UTB M (Medium-Format) 2836 Soziologische Theorien Bearbeitet von Hartmut Rosa, David Strecker Unv. ND der 1. Aufl. 2007 2011. Taschenbuch. 305 S. Paperback ISBN 978 3 8252 2836 1 Gewicht: 415 g Weitere Fachgebiete > Ethnologie, Volkskunde, Soziologie > Soziologie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. UTB 2836 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Beltz Verlag Weinheim · Basel Böhlau Verlag Köln · Weimar · Wien Verlag Barbara Budrich Opladen · Farmington Hills facultas.wuv Wien Wilhelm Fink München A. Francke Verlag Tübingen und Basel Haupt Verlag Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung Bad Heilbrunn Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft Stuttgart Mohr Siebeck Tübingen C. F. Müller Verlag Heidelberg Orell Füssli Verlag Zürich Verlag Recht und Wirtschaft Frankfurt am Main Ernst Reinhardt Verlag München · Basel Ferdinand Schöningh Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft Konstanz Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich HARTMUT ROSA | DAVID STRECKER | ANDREA KOTTMANN Soziologische Theorien UVK Verlagsgesellschaft Zu den Autoren: Hartmut Rosa ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Universität Jena. David Strecker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Jena. Andrea Kottmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Center for Higher Education Policy Studies (CHEPS) der Universität von Twente (Niederlande). Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ISBN: 978-3-8252-2836-1 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2007 Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Coverbild: © www.pixelio.de Lektorat: Verena Artz, Bonn Satz: PTP-Berlin Protago-TEX-Production GmbH, Berlin www.ptp-berlin.eu Druck: Ebner & Spiegel, Ulm UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98 www.uvk.de 5 Inhalt Vorwort 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1.1 Was ist soziologische Theorie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Soziologie als Reflexion: Analyse und Diagnose der Moderne . . . 1.3 Dimensionen der Modernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Domestizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Rationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Individualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Phasen der Moderne: Gesellschaftsentwicklung und Theorieentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Die frühe Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Die entwickelte Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Die Spätmoderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Zum Aufbau des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 12 15 19 19 20 20 21 22 23 24 26 28 Die frühe Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.1 Domestizierung 1: Die Entwicklung der Produktivkräfte – Karl Marx . . . . . . . . . . . 2.1.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Methodisches Konzept: Historisch-materialistische Soziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Analyse: Der Siegeszug des Kapitalismus . . . . . . . . . . . . 2.1.5 Diagnose: Krisentendenzen und Entfremdung . . . . . . . 2.1.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Rationalisierung 1: Die Entzauberung der Welt – Max Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 30 31 33 38 42 45 48 48 49 6 I N H A LT 2.2.3 Methodisches Konzept: Sinnverstehende und werturteilsfreie Soziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.2.4 Analyse: Die Moderne als Prozess der Rationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.2.5 Diagnose: Entzauberung, Freiheits- und Sinnverlust . . . 60 2.2.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2.3 Differenzierung 1: Von der segmentären zur arbeitsteiligen Gesellschaft – Emile Durkheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2.3.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2.3.2 Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2.3.3 Methodisches Konzept: Positivistische Soziologie als Physik der Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2.3.4 Analyse: Ursachen und Funktion der Arbeitsteilung . . . 