Ralf Blasius · Nadja Podbregar Armageddon Ralf Blasius · Nadja Podbregar Unter Mitwirkung von Harald Frater und Stefan Schneider Armageddon Der Einschlag Autoren: Ralf Blasius Kaiser Friedrich Ring 55 65185 Wiesbaden Nadja Podbregar Hoffeldstraße 60 40235 Düsseldorf Mitwirkende: Harald Frater Stefan Schneider ISBN 978-3-540-37656-9 Springer Berlin Heidelberg New York Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. 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Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de Lizenz durch: ZDF Enterprises GmbH © ZDFE 2007 - Alle Rechte vorbehalten Layout und Satz: Bettina Wieneck, MMCD GmbH, Düsseldorf Druck und Bindung: Stürtz GmbH, Würzburg Umschlaggestaltung: WMXDesign, Heidelberg Herstellung: Christine Adolph Gedruckt auf säurefreiem Papier 30/2133 CA 5 4 3 2 1 0 Inhalt Einleitung 3 Gefahr aus dem All 7 Die Abwehr 39 Vor dem Impakt 61 Auf der Suche nach dem Dinokiller 87 Der Einschlag 103 Wasser und Feuer 125 Die Dunkelheit 151 Die Kälte 169 Herrschaft der Pilze 189 Die Pflanzen 201 Die Tiere 221 Der Mensch 239 Das Making Of 259 Index 266 Einleitung Wir wissen nicht, wann oder wo der Meteorit einschlägt. Alles was wir wissen ist, dass es passieren wird – vielleicht in einer Million Jahren, vielleicht schon morgen. Kann es das Ende der Menschheit bedeuten? 2 Einleitung Ein gigantischer Komet aus den Tiefen des Alls ist auf Kollisionskurs mit der Erde. Er wird zu einem denkbar späten Zeitpunkt entdeckt. Nur wenig Zeit verbleibt der Menschheit, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Unter dem enormen Zeitdruck ist die Abwehr zum Scheitern verurteilt, die benötigte Technik ist noch nicht ausgereift. Es kommt, was kommen muss: Die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Mit der Kraft von 100 Millionen Megatonnen TNT schlägt das Himmelsgeschoss auf der Erde ein. Ganze Kontinente werden verwüstet, weltweite Feuersbrünste entfacht. Monatelang wird die Erde in eine dunkle Wolke aus Schutt und Asche gehüllt, eine globale Eiszeit folgt. Zahlreiche Tier und Pflanzenarten sterben für immer aus und auch die Menschheit kämpft ums Überleben. Es handelt sich hier nicht um die Geschichte aus einem Hollywoodfilm, sondern um ein Szenario, dessen Wahrscheinlichkeit ernsthaft diskutiert wird. Dass die Möglichkeit besteht, zeigt uns die Vergangenheit. Der große Komet von 1997 – Hale-Bopp – wurde nur 18 Monate vor seinem erdnächsten Punkt entdeckt. In der unglaublichen Größe des Alls sind solche Objekte nur schwer ausfindig zu machen, auch wenn es sich wie bei Hale-Bopp um einen sehr hellen und großen Kometen handelt. Eine Entdeckung eineinhalb Jahre vor einem möglichen Einschlag würde jedoch selbst für eine gut vorbereitete Abwehrmission nicht annähernd genug Zeit lassen. Noch entscheidender ist jedoch, dass Einschläge in der Erdgeschichte tatsächlich immer wieder stattgefunden haben. Der letzte wirklich große und gleichzeitig relativ berühmte Asteroideneinschlag fand vor 65 Millionen Jahren statt, am Ende der Kreidezeit. Dass dieses Ereignis mit dem Ende eines Erdzeitalters zusammenfällt ist kein Zufall. Wahrscheinlich ist der Brocken aus dem All der ausschlaggebende Faktor, der eine Ära zu Ende gehen ließ. Viele Tierarten, darunter die prominenten Saurier starben zu dieser Zeit aus. Über den mutmaßlichen „Dinokiller“ wurde unter Wissenschaftlern ausgiebig diskutiert. Noch heute streiten sich die Experten, ob tatsächlich ein Einschlagsereignis die Ursache eines Massensterbens sein kann. Im Zuge dieser Diskussion wurden viele wissenschaftliche Fakten mit unglaublich interessanten Details zusammengetragen. Fügt man sie zusammen, so ergibt sich ein Mosaik, ein spannendes und faszinierendes Bild eines kleinen Ausschnittes unserer Erdgeschichte. Wenn man nun mit einbezieht, dass im Wiederholungsfalle wir und nicht die legen- Schon ein Objekt mit einem Durchmesser von ein- oder zweihundert Metern könnte eine Großstadt zerstören oder sogar ein kleines Land. Alan Harris 3 Einleitung dären Urzeitmonster die Opfer wären, so stößt man auf das Szenario, das die Grundlage des vorliegenden Buches und des gleichnamigen ZDF Doku-Dramas ist. Urzeitliche Katastrophe – versetzt in die Gegenwart Damals, vor 65 Millionen Jahren, starben die Dinosaurier aus – würde die heutige Menschheit eine ähnliche Katastrophe überleben? 4 Warum haben wir dabei nicht einfach die Dinosaurierkatastrophe nacherzählt? Nun, die Katastrophe der Vergangenheit ist wissenschaftlich äußerst interessant, aber sie betrifft Tiere, die lange ausgestorben sind. Um die Relevanz dieses Themas gerade in der heutigen Zeit, in der fast sieben Milliarden Menschen den Planeten bevölkern, vor Augen zu führen, haben wir uns einen kleinen Trick erlaubt: Wir erzählen die Katastrophe der Vergangenheit so detailgetreu wie möglich nach, aber wir versetzen sie in die heutige Zeit, lassen sie unter heutigen Bedingungen stattfinden. Damit wollen wir etwas Entscheidendes erreichen. Es handelt sich nicht um eine Geschichte über längst ausgestorbene Tiere, die heute wie Fabelwesen wirken. Die Katastrophe ist stattdessen greifbar und real, kein abstraktes Ereignis in einer weit zurückliegenden, fantastisch anmutenden Vergangenheit, sondern etwas, das uns direkt betrifft und deshalb auch viel klarer nachzuvollziehen ist. Das Thema regte schon oft die Fantasie von