Die Eurozone fällt im Maastrichter Fitnesstest durch

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B˛rsen-Zeitung
Zeitung fˇr die Finanzmärkte
Ausgabe
37 vom 22.02.2014, Seite 5
GASTBEITRAG
Die Eurozone fällt im Maastrichter
Fitnesstest durch
B˛rsen-Zeitung, 22.2.2014
Vor gut 20 Jahren trat der Maastricht-Vertrag in Kraft. Verabschiedet war er bereits im Frˇhjahr 1992,
der Ratifizierungsprozess fˇhrte
zum offiziellen Start am 1.11.1993.
Zwischen Vereinbarung und Inkrafttreten lag im Herbst 1992 eine der
gr˛ßten Währungskrisen in Europa.
Das damalige Europäische Währungssystem brach beinahe auseinander und konnte nur mit einer Verbreiterung der Schwankungsbandbreiten erhalten werden.
So etwas hoffte man dann mit den
klaren Regeln des Maastricht-Vertrages zu verhindern. Allen voran ist die
,,No-Bail-out‘‘-Klausel zu nennen,
aber auch die Beitrittskriterien
Preisniveaustabilität, Wechselkursstabilität, Stabilität der langfristigen
Zinssätze und Stabilität der ˛ffentlichen Finanzen – die sogenannten
Maastricht-Kriterien. Stabilität der
˛ffentlichen Finanzen wurde mit
den Indikationen Schuldenstand
kleiner als 60 % des nominalen Bruttoinlandsprodukts, laufendes Defizit
kleiner als 3 % des BIP spezifiziert.
Finnland, Lettland, Luxemburg,
Deutschland, Italien, Österreich
und die Slowakei.
Inflation: Die ursprˇngliche Forderung lautete, dass die Inflation
den Durchschnitt der Inflationsraten
der drei preisstabilsten Mitglieder
um nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte ˇberschreiten darf. Rein
technisch wˇrden sich angesichts
der aktuell disinflationären Tendenzen in verschiedenen europä-
diesem Kriterium. Als Datengrundlage ziehen wir die aktuellsten Projektionen der EU-Kommission fˇr
das Jahr 2013 heran. Somit erfˇllt
nur Griechenland mit der derzeitigen Deflation das Kriterium nicht.
Zinskonvergenz: Die langfristigen
Zinsen sollten nicht mehr als 2 Prozentpunkte ˇber dem Durchschnitt
der drei preisstabilsten Länder liegen. Wegen der aktuellen disinflationären Tendenzen in der Periphe-
ischen Ländern wiederum nur wenige qualifizieren. Hier k˛nnte man
mit Fug und Recht argumentieren,
die Väter des Maastricht-Vertrages
hätten in diese Rechnung keine deflationären Tendenzen aufnehmen
wollen. Wir haben das Kriterium
schwächer angesetzt und werten es
als erfˇllt, wenn die Inflationsrate
maximal 1,5 Prozentpunkte ˇber einer als preisstabil geltenden Inflation von knapp unter 2 % – wir haben
1,9 % angesetzt – abweicht. Wie die
EZB immer wieder betont, gilt das
Ziel der Preisniveaustabilität in beide Richtungen. Wir setzen ein deflationäres Umfeld als Untergrenze bei
rie wˇrden die hohen Zinsen dieser
Länder in den Durchschnitt eingehen. Aufgrund der Sondersituation
in den Peripherieländern verwenden wir stattdessen den Durchschnitt der drei Länder mit den niedrigsten Zinsen. Bedenkt man, dass
die Zinsunterschiede vor 20 Jahren
vor allem von Wechselkurserwartungen getrieben wurden und nur
sehr nachrangig durch DefaultÄngste, wäre in einer stabileren
Währungsunion dieses Kriterium eigentlich enger zu fassen. Wir verzichten hier aber auf eine engere
Auslegung. Mit den Durchschnittswerten des Jahres 2013 erfˇllen alle
Wäre Neugrˇndung m˛glich?
