Vortrag Bästlein

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Referat von Dr. Bästlein anlässlich unserer Mitgliederversammlung am 7./8.10.2017
SPS in Notfall-und Intensivmedizin – was ist zu beachten
Mein Name ist Albrecht Bästlein und ich bin Facharzt für Anästhesiologie, also Narkosearzt
und Intensivmediziner. Meine erste Stelle als Arzt war in der Neurochirurgie, ich habe die
ersten 10 Jahre meines Berufslebens in Operationssälen, auf Intensivstationen und auf der
Straße im Krankenwagen verbracht.
Danach habe ich gemeinsam mit meiner Frau fast 20 Jahre lang eine Praxis für
Schmerztherapie geführt, wo wir uns also um chronisch Kranke gekümmert haben.
Ich hatte bis dahin sowohl auf den Intensivstationen wie unter den chronischen
Schmerzkranken schon die eine oder andere seltene Erkrankung gesehen, aber die ganz
seltenen sind auch den meisten Fachärzten unbekannt.
Im Februar dieses Jahres wurde bei meiner Frau offiziell ein SPS diagnostiziert. Deswegen
habe ich mich mit dieser seltenen Erkrankung aus persönlicher Betroffenheit näher
beschäftigt. Als Herr Jüngling mich dann fragte, ob ich etwas zum Thema Stiff-Person und
Notfallmedizin hier sagen könnte, war das für mich eigentlich ganz natürlich und
selbstverständlich.
Als Notarzt und auch als Anästhesist war ich immer dankbar, wenn ich Informationen über
Begleiterkrankungen bekam. Ohne entsprechende Vorinformation ist klar dass jede
Behandlung, egal ob als Notfall oder geplant, eventuelle unbekannte Grunderkrankungen
verschlimmern kann oder Komplikationen ausgelöst werden können, die ansonsten
vermieden werden könnten.
Paradebeispiel ist eine Medikamentenallergie.
Wenn ich als Arzt nicht davon weiß, kann mein Patient im schlimmsten Fall durch meine
Medikamente lebensbedrohlich an einem allergischen Schock erkranken, auch wenn ich
eigentlich alles richtig gemacht habe.
Deshalb werden vom Rettungsdienst, egal ob bei einem Notfall zu Hause oder unterwegs,
so viele medizinische Informationen wie möglich erfasst und auch aktiv erfragt.
Im Idealfall wird also der Patient oder sein Angehöriger den Rettungsdienst oder Notarzt
über Erkrankungen informieren und seinen Medikamentenplan übergeben.
Bei bewusstlosen Patienten oder falls sich jemand krankheitsbedingt nicht mitteilen kann,
wird normalerweise immer in Brieftaschen oder Portemonnaies nach den Personendaten
gesucht. Und spätestens im Krankenhaus wird auch noch ganz intensiv nach der
Versichertenkarte gefahndet. Ich empfehle daher einen Notfallausweis oder eine Notfallkarte
direkt bei der Versichertenkarte in Brieftasche oder im Portemonnaie aufzubewahren.
Jeder Notfallausweis, den der Rettungsassistent findet, wird sofort an den behandelnden
Notarzt oder Krankenhausarzt weitergegeben.
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Was ist nun besonders bei SPS zu beachten?
•
Wir müssen davon ausgehen, dass keiner im Rettungsdienst, und auch im Krankenhaus mit SPS etwas anfangen kann.
•
Die meisten SPS-Patienten haben zusätzlich zum SPS eine oder mehrere Begleiterkrankungen.
•
Ein Großteil der der SPS-Patienten steht unter einer Dauermedikation , z.B. Valium
oder Baclofen
Beim SPS sind Nervenfunktion und Muskelsteuerung gestört und können zur
Beeinträchtigung von Atmung und Kreislauf führen.
Solche Erkrankungen nennen wir «neuromuskulär».
