Wirtschaft39 sonntagszeitung.ch | 5. Juni 2016 Grossfirmen erhalten Millionen aus dem Honigtopf des Bundes Die Förderagentur KTI subventioniert Forschungsprojekte von Firmen, die das nicht nötig haben zent an den Projektkosten beteiligen. Aber nur 10 Prozent davon müssen in bar entrichtet werden. Der Rest kann durch Eigenleistungen abgegolten werden. Die Grosszügigkeit der KTI widerspricht dem Bundesgesetz über die Förderung der Forschung und der Innovation. Dieses hält als eine der Voraussetzungen für die Innovationsförderung fest: «Das Projekt kann ohne die Förderung durch den Bund voraussichtlich nicht realisiert werden.» Diese Bedingung ist bei Konzernen mit hohen Gewinnen und voller Kasse nicht erfüllt. Eine Sprecherin widerspricht und sagt, die KTI halte sich bei ihrer Förderung vollumfänglich an die Gesetze. «Sie fördert Projekte, die ohne die Finanzierung durch den Bund voraussichtlich nicht realisiert worden wären.» Die Frage, wie das gemessen wird und welche Kriterien sie dabei anwendet, kann die Förderagentur jedoch nicht beantworten. Sie schaut sich die Bilanzen und Erfolgsrechnungen der Unternehmen nicht an. Damit kann sie nicht beurteilen, ob eine Firma, die von Bundessubventionen profitiert, dies nötig hat. Peter Burkhardt Bern 126 Millionen Franken gab die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) letztes Jahr für gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprojekte von Unternehmen und Hochschulen aus. Nach eigener Darstellung unterstützt die staatliche Innovationsförderstelle die Projekte nur dann, «wenn Innovationen ohne Finanzierung nicht zustande kämen». Doch daran muss gezweifelt werden. 24 Prozent der Fördergelder oder 32 Millionen Franken gingen gemäss dem Tätigkeitsbericht 2015 an Projekte, an denen Grossunternehmen beteiligt waren. ­Darunter sind etliche milliardenschwere Konzerne. Sie schütteten hohe Dividenden an ihre Aktionäre aus und liessen sich gleichzeitig mit Steuergeldern Forschungsprojekte finanzieren. Beispielsweise der Elektrotechnikriese ABB, der dieses Jahr eine Dividende von 1,7 Milliarden Franken ausbezahlte. Allein in den letzten fünf Jahren finanzierte die KTI sieben Forschungsprojekte, an denen die ABB beteiligt war, mit insgesamt 2,1 Millionen Franken. Die Credit Suisse liess sich die Entwicklung einer Informatikplattform zur Verwaltung von Kundendaten subventionieren, Roche die Weiterentwicklung eines Malariamedikaments, die Zürcher Kantonalbank die Entwicklung einer Aktienportfolio-Analyse. «Das ist unverschämt», findet Markus Blocher, Inhaber des Chemieunternehmens Dottikon ES, der viel in die eigene Forschung ­investiert. «Grossunternehmen können das gut selber finanzieren. Viele haben aber leider heute den Willen nicht mehr, selbst zu investieren. Sie maximieren lieber kurzfristig ihren Gewinn.» Die KTI misst die Finanzkraft der Unternehmen nicht Die Fördergelder gehen zwar nicht direkt an die Firmen, da die KTI sie ausschliesslich an die Forschungspartner wie die ETH, Universitäten oder Fachhochschulen ausbezahlt. Die Unternehmen ­haben jedoch den Profit. Für jedes Forschungsprojekt muss ein Businessplan eingereicht werden, der beweist, dass es marktfähige Produkte hervorbringt. Die Unternehmen selbst kommen günstig davon. Sie müssen sich zwar mit mindestens 50 Pro- Fortsetzung Zuckerberg wäre in Zürich . . . Facebook in Zürich vor Probleme gestellt. «Die Frage wäre gewesen, wie Zuckerberg diese 9 Millionen Franken finanziert», sagt Sterchi. Weil das Unternehmen zu dieser Zeit keinen Gewinn machte und Reserven fehlten, hätte es keine Dividende ausschütten dürfen, um Zuckerbergs Steuerrechnung zu bezahlen. Eine andere Variante wäre gewesen, dass sich Zuckerberg einen hohen Lohn ausrichten lässt. «Doch das hätten die Investoren nicht akzeptiert. Sie wollen «Stossend, dass Grosskonzerne diese Gelder abzweigen» Forschungslabor von ABB: Gesamthaft 2,1 Millionen staatliche Fördergelder in den letzten fünf Jahren So viele Franken zahlte die KTI an Forschungsprojekte von Grossunternehmen* ABB Georg Fischer Givaudan Alstom Roche Ems-Chemie Sika Bühler Group Bauelemente für Halbleiter Überwachung von Rohren Allergische Hautreaktionen Hitzeschutz für Gasturbinen Malariamedikament Erhitzung von Werkzeugen Mischvorgänge bei Klebern Zuckerarme Schokolade 414 834 435 235 489 844 769 028 294 310 264 120 520 000 330 000 Swisscom Credit Suisse Alpiq Logitech SBB Dätwyler Implenia ZKB Analyse von Mobile-Usern Informatikplattform Stromsparen in