Grundbildung in Wirtschaft und Arbeit – mehrperspektivisch GiWA-Online Nummer 4 Februar 2010 ISBN: 978-3-9812885-3-7 Grundbildung und Beratung – Berater/innenperspektiven Rosemarie Klein (Hrsg.) Verlag: Institut für angewandte Kulturforschung e.V. Göttingen www.ifak-goettingen.de Der weite Weg: Erste Schritte als muttersprachliche Lernbegleiter Aus der Erfahrung über Theorie in eine neue Praxis Bernadette Lenke Tusch mit Texten von Malika Bouzid, Saman Shuani, Badel Safi und Leonija Wegener Muttersprachliche Lernbegleitung für Grundbildung und Alphabetisierungsprozesse bei Menschen, denen der Lernprozess besonders schwer fällt, die wenig oder schlechte Erfahrung mit dem Aneignen von Schrift, aber auch besonders von berufsbezogenem theoretischen Wissen in einer mehr oder weniger Fremden Sprache haben, ist Neuland. Die muttersprachlichen Lernbegleiter bewegen sich in einem Bereich besonderer Beratungspraxis, die in den Feldern von Sprach- und Kulturmittlung ebenso wie in der Vermittlung von Wissen, Lerntechniken und Strukturen, aber auch des Coaching und der interkulturellen Persönlichkeitsentwicklung angesiedelt sind. Als Lernbegleiter ausgebildete Kulturdolmetscher… … bieten muttersprachliche Unterstützung zum Erwerb von Grundbildung, zur Alphabetisierung und zum arbeitsplatzbezogenen Lernen Erwachsener an. Die Schulung fand zwischen November 2008 und Mai 2009 statt und umfasste 65 Unterrichtsstunden. In unterschiedlichen Lernsettings wird derzeit ihr Einsatz im Rahmen des Projekts Alphabet x 2 erprobt. Es gibt sowohl Einzel-, als auch Kleingruppenarbeit die als Ergänzung zu bestehenden Alphabetisierungs- oder anderen Kursen angeboten werden. Die einzelnen Module können den individuellen Bedürfnissen angepasst werden, so wird z.B. die Silbenmethode eingesetzt, Orientierung und entziffern von Schriftzeichen im Alltag erprobt oder auch berufsbezogene Lernberatung durchgeführt. Wichtig ist, dass kein Lernen ohne Verstehen erfolgt. Die Kompetenzen, die die Lernbegleiter brauchen, gehen weit über das hinaus was Schulungsinhalte vermitteln. Diese zu entwickeln war möglich, da die Personen selber ihre (Migrations)biographie reflektiert, als Kulturdolmetscher einschlägige Erfahrung gesammelt und in der Lernbegleiterschulung um spezifisches Wissen zu Alphabetisierung und Grundbildung und theoretische Grundlagen der Lernberatung ergänzt haben. Ein Teil dieser Qualifizierung ist die Portfolioarbeit, mit der die Lernentwicklung der Lernbegleiter selber greifbar werden, und unter anderem durch eine Reflexionsarbeit dokumentiert werden sollte. Diese Arbeit kann auch als Klammer verstanden werden, mit der die theoretisch erfahrenen Wissensgegenstände mit einer Praxis verbunden werden, die nicht einfach zu beschreiben ist. Es gibt in diesen Praxisfeldern Einzel- und Gruppenkonstellationen, Lern- und Beratungselemente, Lernbedarfe, die die Grundlagen für den Schrifterwerb in einer fremden Sprache legen sollen, die OR. Klein (Hrsg.): Grundbildung und Beratung. GiWA-Online Nr. 4; 2/2010; Verlag ifak Göttingen ISBN 978-3-9812885-3-7 1 rientierung in einem neuen Land bieten. Darüber hinaus findet durchaus berufsbezogenes Lernen statt, das ohne die Erklärungen in der Muttersprache fehlschlüge oder die (tatsächlich auch Bildungsinländer! betreffende) Bearbeitung von sprachlich unverstandenem Fachwissen – eine weitere Quelle für das Scheitern an der Schwelle zur Ausbildungsfähigkeit. Es sind Personen, die Aufgrund von Lernschwierigkeiten mit den Regelangeboten alleine nicht zurechtkämen, die zum Teil stark