Berliner Debatte Initial 1 15. Jg. 2004 Zeit der Paradoxien Paradoxien Honneth, Hartmann des Kapitalismus Ortmann Schmuddelkinder der Logik Borderline-Syndrom Pollmann und Spätmoderne Kannetzky Kollisionen mit der Doxa Lüthje Rückkehr des Fordismus? Berliner Debatte Initial 15 (2004) 1 1 Zeit der Paradoxien – Zusammengestellt von Hartwig Schmidt – Editorial 2 Martin Hartmann, Axel Honneth Paradoxien des Kapitalismus 4 Dirk Jörke Begriffliche Verklärungen „Paradoxien der Demokratie“ bei Eisenstadt, Mouffe und Warren 40 Arnd Pollmann Erhöhter Grenzverkehr Die Symbiose zwischen der Spätmoderne und dem Borderline-Syndrom 28 Frank Kannetzky Kollisionen mit der Doxa Versuch über die Anwendbarkeit eines beliebten Begriffs 46 Boy Lüthje Kehrt der Fordismus zurück? Globale Produktionsnetze und Industriearbeit in der „New Economy“ Ol’ga Brednikova, Ol’ga Tkač „Schmutziges“ Dorf und „vermüllte“ Stadt Günther Ortmann Schmuddelkinder der Logik Ronald Hartz, Thomas Steger Strahlende Helden und böse Mächte… Einblicke in den Wandel des deutschen Corporate Governance-Diskurses Hartmut Rosa Wider die Unsichtbarmachung einer „Schicksalsmacht“ Plädoyer für die Erneuerung der Kapitalismuskritik Steffen Dietzsch Kants Streit der Fakultäten und die Philosophische Fakultät der Albertus-Universität zu Königsberg Veit Friemert Der Sinn des Rauschens Martin Hohmanns volksnahe Rede und ihr verkannter Gehalt 18 107 62 Konferenzbericht 74 Roman Kalex, Sven Thiermann Bericht vom Kongreß „Indeterminate! Kommunismus“ 115 Besprechungen und Rezensionen 81 Thomas Gil: Paradoxien des Handelns Rezensiert von Hartwig Schmidt 119 Matthias Bohlender Foucault 1970–1975: Denken in Bewegung 121 Christel Gärtner, Detlef Pollack, Monika Wohlrab-Sahr (Hg.): Atheismus und religiöse Indifferenz Rezensiert von Olaf Briese 126 91 99 2 Berliner Debatte Initial 15 (2004) 1 Editorial Auf den ersten Blick handelt es sich einfach um einen anschwellenden Wortgebrauch. Der Begriff „Paradoxien“ erfreut sich wachsenden Zuspruchs. Auffälligerweise taucht er immer häufiger in Publikationen auf, die vordergründig soziale und kulturelle Gegenstände verhandeln. Also nicht dort, wo er traditionell beheimat ist: in der theoretischen Philosophie, in der philosophischen und mathematischen Logik. Vor allem soziologische, ökonomische, politologische, kulturwissenschaftliche und sozialphilosophische Untersuchungen stoßen heute zielsicher auf Paradoxien bzw. auf das, was sie dafür halten. Was in unserer sozialen Welt Rang und Namen hat – Modernismus, Demokratie, Globalisierung usw. –, ist längst für paradox befunden worden; sogar an Familienfeiern hat man jüngst die nämliche Struktur ausgemacht und ein „Paradox des Festes“ enthüllt. Es fragt sich, was die „ParadoxienSchwemme“, wie das manche bereits nennen, näher besehen zu bedeuten hat. Handelt es sich bloß um einen modischen und mithin inflationären Wortgebrauch, der paradox nennt, was ehedem als Widerspruch, Konflikt oder Ambivalenz bezeichnet und dieserart auch treffend erfaßt wurde? Oder handelt es sich um das Bestreben, unter dem eigentümlichen Terminus ebenso eigentümliche Phänomene auf den Begriff zu bringen? Wird gewissermaßen alter Wein in neuen Schläuchen feilgeboten, oder hilft der reüssierende Begriff, etwas zu erschließen, das, als Widerspruch, Ambivalenz oder Konflikt genommen, allzu pauschal und vage, wenn nicht sogar falsch gefaßt würde? Gewisse Anzeichen deuten in beide Richtungen. Giorgio Agambens „homo sacer“ zum Beispiel, wo ein Paradox der Souveränität behauptet wird: „Der Souverän steht zugleich außerhalb und