77 2.3.5 Diagnose: Individuum und Gesellschaft im Ungleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2.3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2.4 Individualisierung 1: Vom Dorfbewohner zum Großstadtmenschen – Georg Simmel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2.4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2.4.2 Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2.4.3 Methodisches Konzept: Soziologie als Wissenschaft der sozialen Interaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2.4.4 Analyse: Individualisierung und der Wandel der sozialen Kreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2.4.5 Diagnose: Vermassung, Vereinsamung und die Tragödie der Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2.4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3 Die entwickelte Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3.1 Domestizierung 2: Die total verwaltete Welt – Theodor W. Adorno . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Methodisches Konzept: Denken in Konstellationen . . . 3.1.4 Analyse: Staatskapitalismus und autoritärer Staat . . . 3.1.5 Diagnose: Die total integrierte Gesellschaft . . . . . . . . . . 3.1.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 109 111 112 118 122 127 I N H A LT 3.2 Rationalisierung 2: Kritik der Verständigungsverhältnisse – Jürgen Habermas . . . . 3.2.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Methodisches Konzept: Rekonstruktive Sozialwissenschaft als Kritik der Verständigungsverhältnisse . . . . . 3.2.4 Analyse: Rationalisierung der Lebenswelt und Entkopplung der Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Diagnose: Kolonialisierung der Lebenswelt . . . . . . . . . . 3.2.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Differenzierung 2.1: Modernisierung als Evolution – Talcott Parsons . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Methodisches Konzept: Soziologie als Integration von Handlungstheorie und Strukturfunktionalismus . . . . . 3.3.4 Analyse: Modernisierung als Evolution . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Diagnose: Dysfunktionalität und einseitige Modernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Differenzierung 2.2: Die funktional differenzierte Gesellschaft – Niklas Luhmann . . . 3.4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Methodisches Konzept: Soziologie als Theorie selbstreferentieller Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Analyse: Funktionale Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5 Diagnose: Entdifferenzierung, Umweltzerstörung und Exklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Individualisierung 2: Verkettung und Zivilisation – Norbert Elias . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3 Methodisches Konzept: Prozess- und Figurationssoziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.4 Analyse: Modernisierung als Individualisierung – Selbstzwang und Affektkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.5 Exkurs: Individualisierung im Übergang zur Spätmoderne: Die soziologische Theorie Ulrich Becks . . . . 3.5.6 Diagnose: Soziale Spaltung und Selbst-Abrichtung . . . 3.5.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 130 131 133 138 143 147 150 150 151 155 162 168 171 173 173 175 176 183 190 193 196 196 198 201 206 210 213 215 7 8 I N H A LT 4 Die Spätmoderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 4.1 Domestizierung 3: Die Rückkehr der Natur – Bruno Latour . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Methodisches Konzept: Die Aktor-Netzwerk-Theorie . . . 4.1.4 Analyse: Domestizierung als produktive Selbsttäuschung der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5 Diagnose: Die unkontrollierte Vermehrung und Verselbständigung der Hybriden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Rationalisierung 3: Von der Rationalisierung zur Rational-Choice-Theorie . . . . . . . . . 4.2.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Methodisches Konzept: Rationale Akteure und Spieltheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.1 Rationale Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.2 Vom Handeln zur Gesellschaft – Das Wannenmodell soziologischen Erklärens . . . 4.2.3.3 Die Spieltheorie und die Logik der Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Analyse: Modernisierung als institutionelle Anerkennung des nutzenmaximierenden Handelns im Wettbewerbsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Diagnose: Verzerrte Präferenzen und die Erosion von Vertrauen und Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Differenzierung 3: Von den ausdifferenzierten Funktionssphären zur fluiden Gesellschaft – Michael Hardt und Antonio Negri . . . . . . . 