Fabriken Blickbewegung von Usern Steuerung des Bahnbetriebs Brandsicherheitskabel Holz-Beton-Verbunddecke Portfolio-Analyse * Ausgewählte Beispiele aus den vergangenen fünf Jahren nicht, dass Start-ups mit den eingeschossenen Mitteln Millionensaläre zahlen. Das Geld soll in die Entwicklung der Firma fliessen.» Zuckerberg wäre wohl nur eine Möglichkeit geblieben. Er hätte Aktienanteile verkaufen müssen. Doch auch das ist laut Sterchi schwierig. In der Anfangsphase ist das Geld bei Start-ups knapp. «Die Investoren möchten nicht einem Gründer Millionen für Aktien bezahlen, damit dieser mit dem Geld seine Steuern begleicht.» Das Beispiel Facebook belegt für Sterchi, dass Start-ups in ­Zürich viel zu früh Steuern bezahlen müssen. «Der Fiskus besteuert nicht die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens, sondern die Ertragserwartungen, welche die Investoren in das Startup haben.» Das ist laut Sterchi nicht nur stossend, weil Erfolgsgeschichten à la Facebook verunmöglicht wer­ den. «Geht das Start-up nach einigen Jahren in Konkurs, profitiert der Staat trotzdem, weil er die Vermögenssteuern bereits einkassiert hat.» Für FDP-Ständerat und Unternehmer Ruedi Noser zeigt die Berechnung von KPMG, dass das Steuerregime in Zürich der Wirtschaftswelt nicht mehr gerecht wird. «Heute sind Talente die wichtige Ressource», sagt er. Sie müssten anders besteuert werden, denn Unternehmer wie Mark Zuckerberg hätten üblicherweise erst nach vielen Jahren durchschlagenden Erfolg – wenn überhaupt. Nur zehn Prozent der Start-ups überleben laut Noser tatsächlich. Den Start-ups bleibt der Umzug ins Ausland – oder nach Basel Noser fürchtet, dass erfolgversprechende Start-ups abwandern. Unter den heutigen Bedingungen könne hier keine Firma von der ­Bedeutung einer Novartis oder Roche ­entstehen. «Das bedeutet, dass wir unseren Wohlstand nicht halten können.» Laut Noser braucht es ein Steuermodell, «mit dem Mark Zuckerberg in der Schweiz bleiben könnte». Die vom Kanton Zürich eingeführte Übergangsfrist gehe in die richtige Richtung, sei aber zu kurz. Sie müsse eher zehn ­Jahre 320 280 380 128 197 694 700 416 138 000 450 880 204 000 177 700 Quelle: KTI/Aramis Der Geldsegen soll die Schweiz als investitionswürdigen Wirtschaftsund Forschungsstandort etablieren. Dass der Geldsegen dieses Ziel mitunter verfehlt, zeigt das ­Beispiel von Alstom. In den letzten fünf Jahren unterstützte die KTI vier Projekte zur Weiterentwicklung von Gasturbinen mit insgesamt 1,85 Millionen Franken. Doch nach der Übernahme der AlstomEnergiesparte durch General Electric wird die Produktion von Gasturbinen aus der Schweiz nach Frankreich verlagert. Die Vertreter der kleineren Firmen üben scharfe Kritik an der KTI. «Unterstützt werden häufig Projekte, die auch ohne die Steuergelder des Bundes in Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaft und der Forschung hätten umgesetzt werden können», sagt Hans-­Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes. Oliver Müller, Direktor des KMU-Industrieverbandes Swissmechanic, sagt: «Es ist stossend, dass Grosskonzerne ein Viertel dieser Gelder für sich abzweigen, die kleinen Unternehmen auf die Sprünge helfen sollten.» Kommentar ― 22 betragen. Eine weitere Möglichkeiten wäre laut Noser, dass die Bezahlung der Vermögenssteuer aufgeschoben wird, bis das Unternehmen tatsächlich stabile Gewinne schreibt. Denkbar sei auch eine Rückzahlung der Steuern für den Fall, dass sich kein Erfolg einstellt. Die grünliberale Zürcher Kantonsrätin Judith Bellaiche verlangt vom Regierungsrat eine Rückkehr zur bisherigen Praxis: Finanzierungsrunden sollen gar nicht für die Bewertung des Vermögens der Gründer herangezogen werden. Die Finanzdirektion des Kantons Zürich will sich zu diesen Lösungsvorschlägen nicht äussern. An einer Medienkonferenz gab sie den Jungunternehmern kürzlich aber den Rat, ihre Anteile zum Geschäftsvermögen zu schlagen, um das Problem zu umgehen. Laut KPMG reduziert diese Variante die Vermögenssteuer tatsächlich – führt aber dazu, dass die Firmengründer bei einem Verkauf der Aktien enorme Steuern bezahlen. Vorerst bleibt den Start-ups damit wohl nur eines: der Umzug ins Ausland – oder in die Stadt Basel. Dort haben sich im Umfeld von Roche und Novartis viele Start-ups angesiedelt. Ihre Aktien würden zum Substanzwert bewertet «und nicht zu Investorenpreisen», sagt Christian Mathez von der Steuerverwaltung Basel-Stadt. Probleme mit Start-ups wegen hoher Steuerrechnungen gebe es in Basel nicht.