innerhalb der Rechtsordnung“. Ein Satz, mit dem es gewiß seine Bewandtnis hat, aber man möchte meinen, ihn lediglich pointiert zu haben, wenn man ihn wie folgt ausformuliert: „Der Souverän steht zugleich außerhalb und nicht außerhalb (sondern innerhalb) der Rechtsordnung“. Und in dieser Fassung hat er offenkundig die Form einer Kontradiktion, die schlicht als Widerspruch bezeichnet gehört. Die Rede von den Paradoxien macht da nicht in eigentümlicher Weise Sinn. Anders nimmt sich der Umgang mit dem fraglichen Begriff aus, wo er ausdrücklich oder stillschweigend bei der Differenzphilosophie anschließt. Dort steht zumindest im Hintergrund ein hehrer Anspruch. Unter dem Titel „Paradoxien“ gelte es etwas zu thematisieren, das dem Widerspruch, zumal dem in der dialektischen Tradition gemeinten, buchstäblich zuvorkommt – diese Aussicht hat seinerzeit das Buch „Logik des Sinns“ von Gilles Deleuze eröffnet. Ob die Verheißung eines Tieferen in der Ausführung sich erfüllt, bleibt natürlich heute wie damals von Fall zu Fall zu prüfen. Editorial Es gibt in der Tat Anzeichen dafür, die zeitgenössische Lust aufs Paradoxe weder pauschal verwerfen noch en bloc für bare Münze nehmen zu können. Man muß sich genauer vergewissern. In diesem Sinne versteht sich unser Thema „Zeit der Paradoxien“. Das Heft mag der Vergewisserung dienen. Sei es, daß Autoren, die den thematischen Begriff in ihren Forschungen systematisch verwenden, gebührend ausweisen, mit welchem Recht sie das tun, inwiefern sie damit etwas Eigentümliches auf den Begriff bringen. Wie das Martin Hartmann und Axel Honneth, Günther Ortmann und Arnd Pollmann in ihren Beiträgen unternehmen. Sei es, daß ein Autor den von Kollegen gepflegten Umgang mit dem Reizwort kritisch prüft; was Dirk Jörke mit der von Eisenstadt, Mouffe und Warren oft bemühten Wendung „Paradoxien der Demokratie“ versucht, und analog der Rezensent von Thomas Gils Buch „Paradoxien des Handelns“. Oder sei es, daß man sich grundsätzlich der Anwendbarkeit des beliebten Begriffs aufs Soziale vergewissert; wofür in unserer Sammlung ein Text von Frank Kannetzky steht. Über den Ertrag läßt sich vorab soviel sagen: Es überwiegt die Neigung, unter Pa- 3 radoxien besondere Widersprüche zu verstehen. Versucht man sich nun bewußt zu machen, worin ihre Besonderheit besteht, und faßt man dazu die hier gegebenen mit andernorts nachlesbaren Antworten zusammen, dann zeichnet sich eine Figur ab, die weniger die urtümliche Bedeutung des altgriechischen Ausgangswortes als vielmehr die seines lateinischen Ablegers „paradoxus“ erfüllt – die Bedeutung widersinnig. Widersprüche in der vertrackten Form des Widersinns. Soziale und kulturelle Prozesse nehmen einen Verlauf, der ihren Sinn in Widersinn verkehrt. Gerade die angestrengte Ausführung einer Funktion macht diese Funktion unausführbar. Ausgerechnet das praktische Sinnen auf Werte zeugt Unwerte. Als würde eine Antithese der These nicht nur notwendig entgegenstehen, sondern aus der These selbst folgen. Und die Zeit der Paradoxien wäre sodann eine des Widersinns oder eine, in der das Widersinnige sich der Wahrnehmung besonders durchdringend aufdrängt. Eine Zeit also, die wohl schon länger währt, als der neuere Diskurs über sie läuft. Hartwig Schmidt 46 Berliner Debatte Initial 15 (2004) 1 Frank Kannetzky Kollisionen mit der Doxa Versuch über die Anwendbarkeit eines beliebten Begriffs1 Ich möchte im folgenden untersuchen, ob und inwieweit der Gebrauch des Begriffs der Paradoxie in sozialen Kontexten überhaupt angemessen ist, ob dahinter mehr steckt als der inflationäre Gebrauch