traumatisiert wurden, oder nur immer neu mit dem Scheitern ihrer Lernbemühungen konfrontiert wurden. Die Bewährungsprobe stellt sich für sie in der Praxis und in der Fähigkeit, sich auf die jeweiligen Rahmenbedingungen und Kontexte sowie die speziellen Bedarfe der einzelnen Lernenden einstellen zu können. Es gilt, immer neu und jeweils passend für die Person zugeschnittene Lernsettings, Lernmethoden und Hilfen bereitzustellen, die mit den Anforderungen der Institutionen (in unseren Kontexten sind dies Träger von Integrations- und Alphabetisierungskursen, Gemeinnützige Arbeitsgelegenheiten mit Qualifizierungsanteil und Berufseinstiegsmaßnahmen in der BBS) sowie den Lebensbedingungen und Lernzielen der Teilnehmenden in Einklang zu bringen sind. Es ist zusätzlich. Dies ist eine Chance – aber eben durchaus eine freiwillige und zuweilen zusätzlich belastende Aufgabe, die ständiger Modifizierung, immer neuer Motivierung und Kraftanstrengung bedarf. Auch einige der Lehrenden, Dozentinnen für den Alphabetisierungsbereich, Berufsschullehrer, Ausbilder haben sich auf den Weg gemacht, und lassen sich auf das Experiment ein – das zumindest potentiell auch bedrohlich sein kann. Lernen ist Arbeit. Arbeit für alle – die Lerner selber, die Begleiter und durchaus auch für die Lernberater, die konzeptionell, dokumentierend, analysierend und logistisch hinter diesen stehen. Die folgenden kurzen Aufsätze stellen einen Ausschnitt aus der Portfolioarbeit einiger Lernbegleiter dar, die sich bereiterklärt haben, diese zu veröffentlichen. Lernbegleitung mit Flüchtlingen Malika Bouzid Seit 2009 nimmt das Grenzdurchgangslager Friedland auch irakische Flüchtlingen aus Syrien und Jordanien auf. Dort werden auch Integrationskurse und Alphabetisierungskurse für sie angeboten. Zusätzlich bietet das Ifak eine muttersprachliche Lernbegleitung für Personen, die mit dem Lernen Schwierigkeiten haben und ich führe das durch. Am Anfang habe zwei Frauen begleitet, zur Zeit habe ich drei Leute (Eine Frau und zwei Männer), die ich an zwei Tagen in der Woche berate. Einen Tag lernen wir in Friedland mit der Silbenmethode und besprechen alles was in der Woche schwierig war und am zweiten Tag findet die Lernbegleitung in Göttingen statt. Schwerpunkte in Friedland sind ihre konkrete Situation dort, das Leben im Lager, der Unterricht, ihre Erfahrungen im Herkunftsland, ihre Traumasituationen und ihre weitere Planung. Für den Lernprozess benutze ich verschiedene Materialien, nach Bedarf der LernerInnen haben wir das passende Niveau gemeinsam ausgewählt. Auf arabisch habe ich die Aufgaben erklärt und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Sprachen verglichen. Im Beratungsprozess ist das Lernen im Vordergrund. Das geht nie ohne Biographieorientierung, denn sie haben ein großes Bedürfnis aus ihrem Leben zu erzählen. Die LernerInnen sind traumatisierte Personen und ich muss dies immer beachten. Dabei helfen mir die Grundlagen, die in der Lernberatungsschulung gelegt wurden. Es fällt mir leicht mit der Muttersprache ihr Vertrauen zu gewinnen, denn ich stelle keine bohrenden Fragen und bin immer vorsichtig. Ich höre gut zu aber versuche auch das Gespräch auf das Lernen zu fokussieren. Dadurch schaffe ich eine klare und sichere Situation mit einem ruhigen Ort und einer festen Zeit, lasse sie nie in ihrer belastenden Vergangenheit zurück, sondern hole sie immer in das R. Klein (Hrsg.): Grundbildung und Beratung. GiWA-Online Nr. 4; 2/2010; Verlag ifak Göttingen ISBN 978-3-9812885-3-7 2 Hier und Jetzt. Wichtig ist dabei auch, über die