Reaktionen auf Pharmaka wurde inzwischen in ersten Studien eindeutig demonstriert[5, 3, 1]. Diese sich anbahnende „Trendwende“ wurde durch DALY et al. 2001[2] zusammengefasst: „Assoziationsstudien zur Identifizierung von Krankheitsgenen bezogen sich traditionellerweise darauf, individuelle SNPs im Gen oder seiner Umgebung zu testen. Dieser Ansatz … hat keinen klaren Endpunkt: wahre Assoziationen können aufgrund der unvollständigen Information einzelner SNPs unentdeckt bleiben; negative Ergebnisse schließen eine Assoziation nicht aus, die benachbarte SNPs involvieren könnte; und positive Ergebnisse sind keine Indikation für die Entdeckung eines kausalen SNPs, sondern einfach eines Markers im Kopplungsungleichgewicht mit einem wahren kausalen SNP in einiger Entfernung (sogar mehrere Gene weit weg)“. Aufgrund dessen wurde auf dem NIH Meeting „Developing a Haplotype Map of the Human Genome for Finding Genes Related to Health and Disease“ vom 18. – 19. Juli 2001 die Analyse von Gen-basierten Haplotypen und chromosomalen Haplotyp-Blöcken[2], die Haplotypenkarte, zum nächsten großen Ziel des „US Human Genome Projects“ erklärt. Genetische Variabilität als Herausforderung: die Vielfalt von Haplotypen Erste systematische Vergleiche von Kandidatengen-Sequenzen (Teilen eines Genes oder „gesamter“ Sequenzen) in einer größeren Anzahl von Individuen haben zu der Erkenntnis geführt, dass Gene und das menschliche Genom sehr viel variabler sein können als ursprünglich angenommen. Im Durchschnitt finden sich ca. 3-6 SNPs in kodierenden Regionen (1 SNP ca. alle 200300 bp), und eine größere Dichte von SNPs in den regulatorischen (1 SNP ca. alle 100200 bp) und intronischen Sequenzen[7, 4, 5]. Die allelische Komplexität von Kandidatengenen kann groß sein. Dadurch wird die Analyse von Genotyp-Phänotyp-Beziehungen, besonders in der Situation komplexer Erkrankungen und pharmakogenetischer Merkmalsbereiche, oft schwierig. Das Spektrum polymorpher, pathogenetischer Profile kann von Einzelvarianten über Mutationen als Bestandteile gleicher oder unterschiedlicher Haplotypen bis hin zu Kombinationen von Varianten („Mustern“) reichen, und so die funktionelle Variation bedingen, die der phänotypischen Variation zugrunde liegt. Dabei ist es wichtig, alle Genvariabilität, die funktionelle Variabilität bedingen kann, zuzulassen, da das im Zuge der Aufklärung Mendel’scher Erkrankungen historisch gewachsene Konzept von der Einzelmutation, die einen schwerwiegenden Proteindefekt erzeugt, kaum mit der Beobachtung der eher graduellen Funktionsveränderungen bei komplexen Erkrankungen bzw. Merkmalen vereinbar ist, und sich für die Identifizierung von genetischen Risikofaktoren als trügerisch erweisen könnte. Die beschriebene Variabilität eines Genes kann also zu einer großen Anzahl von individuell unterschiedlichen Haplotypen führen, besonders dann, wenn die Anzahl der heterozygoten Positionen in einem Gen relativ groß ist. So wurde z.B. von uns das Gen des µ-Opiatrezeptors, Zielmolekül von Morphin (Suchtsubstanz und Schmerzmittel der klassischen Medizin) einschließlich seiner regulierenden, exonischen und wichtigen intronischen Regionen (ca. 6.7 kb insgesamt) in 250 Suchtpatienten und Kontrollen vergleichend sequenziert, und 43 unterschiedliche Varianten identifiziert (Abb. 2). In die weiteren Analysen wurden diejenigen 25 Varianten, die mit einer Allelfrequenz von ≥ 1%, also mehr als ein einziges Mal, vorkamen, miteinbezogen. Auf dieser Basis ließen sich bei der Untergruppe von 172 Afro-Amerikanern insgesamt 81 unterschiedliche Genotypen beschreiben (als die Summe aller „Genotypen“ an allen 25 BIOspektrum · Sonderausgabe · 8. Jahrgang Highlight 482 No. Hap lotype s Case s Con trol s No. Hap