Geschichtenerzählern an. Wenn man Begriffe wie Einschlag, Asteroid oder Komet in die InternetSuchmaschinen eingibt, so hat man normalerweise eine Trefferquote im Millionenbereich. Es gibt jede Menge Fans von apokalyptischen Szenarien, die sich mehr oder weniger wissenschaftlich mit der Frage auseinandersetzen. So herrscht oft eine verwirrende Vielfalt von Darstellungen, die Spanne ist breit, man findet unterschiedlichste Thesen zu Herkunft, Wahrscheinlichkeit und den Folgen eines Einschlags. Dies liegt auch an dem sehr großen Interpretationsspielraum, den uns die Hinweise aus der Vergangenheit lassen. Geologen lesen das, was wir heute wissen, aus den Schichten des Untergrunds in aller Welt. Oft sind nur ungefähre Zeitangaben möglich und je weiter man in der Zeit zurückgeht, desto gröber wird die Darstellung. Andererseits ist es schon eine ganze Menge, was wir gerade über diese Katastrophe von vor 65 Millionen Jahren wissen: dass ein Einschlag stattgefunden hat, der Erdbeben, Tsunami, Feuerstürme und letztendlich auch langwierige Klimaveränderungen auslöste. Die detailreiche Faktensammlung schreit geradezu nach einem sinnvollen Aufbereiten, einem Zusammentragen und Einordnen. Und zwar nicht in der fantastischen Art eines Hollywoodfilmes. Sondern mit der größtmöglichen Genauigkeit. Um dem Thema und seinem stofflichen Anspruch gerecht zu werden. Wenn man sich nach dem Sehen des Films und der Lektüre dieses Buches der Antwort auf die Frage „Kann ein Impakt zahlreiche Tier- und Pflanzenarten auf der Erde ausgelöscht haben?“ ein Stück weit genähert hat, dann haben wir einen guten Teil unserer Mission erfüllt. Wenn wir nebenbei noch ein wenig Bewusstsein für mögliche Gefahren, die uns von jenseits unseres gewohnten Horizonts drohen, schaffen, dann ist das ein weiterer Schritt. Schließlich ist der Himmel über uns noch immer nicht vollständig und systematisch untersucht. Es fehlt noch immer in großem Maße an einer systematischen Aufarbeitung und Einschätzung der Impaktrisiken und damit zusammenhängend an einer Strategie für den Fall der Fälle. Letztendlich hat ein Einschlag von der Größe des Dinokillers eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit. Ein Einschlag eines Brockens von wenigen 100 Metern Durchmesser ist da – auch in den nächsten 100 Jahren– schon wahrscheinlicher. Und beretis dieser könnte bei der heute herrschenden Bevölkerungsdichte eine große Katastrophe nach sich ziehen. Wir haben bewusst für einen Teil des FIlms und des Buchs die Form der Erzählung gewählt, ohne dabei zu reißerisch werden zu wollen. Ein gewisses Maß an Spekulation und erzählerische Freiheit haben wir dabei uns erlaubt. Alles andere sind wissenschaftliche Fakten oder zumindest Theorien, die von den weltweit führenden Wissenschaftlern auf diesem Gebiet aufgestellt worden sind. Besonders hilfreich war dabei eine exklusiv für „Armageddon – Der Einschlag“ ins Leben gerufene Wissenschaftskonferenz mit zehn weltweit führenden Spezialisten auf dem Gebiet der Astronomie, der Klimaund der Katastrophenforschung. Dieses Treffen, das es uns ermöglichte, die Konfrontation verschiedener wissenschaftlicher Ansätze mitzuerleben, hat sehr viel zu der Stichhaltigkeit und zur Brisanz des vorliegenden Buches beigetragen. So haben wir einerseits versucht mit unseren fiktionalen Handlungsteilen möglichst eng an der wissenschaftlichen Faktenlage zu bleiben und zum anderen den wissenschaftlichen Teil leicht verständlich und spannend aufzubereiten. Die kurzen Erzählteile am Anfang der einzelnen Kapitel sind bewusst so gewählt, dass sie ergänzend zu den wissenschaftlichen Fakten eine gewisse Betroffenheit schaffen und die Perspektive öffnen. Es geht um ein Ereignis, dass Jahrmillionen vor unserer Zeit stattfand. Es geht aber auch darum, dass es tatsächlich auf unserem Planeten stattgefunden hat. Da wo wir heute leben waren vor 65 Millionen die Dinosaurier. Heute gibt es sie nicht mehr. Bleibt zu hoffen, dass uns ein ähnliches Schicksal vorerst erspart bleibt. Zehn hochrangige Wissenschaftler verschiedenster Fachdisziplinen diskuierten auf der anlässlich des Films initiierten Konferenz miteinander. © Nadja Podbregar 5 Gefahr aus dem All Kaum jemand würde ein Flugzeug besteigen, wenn ihm klar wäre, das alle paar tausend Flüge ein Absturz passiert. Dennoch unternehmen wir nichts, um das gleich große Risiko eines Meteoriteneinschlags zu verringern. Clark Chapman 6 Nur 21 Monate vor einer möglichen Kollision mit der Erde wird der 12 Kilometer große Komet entdeckt. Gefahr aus dem All Mauna Kea, Hawaii 06.11.2008 Noah Boyle wirft einen nervösen Blick Richtung Himmel. Eigentlich ist ihm klar, dass es dort nichts Besonderes zu sehen gibt. Aber seit er weiß, dass der Komet auf die Erde zusteuert, ist es ihm eine seltsame Gewohnheit geworden. Immer dann, wenn ihm einfällt, dass der Brocken irgendwo da oben sein muss. Auch in der Nacht ist dieser eher unscheinbar, für das bloße Auge nur mit Mühe zu erkennen. Dabei ist er nur noch etwa 100 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, ungefähr auf der Höhe des Mars. In den unendlichen Dimensionen des Weltalls sozusagen direkt nebenan. Hale-Bopp hatte 1996 bei einer ähnlichen Entfernung ein beeindruckendes Schauspiel am Nachthimmel geliefert. Er schien damals heller als jeder Stern und sein Schweif erstreckte sich weit über das Firmament. Aber Hale-Bopp war auch mehr als viermal so groß wie der Killerkomet. Der hatte sich nur ganz unauffällig genähert. Noah geht zurück zum Wagen. Er hat nur wenig Zeit, um ein paar dringende Reparaturen an einer der weit draußen liegenden Messstationen vorzunehmen. Auf dem trockenen, vulkanischen Untergrund des Mauna Auf unserer Erde leben fast 7 Milliarden Menschen. Ein Komet so groß wie der Dinosaurierkiller bedroht jeden einzelnen. 