eines gut klingenden Modewortes. Anhand einiger Verwendungsweisen der Wörter „paradox“ bzw. „Paradoxie“ werde ich eine Begriffsbestimmung vorschlagen, den Mechanismus der Paradoxienerzeugung sowie die Struktur verschiedener Lösungsstrategien diskutieren. Daran anschließend wird zu fragen sein, wie weit dieser Begriff des Paradoxen trägt und welchen analytischen Gewinn er verspricht. Schließlich und letztlich, ob er eine Anwendung nicht nur als Reflexionsbegriff, sondern auch als Realbegriff zuläßt; mit anderen Worten: Ob nicht nur Paradoxien der Reflexion der sozialen Realität, sondern Paradoxien des Sozialen selbst möglich sind. Beginn mit den Phänomenen Der Begriff des Paradoxen, so wie er im Alltag gebraucht wird, wenn er überhaupt gebraucht wird, ist alles andere als klar bestimmt. Er steht dann in attributiver Verwendung für das, was merkwürdig, erstaunlich, abwegig, absurd oder in anderer Weise ‚verrückt‘ ist. Das mögen Dinge sein, die uns gelegentlich ärgern, etwa die Zirkel des bürokratischen Beantragungswesens – berühmte Illustrationen finden sich in Zuckmayers Der Hauptmann von Köpenick und in Hellers Catch 22 (Titel in der DDR-Ausgabe: Der IKS-Haken) –, oder solche, die uns im Grunde nicht berühren, allenfalls als Kuriosität: Das Goethedenkmal, das durch die Bäume schillert, oder der Vater, der sein Kind unverwandt anschaut, oder auch irgend etwas Mathematisches mit Lügnern, die sich nicht selbst rasieren. Für den Alltagsgebrauch ist „paradox“ anscheinend ein eher überflüssiges Wort, wel- ches sich je nach Kontext ohne Verlust ersetzen läßt. Das gilt häufig auch für seine Verwendung im Feuilleton. Wenn etwas dunkel, abstrus oder wirr daherkommt, hört man, es sei paradox; etwa philosophische Sätze, die zu weit vom Common sense entfernt sind oder ihm gar widersprechen. Man spricht von paradoxem Gebaren, wenn einer mit etwas, das gemeinhin als hohes Gut gilt, nichts anzufangen weiß, oder vom Paradox eines Autors, wenn sich Werk und Leben in einem gewissen Mißverhältnis befinden (was nichts anderes ist als eine Konsequenz der stillschweigenden Annahme, beide müßten in irgendeinem Kongruenzverhältnis stehen). In der Literatur wird häufig mit schwer entschlüsselbaren Metaphern gespielt, was in der Literaturkritik dann unter dem Titel „Paradoxie“ firmiert, wobei damit oft nur ein nicht weiter deutbarer Rest gemeint ist. Manchmal muß das Wort „paradox“ auch als Verlegenheitslösung herhalten, wenn es nicht angeraten erscheint, geistige Ergüsse unverblümt „Schwurbel“ zu nennen. Auch hier gilt, daß „paradox“ jederzeit durch einen der genannten Ausdrücke ersetzt werden kann. Das Paradoxe verflüchtigt sich bei genauerem Hinsehen. Etwas Wesentliches findet sich aber auch in diesem ‚uneigentlichen‘ Gebrauch: Die Rede von Merkwürdigkeiten, Kuriositäten, Dunklem, Abstrusem etc. hat nur im Kontrast mit einem Korpus fraglos geltender Gewißheiten Sinn. Paradoxien machen uns also auf Selbstverständliches aufmerksam. Von diesem Hintergrund der uneigentlichen Verwendung hebt sich das Paradox als rhetorische Figur ab. Es ist als selbstwidersprüchliche Aussage geläufig, die als logische Provokation die Aufmerksamkeit fesseln und das eingefahrene Denken aus seinen Gleisen heben soll („weniger ist mehr“, „wir sind zur Freiheit verurteilt“). Die Kurzform des rhetorischen Paradoxons ist das Oxymoron, das Nebeneinander- Kollisionen mit der Doxa stellen widersprechender Begriffe („dröhnende Stille“, „rasender Stillstand“, „aggressive Passivität“, „freiwilliger Zwang“). Der Übergang zur poetisch-metaphorischen, die wörtliche Bedeutung