Das ist eine Gruppe von verschiedenen Krankheiten und jeder Anästhesist wird sofort
hellwach, wenn er das Wort «neuromuskuläre Erkrankung» bei seinem Patienten hört, weil
es ja seine Aufgabe ist, Atmung und Kreislauf stabil, und die Muskulatur entspannt zu halten
und für ein sicheres Aufwachen zu sorgen, was bei den meisten neuromuskulären
Erkrankungen kompliziert sein kann.
Besonders beim SPS ist nun, dass nicht nur die Muskelfunktion gestört ist, sondern auch die
vegetative Regulation, also das Schwitzen, der Blutdruck, Atmung, Herzfrequenz und die
Körpertemperatur gestört sein können.
Sie kennen das vielleicht von sich selbst dass Sie, wo andere ein bisschen Herzklopfen
haben, immer gleich ordentlich Herzjagen oder Schwindel bekommen, oder
Schweißausbrüche bei jeder Gelegenheit.
Eine Besonderheit beim SPS Patienten ist, dass hier am besten Medikamente wie Valium,
Rivotril oder auch Baclofen wirken. Diese Medikamente stellen die in Gehirn und
Rückenmark durch das SPS gestörte Übertragung zur Muskelsteuerung wieder her und
helfen auch gegen die vegetativen Fehlregulationen.
Wird diese wirksame, regelmäßige Medikation unterbrochen, hat das für die SPS-Patienten
viel dramatischere Folgen als für die meisten anderen Patienten, die solche Medikamente
aus anderen Gründen bekommen.
Solche Unterbrechung kann entstehen, wenn bei bewußtlosen oder schwer kranken
Patienten die behandelnden Ärzte nichts von der Medikation wissen.
Ein Entzug von Valium oder Rivotril kann zu Verwirrtheitszuständen führen.
Das sind wir gewöhnt, denn das ist nicht selten, besonders bei älteren Patienten. Und
natürlich haben wir Erfahrung, die Behandlung entsprechend anzupassen.
Das Hauptproblem ist aber, dass solch eine ungewollte Medikamentenpause auch selbst
wieder vegetative Fehlregulation und Muskelkrämpfe auslösen kann. Weil das aber sowieso
schon die Symptome bei SPS sind, bedeutet solch eine Medikamentenunterbrechung für
SPS-Patienten ein extrem hohes Risiko besonders für Blutdruckabfälle und Muskelkrämpfe.
Der Baclofenentzug ist noch dramatischer, weil die Patienten hier zusätzlich zur Verwirrtheit
und Muskelkrämpfen auch noch Fieberzustände mit schweren Blutdruckabfällen entwickeln
können, die sich nur sehr schwer behandeln lassen und die mit anderen Krankheitsbildern
verwechselt werden können.
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Was bedeutet das jetzt im konkreten Notfall für Sie als Patienten und uns Ärzte?
Meine Ausführungen über die unter Umständen lebensbedrohlichen vegetativen
Entgleisungen im Rahmen des SPS und dem ungewollten Medikamentenentzug sind schon
die schlechteste Nachricht des Tages.
Die gute Nachricht - und das hervorzuheben liegt mir ganz besonders am Herzen - ist, dass
Ihre Erkrankung SPS im Falle eines Notfalls oder einer Operation bei funktionierender
Informationskette zum Notarzt oder zum Narkosearzt mit keinem erhöhten Risiko
einhergeht.
Alle medizinischen Behandlungen, einschließlich der intensivmedizinischen oder Narkosen
sind nicht mit einem erhöhten Risiko verbunden, solange Ihre Medikamente weitergegeben
werden.
Es ist mir deswegen besonders wichtig, nochmals, dass alle Informationsmöglichkeiten
ausgenutzt werden, damit Sie auch für Narkosen oder Notfälle kein höheres Risiko für
Nebenwirkungen und Komplikationen haben als alle anderen Menschen auch.