7 Gefahr aus dem All Der junge amerikanische Astronom Noah Boyle vom Observatorium in Hawaii war einer der ersten, die den Kometen nach seiner Entdeckung genau unter die Lupe nahmen. 8 Kea drehen die Reifen beim Start leicht durch. Und Noah ist unter Hochspannung. Der Wagen steht in einer dichten Staubwolke, bevor er dem Gipfel des Berges entgegen rast. Die mondähnliche Felslandschaft des hawaiianischen Vulkangebirges fliegt an ihm vorbei. Noahs Ziel, das NASA-Observatorium, liegt auf fast 4.100 Metern Höhe. Aber die „Mauna Kea Observatory Access Road“ zieht sich in endlosen Schleifen bergauf. Der Motor des Wagens keucht, er hat seine Leistungsgrenze erreicht. Tausend Gedanken rasen Noah gleichzeitig durch den Kopf. Ein Komet auf Kollisionskurs mit der Erde, niemals hätte er damit gerechnet. Was der Menschheit bevorsteht, ist nichts weniger als die schlimmste Katastrophe ihrer Geschichte. Kein Astronom vor ihm hatte jemals die Gelegenheit, so ein unglaubliches Ereignis hautnah mitverfolgen zu können. Seine Stimmung schwankt zwischen panischer Angst und der neugierigen Erwartung eines Wissenschaftlers. Aber noch ist es nicht soweit. Noch besteht die geringe Chance, dass die Katastrophe abgewendet werden kann. Überstürzt haben die internationalen Raumfahrtagenturen in einer beispiellosen Gemeinschaftsaktion ein Abwehrprojekt auf die Beine gestellt. Zugegeben – die Chancen auf Erfolg sind minimal. Aber so konnte man den Menschen ein Ziel geben. Das war wichtig. Heute ist nun der entscheidende Tag. Die Raumsonde hat den Kometen erreicht. Sie soll mit dem Brocken kollidieren und dabei eine atomare Sprengladung zünden. Auf eine vollständige Zerstörung des zwölf Kilometer großen Riesen wagt niemand zu hoffen. Aber vielleicht kann er durch die Explosion um wenige Grad abgelenkt werden. Wenige entscheidende Grad in seinem Kurs, die ihn in letzter Sekunde doch noch an der Erde vorbei ziehen lassen. Noah weiß, dass die Mission zu diesem späten Zeitpunkt eigentlich zum Scheitern verurteilt ist. Und doch hofft er, so wie alle anderen. „Noah, es geht los!“ Aus dem gleichförmigen Rauschen des Walkie-Talkies tönt die vertraute Stimme von Shiang, Noahs engster Mitarbeiterin. Er wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. „Ja. in zehn Minuten. Keine Sorge, bin gleich da.“ Aus den Unterlagen auf dem Beifahrersitz greift er einige Computerausdrucke mit Zahlenkolonnen heraus, klammert sie auf dem Lenkrad fest und liest sie während der Fahrt. Nur etwas mehr als 600 Tage ist es her, dass ein Amateurastronom mit einem relativ kleinen Teleskop den Kometen entdeckt hat. Eigentlich schon fast ein Wunder. Damals war er noch fast zwei Milliarden Kilometer von der Erde entfernt, seine Helligkeit äußerst schwach. Und dabei nähert sich der seltsame Brocken, bereits seit langem der Erde – unaufhaltsam. Das Risiko eines solchen Ereignisses wurde unter Fachleuten immer als gering eingeschätzt. So war die Überwachung des Himmels von je her ziemlich lückenhaft und nicht besonders gut organisiert. „Es musste ja so kommen“, Noah schüttelt in Gedanken den Kopf. Astronomen wie er, die sich mit einem möglichen kosmischen Unfall beschäftigen, galten immer als Außenseiter. Keiner nahm sie wirklich ernst, schon gar nicht die Politiker. Für die war die nächste Wahl immer wichtiger als ein Brocken aus dem All, der vielleicht in hundert oder auch in tausend Jahren einmal auf die Erde fallen könnte. Und dann kam der Komet tatsächlich aus einer Richtung mit der niemand gerechnet hatte. Die Straße ist zu Ende. Noah hat die Kuppeln der Sternwarte erreicht und keine Zeit zu verlieren. Er springt aus dem Wagen und hastet die Treppen zum Eingang hinauf. Als er die dunklen Räume betritt, ist er zunächst fast blind. Auf einem Monitor schwebt das thermographische Bild des Kometen vorbei. Ein paar Frauen und Männer starren angespannt auf eine improvisierte Wand aus Fernsehern, die auf einem Tisch übereinander gestapelt sind. Bilder aus allen Regionen der Welt flimmern über die Schirme. Zurzeit zeigen sie fast alle die gleichen Szenen: Computeranimationen von einer Sonde, die durchs All fliegt, Auf dem legendären Mauna Kea, dem höchsten Berg von Hawaii, steht das größte Observatorium der Welt. Die Wissenschaftler hier sind zwar nicht mit der Abwehrmission betraut, sie können aber Daten sammeln und nützliche Hinweise liefern. Astronom Noah Boyle muss sich beeilen, um rechtzeitig zur Abwehrmission im Observatorium zu sein. 9 Gefahr aus dem All „Normalerweise setze ich lieber auf die Wissenschaft als auf Gott. Aber in diesem Fall sollten wir beten, dass es klappt!“ Shiang, Noahs engste Mitarbeiterin, zweifelt am Gelingen der notdürftig organisierten Abwehrmission. 10 und nervöse Menschen im Kontrollzentrum der ESA in Darmstadt. Aus dem allgemeinen Lärm dringt die bekannte Stimme eines Nachrichtenmoderators an Noahs Ohr: „.... Vor sechs Monaten ist die Sonde gestartet, die unseren Planeten retten soll. Zwölf Monate nach der Entdeckung des Kometen.