4.3.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Methodisches Konzept: Interdisziplinäre, neomarxistische Lehnstuhlsoziologie . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Analyse: Die Entstehung eines globalen Empire . . . . . 4.3.5 Diagnose: Vom total vermachteten Empire zur Selbstbefreiung der Multitude . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 219 223 225 229 232 235 238 238 239 241 241 245 246 251 253 255 259 259 263 265 267 270 272 I N H A LT 4.4 Individualisierung 3: Der Tod des Subjekts – Michel Foucault . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Methodisches Konzept: Von der Archäologie des Wissens zur Genealogie der Macht . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 Analyse: Die spätmoderne Individualität als Effekt der Totalisierung produktiver Macht . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.5 Diagnose: Genealogische Kritik spätmoderner Subjektivierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register 275 275 277 279 286 291 293 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 9 11 Vorwort Dieses Buch ist das Ergebnis unseres gemeinsamen, sich über viele Jahre hinziehenden Bemühens, den Studierenden an der Friedrich-SchillerUniversität Jena die soziologische Theorie so interessant und zeitgemäß, zugleich aber auch so nachvollziehbar und verständlich wie möglich zu machen. Immer wieder haben wir aufgrund der Rückmeldungen und Nachfragen unserer Studenten und Kollegen die Konzepte, Kapitel und Argumente ergänzt und überarbeitet. Auf dem langen Weg zum Endprodukt, das nun in Gestalt dieses Bandes vorliegt, haben daher sehr viele mitgeholfen, denen wir an dieser Stelle unseren Dank aussprechen wollen. Dazu zählen zunächst die vielen Teilnehmenden unserer Theorieseminare und Vorlesungen, die mit uns diskutiert haben. Sodann unsere früheren Kollegen, allen voran Jörn Lamla, Ralph Schrader und HansJoachim Giegel. Wertvolle Hinweise zu einzelnen Teilen haben wir von unseren jetzigen Kollegen Michael Beetz, Michael Behr, Michael Corsten, Lars Gertenbach, Stefan Lorenz, Jörg Oberthür und Dietmar Wetzel erhalten, darüber hinaus auch von André Brodocz, Hauke Brunkhorst, Mattias Iser und Martin Saar. Henning Laux hat am Kapitel über den Rational-Choice-Ansatz einen wesentlichen Anteil. Sodann gilt unser Dank Frau Engelhardt fürs sorgfältige Korrekturlesen und unseren »Hiwis« Kirsten Limbecker für unermüdliche, konstruktive Recherche, Frank Wagner für die tollen Grafiken und insbesondere André Stiegler, ohne den dieses Buch vermutlich niemals fertig geworden wäre. Auch die Marginalien und das Register verdanken wir diesen Dreien. Von Seiten des Verlags schließlich haben uns Sonja Rothländer und Verena Artz mit ebenso großer Geduld wie Kompetenz durch alle Verzögerungen und Turbulenzen begleitet. Ein ganz persönlicher Dank geht an Maria und Heinz Rosa sowie an Amelie, Johannes, Felix und Nikolai und sodann an Christine Jürgens und Hannah, ohne die David Strecker den Zusatzstress der Endüberarbeitung kaum durchgestanden hätte. Jena, im Juli 2007 Hartmut Rosa, David Strecker, Andrea Kottmann 12 1 | Einleitung Inhalt 1.1 Was ist soziologische Theorie? 1.2 Soziologie als Reflexion: Analyse und Diagnose der Moderne 1.3 Dimensionen der Modernisierung 1.4 Phasen der Moderne: Gesellschaftsentwicklung und Theorieentwicklung 1.5 Zum Aufbau des Buches 1.1 | Was ist soziologische Theorie? Das Nachdenken über die Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Zusammenlebens, über Störungen und Fehlentwicklungen der menschlichen Gemeinschaften und über die richtige oder gute Form der politischen Ordnung hat in der Geschichte des Abendlandes eine lange Tradition. Meist wird diese Tradition als Entwicklung der politischen Ideengeschichte verstanden und daher auch der politikwissenschaftlichen Disziplin oder der praktischen Philosophie zugerechnet. Die Soziologie als eigenständige Lehre von der Gesellschaft ist dagegen eine recht junge Disziplin: Sie entsteht erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Drei der vier wichtigsten »Gründerväter« der Disziplin – Max Weber, Emile Durkheim und Georg Simmel – leben und schreiben um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Der vierte maßgebliche Autor, Karl Marx, verfasste seine wesentlichen Werke nur wenige Dekaden früher. Dieser in den heutigen Sozialwissenschaften weitgehend unstrittige Sachverhalt legt zwei wichtige Schlussfolgerungen nahe. 1. Es muss einen eindeutigen Unterschied zwischen der soziologischen Theorie und früheren bzw. politischen oder philosophischen Formen des Nachdenkens über Gesellschaft geben. WAS IST SOZIOLOGISCHE 13 THEORIE? 