Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement EVD Staatssekretariat für Wirtschaft SECO Kommunikation Referat Staatliche Regulierung nach der Wirtschaftskrise − Was hat man gelernt? Jean-Daniel Gerber Staatssekretär und Direktor SECO1 Freie Marktwirtschaft und staatliche Intervention Referat und Podiumsdiskussion am Europa Institut der Universität Zürich 8. Dezember 2009 1 Dieses Referat wurde in Zusammenarbeit mit Peter Balastèr und Sven Michal, Direktion für Wirtschaftspolitik, SECO, erarbei- tet. Sehr geehrte Damen und Herren Der Titel des Referats, den die Veranstalter gesetzt haben, ist ermunternd: Staatliche Regulierung nach der Wirtschaftskrise. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Frühling. Wohl ist die schweizerische Wirtschaft im 3. Quartal wieder leicht gewachsen. Aber damit sind die wirtschaftlichen Probleme noch nicht überwunden. Wir lösen uns von der Talsohle ab. Es wird aber noch Rückschläge geben, namentlich bei der Beschäftigung. Ich bin dennoch nicht gegen den Titel angetreten, denn wir sollten mit Zuversicht in die Zukunft blicken. Der wirtschaftliche Einbruch konnte unter anderem mit einer eindrücklichen Reihe weltweit koordinierter konjunkturstimulierender Massnahmen gestoppt werden. Wir dürfen davon ausgehen, dass nach dem Auslaufen der Effekte der Stabilisierungsprogramme die normalen Treiber des wirtschaftlichen Wachstums, nämlich diejenigen aus dem privaten Sektor, wieder die Oberhand gewinnen. Ich denke hier an die unternehmerische Initiative und die Innovationsbereitschaft, die es an jedem Arbeitsplatz braucht. Aber damit wären wir bereits beim Thema: Wird die Innovationsbereitschaft nicht durch ein Korsett staatlicher Regulierungen gebremst? Dies ist eine allgemeine Frage und als solche will ich sie zunächst behandeln, bevor ich einen Bezug zur aktuellen Krise herstelle. Zehn Jahre Regulierungsfolgenabschätzung Seitens des SECO stellen wir uns der Herausforderung der Regulierungsdichte seit Jahren. Wir wollen dafür sorgen, dass das Regulierungskorsett nicht zu eng geschnürt wird. Zum Beispiel ist es nun genau zehn Jahre her, dass wir die Regulierungsfolgenabschätzung eingeführt haben. Zu jedem Gesetz, zu jeder bedeutenden Verordnung muss das den Antrag stellende Amt fünf Fragen beantworten? • Ist der Erlass respektive dessen Revision nötig? • Wer sind die Begünstigten, wer die Benachteiligten? • Wie saldieren sich die Effekte gesamtwirtschaftlich, das heisst was bedeutet der Erlass für Wachstum und Innovation? • Welche Alternativen wurden geprüft und weshalb verworfen? • Ist der Erlass überhaupt vollzugstauglich? Gewagte These: Branchen "kaufen" Regulierungen − der Staat als Marktöffner? Vielleicht ein Wort zur Frage: Wer sind die Begünstigten, wer die Benachteiligten von Regulierungen? Oft wird das Vorurteil kolportiert, der Staat sei in der Regel der Treiber der Regulierung, regulatorische Hürden würden der Wirtschaft auferlegt. Ich stelle eine Gegenthese in den Raum, die nicht immer, aber recht oft gilt: Branchen kaufen Regulierungen. In den letzten Jahren war es oft der Staat selbst, der Hürden für die Wirtschaft abgebaut hat. Denken wir an das Cassis de Dijon-Prinzip, das die heutige Bundespräsidentin Doris Leuthard im Jahr 2004 per Postulat im Parlament für die Schweiz zur Diskussion stellte. Das Prinzip erleichtert die Vermarktung von Produkten, die nach europäischen Normen hergestellt wurden. Der Bundesrat hat sich sehr liberal gezeigt: Er hat die ursprünglich 128 geforderten Ausnahmen auf 18 reduziert. Am 1. Juli 2010 wird der entsprechende Erlass in Kraft gesetzt und die regulatorischen Hürden werden abgebaut. 