Ressourcen, die sie selber mitbringen, zu sprechen. Diese Ressourcen sind eine Orientierung für die Zukunft, denn ihnen werden durch das Gespräch ihre eigenen Stärken bewusst. Der zweite Tag ist wie eine praktische Orientierung für die LernerInnen, sie haben verschiedene Institutionen und Orte in Göttingen kennen gelernt. Bis jetzt haben wir die Stadtbibliothek, das Rathaus, den Stadtteil Grone und die Innenstadt besucht. Obwohl sie nicht in Göttingen bleiben werden, ist es für sie interessant die deutsche Kultur und Struktur kennen zu lernen. Als praktische Übung haben sie die Aufschriften und Schilder in den Institutionen und auf der Straße gelesen. Wir haben gemeinsam Personen angesprochen und so die Hürde überwunden mit Deutschen in Kontakt zu treten. Vielleicht kann ich so durch meine Begleitung die ersten Schritte im Integrationsprozess erleichtern. Wichtige Aspekte bei der Alphabetisierung (Unterricht) Saman Shuani Ich bin zur Zeit sowohl als Dozent in den Alphabetisierungskursen des BAMF im Grenzdurchgangslager Friedland als auch als Lernbegleiter tätig. Daher kann ich aus diesen unterschiedlichen Perspektiven meine Arbeit reflektieren. 1. Lernvoraussetzung Fremdsprachen werden unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen erlernt. Dies gilt auch für die Alphabetisierungskurse. Die Teilnehmer, die in keiner Sprache alphabetisiert sind, wären ohne niedrigschwellige und muttersprachliche Angebote völlig von den Möglichkeiten des Einstiegs in das Lesen- und Schreibenlernen abgeschnitten. Andere Zielgruppen, die bereits in einer Sprache (Muttersprache) alphabetisiert sind, können sich in kurzer Zeit das lateinische Alphabet erschließen und schnell in einen regulären Deutschkurs integriert werden. Bei vielen TeilnehmerInnen kommt erschwerend das Problem der unterschiedlichen Schriftsysteme hinzu. So konnten sie sich keine Strategie im Deutschen zum Schrifterwerb aneignen. Durch die Heterogenität der Zielgruppe (unterschiedliche Muttersprachen) ist es in der Regel nicht möglich, muttersprachlich zu alphabetisieren, allerdings haben wir in Friedland eine besondere Ausnahmesituation. Hier kann ich mit der Muttersprache vieles erläutern, was meine rein deutschsprachigen Kolleginnen nicht leisten können. So muss in heterogenen Gruppen zunächst in einem rein mündlichen Deutschkurs ein gemeinsamer Wortschatz aufgebaut werden in unserer Praxis in Friedland kann Schrifterwerb und Spracherwerb verzahnter von statten gehen. Die Differenzierung, Progression und Methodik von Alphabetisierungskursen müssen daher in spezifischer Weise auf die verschiedenen Zielgruppen zugeschnitten werden. Diese Problemlage kenne ich durch die Rolle als Lernbegleiter sehr gut. „Mein Lerner“ passte bislang mit seinen Problemen nicht gut in die ihm angebotenen Sprach- und Qualifizierungskurse, und hatte starke Schwierigkeiten, mit Tempo und Anforderungen mitzuhalten. Ziele der Alphabetisierungskurse: Deutschkenntnisse auf dem Niveau der elementaren Sprachverwendung A1 zu erwerben. Förderung des Lesens und Schreibens und die Verbesserung der allgemeinen und sprachlichen Kompetenzen. An diesen Zielen scheitern manche Teilnehmenden und das ist auch für die Dozenten nicht einfach. Durch das Projekt habe ich die Möglichkeit, einigen Lernenden in Friedland zusätzlich muttersprachliche Lernbegleitung durch eine Kollegin zu ermöglichen. Im R. Klein (Hrsg.): Grundbildung und Beratung. GiWA-Online Nr. 4; 2/2010; Verlag ifak Göttingen ISBN 978-3-9812885-3-7 3 Kurs ist dies trotz kleiner Teilnehmerzahlen und Binnendifferenzierung nicht so leicht möglich. Wenn die Progression im Kurs vorangeht, einige aber überhaupt nicht mitkommen, ist dies in der Gruppe nur schwer aufzufangen. Wie sich dies auf langsamere Lerner auswirkt, kann ich bei „meinem Lerner“ gut sehen. Er kann sich nicht auf seinen eigenen Aufgaben, die ersten Schritte beim Lesen zu bewältigen konzentrieren und macht nur sehr kleine Fortschritte. Dies lähmt seine Motivation, die wir dann gemeinsam durch ein ihm angepasstes Lerntempo wiedergewinnen. Das ist mühsam. 