Rezensionen Andreas Exenberger/ Carmen Cian, Der weite Horizont. Globalisierung durch Kaufleute (Geschichte und Ökonomie 16). Studienverlag, Innsbruck/ Wien/ Bozen 2006, 158 S., € 18,90. Dieses Buch hat zwei Anliegen: Den Grad der Globalisierung im Mittelalter am Beispiel Venedigs und der Hanse aufzuzeigen und – angesichts der kontroversen Diskussion der Globalisierung in der Öffentlichkeit – die Notwendigkeit von begrifflicher Schärfe zu demonstrieren. Nach einem (eigentlich überflüssigen) Versuch, die landläufigen Vorurteile gegen das „finstere“ und „rückständige“ Mittelalter abzubauen (Kapitel 2 „Das Mittelalter“, S. 9-24), nennen die Autoren die Kriterien, die für sie die Einheitlichkeit des Mittelalters als Epoche bestimmen (Gliederung der Gesellschaft in drei ordines; Zeitverständnis; Art der Ökonomie; integrierter Charakter der Gesellschaft unter religiösen Vorzeichen), und bestimmen den Betrachtungszeitraum (ca. 12001500). Das Kapitel „Globalisierungskonzepte“ (S. 25-44) zählt die Ansätze zur Begriffsbestimmung aus wirtschaftswissenschaftlicher (mitunter wirtschaftshistorischer), sozialwissenschaftlicher, kulturwissenschaftlicher und fundamentaloppositioneller Perspektive auf und plädiert für eine Erweiterung des üblichen, rein wirtschaftlichen Verständnisses der Globalisierung. Dementsprechend fällt die eigene Definition aus: Globalisierung sei ein „transdimensionales (also nicht nur wirtschaftliches) Phänomen mit Prozesscharakter, das verstärkte Interaktionen von Menschen über größere Distanzen erfordert und zu verstärkter Interdependenz zwischen den davon betroffenen Räumen und Bereichen führt“ (S. 43). Davon ausgehend untersuchen die Autoren die Globalisierung in den Bereichen Kultur (inklusive Religion), Gesellschaft und Wirtschaft (insbesondere die Vernetzung der Arbeits-, Kapital- und Warenmärkte). Die Hauptkapitel beschäftigen sich mit Venedig (S. 45-90) und der Hanse (S. 91-134). Alle möglichen Aspekte beider Gemeinwesen werden angesprochen. Einheitlich ist nur die Nennung der Gewährsleute und die kurze Skizze der historischen Entwicklung bis ca. 1200 am Anfang des jeweiligen Abschnitts. Das Kapitel über Venedig fährt fort mit der Darlegung der Stadtverfassung, der Wirtschaftspolitik, des Handels und des Transports, der Währung und des Finanzwesens (Banken, Kredit, Wechselbrief), der Formen der Handelsgesellschaften, der Territorialpolitik, der Sozialstruktur, der Kirche (insbesondere der Beziehungen zur Kurie) und des Ausklangs der Serenissima. Das Kapitel über die Hanse schildert deren Entwicklung zur „Großmacht“, würdigt sie als „Städtebund“, diskutiert Lübecks Rolle als „Haupt der Hanse“, erörtert Handel und Finanzwesen, erwägt die Rückständigkeit der Hanse, skizziert die Entwicklung der Auslandskontore, fragt nach dem Grad der politischen Integration, diskutiert Verfassung und Sozialstruktur einiger Hansestädte, schildert die hansische Alltagskultur (Architektur, Kleidung, Religion) und den Ausklang der Hanse. Im Schlusskapitel (S. 135-145) stellen die Autoren fest, dass es trotz gewisser vereinheitlichender Tendenzen (Handelskontakte, Wechselbeziehungen, Währungsräume) keine gesamteuropäische Weltwirtschaft gegeben habe, insbesondere weil ein Zentrum fehlte. Vielmehr habe es mindestens vier Weltwirtschaften im europäischen Mittelalter gegeben, die durch die Hegemonie der Hanse, Venezianer, Flamen und Genuesen in einem jeweils begrenzten Raum (S. 139) charakterisiert waren. Gewisse Ansätze zur Globalisierung finden die Autoren in der Politik, zumal bei der Hanse wie auch in Venedig „Kompetenzen an eine höhere Ordnung“ abgegeben wurden (S. 140 f.) und Vereinheitlichungsbestrebungen innerhalb des jeweiligen Wirtschaftsraums sowie Abgrenzungsversuche nach außen hin zu konstatieren sind. Am stärksten finden die Autoren die kulturellen Globalisierungstendenzen, die vor allem durch die Kirche getragen wurden. Ein Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 157 08.01.2009 6:32:33 Uhr 158 Rezensionen kurzes Literaturverzeichnis (S. 147-158) rundet das Werk ab. Auch wenn der Rezensent die Grundthese akzeptiert, es habe (zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht) durchaus eine Globalisierung im Mittelalter gegeben, muss konstatiert werden, dass dieses Buch in fast jeder Hinsicht äußerst problematisch ist. Dem babylonischen Wirrwarr der Globalisierungskonzepte ist nicht durch die Vorlage einer Definition abgeholfen, die so umfassend ist, dass sie auf alles passt. Und wenn man eine eigene Definition vorlegt, erübrigt es sich, die – implizit abgelehnten – sonstigen Voten in aller Breite darzulegen. Die infolge der breiten Globalisierungsdefinition selbst auferlegte Katholizität der Darstellung in den Kapiteln über Venedig und die Hanse erweckt den Eindruck der Willkürlichkeit. Versäumt wurde dementsprechend die Konzentration auf ausgewählte Schwerpunkte, die dazu geeignet wären, den Grad der Globalisierung sektorenweise exakter zu bestimmen. Hinzu kommt, dass die Literaturkenntnisse der Autoren massive Lücken aufweisen. Zwar ist die Literaturschelte das Lieblingsjagdrevier kleinkarierter Kritiker, aber in diesem Falle sind die Versäumnisse wirklich gravierend. Dies gilt nicht nur in Bezug auf Venedig (Lanes These der Friedensrente fehlt, ebenso Hocquets Dissertation über den Salzhandel, Kedars Buch über die Folgen des Zusammenbruchs der pax Mongolica, Spuffords Geldgeschichte sowie die Veröffentlichungen von Lane und Mueller über die venezianischen Banken und von de Roover über den Wechselbrief etc.),1 sondern auch und insbesondere hinsichtlich der Hanse. Die Probleme beginnen damit, dass bei der 1 Frederic C. Lane, Venice. A Maritime Republic. Baltimore 1993 (dt. Seerepublik Venedig. München 1980); Jean-Claude Hocquet, Le sel et la fortune de Venise. 2 Bde. Lille 1979-1982; Benjamin Z. Kedar, Merchants in Crisis. Genoese and Venetian Men of Affairs and Fourteenth-Century Depression. New Haven 1976; Peter Spufford, Money and its Use in Medieval Europe. Cambridge 1988; Frederic C. Lane/ Reinhold C. Mueller, Money and Banking in Medieval and Renaissance Venice, 2 Bde. Baltimore 1985-1997; Raymond de Rover, L’évolution de la lettre de change, XIVe-XVIIIe siècles (Affaires et gens d’afaires 4). Paris 1953. Nennung der Gewährsleute (S. 91) vernichtend rezensierte, populärwissenschaftliche Werke (Ziegler; Zimmerling)2 und fundierte wissenschaftliche Untersuchungen kritiklos zusammengestellt werden. Darüber hinaus halten die Autoren vielfach veraltete, zwingend widerlegte Thesen für stichhaltig. So behaupten sie zum Beispiel, dass der hansische Handel ausschließlich aus dem Ost-West-Handel bestand (S. 108 f.) und dass das Gästerecht sowie die Kreditverbote die Butenhansen vom hansischen Wirtschaftsraum fernhalten sollten (S. 122). Die (missratene) Darlegung der Formen hansischer Handelsgesellschaften fußt auf Afflerbachs Magisterarbeit3 statt auf Cordes’ Habilitationsschrift.4 Außerdem führen die Autoren Thesen ins Feld, die nirgends in der Literatur belegt sind und die sie auch nicht beweisen. So wird Lübeck eine „Hegemonialpolitik“ im 13. Jahrhundert unterschoben, die angeblich darauf hinzielte, das lübische Recht möglichst umfassend durchzusetzen (S. 98). Genauso hanebüchen sind die Behauptungen, dass der Rechtszug an den Lübecker Rat ein „Ärgernis für andere politische Machthaber im Gebiet der jeweiligen Stadt“ gewesen sei (S. 104), dass Tagfahrt und Hansetag zwei unterschiedliche Größen waren (S. 101 f.) und dass die Rezesse des Hansetags lediglich das Gewohnheitsrecht festschrieben, wenn auch nur teilweise (S. 101). Hinzu kommen massive Schnitzer: So werden der Investiturstreit um 100 Jahre nach 1177 (S. 86) und die Gotland2 3 4 Uwe Ziegler, Die Hanse. Aufstieg, Blütezeit und Niedergang der ersten europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Eine Kulturgeschichte von Handel und Wandel zwischen 13. und 17. Jahrhundert. Bern 1994; vgl. dazu die Rezension in Hansische Geschichtsblätter 113 (1995), S. 169-171. Ferner Dieter Zimmerling, Die Hanse. Düsseldorf/ Wien 1976; hierzu die Besprechung in Hansische Geschichtsblätter 95 (1977), S. 85 ff. Thorsten Afflerbach, Der berufliche Alltag eines spätmittelalterlichen Hansekaufmanns. Betrachtungen zur Abwicklung von Handelsgeschäften (Kieler Werkstücke, Reihe A: Beiträge zur schleswigholsteinischen und skandinavischen Geschichte 7). Frankfurt am Main 1993. Albrecht Cordes, Spätmittelalterlicher Gesellschaftshandel im Hanseraum (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte N. F. 45). Köln/ Weimar/ Wien 1998. Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 158 08.01.2009 6:32:35 Uhr 159 Rezensionen Urkunde Heinrichs des Löwen um 20 Jahre nach 1181 (S. 92) verlegt. Nun könnte man einwenden, dass diese Kritik kleinlich ist, wollen doch die Autoren nicht neue Erkenntnisse zur Geschichte Venedigs und der Hanse vorlegen, sondern den Nachweis, es habe bereits im Mittelalter Globalisierung gegeben, auf der Grundlage rezipierter Forschungsergebnisse führen und nebenbei eine bitter benötigte begriffliche Schärfe in die Globalisierungsdiskussion einbringen. Allerdings scheitert das Werk nicht nur an der mangelnden Stringenz der Argumentation, sondern auch an seinen eigenen Ansprüchen. Die Arbeitsdefinition von Globalisierung ist so allumfassend, dass sie der Untersuchung keine Richtung weist und sich somit als unbrauchbar erweist. Im Bereich der Wirtschaft, wo die mittelalterliche Globalisierung nach Meinung des Rezensenten am ehesten zu beweisen ist, finden die Autoren nur gewisse Anzeichen einer wirtschaftlichen Vereinheitlichung Europas. Der Nachweis selbst schwacher Globalisierungstendenzen im politisch-sozialen Bereich krankt an der (von Pitz bereits 2001 widerlegten)5 Vorstellung, dass die Hansestädte und ihre Bürgerschaften politische Funktionen und Kompetenzen an den Hansetag abgegeben hätten. Der Nachweis im kulturellen Bereich ist vollends misslungen. Wenn man die Kirche als Trägerin der Globalisierung betrachtet, wie dies die Autoren machen, ist man nach der Logik der eigenen Argumentation zu der Schlussfolgerung gezwungen, dass die kulturelle Globalisierung allerspätestens mit der Zentralisierung der Kirche im 11. Jahrhundert begonnen hat, wenn nicht gar mit den ökumenischen Konzilien der Antike oder mit der ersten Missionspredigt des Apostels Paulus an die Heiden. Im Gesamtergebnis muss man feststellen, dass das Buch keinen stringenten Beweis für die These führt, vielfach schlichtweg falsch ist und der These, mit der 5 Ernst Pitz, Bürgereinigung und Städteeinigung. Studien zur Verfassungsgeschichte der Hansestädte und der deutschen Hanse (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte N. F. 52). Köln/ Weimar/ Wien 2001. der Rezensent im wirtschaftlichem Bereich durchaus einverstanden ist, zumal er sie mit in die Forschungsdiskussion eingeführt hat,6 einen Bärendienst erweist. Erlangen Stuart Jenks (Prof. Dr. Stuart Jenks, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Kochstr. 4, D-91054 Erlangen) Uwe Schirmer, Kursächsische Staatsfinanzen (1456-1656). Strukturen – Verfassung – Funktionseliten (Veröffentlichungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 28). Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2006, 1.007 S., € 96,–. Der Charakter des Staats ergibt sich nach Rudolf Goldscheid, dem Begründer der modernen Finanzsoziologie, in jeder historischen Phase aus der Analyse des Funktionalzusammenhangs zwischen seinen Finanzen und der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklung. Der Staatshaushalt sei „das aller verbrämenden Ideologie entkleidete Gerippe des Staates“. Obwohl Goldscheids fundamentale Erkenntnis häufig zitiert wird, wurde sie in der historischen Forschung bisher noch kaum umgesetzt, sieht man einmal von einigen wenigen Ausnahmen ab. Schirmer geht in seiner jetzt vorgelegten Untersuchung zu den sächsischen Finanzen in den zwei Jahrhunderten zwischen 1456 und 1656 von einem solchen Funktionalzusammenhang aus. Schon von daher sind von dieser Arbeit besondere Aufschlüsse und Einsichten über Charakter und Funktionsweise des frühmodernen Staates zu erwarten. Nicht zuletzt handelt es sich bei Sachsen um das, nächst den habsburgischen Erblanden, reichs6 Stuart Jenks, Von den archaischen Grundlagen bis zur Schwelle der Moderne, in: Michael North (Hrsg.), Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick. München 2000, S. 15-106, hier S. 106. Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 159 08.01.2009 6:32:36 Uhr 160 Rezensionen te und mächtigste Territorium des Heiligen Römischen Reiches. Als Ziel der Untersuchung benennt der Autor die Analyse der „kursächsischen Staatsfinanzen im Kontext des Staatsbildungsprozesses“ (S. 49). Dabei setzt er an dem – für das Verständnis der neueren Geschichte Europas – archimedischen Punkt an, wenn er von der kontinuierlichen Neuverschuldung als „ein[em] Kriterium frühmoderner Staatlichkeit“ (S. 266) ausgeht. Dabei betrachtet Schirmer landesherrliche und landständische Finanzwirtschaft als Funktions- und Handlungseinheit (S. 607 f.). Auch wenn im Titel des Bandes nur das Kurfürstentum genannt wird, wird für die Zeitspanne zwischen der Leipziger Teilung (1485) und dem Schmalkaldischen Krieg (1546/47) auch das Herzogtum in die Untersuchung einbezogen. Beide wettinischen Territorien werden vergleichend analysiert. Der Beginn des Untersuchungszeitraumes wird durch eine mehrstufige Reform der Finanzverwaltung markiert, in deren Zuge die Stufe des Domänenstaates (Schumpeter) überwunden wird. Am Ende der Reformära wies Sachsen alle Merkmale des Finanzstaats (Oestreich, Krüger) auf, auch wenn die Domänen, zu denen auch der Bergbau zu rechnen ist, zeitweise immerhin noch 53,5 Prozent der kurfürstlichen Gesamteinnahmen lieferten. Am Ende des Untersuchungszeitraumes, das in das Todesjahr Johann Georgs I. fällt, war Sachsen in das Zeitalter des Steuerstaats eingetreten. Das Ziel der Finanzreformer des 15. Jahrhunderts war die Kosteneinsparung durch Straffung und Intensivierung der Rechnungskontrolle sowie durch die Minderung des Personals der landesherrlichen Amtsverwaltung. Eine zentrale zukunftsweisende Maßnahme dürfte die Abschaffung des Anweisungssystems zu diesem – im Vergleich zu anderen Territorien – verhältnismäßig frühen Zeitpunkt gewesen sein. Merkmale der sächsischen Finanzstaatlichkeit sind neben dem hohen Anteil an Steuereinnahmen die Setzung der Schwerpunkte innerhalb der Finanzverwal- tung, wie sich diese aus den Unterlagen des ersten kursächsischen Landrentmeisters Johann von Mergenthal ergibt: (1.) den Ämtern, die nach wie vor den Kern der kurfürstlichen Finanzen ausmachen, und (2.) dem Bergbau folgt unmittelbar (3.) das Schuldenwesen (einschließlich Verpfändungen) in seinem engen Konnex mit den Einnahmen aus indirekten Steuern, die seit 1470 unter der Kontrolle der Landstände eingehoben wurden. Seit 1470 war der Steueranteil an den Einnahmen „niemals bedeutungslos“ (S. 27). Bereits im Jahre 1473 machten Steuern 38,5 Prozent der Gesamteinnahmen aus. Diese wurden von den Grundherren eingetrieben, die nur 75 Prozent des Steueraufkommens an die landesherrliche Kammer abführten, 25 Prozent aber selbst vereinnahmten. Auch dies ist – im Unterschied zu anderen Reichsterritorien – als ein Zeichen einer besonders engen Interessengemeinschaft von Adel und Landesherrschaft zu werten. Konsequent legt der Autor den Hauptschwerpunkt auf die fürstenstaatliche Kreditaufnahme. Von dieser geht die hauptsächliche Dynamik der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung aus. Nicht zuletzt wegen der Einnahmen aus dem Bergbau, die dem Kurfürsten den Ruf eines unermesslich reichen Fürsten eintrugen, lag die landesherrliche Kreditwürdigkeit offenbar zunächst noch weit über dem Kreditbedarf bzw. dem Krediterfordernis. Über die Untersuchung von Entstehung und Umgang mit der fürstlichöffentlichen Schuld gelangt Schirmer zu der zentralen Erkenntnis, dass landesherrliche und landständische Administrationen in ihren ökonomischen und sozialen Verflechtungen mit der sächsischen Gesellschaft ein und dasselbe Netzwerk konstituierten. Landesherrliche und landständische Finanzen spiegeln damit die Einheit der Herrschaft von Fürst und Landständen wider. Die oft bemühte These vom Dualismus von Fürst und Landschaft in der Frühen Neuzeit bedarf damit für Sachsen zumindest einer Relativierung. Insgesamt wird schon aus den sächsischen Quellen für das 15. und frühe 16. Jahrhundert erkennbar, dass die Gläubiger der Wettiner entweder „selbst zur Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 160 08.01.2009 6:32:36 Uhr 161 Rezensionen ernestinischen resp. albertinischen Landschaft [gehörten], oder [...] über beste Beziehungen zu jenen, die ad personam oder ex officio auf dem Landtag vertreten waren, [verfügten]“, und erst recht gilt dies für die Zeit nach 1570: „…die wichtigsten und fast alleinigen Gläubiger des Landes [rekrutierten sich] aus den Landständen“ (S. 33). Mit der Gründung des Obersteuerkollegiums (OSK) im Jahre 1570 wird die landesherrliche Schuld institutionalisiert. Damit wird ein entscheidender Schritt in der Entwicklung zur modernen öffentlichen Schuld zurückgelegt und die laufende Kapitalzufuhr für Handel, Gewerbe und Landwirtschaft aus dem Steuer- und Abgabenaufkommen der produktiven Bevölkerung des Landes ist staatlich-institutionell abgesichert. Das OSK setzte sich aus vier ständischen sowie vier landesherrlichen Vertretern zusammen. Neben der Zweckbindung der Steuer war vor allem „die geregelte Schuldenbedienung wichtigstes Ziel“ des OSK (S. 609). Seiner rechtlichen Stellung nach ein ständisches Kontrollorgan war diese Behörde ihrer ökonomischen Funktion nach ein Ausschuss zur Wahrnehmung der gemeinschaftlichen Geschäftsinteressen aller Gläubiger des kursächsischen Fürstenstaats. In absoluten Ziffern ausgedrückt vereinnahmten die Gläubiger jährlich die gigantische Summe von 155.000 fl. allein an Zinserträgen bei einer landesherrlichen Verschuldung von durchschnittlich 3,1 Mio. fl. im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts. Es wird Aufgabe künftiger Forschungen sein zu untersuchen, in welcher Weise sich diese Umverteilung von Kapital über den fürstenstaatlichen Haushalt auf die Sozialstruktur sowie auf die Polarisierung der Vermögensverhältnisse konkret auswirkte. Angesichts der regelmäßigen Zinserträge in dieser Höhe verfestigte sich offenbar die allgemeine Auffassung von der fürstenstaatlich-öffentlichen Schuld als ein ertragreiches „Anlageobjekt“ mit staatlich garantierter Sicherheit. Anfänglich noch spürbare Bestrebungen zur Schuldentilgung traten in den Hintergrund (passim, insbes. S. 266-269). Kurfürst August scheint der letzte sächsische Regent gewesen zu sein, in dessen Regierungszeit es noch einmal Ansätze, wenn auch nur schwache, zum Sparen gegeben hat. Danach steigen die Ausgaben scheinbar ungebremst weiter. Die Gesamtentwicklung der Einnahmen war durch den Anstieg der Einkünfte von unter 50.000 fl. unter Kurfürst Ernst auf etwa 1.100.000 fl. unter Johann Georg I. im Jahre 1650 gekennzeichnet. Der relative Anteil der Steuern stieg von 22 Prozent im jährlichen Durchschnitt der Jahre 1478-1482 auf über 70 Prozent im Jahre 1612. Selbst unter den Belastungen des Dreißigjährigen Krieges nahm dieser Anteil nur noch geringfügig zu. Der stärkste Anstieg erfolgte – dem Verlauf der Verschuldung entsprechend – seit Kurfürst Christian I. (1586-1591), während der Steueranteil vor 1586 mehr oder weniger stark schwankte, immer der zeitlichen Begrenzung der ständischen Steuerbewilligungen entsprechend. Nachdem der Steueranteil schon 1612 einen relativen Anteil von über 70 Prozent der Gesamteinnahmen erreicht hatte, war eine weitere relative Steigerung des Steueranteils anscheinend auch während des großen Krieges nicht mehr möglich. Die Verschuldung wuchs während des Dreißigjährigen Krieges weiter und stieß gegen Kriegsende an ihre Grenzen. Der kursächsische Haushalt verteilte nunmehr nahezu 600.000 fl. jährlich aus Steuern, Abgaben und Diensten der Untertanen an die Gläubiger um – gegenüber dem Schuldendienst des Kurfürsten Ernst (S. 131) eine Steigerung von rund 1.900 Prozent. Allerdings wurde in den Jahren nach dem Krieg die Schuld nicht in voller Höhe bedient, anscheinend aber ohne die offizielle Erklärung des Staatsbankrotts. Hinter den angeführten Ziffern verbirgt sich eine drastische Steigerung der materiellen Belastung der produzierenden Bevölkerung, die sowohl absolut als auch relativ einen ständig wachsenden Anteil ihrer Arbeitserträge abgeben musste. Die Belastung aus den indirekten Steuern, die Niedrigeinkommen am stärksten treffen, stieg von 1488 bis 1535 um ca. 500 Prozent (S. 272, Tab. 15). Zwischen 1555 und 1720 wuchs allein die Belastung der Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 161 08.01.2009 6:32:36 Uhr 162 Rezensionen kursächsischen Untertanen aus direkten und indirekten Steuern noch einmal um weitere rund 1.000 Prozent (S. 869, Graphik 12), hinzu kamen die grundherrlichen und städtischen Dienste und Abgaben. Dementsprechend floss im Jahre 1650 allein in den Schuldendienst das Zehnfache dessen, was die kursächsische Kammer etwa noch in den 1470er und 1480er Jahren an Gesamteinnahmen verzeichnet hatte. Diese Werte und Angaben dürften in etwa der Entwicklung in Bayern entsprechen, für das Winfried Schulze für den Zeitraum zwischen 1480 und 1660 eine Steigerung von 2.200 Prozent bei der Landsteuer sowie 300 bis 400 Prozent bei den grundherrlichen Abgaben nannte. Auch hier bietet Schirmers Arbeit eine Grundlage für die zukünftige Erforschung der Verwertung dieses Kapitals. Was nun die Ausgaben insgesamt betrifft, so stiegen diese mit den üblichen Schwankungen von etwa 50.000 fl. im Jahre 1473 auf weit über eine Mio. fl. in den Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg, nachdem die kurfürstliche Kammer die während des Krieges teilweise eingestellten Zahlungen wieder aufnahm. Der Anteil der Ausgaben für die Schuldenfinanzierung stieg von 21,9 Prozent im Jahre 1482 auf rund 50 Prozent der Gesamteinnahmen „um 1650“ (S. 867). In absoluten Zahlen ausgedrückt nahm der Kurfürst jetzt 1,1 Mio. fl. ein. Davon verwendete das OSK insgesamt 592.074 fl. für die Schuldenbedienung. Schon im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts hatte die absolute Höhe der Verschuldung – dies sei hier noch einmal zum Vergleich angeführt – rund drei Mio. fl. bei einer jährlichen Einnahme von etwas mehr als einer Mio. fl. betragen. Nächst der Bedienung der Schulden stellt die Hofhaltung den zweitgrößten Posten der regelmäßigen Ausgaben dar. In diesem Zusammenhang macht Schirmer deutlich, dass nicht der Hof der Primus motor der staatlichen Entwicklung war, sondern dass es umgekehrt die Finanzoligarchien waren, um die sich „gleichsam höfische Strukturen bilden“ (S. 30). Somit dürfte die „Domestizierung des Adels“ in den frühmodernen sächsischen Staat, die nach herkömmlichen Verständnis über den Hof erfolgte und gewissermaßen als eine der autonomen Stellung des Adels entsprechende Integration in den frühmodernen Staat galt, als ein Prozess der Vernetzung der führenden zwei bis drei Dutzend schriftsässigen Adelsfamilien untereinander und mit dem Fürstenhaus zu interpretieren sein. Ein gewisser Mangel der Arbeit zeigt sich darin, dass indirekte und direkte Steuern, ungeachtet ihrer grundsätzlich unterschiedlichen Qualität sowie ökonomischen und sozialen Implikationen, unter ein und derselben Rubrik „Steuern“ zusammengefasst werden. Umso dankbarer nimmt man zur Kenntnis, dass in den Tabellen 79 und 80 für den Zeitraum 1613 bis 1628 die beiden Steuerarten dann doch einmal getrennt aufgeführt werden. Aus diesen Tabellen geht hervor, dass die Einnahmen der kurfürstlichen Kammer aus der direkten Steuer (Landsteuer) und der indirekten Steuer (Tranksteuer) während des fraglichen Zeitraums in einem Verhältnis von etwa 1:1,8 standen. Damit stellt sich die Entwicklung in Sachsen durchaus als im Einklang stehend mit derjenigen anderer Territorien dar. Finanzsoziologisch von Bedeutung ist hier, dass die Hauptlast der indirekten Steuer, wie bereits angeführt, von den einkommensschwachen Schichten getragen wurde und diese Steuerart in den meisten anderen Territorien im weiteren Verlauf der Frühen Neuzeit gleichzeitig an Bedeutung zunahm, während die direkte Steuer ihre Bedeutung verlor. Eine Unstimmigkeit fällt bei der stichprobenartigen Überprüfung der Tabellen auf: Während in der Tabelle 66 für die Jahre 1602 bis 1604 260.157 fl. für die Schuldentilgung angegeben werden, ergibt sich aus der Tabelle 62 für denselben Zeitraum ein jährlicher Schnitt von 256.987 fl. Wie gesagt, kein wesentlicher Unterschied. Indessen bleibt ein Fragezeichen. Entscheidend ist jedoch, dass in Schirmers Untersuchung die fürstenstaatliche Verschuldung in ihren historischen Wurzeln sowie ihrer ökonomischen und sozialen Dynamik im Zentrum steht und nicht zuletzt dem politischen Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 162 08.01.2009 6:32:36 Uhr 163 Rezensionen Handeln der Gläubiger und ihrem Einfluss breites Interesse eingeräumt wird. Schirmer lässt die Verschuldung und die ökonomische, soziale und politische Dynamik, die von ihr ausgeht, als Primus motor der Herausbildung des frühneuzeitlichen Steuer- und Abgabenwesens und damit letztlich des modernen Staates selbst erkennbar werden. Das methodische Konzept und die systematische Anlage der Untersuchung bewegen sich durchweg auf dem aktuellen Forschungsund Erkenntnisstand der Finanzgeschichte, die daher als exemplarisch für – wünschenswerte – zukünftige Untersuchungen weiterer Territorien gelten kann. Die gesammelten Ergebnisse dürften insgesamt zu einem qualitativ neuen Gesamtbild der Epoche beitragen. Insgesamt bringt die Untersuchung qualitativ neue Erkenntnisse über die zentralen Funktionen und Aufgaben des frühmodernen Staates, insbesondere zwingt sie zur Neubewertung von Bedeutung und Dynamik der öffentlichen Schuld. Greifswald Werner Buchholz (Prof. Dr. Werner Buchholz, Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald, Philosophische Fakultät, Historisches Institut, Lehrstuhl für Pommersche Geschichte und Landeskunde, Domstraße 9a, D-17487 Greifswald) Herbert H. Kaplan, Nathan Mayer Rothschild and the Creation of a Dynasty. Stanford University Press, Stanford/ California 2006, 194 S., £ 29,95. Der Aufstieg der Rothschilds gehört zu den erstaunlichsten Erfolgsstories der europäischen Finanzgeschichte. Der 1743 oder 1744 in der Frankfurter Judengasse geborene Mayer Amschel Rothschild begründete ein Handels- und Bankhaus, das unter seinen fünf Söhnen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert die führende Stellung unter den europäischen Banken einnahm. Der Aufstieg aus dem engen Ghetto in prächtige Villen und Schlösser innerhalb nur einer Generation begründete den legendären Ruf der Familie, der sich in zahllosen literarischen Bearbeitungen, aber auch in antisemitischen Phantasmen äußerte. Die Ursachen dieses Aufstiegs sind bis heute in vielen Punkten ungeklärt – nicht zuletzt auch dadurch, dass die Familie nur einen sehr restriktiven Zugang in ihre Archive zuließ und z. B. bei der Schließung des Frankfurter Hauses 1901 vier Eisenbahnwaggons mit Archivalien in die Papiermühle kamen. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten geändert und insbesondere die reichen Bestände des Rothschildarchivs London mit dem täglichen Briefwechsel der fünf Brüder bieten ein bei weitem noch nicht ausreichend ausgeschöpftes Quellenmaterial für die europäische Geschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Herbert Kaplan hat in seiner minutiösen Untersuchung den Versuch unternommen, die entscheidenden Jahre des Aufstiegs zwischen 1806 und 1816 zu analysieren. Im Mittelpunkt steht Nathan Rothschild, der 1798 ein Handelshaus in Manchester, dem Zentrum der europäischen Textilindustrie, gegründet hatte und von dort aus seinen Vater in Frankfurt, aber auch Geschäftspartner auf dem Kontinent mit Stoffen belieferte. Nathan wurde später von seinen Brüdern in Anspielung auf Napoleon als der „kommandierende General“ der Familie eingeschätzt, seine hohe Risikobereitschaft und die schludrige Buchführung wurden von seinem Vater und anderen engen Geschäftspartnern aber immer wieder hart kritisiert. Ein entscheidender Schritt in Nathans Karriere war 1806 die Heirat mit Hanna Cohen, der Tochter eines der führenden jüdischen „merchant bankers“ in London. Zwei Jahre später nach dem Tod seines Schwiegervaters Levy Barent Cohen übersiedelte Nathan selbst nach London und konzentrierte sich auf das Bankgeschäft. Kaplan gelingt es, die wesentlichen Ursachen für den Erfolg der Rothschilds herauszuarbeiten. Ab 1809 verlagerte sich Nathan auf den profitablen Handel mit Gold- und Silber in Münzen- und Barrenform sowie mit Wechseln, bei dem er vor allem von den stark schwan- Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 163 08.01.2009 6:32:36 Uhr 164 Rezensionen kenden und sehr unterschiedlichen Marktpreisen zwischen Südamerika, England und dem Kontinent profitierte. Der Handel war durch die Kriege zwischen England und Frankreich sowie die Kontinentalsperre mit einem sehr hohen Risiko behaftet. Nathan gelang es aber, in enger Zusammenarbeit mit seinem Vater bis zu dessen Tod 1812 und mit seinen vier Brüdern ein dichtes Netz von Geschäftspartnern auf dem Kontinent aufzubauen, mit deren Hilfe er den Handel mit Gold- und Silber sowie mit Wechseln erfolgreich ins Werk setzte. Auf dieser Grundlage konnte Nathan, der Einwanderer aus Frankfurt, mit zum Teil zweifelhaften Geschäftsmethoden zum idealen Partner der englischen Regierung werden. Ende 1813 stand Wellingtons spanische Armee vor dem Einmarsch nach Frankreich. Das militärische Unternehmen war jedoch höchst gefährdet, da das Schatzamt es nicht schaffte, die im Norden der iberischen Halbinsel und im Süden Frankreichs operierende Armee ausreichend mit Gold- und Silberwährung für die Löhnung und Versorgung der Soldaten auszustatten. In dieser kritischen Situation beauftragte John Charles Herries, der für die Armeeversorgung zuständige Beamte im Schatzamt, den jungen aufstrebenden Bankier aus Deutschland mit der Organisation dieser Versorgung. Gestützt auf das in den Jahren zuvor aufgebaute und im Schmuggelhandel erprobte Netz gelang es Nathan und seinen Brüdern, die Versorgung Wellingtons mit großen Summen sicherzustellen. Nach diesem Erfolg beauftragte Herries die Rothschilds ebenfalls mit der Übermittlung der Subsidienzahlungen an die verbündeten Staaten, sodass die Familie unter der Führung von Nathan innerhalb weniger Jahre eine dominante Stellung unter den konkurrierenden Banken erringen konnte und James bereits 1820 mutmaßte, dass sie „die reichsten Leute in Europa“ seien. Kaplan schafft es, Banken- und Finanzgeschichte prägnant und anschaulich zu präsentieren und durch das Dickicht der Legenden und Mythen, die sich um die Rothschilds ranken, einen quellengestützten Pfad zu schlagen. Ein Beispiel hierfür ist die in der Forschung bislang unumstrittene These, dass das große Vermögen des von Napoleon ins Exil getriebenen Kurfürsten von Hessen, dessen umfangreiche Anlagen in englischen Staatsanleihen die Rothschilds nach 1806 monopolisieren konnten, eine zentrale Rolle für Nathans Erfolg gespielt habe. Kaplan zeigt dagegen, dass für diese auch von den Rothschilds selbst später gern verbreitete Einschätzung eigentlich die Quellen fehlen. Hier ist wie in vielen anderen Fragen der Rothschild-Geschichte noch weitere Forschung notwendig. Frankfurt am Main Fritz Backhaus (Fritz Backhaus, Stellvertretender Direktor, Jüdisches Museum Frankfurt am Main, Untermainkai 14-15, D60311 Frankfurt am Main) Rainer Liedtke, N. M. Rothschild & Sons. Kommunikationswege im europäischen Bankenwesen im 19. Jahrhundert. Böhlau, Köln/ Weimar/ Wien 2006, 271 S., € 32,90. Die Macht und der Reichtum der Bankierfamilie Rothschild hat schon das Staunen und den Neid der Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts auf sich gezogen. Bekannt ist das einem ihrer weiblichen Mitglieder zugesprochene Wort, es könne in Europa keinen Krieg geben, solange die Rothschilds dagegen seien. Und so rankten sich seit je her zahlreiche Mythen um die Geschichte des Hauses Rothschild. Doch erst die vor zehn Jahren erschienene monumentale Studie von Niall Ferguson konnte mit einigen Legenden aufräumen, weil hier erstmalig ein Historiker Zugang zu den in London befindlichen reichhaltigen Archivbeständen der weit verzweigten Familie erhalten hatte. Aus diesen Beständen schöpft auch die vorliegende Studie, bei der es sich um die überarbeitete (und verhältnismäßig kurze) Fassung der Gießener Habilitationsschrift von Rainer Liedtke handelt. Liedtke untersucht darin das weit über die Grenzen Europas hinausreichende Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 164 08.01.2009 6:32:36 Uhr 165 Rezensionen Netz der Informationszuträger und Geschäftsbevollmächtigten vor allem der Londoner Niederlassung der Rothschilds. Dieses Netz verschaffte, so mutmaßten schon zeitgenössische Beobachter, den Rothschilds oft einen entscheidenden Informationsvorsprung gegenüber ihren Konkurrenten. Liedtkes Studie besteht im Wesentlichen aus drei Teilen: Nach knappen Überblicken über die Rolle der Privatbanken im 19. Jahrhundert sowie über die Familie und die Banken der Rothschilds in diesem Zeitraum folgen (1.) eine Rekonstruktion des Rothschild’schen „Agentennetzwerks“ zwischen der Spätnapoleonischen Zeit und den 1870er Jahren; (2.) eine Untersuchung der Beziehungen zwischen den Rothschilds und ihren Agenten; (3.) schließlich drei Fallstudien zu besonders wichtigen oder typischen Agenten. Bereits einleitend diskutiert Liedtke die Komplexität der Funktions- und Sozialfigur des „Agenten“, die zwischen fest angestellten auswärtigen Informationssammlern einerseits und fremden (aber den Rothschilds nahestehenden), ökonomisch und rechtlich ganz unabhängigen Banken andererseits changierte, wobei manche Agenten im Lauf der Zeit ihre Position auf dieser Skala durchaus zu ändern in der Lage waren. Aus der Struktur, der Qualität und der Quantität der Kommunikationsstränge zwischen den Rothschilds und diesen Partnern entwickelt Liedtke die Entstehung und die Funktionsweise des „Agentennetzwerks“, das er zunächst in drei zeitlichen Einschnitten (1825, 1850 und 1875) untersucht. Obwohl er dabei gelegentlich auf Termini und Kategorien der Netzwerkanalyse zurückgreift und vor allem immer wieder die Asymmetrie dieses ganz auf die Rothschilds, vor allem auf das der Untersuchung ihren Namen gebenden Londoner Haus N. M. Rothschild & Sons zugeschnittene Netzwerk betont, bleibt dieser Zugriff eigentümlich arbiträr. Beispielsweise unternimmt der Autor trotz der hervorragenden Überlieferungslage keinen Versuch, das Material quantifizierend auszuwerten. Dadurch bleibt beispielsweise die Intensität und die unterschiedliche qualitative Ausformung der Beziehungen zwischen dem zentralen Londoner Haus und den verschiedenen Typen von Agenten weitgehend im Dunklen. Tatsächlich untersucht Liedtke nicht das Gesamtnetzwerk, sondern nur Ausschnitte daraus, nämlich die bei den Rothschilds eingehenden Informationen sowie eine Reihe als signifikant erachtete Individuen. Ein wesentlicher Einflussfaktor für die Konturen des Agentennetzwerks stellte gegen Ende des Untersuchungszeitraums eine technische Neuerung, nämlich die elektrische Telegraphie, sowie das Aufkommen von Nachrichtenagenturen dar, die die Informationsgeschwindigkeit enorm erhöhten und aufgrund der damit verbesserten Informationsund Kontrollmöglichkeiten den aufwändigen Unterhalt des bis dahin etablierten Netzwerks zu einem guten Teil überflüssig machten. Zentral für die Auswahl der Agenten war ihre Vertrauenswürdigkeit. Offenbar mangelte es den Rothschilds zu keiner Zeit an fachlich kompetenten Kandidaten für jene Agententätigkeit, wohl aber an vertrauenswürdigen Männern. Umso auffälliger ist der mehrfach von Liedtke hervorgehobene Befund, dass die ethnisch-religiöse Zugehörigkeit in dieser Frage kaum eine Rolle spielte, mit anderen Worten: dass es für die Auswahl der Agenten kaum von Belang war, ob es sich um Juden oder um Nicht-Juden handelte. Folglich finden sich auch zahlreiche nicht-jüdische Akteure im Agentennetzwerk. Ein wesentlicher Teil der Vergütung der Agenten erfolgte immateriell: Er bestand in der vielfach genutzten Möglichkeit, lukrative Eigengeschäfte zu tätigen, die ihnen allein aufgrund ihres Status als Agent des Hauses Rothschild angetragen wurden. Die Tätigkeit für die Rothschilds stellte also im wahrsten Sinne ein „soziales Kapital“ dar. Noch wichtiger ist jedoch Liedtkes Abschlussbefund: Das Agentennetzwerk der Rothschilds sei so „einzigartig“ gewesen wie die Rothschilds selbst (ein Urteil, das den Wert der Studie vorderhand nur schmälern kann, weil ihre Ergebnisse in keiner Weise verallgemeinerbar wären). Entscheidend für den geschäftlichen Erfolg der Familie war demnach Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 165 08.01.2009 6:32:36 Uhr 166 Rezensionen in erster Linie, dass neben dem Agentennetzwerk ein zweites Geschäfts- und Informationsnetzwerk bestand, nämlich dasjenige der über halb Europa verteilten Familienmitglieder. Gerade zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen diesen beiden Netzwerken wären quantitative Analysen allerdings wünschenswert gewesen. Überhaupt macht sich das Fehlen systematischer und auf Synthesen zielender Perspektiven in dieser Arbeit schmerzhaft bemerkbar. So erfolgt an keiner Stelle ein umfassender Literaturüberblick oder eine Einordnung in die Forschungsdiskussion. Die Verarbeitung der vor allem in der Londoner Niederlassung akkumulierten Informationen durch die Entscheidungsträger, also die Chefs der verschiedenen Häuser, bleibt weitgehend unklar. Ein Urteil über den Einfluss der in den Netzwerken zirkulierenden Informationen auf das unternehmerische Entscheidungsverhalten der Rothschilds in Relation zu anderen Faktoren zu fällen, bleibt letztlich dem Leser allein überlassen. Trier Morten Reitmayer (PD Dr. Morten Reitmayer, Universität Trier, Fachbereich III: Neuere und Neueste Geschichte, D-54286 Trier) Wissenschaftsförderung der SparkassenFinanzgruppe e. V. (Hrsg.), Regionalgeschichte der Sparkassen-Finanzgruppe, Bd. 1 (Sparkassen in der Geschichte, Abt. 3: Forschung 19). Deutscher Sparkassenverlag, Stuttgart 2006, 300 S., € 42,69. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Beschäftigung mit der Geschichte der Sparkassen ein wichtiges Forschungsfeld der Geschichts- und Kulturwissenschaften ausmacht. Die Sparkasse und ihre Vorläufer, die Leihhäuser und Waisenkassen, waren gemeinnützige Unternehmen und Finanzinstitute, die die Armen und Geringverdienenden unterstützten und in ihren Statuten soziale Aufgaben fest- schrieben. Eben dieser Aspekt war ein wesentlicher Motor der Sparkassenneugründungen im 18./19. Jahrhundert. Besonders aktiv engagiert sich die Wissenschaftsförderung der Sparkassen-Finanzgruppe e. V. mit Sitz in Bonn für die historische Aufarbeitung der Sparkassen. Mit der Veröffentlichung des ersten Bandes „Regionalgeschichte der Sparkassen-Finanzgruppe“ konnte nun ein Desiderat geschlossen werden, in dem die Entwicklung der Sparkassen Nordund Ostdeutschlands von ihrer Gründung an bis zur Gegenwart rekapituliert wird. Der zweite Band über die Sparkassen West- und Süddeutschlands wird demnächst folgen. Das Besondere an dem erfreulichen Vorhaben ist, dass die Dezentralität der Sparkassen betont wird und die Studie daher raumbezogen ist, d. h. es wird die Geschichte der Sparkassen in den einzelnen deutschen Bundesländern, der Stadt Berlin sowie den ehemaligen preußischen Provinzen – Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg, Pommern, Brandenburg, Anhalt, Sachsen und Schlesien – beschrieben. Dieser der territorialen Vielfalt der deutschen Geschichte geschuldete Ansatz führt zwangsläufig zu einer – vom Herausgeber erwünschten – Neujustierung der Perspektive von einer nationalen Sichtweise hin zu einer regionalen Betrachtung. Zu hoffen ist, dass eine eigenständige Untersuchung, in der die vielfältigen sparkassenrelevanten englischen, französischen und österreichischen Transferprozesse behandelt werden, künftig vorbereitet und somit auch der europäische Kontext der Sparkassengeschichte beleuchtet wird. Die hier zu rezensierende Studie ist in acht Kapitel unterteilt: Sie beginnt mit einem Vorwort des Herausgebers – stellvertretend durch den Vorsitzenden der Wissenschaftsförderung Werner Netzel –, dem die Einführung aus der Feder von Thorsten Wehber folgt; Hans Jürgen Kieback widmet sich der Entwicklung der Sparkassen-Finanzgruppe in Schleswig-Holstein; Günter Ott den Sparkasseninstituten in Bremen und Hamburg; Karl Heinrich Kaufhold und Axel Schnell beleuchten die Sparkas- Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 166 08.01.2009 6:32:37 Uhr 167 Rezensionen sengeschichte in Niedersachsen; Willi A. Boelcke, Wolfgang Quast und Wolfgang Schröder widmen sich der Sparkassengeschichte in Berlin; Willi A. Boelcke, Hubert Kiesewetter und Hans-Georg Günther behandeln die Sparkassengeschichte im heutigen Gebiet des Ostdeutschen Sparkassenverbandes und Konrad Fuchs konzentriert sich auf die Sparkasseninstitute in Schlesien (bis 1945). Ergänzt wird die redaktionell sehr gut betreute Arbeit durch ein Abkürzungs-, ein Quellen-, ein Literatursowie ein Abbildungsverzeichnis. Schließlich werden die Autoren kurz vorgestellt. Neben Wissenschaftlern und Vertretern aus der Sparkassenpraxis ist auch ein Publizist unter den männlichen Beiträgern. Positiv herauszuheben an dem Sammelband ist, dass eine hohe homogene Dichte erreicht werden konnte. Der Anspruch, „mehr als eine Aneinanderreihung von ‚Einzelgeschichten’ bieten zu wollen“ (Wehber, S. 15), konnte eingelöst werden. Der Sammelband informiert über • die Gründung und Motive der Gründung der einzelnen Sparkassen und Verbände, • die Entwicklung der Angebote und Leistungen, • die Organisation und den Betrieb, • die ökonomische Bedeutung sowie die sozialen und kulturellen Aktivitäten, • die Entwicklung der sparkassenrelevanten Verbandsstrukturen, • die politischen und ökonomischen Herausforderungen der Sparkassen (Weltwirtschaftskrise von 1929, Neuaufbau nach 1945, Deutsche Wiedervereinigung 1989/90) und • den Wettbewerb der Sparkassen mit Banken und Genossenschaften. Als besonders gelungen und kenntnisreich sind die Beiträge von Karl Heinrich Kaufhold, Hubert Kiesewetter und Konrad Fuchs hervorzuheben. Der Artikel von Kaufhold zeichnet sich durch die intensiven Vorstudien und exzellenten Recherchen über die Göttinger kommunale Sparkasse aus. Der Aufsatz von Fuchs über die Sparkassen Schlesiens konzentriert sich auf eine traditionsreiche, aber beina- he vergessene Sparkassenlandschaft. In dem Aufsatz über die Sparkasseninstitute in Sachsen von Hubert Kiesewetter werden die vielen Facetten der Sparkassengeschichte durch den Rückgriff auf umfangreiche Primärquellen anschaulich herausgearbeitet. Die Sparkassen entwickelten sich, so Kiesewetter, zu Universalbanken, die sich von Privatbanken nur noch durch das Prinzip der Gemeinnützigkeit und der Mündelsicherheit unterschieden (S. 220). Doch bei allem Bemühen um eine wissenschaftlich fundierte Darstellung bleibt der Eindruck bestehen, dass es sich hier doch letztlich nur um eine reine Erfolgsgeschichte der Sparkassen und Sparkassenverbände handelt. Es hätte einen Mehrwert ergeben, wenn die Autoren etwas mehr Mut gehabt hätten für die kritische, wissenschaftliche Aufarbeitung von Fehlentwicklungen und ungenutzten Chancen. Auch bleibt die NS-Zeit auffällig unbeleuchtet. Dennoch: Der zu rezensierende Sammelband präsentiert die Sparkassengeschichte als ein faszinierendes und vielschichtiges Thema, dem hoffentlich noch weitere die Wissenschaft und Forschung bereichernde historische Untersuchungen folgen werden. Mainz/ Bonn Martin Peters (Dr. Martin Peters, Institut für Europäische Geschichte, Alte Universitätsstraße 19, D-55116 Mainz) Heinz Siebold/ Dirk Schindelbeck, Eine Bank wie keine andere. 