2/8 Auch die wissenschaftliche Evaluation der staatlichen Regulierungstätigkeit liegt auf einer Linie mit der eingangs formulierten These: Regulierungen werden oft nicht einfach staatlich auferlegt, sondern vielmehr von der betroffenen Branche gekauft, durch Lobbying bei den Behörden und in den Parlamenten. Denn oft genug sucht eine Branche selbst den Schutz vor "zu viel Wettbewerb", Schutz vor dem Druck von Konkurrenten und aus dem Ausland. Sicher, die Aussage, dass Branchen Regulierungen kaufen, ist zu kategorisch, sie trifft nur auf einen Teil der staatlichen Regulierungstätigkeit zu. Aber diesen Teil gibt es: Denken Sie an das Projekt, die Preisbindung für Bücher wieder einzuführen. WEKO und Bundesrat hatten sich gegen das Preiskartell ausgesprochen. Nun ist das Parlament auf dem Weg, die Preisbindung nicht mehr als privates Kartell, sondern als gesetzliche Vorschrift wieder einzuführen. Dann muss sich jeder daran halten, der ein Buch auf den Markt bringen will. Der Verleger kann also dann nicht mehr einfach einen Preis ausgangs Druckerei festlegen. Er muss auch sagen, was der Endverkaufspreis seines Erzeugnisses sein soll. Er muss sagen, von welcher Marge der Handel sollte leben können. Es ist der Schweizerische Buchhändler- und Verlegerverband, der diesen Erlass will. Entsprechend können Sie sich vorstellen, wie der Erlass auf die Konsumenten wirkt. Dieses Gesetz hat noch nichts mit der Krise zu tun. Er bereitet höchstens eine Krise vor: Wenn ein Strukturwandel durch ein Kartell oder Regulierungen jahrelang zurückgebunden wird und dann plötzlich doch stattfindet, kann der Wandel um so unangenehmer werden. Oft wird der Wandel durch den Umstand ausgelöst, dass das, was national einvernehmlich abgemacht wurde, vor der unausweichlichen internationalen Öffnung nicht mehr standhält. Denken Sie in diesem Zusammenhang auch an die Landwirtschaft: Die Schweiz hat international sicher nicht zu den Verfechtern einer raschen Marktöffnung gehört. Und parallel dazu stieg das Volumen der Rechtstexte zur Umsetzung der Agrarpolitik um ein Vielfaches. Tausende von Seiten mit Regeln wurden geschrieben zu Zuckeranbau, Tierzucht, Bio, Integrierte Produktion, Deklarationen, Herkunftsnachweisen, Dünger, Direktzahlungen, Ackerbaubeiträgen, Tierverkehr-Datenbank, bäuerlichem Bodenrecht und vielem mehr. Oft genug wurden die Regeln von Betroffenen selbst gefordert. Und sicherlich sind viele der Regeln sinnvoll. Aber wir müssen einmal der Tatsache ins Auge sehen, dass die internationale Marktöffnung kommt. Und mit einem zu starren Korsett von Regeln können wir die Öffnung vielleicht ein wenig verzögern; aber wir behindern auch die Innovationskraft vieler Bauern und erweisen der Branche langfristig nicht den besten Dienst. Neben den Regulierungen, die dem Schutz von Branchen dienen, gibt es eine zweite Kategorie von Regulierungen, die auch potenziell gefährlich sind. Es sind dies diejenigen Regulierungen, die dem Bedürfnis oder mehr noch den Ängsten des Moments entsprechen. Als erstes kommt mir dazu die Personenfreizügigkeit in den Sinn und die Bestrebungen, diese Öffnung wieder rückgängig zu machen. Natürlich ist es einfach, wie es manche tun, in der Krise mit der Angst zu spielen. Wir sollten aber nicht vergessen, dass wir mit der Personenfreizügigkeit auch unbestritten eine Basis für die wachstumsstarken Jahre nach 2002 gelegt haben. Zehntausende neue Stellen wurden in der Schweiz geschaffen, für die es ohne Personenfreizügigkeit kaum genug Bewerber gehabt hätte. Die Zuwanderung aus EUStaaten war grösstenteils gut qualifiziert. Die Zuwanderer haben hier konsumiert, das Wachstum getrieben und in die Sozialwerke einbezahlt. Natürlich müssen wir nun überlegen, wie wir in der Krise mit dem Risiko umgehen, dass die Arbeitslosigkeit steigt. Wir haben dazu auch gewisse Mittel, die der Bundesrat schon andiskutiert hat. Wir müssen uns dabei aber auch schon auf den nächsten Aufschwung vorbereiten. Eine Kündigung des Abkommens würde uns spätestens im nächsten Aufschwung wieder bremsen. Ob wir damit langfristig