2. Muttersprache: Was bedeutet kontrastive Alphabetisierung? Die kontrastive Alphabetisierung gilt als Alternativkonzept zur zweisprachigen Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch. Die kontrastive Linguistik beschäftigt sich mit dem systemhaften synchronen Vergleich von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zweier oder mehrerer Sprachsysteme auf phonologisch-phonetischer, morphologischer und syntaktisch-semantischer Ebene. Wichtige Arbeitsbereiche sind: kontrastive Phonetik, kontrastive Syntax, kontrastive Semantik sowie kontrastive Pragmatik. Bei multinationalen Gruppen (Kursteilnehmer) lässt sich die kontrastive Alphabetisierung in der Plenumsarbeit nur schlecht verwirklichen, womit sich diese insbesondere für eine teilnehmerorientierte Alphabetisierungsarbeit im Sinne eines Individualprogramms eignet. Einige Beispiele dafür: - ein erster Schritt bei der Entwicklung von Mehrsprachigkeit, (dazu gehört die Beherrschung der Schriftsprache in beiden Sprachen) und die damit verbundene Möglichkeit auch außerhalb des Unterrichts z.B. arabische Werbung zu lesen, - eine Aufwertung der Teilnehmersprachen und damit verbunden der Kenntnisse und Fähigkeiten der Teilnehmenden, - ein besserer Zugang zum deutschen Wortschatz über Übersetzungen und die Möglichkeit zur Ausbildung von entscheidenden Lernstrategien (z.B. der Umgang mit einem zweisprachigen Wörterbuch), welche die teilnehmenden in die Lage versetzen, nicht nur im Unterricht, sondern auch außerhalb selbstständig, weiteres Wissen zu erwerben, - eine starke Motivation der Teilnehmenden. Also es ist möglich, dass die Individualität jedes Einzelnen zwangsläufig zu einer Differenzierung innerhalb der Lerngruppe und zu der Notwendigkeit individueller Lösung führt. In meiner Praxis in Friedland sehe ich, wie groß dabei auch die Unterschiede in der Sprachbeherrschung sind, manche sprechen eher den Dialekt, einige haben ihre Ausbildung in Hocharabisch absolviert. Wenn wie bei „meinem Lerner“ keine Schulausbildung vorliegt, ist es noch schwieriger, den Prozess der Schriftsprachaneignung passend zu gestalten. Hier motiviert die Muttersprache dadurch, dass ich Lernberatungsgespräche und den Sprachvergleich nutzen kann. 3. Alltagsbezug zum Lernen Arbeitsblatt zu Teilnehmerorientierung (Beispiel: Alphabetisierungskurs in GDL Friedland, Zielgruppe: Irakische Flüchtlinge). Als Teilnehmerorientierung muss ich die Kursteilnehmer, ihre persönliche Entwicklung, die Bedürfnisse, Interesse und Erfahrungen der Lernenden im Zusammenhang des bestehenden Lebenszusammenhangs berücksichtigen. In diesem Sinn zielen Bildungsanstrebungen auf die Entwicklung und Selbstverwirklichung des Einzelnen ab. Dabei werden Aktivität und Bereitschaft von Seiten der TeilnehmerInnen vorausgesetzt, und schließt die aktive Beteiligung mit ein. Der Trainer oder Kursleiter berät und unterstützt die TeilnehmerInnen und ermöglicht differenziertes und individualisiertes Lernen. Wenn sich eine gemeinsame Zielgruppe herausgebildet (wie IrakerKurs in