Laborgemeinschaft ß-Thalassämie OMIM 141900 Institut für medizinische & molekulare Diagnostik AG. Zürich Info 1. Bedeutung Thalassämien sind weltweit die häufigsten monogenen Erkrankungen überhaupt. 1925 beschrieben Thomas Cooley et al. eine schwere Form von chronischer Anämie bei Kindern italienischen Ursprungs. Da weitere zu dieser Zeit beschriebene Fälle ebenfalls Kinder aus dem Mittelmeerraum betrafen, wurde die Erkrankung Thalassämie genannt (griechisch: Thalassa = Mittelmeer). Thalassämien werden verursacht durch quantitative Störungen der Hämoglobinsynthese. Entsprechend der jeweils betroffenen Globinkette werden a-, ß-, g- und dThalassämien unterschieden. 3% der Weltbevölkerung, d.h. etwa 150 Millionen Menschen tragen ein ß-Thalassämie-Gen. ß-Thalassämien sind weit verbreitet im Mittelmeerraum, im Mittleren Osten, auf dem Indischem Subkontinent, in Südostasien sowie in Afrika. Man nimmt an, dass - ähnlich wie bei der Sichelzellanämie - der Schutz vor Malaria, den die Erkrankung bietet, zu einer selektiven Bevorteilung der Merkmalsträger geführt hat [1,2,3]. Den ß-Thalassämien liegen mehr als 200 verschiedene Mutationen auf Chromosom 11 zugrunde, die entweder zu verminderter (Phänotyp ß+-) oder aufgehobener Synthese von ß-Globinketten (Phänotyp ßo-Thalassämie) führen. Die Gendefekte werden autosomal rezessiv vererbt und kommen geographisch mit unterschiedlicher Häufigkeit vor. In relativ homogenen Populationen machen einige wenige Defekte einen grossen Teil der Mutationen aus, in Sardinien z.B. sind zwei Mutationen für nahezu 98% der Erkrankungen verantwortlich [4]. Durch die Zuwanderung aus den Hauptverbreitungsgebieten gelangten die Defekte nach Nord- und Zentraleuropa, wo sie inzwischen von erheblicher klinischer Bedeutung sind. In Deutschland z.B. leben 300 bis 400 Patienten mit homozygoter ßThalassämie [5], Zahlen für die Schweiz sind nicht bekannt. In diesen Ländern ist das molekulare Spektrum infolge des Zusammentreffens verschiedener Ethnien erwartungsgemäss heterogener als in Endemieländern [1,2,5]. Homozygotie führt zur schwersten, transfusionsabhängigen Form der Erkrankung, zur Thalassämie major. Sie tritt bei Kindern, deren Eltern beide heterozygote Träger sind, mit einer Wahrscheinlichkeit von 25% auf. Von ausschlaggebender pathophysiologischer Bedeutung sind dabei die entsprechend überzähligen a-Globinketten, die ohne ß-Ketten Aggregate bilden und bereits in den Erythroblasten präzipitieren, was die Erythropoese schwer beeinträchtigt und zur Anämie führt. Schon im ersten Lebensjahr manifestiert sich die schwere Anämie, begleitet von Ikterus als Zeichen der Hämolyse, mit Hepatosplenomegalie infolge vermehrten Erythrozytenabbaus und extramedullärer Blutbildung, mit aufgetriebenem Schädel (röntgenologisch “Bürstenschädel”) sowie Knochenverdickungen aufgrund der Knochenmarkshyperplasie. Die heterozygoten Thalassämien werden als Thalassämie minor bezeichnet. Solche Patienten sind in der Regel klinisch asymptomatisch. Die bei Trägern immer vorliegende leichte mikrozytäre Anämie wird oft nur zufällig im Hämatogramm entdeckt. Die Anämie kann durch Infekte, durch Folsäure- oder Eisenmangel verstärkt werden. 