2. Es muss einen identifizierbaren Grund dafür geben, wieso sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Art der Wahrnehmung und der theoretischen Reflexion von Gesellschaft plötzlich ändern. Eine überzeugende Antwort auf beide Fragen findet man erst dann, wenn man das Entstehen der soziologischen Theorie um die genannte Jahrhundertwende als eine Reaktion auf teilweise schockartig sich verbreitende Modernisierungserfahrungen versteht: Weil sich die Gesellschaft selbst in ihren materiellen, sozialen, kulturellen und institutionellen Beständen in jener Zeit massiv verändert, wird sie auf neuartige Weise zum Problem. Wenngleich schon seit der Reformation und der Aufklärung die geistigen Grundlagen der Gesellschaft, etwa in Wissenschaft und Philosophie, teilweise auch in der Politik und im Recht, in Veränderung begriffen waren, waren es doch erst die massiven Industrialisierungsschübe im 19. Jahrhundert und die mit ihnen einhergehenden Wellen der Urbanisierung und Individualisierung sowie der städtischen und marktwirtschaftlichen Anonymisierung, welche Familienbande zerrissen, überkommene alltagspraktische Traditionen des Lebens, Arbeitens und Wohnens zerstörten und neue, zunächst chaotische Formen des Zusammenlebens hervorbrachten. Was jahrhundertelang als unverrückbar feststehende Ordnung des gesellschaftlichen Lebens und als verlässliche Norm gedient hatte, wurde plötzlich infrage gestellt. Die Veränderungen betrafen die Siedlungsstruktur ebenso wie das Bildungswesen, die Familienformen ebenso wie die Arbeitsverhältnisse, die politische Organisation ebenso wie die nun an anonymen Märkten orientierten wirtschaftlichen Austauschprozesse. Zugleich wurde die alte ständische Ordnung der Gesellschaft aufgelöst: Berufe und Familien, die über Jahrhunderte hinweg angesehen, vermögend und einflussreich waren, verarmten plötzlich und wurden bedeutungslos, während neue Schichten Geld und Macht eroberten. Die Grundfrage aller Soziologie lautet daher angesichts dieser zunächst als reichlich chaotisch und unbestimmt erscheinenden Verhältnisse: Wie ist soziale Ordnung möglich? Diese Frage ist insofern neu, als zuvor soziale Ordnung weitgehend als schlechthin gegeben, als Teil einer kosmischen Ordnung oder als natürliches Gebilde begriffen und erfahren worden war. Anders als die klassischen Denker der politischen Ideengeschichte erkannten die gesellschaftstheoretischen Beobachter des 19. Jahrhunderts angesichts der genannten Modernisierungsprozesse, dass »Gesellschaft« nicht ein für alle Mal gegeben war, sondern dass sie sich eigendynamisch veränderte: Die gesellschaftlichen Verhältnisse waren offensichtlich in Bewegung und sie veränderten sich nach einer Logik, die mit staatlicher Lenkung und politischer Steuerung, ja überhaupt mit dem planenden Handeln der Menschen augenscheinlich nur wenig zu tun hatte. Soziologische Theorie ist Reaktion auf Modernisierung Grundfrage der Soziologie 14 EINLEITUNG Synthesis-DynamisPraxis Was sich schon im Denken der noch der politischen Theorie zugerechneten Autoren Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) und Alexis de Tocqueville (1805 – 1859) abzeichnete, nämlich die Entdeckung, dass es so etwas wie eine geschichtliche Bewegungstendenz von Gesellschaften zu geben scheint, wird nun zu einem weiteren Ausgangspunkt der soziologischen Theoriebildung. Die Suche nach dem »ursprünglichen Beweger« oder Motor gesellschaftlichen Wandels gewinnt daher ein wachsendes Gewicht in der Gesellschaftstheorie. Soziologen stellen also folgende Fragen: 1. Was hält die Gesellschaft zusammen, worin besteht der Grundbaustein der Theorie der Gesellschaft, also ihre grundbegriffliche Einheit (Synthesis)? 2. Was bewegt die Gesellschaft, welche Gesetzmäßigkeiten treiben ihre Veränderung voran (Dynamis)? 