“ Vor einem der Computermonitore sitzt Shiang. Die Anspannung steht ihr ins Gesicht geschrieben. Als Noah erscheint, lächelt sie gedankenverloren. Schnell räumt sie ihre Tasche und das Walkie-Talkie von dem Stuhl neben sich. „Danke Shiang.“ Noah erwidert das Lächeln, setzt sich und kontrolliert die Einstellung einiger Geräte. Mit leiser, konzentrierter Stimme flüstert Shiang: „Ich hab die Daten noch mal genau überprüft...“ Beide schauen auf. Die Stimme des Nachrichtensprechers ist wieder lauter geworden: „“... den Klumpen aus Eis und Geröll zu zerstören. Der Sprengkörper an Bord der Ariane hat die 800fache Kraft einer Hiroshima-Bombe. Das Projekt, das unter enormem Druck auf die Beine gestellt wurde, ist das Resultat einer gemeinsamen Kraftanstrengung der weltweit besten Wissenschaftler...“ Shiang nickt: „Und trotzdem reicht es nicht.“ Sie wendet sich zu Noah. „Gut ein Zehntel des Kometen müssten sie absprengen, um ihn von seinem Weg abzubringen. Normalerweise setze ich eher auf wissenschaftliche Fakten als auf Gott. Aber in diesem Fall sollten wir beten, dass es klappt...“ Der Halleysche Komet ist wegen seiner regelmäßigen Wiederkehr und seines ausgeprägten Schweifs der bekannteste unter den periodischen Kometen. © NASA Gefahr aus dem All Was sagt die Wissenschaft? „Die Wahrscheinlichkeit durch einen Asteroideneinschlag zu sterben, ist erheblich höher als die, im Lotto zu gewinnen“. Diese Einschätzung stammt nicht aus einem HoIlywood-Spielfilm, sondern von dem Astronomen Clark Chapman vom amerikanischen Southwest Research Institute. Er wurde 1994 von der NASA und dem amerikanischen Repräsentantenhaus gebeten, ihnen die potenzielle Bedrohung durch Meteoriten zu erläutern. Seine Argumente waren damals immerhin so überzeugend, dass die NASA wenig später Gelder für das Such- und Überwachungsprogramm „Spaceguard“ bewilligte. Die Angst vor Meteoriteneinschlägen ist jedoch keine Erfindung der Neuzeit. Eine diffuse Befürchtung, dass ihnen der „Himmel auf den Kopf“ oder „Feuer vom Himmel“ fallen könnte, hatten wahrscheinlich schon unsere frühen Vorfahren. Doch den Zusammenhang zwischen dem Einschlag eines Himmelskörpers und einer regionalen oder globalen Katastrophe erkannten erst die Gelehrten des 17. Jahrhunderts. Der Astronom und Kometenforscher Edmond Halley soll in einer Rede vor der In der Vergangenheit galten Kometen oft als Warnzeichen und Unglücksboten. © Historische Zeichnung 11 Gefahr aus dem All Der Asteroid Ida mit seinem Trabanten Dactyl kreist im Asteroidengürtel zwischen zwischen Mars und Jupiter. © NASA/JPL-Caltech Die Wahrscheinlich- keit, durch einen Asteroideneinschlag zu sterben, ist erheblich höher als die, im Lotto zu gewinnen. Clark Chapman 12 Royal Society in London als erster darüber spekuliert haben, ob nicht das Kaspische Meer auf einen Einschlagskrater zurückgehen könnte. Die ersten handfesten Belege für die möglichen Folgen von Meteoriteneinschlägen, aber auch für die Existenz von potenziell gefährlichen Himmelskörpern, sollte allerdings noch hunderte von Jahren auf sich warten lassen: Erst in den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die ersten Erdbahn kreuzenden Asteroiden entdeckt und noch später, Anfang der 1980er, brachten Wissenschaftler einen neu entdeckten Krater auf der Halbinsel Yucatan und den Einschlag, der ihn verursacht hatte, erstmals mit dem Untergang der Dinosaurier in Verbindung. Etwa um diese Zeit begann auch Hollywood, das Thema für sich zu entdecken. Noch bevor nennenswerte Gelder für eine wissenschaftliche Erforschung des Impaktrisikos flossen, hatten die Drehbuchschreiber der Filmindustrie bereits allerlei dramatische Szenarien parat – heldenhafte Abwehr- und Überlebensstrategien inklusive. Die bekanntesten und erfolgreichsten Beispiele dafür sind die Spielfilme „Deep Impact“ und „Armageddon“. Ganz aus der Luft gegriffen sind solche Szenarien allerdings nicht: Immerhin gibt es gleich mehrere Himmelskörper, bei denen zurzeit zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft die Erde treffen könnten. Einer davon, der Asteroid Apophis, erklomm vor zwei Jahren auf der offiziellen Risikoskala einen noch nie dagewesenen Wert. Inzwischen ist seine für das Jahr 2036 kalkulierte Einschlagswahrscheinlichkeit zwar deutlich geringer, aber nicht gleich Null… Doch wie groß ist das Risiko eines Meteoriteneinschlags wirklich? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst ein wenig zurück in die Vergangenheit gehen. Erbe des Sonnensystems „Die Erde gleicht einer kosmischen Schießbude: Katastrophen, die von Einschlägen ausgelöst wurden, sind über Jahrmilliarden hinweg Teil unserer Naturgeschichte“, so fassen Wissenschaftler die Bedrohung der Erde durch „himmlische Geschosse“ zusammen. Krater wie der Chicxulub auf der Halbinsel Yucatan oder große Massenaussterben in der Erdgeschichte wie das Ende der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren belegen, dass die Erde vor Einschlägen auch großer Himmelskörper keineswegs gefeit ist. Ganz im Gegenteil. Die Geschichte unseres Planeten und des gesamten Sonnensystems ist von Beginn an geprägt durch ein Bombardement aus dem Weltall: Schon in der wirbelnden Staubscheibe, aus der sich nach und nach die Planeten bildeten, kam es ständig zu Zusammenstößen: Gesteinsbrocken unterschiedlicher