der Wörter verfremdenden Verwendung ist, wie die Beispiele zeigen, fließend. Es wäre hanebüchen, solche Bilder nur als selbstwidersprüchlich und daher als unsinnig zu deuten. Vielmehr verweisen sie auf eine semantische Dimension ‚hinter‘ der wörtlichen Bedeutung, in welcher der vermeintliche Widerspruch oft eine präzisere Beschreibung eines Sachverhaltes und seiner Spannungen erlaubt, als dies ohne die formal-logisch anfechtbaren Sprachbilder möglich wäre. Paradoxien sind deshalb, auch unabhängig von rhetorischen Zwecken, ein wichtiges Mittel der Reflexion stillschweigender Überzeugungen, ihrer Voraussetzungen und Schwierigkeiten, die sich der Darstellung mittels geregelter Terminologien entziehen und nur ex negativo, durch die Verletzung von Üblichkeiten, überhaupt in den Blick geraten können. Das gilt nun auch für die Paradoxien im engeren, nicht rhetorischen Sinne, die sich oft nicht als Mittel, sondern als Resultate der Reflexion darstellen, die nicht erfunden, sondern entdeckt werden wie eine neue Spezies oder, schlimmer noch, ‚auftreten‘ wie eine unbekannte Krankheit. Daß sie dennoch Resultate der Reflexion sind, zeigt sich daran, daß sie regelmäßig dann zum Vorschein kommen, wenn Theorien und Normen nur konsequent genug angewandt werden, etwa auf sich selbst oder jenseits der üblichen paradigmatischen Modelle, und dabei Widersprüche ans Licht gebracht werden. Daß diese überraschen, liegt an einem bestimmten Verständnis, oder besser Mißverständnis, dessen, was Theorien sind und was man von ihnen erwarten darf. Bekannte Paradoxien sind Russells Paradox ( enthält sich die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten?), Zenons Bewegungsparadoxien (der ruhende Pfeil, Achill und die Schildkröte), das Haufenparadox (welches beliebige Prädikate mit einem Vagheitsbereich auf beliebige Gegenstände anwendbar und damit zur Artikulation von Unterschieden unbrauchbar macht), Olbers’ Paradox der Newtonschen Kosmologie (wenn das Weltall unendlich und homogen ist, dann kann es nachts nicht dunkel sein), die Dilemmata sozialen Handelns wie das 47 Gefangenendilemma und das Freiwilligendilemma und viele andere mehr.2 Daß paradoxe Widersprüche nicht notwendig explizit artikuliert werden müssen, zeigt sich an Bildern, die uns in der Zweidimensionalität räumlich unmögliche Figuren vorführen (M.C. Escher) oder an Welten, in denen grundlegende Gesetze etwa des Raums und der Zeit oder der Wahrnehmung aufgehoben sind (L. Carroll), oder an Definitionen, die Dinge durch Merkmale definieren, die zunächst abwegig erscheinen oder eine unerwartete, unvertraute Sicht auf Bekanntes erzwingen („Kultur ist, was kulturell vererbt wird“; oder D. Adams’ „Fliegen ist, sich zu Boden werfen und daneben fallen“). Für die folgenden Erörterungen will ich nur zwei Beispiele aus der Gruppe der ‚eigentlichen‘ Paradoxien etwas genauer darstellen: 1. Die Lügnerparadoxie ergibt sich aus der Frage, ob der Satz „Ich lüge jetzt“, oder in einer moderneren Version: „Dieser Satz ist falsch“, wahr oder falsch ist. Angenommen er ist wahr, dann muß zutreffen, was er besagt. Dies bedeutet aber, daß er falsch sein muß. Nimmt man dagegen an, daß er falsch ist, dann kann nicht zutreffen, was er besagt, er kann also nicht falsch sein. Folglich muß er wahr sein. Aber kein Satz kann zugleich wahr und falsch sein. 2. Das Gefangenendilemma thematisiert die Frage, ob man, auch ohne mit einer Gegenleistung rechnen zu können, einen Gefallen tun oder auch nur erwidern soll, oder noch allgemeiner: ob es klug ist, sich auf Kooperation einzulassen und entsprechende