3. Kann man – und, wenn ja, wie – die gesellschaftliche Entwicklung (politisch) kontrollieren oder sogar lenken (Praxis)? Zusammenfassung Dimensionen soziologischer Theoriebildung Synthesis: die Basiseinheit der Gesellschaft sowie ihrer soziologischen Beschreibung und Erklärung; Dynamis: der gesellschaftliche Wandel, dessen Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten die Soziologie erforscht; Praxis: die Dimension des Handelns und damit des Einwirkens auf die Gesellschaft bzw. soziale Beziehungen. Das den früheren politischen Denkern oft selbstverständliche Vertrauen darauf, dass die richtige gesellschaftliche Ordnung ein Produkt oder Ergebnis planvollen menschlichen Handelns sein sollte und sein könne, erscheint den neu auftretenden Soziologen angesichts der von ihnen beobachteten Veränderungen zunehmend als fragwürdig. Für sie ist Gesellschaft daher etwas anderes und mehr als der Staat; gesellschaftliche Ordnung erscheint ihnen umfassender als die staatliche Ordnung. Politik ist daher aus der Perspektive der Soziologie nur ein Teilbereich der Gesellschaft, nicht ihr Zentrum und nicht unbedingt ihre Spitze, und die Entwicklung der Politik ist mindestens ebenso sehr ein Ergebnis gesellschaftlicher Veränderungen wie umgekehrt gesellschaftlicher Wandel Ergebnis politischen Handelns ist. Deshalb sind beispielsweise Theorien des Gesellschaftsvertrags, die in der politischen Ideengeschichte eine so wichtige Rolle spielen, aus soziologischer Sicht zumindest SOZIOLOGIE ALS 15 REFLEXION sehr unvollständig: Gesellschaft lässt sich niemals per Willensbeschluss und Übereinkunft zwischen souveränen Akteuren erzeugen. Synthesis – Dynamis – Praxis: In diesen drei Dimensionen entwickelt sich soziologische Theoriebildung, und sie stellt in allen drei Hinsichten eine Reaktion und Reflexion auf die am eigenen Leibe erfahrenen Modernisierungsprozesse dar. Soziologie als Reflexion: Analyse und Diagnose der Moderne Die in diesem Buch vorgestellten soziologischen Ansätze lassen sich also als eine theoretische Reaktion auf beobachtete Veränderungsprozesse verstehen. Den Theoretikern der Soziologie geht es stets darum, diese Prozesse in ihren Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen zu verstehen oder zu erklären und in ihren sozialen und kulturellen Konsequenzen zu deuten. Wie sich in den nächsten Kapiteln zeigen wird, ist ihre Einstellung gegenüber den beobachteten Modernisierungsprozessen fast immer ambivalent. Sie beobachten einerseits staunend und fasziniert, und angesichts der technischen und sozialen Entwicklungen oft auch erfüllt von großen Fortschrittshoffnungen, die großen und sich beschleunigenden Transformationskräfte. »Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht«, bemerken etwa Marx und Engels (Marx/Engels 1848, 465). Andererseits mischt sich in diese Bewunderung immer auch eine gewisse Besorgnis, die mitunter sogar die Oberhand gewinnt. Die Veränderungen scheinen den Beobachtern nicht nur und nicht immer Wohlstands- und Freiheitsgewinne zu versprechen, sondern neue Formen des sozialen Leidens, des Leidens an gesellschaftlichen Verhältnissen hervorzubringen: Prozesse der Entfremdung, der Vereinsamung und Anonymisierung oder die Erfahrung eines zunehmenden Zerfalls von Werten, Sinnmustern und Gemeinschaftsbindungen oder von wachsender Ohnmacht gegenüber sich verselbständigenden Sachzwängen begleiten die Modernisierung sogar dort, wo Verelendungsprozesse vermieden werden. Die Veränderungen können immer auch als Prozesse des Verlustes, des Verschwindens wertvoller Sinn- und Erfahrungsmöglichkeiten, wenn nicht gar als Verfallsprozesse gedeutet werden. Daher sollen im Folgenden stets diese beiden Seiten der soziologischen Reflexion der Moderne berücksichtigt werden: | 1.2 16 EINLEITUNG Analyse der Veränderungen, Diagnose der Pathologien • die Analyse der Veränderungsprozesse entlang der drei genannten Dimensionen (Synthesis/Dynamis/Praxis) und • die korrespondierenden Pathologiediagnosen, d. h. die Versuche, Fehlentwicklungen und Gefährdungen im Modernisierungsprozess zu erkennen. Wie sich zeigen wird, sind es nicht selten sogar primär die Beunruhigungen und Besorgnisse, welche die soziologische Analyse leiten. Indessen bleiben die Modernisierungserfahrungen im Verlauf der Gesellschaftsentwicklung natürlich nicht immer die gleichen: Sie sind am Ende des 19. Jahrhunderts deutlich anders als in der Mitte des 20. Jahrhunderts, und was um 1960 (positiv wie negativ) als Modernisierung erfahren wurde, unterscheidet sich markant von den Modernisierungsprozessen, welche die soziologische Theoriebildung im frühen 21. Jahrhundert leiten. Stets gilt, dass sich soziologisches Denken als Reflexion auf wahrgenommene Modernisierung verstehen lässt, doch verläuft diese in charakteristischen Phasen, welche durchaus widersprüchliche und zum Teil unvereinbare Entwicklungstendenzen offenbaren. Wir werden daher die Entwicklung des soziologischen Denkens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über drei verschiedene Phasen der Moderne hinweg begleiten und beobachten, wie sich die Analysen und Diagnosen mit den gesellschaftlichen Veränderungen verschoben haben. Dabei zeigen sich aber nicht nur historische Unterschiede zwischen den verschiedenen Ansätzen, sondern die Entwürfe der Soziologen unterscheiden sich auch im Hinblick darauf, was jeweils in den Blick genommen wird, also welcher Gegenstandsbereich der Gesellschaft aus welcher Perspektive im Zentrum ihrer Analysen steht, und wie sie bei ihren zu Theorien verdichteten Beobachtungen und Untersuchungen methodisch vorgehen. Jeder der im Folgenden vorgestellten Entwürfe soziologischer Theorie wird daher zum einen danach befragt werden, was jeweils erklärt wird, wann, d. h. in welcher Phase der Entfaltung der Moderne es erklärt wird und wie es erklärt wird. Im nächsten Abschnitt wird ausgeführt, dass sich vier Leitperspektiven unterscheiden lassen, unter denen in der soziologischen Theorie Modernisierungsprozesse analytisch und diagnostisch untersucht werden. In methodischer Hinsicht gilt es zu untersuchen, welches Verständnis von Soziologie (von ihrem Gegenstandsbereich, sinnvollen Fragestellungen und überzeugenden Antworten) einem Ansatz zugrunde liegt, was als die grundbegriffliche Einheit von Gesellschaft und damit als die Basiseinheit des soziologischen Erklärens verstanden wird (Synthesis) und welches Erklärungsmodell damit entwickelt wird. Dabei lassen sich zunächst vor allem struktur- und handlungstheoretische Ansätze unterscheiden: Wandel des soziologischen Denkens Unterschiede: Perspektiven, Phasen, Methoden Fragen an die methodischen Konzepte SOZIOLOGIE ALS 17 REFLEXION • Handlungstheorien gehen von individuellen Akteuren und ihren Handlungen aus und versuchen, aus der Logik des Handelns und der Aggregation von Handlungen (also aus ihrem Zusammenwirken) auf die Entstehung und Verdichtung gesellschaftlicher Institutionen und Strukturen zu schließen. Die Absichten (Intentionen) der Akteure spielen in handlungstheoretischen Modellen oft eine entscheidende Rolle für das Zustandekommen und Funktionieren von Gesellschaften. • Strukturtheoretische Ansätze dagegen gehen den genau entgegengesetzten Weg: Sie erklären das individuelle Wollen und Handeln aus den herrschenden gesellschaftlichen Strukturbedingungen; die Entwicklung und Veränderung dieser Strukturbedingungen wiederum vollzieht sich nach eigenen Gesetzen und ist aus diesen Strukturbedingungen selbst zu erklären. Handlungstheorien erklären also gewissermaßen »bottom up« (Handlung → Struktur), Strukturtheorien dagegen »top down« (Struktur → Handlung). Zumeist folgen dabei die handlungstheoretisch orientierten Ansätze dem Prinzip des methodologischen Individualismus, strukturtheoretische Ansätze dagegen sind zumeist verknüpft mit dem Prinzip des methodologischen Holismus. Definition Methodologischer Individualismus/Holismus Das Prinzip des methodologischen Individualismus besagt, dass alle sozialen Phänomene auf das Handeln individueller Akteure zurückgeführt werden können und müssen. Nach dem Prinzip des methodologischen Holismus dagegen ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile und sind soziale Phänomene deshalb mit Hilfe anderer sozialer Phänomene zu erklären: Gesellschaftliche Tatsachen lassen sich nicht auf individuelles Handeln zurückführen, sondern folgen eigenen Prinzipien. Aus dem von einem Autor verwendeten Erklärungsmodell lässt sich daher in aller Regel auch bereits seine Konzeption des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft ableiten. In idealtypisch überzeichneter Form sind hier drei Möglichkeiten denkbar: 1. Die Individuen sind das Produkt der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse; 2. Gesellschaften sind das Produkt der handelnden Individuen; 3. Individuum und Gesellschaft