140 Jahre Volksbank Freiburg. Ein historisches Lesebuch. Promo-Verlag, Freiburg i. Br. 2007, 168 S., € 10,–. Am 30. Dezember 1866, also wenige Monate nach Beendigung des Deutschen Kriegs zwischen Preußen und Österreich sowie ihren jeweiligen Verbündeten – und damit zugleich dem Ende des Deutschen Bundes –, gründeten 83 Freiburger Bürger eine gewerbliche „Vorschusskasse auf Schulze-Delitzsch’scher Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 167 08.01.2009 6:32:37 Uhr 168 Rezensionen Grundlage“, die fortan als „Freiburger Gewerbebank“ firmieren sollte und im Jahr 1973 ihren heutigen Namen „Volksbank Freiburg e.G.“ erhielt. Im Januar des Jahres 1867 nahm die Kreditgenossenschaft ihre Geschäftstätigkeit auf. Sie widmete sich vor allem der Förderung des Handwerks sowie Gewerbes und erweiterte sukzessive ihre Tätigkeit auf die Interessen des gesamten Mittelstandes. Die Mitgliederzahl stieg rasch; heute sind fast 44.000 Personen Mitglieder und damit zugleich Teilhaber der Bank. Wie sich die Zahl der Mitglieder und Kunden enorm erweiterte, so auch die Aufgabenstellung der Bank, die über die städtischen Grenzen hinaus maßgebend für deren genossenschaftliches Umfeld und die Region Schwarzwald, Breisgau, Kaiserstuhl geworden ist. Sie hat den Schritt von der primär städtisch orientierten Freiburger Genossenschaftsbank zur regionalen mittelständischen Volksbank, hervorgegangen aus zahlreichen Fusionen – unter anderem auch mit Raiffeisenbanken –, erfolgreich gemeistert. Dieses „historische Lesebuch“ zeichnet übersichtlich die verschiedenen Entwicklungslinien der Bank nach, und zwar vielfach vor dem Hintergrund der allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Die Studie ist umfassend recherchiert, differenziert gegliedert und angenehm lesbar. Die Zitate, die die Ausführungen illustrieren, sind sorgfältig ausgewählt. Obwohl im Zweiten Weltkrieg Quellenverluste eingetreten sind, konnten auch die Geschehnisse vor 1945 genau rekonstruiert werden. Zahlreiche zeitgenössische Fotos und Faksimiles von Originalunterlagen, unter anderem aus Firmen-, Privat- und städtischen Archiven, sowie Statistiken dokumentieren und ergänzen die Aussagen und vergegenwärtigen bildhaft die Entwicklungsgeschichte der Bank. Auch die komplexe Geschichte der Fusionen wird übersichtlich dargestellt. Von besonderem Interesse sind ebenfalls die Porträts und Viten der Gründer der Freiburger Gewerbebank. Es ist selten, dass die Gründungsgeschichte einer Genossenschaftsbank des 19. Jahrhunderts heute noch so anschaulich rekonstruiert werden kann. Dieses vorbildlich gestaltete Buch ist für alle, die sich für die Geschichte der Kreditgenossenschaften, die Hintergründe und Zusammenhänge interessieren, eine empfehlenswerte und lehrreiche „Lektüre“. München Ludwig Hüttl (Prof. Dr. Ludwig Hüttl, Genossenschaftsverband Bayern – Historischer Verein Bayerischer Genossenschaften –, Türkenstraße 22-24 D-80333 München) Harald Wixforth (Hrsg.), Bankiers und Finanziers – Sozialgeschichtliche Aspekte (Geld und Kapital 8). Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007, 184 S., € 37,–. Es steht fest, dass sich die Biographie in der Zeitgeschichte ihre vielfach umstrittene zentrale Rolle nicht nehmen lässt; hätte man Zweifel, so würde man durch den Erfolg neuer Werke zu Ludwig Quidde oder Paul von Hindenburg – um nur einige herauszugreifen – eines besseren belehrt.17Trotz der breiten Resonanz auf Biographien von Hermann Josef Abs und Hjalmar Schacht aus den Federn von Lothar Gall und Christopher Kopper28bleibt dieser Ansatz aber im Bereich der Bankgeschichte offenbar noch begründungsbedürftig; im Bereich der Finanzwelt scheint sich die Erwartung einer personenunabhängigen, durch Strukturen determinierten rationalen Handlungsweise sehr viel stärker zu halten, als die Praxis eines extrem personenbezogenen Anreiz- und Vergütungssystems suggerieren würde. Die von Harald Wixforth verfasste Einleitung zu diesem Band macht dagegen umfassend deutlich, welches bislang kaum ausgeschöpftes Potenzial in einer personenbezogenen Betrachtung steckt, und die unterschiedlichen Fallstu17 Karl Holl, Ludwig Quidde (1858-1941). Eine Biografie (Schriften des Bundesarchivs 67). Düsseldorf 2007; Wolfram Pyta, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler. München 2007. 28 Lothar Gall, Der Bankier. Hermann Josef Abs. Eine Biographie. München 2006; Christopher Kopper, Hjalmar Schacht. Aufstieg und Fall von Hitlers mächtigstem Bankier. München/ Wien 2006. Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 168 08.01.2009 6:32:37 Uhr 169 Rezensionen dien, welche den Band ausmachen, dokumentieren das in personenbezogenen Geschichten von Wirtschaftsunternehmen und Finanzbehörden am konkreten Objekt. Der Band beginnt mit einer Darstellung der Geschichte des Amsterdamer Bankhauses Insinger & Co. in den turbulenten Konjunkturen der post-napoleonischen Ära und der Revolutionen des 19. Jahrhunderts. Die Beiträge von Sabine Rossbach und Monika Pohle Fraser widmen sich dem Bild der Bankiers und der Spekulanten in der breiteren kulturellen Wahrnehmung, Rossbach am Beispiel der Echos des Law-Bankrotts in Goethes Faust, Fraser anhand des Problems der Abgrenzung von (legitimer) wirtschaftlicher Spekulation und (illegitimem) Hasardspiel im bürgerlichen Tugendkanon des langen 19. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt des Bandes liegt auf Studien zu Bankiers des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Andreas Graul untersucht Gustav und Victor von Klemperer nicht als Direktoren der Dresdner Bank, sondern als Kunstmäzene. Žarko Lazarević beschreibt die Entstehung eines slowenischen Bankwesens und die Rolle führender Familien im Rahmen dieses Prozesses. Harald Wixforth diskutiert die Auswirkungen von nationalen Spannungen auf das Bankwesen der Zwischenkriegszeit. In gewissem Sinne komplementär sind die beiden Überlegungen zu größeren Biographien von Zentralbankiers: während es Agnes Pogány hier vorwiegend darum geht, Alexander Popovics, den Leiter der österreichisch-ungarischen und der (auch nach 1919 königlich-) ungarischen Notenbank ins kollektive Gedächtnis der Wissenschaft zurückzuholen, liefert Christopher Kopper interessante Überlegungen zum Problem der Biographie von Bankiers im Allgemeinen und Hjalmar Schachts im Besonderen. Ein Diskussionsbeitrag zu Perspektiven der Sparkassengeschichte von Harald Wixforth beschließt den Band, der durch die Kreativität der Beiträge mehr als wettmacht, was ihm auf den ersten Blick an Homogenität fehlen mag. Frankfurt am Main Andreas Fahrmeir (Prof. Dr. Andreas Fahrmeir, Johann Wolfgang GoetheUniversität, FB 08 – Philosophie und Geschichtswissenschaften, Historisches Seminar, Neuere Geschichte, D60629 Frankfurt am Main) Christoph Kreutzmüller/ Thomas Weihe, Eugen Panofsky (1855-1922). Berliner Bankier, Stadtrat und Stadtältester (Jüdische Miniaturen. Spektrum jüdischen Lebens 65). Teetz 2007, 64 S., € 5,90. Im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts spielten Privatbankiers noch eine wichtige Rolle im deutschen Finanzsystem. Nähere Informationen besitzen wir jedoch nur über die wenigsten von ihnen. Die überwiegende Zahl der häufig als Kleinstunternehmer agierenden Bankiers verschwand durch Übernahmen oder Geschäftsaufgaben. Schriftliche Zeugnisse ihrer Tätigkeiten liegen heute kaum mehr vor. Eine Ausnahme von dieser Regel bildet – mit Abstrichen – Eugen Panofsky, Teilhaber des Berliner Privatbankhauses Jacquier & Securius. Hier haben sich im Besitz der Familie manche Dokumente erhalten, die Christoph Kreutzmüller und Thomas Weihe erstmals auswerten. Eugen Panofsky wurde 1855 als Kind jüdischer Eltern in Tarnowitz im Regierungsbezirk Oppeln geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Breslau siedelte er 1874 nach Berlin über, wo er ein Jahr später als Kassierer in die Privatbank Jacquier & Securius eintrat. 1888 heiratete Panofsky Helene Weil aus Baden-Baden, die ebenfalls jüdischer Konfession war. Schon vor seiner Eheschließung war er zum Prokuristen von Jacquier & Securius bestellt worden. Im Jahr 1902 folgte der nächste Karriereschritt. Panofsky wurde nun in den Kreis der Teilhaber aufgenommen, sein Anteil bis 1919 auf etwa 30 Prozent erhöht. Die Geschäfte seines Bankhauses erstreckten sich in jener Zeit vornehmlich auf Börsen- und Bodenspekulationen. Darüber hinaus engagierte sich die Bank in der Braunkohlenindustrie und in der Berliner Brauwirtschaft. Die Mitbegründung der Rheinischen AG für Braunkohlenbergbau und Brikettfabrikation (Rheinbraun) war die wohl prominenteste Tat von Jacquier & Securius. Für sein Bankhaus dachte Panofsky offenbar dynastisch. Beide Söhne wurden zu Nachfolgern ausgebildet. Der ältere fiel im Ersten Weltkrieg, sodass der zweite Sohn Alfred das Erbe bei Jacquier & Securius antrat. Für seine Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 169 08.01.2009 6:32:37 Uhr 170 Rezensionen einzige Tochter arrangierte Panofsky die Ehe mit Georg Hirschland, dem späteren Inhaber des Essener Bankhauses Simon Hirschland. Als etablierter Privatbankier engagierte sich Eugen Panofsky auch in zahlreichen karitativen Vereinen, so als Schatzmeister des Vaterländischen Frauenvereins oder als Vorsitzender eines Vereins für die Fürsorge geistesschwacher Kinder. Von 1909 bis 1919 kümmerte er sich im Hauptausschuss des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens um wirtschaftliche Fragen. Sein weiteres Engagement galt der Stadt Berlin. 1910 wurde Panofsky in deren Magistrat gewählt, seit 1911 wirkte er als unbesoldeter Stadtrat – nicht als Stadtverordneter, wie die Autoren schreiben – in der Finanzverwaltung. 1916 übernahm er zudem den Vorsitz in der Hochbaudeputation und wurde Mitglied in der städtischen Kriegskommission. 1919 verpasste er die Wiederwahl und wurde mit dem Ehrentitel eines Stadtältesten verabschiedet. Gesundheitlich mittlerweile schwer angeschlagen, verstarb Eugen Panofsky 1922 an den Folgen einer Operation. Der schmale Band liefert in drei Kapiteln interessante Einblicke in das Leben Eugen Panofskys. Diese sind wertvoll, denn noch immer weiß die Forschung viel zu wenig über die Privatbankiers der zweiten Reihe. Eine Fragestellung fehlt dem Buch allerdings. Dies ist jedoch keine Nachlässigkeit der Autoren, einen systematischen Zugriff auf das Leben Panofskys lässt die mangelhafte Quellenlage einfach nicht zu. Eine dichte Überlieferung liegt ausschließlich für die Jahre des Ersten Weltkriegs vor, sodass die oben genannten Einblicke in das Denken und Handeln Panofskys für frühere Jahre fehlen. Auch die Unternehmensgeschichte von Jacquier & Securius ist nicht immer greifbar. Dass die Quellen nicht reichlicher fließen, kann den Autoren kaum zum Vorwurf gemacht werden. Es bleibt ihr Verdienst, in einem flüssig geschriebenen Büchlein Eugen Panofsky der Vergessenheit entrissen zu haben. Köln Dominik Zier (Dominik Zier, Hausarchiv Sal. Oppenheim jr. & Cie., Unter Sachsenhausen 4, D-50667 Köln) Sonja Heiss, Die Institutionalisierung der deutschen Lebensversicherung (Schriften zur Rechtsgeschichte 130). Duncker & Humblot, Berlin 2006, 383 S., € 84,–. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in Deutschland die ersten Lebensversicherungsunternehmungen gegründet, staatliche Vorgaben dazu gab es nur in Preußen (im Allgemeinen Landrecht von 1794). Im Wesentlichen entwickelten die Gründer auch die Regeln, nach denen die Unternehmungen auf Dauer bestehen und wirken sollten. Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit von Sonja Heiss, einer juristischen Dissertation, stehen die Regelwerke von acht „beständigen“ Lebensversicherungen, die die Bestimmungen zur Unternehmensorganisation, zu den Vertragsbedingungen und zur Versicherungstechnik einschließlich der Tarife enthielten. In einem umfangreichen Anhang (S. 212-362) werden diese seinerzeit durch den Druck verbreiteten Regelwerke, also Statuten, Verfassungen und „Pläne“, erneut abgedruckt, da sie heute schwer zu ermitteln und meist nur noch in Archiven überliefert sind. In der eigentlichen Monographie werden die Regelwerke als das selbstgeschaffene Recht der Gründer systematisch dargestellt und verglichen. Die Darstellung erschöpft sich damit aber nicht: Aus der vielfältigen zeitgenössischen und Forschungsliteratur wird der Gründungsund Institutionalisierungsprozess bis etwa 1850 untersucht, versehen mit vielen und vielfach längeren zeitgenössischen Zitaten, die teils interessant, teils kurzweilig zu lesen sind, teilweise aber doch besser in einem weiteren Quellenanhang hätten ihren Platz finden sollen. Die Darstellung enthält auch biographische Angaben zu den meist prominenten Gründern wie Ernst Wilhelm Arnoldi, Levin Anton Wilhelm Benecke, Josef Riesler u. a., wie auch Angaben zur Gründung selbst. Gerahmt wird dies mit einer Skizze der politischen und versicherungswirtschaftlichen Ausgangssituation. In einem Ausblick werden weitere Gründungen bis zum Jahr 1871 und die Entwicklung der untersuchten Unterneh- Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 170 08.01.2009 6:32:37 Uhr 171 Rezensionen men bis zur Gegenwart dargestellt, nur die „Gothaer“, die „Alte Leipziger“ und die „Berlinische“ tragen noch ihren alten Namen, die meisten sind aufgekauft bzw. fusioniert. Die Dissertation sollte ursprünglich auch untersuchen, welche Rolle die Interessen der Versicherten bei der rechtlichen Institutionalisierung gespielt haben. Dies ließ sich allerdings nur in der relativ pauschalen Form falsifizieren, dass der Schutz der Versicherten kein Leitmotiv war, sondern schlichtweg die Etablierung der jeweiligen Lebensversicherung. Hier zeigen sich die Grenzen der rechtshistorischen Untersuchung: Zum einen standen adäquate Quellen zu den Versicherteninteressen nicht zur Verfügung oder wurden nicht ausgewertet, und zum anderen ist die Untersuchung eben keine sozial- und wirtschaftshistorische Studie, die quantitative Angaben ermittelt und analysiert, also auch solche zu Bilanzen, Dividenden, Gratifikationen bzw. Tantiemen und Bestandsentwicklung, d. h. dem eigentlichen „Geschäft“. Auch die schwierige Frage nach den Rechnungsgrundlagen wird nicht gestellt und beantwortet – die Verfasserin untersucht nur Gründungen bis 1843, in diesem Jahr aber wurde erstmals die Tafel der 17 englischen Gesellschaften veröffentlicht! Insgesamt handelt es sich um eine nützliche und solide Dissertation, die den Forschungsstand gut lesbar zusammenfasst, aber nicht wesentlich fortführt. Eine Fortführung der „Geschichte“ dieser Gründerunternehmen über die Gründungsphase hinaus, mindestens bis zum Jahr 1914, mit einer Darstellung des zunehmend dichteren Gesamtgeflechts der Bezüge einschließlich der Kodifikationen und der Konkurrenz wäre sehr wünschenswert gewesen, Quellenmaterial dazu gibt es in Hülle und Fülle, vor allem dann, wenn man Zeitschriften und Zeitungen einbezieht. Aber eine Dissertation hat ja meist einen begrenzten Zweck. Kassel Florian Tennstedt (Prof. Dr. Florian Tennstedt, Universität Kassel, Fachbereich 4: Sozialwesen, Institut für Sozialpolitik und Organisation Sozialer Dienste, Arnold-Bode-Straße 10, D-34109 Kassel) Martin Lengwiler, Risikopolitik im Sozialstaat. Die schweizerische Unfallversicherung 1870-1970 (Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte 69). Böhlau, Köln/ Weimar/ Wien 2006, 445 S., € 54,90. Seit ihrem Entstehen hat die Sozialversicherung sehr nachhaltig einzelne Lebensformen verändert. Sie hat zur Medikalisierung der Bevölkerung beigetragen und der modernen Gesellschaft einen Weg aufgezeigt, wie sie zentralen Risiken der Arbeits- und Lebenswelt zu begegnen hat. Betrachtet man diesen Umgang mit Risiken in seiner historischen Entwicklung, so wird neben dem veränderten Vorgehen der direkt Beteiligten auch die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz dieser Rezepte deutlich. Der Autor, Privatdozent für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich, untersucht diesen Wandel am Beispiel der staatlichen Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) für den Zeitraum seit ihrer Gründung im Jahre 1918 bis etwa 1970. Er geht davon aus, dass die Sozialversicherungen Schlüsselinstitutionen sind „für die Rationalisierung und Verwissenschaftlichung von Risikoperzeptionen und risikobezogenen Verhaltensmustern“, wobei sie verschiedene Risiken der Industriegesellschaft mit den Mitteln der Statistik und Wahrscheinlichkeitsmathematik kalkulierbar sowie durch den Einsatz der wissenschaftlichen Expertise auch politisch regelbar gemacht haben. Mit der Institutionalisierung dieser so gearteten Risikopolitik habe der moderne Sozialstaat auf die Soziale Frage des ausgehenden 19. Jahrhunderts geantwortet. Dabei konnte die wissenschaftliche Expertise bzw. die Verwissenschaftlichung von Risiken neben den Zwangsinstrumenten der Unfallversicherung entscheidend zu deren Akzeptanz und zu einem veränderten Verhalten der Versicherten gegenüber Unfallrisiken beitragen. Der Verfasser zeigt Schritt für Schritt auf, wie sich die wissenschaftliche Expertise auf der Grundlage von entsprechenden Statistiken zu einer „politischen Vertrauenstechnologie“ entwickelte, wie Versicherungsleistungen kal- Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 171 08.01.2009 6:32:37 Uhr 172 Rezensionen kuliert wurden und sich die Beteiligten über das beste Finanzierungssystem gestritten haben. Auch im Falle der Suva standen den Verfechtern des Kapitaldeckungsverfahrens diejenigen des Umlageverfahrens gegenüber. Ausführlich geht Martin Lengwiler auf die Risikoforschung in der Arbeits- und der Lebensversicherungsmedizin ein. Er behandelt den Einfluss der amerikanischen Safety First-Bewegung, diskutiert das Gendering der Risikowahrnehmung und behandelt die Kontroversen zwischen Suva, Ärzten und Arbeitnehmern. Die Grenzen der Verwissenschaftlichung im Versicherungsalltag zeigt er am Beispiel der Silikose auf, er dokumentiert die Institutionalisierung der Unfallprävention nach 1945 sowie am Beispiel der Verkehrssicherheit den Lernprozess der Versicherten. Die Ergebnisse sind in drei Thesen zusammengefasst: (1.) die Verwissenschaftlichung erfolgte nicht in Form eines deduktiven Anwendungsprozesses, sondern in Wechselwirkung „zwischen wissenschaftlicher Expertise und institutionellem Wirkungsfeld“; (2.) der Verwissenschaftlichungsprozess stieß an seine Grenzen wegen der überlieferten Risikowahrnehmung der Arbeiter, der Gutachterverfahren sowie der tagespolitischen Schwerpunktsetzungen; (3.) die staatliche Unfallversicherung fand trotz zahlreicher Kontroversen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Institution eine breite Zustimmung, und zwar nicht so sehr auf der Grundlage wissenschaftlicher Expertisen, sondern vielmehr als Folge organisatorischer Umstände, insbesondere infolge ihrer „korporatistisch-partizipatorischen Entscheidungsstrukturen“. Es waren vor allem die mit Vertretern unterschiedlicher Gruppen besetzten Gremien der Sozialversicherung, die sich als hoch effiziente Schlichtungsinstrumente erwiesen. Die gesamte Studie zeigt höchst eindrucksvoll die Verwissenschaftlichung von Risiken in der Berufswelt, die Veränderung in der allgemeinen Einstellung zu diesen Risiken sowie die Entwicklung des Risk Managements bis 1970. Das Buch besticht durch seine Fragestellung und seinen wissenschaftlichem Ansatz. Martin Lengwiler hat eine bemerkenswerte Studie vorgelegt, die von der Konzeption und den Ergebnissen her zweifelsohne Vorbildcharakter hat, auch wenn dies nicht für die teilweise sehr komplizierte Sprache gilt. Marburg/ Lahn Peter Borscheid (Prof. Dr. Peter Borscheid, Universität Marburg, FB Geschichte und Kulturwissenschaften, Wilhelm-RöpkeStr. 6c, D-35032 Marburg/ Lahn) Historische Gesellschaft der Deutschen Bank (Hrsg.), Die Deutsche Bank in Hannover (Die Deutsche Bank in Einzelbänden 9). Piper, München 2007, 148 S., € 7,90. Die Deutsche Bank in Hannover kann im Jahre 2007 auf eine 150-jährige Vergangenheit zurückschauen, obwohl die Deutsche Bank – wie bekannt – erst 1870 in Berlin gegründet wurde und somit erst 137 Jahre alt ist. Dieser Widerspruch ist aufhebbar, denn 1857 wurde die Hannoversche Bank als Vorläufer der Deutschen Bank im damaligen Königreich Hannover gegründet. Sie war die Notenbank des Staates und auch die bedeutendste private Geschäftsbank. Der erste Kontakt der Hannoverschen mit der Deutschen Bank datiert auf das Jahr 1897, als die Berliner auf der Suche nach Verbindungen mit führenden Regionalbanken waren und die Hannoversche Bank ihr Kapital erhöhte. So entwickelte sich eine durch gegenseitige Interessen begründete Gemeinschaft mit entsprechenden Vertretungen im Aufsichtsrat. Insbesondere durch die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges und die dadurch bedingte ansteigende Inflation war die Ertragskraft der Regionalbank im Nordwesten derart geschwächt, dass Ende 1920 die Fusion mit der Deutschen Bank eingegangen wurde und die Firmenbezeichnung fortan „Hannoversche Bank Filiale der Deutschen Bank“ lautete. Im Wesentlichen waren die Geschäfte Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 172 08.01.2009 6:32:37 Uhr 173 Rezensionen dieselben wie vor der Fusion: Kunden und Personal änderten sich kaum. Im Jahre 1932 wurde dann der Name „Hannoversche Bank“ aus der Firma entfernt. An die Zeit des Nationalsozialismus, in der die Bank ab den Kriegsjahren von 1940 bis zum Einmarsch US-amerikanischer Verbände am 10. April 1945 nicht nur einen Kampf um das ökonomische, sondern vor allem um das körperliche Überleben zu überstehen hatte – noch Ende März 1945 wurde das Gebäude am Georgsplatz schwer getroffen –, schloss sich die Phase der Zerschlagung und Rezentralisierung an, zunächst als Bank unter britischer Militärverwaltung von 1945 bis 1952 und dann als „Norddeutsche Bank AG“ in Hannover von 1952 bis 1957. Seit 1957 – also vor 50 Jahren – firmiert das Finanzunternehmen in der traditionellen Form als „Deutsche Bank“ in Hannover. Das Geschäft des Instituts ist nun geprägt von neuen Produkten und neuen Strukturen im Filialgeschäft. Für die Gesamtbank ist die Deutsche Bank in Hannover eine der wichtigsten Hauptfilialen im Inland mit Fokus auf den Osten des Bundeslandes Niedersachsen. Mit der wachsenden Bedeutung als internationale Messestadt hat die Deutsche Bank in Hannover von dem Standort profitiert – vor allem als exportfinanzierende Institution und als Anbieter von Finanzsektor-Innovationen auf der Computermesse CeBIT. Die vorliegende Publikation besteht im wesentlichen aus zwei Teilen: dem historischen Teil, der von Martin L. Müller, seit 2006 Leiter des Historischen Instituts der Deutschen Bank in Frankfurt am Main, verfasst wurde, und der abschließende Teil „Die Deutsche Bank in Hannover heute“, der von der Geschäftsleitung verantwortet wird. Dazu kommen Übersichten über die leitenden Personen seit der Gründung. Die sechs historischen Hauptteile der Publikation: „Das Königreich Hannover und seine Wirtschaft“, „Die Hannoversche Bank (1856-1920)“, „Der Bankplatz Hannover nach 1900 und die Filiale der Disconto-Gesellschaf“, „Die Filiale der Deutschen Bank (1920-1945)“, „Zerschlagung und Rezentralisierung (1945-1957)“ und „Die Deutsche Bank in Hannover seit 1957“ sind in gut lesbarem Duktus geschrieben und sorgfältig aus den Quellen und Akten, heute Archivbestandteile des Historischen Instituts der Deutschen Bank, erarbeitet. Zahlreiche gut ausgewählte Illustrationen tragen dazu bei, das Interesse des Lesers an dem zuweilen spröden Stoff zu steigern. Hervorzuheben ist, dass es dem Verfasser sehr gut gelingt, die historische Entwicklung der Bank in ihrem Umfeld dazustellen. So bleibt nicht unerwähnt, dass der spätere Reichspräsident Paul von Hindenburg, der in Hannover ehrenvoll als General-Feldmarschall im Ruhestand wohnte, der prominenteste Kunde der hannoverschen Filiale war. Müller schreibt in seiner Übersicht „Das Königreich Hannover und seine Wirtschaft“: „Nach dem Tod König Wilhelms IV. (von Großbritannien) folgte ihm seine Tochter (sic!) auf den englischen Thron“ (S. 10). Wie bekannt, starb der Monarch kinderlos. Die spätere Königin Victoria war die Tochter seines jüngeren Bruders Edward, Herzog von Kent. Der Autor hätte hier ein genealogisches Nachschlagewerk konsultieren sollen. Im Darstellungsteil über die Zeit des Nationalsozialismus wird auch den politisch durchgesetzten Überführungen von Vermögen und Firmen aus jüdischem in nichtjüdisches Eigentum nachgegangen und dargelegt, inwieweit die Gesamt- und die Filialbank in den Prozess der „Arisierung“ involviert waren. Eine genaue Fallzahl für die Deutsche Bank in Hannover konnte Müller nicht feststellen, aber Einzelfälle wie die Metall- und Farbwerke in Oker/ Harz und die Bekleidungsfirma Gödecke & Mittelmann in Celle. Für den historischen Teil kann konstatiert werden, dass Darstellung, Gewichtung und Wertung mit klugem Augenmaß vorgenommen werden. Für den numismatisch Interessierten ist von Interesse, dass die Deutsche Bank in Hannover im Jahre 1983 das ehemalige Königliche Münzkabinett zu Hannover erworben hat und Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 173 08.01.2009 6:32:38 Uhr 174 Rezensionen seitdem einen Ausstellungsraum im Hauptgebäude am Georgsplatz unterhält. Bremen Dieter Leuthold (Prof. Dieter Leuthold, Sprecher des Instituts für Unternehmensgeschichte IFUG, Hochschule Bremen, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Werderstraße 73, D28199 Bremen) Caroline Fohlin, Finance Capitalism and Germany’s Rise to Industrial Power. Cambridge University Press, Cambridge 2007, 392 S., £ 48,–. Seit etwa einem Jahrzehnt ist Caroline Fohlin eine der produktivsten Wissenschaftlerinnen im Bereich der deutschen Bankengeschichte. Ihr jüngst erschienenes Buch „Finance Capitalism and Germany’s Rise to Industrial Power“ fasst die Ergebnisse ihrer Forschung zusammen, stellt sie in einen Zusammenhang und ergänzt sie um Ausführungen zur Börsengeschichte. Insgesamt ist das Buch gut gelungen. Es sei jedoch sogleich darauf hingewiesen, dass es – ebenso wie die Aufsätze von Caroline Fohlin – einen sehr starken Fokus auf die zwei bis drei Dekaden vor dem Ersten Weltkrieg sowie auf die Beziehungen zwischen Aktienkreditbanken und Industrieaktiengesellschaften hat. Die Bedeutung anderer Typen von Kreditinstituten sowie die Beziehungen zwischen den Akteuren innerhalb der Banken werden nahezu vollständig aus der Untersuchung ausgeblendet. Im ersten Kapitel führt Fohlin aus, dass sie durch neue und bekannte Evidenz ein möglichst genaues und ausgewogenes Bild des deutschen Finanzsystems zeichnen und zu vielen, teilweise seit Generationen geführten Kontroversen beitragen möchte (S. 7). Dazu wird in Kapitel 2 zunächst ein Überblick über die deutsche Bankengeschichte, vor allem die Kontroverse über den Einfluss von Großbanken auf die Industrialisierung, gegeben. Dem folgt in Kapitel 3 ein Abriss der gän- gigen theoretischen Überlegungen bezüglich Banken und Wertpapiermärkten. Die nun folgenden Kapitel 4 bis 6 bilden das Kernstück der Monographie; in