Vorleistungen zu erbringen. Das Gefangenendilemma steht paradigmatisch für die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn für Handlungsentscheidungen die Vorwegnahme der Entscheidungen anderer Personen nötig ist, es steht letztlich also für die Probleme des Handelns in sozialen Kontexten. Da Handlungen und Entscheidungen als solche frei sind, besteht mit Blick auf die Handlungsresultate prinzipielle Unsicherheit. Das Dilemma ergibt sich wie folgt: Zwei des gemeinschaftlichen bewaffneten Raubüberfalls Verdächtige werden, jeder für sich, vom Staatsanwalt, der gerichtsfest nur den unerlaubten Waffenbesitz der beiden beweisen kann, vor folgende Alternative gestellt: Ein Jahr Gefängnis sind dir und deinem Komplizen sicher, auch wenn ihr beide schweigt, denn ich kann euch unerlaubten Waffenbesitz beweisen. Wenn du aber gegen dei- 48 nen Mittäter aussagst, also aus der stillschweigenden Kooperation der Ganoven aussteigst, dann wird die Kronzeugenregelung greifen und du kommst frei. Der andere wird dann die volle Strafe von zehn Jahren absitzen. Falls der Komplize aber auch aussagt, dann werdet ihr euch gegenseitig belasten und müßt beide für fünf Jahre ins Gefängnis. – Ist es unter diesen Bedingungen klüger zu schweigen, d.h. im Sinne einer Bandenmoral zu kooperieren, oder auszusagen, d.h. aus der Bandenmoral zu defektieren? Vernünftigerweise werden beide schweigen, denn sie kommen dann mit einem Jahr Gefängnis davon, was den fünf Jahren bei wechselseitiger Belastung entschieden vorzuziehen ist. Wo liegt also das Problem? Falls der Komplize aussagt, dann ist es besser, ebenfalls auszusagen, denn damit vermeidet man die Höchststrafe von zehn Jahren. Das schlechteste Resultat für sich selbst kann man also nur ausschließen, indem man nicht kooperiert. Zugleich sichert man sich damit die Möglichkeit der Kronzeugenregelung, also freizukommen, falls der andere kooperiert. Es ist also, unabhängig von der Entscheidung des anderen, besser zu defektieren und auszusagen. Was ist daran dilemmatisch? Der andere wird zum gleichen Schluß kommen und ebenfalls aussagen, womit beide für fünf Jahre ins Gefängnis gehen müssen. Würden beide schweigen, dann kämen sie mit einem Jahr davon – womit man wieder beim ersten Horn des Dilemmas ist. Was ist eine Paradoxie? Anhand des kurzen Überblicks über die verschiedenen Kontexte, in denen mehr oder minder zutreffend von Paradoxa gesprochen wird, lassen sich nun einige Merkmale des Begriffs des Paradoxen herausheben. Erstens sind Paradoxien, ganz im Sinne der Wortbedeutung, Lehren, Aussagen, Prädikationen, Handlungsvorschriften etc., die „neben“ (para) der allgemein akzeptierten Meinung (doxa) stehen und die deshalb widersinnig, sinnlos, absurd oder einfach nur kurios erscheinen. Diese Kennzeichnung hebt einen wichtigen Punkt hervor, der oft übersehen wird: Paradoxien setzen einen epistemischen oder normativen Hintergrund voraus, der als selbstverständlich geltend akzeptiert wird. Es gibt sie nur, wo es auch Ge- Frank Kannetzky meinplätze gibt, die bestimmte Erwartungen rechtfertigen. Von der Verwaltung erwarten wir gewöhnlich, daß ihre Verfahren transparent und effektiv (d.h. abschließbar) sind, deshalb ärgern uns bürokratische Zirkel. Eine gewisse Kongruenz zwischen Worten und Taten ist eine pragmatische Präsumtion, ohne die unser Alltagsleben zusammenbrechen würde, und die deshalb auch im Falle des Schriftstellers und seiner Werke vorausgesetzt wird. Die rhetorische Figur des Paradoxons zieht ihre Wirkung gerade daraus, geläufige Meinungen zu unterlaufen. Die Lügnerparadoxie gibt es