beeinflussen und formen sich wechselseitig. Struktur- und Handlungstheorie Methodologischer Individualismus/ Holismus 18 EINLEITUNG Die Frage, welchen Einfluss politisches Handeln auf die gesellschaftliche Entwicklung nehmen kann, hängt natürlich stark davon ab, welcher dieser drei Möglichkeiten ein Autor zuneigt. Insofern soziologische Theorie als Reaktion auf die Erfahrung von Modernisierung entsteht, lassen sich die Soziologen in ihren Analysen fast immer leiten von einer zugespitzten Unterscheidung zwischen der modernen Gesellschaft, wie sie sich herausbildet, und der traditionalen Gesellschaft, wie sie davor bestanden hatte und nun im Niedergang begriffen war. In den nachfolgenden Kapiteln werden die Ansätze daher auch daraufhin diskutiert, wie sie diese Differenz zwischen moderner und traditionaler Gesellschaft ziehen. Die Art dieser Unterscheidung ist natürlich wieder eng verknüpft mit dem als treibendes Prinzip der Veränderung identifizierten Motor der Modernisierung; d. h. sie hängt ab von der Antwort, die ein Autor auf die Dynamis-Frage der Soziologie gibt. Freilich lässt sich die Denk- und Herangehensweise eines Autors erst dann gut verstehen und nachvollziehen, wenn zunächst geklärt ist, welches Problem oder welche Beunruhigung ihn antreibt; erst wenn Tab. 1 | Grundfragen an die behandelten soziologischen Theorien Stichworte Erläuterungen Soziologie Als Wissenschaft von was? z. B. Handeln, Institutionen, Strukturen Leitfrage Was treibt den Autor an? sein Anliegen Basiseinheit des Erklärens z. B. Handlungen, Produktionsweise, Wechselwirkungen Synthesis Erklärungsmodell Struktur- und Handlungstheorien, methodologischer Individualismus / Holismus methodisches Konzept (u. a. top-down- vs. bottom-up-Erklärung) Verhältnis Individuum / Gesellschaft Konstitutionsbeziehung Was geht voraus? (Praxis) Moderne und traditionale Gesellschaft Hauptdifferenz Analyse (z. B. Ethos, Produktionsweise, Struktur) Modernisierung als Rationalisierung, Individualisierung etc. Perspektive Treibendes Veränderungsprinzip z. B. Ideen, Interessen, Produktivkraft Dynamis Moderne Pathologien Entzauberung, Vermassung, Sinnverlust, Werteverfall etc. Diagnose DIMENSIONEN DER 19 MODERNISIERUNG man weiß, auf welches Problem seine Überlegungen eine Antwort geben, hat man den Ansatz eines Denkers wirklich erfasst. Den Darstellungen der Methode, Analyse und Diagnose der einzelnen Theorien geht daher stets ein Abschnitt voraus, der die Leitfrage des Autors identifiziert. Tabelle 1 fasst die Fragen zusammen, anhand derer die in diesem Band versammelten Ansätze vorgestellt werden. Dimensionen der Modernisierung Modernisierung ist ohne Zweifel ein schillernder und vieldeutiger Begriff. Wer ihn benutzt, kann ganz unterschiedliche Phänomene im Blick haben. Ein grundlegendes Problem aller Analysen der Moderne besteht in der heterogenen und teilweise widersprüchlichen Vielfalt ihrer Veränderungsprozesse und der diese in den Blick nehmenden analytischen Perspektiven. In Anlehnung an einen Vorschlag von Hans van der Loo und Willem van Reijen (1997), der wiederum auf Überlegungen von Talcott Parsons (Parsons 1971, 4 – 28; vgl. Adriaansens 1980) aufbaut, sollen daher im folgenden Ansätze danach unterschieden werden, ob sie eher eine gesellschaftsstrukturelle, eine kulturelle, eine an der Persönlichkeitsstruktur orientierte (bzw. subjektzentrierte) oder schließlich eine auf das gesellschaftliche Naturverhältnis gerichtete Perspektive einnehmen. In struktureller Perspektive unterscheiden sich Gesellschaften danach, wie sie gegliedert bzw. strukturiert sind, d. h. welche Einheiten und Trennlinien sich in ihrer Ordnung beobachten lassen. Aus der Sicht der Kulturanalyse dagegen lassen sich die leitenden Wertideen und Deutungsmuster (bzw. Weltanschauungen) von Gesellschaften ermitteln, während die auf das Naturverhältnis gerichtete Perspektive untersucht, auf welche Weise eine Gesellschaft ihren Austauschprozess mit der Natur organisiert. Die Analyse des Persönlichkeitstyps schließlich fragt danach, welche Persönlichkeitsmuster oder Charaktereigenschaften sich in einer bestimmten Gesellschaft herausbilden. Aus jeder dieser vier Perspektiven erscheinen die Veränderungen, die mit der gesellschaftlichen Modernisierung einhergehen, in einem anderen Licht. Domestizierung Die Analyse des Naturverhältnisses, wie sie etwa von Marx und