Friedland) und diese Zielgruppe ähnliche Grundbildungsbedarfe aufweist, zeigt sich, dass die Individualität jedes Einzelnen zwangsläufig zu einer Differenzierung innerhalb der Lerngruppe und zu R. Klein (Hrsg.): Grundbildung und Beratung. GiWA-Online Nr. 4; 2/2010; Verlag ifak Göttingen ISBN 978-3-9812885-3-7 4 der Notwendigkeit individueller Lösungen führt. Die Teilnehmer bringen auf der unterschiedenen Grundbildung unterschiedliche Voraussetzungen mit. Der Lageralltag ist indessen eine ganz eigene Welt, die wie ein Schonraum auf den echten Alltag in Deutschland vorbereitet aber doch sehr davon verschieden ist. Auf der anderen Seite ist meine Erfahrung mit dem individuellen Lerner die, dass er recht gut mündlich Deutsch beherrscht, und seinen Alltag und seine Arbeit auch ohne Schriftkenntnisse bewältigen kann. Hier trage ich dazu bei, dass für ihn die Welt der Buchstaben nicht länger verschlossen bleibt – denn die Motivation dazu bringt er immer wieder auf. Kontrastive Alphabetisierung in Bezug auf die Muttersprache Badel Safi Was bedeutet Kontrastive Alphabetisierung? Kontrastive Alphabetisierung ist ein modernes Unterrichtskonzept, um eine neue Sprache zu lernen. Dabei wird die neue zu lernende Sprache im Bezug zur Muttersprache gesetzt. Der Schwerpunkt der Unterrichtsmethode ist die Schriftsprache als Schlüssel zum Lesen und der gesprochenen Sprache. Beide Sprachen werden analysiert, z. B. Laut-Buchstaben-Beziehung. Dabei werden typische Merkmale beider Sprachen erarbeitet und typische bzw. potentielle Fehler heraus gearbeitet und so leichter erlernt und vermieden. Charakteristisch an diesem Konzept ist, dass Lehrer und Kursteilnehmer von einander lernen. Die Kontrastive Alphabetisierung ist eine Tür der Integration des Teilnehmers in eine Gesellschaft. Gib konkrete Beispiel zur Fehleranalyse aus deiner Muttersprache und Beispiel für eine gezielte Förderung! Eine kontrastive Alphabetisierung wäre vom Persischen zum Deutschen und Umgekehrt möglich. Die Persische Sprache lässt sich in lateinischen Buchstaben darstellen (z.B. Khana = Haus). Auf dieser Basis lassen sich die Merkmale der Sprache analysieren und vermitteln. Folgende Fehler kommen häufig vor, wenn Persisch sprechende Menschen Deutsch lernen, sprechen oder schreiben: • Laute wie „r“ am Ende eines Wortes (z.B. sauber), „ch“ in einem Wort (z.B. ich) oder Umlaute wie „ü“ und „ö“ sind schwer auszusprechen. • Großschreibung von Substantiven ist eine Herausforderung, da es im Persischen keine Großschreibung gibt. • Die Satzstruktur ist im Persischen anders (z.B. ist die Reihenfolge des Satzes „Morgen komme ich“ im Persischen „Morgen ich komme“). • Das Subjekt wird im Persischen nicht in jedem Satz wiederholt (z.B. muss das Wort „ich“ nicht in jedem Satz wiederholt werden). • Im Persischen gibt es andere Sprachbilder. • Im Persischen hat ein Wort mehrere Bedeutungen, im Deutschen hat jede Bedeutung nur ein Wort. R. Klein (Hrsg.): Grundbildung und Beratung. GiWA-Online Nr. 4; 2/2010; Verlag ifak Göttingen ISBN 978-3-9812885-3-7 5 Wer sich den Eigenheiten der eigenen Muttersprache bewusst ist, ist leichter für die typischen Fehler in einer neu zu lernenden Sprache zu sensibilisieren. Wenn du an deine eigene Erfahrung und die Beobachtung bei anderen denkst, wie siehst du selber den Stellenwert von Muttersprache über die im Unterricht thematisierten Aspekte hinaus? Die Pflege der eigenen Muttersprache ist wichtig. Denn nur, wer die eigene Sprache kennt und analysiert hat, kann auch eine neue Sprache analysieren. Im täglichen Umgang unterhalte