lotype s Case s Con trol s 1 1111111111111111111111111 34 13 27 1111112111211111111111111 1 0 2 1111111111111111111111211 108 25 28 1111112111211121111111111 0 1 3 1111111111111111111211111 1 0 29 1112111111111111121111111 4 1 4 1111111111111111112111111 1 1 30 1112111111111121121121111 0 1 5 1111111111111111121111111 11 4 31 1112111111111121121121112 0 1 6 1111111111111111121111121 1 0 32 1121111211111121111121111 1 0 7 1111111111111111121211111 1 0 33 1121211111112111111111111 1 0 8 1111111111111111211111111 0 1 34 1121211111112111121111111 1 0 9 1111111111111112111111211 8 3 35 1211111111111111111111211 0 1 10 1111111111111121111111111 10 4 36 1211111111111111111211111 1 0 11 1111111111111121111111121 1 0 37 1211111111111112111111211 2 0 12 1111111111111121111121112 3 1 38 1211111111211111111111111 0 1 13 1111111111111121121111111 6 2 39 1211111111211121111121112 1 0 14 1111111111121111111111211 1 0 40 1211111121211121111111111 1 0 15 1111111111121111121111111 1 0 41 1211111211111111111111211 1 0 16 1111111111121112111111211 1 0 42 2121211111112121111111111 3 0 17 1111111111121121111121112 1 0 43 2121211111112121111111211 1 0 18 1111111111211111111111111 20 5 44 2121211111112121111112111 1 0 19 1111111111211111211111111 1 0 45 2121211111112121111211111 1 1 20 1111111111211211111111111 4 0 46 2121211111122121111112111 1 0 21 1111111111211211111111211 1 0 47 2121211112112121111211111 2 0 22 1111111111211211121111111 0 1 48 2121212111112121111111111 1 0 23 1111111121111121111111111 5 0 49 2121221111112121111111111 1 0 24 1111111211111111111111211 12 1 50 2121221111112121111112111 10 0 25 1111111211111121111111111 2 2 51 2121221111112121111121111 1 0 26 1111112111111111111111211 2 0 52 2121221111112121111121112 2 0 Analyse von Haplotyp/Genotyp-PhänotypBeziehungen und Identifizierung von genetischen Risikoprofilen +1053 +1239 A G C T C G G A T A C A T G G C T C T A C G C C G G A sORF 5’ -1475 +252 A -1343 A G -1429 -367 Um trotz dieser Multiplizität von Haplotypen statistisch signifikante Aussagen ma- -468 +491 Thr → Ile +523 Assoziationsanalysen mit Kandidatengenen; gängige methodische Ansätze versagen angesichts der natürlich gegebenen Variabilität innerhalb eines – selbst kleinen – chromosomalen DNA-Segmentes, bzw. sind weder statistisch noch biologisch zulässig. Folgende wesentliche Fragen erheben sich: Wie kann man Genotyp-Phänotyp-Beziehungen gegen einen Hintergrund gegebener hoher natürlicher Variabilität untersuchen? Wie kann man – in Bezug auf den Phänotyp – wichtige von unwichtigen Varianten filtern, unter der Vorannahme, dass die funktionell signifikanten Varianten nur eine Untergruppe der natürlich gegebenen Variabilität darstellen? -654 -47 Arg → Cys -20 +46 Arg → Gly +79 Gln → Glu kamen, die restlichen Haplotypen waren seltener. In einer Analyse des β2-adrenergen Rezeptorgens, dessen Genprodukt ebenso Zielmolekül für wichtige Pharmaka ist und eine potenzielle Rolle bei der Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen, insbesondere Hypertonie spielen kann, wurden insgesamt 15 unterschiedliche SNPs in ca. 3100 bp regulierenden und exonischen Sequenzen gefunden (Abb. 4); dabei lagen die beobachteten Allelfrequenzen für die meisten SNPs über 30%. Drei Mutationen, Arg → Cys, Arg → Gly und Gln → Glu, erwiesen sich – als Einzelmutationen analysiert – in in vitro Studien als funktionell signifikant. Als Ergebnis der vergleichenden Sequenzanalyse von 237 Individuen wurden z. B. insgesamt 121 unterschiedliche Haplotypen ermittelt. Die Vielfalt der gegebenen Haplotypen stellt nun ganz neue Herausforderungen an -1023 Positionen). Da die Bestimmung der genetischen Haplotypen durch molekulargenetische Methoden derzeit zu aufwendig ist, wurde ein