besser dastehen, scheint mir zweifelhaft. Mit eingeschränkten Rekrutierungsmöglichkeiten 3/8 tun sie sich doppelt schwer, neue Firmen anzusiedeln, und die, die hier sind, expandieren mehr im Ausland. Wenn wir schon bei der Angst sind, sind wir auch schon sehr viel näher beim Thema der Finanzkrise. Es ist jetzt schon die Befürchtung der Branche, dass das, was an den Finanzmärkten abgelaufen ist, zu einem Wust von neuen Vorschriften und von Vollzugsaufwand für die Banken führen wird. Wir müssen demzufolge aufpassen, dass wir nicht die Innovationskraft der Branche zu stark bremsen. Sicherlich, die Finanzspekulation, hat in der Krise manches Kartenhaus gebaut, das in der Krise allzu rasch einstürzte. Steht ein Fass unter Druck, ist es aber nicht immer am zweckmässigsten, wenn man einfach ein zusätzliches Brett dort draufnagelt, wo das Wasser am kräftigsten herausspritzt. Das ist die Notfallchirurgie. Regulierung nach der Krise sollte sich nicht hierin erschöpfen. Sie sollte auch erwägen, warum das Fass überhaupt unter Druck stand. Hier könnte man eine provokative These wagen: Die Regulierung nach der Krise ist nötig geworden, weil die Regulierung vor der Krise nicht optimal war. Denken wir an das Modell Fannie Mae und Freddie Mac in den USA. Der Staat wollte Wohneigentum für Haushalte mit niedrigen Einkommen fördern. Doch die Konsequenzen daraus wurden nur ungenügend bedacht. Ein wohlmeinender Gedanke trug also zu einem Regulierungsversagen bei. Ich möchte die Analysen zur alten Regulierung vorher und zur neuen Regulierung nachher noch etwas weiterführen. Dazu beleuchte ich drei Ebenen der Regulierung: die Ebene der Gesamtwirtschaft, die Ebene der Geldpolitik und schliesslich die Regulierung der Finanzmärkte. Erste Ebene: Gesamtwirtschaftliche Regulierung Die gesamtwirtschaftliche Regulierung dient der Sicherung der gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichte. Hier lag vor der Krise Einiges im Argen. Das Zahlungsbilanzdefizit der USA und der korrespondierende Überschuss namentlich Chinas waren schon Jahre bekannt. Plakativ gesagt: Die USA waren Weltmeister im Konsum auf Pump, China Weltmeister in der Produktion dank einer wahrscheinlich zu billigen Währung. Einige Beobachter wunderten sich, dass das Ungleichgewicht nicht korrigiert wurde. Andere warteten darauf, wann das Ungleichgewicht korrigiert würde. Nun, es war die Krise im US-Immobilienmarkt, die der Welt deutlich machte, dass der US-Konsument als treibende Kraft der Nachfrage für längere Zeit ausfallen könnte. Dies schickte parallel die Finanzmärkte und die weltweiten Exporte in den Abgrund. War die Krise voraussehbar? Ja, die Ungleichgewichte mussten einmal korrigiert werden. Unbestimmt war jedoch der Zeitpunkt der Korrektur. Ist diese Krisenquelle durch die Krise beseitigt worden? Ich fürchte nein oder nur zu einem Teil. Die expansiven Geld- und Finanzpolitiken waren der gelungene Versuch, einen abgestorbenen Motor mit dem Choke wieder in Fahrt zu bringen. Wenn man auf dem Bahnübergang steht und der Zug kommt, ist ein "jump start" sicher genau das Richtige. Aber wenn man wieder auf sicherem Boden ist, braucht es andere Medizin. Sind wir, sind die USA bereit, in Kauf zu nehmen, dass der US-Konsument seine Funktion als "spender of last resort" abgibt und dass die Weltwirtschaft wegen einer schleppenden Entwicklung des US-Konsums deshalb etwas weniger rasch wächst? Der Wille zur Konsolidierung, zum Sparen muss sich in den USA noch bestätigen. Positiv ist immerhin, dass sich die Welthandelsorganisation WTO in der Krise im Grossen und Ganzen bewährt hat und die Staaten für den Handel weiterhin offen geblieben sind. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass Wirtschaftskrisen oft dem Protektionismus neuen Schub verleihen. Staaten schotteten sich ab und wendeten sich dem kurzfristigen in4/8 nenpolitischen Kampf und vielleicht auch dem Populismus zu. Dabei kann die Welt nur gemeinsam aus der Krise finden. Diesmal haben wir im Vergleich zu früheren Krisen die Märkte bisher in hohem Mass offen halten können. Zwar steht die weitere Öffnung nicht mehr auf Seite 1 der Agenda, aber die internationalen Bekenntnisse zur WTO waren doch eindrücklich. Etwas optimistischer darf man deshalb auch sein, dass das weltwirtschaftliche Wachstum wieder einsetzen wird, selbst wenn die USA den Welthandel nicht im gewohnten Mass stimulieren sollten. Die Schwellenländer spielen nämlich − auch dank der WTO − nicht nur in der globalen Wirtschaftspolitik, sondern auch im globalen Konjunkturgeschehen eine immer grössere Rolle. Einige dieser Länder, wie Brasilien oder China, sind wenig angeschlagen durch die Krise gekommen, andere dafür umso mehr. Ermunternd ist, dass in China die Binnennachfrage stimuliert werden soll. Zweite Ebene: Geldpolitische Regulierung Dies führt mich auf die zweite Ebene, die geldpolitische Regulierung. Wie Sie alle wissen, blieben die Industriestaaten in den letzten Jahren von hohen Teuerungsraten verschont. Wie ist es aber möglich, dass die Teuerung so tief bleibt, wenn doch gleichzeitig Blasen im Entstehen sind? Eine wesentliche Rolle spielten China und seine unterbewertete Währung. Dank der tief bewerteten Währung konnte China günstig exportieren, was den Industrieländern wiederum preisgünstigen Konsum ermöglichte − die Teuerungsraten auf Seiten des Konsums blieben in der Folge bescheiden. Und dies erlaubte es den Zentralbanken, die Märkte lange Zeit mit günstigem Geld zu versorgen. In den Immobilienpreisen, aber auch in den Aktienkursen zeigte sich nach Auffassung gewisser Beobachter die Grosszügigkeit der Geldversorgung. Auf welche Indikatoren genau die geldpolitische Regulierung weltweit abstellen soll, wird nach der Krise jedenfalls auch überdacht werden müssen. Dritte Ebene: Finanzmarktregulierung Nun gibt es eine dritte Ebene zu den Ursachen der Krise: Diese macht Fehler bei der Finanzmarktregulierung verantwortlich. In der Literatur spricht man von der Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken. Gewährt eine Bank einen Kredit und leistet der Kreditnehmer damit eine Zahlung, zum Beispiel indem er eine Investition finanziert, wird der Zahlungsempfänger einen Teil des erhaltenen Geldes wieder auf sein Bankkonto legen. Dieses Neugeld können die Bankinstitute bis zur regulatorischen Grenze zur weiteren Gewährung von Krediten verwenden2. Ähnliches geschah vor der Krise: Die Banken gewährten günstige Hypotheken. Die Hypothekardarlehen wurden gebündelt und von den Investmentbanken als Wertschriften weiterverkauft. Diese hoch bewerteten Wertschriften wurden dann von den Besitzern hinterlegt, um das Risiko auf einem Kredit, den sie selber aufnahmen, wenigstens teilweise abzu- 2 Der Zyklus erschöpft sich, weil immer nur ein Teil in Banken wiederangelegt wird und ein Rest als Bargeld gehalten werden wird und die Menge an Bargeld durch die Zentralbankpolitik limitiert wird ("nominal anchor"). Dies gilt selbst dann, wenn steigende Zinsen die Leute veranlassen, die Bargeldhaltung einzuschränken und so der Kreditexpansionsraum erweitert wird. Denn auch steigende Zinsen dämpfen das Kreditvolumen. 5/8 sichern. Diese Wertschriften wurden im Aufschwung, als Kreditausfälle selten waren, von den Rating-Agenturen zunächst hoch bewertet. Immobilien sind schliesslich im Regelfall ein sicherer Wert, der gebündelt scheinbar noch an Sicherheit gewinnt. Anders nach dem Höhepunkt der Immobilienblase: Immobilien verloren an Wert und damit auch die dadurch gesicherten Hypotheken. Schliesslich wurden auch die mit den Hypotheken verbundenen Wertschriften immer weniger wert. Die Kreditpyramide brach in einer Kettenreaktion rasant ein. Aufgrund dieser Kettenreaktion sind auch Rating-Agenturen