Bitte nutzen Sie daher die Möglichkeiten des Notfallausweises, der Notfalldose, einer
Informationskarte und alle Arten der Information um die Arbeit von Ersthelfern und
Intensivmedizinern zu unterstützen.
Jetzt noch ein paar Informationen zur Narkose und Operationen bei SPS Patienten:
Auch hier gilt wieder, bei geplanten Eigriffen oder im Notfall:
Wenn Sie mit Ihrem Anästhesisten über Ihre Erkrankung sprechen können, sind keine
Komplikationen zu erwarten.
Ich als Anästhesist muss aber dennoch von den heute so beliebten ambulanten Operationen
abraten, da hier oft keine ausreichende Möglichkeit einer Nachbehandlung und Nachbeobachtung gewährleistet ist. Ich werde das gleich erklären.
Geplante Operationen und Behandlungen sind also ungefährlich, wenn der Anästhesist über
SPS informiert ist. Ein paar Dinge müssen beim SPS-Patienten aber besonders beachtet
werden:
Die Lagerung muss bei SPS-Patienten, besonders, wenn sie eine verformte Wirbelsäule
haben, besonders sorgfältig erfolgen.
Regionalanästhesien, also Betäubungen von einzelnen Körperregionen, eignen sich im
Prinzip für SPS-Patienten genauso wie für «normale» Patienten.
Aber: Die häufig vorkommenden Wirbelsäulenverformungen könnten eventuell ein Grund
sein, besser keine Rückenmarksbetäubung durchzuführen.
Einerseits ist es, vor allem für den Patienten, aber auch für den Arzt recht quälend, wenn
man mehrere Versuche braucht, um bei einer verformten Wirbelsäule mit der Spritze an die
richtige Stelle zu kommen.
Außerdem können Krämpfe ausgelöst werden, wenn die Prozedur nicht gleich gelingt, was
das Vorhaben dann noch weiter erschwert.
Auch muss man die Ängstlichkeit bei solchen Narkoseformen mit den Patienten besprechen
und berücksichtigen, denn wie wir alle wissen, kann auch starker Stress sowohl
Muskelkrämpfe auslösen wie auch vegetative Reaktionen verschlimmern.
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Wer sich bei dem Gedanken an eine Regionalanästhesie, also eine Operation bei vollem
Bewusstsein, unwohl fühlt, sollte sich lieber für eine Vollnarkose entscheiden.
Bei einer Vollnarkose erhalten sie eine Kombination aus Schlafmittel, Schmerzmitteln und,
falls nötig, muskelentspannenden Mitteln. Die muskelentspannenden Medikamente wirken
anders als ihr gewohntes Valium oder Baclofen, deshalb ist es bei längeren Eingriffen
wichtig, die gewohnte Medikation auch in der Narkose weiterzugeben.
Ihre Beatmung wird in der Narkose durch den Anästhesisten sichergestellt, die Medikamente
zur Narkoseeinleitung wirken bei Ihnen genauso zuverlässig wie bei allen anderen
Patienten.
Egal für welches Narkoseverfahren sie sich mit dem Anästhesisten entscheiden, es werden
während der Operation alle Körperfunktionen wie Blutdruck, Temperatur, Atmung und sogar
die Hirnfunktion ständig gemessen und überwacht und wir können jederzeit regulierend
eingreifen.
Dasselbe gilt für den Aufwachraum und die Intensivstation.
Bei Notfallbehandlungen oder -operationen wird der Anästhesist anhand der ihm zur
Verfügung stehenden Informationen selber entscheiden müssen, welche Narkose oder
Behandlung für Sie die beste ist.
Bei geplanten Operationen ist eine Nachbeatmung, also die Verlängerung der Narkose über
den Operationszeitraum hinaus, wegen des SPS in der Regel nicht notwendig.