nur vor dem Hintergrund der Erwartung, daß logische Schlüsse wahrheitserhaltend und beliebige indikative Sätze entweder wahr oder falsch sind. Das Gefangenendilemma setzt nur elementare Prinzipien jeder praktischen Rationalität voraus, etwa Schaden zu vermeiden und mögliche Handlungsresultate gemäß den Zwecken des Akteurs zu maximieren – nichts, was uns überrascht, wenn wir versuchen, Entscheidungen und Handlungen zu verstehen. Dieser Bezug auf Gemeinplätze und entsprechende Erwartungen hat Konsequenzen für den Begriff der Paradoxie. Paradoxien sind subjektiv, so subjektiv wie allgemein geteilte Gewißheiten eben sein können, sie hängen davon ab, was als trivial gilt oder mitunter nicht einmal als Annahme bewußt wird. Freilich variiert dies in Abhängigkeit vom allgemeinen Kenntnisstand und sozialen Leitbildern bzw. Normen, nicht zuletzt mit der Person und ihrem Bildungshintergrund. In diesem Sinne sind Paradoxien historische Gebilde, die im nachhinein oft als Irrtümer und Kuriositäten belächelt werden (meist in den einleitenden Bemerkungen zur Geschichte einer Disziplin), obwohl sie mitunter erst der Anlaß waren, die irrigen Vorstellungen zu korrigieren. Dennoch heißt subjektiv nicht individuell; eine Paradoxie ist nicht die Enttäuschung von idiosynkratischen Vorstellungen und Erwartungen. Als Individuen sind wir nicht frei in der Wahl unseres epistemischen und normativen Hintergrundes, er ist für uns so objektiv wie die Welt selbst. Die „Freiheit des Begriffs“ ist eine gemeinschaftliche, keine individuelle Freiheit.3 Paradoxien sind in diesem Sinne objektiv; so objektiv wie die Ideen, die in einer Gemeinschaft selbstverständlich akzeptiert werden. Aus diesem Grund können Paradoxien sowohl ‚Erfin- Kollisionen mit der Doxa dung‘ als auch ‚Entdeckung‘ sein, sowohl Mittel als auch Resultate der Reflexion dieser Selbstverständlichkeiten; sie zeigen diese ex negativo, durch das Auftreten von Widersprüchen auch dort, wo scheinbar alles schon begriffen ist. Damit ist das zweite Merkmal von Paradoxien benannt: Sie sind ihrer logischen Form nach Widersprüche bzw. lassen sich als solche darstellen. Im Falle der Lügnerparadoxie liegt dies auf der Hand: Ein Satz behauptet seine eigene Falschheit. Im Falle des Gefangenendilemmas besteht auf der Objektebene ein Widerspruch zwischen zwei gegensätzlichen Handlungsempfehlungen sowie auf der Metaebene der Reflexion einer zwischen der Erwartung, die Orientierung an Rationalitätsprinzipien führe zu optimalen Handlungsresultaten, und dem notwendig suboptimalen Ergebnis der Anwendung dieser Prinzipien. Allein der Begriff des Widerspruchs bietet aber zu wenig Struktur, um den Begriff der Paradoxie zu charakterisieren. Denn nicht alle Widersprüche sind paradox, und erst recht ist nicht jede absurde oder einfach falsche Behauptung schon deshalb paradox, weil sie allgemein geteilten Überzeugungen widerspricht. Als Paradoxie kennzeichnet man vielmehr solche Fälle, in denen aus ‚unverdächtigen‘ Voraussetzungen mittels verläßlicher Schlußverfahren Aussagen gefolgert werden können, die entweder selbst unsinnig, absurd oder widersprüchlich sind oder die wenigstens einer der Voraussetzungen widersprechen. Paradoxien sind der Form nach gute Argumente, die zu einem Widerspruch führen. Läßt man sich auf die Prämissen ein, ist er unvermeidlich. Die Korrektheit des Schlußverfahrens unterstellt, zeichnet sich ein gutes Argument prima facie dadurch aus, daß seine Prämissen gute Gründe sind, die Konklusion zu akzeptieren. Gute Gründe sind nun aber nicht nur irgendwelche Aussagen, aus denen die fragliche