Programm zur statistischen Vorhersage des einem Genotypen mit der größten Wahrscheinlichkeit zugrundeliegenden Haplotypen-Paares entwickelt („MULTIHAP“). Dadurch konnten die insgesamt 172 Haplotypen-Paare, die 81 unterschiedliche Genotypen konstitutierten, durch 52 unterschiedliche Haplotypen erklärt werden (Abb. 3; siehe auch[5]). Diese Anzahl von Haplotypen (bei mäßiger Heterozygotie des Gens) sprengt bereits den Rahmen des gegenwärtig „Machbaren“ auf dem Gebiet der Assoziationsanalyse, liegt jedoch bei einer Anzahl von n=25 SNPs deutlich unter der Anzahl der theoretisch möglichen, n=225 Haplotypen. Insgesamt waren fünf häufige Haplotypen-Formen zu ermitteln (Häufigkeiten zwischen 38 und 5%), die in ungefähr 70% der Individuen vor- Abb. 3: Haplotypen des µ-Opiatrezeptorgens von Patienten und Kontrollen[5]. 1 bedeutet: identisch mit der Referenzsequenz; 2 bedeutet: unterschiedlich von der Referenzsequenz; die durch Positionen 1-25 spezifizierten polymorphen Positionen sind in Abb. 2 markiert. Die mit rot bzw. orange unterlegten Haplotypen waren, als Ergebnis einer hierarchischen Clusteranalyse, Bestandteil eines Clusters, das sich signifikant von den anderen unterschied (siehe Text und [5]). Diesen Haplotypen gemeinsam war eine Kombination von fünf Varianten an den Positionen 1, 3, 5, 13, 15, bzw. in zwei zusätzlichen Fällen eine Kombination von drei dieser Varianten. Ausführliche Diskussion siehe [5]. 3’ +1 100bp Abb. 4: Polymorphes Spektrum des β 2-adrenergen Rezeptorgens. Die drei Mutationen Arg → Cys, Arg → Gly und Gln → Glu erwiesen sich in in vitro Studien als funktionell signifikant. Die 15 unterschiedlichen Varianten wurden im Zuge der vergleichenden Sequenzierung von insgesamt 370 Individuen aus 3 unabhängigen Studien gefunden. BIOspektrum · Sonderausgabe · 8. Jahrgang Highlight 484 Pos. -1343 1 2 3 4 5 6 7 8 9 2 2 2 1 1 1 1 2 2 -1023 -654 -47 -20 46 79 252 523 1053 1239 1 1 1 2 2 2 2 1 1 2 2 2 1 1 1 1 1 1 2 2 2 2 1 1 1 2 2 1 1 1 1 2 2 2 1 1 1 1 1 1 2 2 2 2 2 1 1 1 1 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 1 1 1 1 1 1 2 1 1 1 1 2 2 1 1 1 2 2 1 2 2 1 1 2 1 2 1 Abb. 5: Haplotypen des β2-adrenergen Rezeptorgens. Diese Varianten und Haplotypen wurden als erweiterte Analyse der sog. „Bergen Blood Pressure Study“[9] ermittelt; zur Lokalisation und Spezifizierung der in dieser genetisch relativ homogenen Population identifizierten 11 Varianten siehe Abb. 4. Die Haplotypen in den Zeilen 1-3 waren signifikant häufiger bei Individuen mit Prädisposition für essentielle Hypertonie. Diese Daten zeigen, dass weder die Analyse eines einzelnen SNPs, Arg → Gly (wie in den meisten Assoziationsstudien), noch die simultane Analyse von 3 Mutationen, Arg → Cys, Arg → Gly und Gln → Glu (wie in wenigen Studien) ausreichen, um die für die weiteren funktionellen Analysen relevanten Varianten zu identifizieren. Die ersten 7 Varianten sind für den statistischen Unterschied entscheidend; die letzten 4 Varianten sind stille Mutationen, was die „Sinnhaftigkeit“ der Analyse bestätigt. Die Haplotypen-Muster zeigen auch, dass ein- und derselbe SNP Bestandteil unterschiedlicher Haplotypen sein kann. Schließlich wird klar, dass funktionelle Analysen einzelner Mutationen nicht notwendigerweise einen Schluss auf die Gesamtfunktion des tatsächlich gegebenen polymorphen Profils zulassen. chen zu können, bietet es sich an, zu versuchen, sie auf Grund von Struktur-Funktionsbeziehungen in funktionell ähnliche (idealerweise gleiche) Gruppen zu ordnen. Da a priori die Anzahl funktionell unterschiedlicher Klassen (falls solche überhaupt existieren) nicht bekannt ist, erscheint ein schrittweiser Klassifikationsprozess sinnvoll. Dieser geht von den einzelnen Haplotypen aus und fasst