Wegen eines etwas erhöhten Risikos für Kreislaufschwäche und Muskelkrämpfe wird aber
von der Operation in ambulanten OP-Zentren abgeraten, und auch nach kleinen Eingriffen
eine mindestens 6-stündige Nachbeobachtung einschließlich der Möglichkeit, eventuell über
Nacht im Krankenhaus zu bleiben, empfohlen.
Für Patienten mit der PERM-Variante kann es auch sinnvoll sein, präoperativ eine
Extradosis der laufenden Behandlung wie z.B. Kortisonstoß oder Hämofiltration zu
verabreichen.
Die Gabe von Immunglobulinen vor einem Eingriff ist etwas umstritten.
Es kann aber sinnvoll sein, eine Operation entsprechend in einen laufenden
Behandlungsrhythmus entsprechend in einen Zeitraum zu planen, wo die individuelle SPSSymptomatik erfahrungemäß ruhiger ist.
Ich habe bei meiner Recherche für diesen Vortrag zahlreiche Fallberichte über problemlose
Narkosen und gut gelungene Behandlungen bei SPS-Patienten gelesen.
Die Berichte über schwerwiegende Zwischenfälle bei SPS beziehen sich fast ausnahmslos
auf Fälle in denen die Information über SPS den behandelnden Ärzten nicht vorlag.
Wie ich eingangs erwähnt habe, müssen Sie davon ausgehen, dass Ihre Erkrankung bei
Not- und Fachärzten im Krankenhaus nicht bekannt ist
Alles was der Anästhesist wissen muss, findet er auf der Internetseite Orphananesthesia.
Diese Seite wird von den europäischen Fachgesellschaften für Narkose- und
Intensivmedizin gemacht und arbeitet sehr eng mit der patientenzentrierten Organisation für
seltene Erkrankungen Orphanet zusammen, die einige von Ihnen vielleicht kennen.
Die Informationen auf der Seite werden regelmäßig aktualisiert und befinden sich dort auf
deutsch, englisch und spanisch.
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Sie sind so gemacht, dass sich jeder Anästhesist und Notarzt rasch einen Überblick
verschaffen kann.
Herr Jüngling hatte die, wie ich finde großartige Idee, mit einem QR-Code den interessierten
Arzt direkt auf die SPS-Information der Orphananesthesia-Seite zu leiten.
Er hat dazu eine Serviceseite vorbereitet, mit der man zwei unterschiedliche Ausdrucke, im
Din A 5-Format für eine Notfalldose und im Scheckkartenformat für die Brieftasche mit den
notwendigen Informationen und dem Link auf die Internetseite ausdrucken kann.
Sie können aber auch eine bereits vorbereitete Informationskarte im Scheckkartenformat
nutzen, die Sie zusammen mit Versichertenkarte und Notfallausweis aufbewahren können.
Für den Notfall in der Wohnung halte ich die Idee der Notfalldose mit einem auffälligen
Aufkleber im Wohnungseingangsbereich für den Rettungsdienst für sehr gut.
Die Dose sollte einen Ausdruck der SPS-Information, den Notfallausweis und eine aktuelle
Medikamentenliste enthalten.
Natürlich kann man so eine Notfalldose auch zu geplanten Behandlungen zu einen Facharzt
mitnehmen.
Da ist dann immer gleich alles beisammen was man braucht.
Für unterwegs oder auf Reisen ist es, wie eingangs gesagt, am besten die Brieftasche oder
das Portemonnaie für die Notfallinformation geeignet, Stichwort Versichertenkarte.
Man sollte unbedingt den Hinweis auf SPS auffällig im Notfallausweis vermerken oder die
Karte mit dem Internetlink mit reinlegen.
Mein Fazit dieses Vortrages ist, dass wir alles, was wir selber beeinflussen können, auch
umsetzen müssen.
Nur so können wir der allgemeinen Hilflosigkeit gegenüber seltenen Erkrankungen etwas
entgegensetzen.
Dr. med. Albrecht Bästlein
Lillehammer - Norwegen
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