später von Horkheimer und Adorno vorgenommen wird, erweist den Modernisierungsprozess als Vorgang der immer perfekteren Naturbeherrschung Gliederung der Kapitel | 1.3 Vier Dimensionen der Modernisierung | 1.3.1 20 EINLEITUNG Triumph der instrumentellen Vernunft 1.3.2 | Sinnverlust und sich verselbständigende Sachzwänge 1.3.3 | bzw. ihrer Domestizierung. Die Naturkräfte und Naturprozesse werden immer stärker dem Willen des Menschen unterworfen und ihm dienstbar gemacht (wie z. B. das Haustier – daher »Domestizierung«). Zugleich wird der Mensch immer unabhängiger von den äußeren Naturverhältnissen, weil er die inneren Prinzipien und Kräfte der Natur für sich zu nutzen weiß: Wir können die Raumtemperatur unabhängig von der Jahreszeit regulieren, wir können die Nacht taghell erleuchten etc. Aus dieser Sicht bedeutet die Moderne vor allem den Triumph der instrumentellen, an technischer Effizienz orientierten Vernunft. Pathologisch scheint Modernisierung jedoch überall dort zu werden, wo die Domestizierung der Natur in ihre Zerstörung umzuschlagen droht und wo der Mensch schließlich durch die gestörte (äußere oder innere) Natur selbst zur neuen Gefahr für den Menschen wird. Rationalisierung In kultureller Perspektive dagegen erscheinen die beobachtbaren Veränderungsprozesse der Moderne zumeist als Rationalisierung. Auf eine Kurzformel gebracht bedeutet dies, dass die Welt in allen Dimensionen berechenbar und beherrschbar gemacht wird und unter Effizienzgesichtspunkten neu geordnet wird: In der Wissenschaft gelten nur noch berechenbare, im Experiment nachprüfbare, »rationale« Erklärungen; in der Wirtschaft gilt strikt das Prinzip der Nutzenmaximierung, welches besagt, dass alle Mittel stets so einzusetzen sind, dass sie unter geringsten Kosten größten Nutzen bewirken; in der Politik gilt nur noch als legitim, was der durch Gesetze geregelten demokratischen Ordnung entspricht; in der Lebensführung der Subjekte äußert sich Rationalisierung darin, dass sie anfangen, ihr Leben rational zu planen, d. h. unter Zeit- und Geldperspektiven kontrolliert zu gestalten, und ihre Ziele effizient zu verwirklichen. Autoren, die diese Form der Beobachtung in den Mittelpunkt ihrer soziologischen Analyse rücken, wie Weber oder Habermas, diagnostizieren oft zugleich Pathologien des Sinnverlustes und der Verselbständigung von Rationalisierungsprozessen zu unbeherrschbaren Sachzwängen, welche die gesellschaftliche Gesamtentwicklung höchst irrational erscheinen lassen. Differenzierung Autoren, welche eine strukturelle Perspektive einnehmen, wie Emile Durkheim oder Niklas Luhmann, beobachten vor allem Prozesse der zunehmenden Arbeitsteilung bzw. der wachsenden Ausdifferenzierung DIMENSIONEN DER 21 MODERNISIERUNG von Funktions- und Wertsphären: Die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Kunst: sie alle folgen als solche ausdifferenzierten Sphären ihren eigenen Gesetzen und Logiken, ohne noch durch eine klare politische oder religiöse Steuerungsinstanz zusammengehalten zu werden. Modernisierung erscheint aus dieser Perspektive vor allem als Prozess der (funktionalen) Differenzierung. Als pathologisch erscheint diesen Beobachtern an der Moderne zumeist, dass die Gesellschaft ihre Einheit und Ganzheit zu verlieren scheint; sie droht unter der »Ausdifferenzierung« ihrer Gruppen und Sphären zu »desintegrieren«, d. h. auseinanderzufallen. Individualisierung Die drohende Desintegration | 1.3.4 Wer schließlich seinen Blick auf die Veränderung des Persönlichkeitstyps, auf die handelnden Menschen richtet, wie Georg Simmel oder später Norbert Elias sowie Ulrich Beck, wird kaum umhin können, in den Prozessen der Individualisierung das entscheidende Merkmal der Veränderung zu erblicken: Weil die Individuen nun ihren Beruf, ihre religiöse Überzeugung, ihre politische Einstellung, ihre Freizeitbeschäftigung und ihre Ehepartner (und später Familienformen) in wachsendem Maße selbst wählen können, dafür dann aber auch die Verantwortung übernehmen müssen, sind sie in viel stärkerem Maße als zuvor gezwungen, ihr eigenes Leben zu planen und zu gestalten. Traditionen und Konventionen verlieren ihren verpflichtenden Charakter, jeder ist seines eigenen Glückes Schmied, so lautet zumindest die ideologische Formel. Sie bedeutet auch, dass jede Art von gesellschaftlichem Zwang nur noch | Abb. 1 Die vier Dimensionen der Modernisierung