Konklusion folgt, sondern letztlich allgemein anerkannte Urteile oder solche, die sich auf schon anerkannte Urteile stützen – epistemisches bzw. normatives Allgemeingut, kollektiv geteilte Gewißheiten. Die Güte eines Grundes fällt also zunächst mit der Allgemeinheit seiner Akzeptanz zusammen.4 Paradoxien sind demnach Argumente bzw. deren Konklusionen, die allgemein akzeptierten Überzeugungen oder deren Folgerungen widersprechen, deren Prämis- 49 sen aber ebenfalls allgemeine Überzeugungen sind oder aus diesen folgen. Man könnte sagen, daß in Paradoxien der ommon sense, den es auf allen Gebieten menschlicher Tätigkeit gibt, auch in den Wissenschaften, mit sich selbst kollidiert. Demnach ist nicht der Lügnersatz an sich paradox, sondern er wird es erst durch die anscheinend unschuldige Frage, ob er nun wahr oder falsch sei. Denn erst diese stellt ihn in den argumentativen Rahmen der allgemein akzeptierten propositionalen Logik und entsprechender Wahrheitsbewertungen. Ganz ähnlich entsteht auch das Gefangenendilemma durch die Frage, welcher der beiden Strategien man vernünftigerweise folgen sollte, womit schon unterstellt wird, daß Vernunft und individuelle Handlungsrationalität zusammenfallen und daß die Lösung folglich in einer Art Gewinnstrategie bestehen muß. Daran wird nun folgendes sichtbar: Paradoxien beruhen oft auf verdeckten Prämissen, die als solche gar nicht sichtbar werden können, sondern in der Beschreibung eines Problems oder in der Art der Fragestellung stecken – etwa in der Überzeugung, daß ein Argument oder ein Begründungsverfahren nur mittels deduktiver Methoden richtig dargestellt werden kann, womit unterstellt wird, daß die Logik universal anwendbar ist; oder in der Beschreibung von Problemen praktischer Rationalität als Problemen der ‚richtigen‘ Strategiewahl. Auf diesen wichtigen Punkt werde ich noch zurückkommen. Paradoxien sind also gut begründete Aussagen, die in Widerspruch zu gemeinhin akzeptierten Urteilen stehen. Daran ist zunächst nichts Beunruhigendes – im Gegenteil: Was weithin anerkannt ist, muß noch lang nicht richtig sein. Paradoxien wären dann nichts weiter als Falsifikationsinstanzen festsitzender Vorurteile und Gemeinplätze, die sonst gar nicht aufgebrochen werden könnten. Paradoxien führen solche Vorurteile zum Selbstwiderspruch oder in Gegensatz zu anderen Grundgewißheiten und erzwingen so die Reflexion auch des Selbstverständlichen oder bringen es überhaupt erst zum Vorschein. Hat man nur den epistemischen Aspekt solcher (Vor-)Urteile und Gewißheiten im Auge, dann scheinen Paradoxien unproblematisch zu sein, jedenfalls nicht problematischer als andere Falsifikationen. Betrachtet man solche Gewißheiten aber unter dem praktischen Aspekt der Orientierung des Denkens und Han- 50 delns, dann sind es gerade die Selbstverständlichkeiten und Gewißheiten, die dem Denken und Handeln Halt geben. Gemeinplätze können daher nicht ohne Verlust an praktischer Orientierung einfach aufgegeben werden, wie bspw. das Axiom einer speziellen nichtklassischen Geometrie.5 Selbst wenn zunächst nur theoretische Modelle, etwa der Diskurs- und Handlungsrationalität, von Paradoxien betroffen sind, so führt dies am Ende auch zu praktischen Orientierungsverlusten, weil Handlungsentscheidungen wesentlich davon abhängen, welches Bild wir uns von der Handlungssituation machen und welche Handlungsnormen wir akzeptieren. Ein drittes Merkmal von Paradoxien ist demnach, daß sie scheinbar nicht disponible Gewißheiten und unhintergehbare Wahrheiten suspendieren. Sie weisen uns auf Defekte grundlegender, selbstverständlicher