Vor dem Hintergrund des Euro-Beitritts Lettlands zum Jahresanfang:
Wie fit sind denn nun die derzeitigen
Mitglieder der Währungszone?
Dˇrften sie vom Gedanken des Vertrages von Maastricht her heute
ˇberhaupt starten? Auf das Kriterium der Wechselkursstabilität wird
aufgrund der gemeinsamen Währung verzichtet.
Machen wir den Euro-Fitnesstest:
Schuldenh˛he: Eine Verschuldung
unter 60 % des BIP, gemessen an
den verfˇgbaren Zahlen von Mitte
2013, weisen derzeit nur fˇnf Mitglieder der Eurozone auf, nämlich
Estland, Lettland, Finnland, Luxemburg und die Slowakei. Wˇrde man
die Schwelle auf die von den USÖkonomen Carmen Reinhart/Kenneth Rogoff als Grenze der Handlungsfähigkeit
deklarierte
90%-Marke setzen, kämen weitere fˇnf
Länder hinzu, nämlich Deutschland,
Österreich, die Niederlande, Malta
und Slowenien.
Neuverschuldung: Das Kriterium
eines laufenden Defizits von nicht
ˇber 3 % des BIP erfˇllen auch nur
neun Mitglieder. Nach den aktuellen
Schätzungen der EU-Kommission
fˇr 2013 sind dies Belgien, Estland,
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Staaten, die man unter ,,GIIPS‘‘ zusammengefasst hat, also Griechenland, Irland, Italien, Portugal und
Spanien, zuzˇglich Slowenien und
Zypern, dieses Kriterium nicht.
Welche Euro-Länder sind heute also noch fit fˇr eine Währungsunion?
Das Ergebnis ist ernˇchternd. Wˇrde man die Währungsunion derzeit
neu einfˇhren wollen, hätten den
Test nur Luxemburg, Estland, Lettland, Finnland und die Slowakei bestanden. Ergebnis: Man wˇrde die
Währungsunion nie beginnen.
Wird das Schuldenkriterium aufgrund der Rezession im Anschluss
an die Finanzkrise von 2008/2009
auf die angesprochenen 90 % gelokkert, wˇrden sich noch Deutschland
und Österreich qualifizieren. Und
wäre dazu noch die Verletzung eines
der von uns ausgewählten Kriterien
akzeptabel, wˇrden noch Belgien,
Malta und die Niederlande hinzukommen.
Wir halten fest: Selbst bei einer
großzˇgigen Aufweichung der Fitnessanforderungen wären derzeit
die Grˇndungsmitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
von 1957 – Frankreich und Italien –
nicht Mitglied der Währungsunion.
Auch nicht dabei: die unter dem Rettungsschirm befindlichen Krisenländer. Das bedeutet, mˇsste man die
Währungsunion neu starten, wˇrde
man dies heute nicht tun. Eine Eurozone ohne zumindest Frankreich
wäre politisch nicht durchsetzbar.
Nun ist natˇrlich eine europäische
Währungsunion nicht zu korrigieren
wie eine Markteinschätzung oder
Konjunkturprognose. Die Information, dass man trotz der ,,geschenkten‘‘ Wechselkursstabilität in einem
Set-up gefangen ist, das man heute
so nicht starten wˇrde, ist aber wichtig auch fˇr die aktuelle Diskussion.
Eine nachhaltige Stabilisierung bei
beiden Kriterien der ˛ffentlichen Finanzlage, insbesondere dem Niveau
des Schuldenstandes, ist auch fˇr die
absehbare Zukunft kaum zu erwarten.
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gen, eine solche Politik auf Dauer
zu betreiben.