Adressat angedachter neuer Regulierungen: Sie sollten in Zukunft nicht nur die Ausfallrisiken der jeweils jüngsten Vergangenheit berücksichtigen, sondern auch jene in einer möglichen Krise. Diese Regulierungen verdienen es alle, diskutiert zu werden. Denn die Risiken für eine neue Finanzkrise, wie die eben erlebte, müssen minimiert werden. Wichtige Volkswirtschaften wie Grossbritannien sind bei der Bankenrettung an die Grenzen dessen gegangen, was ein Staatshaushalt noch verkraften kann. Eine zweite solche Übung würde über das tolerierbare Mass an Staatsverschuldung hinausführen. Aber nageln wir mit all den neuen Vorschriften, die hier kommen sollen, nicht einfach ein weiteres Brett auf das Fass, ohne sicherzustellen, dass dieses nicht schon bald wieder unter Druck steht? Neuer Ansatz: Makroprudentielle Aufsicht Eine sogenannt makroprudentielle Aufsicht ist gefordert, dies sicher die zentrale Lehre aus der Krise. Wo Märkte aus dem Ruder laufen, muss Gegensteuer gegeben werden. Seien es geldpolitische Fehler, seien es Umwälzungen beim Kreditmultiplikator wegen Finanzinnovationen. Eine Lehre der Geschichte ist, dass immer wieder Märkte in Höhen steigen, bei denen der Verdacht aufkommt, dass eine spekulative Blase vorliegen muss. Je mehr sich dieser Verdacht bestärkt, je mehr soll dem Prinzip der Vorsicht zum Durchbruch verholfen werden. Ein Instrument dazu ist das Festschreiben einer "absolute leverage ratio". Das Schlagwort bedeutet letztlich, dass jede Bank je nach Bilanztotal ein Minimum an Eigenkapital aufweisen muss. Das Eigenkapital soll im Aufschwung, in dem sich tendenziell Blasen bilden, erhöht werden. Die Erhöhung soll so stark sein, dass die Banken eine kommende Krise auch ohne Staatshilfe durchstehen könnten. Die Hoffnung ist dann natürlich, dass dank dieser antizyklisch schwankender Eigenkapitalanforderungen die Krise ausbleibt. Die Erfahrung lehrt indes, dass die Hoffnung auf das Ausbleiben einer nächsten Krise periodisch enttäuscht wird. Es wird somit auch eine nächste Finanzkrise geben, nur aus einem andern Grund − weil wir hoffentlich die Lektionen aus dieser Krise gelernt haben. Gemeinsame Marktbeobachtung durch Zentralbank und Finanzaufsichtsbehörden ist jedenfalls ein zentrales Erfordernis, und dies bezogen auf alle Märkte weltweit, welche die einheimischen Banken mit einer gewissen Intensität bearbeiten. Die neue"absolute leverage ratio" tritt zu den Eigenkapitalvorschriften von Basel II hinzu, ist also eine zusätzliche Regulierung. Sie kompensiert Schwächen, die diese alte Regulierung kannte. Basel II gestattete es Bankinstituten, zu verkünden, dass sie risikogewichtet ein Eigenkapital von deutlich mehr als den vorgeschriebenen 8% der Ausleihungen hatten, wie dies die Bankenregulation vorschrieb. Aber Achtung: Makroprudentielle Aufsicht kann auch bedeuten, dass man Risiken nicht mit immer mehr Regulierungen zu begrenzen sucht, sondern sich auch fragt, welche Pendelschläge man auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene einfach ertragen und welchen Risiken man mit makroöonomischen Steuerungsinstrumenten begegnen kann. Es sind alle drei von mir angesprochenen Regulierungsebenen involviert. 6/8 Ich kann hier die in Fachkreisen diskutierten neuen Regulierungsansätze nur skizzieren und nicht vertiefen, möchte aber noch auf eine allgemeine Regulierungsfolge eingehen. Wir können uns nämlich fragen: Wäre das Vertrauen der Kunden in die Banken grösser gewesen, wenn sie gewusst hätten, dass der Eigenkapitalanteil mancher Banken unter 3 oder 4% lag? Gewisse Zweifel sind am Platz. Ich will mit dieser Feststellung hier nur auf eine Gefahr staatlicher Regulierungen aufmerksam machen. Es besteht nämlich die Gefahr, dass die Aufsichtstätigkeit dazu führt, dass die Kunden selbst die Risikoeinschätzung nur noch vereinfacht vornehmen. Deshalb ein zweiter