Größe krachten ineinander und zerbrachen, andere stürzten auf die jungen Planeten herab und ließen diese weiter anwachsen. Die kosmischen Kollisionen waren damit gewissermaßen der Motor für die Planetenentstehung. Nachdem die Staubscheibe sich langsam auflöste und die Planetenbildung abgeschlossen war, ließ die Häufigkeit der Einschläge zwar nach, hörte aber nicht auf. Denn aus der Anfangszeit des Sonnensystems blieben zahlreiche Gesteinsbrocken übrig, die bis heute auf mehr oder weniger chaotischen Bahnen zwischen den Planeten kreisen. Eine leichte Ablenkung reicht aus, um sie auf Kollisionskurs mit einem anderen Himmelskörper zu bringen. Die kraterübersäte Oberfläche des Mondes zeugt von der Menge solcher Treffer. Da unser atmosphäreloser Trabant solchen Einschlägen schutzlos ausgeliefert ist, hinterlassen selbst kleinere Brocken sichtbare Krater. Vermessungen und Altersbestimmungen dieser Mondkrater zeigen, dass die Meteoritenhäufigkeit in unserem Teil des Sonnensystems in den letzten Milliarden Jahren relativ stabil geblieben ist. Auf der Erde hat man bisher nur rund 170 Krater – nach einigen Quellen möglicherweise auch etwa doppelt so viele – eindeutig als durch kosmische Einschläge verursacht identifiziert. Ihre Größe reicht von wenigen Metern bis zu mehreren hundert Kilometern Durchmesser. In den meisten Fällen allerdings sind sie durch Erosion so abgetragen und verändert, dass es sogar schwierig ist, ihr Alter genau zu ermitteln. Dennoch zeigen auch sie, dass die Geschichte des „himmlischen Bombardements“ noch lange nicht abgeschlossen ist. Zu diesem Schluss kommt auch die Europäische Weltraumagentur ESA. In einem 2004 veröffentlichten Bericht zur Aus kosmische Geröllmassen bildete sich unser heutiges Sonnensystem. © MMCD 13 Gefahr aus dem All Die Krateroberfläche des Mondes zeugt von Zusammenstößen mit kosmischen Brocken. © NASA Die meisten Himmelskörper verglühen in der Atmsophäre oder verfehlen die Erde. © SXC Abschätzung des Risikos und der möglichen Abwehrmaßnahmen gegen erdnahe Asteroiden („NEOMAP“) erklären die mit der Untersuchung beauftragten Forscher: „Das Problem, das wir heute haben, entsteht, weil dieser natürliche Prozess nicht aufgehört hat. Angesichts unserer dicht besiedelten Welt und hochgradig vernetzten Gesellschaft würde der Einschlag eines Asteroiden oder Kometen auf der Erde eine Katastrophe auslösen, die für die Zivilisation weitaus schädlicher wäre, als jede andere in der Geschichte der Menschheit.“ Fest steht damit: Das grundsätzliche Risiko eines Impakts ist keine Science-Fiction, sondern Realität. Aber bedeutet das auch, dass deswegen morgen ein „Dinokiller“ einschlagen könnte? Von Weltraumstaub bis Riesenbrocken Doch längst nicht jeder auf die Erde treffende Himmelskörper löst gleich eine regionale oder gar globale Katastrophe aus. Die allermeisten von ihnen sind sogar absolut harmlos, denn sie sind winzig klein – noch nicht einmal sandkorngroß. Obwohl ein Großteil von ihnen schon von der Atmosphäre abgefangen wird, rieselt dieser „Weltraumstaub“ dennoch ständig auf die Erde hernieder. Hunderte von winzigen Einschlagspuren auf Sonnensegeln von Satelliten zeugen von der Häufigkeit dieser Mikro- 14 meteoriten. Wissenschaftler der Universität von Washington errechneten, dass die Erde allein durch Materieteilchen von weniger als einem Millimeter Größe pro Jahr um rund 40.000 Tonnen an Masse zunimmt. Von Meteoriten von wenigen Millimetern bis einigen Zentimetern Größe wird die Erde jedes Jahr immerhin noch etwa 19.000-mal getroffen. Beobachtungen der Meteoritenbeobachtungsstation im kanair können das Risiko für solche Einschläge auf dischen Alberta gehen sogar von rund eins zu einer Million pro Jahr berechnen. 26.000 Meteoriteneinschlägen Das entspricht dem Risiko eines Flugzeugabsturzes dieser Größenordnung aus. Die dichte Atmosphäre der Erde verbei einem längeren Linienflug. David Morrison hindert, dass diese Kleinstmeteoriten den Erdboden erreichen – sie verglühen restlos in der Atmosphäre. Wie häufig die irdische Schutzhülle getroffen wird, zeigen die Leuchtspuren der Sternschnuppen am Sommerhimmel oder der glühende Regen eines Meteoritenschauers. Die schützende Wirkung der irdischen Lufthülle reicht immerhin aus, um Objekte von bis zu zehn Metern Größe bereits in den oberen Luftschichten zerplatzen zu lassen. Deren Fragmente allerdings erreichen häufig trotzdem den Erdboden und können dann beträchtlichen Schaden anrichten. 1947 zerplatzte ein Eisenmeteorit von wenigen Metern Größe über den Sikhote-Alin Bergen im Osten Sibiriens und verursachte einen Schauer von geschätzten 100 Tonnen von Fragmenten. Diese verteilten sich über eine Einschlagshäufigkeit und die Folgen © MMCD Fläche von eineinhalb Quadratkilometern und hinterließen rund zweihundert Krater. Ein Meteorit dieser Größenordnung trifft nach Schätzungen von Experten nur rund einmal alle zehn Jahre die Erde, in den meisten Fällen gehen solche Objekte aber weitgehend folgenlos über den Ozeanen oder unbewohntem Gebiet nieder. Immerhin noch alle paar hundert Jahre müssen wir mit einem Treffer durch einen Meteoriten von 30 bis 100 Metern Größe rechnen. Ein Einschlag eines solchen Brockens würde eine gewaltige, rund zwei Megatonnen TNT entspre- W 15 Gefahr aus dem All chende Explosion in der oberen Atmosphäre erzeugen, die Zerstörungen am Boden im Umkreis von mehr als zehn Kilometern nach sich ziehen könnte. 