Eine Frage der Disziplin
Momentan konzentriert sich die Diskussion darauf, die Währungsunion
durch eine Bankenunion stabiler zu
machen, genauso wie mit dem Fiskalpakt einige neue Komponenten
fˇr die Fiskaldisziplin hinzuzufˇgen.
Aber ist es wirklich das, was gefehlt
hat?
Erstens: Der Fiskalpakt versucht,
eine Disziplin einzufordern, die bislang nicht vorhanden war. Welchen
Sinn soll eine Verschärfung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes denn haben, wenn schon der
originäre Pakt nicht eingehalten
wird? Wie lange soll es denn dauern,
die 60- %-Marke wieder zu erreichen? Kaum vorstellbar, dass dies
fˇr Italien, Griechenland etc. ohne
externe Hilfe, Schuldennachlass
oder Schuldenschnitt, im nächsten
Jahrzehnt gelingt.
Zweitens, die Bankenunion: Anfang November ˇbernimmt die EZB
fˇr die 130 großen Banken der Eurozone die Aufsicht. Das ist gut, aber
die Bankenunion ist nur eine Vertiefung der monetären Union. Die
Kernfrage, die schon vor dem Entstehen der Währungsunion von der
Bundesbank im Rahmen der damaligen ,,Kr˛nungstheorie‘‘ in den Mittelpunkt gestellt wurde, ist: Braucht
eine gemeinsame Haftung nicht eine
fiskalische Union, und braucht eine
fiskalische Union nicht eine politische Union?
Unsere Bestandsaufnahme zeigt,
dass zusätzliche Anstrengungen erforderlich sind, um das existierende
Konstrukt Europäische Währungsunion zu stabilisieren. Die EZB hat
mit ihrer Politik Zeit geschaffen.
Der Preis dafˇr ist allerdings hoch –
die St˛rung der Marktmechanismen
und damit Effizienzverluste mit
langfristigen Wachstumseinbußen
wie auch eine nachlassende Reformbereitschaft. Dies spricht klar dage-
Unverrˇckbare Stˇtzpfeiler
In jedem Fall braucht man ordnungspolitische Stˇtzpfeiler des
Wirtschaftssystems, die bei allen
Mitgliedsländern auch in Krisenzeiten nicht zur Disposition stehen dˇrfen: Eigenverantwortung mit dem
Insolvenzrisiko fˇr Unternehmen jeder Gr˛ße, Nichtbelohnen von Moral Hazard, internationale Wettbewerbsfähigkeit, flexible (Arbeits)Märkte, Aufgeben der Staatsgläubigkeit. Daneben ist aber auch eine
einheitliche Zielvorgabe notwendig:
Wohin soll die Entwicklung gehen?
In eine politische Union, die von Fiskalunion begleitet wird und in der
jeder Bˇrger das gleiche Stimmrecht
hat? Welche nationalen Institutionen (Beispiel Deutschland: Bund,
Länder und Gemeinden) geben
dann Kompetenzen ab? Oder wollen
wir Maastricht 2.0, das den nationalen Gestaltungsspielraum erhält,
aber die einmal vorgegebenen Regeln nicht mehr ändert? – Stichwort
,,No Bail-out‘‘.
Die durch die EZB erkaufte Zeit ist
nicht unendlich. Wir befinden uns
im fˇnften Jahr eines globalen Aufschwungs, Aufwärtszyklen dauern
nicht unbegrenzt. Die derzeitige Ruhe in der Eurozone ist mangels ausreichender Fitness nicht nachhaltig.
Spätestens der nächste wirtschaftliche Abschwung oder große Zinsanstieg wird die gegenwärtige Phase
der Ruhe rasch beenden. Ist die Fitness in der Eurozone bis dahin nicht
signifikant besser, d.h. die Grundfragen bezˇglich Fiskalunion/politische Union adressiert, k˛nnte der
nächste Härtetest zu einer gr˛ßeren
Krise als bisher gesehen fˇhren.
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Jˇrgen Callies, Leiter Research,
Meag
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