ich mich automatisch mit persisch sprechenden Personen auf Persisch. Das erzeugt eine Verbundenheit und Vertrauen zwischen Personen in einer fremden Umgebung. Kommt eine deutsche Person zu dem Gespräch, die kein Persisch spricht, wechsele ich sofort in die deutsche Sprache, um die Person in das Gespräch zu integrieren. Meine Erfahrungen im Deutschunterricht sind, dass die deutsche Sprache ausschließlich an Themen aus der deutschen Kultur vermittelt wurde. Dadurch war ich sehr weit weg von meiner eigenen Kultur, die abrupt verlassen musste. Wenn meine Muttersprache Persisch ein Teil des Unterrichtes gewesen wäre, hätte dieses mir mehr Geborgenheit gegeben, mich motiviert und mir in der noch fremden Umgebung Selbstbewusstsein geschenkt. Aus diesen Gründen fände ich das Konzept der Kontrastiven Alphabetisierung besonders unter dem Gesichtspunkt der Integration sehr positiv und förderlich. Da beide Sprachen gleichberechtigt gesehen und behandelt werden, fühlen sich die Teilnehmer gleichberechtigt. Kritisch zu sehen ist, dass die Teilnehmer meistens aus einem Sprachraum kommen und dadurch in die Versuchung geraten sich, sich in der Muttersprache zu unterhalten. Dadurch bekommen sie wenig Praxis in der neu zu lernenden Sprache. Ein Vorteil des Unterrichtskonzepts ist es, neben der neuen Sprache auch die eigene Muttersprache noch besser kennen zu lernen. Ich habe theoretisch gelernt, dass die kontrastive Alphabetisierung ein neuer Schlüssel für eine Tür ist. Indem man sich in eine neue Gesellschaft integriert entwickelt sich für zwei Kulturen eine neue Alternative. Damit kann man eine neue Möglichkeiten entdecken, dass beide Kulturen sozusagen miteinander einverstanden sind sowohl sprachlich, als auch kulturell. Denn beide Kulturen können sich näher kommen nur durch Sprache und neue Methoden von beiden Sprachen indem Menschen diese verinnerlichen. So werden sie selbst Beispiele – vielleicht kann ich das für mich weiterentwickeln. Ich habe selbst bis jetzt nur die Theorie kennen gelernt und als Lernbegleiter noch keine Chance gehabt, mein theoretisches Wissen in der Praxis einzusetzen. Allerdings kann ich zu Hause mit meiner Mutter und meiner Frau auf dieser Basis arbeiten. Außerdem gestalte ich im Team die Materialien, die die Kollegen erstellen und versuche auch dabei meine Erfahrungen einzubringen. Motivation und Lernbegleitung Leonija Wegener „Wer selbst legt Begeisterung an den Tag, auch seine Schüler zu begeistern vermag.“ (Josef Klöckener) I Begriff Motivation (intrinsisch und extrinsisch) „Motivation (von lat. motus, ‚Bewegung’) bezeichnet in den Humanwissenschaften sowie in der Ethologie einen Zustand des Organismus, der die Richtung und die Energetisierung des aktuellen VerR. Klein (Hrsg.): Grundbildung und Beratung. GiWA-Online Nr. 4; 2/2010; Verlag ifak Göttingen ISBN 978-3-9812885-3-7 6 haltens beeinflusst. Mit der Richtung des Verhaltens ist insbesondere die Ausrichtung auf Ziele gemeint. Energetisierung bezeichnet psychische Kräfte, die das Verhalten antreiben. Ein Synonym von Motivation ist ‚Verhaltensbereitschaft’.“ (Wikipedia) Die Motivationspsychologie sieht zwei Arten der Motivation: 1. intrinsische – Eine Person setzt sich mit einer Tätigkeit inhaltlich auf Grund eines inhärenten Motivs auseinander. Dafür sind die Voraussetzungen kognitiver und emotioneller Natur. Das heißt, einfacher ausgedrückt, man müsste neugierig sein und einen inneren Anreiz haben und zusätzlich eine Erfolgserwartung bzw. eine positive Einstellung zum Erfolg, die auf Grund der kleineren, früher erworbenen Erfolge positiv aufgebaut wurde. 