1908 explodierte ein wahrscheinlich rund 80 Meter großer Asteroid in der Atmosphäre über dem Fluss Tunguska in Zentralsibirien. Die Schockwellen der Explosion verwüsteten am Boden eine Fläche von gut 2.000 Quadratmetern. Bäume knickten um wie Streichhölzer, Häuserwände wurde eingedrückt. Ein heller Feuerschein soll sogar noch in 500 Kilometern Entfernung sichtbar gewesen sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Impakt noch in diesem Jahrhundert irgendwo auf der Erde stattfindet, liegt nach Berechnungen des Meteoritenexperten David Morrison vom Ames Forschungszentrum der NASA bei immerhin rund 40 Asteroid Eros war der erste bekannte Prozent. Allerdings gilt diese Kalkulation für die gesamte Erdoberfläche, erdnahe Asteroid. Er ist 33 Kilometer die Wahrscheinlichkeit, dass es dabei ausgerechnet dicht besiedelte lang und ungefähr 13 Kilometer dick. © NASA Gebiete oder Städte trifft, ist daher entsprechend geringer. Noch seltener sind Einschläge von Meteoriten in der Größenordnung von mehreren hundert bis 1.000 Metern. Hier rechnen die Experten mit einer Wahrscheinlichkeit von zwischen einem und 0,02 Prozent, dass es noch in diesem Jahrhundert einen Einschlag enn die Folgen groß sind, müssen wir geben wird. Wenn es allerdings tatsächlich krachen sollte, dann richtig: Die Explosion schon uns auch mit den geringen Wahrscheineines 200 Meter-Boliden würde mehr Energie lichkeiten auseinander setzen. Clark Chapman freisetzen als die stärkste existierende thermonukleare Waffe. Ein einen Kilometer großes Objekt könnte genug Zerstörung anrichten, um ein kleineres Land komplett auszulöschen. Eine Katastrophe globalen Ausmaßes – wie sie in „Armageddon – Der Einschlag“ dargestellt wird, droht nach Ansicht der Astronomen bei allen Treffern ab einer Größe von einem Kilometer. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Einschlags ist jedoch in absehbarer Zukunft eher Der Einschlag eines Zehn-Kilometer gering: Für ein Objekt eines Durchmessers von drei Kilometer kalkulieren Asteroiden, wie vor 65 Millionen Jahren, die Experten nur eine Chance von weniger als 1:50.000, dass sich ein ist extrem selten. © NASA solcher Einschlag in diesem Jahrhundert ereignen könnte. Andererseits handelt es sich dabei, wie Asteroidenforscher David Morrison vom Ames Forschungszentrum der NASA anmerkt, „um ein extremes Beispiel eines Risikos mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit, aber dafür potenziell katastrophalen Folgen.“ Aber was heißt das konkret? Was bedeuten diese Wahrscheinlichkeiten für das reale Risiko? Könnte theoretisch trotzdem morgen ein großer Meteorit einschlagen? Um das zu beantworten, muss erstmal eine weitere Frage geklärt werden: Woher kommen die kosmischen Boliden? Denn ihre Herkunft und Beschaffenheit entscheidet darüber, ob und wann ein solches Objekt auf Erdkurs entdeckt werden kann. W 16 Gefahrenobjekt Erdbahnkreuzer Potenziell gefährlich sind alle Objekte, deren Flugbahn sie in Erdnähe bringt oder die die Umlaufbahn der Erde kreuzen. Diese so genannten Erdbahnkreuzer oder erdnahen Objekte (Near Earth Objects, NEOs) sind im Prinzip Überreste aus der Frühzeit des Sonnensystems, unterschiedlich große Himmelskörper, die bei der Planetenbildung übrig geblieben sind und durch spätere Kollisionen weiter zerkleinert oder verändert worden sind. Grundsätzlich gehören alle Objekte, die die Erde Der Kern eines Kometen besteht meist aus einem Gemisch von Eis und Gestein. © NASA/JPL-Caltech treffen könnten, zu einer von zwei Sorten: Sie sind entweder Asteroiden oder Kometen. Erst wenn sie eingeschlagen sind, werden sie als Meteoriten bezeichnet. Die Asteroiden haben ihren Ursprung im inneren Sonnensystem – dort, wo die Hitze der Sonne jede Eisbildung verhinderte und so nur feste, steinige Körper entstehen konnten. Die Kometen dagegen sind Reste von Materiehaufen, die sich im äußeren Sonnensystem, jenseits der Umlaufbahn des Jupiter bildeten. Hier sorgte die große Entfernung zur Sonne dafür, dass Flüssigkeiten wie Wasser und selbst Gase wie Methan oder Kohlendioxid zu Eis wurden. Kometen gleichen daher eher gefrorenen Schneebällen: viel Eis, durchmischt mit Staub und unter- Die Oortsche Wolke umgibt das Sonnensystem wie eine Kometengefüllte Kugel. schiedlich großen Gesteinsbrocken. © NASA Entscheidend für die Einschätzung des Risikos durch diese potenziellen Erdbahnkreuzer ist jedoch noch ein weiterer Unterschied zwischen Asteroiden und Kometen: Ihr Flugverhalten und die „Reservoire“, von denen aus sie Kurs auf die Erde nehmen können. Kometen – eisige Vagabunden auf Erdkurs Lange Zeit galt die Oortsche Wolke als alleiniger Ursprungsort aller Kometen. Diese, nach dem Astronomen Jan Hendrik Oort benannte Hülle aus Eis, Staub und Gesteinsbrocken umgibt das Sonnensystem jenseits 17 Gefahr aus dem All der äußersten Planeten wie eine gewaltige Kugelschale. In ihr bewegen sich die Kometen normalerweise langsam in ihren Bahnen, bis sie durch äußere Einflüsse gestört werden. Mögliche Störenfriede wären interstellare Gaswolken oder auch die Bewegungen benachbarter Sterne. Wandern sie nahe genug an der Oortschen Wolke vorbei, könnten einige der Kometen durch Schwerkrafteinflüsse so stark abgelenkt werden, dass ihre neue Bahn sie durch das innere Sonnensystem führt und sie so zu Erdbahn-kreuzenden Kometen werden. Inzwischen ist klar, dass zumindest eine Art von Kometen, die so genannten langperiodischen Kometen, tatsächlich aus dieser Wolke stammen. Sie tauchen nur in sehr großen Zeitabständen – in Perioden zwischen 200 Jahren und mehreren Jahrmillionen – im inneren Sonnensystem auf. Zu diesem Typ gehört beispielsweise der Komet Hale-Bopp, der als der „Große Komet von 1997“ für Aufsehen sorgte. Er war einer der eindrucksvollsten Kometen des 20. Jahrhunderts und konnte über 18 Monate lang sogar mit bloßem Auge gesehen werden. 