ihnen werden zahlreiche Hypothesen zur Bedeutung der Aktienkreditbanken für die deutsche Industrialisierung neu untersucht. In Kapitel 4 stellt Fohlin die aggregierte Entwicklung des Bankensektors, den Anteil der Aktienkreditbanken daran sowie die Bilanz- und Gewinnstruktur der Aktienkreditbanken dar. Dies geschieht nahezu ausschließlich auf Grundlage der bereits 1976 von der Bundesbank veröffentlichten Daten, sodass die Darstellung nicht neu, aber durchaus informativ und übersichtlich ist. Des Weiteren wird die Unternehmenskonzentration innerhalb des Aktienkreditbankensektors dargestellt. Ein interessantes Resultat ist, dass zwar die Konzentration im deutschen Bankensektor angestiegen, in Deutschland jedoch geringer geblieben ist als in England. Zudem untersucht Fohlin, ob es eine dynamische Korrelation zwischen dem Wachstum der Bilanzsumme der Aktienkreditbanken und dem Wirtschaftswachstum gab; sie kann keinen statistisch signifikanten Zusammenhang finden und lehnt damit die klassische Hypothese ab, dass die Großbanken kausal für die Industrialisierung gewesen seien. Dieses Ergebnis basiert jedoch lediglich auf Daten für die Periode 1895-1913, sodass schon aufgrund der geringen Zahl der Beobachtungen kein statistisch signifikanter Zusammenhang zu erwarten war. Unklar bleibt auch, warum Fohlin nicht auf die vorliegenden Daten zur aggregierten Bilanzsumme der Aktienkreditbanken und zur Konzentration der Aktienkreditbanken während der Jahre 1848 bis 1882 zurückgegriffen hat. Unter dem Schlagwort „Corporate Governance“ behandelt Fohlin in Kapitel 5 die Beziehungen zwischen Aktienkreditbanken und Industrieaktiengesellschaften. Dabei reduziert sich Fohlins Verständnis von „Corporate Governance“ weitgehend auf die Mitgliedschaft von Bankiers in den Aufsichtsräten der Industrieaktiengesellschaften. Zunächst wird überzeugend dargelegt, dass Banken kaum am Ak- Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 174 08.01.2009 6:32:38 Uhr 175 Rezensionen tienkapital von Industrieaktiengesellschaften beteiligt waren und ihre Macht vermutlich ihren Grund in der Ausübung von Depotstimmrechten hatte. Da zum Depotstimmrecht und zur Eigentümerstruktur jedoch keine Daten vorliegen, kann diese Hypothese weder gestützt noch verworfen werden. Bei den Beziehungen zwischen Banken und Industrie konzentriert sich Fohlin auf die Verbindungen durch Aufsichtsratsmandate. Sie zeigt, dass Banken vor allem in solchen Unternehmen vertreten waren, die an der Börse notiert waren, wohingegen die Abhängigkeit von Fremdkapital kein Grund für die Wahl eines Bankvertreters in den Aufsichtsrat war. Dieses Ergebnis ist überzeugend dargelegt, allerdings nur für die beiden Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg. In Kapitel 6 untersucht Fohlin, ob die Beziehungen von Industrieunternehmen mit Banken über Aufsichtsratsmandate die Gewinne dieser Unternehmen und deren Investitionsverhalten positiv beeinflusst haben. Ein solcher Zusammenhang kann nicht aufgefunden werden. Allerdings stellt sich heraus, dass börsennotierte Unternehmen eine durchschnittlich bessere Entwicklung aufwiesen als Industrieunternehmen, die nicht an der Börse notiert gewesen sind. Die zentralen Ergebnisse der Kapitel 5 und 6 zeigen, dass die Notierung von Unternehmen an der Börse und nicht die Beziehungen zwischen Unternehmen und Banken relevant waren. Dieses Ergebnis ist mutig und läuft dem typischen Bild des bankbasierten Finanzsystems zuwider. Kapitel 7, in dem das Börsengeschäft untersucht wird, ist daher der innovative Beitrag von Fohlins Buch. Zunächst beschreibt Fohlin die Entwicklung des Börsenwesens in Deutschland und untersucht, ob regulative Eingriffe des Staates die Börsenentwicklung beeinflussten. Sie kommt zu dem Schluss, dass weder das Börsengesetz noch die steigenden Börsensteuern die Entwicklung des Aktienmarktes wesentlich beeinflussten. Des Weiteren stellt sie fest, dass sich Banken und Börse nebeneinander entwickeln konnten: Die Banken hatten die Entwicklung der Börse nicht ver- oder behindert. Dies zeigt sich vor allem daran, dass die Entscheidung eines Industrieunternehmens, sich an einer Börse notieren zu lassen, von der Unternehmensgröße und nicht von engen Beziehungen zu einer Bank abhing. Auch wenn die Kreditbanken den Börsengang durchführten, waren sie für die Entscheidung zum Börsengang nicht ausschlaggebend. Das nun folgende achte Kapitel fasst auf 50 Seiten die deutsche Bank- und Börsengeschichte vom Ersten Weltkrieg bis zur frühen Bundesrepublik zusammen. Das Kapitel ist viel zu kurz, um der Materie gerecht zu werden, und hätte daher entfallen können. Kritisch angemerkt sei zudem, dass Fohlin Ergebnisse aus der Unternehmensgeschichte, die neueste Forschung zur Bank- und Börsengeschichte der Gründerjahre sowie Monographien zur Börsengeschichte nicht berücksichtigt. Auch die verwendeten quantitativen Daten sind teilweise veraltet. Beispielsweise verwendet Fohlin den von Donner im Jahre 1934 berechneten Aktienindex und nicht die neueren Zeitreihen von Eube oder Ronge.19Auch ist es manchmal schwierig, die Herkunft von Fohlins Daten zu überprüfen, da die Quellen nicht genannt werden. Insgesamt ist das Buch von Fohlin jedoch ein gut gelungener Beitrag zur quantitativen Geschichte der Aktienkreditbanken im Kaiserreich. Bonn Carsten Burhop (PD Dr. Carsten Burhop, Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Kurt-SchumacherStr. 10, D-53113 Bonn) 19 Otto Donner, Die Kursbildung am Aktenmarkt. Grundlagen zur Konjunkturbeobachtung an den Effektenmärkten (Vierteljahrshefte zur Konjunkturforschung, Sonderheft 36). Hamburg 1934; Steffen Eube, Der Aktienmarkt in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg: eine Indexanalyse (Schriftenreihe des Instituts für Kapitalmarktforschung – Center for Financial Studies an der Johann-Wolfgang-GoetheUniversität Frankfurt am Main, Monographien 17). Frankfurt am Main 1998; Ulrich Ronge, Die langfristige Rendite deutscher Standardaktien. Konstruktion eines historischen Aktienindex ab Ultimo 1870 bis Ultimo 1959 (Europäische Hochschulschriften, Reihe V: Volks- und Betriebswirtschaft 2901). Frankfurt am Main et al. 2002. Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 175 08.01.2009 6:32:38 Uhr 176 Rezensionen Ferdinand von Weyhe, A. E. Wassermann. Eine rechtshistorische Fallstudie zur „Arisierung“ zweier Privatbanken (Rechtshistorische Reihe 343). Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main et al. 2007, 187 S., € 41,10. Die „Arisierung“ der deutschen Wirtschaft in der Zeit des Nationalsozialismus war in den letzten Jahren wiederholt Gegenstand der wirtschaftshistorischen Forschung. Mit der Rolle der Großbanken als Kollaborateure und Profiteure des Regimes rückte auch die Frage nach der „Entjudung“ des deutschen Bankwesens in den Blickpunkt. Mittlerweile liegen gerade zur „Arisierung“ der Privatbanken, also der bankbetrieblichen Personen- und Einzelunternehmen, zahlreiche Studien vor. Sie beschäftigen sich mit der Verdrängung jüdischer Bankiers aus dem Privatbanksektor mittels vergleichender Branchen- und vertiefender Einzelfallstudien. Immer geht es dabei um die wirtschaftliche Ausschaltung von zuvor ökonomisch oft sehr erfolgreichen und sozial angesehenen Mitgliedern der deutschen Wirtschaftselite, mit deren Verdrängung der traditionsreiche Bankentypus der Privatbanken in seiner Gesamtheit marginalisiert wurde und nahezu vollständig von der Bildfläche des deutschen Wirtschaftslebens verschwand. Der Rechtshistoriker Ferdinand von Weyhe fügt der historischen Rekonstruktion des Verdrängungsprozesses in diesem Sektor eine Fallstudie hinzu. Die vorliegende Fassung seiner 2006 an der Universität Regensburg fertiggestellten Dissertation behandelt die „Arisierung“ der beiden Bankhäuser A. E. Wassermann in Berlin und Bamberg. Hierbei handelt sich um alteingesessene Banken mittlerer Größe, die sich auf die Industriefinanzierung der regionalen Wirtschaft (Bamberg) bzw. auf den internationalen Effekten-, Devisen- und Rembourshandel (Berlin) spezialisiert hatten. Besondere Bedeutung kam den Banken nach der „Machtergreifung“ durch die Förderung jüdischer Emigration im Rahmen der Paltreu (Palästina-Treuhandstelle zur Beratung deutscher Juden) bzw. des Haava- ra-Abkommens zu. Beide wurden 1938 auf ähnliche Art und Weise „arisiert“, indem der Firmenbesitz der Familie Wassermann in die Hände betriebsfremder Nachfolger überging. Die Arbeit gliedert sich in vier chronologisch angelegte Kapitel. Einleitend werden die Unternehmen vorgestellt. Beide Bankhäuser besaßen in den 1920er Jahren trotz wachsender Konkurrenz durchaus noch gute Wachstumsbedingungen. Großen Anteil hieran hatte die geglückte Aufgabenteilung zwischen den beiden Banken der Familie. Die Hauptstadtniederlassung überflügelte das Bamberger Stammhaus aufgrund ihrer Erfolge am Berliner Börsenplatz rasch und emanzipierte sich 1928 auch rechtlich von der Muttergesellschaft. Die Verbindung zwischen den Bankhäusern wurde allerdings durch gemeinsame Geschäfte und enge personelle Überschneidungen in der Geschäftsleitung aufrechterhalten. Die Bamberger Bankleiter Albert und Julius Wassermann waren formell auch Teilhaber des Berliner Geschäftes. Umgekehrt waren seitdem die aus einem zweiten Familienzweig stammenden Inhaber der Berliner Bank, Max und Georg von Wassermann sowie Sigmund Wassermann und der einzige externe Teilhaber Joseph Hambuechen, passive Partner des ehemaligen Stammhauses. Von Weyhe zeigt im zweiten Kapitel wie sich die Geschäftstätigkeit der jüdischen Privatbanken nach 1933 einengte. Die Banken sahen sich vermehrt auf einen jüdischen Kundenkreis zurückgeworfen und mussten im Alltagsgeschäft erhebliche Einbußen einstecken. In der Beschreibung der zunehmenden Diskriminierung jüdischer Unternehmer konzentriert sich der Autor stark auf eine rechtliche Ebene und rekapituliert die Entwicklung der antijüdischen Gesetzgebung des NS-Regimes. In Anlehnung an die mittlerweile über vierzig Jahre alte Studie von Helmut Genschel beschreibt er den wirtschaftlichen Verdrängungsprozess in Phasen. Nach einer Zeit der anfänglichen antijüdischen Angriffe sorgten Schachts „schützende Hand“ und außenpolitische Rücksichtnahmen in Zeiten der Olympiade 1936, so von Weyhe, für eine zeitwei- Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 176 08.01.2009 6:32:38 Uhr 177 Rezensionen lige Beruhigung des Verfolgungsdrucks, der dann schließlich 1937/38 wieder anhob und in der staatlich legitimierten Ausschaltung jüdischer Wirtschaftstätigkeit mündete. Für den Fortgang der Analyse wirkt diese starre Phaseneinteilung, die mittlerweile in der Forschung vielfach in Frage gestellt wurde, eher hinderlich. Dies fällt gerade vor dem Hintergrund auf, dass der Autor, sobald er den Blick von der übergeordneten Ebene auf sein Fallbeispiel lenkt, sehr facettenreich unterschiedlichste Diskriminierungs- und Verfolgungsinstrumente aufführt, die von zahlreichen Partei- und Verwaltungsstellen schon vor 1938 gegen die Bankhäuser eingesetzt wurden. Detailliert setzt sich die Studie mit der Verdrängung der Wassermann-Privatbankiers aus den Aufsichtsräten von Industrieunternehmen und dem Verlust von Firmenbeteiligungen auseinander. Auch wurde die Bank schon 1936 – also in der Phase der lange Zeit angenommenen Schonfrist für jüdische Wirtschaftstätigkeit – von den Finanzbehörden der Devisenvergehen und von der nationalsozialistischen Hetzpresse der Steuerhinterziehung beschuldigt. Diese direkten Angriffe gegen ihre Unternehmen prägten die Verfolgungserfahrungen der jüdischen Bankiers sicherlich nachhaltig. Mit der Aufnahme der „arischen“ Bankiers Bernstorff und Joachim von Heinz in den Kreis der Berliner Teilhaber versuchte die Familie schon 1937, dem steigenden „Arisierungsdruck“ der Behörden entgegenzuwirken. Beide Banken wurden 1938 schließlich durch das Ausscheiden der jüdischen Besitzerfamilie und die Aufnahme befreundeter nichtjüdischer Bankiers aus dem Kundenumfeld in die Geschäftsleitung „arisiert“. Auf der Basis der vorliegenden „Arisierungsverträge“ ist die Studie in der Lage, die technische Abwicklung der Übernahme genau zu rekonstruieren. Eine Stärke der Arbeit ist dabei nicht nur, die Schwierigkeiten der finanziellen Auseinandersetzung und der Neufundierung mit Kapital im Zuge der Umformierung der Geschäftsleitung aufzuzeigen, sondern sich durch ausführliche biographische Notizen auch der Motive und dem Verhalten der Erwerber anzunähern. Trotz einer auf den ersten Blick „freundschaftlichen Arisierung“ kam es auch hier wie in zahlreichen vergleichbaren „Arisierungsfällen“ im Privatbankwesen zu einer zweifelhaften Festlegung der „Verkaufspreise“ mittels einer Unterbewertung der Geschäftssubstanz (insbesondere der Wertpapiere) und des Goodwill. Allein der finanzielle Verlust der Bankiers belief sich nach Feststellung der Wiedergutmachungsbehörden aus dem Jahr 1956 auf umgerechnet 350.000 DM. Die psychologische Wirkung von persönlicher Verfolgung und dem Verlust des familieneigenen Unternehmens ist dagegen kaum messbar. Die solide recherchierte Studie wartet mit einigen neuen Quellen und Erkenntnissen zur „Arisierung“ der Wassermann-Bankhäuser auf. Dabei erweist sich der rechtshistorische Zugriff als zweischneidiges Analyseinstrumentarium. Einerseits werden die vorliegenden Vertragsunterlagen kompetent analysiert und damit neue Einblicke in die „Techniken“ der Übernahme von Privatbanken im Zuge eines Inhaberwechsels gewonnen. Andererseits werden diese Ergebnisse aber allzu oft durch eher allgemeine Aussagen über die formale Inkraftsetzung und Umsetzung antijüdischer Gesetze verzerrt und letztlich ungenügend in den historischen Kontext des Verdrängungsprozesses eingebettet. Alles in allem handelt es sich um eine gute, in ihrer Aussagekraft aber begrenzte Studie, die den Forschungsstand zur „Arisierung“ der Privatbanken zu ergänzen, nicht aber grundlegend zu erweitern vermag. Göttingen Ingo Köhler (Dr. Ingo Köhler, Georg-August-Universität Göttingen, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Platz der Göttinger Sieben 5, D-37073 Göttingen) Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 177 08.01.2009 6:32:38 Uhr 178 Rezensionen Schweizerische Nationalbank (Hrsg.), Die Schweizerische Nationalbank 19072007. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2007, 865 S., € 64,–. Die Entwicklung moderner Finanzsysteme im 20. Jahrhundert hat gezeigt, wie groß der Stellenwert einer leistungsfähigen Zentralnotenbank und der von ihr praktizierten Geldpolitik ist. Durch ihre Intervention ließen sich Finanzkrisen entscheidend mildern, durch ihr Zögern bei der Festlegung der Geldpolitik wurden Verwerfungen im Bankwesen verschärft. Sowohl für die positiven als auch für die negativen Auswirkungen der Notenbankpolitik gibt es in der europäischen Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts ausreichend Beispiele. Die Geschichte der Notenbanken bildet daher seit langem einen wichtigen Forschungsschwerpunkt der ambitionierten bankhistorischen Forschung. Eine Fülle von Arbeiten wurde zu diesem Komplex inzwischen publiziert, einschließlich voluminöser Festschriften, die zumeist anlässlich eines Notenbankjubiläums erschienen. Nach der Bank of England, der Österreichischen Nationalbank und der Deutschen Bundesbank folgt nun die Schweizerische Nationalbank (SNB), die ihre Geschichte von 1907 bis 2007 anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens in einem von ihr herausgegebenen Sammelband Revue passieren lässt. Diese ebenfalls voluminöse Publikation gliedert sich in drei Teile: Teil 1 behandelt die ersten 75 Jahre ihres Bestehens, Teil 2 die letzten 25 Jahre, während in Teil 3 die schweizerische Geldpolitik seit den 1980er Jahren ebenso thematisiert wird wie aktuelle geld- und währungspolitische Fragen. Bei den Autoren des ersten und des dritten Teils handelt es sich um international renommierte Wissenschaftler aus den Disziplinen der Bankgeschichte bzw. der Geld- und Währungspolitik, während die Beiträge des zweiten Teils überwiegend von Mitarbeitern der Schweizerischen Notenbank selbst verfasst wurden. Der erste Teil des Bandes besteht aus zwei großen Beiträgen. Zunächst behandeln Micha- el Bordo und Harold James die Geschichte der SNB von ihrer Gründung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Dabei zeigen sie, dass die SNB bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs wie viele andere Zentralnotenbanken in Europa die Konvertibilität der Banknoten in Gold aufgeben musste, was im Verlauf des Kriegs zu einer – für die heutigen Schweizer Verhältnisse fast undenkbaren – massiven Geldentwertung führte. Nach Ende des Ersten Weltkriegs gelang es der SNB jedoch relativ schnell, durch eine rigide Geldpolitik die Inflation deutlich abzubauen und zu stabilen Währungsverhältnissen zurückzukehren. Ende 1924 war sie eine der ersten Notenbanken in Mitteleuropa, welche de facto die alte Vorkriegsparität und damit den Goldstandard wiederherstellen konnte. Gerade durch ihre rigide Geldpolitik entwickelte sich die Schweiz in dieser Zeit zu einer Insel der währungs- und finanzpolitischen Stabilität sowie zu einer wichtigen Drehscheibe des internationalen Geldverkehrs, während andere Länder in Mitteleuropa längerfristig mit instabilen Geld- und Währungsverhältnissen zu kämpfen hatten. Vor diesem Hintergrund konnte die SNB ihre erfolgreiche Geldpolitik auch in der Weltwirtschaftskrise und der Zeit der großen währungspolitischen Verwerfungen zu Beginn der 1930er Jahre fortsetzen, wie Bordo und James plausibel nachweisen können. Die Goldbindung des Schweizer Franken galt auch während des gesamten Zweiten Weltkriegs und wurde damit zu einem wesentlichen Faktor der Währungsstabilität. Bordo und James kommen daher zu der Schlussfolgerung, dass die SNB bis 1945 eine ausgesprochen positive Rolle für die Währungsstabilität und die Etablierung der Schweiz als wichtigen internationalen Finanzplatz spielte. Die beiden Autoren verschweigen jedoch nicht, dass die Goldgeschäfte der SNB mit der Deutschen Reichsbank während des Zweiten Weltkriegs aus politischen, vor allem aber aus moralischen Gründen verwerflich waren, da die Leitung des Züricher Instituts keinerlei Skrupel zeigte, sich im Handel mit geraubtem und konfisziertem Gold zu engagieren. Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 178 08.01.2009 6:32:38 Uhr 179 Rezensionen Peter Bernholz zeigt im zweiten Beitrag des ersten Teils, dass die Politik der SNB in der Zeit vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Übergang zu flexiblen Wechselkursen im Jahr 1973 von zwei Leitmotiven geprägt war: Zum einen hielt sie an der Konvertibilität des Frankens in Gold fest, zum anderen konnte sie erfolgreich ihr Ziel umsetzen, die Geldmenge im engen Einklang mit der Gütermenge bzw. der Gesamtwirtschaft wachsen zu lassen. Zudem beteiligte sich die SNB zunehmend an internationalen Kredit- und Währungsoperationen, um das durch Geldentwertung bedrohte Weltwährungssystem so lang wie eben möglich aufrechtzuerhalten. Bernholz kann dabei deutlich machen, welche bedeutende Rolle die Direktoren der SNB in diesem Kontext spielten. Weder die Interventionen der SNB noch ihre Zusammenarbeit mit anderen Notenbanken konnte jedoch verhindern, dass die Prinzipien des lange Zeit geltenden Fixkurssystems infolge der wachsenden Dollarschwemme und der weltweiten Inflation aufgegeben werden mussten. Die SNB versuchte seit Mitte der 1970er Jahre, den Zufluss ausländischer Gelder und damit die Aufwertung des Frankens in Grenzen zu halten. Ihr Ziel, dem seit Mitte der 1970er Jahre existierenden europäischen Währungsverbund beizutreten, ließ sich aufgrund des französischen Vetos nicht realisieren, wie Bernholz auf der Grundlage bisher nicht zur Verfügung stehender Quellen aus den Archiven der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, der Bank of England und der SNB zeigen kann. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass die SNB in dieser Periode der Neuausrichtung der internationalen Währungspolitik ihren Stabilitätskurs erfolgreich fortsetzen konnte, wodurch sich die Position der Schweiz als Finanzplatz von internationalem Rang ausbauen ließ. Die Beiträge des zweiten Teils behandeln neben der Geld- und Währungspolitik der letzten 25 Jahre die Rolle der SNB im internationalen Zahlungsverkehr, in der Währungspolitik und bei der Aufrechterhaltung der Finanzstabilität. Einige Beiträge gehen zudem auf die Reform der Geld- und Währungsver- fassung sowie auf bestimmte Aspekte des operativen Geschäfts der SNB ein, zu denen auch die Auseinandersetzung um die Rolle des Instituts während des Zweiten Weltkriegs gehört. Die Beiträge des dritten Teils richten sich ausschließlich an ein spezifisches Fachpublikum und sind daher in englischer Sprache verfasst. Sie befassen sich fast ausschließlich mit aktuellen Fragen der Finanz- und Währungspolitik und verlassen daher das Feld der bankhistorischen Forschung. Dennoch decken die Beiträge des vorliegenden Bandes, vor allem die des ersten Teils, ein großes Spektrum des Entwicklungswegs der SNB während der letzten 100 Jahre ab. Als Essenz lassen sie deutlich werden, wie groß der Stellenwert der Zentralnotenbank in der Schweiz sowohl mit Blick auf die erfolgreiche Verteidigung der Währungsstabilität war als auch – darauf basierend – für die Etablierung des Landes als internationaler Finanzplatz. Die Geschichte der SNB während der letzten einhundert Jahre wird damit auch zu einem Lehrstück für erfolgreiche Notenbankpolitik in Europa. Bremen Harald Wixforth (Dr. Harald Wixforth, Universität Bremen, FB 08 – Sozialwissenschaften, Institut für Geschichtswissenschaft, Bibliotheksstraße 1, D-28359 Bremen Ranald C. Michie, The Global Securities Market. A History. Oxford University Press, Oxford 2006, 399 S., £ 66.–. Ein Desideratum ersten Ranges steht nun in den Regalen, eine globale Geschichte der Wertpapiermärkte. Verfasst wurde sie von einem ihrer besten Kenner, Ranald C. Michie, Geschichtsprofessor in Durham. Die Arbeit schlägt einen großen zeitlichen Bogen vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Sie fußt auf den Forschungen des Autors der letzten 30 Jahre. Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 179 08.01.2009 6:32:38 Uhr 180 Rezensionen Der Autor berücksichtigt ausschließlich englischsprachige Literatur, was sich vor allem bei den frühen Kapiteln negativ bemerkbar macht. So werden weder der spätmittelalterliche Rentenmarkt einiger norddeutscher Städte noch der Kuxenhandel erwähnt, der vom 15. bis zum 17. Jahrhundert in sächsischen und fränkischen Städten stattfand und in den Jahrzehnten um 1500 eine bemerkenswerte Spekulationswelle erlebte. Die Literatur dazu ist freilich verstreut, schon etwas älter und auf deutsch geschrieben. Ein wenig mehr Informationen hätte man sich auch gewünscht über die „Weltbörsen“ Antwerpen und Lyon im 16. Jahrhundert, ihr Material, ihre Marktteilnehmer, ihre Rolle bei der Liquiditätsanlage großer Handelshäuser und die Auswirkungen der spanischen und französischen Staatsbankrotte. Auch im darauf folgenden Kapitel über das 18. Jahrhundert hätte Michie gut daran getan, über den Tellerrand der üblichen Fixierung auf London und Amsterdam hinauszublicken. So entgehen ihm sowohl die Emission und der Handel mit den Papieren der von Friedrich dem Großen angestoßenen Aktiengesellschaften wie die Entstehung und frühe Erfolgsgeschichte des Pfandbriefs, eines völlig neuen Wertpapiertyps, der von Preußen ausgehend zwei Jahrhunderte deutsche Wertpapiergeschichte schrieb. Je näher die Darstellung der Gegenwart rückt, desto vollständiger wird sie jedoch. So ist die Gewichtung des Autors in den letzten zweihundert Jahren auch aus Sicht des Rezensenten völlig in Ordnung. Obwohl (ganz zu Recht) London auch im vierten Kapitel über den Zeitraum zwischen 1850 und 1914 den breitesten Raum einnimmt, kommen doch nach und nach Paris, New York und einige deutsche Plätze hinzu und werden ausreichend gewürdigt. Amsterdam begleitet den Leser ohnehin schon zweieinhalb Jahrhunderte. Ab 1870 wird die Darstellung immer ausführlicher. Insbesondere treten nun auch Wertpapiermärkte außerhalb Europas und Nordamerikas aus dem Schatten. Je mehr Details über einen Zeitraum bekannt sind, desto mehr entfernt sich Michie von der Ereignisgeschichte traditioneller Darstellungen und desto mehr stellt er die Funktionalität historischer (und gegenwärtiger) Wertpapiermärkte in den Mittelpunkt. Dabei spielen auch rein organisatorische Aspekte eine wichtige Rolle, was der Autor sogar mit einem gesonderten Teil der Zusammenfassung am Ende des Buches hervorhebt. Bei aller Liebe zum Detail liegt die Stärke des Werkes daher nicht in seiner Vollständigkeit, sondern in der Präsentation der Fakten. Der Aufbau der einzelnen Kapitel gehorcht einem einheitlichen Schema. Den Darstellungen der wichtigsten nationalen Märkte folgt die der internationalen Finanzbeziehungen. Gut lesbare Einführungen und Zusammenfassungen zu jedem der sieben Kapitel und ein umfassendes Resümee am Ende des Buches runden das Bild ab. Klarer und stringenter hätte man es nicht machen können. Besonders erfreulich, weil gewagt und gewonnen, ist die Fortführung der Darstellung bis in die jüngste Vergangenheit, sodass dem Leser bei allen Brüchen über die Jahrhunderte die große Kontinuität der Wertpapiermärkte vor Augen geführt wird. Die grundlegenden Motive und Funktionen von Kapitalaufnahme und -anlage sind über Jahrhunderte hinweg gleich geblieben. Die Darstellung der jüngsten Zeit ist genauso klar und zielstrebig formuliert wie die des Mittelalters – bemerkenswert angesichts des Umstands, dass manch andere historische Darstellung die Faktenflut umso weniger kanalisiert, je näher sie der Gegenwart kommt. Überhaupt ist die Stärke Michies vor allem, die großen Trends und Zusammenhänge stringent aufzuzeigen und überaus lesbar und lebendig auf den Punkt zu bringen. Wer dagegen Details über Entwicklungen außerhalb Michies Fokus finden möchte, der ist nach wie vor auf die verstreute Sekundärliteratur angewiesen. Michies Buch ist eine gut lesbare und fundierte, ja brillante Zusammenfassung; das große Kompendium dagegen fehlt weiter. München Hartmut Kiehling (Dr. Hartmut Kiehling, Astallerstr. 6, D-80339 München) Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 180 08.01.2009 6:32:38 Uhr 181 Rezensionen Jonathan Kirshner, Appeasing Bankers. Financial Caution on the Road to War. Princeton University Press, Princeton, NJ et al. 2007, 233 S., $ 24,95. In seinem Buch „Appeasing Bankers. Financial Caution on the Road to War“ beschäftigt sich Jonathan Kirshner mit einem Thema, das bisher nur wenig Beachtung gefunden hat. Er untersucht den Einfluss des Finanzsektors auf die Politikformulierung und die internationalen Beziehungen, insbesondere in Konfliktzeiten. Indem er zu einem vertieften Verständnis der Rolle des Finanzsektors in Kriegs- und Konfliktzeiten beiträgt, erweitert er auch empirisches Wissen. Kirshner eröffnet sein Werk mit der Hypothese, dass der Finanzsektor eines Landes kein Befürworter von Krieg ist und eher vorsichtige und zurückhaltende Sicherheitsstrategien und -politiken bevorzugt. Mit dem Finanzsektor meint er die ganze Bandbreite von Bankiers und Banken, Finanzinstituten, Versicherungen, die unterschiedlichen Märkte, aber auch die Zentralbanken und Finanzministerien. Sein Kernargument ist also das von finanzieller Umsicht oder Vorsicht als einer Art Gesinnung und Neigung des Finanzsektors. Ein weiteres, aber sekundäres Argument ist, dass der Druck der Regierungen, die Finanzinstitute in ihrem Land zu beruhigen, auch für die internationalen Beziehungen von Bedeutung ist (S. 1): Krieg führe, so Kirshner, zu Instabilität; aber gerade die Akteure des Finanzsektors brauchen und wollen makroökonomische Stabilität, die sich wiederum auch positiv auf die internationalen Beziehungen auswirkt. Krieg hingegen wirke sich negativ auf den Wert und die Stabilität von Geld im Allgemeinen, von Wechselkursen, Staatsetats wie auch den Umgang mit finanziellen Ressourcen aus (S. 2). Regierungen im Krieg unterliegen meistens der Versuchung, mit allen Mitteln Ressourcen zum Unterhalt und zur Stärkung ihrer Armeen zu beschaffen, selbst dann, wenn die ergriffenen Maßnahmen sich negativ auf andere Bereiche oder das ganze Land auswirken; dabei spielt es keine Rolle, auf welchem Kontinent sich das Land befindet oder welche Regierungsform es besitzt. Die Finanzsektoren der jeweiligen Länder erweisen