2. extrinsische – Eine Person ist motiviert durch äußere Anreize: z.B. Belohnung, Anerkennung, Zwang usw. Auf Schule übertragen, wären Instrumente der extrinsische Motivation: schlechte Noten, Verweis, Ausschluss vom Unterricht, Lob des Lehrers usw. Einige Autoren klassifizieren sie in positive (Belohnung) und negative (Zwang) Mittel. Die Wirkungsdauer der extrinsischen Motivation hält nur solange an, bis die Belohnung bzw. der Zwang ausgeübt wird. Die intrinsische Motivation dagegen wirkt sehr lange und ohne äußere Einflüsse. II Voraussetzungen der Selbstmotivation (& Selbstverantwortung) Ein für jeden Fall wirkvolles Rezept, um zum selbstbestimmten Weg und Selbstverantwortung zu gelangen, gibt es nicht. Klare Voraussetzungen für die Übernahme der Selbstverantwortung, sind nur teilweise definierbar. Ein Zusammenhang aber zwischen der eigenen Entdeckung der Motivation1 und Übernahme der Selbstverantwortung ist nachvollziehbar: Die Motivation ist eines der guten Bauelemente der Selbstverantwortung, im ideellen Falle auch sein „Quellen-Synonym“. Die gesellschaftliche Situation und die Einstellungen der familiären, schulischen oder ähnlichen näheren Umgebung können sich fördernd oder hemmend auf die Haltung des Lernenden auswirken. Einige Leute schaffen aber den hohen Selbstbestimmungsgrad zu erreichen und übernehmen eigene Verantwortung trotz der mangelnden Förderungen der Umgebung. Ein gewisses „Glück“, dieses „Geschenk“ zu bekommen, muss man also haben. Als Voraussetzungen zum selbstmotivierten Lernen bzw. zur Motivation2 könnte man die Voraussetzungen für ein „gutes“ Lernen aufzählen: 1 Dabei denke ich an Motivation, die mit vom Lernenden erkanntem Sinn und seinem eigenem Erkenntnis zu tun hat, also intrinsische Motivation. Im weiteren wird das Wort Motivation für die Intrinsische Motivation benutzt. 2 Edward L. Deci und Richard M. Ryan Intrinsische und extrinsische Motivation schließen sich nicht grundsätzlich aus und können zugleich in derselben Tätigkeit wirken. Allerdings sind beide nicht einfach kumulierbar: Extrinsische Motivation, die z.B. durch künstliche Anreize eine vorhandene intrinsische Motivation teilweise oder ganz verdrängt und die Wertigkeit der Handlungsfolgen durch den sog. Korrumpierungseffekt verschiebt, stellt häufig auf lange Sicht das dominante Antriebskonzept für die Psyche des Menschen dar. Die Ursache dafür liegt in den Strukturen unserer Leistungsgesellschaft, welche vorhandene intrinsische Motivation oft durch mitunter schädliche extrinsische Anreize nicht zur Geltung kommen lässt. Ein anderes Beispiel für eine spezifische Form intrinsischer Motivation ist die Neugiermotivation, welche gerade für die Entwicklungspsychologie eine besondere Rolle spielt. Gelingt es pädagogisch die angeborene Neugier des Menschen bis in das Erwachsenenalter zu halten, ist durch die hierdurch folgende hohe Eigenmotivation des Menschen ein besonderer Erfolg im Leben wahrscheinlich. Wenn immer möglich, sollte daher versucht werden die Primärmotivation zu fördern. Dies wird zum Beispiel durch gezieltes Nachfragen der inneren Visionen ermöglicht und durch Übertragung von Kompetenzen oder Vorbildern bzw. durch das Schaffen einer geeigneten Lernumgebung (Montessori-Pädagogik) (Wikipedia) R. Klein (Hrsg.): Grundbildung und Beratung. GiWA-Online Nr. 4; 2/2010; Verlag ifak Göttingen ISBN 978-3-9812885-3-7 7 1. Lernatmosphäre a) Angenehme Umgebung (räumliche Einrichtung, Lichtverhältnisse, Geräuschkulisse) b) Positive Emotionen (positive Haltung der