1996, nur ein Jahr zuvor, hatte ein anderer langperiodischer Komet, Hale-Bopp war der „große Komet Hyakutake, die Erde in dem nach kosmische Maßstäben extrem gerinvon 1997“ (oben). Komet Hyakutake gen Abstand von nur 0,109 Astronomischen Einheiten, also rund einem passierte die Erde 1996 in einer Entfernung von „nur“ 15 Millionen Kilometern Zehntel des Abstands Erde-Sonne, passiert. Während seines Flugs durch (unten). © NASA/JPL-Caltech das Sonnensystem veränderten die Anziehungskräfte der Gasriesen Jupiter und Saturn seine Bahn so stark, dass sich seine Umlaufzeit von rund 8.000 Jahren auf 114.000 Jahre verlängerte. Doch neben diesen langperiodischen Kometen existiert noch eine andere Gruppe von „kosmischen Vagabunden“, die so genannten kurzperiodischen Kometen. Sie kehren typischerweise in sehr viel kürzeren Abständen in Sonnennähe zurück. Drei bis maximal 200 Jahre benötigen sie für einen Umlauf, ihre Bahn liegt dabei meist komplett innerhalb des Sonnensystems. Einige von ihnen tauchen sogar Der Kuipergürtel beherbergt wahrscheinlich mehr als 100 alle fünf bis sieben Jahre in Sonnennähe auf, ihr sonMillionen Himmelskörper verschiedener Größen. © MMCD nenfernster Punkt (Aphel) liegt dann meist nahe der Jupiterbahn. Zu diesen gehört beispielsweise auch der Komet Wild-2, den die NASA-Sonde „Stardust“ im Januar 2004 besuchte. Andere, darunter auch der Halleysche Komet, brauchen mehrere Jahrzehnte für einen Umlauf und haben ihren sonnenfernsten Punkt jenseits der Neptunbahn. Doch woher kommen Halley und Co.? Die Oortsche Wolke scheidet bei diesen kurzperiodischen Kometen aus, da sie viel zu weit außen liegt, um deren häufige Wiederkehrzeiten erklären zu können. Eine Lösung 18 Einige der größten bekannten transneptunischen Objekte des Kuipergürtels im Vergleich – auch Pluto und sein Mond Charon gehören heute dazu. © GFDL schlug schon 1951 der amerikanische Astronom Gerard Kuiper für diese Kometengruppe vor: Seiner Ansicht nach musste es ein zweites, näher an der Sonne liegendes Kometenreservoir geben, das sich wie ein Ring aus eisigen Materietrümmern nahe der Neptunbahn erstreckt. Da die Auflösung auch der stärksten Teleskope lange Zeit nicht ausreichte, um die lichtschwachen Objekte in einer solchen Entfernung auszumachen, blieb es zunächst bei der Theorie. 1988 jedoch konnten kanadische Astronomen mithilfe von Computerberechnungen zeigen, dass die Bahnen der kurzperiodischen Kometen tatsächlich gut mit der Existenz eines solchen „Kuipergürtels“ zu erklären wären. Ihren Berechnungen zufolge könnten sich 100 Millionen bis zehn Milliarden Kometenkerne in diesem Ring aufhalten. Erst in den 1990er Jahren konnten leistungsstärkere Teleskope erstmals bis ins Kuipergürtelgebiet blicken und entdeckten im vorher als leer geltenden Raum tatsächlich Himmelskörper – Kuipers Theorie war damit bestätigt. Inzwischen sind zahlreiche weitere dieser so genannten transneptunischen Objekte (TNO), eisige Weltraumbrocken von mehr als 100 Kilometern Durchmesser, beobachtetet worden. Astronomen schätzen ihre Zahl in dem Areal zwischen 30 und 50 astronomischen Einheiten von der Sonne entfernt auf mindestens 70.000. Kleinere Kometenkerne lassen sich zwar nach wie vor nicht direkt beobachten, doch es scheint kaum mehr Zweifel darüber zu geben, dass sie dort in großer Zahl vorhanden sein müssen. Die einzigen Objekte, die sozusagen aus dem Nichts auf uns zukommen können, sind Kometen. Alan Harris 19 Gefahr aus dem All Heute bekannte Meteoriten-Einschlagskrater auf der Erde (rote Punkte). Die Textfelder charakterisieren die 15 größten. © NASA 20 21 Gefahr aus dem All Ein Impakt kann bisher nur auf nicht-perfekte Art und Weise vorhergesagt werden, aber diese ist immerhin weitaus verlässlicher als die Prognosen von Erdbeben oder sogar Stürmen. Clark Chapman Diese Falschfarbenaufnahme zeigt den Kern des Kometen Borrelly (grau) und die ihn umgebenden „Koma“ aus Gas und Staub. Die Farben stehen für Helligkeit (rot: am hellsten; violett: am dunkelsten). © NASA/JPL-Caltech 22 Sogar der Pluto mit seinem Mond Charon könnte angesichts der neuen Funde im Kuipergürtel in einem ganz neuen Licht erscheinen: Schon lange rätseln Astronomen über den Ursprung dieses eisigen Doppelgespanns. Möglicherweise, so nun die Theorie, ist Pluto ein ursprünglich zum Kuipergürtel gehörender und jetzt in eine Planetenbahn eingeschwungener ruhender Riesenkomet. Wie gefährlich sind Kometen? Wie groß ist das Risiko, dass ein Komet auf der Erde einschlägt? Das hängt davon ab, um welchen Kometentyp es sich handelt: Innerhalb der Kometen gelten die bisher bekannten gut 150 kurzperiodischen Kometen als eher berechenbar: Sie machen zwar rund sechs Prozent aller erdnahen Objekte aus. Ihre Umlaufbahnen sind jedoch kartiert, ihre Größen bekannt und viele von ihnen sind eher kleinere Objekte. Anders dagegen sieht es bei den langperiodischen Kometen aus: Durch ihre langen Umlaufzeiten können sie völlig überraschend in Erdnähe auftauchen, da es meist keine historische Aufzeichnungen über ihr Erscheinen gibt und erst recht keine Bahnberechnungen. „Das bedeutet, dass sie aus dem Nichts auftauchen können. Denn wir waren vor tausend, zweitausend oder mehr Jahren nicht dabei, um die Umlaufbahn auszurechnen und zu sagen: ‚Aha, im Jahr 2007 wird er wieder vorbei kommen’“, erklärt der Astronom Alan Harris in der ZDF-Dokumentation. „Deswegen ist es wie mit Hale-Bopp: Sie sind plötzlich da.