schrittweise die jeweils ähnlichsten Cluster zusammen, bis im letzten Schritt ein einziges Cluster übrigbleibt. Sofern mindest eine dieser Klassen signifikant häufigere Haplotypen von Patienten oder Kontrollen enthält, ist die Existenz funktionell unterschiedlicher Klassen wahrscheinlich. In diesem Fall werden die Haplotypen in den Klassen auf bestimmte „Konsensus-Muster“ hin analysiert. Können bestimmte Muster von Varianten häufiger in Individuen mit der Erkrankung beobachtet werden, so können diese als Risikoprofile betrachtet werden. Auf der Basis eines derartigen Klassifikationsprozesses von Haplotypen mittels einer hierarchischen Clusteranalyse konnte eine Gruppe von Haplotypen ermittelt werden, denen eine charakteristische Kombination von fünf Varianten gemeinsam war (Abb. 3). Diese ursprünglich statistisch ermittelten Haplotypen entsprachen den genetischen Haplotypen, wie mittels molekulargenetischer Methoden bestätigt wurde[5]. Diese Kombination von Varianten stellt ein potenzielles Risikomuster für Suchterkrankungen dar und bildet den Ausgangspunkt für funktionelle Analysen dieser Varianten einzeln und in Kombination, um diese biologische Hypothese zu testen. Mit einem entsprechenden Vorgehen wurde eine Kombination von sieben Varianten aus insgesamt 11 extrahiert, die mit ei- ner Disposition für essentielle Hypertonie assoziiert war (Abb. 5) (erweiterte Analysen zur „Bergen Blood Pressure Study“[9]). Zusammenfassend zeigen diese Untersuchungen zunächst die „molekulare Wahrheit“, die potenziell große Variabilität der Gene und Vielfalt individueller Genformen. Weitere Untersuchungen in einer Reihe von Rezeptorgenen, vornehmlich aus der Genfamilie der G Protein-gekoppelten Rezeptoren, haben inzwischen Extreme aufgezeigt, die von 10 bis 59 Varianten pro Gen (Beispiel[8]) bis hin zu bemerkenswerter „Nicht-Variabilität“, d.h. keinerlei Mutation im kodierenden Bereich (Beispiel[6]), reichen. Ebenso bestehen keine Zusammenhänge zwischen der Anzahl der Varianten und Anzahl der Haplotypen. Eine zukünftige Pharmakogenomik muss die Kenntnis der Variabilität der Gene und ihrer funktionellen Implikationen der Entwicklung und Anwendung von Therapeutika voraussetzen. Die Studien zeigen ebenso die Bedeutung der vergleichenden Sequenzierung aller funktionell wichtigen Regionen eines Gens als Voraussetzung für Aussagen über Struktur-Funktionsbeziehungen und in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Haplotypen für eine funktionelle Interpretation der gefundenen Sequenzvariation. Sie illustrieren schließlich die Entwicklung und Anwendung technologischer und biomathematischer Ansätze zur Durchführung von Assoziationsstudien, Analyse von komplexen Haplotyp/Genotyp-Phänotyp-Beziehungen und Identifizierung von genetischen Risikoprofilen gegen einen Hintergrund hoher natürlicher genomischer Variabilität. Literatur [1] Davidson S. (2000): Research suggests importance of haplotypes over SNPs. Nat Biotechnol 18: 1134-5. 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Mitarbeiter im Bereich Genomforschung am MDC in Berlin, von 1999 bis 2002 Bereichsleiter Automatisierung bei der GenProfile AG, seit 2002 wiss. Mitarbeiter im Bereich genetische Variabilität am MPI für Molekulare Genetik in Berlin. Prof. F. Cramer, MPI für Experimentelle Medizin, Göttingen, Postdoc an der Harvard University, Boston, USA, Gruppenleiter EMBL Heidelberg, Abteilungsleiter am Imperial Cancer Research Fund in London, seit 1994 Direktor am MPI für Molekulare Genetik in Berlin. Korrespondenzadresse: Dr. Margret Hoehe Max Planck Institut für Molekulare Genetik Ihnestr. 73 D-14195 Berlin Tel.: 030-8413 1353 Fax: 030-8413 1365 [email protected] BIOspektrum · Sonderausgabe · 8. Jahrgang