sich als diejenigen mit der größten Vor- und Umsicht in Bezug auf Krieg wie auch auf Politiken, die zu Krieg führen können. Die Motivation liegt nicht in Idealen oder in bestimmten Positionen zu einem jeweiligen Konflikt, sondern ist pragmatischer Natur. Negative Konsequenzen von Kriegshandlungen auf die Wirtschaft und Stabilität sollen schlicht vermieden werden (S. 9). Kirshner testet sein Hauptargument an einer Reihe von Fällen: (1.) der Krieg zwischen Spanien und Amerika im Jahr 1898, (2.) Japan sowie (3.) Frankreich in der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, (4.) Korea und der Anfang des Kalten Krieges und (5.) der Falklandkrieg. Dabei geht er auch auf wichtige Theorien der internationalen Beziehungen ein. Am Ende des Buchs zieht Kirshner Schlussfolgerungen und versucht unter Bezugnahme auf weitere Faktoren eine Synthese der gewonnenen Aussagen und Ergebnisse, was ihm auch gut gelingt. Im Fall des Spanisch-Amerikanischen Krieges zeigte sich, dass sich der gesamte amerikanische Finanzsektor geschlossen gegen den Krieg stellte (S. 44), während sich in Japan die Stimmung gegen den Krieg zwar hielt, der zunächst starke Einfluss des Finanzsektors jedoch bald zu Gunsten eines wachsenden militärischen Einflusses zurückging (S. 60, 70). Am Beispiel Frankreichs zeigt Kirshner, dass die finanzielle Vorsicht des Guten zu viel war und zu Übervorsicht und einem Mangel an Reaktionen führte (S. 89). Diese Vorsicht schadete somit doch der Wirtschaft und dem Land, da sie Frankreich davon abhielt, sich stärker für einen Krieg gegen Deutschland zu wappnen. In diesem Fall wäre das Land eventuell besser gefahren, so Kirshner, wenn der Finanzsektor weniger Einfluss gehabt hätte (S. 121). Auch im Fall von Korea blieb der Finanzsektor bei seiner Position gegen Krieg und forderte trotz großer Gegenkräfte makroökonomische Stabilität; bei der Wahl „zwischen Inflation und Stalin“ wurde erstere als größere Bedrohung Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 181 08.01.2009 6:32:39 Uhr 182 Rezensionen angesehen (S. 124). Auch im letzten der untersuchten Fälle war der Finanzsektor derjenige mit der stärksten Gegenposition zum Falklandkrieg, der, obgleich ein kleinerer Konflikt, welcher vergleichsweise wenig Schaden bringen konnte, doch als unnötig angesehen wurde (S. 155, 202). Insgesamt zeigen alle Fälle die Abneigung des Finanzsektors gegen Krieg und Konflikt. Im letzten Kapitel argumentiert Kirshner, dass Kriege, aber auch aggressive Sicherheitsstrategien eine destabilisierende Wirkung auf die internationalen Finanzmärkte haben, so z. B. durch Kapitalflucht, den wachsenden Druck auf den Wechselkurs und der erschwerten Finanzmittelaufnahme im Ausland. Kirshner schreibt dem internationalen Finanzsektor somit einen nicht unerheblichen Einfluss auf die nationale Politik der verschiedenen Staaten zu, da diese wiederum daran interessiert seien, den internationalen Finanzsektor zu besänftigen (S. 206). Allerdings, so räumt Kirshner ein, bestimmen auch andere Faktoren sowohl die Einflussnahme des Finanzsektors als auch die Reaktion seitens des Staates darauf (S. 208), worauf er jedoch weniger detailliert eingeht und sich in diesem Punkt auf einige Spekulationen beschränkt. Reife Marktwirtschaften, so argumentiert der Autor weiter, scheinen auf den Druck des Finanzsektors eher anzusprechen als Staaten mit nicht-marktwirtschaftlichen Ordnungen (S. 218-221). Eine Ausnahme stellen allerdings die USA dar, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Größe und internationalen Stärke diesem Druck weniger unterliegen. Diese Position ist aber nicht stabil und kann sich mit neuen Entwicklungen ändern. Eine Finanzkrise, die sich auch stark auf den Dollar und die Erwartungen an ihn auswirkt, könnte eine Reihe von Effekten auslösen und schließlich auch das aktuelle Finanzverhalten der USA drastisch ändern (S. 222 f., 225). Kirshner belegt seine Argumentation in überzeugender Weise. Er zeigt mit detaillierten historischen Beispielen aus verschiedenen Ländern die destabilisierende Kraft von Kriegen in den Bereichen des Finanzsektors. Wenn der Autor aber auf die Bedeutung des Finanzsektors in internationalen Beziehungen verweist und die Rolle dieses Sektors in den Fallstudien beschreibt, so kann man sich am Ende nicht der Frage erwehren, warum denn der Finanzsektor seine Neigung zur Vorsicht nicht stärker zur Vermeidung von Kriegen einsetzt oder einsetzen kann. Auch wenn Kirshner in seinem Buch nicht primär intendiert, die Gründe dafür zu untersuchen, so bleibt doch der Wunsch nach einer Antwort auf diese Frage. Damit ist sein sekundäres Argument nicht zufriedenstellend geführt. Das Buch würde insgesamt noch an Bedeutung gewinnen, wenn die von ihm vorgebrachten Spekulationen weiter untersucht und zu Erkenntnissen führen würden. Das Werk ist im Ganzen gut verständlich geschrieben, gut strukturiert und es wird klar argumentiert. Der Bezug zum Hauptargument wird in den Fallstudien immer wieder gut nachvollziehbar hergestellt. Nicht zuletzt aus diesem Grund sowie seiner eingangs beschriebenen empirischen Bedeutung kann das Buch sowohl Experten wie auch Laien empfohlen werden. Hamburg Sybille Reinke de Buitrago (Sybille Reinke de Buitrago, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), Beim Schlump 83, D-20144 Hamburg) Oliver Konrads, Die Mittelstandsförderung der Sparkassenorganisation – Anspruch und Wirklichkeit. Eine Analyse der Jahre 1948-1963 unter Beachtung von Wettbewerbsaspekten (Europäische Hochschulschriften, Reihe 5: Volks- und Betriebswirtschaft 3260). Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main et al. 2007, 366 S., € 59,70. In seiner 2006 an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Regensburg eingereichten Dissertation analysiert Oliver Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 182 08.01.2009 6:32:39 Uhr 183 Rezensionen Konrads – ein „Sparkassenpraktiker“ der Landesbank Hessen-Thüringen – das Verhältnis zwischen dem seitens der Sparkassenorganisation erhobenen Anspruch, das exklusive Institut für die Belange des Mittelstands zu sein, und ihrem tatsächlichen Beitrag zur Mittelstandsförderung in der jungen Bundesrepublik Deutschland. Die zentrale Frage seiner Arbeit ist, inwiefern die nach innen und außen kommunizierten Ambitionen der Sparkassen und ihrer Verbände mit der ökonomischen Wirklichkeit des Rekonstruktionsprozesses nach dem Zweiten Weltkrieg korrelierten. Schwerpunktmäßig untersucht Konrads dabei die Jahre von der westdeutschen Währungsreform bis zur Hochphase des bundesdeutschen „Wirtschaftswunders“ (1948-1963) und versucht, insbesondere den seinerzeit vorherrschenden Wettbewerbsbedingungen gerecht zu werden. So begründet er die Wahl für das zeitliche Ende seiner Untersuchung mit der Tätigkeitsaufnahme der Wettbewerbskommission für das bundesdeutsche Kreditgewerbe im Jahr 1963, initiiert durch die damaligen Kontroversen um die vermeintliche Vorzugsstellung und Privilegierung der Sparkassen; wobei die Enquete wohlgemerkt erst 1968 zu einem abschließenden Ergebnis kam. Strukturell ist die Monographie in fünf Kapitel gegliedert: Nach einer siebenseitigen Einleitung, die das Untersuchungsfeld grob absteckt, die Struktur der Arbeit vorstellt und sowohl den Forschungsstand als auch die verwendeten Quellen zu „würdigen“ (S. 6) beabsichtigt, widmet sich das zweite Kapitel der „Situierung des Untersuchungsgegenstandes – Rahmenbedingungen, Definitionen und Vorgeschichte“. Dementsprechend befasst es sich zunächst mit dem ideologischen und rechtlichen Fundament, auf dem einerseits die Verbandsrhetorik fußt („öffentlicher Auftrag“), andererseits die reale Sparkassenpolitik aufbaut. Im Zuge dessen wird die historische Entwicklung der Sparkassen und des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (S. 10 ff.) knapp umrissen. In der Folge vermeidet der Autor jedoch eine klare Definition des Mit- telstands, weil diese soziale Gruppe, ob ihrer inneren Fragmentiertung und Heterogenität, analytisch nur schwer fassbar und offensichtlich schwer operationalisierbar ist. Deswegen entschließt sich Konrads für eine Orientierung an zeitgenössischen Begriffsbestimmungen. Er lässt bewusst unterschiedliche Definitionen – teilweise aus betriebswirtschaftlicher Perspektive, teilweise aus Sparkassensicht – im Raum oszillieren und umgeht damit die Tücken semantischer, aber auch quantitativer und qualitativer Präzision: „Dieser Umstand lässt weiterhin die These zu, dass der Mittelstandsbegriff möglicherweise nur eine „Hülle“ darstellt, die je nach Situation über einen bestimmten Personenkreis gestülpt werden kann [...]. Auf eine weitere Vertiefung dieser Thematik wird aufgrund fehlender Notwendigkeit für den Fortgang der Arbeit verzichtet“ (S. 26). Doch genau jener Verzicht bzw. genau jene Übernahme der jeweils von den Sparkassen gebrauchten Mittelstandsdefinitionen, die während des Untersuchungszeitraums eben nicht standardisiert, sondern variabel, kontextuell, situativ und intuitiv waren, birgt die Gefahr eines für die kritische Quellenanalyse erforderlichen Distanzverlustes – was sich auch stellenweise in Kapitel 3 der Arbeit bewahrheitet (vgl. S. 50). Dieses Kapitel zielt auf den empirischen Abgleich zwischen dem Anspruch der Mittelstandsförderung und der Realität der Mittelstandskreditvergabe bundesdeutscher Sparkassen, wobei die Untersuchung den Befund erhärtet, dass sich hier eine Kluft auftut. So vergaben die Sparkassen im Untersuchungszeitraum 19,4 Prozent ihrer gesamten mittel- und langfristigen Kredite an den gewerblichen Mittelstand, inklusive der mittelständischen Wohnungsbaudarlehen waren es knapp 34 Prozent (vgl. S. 186). Dies stuft der Autor, gemessen am Anspruch, als „relativ gering“ (S. 99) ein und untermauert seine Position anhand zweier mittelständischer Gruppen: Handwerk und Handel. Die von Konrads vorgenommene Bewertung relativiert sich jedoch nach Ansicht der Rezensentin unter Berücksichtigung des sozioökonomischen Kontextes – ganz abgesehen Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 183 08.01.2009 6:32:39 Uhr 184 Rezensionen von der Tatsache, dass die Sparkassen mit einem Anteil des Mittelstands von 78 Prozent am gesamten kurzfristigen Kreditvolumen ihrem Zielvorhaben durchaus gerecht wurden. In Anbetracht des bis Mitte der Dekade außergewöhnlichen Kreditbedarfs der Kommunen für den Wiederaufbau und die Instandsetzung der Infrastruktur sind die an den Mittelstand vergebenen Kredite nicht zwingend als „gering“ zu bewerten. Immerhin können strukturfördernd eingesetzte Kredite im Sinne der Neuen Institutionenökonomik als mittelbare Mittelstandsförderung interpretiert werden, weil dadurch die Transaktions- und Opportunitätskosten für Unternehmen erheblich sinken. Hingegen beanstandet Konrads zu Recht, dass die Liquiditätsvorschriften übererfüllt wurden und die noch flüssigen Mittel dem Mittelstand hätten zufließen können. Sie taten es aber faktisch aufgrund des seinerzeit noch vorherrschenden „Sicherheitsdenkens“ nicht. Die Mentalität der Sparkassen war folglich noch stark risikoavers. Darüber hinaus eruiert die Untersuchung Konrads, dass private Spareinlagen ebenso wie diejenigen von Unternehmen nur geringfügig der mittelständischen Kreditvergabe zuflossen. Darum bewertet der Autor die Sparkassenkreditpolitik als überwiegend „konservativ“ (vgl. S. 183 ff.). Doch mit zunehmendem Wettbewerb machten sich dann gewisse Veränderungen der Kreditstruktur und der Kreditvergabepolitik bemerkbar. Um diese Verschiebungen zu rekonstruieren, stellt das vierte Kapitel einen Vergleich zwischen der Entwicklung im Sparkassensektor mit jener der Volksbanken – stärkster Konkurrent auf dem Feld der Mittelstandskreditgewährung – an. Hierbei zeigt sich, dass letztere Institutsgruppe durchschnittlich höhere Wachstumsraten im Mittelstandskreditgeschäft aufwies und bei ihr die Volumina bei kurz- und mittelfristigen Krediten nicht signifikant voneinander abwichen – was sich vor dem unternehmenshistorischen und -kulturellen Hintergrund genossenschaftlicher Kreditinstitute nach Auffassung der Rezensentin einmal mehr relativiert. Schließlich wurden gewerbliche Kreditgenossenschaften Mitte des 19. Jahrhunderts primär für die Förderung mittelständischer Unternehmen gegründet, während eben die Mittelstandsförderung durch die Sparkassenorganisation weder in der ersten Gründungswelle noch in der Zeit nach 1945 primäres Unternehmensziel war. Umso beachtlicher scheint es, dass die bundesdeutschen Sparkassen im langfristigen Kreditgeschäft und insbesondere in der Finanzierung des Handwerks eine marktbeherrschende Stellung einnahmen. Diese bereits auf Makroebene skizzierten Sachverhalte prüft und veranschaulicht Konrads am Fallbeispiel der Bonner Sparkassen (Kapitel 5): Die Kreditvergabepolitik variierte von Institut zu Institut, wobei manche progressiver als andere agierten, was aber en total weder der positiven Geschäftsentwicklung noch der positiven Entwicklung der Kreditvolumina der Bonner Sparkassen einen Abbruch tat. Dabei förderten sie vornehmlich durch Kurzfristkredite den gewerblichen Mittelstand, die „Förderung gewerblicher Mittelstandsunternehmen mit langfristigen Investitionskrediten fand somit nur auf niedrigem Niveau statt“ (S. 320). Trotz kleinerer Abweichung folgten die Bonner Institute überwiegend der allgemeinen Entwicklung der bundesdeutschen Sparkassen. Das sechste und letzte Kapitel rundet die Dissertation durch eine Rekapitulation der gewonnenen Erkenntnisse ab und kommt zu einer „abschließenden Bewertung“ der Sparkassenmittelstandsförderung. Dabei fällt die ursprüngliche Fragestellung, „inwieweit die Sparkassen ihrem selbst gestellten Anspruch gerecht wurden, [...] für den Analysezeitraum nicht uneingeschränkt positiv aus. [Und einmal mehr zeigt sich:] Sie erfordert eine differenzierte Betrachtungsweise“ (S. 333). Aachen Rebecca Belvederesi-Kochs (Rebecca Belvederesi-Kochs M.A., RWTH Aachen, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Lehr- und Forschungsgebiet Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Templergraben 83, D-52056 Aachen) Bankhistorisches Archiv, 33. Jahrgang, Heft 2/2007 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007 157-184 Rezensionen.indd 184 08.01.2009 6:32:39 Uhr