“ Und genau das ist das Problem: Denn die Kometen fliegen vergleichsweise schnell: Mit rund 70 Kilometern pro Sekunde rasen sie durch das innere Sonnensystem – und sind damit zwei- bis dreimal so schnell wie Asteroiden. Gleichzeitig fangen sie meist erst dann an, sichtbar zu werden, wenn die zunehmende Wärme in Sonnennähe ihren Eisanteil schmilzt. Sie beginnen „auszugasen“ – ehemals gefrorene feste Bestandteile werden wieder gasförmig und bilden eine leuchtende Hülle um den Kometenkern, die Koma. Auch der typische Schweif des Kometen, bestehend aus Gasen und Staub, wird dann erst sichtbar. Für die Überwachungsprogramme der Astronomen bedeutet dies, dass ein unbekannter, weil extrem langperiodischer Komet erst sehr spät entdeckt werden kann. „Hale-Bopp, das letzte große Beispiel dafür, hatte einen Durchmesser, soweit wir wissen, von etwa 50 Kilometern. Er war damit vergleichsweise riesengroß. Und er wurde zwei Jahre vor seinem Vorbeiflug entdeckt. Das ist nicht viel“, so Alan Harris. „Wir sind inzwischen ein bisschen weiter, da wir jetzt verbesserte Teleskope und Detektoren mit automatischen, Computer gesteuerten Verfahren für die Entdeckung beweglicher Objekte haben. Aber auch heute wäre es nicht möglich, eine Vorwarnzeit von mehr als 20 Monaten zu erreichen. Das ist einfach nicht machbar.“ Nach Ansicht des Experten besteht auch kaum Aussicht, dass sich diese Vorwarnzeit in der näheren Zukunft deutlich verlängern könnte, da die technischen Voraussetzungen dafür fehlen, Objekte unterhalb einer gewissen Helligkeitsstufe – die Astronomen sprechen hier von Größenklassen oder Magnituden – zu entdecken: „Wir haben jetzt Teleskope, die runter bis 22 oder 23 Größenklassen gehen können. Und das ist heute und bleibt wahrscheinlich noch für einige Jahre die Grenze.“ Der „Armageddon“-Komet Schon die Babylonier beobachteten den Halleyschen Kometen, wie diese Tontafel aus dem Jahr 164 vor Christus bezeugt. Er gehört zu den kurzperiodischen und damit relativ „berechenbaren“ Kometen. © unbekannt Einen langperiodischen Kometen von rund zwölf Kilometern Durchmesser – wie es das Szenario in „Armageddon – Der Einschlag“ vorsieht – könnte man nach Harris Berechnungen frühestens in einer Entfernung von acht astronomischen Einheiten von der Erde entdecken – dem achtfachen Abstand der Erde von der Sonne. Das klingt zwar zunächst viel, aber wegen seiner hohen Geschwindigkeit würde der Komet diese Entfernung in noch nicht einmal zwei Jahren zurücklegen. Harris: „Mehr Zeit würden wir in diesem Fall nicht haben. Wir bekommen nur dann mehr Zeit, wenn wir ein Objekt in seiner Umlaufbahn ständig beobachten können. Diese langperiodischen Kometen tauchen aber plötzlich auf.“ Für genauere Bahnberechnungen und Abwehrmaßnahmen bliebe da kaum eine Chance. Panik ist jedoch deswegen nicht nötig, denn nach Ansicht der Astronomen gehen rund 99 Prozent des Einschlagsrisikos auf der Erde nicht auf Kometen zurück, sondern auf das Konto von Asteroiden. Langperiodische Kometen tauchen im Vergleich einfach zu selten in Erdnähe auf. Auch die Überwachungsprogramme der Astronomen konzentrieren sich daher vor allem auf die Asteroiden. Asteroiden – Irrläufer im Sonnensystem Weit mehr als zwei Drittel aller bekannten Meteoriteneinschläge auf der Erde wurden von Asteroiden verursacht. Diese Himmelskörper stammen ursprünglich fast alle aus dem Asteroidengürtel zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter. Mehr als 100.000 Objekte, so die Schät- 23 Gefahr aus dem All Dieses Bild simuliert den Blick von der Oberfläche des Asteroiden Toutatis auf die Erde. Er passierte sie im September 2004 in nur 1,6 Millionen Kilometer Entfernung. © NASA/JPL-Caltech zungen der Astronomen, kreisen hier um die Sonne. Ihre Größe rangiert zwischen nur wenigen Meter kleinen Gesteinsbrocken bis hin zu ausgewachsenen Planetoiden wie dem 945 Kilometer großen Ceres. „Es gibt eine sehr, sehr steile Größenverteilung dieser Objekte, es gibt sehr viel mehr kleine als große. Denn sie werden im as Einschlagsrisiko durch Asteroiden ist ein Hauptgürtel zermahlen“, so Harris. Gefährlich werden diese Objekte der extremes Beispiel für ein Risiko mit einer sehr Erde in der Regel nicht – solange sie im geringen Wahrscheinlichkeit, aber potenziell Asteroidengürtel bleiben. Doch das ist katastrophalen Folgen. David Morrison nicht immer so: „Über lange Zeitperioden von Millionen von Jahren kann es zu einer Wanderung von Objekten von diesem Hauptgürtel auf erdnahe Umlaufbahnen kommen“, erklärt Harris. „Es gibt dynamische Prozesse, durch die diese Körper ihre Umlaufbahnen langsam ändern können.“ Der wichtigste dieser „Störenfriede“ ist der Jupiter. Die gewaltige Anziehungskraft des Gasriesen beeinflusst die Flugbahnen nahezu aller Objekte im Hauptgürtel. In bestimmten D 24