2. Nachweismethoden Die Diagnose erfolgt primär mit klassischen hämatologischen Untersuchungen wie Hämatogramm (Erythrozytenzahl, Hb-Konzentration, MCV, MCH, Retikulozytenzahl), Blutausstrich (Mikro-, Aniso-, Poikilozytose, Polychromasie, Targetzellen), Ferritin und der Analyse der Hämoglobin-Zusammensetzung durch IonentauscherHPLC. Diese hat seit langem die veraltete Elektrophorese ersetzt. Sie erlaubt die exakte Quantifizierung von Hb Komponenten (HbA, HbA2, HbF) und pathologischen Hämoglobinen (HbS, HbE, HbC etc.). WebSite www.lg1.ch Konsilium All Content Copyright© LG1/IMD Okt. 2006/140901 1 Zudem können auch posttranslationelle Modifikationen quantifiziert werden (HbA1c z.B.). Da mit der herkömmlichen Hb-Elektrophorese verschiedentlich Trägerstaten sowie diverse Hb-Pathien nicht erfasst werden, sollte nur noch die sensitivere und selektivere Hb-HPLC verwendet werden. In den meisten Fällen lässt sich mit diesen Mitteln die Diagnose stellen. Bei speziellen Fragestellungen (z.B. Thalassämie major/intermedia, Kombinationen mit strukturellen Hb Varianten) werden die Reversed Phase HPLC und/oder isolelektrische Fokussierung beigezogen. Wird eine ß-Thalassämie (minor) diagnostiziert, ist die Abklärung von Familienange-hörigen (Eltern, Geschwister) und Partnern eines Indexpatienten dringend indiziert. Diese kann in der Regel mit traditionellen Methoden erfolgen. Molekulare Spezialuntersuchungen müssen eingesetzt werden, wenn aus der klassischen Analytik grenzwertige oder unklare Resultate hervorgehen. Ebenso unerlässlich ist die molekulare Analytik für eine genetische Beratung sowie die pränatale Diagnostik. Eine pränatale Diagnose kann an einer Chorionzottenbiopsie mit vertretbarem Risiko in der 9. bis 11. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden. Voraussetzung dafür ist die molekulargenetische Vorabklärung beider Eltern, um den molekularen Defekt genau zu charakterisieren. Sie ist u.U. zeitlich sehr aufwendig, benötigt dementsprechende Planung und soll vor der Schwangerschaft abgeschlossen sein [6]. 3. Indikationen • mikrozytäre Anämien nach Ausschluss eines Eisenmangels • chronisch-hämolytische Anämien • Familienuntersuchung • Partnerscreening für genetische Beratung • Pränataldiagnose 4. Untersuchungsmaterial • EDTA Blut • Chorionzottenbiopsie 5. Literatur 1] A.E. Kulozik. Hämoglobinopathien, p. 369-392. In: Handbuch der Molekularen Medizin, Band 6. Monogen bedingte Erbkrankheiten 1. D. Ganten, K. Ruckpaul (Hrsg.). Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2000. [2] D.J. Weatherall. Phenotype-genotype relationships in monogenic disease: lessons from the thalassaemias. Nature Rev. 2001, 2:245-255. [3] N.F. Olivieri. The b-thalassemias. New Engl. J. Med. 1999, 341:99-109. [4] R.J. Trent, H. Le, B. Yu. Prenatal diagnosis for thalassaemia in a multicultural society. Prenat. Diagn. 1998, 18:591-598. [5] C. Schwarz, B. Vetter, E. Kohne, A.E. Kulozik. b-Thalassämie in Deutschland: Molekulargenetik und klinischer Phänotyp in der zugewanderten und in der heimischen Bevölkerung. Klin. Pädiatr. 1997, 209:172-177. [6] F. Vogel, A.G. Motulsky. Human genetics: problems and approaches. Chapter 7. Gene action: genetic diseases, human hemoglobin, p. 299-325. Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York, 3rd edition 1997. WebSite www.lg1.ch Konsilium All Content Copyright© LG1/IMD Okt. 2006/140901 2