Lernenden gegenüber dem Lernstoff oder dem Lernen allgemein – keine zu schlechte Erfahrungen von früher) c) Liebevolle Umgebung (positive, aufbauende Haltung der Lernbegleiter, Lehrer und Eltern; der Lernende muss sich angenommen fühlen und Vertrauen zum Begleiter haben, ihn vielleicht sogar als Vorbild sehen) 2. Physiologische Voraussetzungen a) Psychische Stabilität (kein aktueller Stress und keine frühkindlichen Stress-Erfahrungen) b) körperliche Verfassung (ausreichende Menge am Schlaf, Bewegung, Gesundheit) 3. Gute Lernreize a) Alle Sinne ansprechen (Arbeitsmaterial für alle Sinne, versch. Medien usw.) b) Erfolgserlebnisse möglich (von leichtem zu schwerem Stoff) c) Wechsel von Anspannung und Entspannung (Lernphasen und Erholungsphasen wechseln sich ab – Ablauf ist idealerweise an Lernenden angepasst) 3 4. Selbstwertgefühl und Selbstständigkeit fördern a) wahres Verstehen (Lernstoff muss zu Gedanken des Lernenden werden) b) Lob und Kritik (angemessen anwenden) 5. Persönlichkeit und Begeisterung des Lehrenden selbst!!! (in Zusammenhang mit 1.c), meiner Meinung nach ein Ideal und die wichtigste und grundlegendste Komponente des Erfolgs) III Mein Fazit Um dem Lernenden zu helfen, den Weg zu Motivation einzubahnen, hilft es sich an alle oben genannten Voraussetzungen zu halten bzw. versuchen, sie, wenn möglich herzustellen. Aus der Sicht der Lernbegleiter heißt das: den Lernenden wahr zu nehmen und ihn dort abholen, wo er zu Zeit „steht“ (in Bezug auf seine körperliche, psychische und geistige Verfassung, Interessenposition, seinen Wissenstand) und ihm neue Reize anbieten um weiterzukommen. Die wichtigste von allen Voraussetzungen (wenn aber alle andere vorhanden und berücksichtig worden sind!) ist, in Bezug auf den Lernberater (bzw. Eltern, Lehrer) selbst, von der Auswahl des Beraters abhängig - Beraters eigene Begeisterung für den Lehrstoff, die authentisch ist und in keinem Falle Selbstzwecknatur hat. Bewusst die Begeisterung sich und dem Lernenden vor Augen zu „halten“, ist sehr wichtig. Sie hat die große Auswirkung an den Lernenden und hervorruft und steigert seine Motivation. Ein Lernbegleiter (sowie Lehrer oder Eltern) sollten also selbst an Lehrstoff interessiert sein, engagiert sein, die zwischenmenschliche Beziehung mit dem Lernenden positiv gestallten (Empathie, positive Wertschätzung dem Lernenden gegenüber, echt und authentisch sein). Alle Lehrmethoden sind unbrauchbar wenn die Begeisterung fehlt und (fast) alle sind gut, die auf Grund eine weiterzugebende Begeisterung und ein paar Lernbegleitungsregel angewandt werden. 3 Auf Grund der Gehirnforschung könnte man die Punkte 2. a), 3. b) und 3. c) genau so gut auch unter den physiologischen Voraussetzungen unterbringen. R. Klein (Hrsg.): Grundbildung und Beratung. GiWA-Online Nr. 4; 2/2010; Verlag ifak Göttingen ISBN 978-3-9812885-3-7 8 Autorin: Bernadette Lenke Tusch, Magistra der Finnougristik und Volkskunde, Pädagogische und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für angewandte Kulturforschung in Göttingen. Schwerpunkte: Migrationsforschung, Mehrsprachigkeit in Bildung und Gesellschaft, Konzeption und Ausbildung der Kulturdolmetscher, Lernberatung und Grundbildung. Das diesem Beitrag zugrunde liegende Vorhaben wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter den Förderkennzeichen 01AB072105 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei der Autorin. (S. BNBest-BMBF 98, 6.4) R. Klein (Hrsg.): Grundbildung und Beratung. GiWA-Online Nr. 4; 2/2010; Verlag ifak Göttingen ISBN 978-3-9812885-3-7 9