Kernsatz: Neue Regulierungen können die Privaten nicht von ihrer Verantwortung entbinden. Schliesslich gibt es noch eine dritte Quelle von Regulierungsversagen. Wir alle kennen den Spruch, "Gesucht wird, wo Licht ist". Man könnte einen zweiten Spruch machen: "Reguliert wird, wo staatliche Kompetenzen vorhanden sind". Dieser Spruch deutet darauf hin, dass die Regulierungstätigkeit von Administrationen auch zum Selbstläufer werden kann. Eine Konsequenz von Regulierung ist oft, dass Geschäfte aus einem zu Recht regulierten Bereich in den nicht regulierten Bereich abwandern. Denn die Regulierten wollen Kosten vermeiden und somit den Regulierungen aus betriebswirtschaftlichen Gründen aus dem Weg gehen. Ich habe einleitend − äusserst provokativ − gesagt, die Regulierung nach der Krise sei nötig geworden wegen der Regulierung vor der Krise. Basel II dürfte begünstigt haben, dass Banken zunehmend Geschäfte im nichtregulierten Bereich tätigten. Ein Teil der Solvenzprobleme der Banken kam auch daher, dass Banken für Geschäfte einstehen mussten, die sie ausserhalb ihrer Bilanzen vermittelten. Warum aber tätigten die Banken immer mehr Geschäfte ausserhalb der Bilanz? Ich denke, sie taten es auch deshalb, weil die Führung dieser Geschäfte in der Bilanz aus regulatorischen Gründen viel Eigenkapital beansprucht hätte. Wir müssen aufpassen, dass wir mit den neuen Regulierungen nicht noch mehr Geschäft aus den regulären Bilanzen hinaus und in den unregulierten Bereich drängen. Wenn wir weniger regulieren, heisst dies aber, dass die Privatwirtschaft und die leitenden Angestellten in der Verantwortung stehen: Der Mut zum Risiko und das Schrumpfen des Eigenkapitals wurde nicht zuletzt vom Willen getrieben, immer noch höhere Boni auszahlen zu können. Es wird immer Regulierungslücken geben; letztlich kann deshalb der übertriebene Mut zum Risiko nur dann begrenzt werden, wenn die Banken sich selbst risikogerechte und langfristig orientierte Entlöhnungsmodelle geben. Schlussfolgerungen Ich möchte nun wieder den Bogen zurück zum Anfang meines Referats schlagen. Sie haben es wahrscheinlich in den vergangenen Minuten gespürt: • Zusammengefasst habe ich erstens keinen Zweifel, dass es neue Regulierungen im Finanzsektor braucht; wir sind auf einem guten Weg dorthin. • Aber ich bin zweitens auch der Ansicht, dass es ohne die Kooperation und den echten Willen der Privaten nicht geht. Denn es ist unmöglich, jede regulatorische Lücke zu schliessen. • Das Schliessen jeder regulatorischen Lücke läge drittens auch nicht in unserem Interesse: Nur wenn wir den Unternehmen Spielraum lassen, können wir auf Innovationen und Wachstum hoffen; aber wir nehmen auch gewisse Risiken in Kauf. 7/8 Moderne, gute Regulierung sollte versuchen, diese Risiken zu bändigen, ohne deswegen gleich ganze Branchen in ein zu starres Korsett zu zwängen. In Grossbritannien hatte Margaret Thatcher vor langen Jahren in ihrer Administration eine "Deregulation Unit" geschaffen. Nachfolgeregierungen haben diese Unit dann zur "Better Regulation Unit" umgetauft. Die Betrachtungen zu Basel II zeigen, wie schwierig es ist, dem Anspruch des "better" zu genügen und wie oft das Resultat ambivalent ausfällt. Was wir verhindern müssen, sind Regulierungsfehler. Drei Triebkräfte, die zu schlechter Regulierung führen, habe ich genannt und möchte sie hier wiederholen: - Regulierungen, die sich eine Branche zwecks Konkurrenzschutz erkauft; - Regulierungen, die ein oft rein populistisch angedachter Notnagel auf ein aktuelles, unerfreuliches Ereignis sein sollen; - Eine Administration, deren Regulierungstätigkeit sich zum Selbstläufer auswächst. Behalten wir diese negativen Triebkräfte unter Kontrolle, kann es gelingen, auch für die Finanzmärkte einen modernen und wirksamen Regulierungsrahmen zu schaffen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. 8/8