und alltagstauglicher (auch normativer) Begriffsbildungen, Überzeugungen, Theorien und Orientierungen hin, die sich im Rahmen dieser Überzeugungen nicht beheben lassen; sie decken Lücken und Fehler im Verständnis verstanden geglaubter Annahmen auf, indem sie zeigen, daß wir deren Konsequenzen (noch) nicht überblicken. Mehr noch: Sie verwickeln die Vernunft in Selbstwidersprüche, weil es gerade diese Gewißheiten sind, die unsere Wahrheiten (genauer: den Spielraum dessen, was wir real überhaupt für möglich halten können) definieren und damit sinnvollen Zweifel erst möglich machen. Sie führen damit in epistemisch und praktisch ‚haltlose‘ Situationen, weil sie im Rahmen der zugrundeliegenden Annahmen nicht gelöst werden können und sinnvolles Handeln nicht mehr möglich erscheint. Aus diesem Grund können Paradoxien nicht einfach als Gedankenspiele abgetan werden, vielmehr markieren sie die Punkte, an denen die philosophische Reflexion der begrifflichen Grundlagen des Denkens und Handelns unvermeidlich ist. Mechanismus und Genealogie des Paradoxen Sind Paradoxien nun zufällige, je lokalen Unzulänglichkeiten geschuldete Randphänomene des Denkens? Oder sind sie, wie Kant nahelegt, letztlich mit dem Gebrauch spezieller formaler Frank Kannetzky Begriffe wie Bewegung, Teilbarkeit, Unendlichkeit, Kausalität oder, über Kant hinaus, auch Wahrheit und Rationalität verbunden? Beiden Vermutungen möchte ich widersprechen. Sie unterstellen, daß Paradoxien entweder Ausnahmeerscheinungen sind oder daß sie zwar grundlegende, aber doch klar abgrenzbare Bereiche theoretischer und praktischer Welterschließung betreffen. Aber Paradoxien sind unvermeidliche und in diesem Sinne notwendige Begleiterscheinungen jedes diskursiven Denkens, jeder begrifflichen Aneignung der Welt und damit auch jedes zielgerichteten Handelns. Dies wird deutlich, wenn man den „Mechanismus“ betrachtet, der Paradoxien hervorbringt. Paradoxien entstehen, wenn die Begriffe, Urteile und Theorien eines schon verstandenen Rede- bzw. Gegenstandsbereiches M (Modell) verwendet werden, um einen unverstandenen Gegenstandsbereich A (Abbild) begrifflich zu gliedern. Im einfachsten Falle ist dies die Unterteilung des bislang ungegliederten Bereiches mittels Begriffen aus M oder auch die Subsumtion von M und A unter einen gemeinsamen Oberbegriff. Damit wird eine Analogie etabliert, A wird unter der Perspektive der Struktur M betrachtet, oder anders: Bekannte Strukturen M werden auf einen bislang unstrukturierten oder nicht in gleicher Weise geordneten Bereich A projiziert bzw. in A fortgesetzt und gliedern diesen dadurch in einer Weise, daß M und A gemäß bestimmter Zuordnungen und Projektionsregeln strukturgleich werden – sie haben dann teil an einer gemeinsamen Form (vgl. Stekeler-Weithofer 1997). Was ist der Witz an einem solchen Verfahren? Indem eine Darstellungsform etabliert wird, aber auch, indem alternative Projektionen als unsinnig, unzweckmäßig etc. verworfen werden, wird der Abbildbereich A als ein nun bestimmter Redebereich konstituiert, womit Verständnis und Orientierung in A überhaupt erst möglich werden. Mit einer solchen Darstellungsform werden kategoriale Entscheidungen getroffen und Darstellungsnormen gesetzt, etwa von welchem Typ die Gegenstände aus A sind, welche Identitätskriterien gelten, wie substituiert werden darf, was sinnvolle Aussagen und Fragen sind, was als Begründung zählt etc. Im Falle des Lügnerparadoxes werden Sätze als Aussagen mit (genau) einem Kollisionen mit der Doxa Wahrheitswert betrachtet, auf welche die propositionale Logik anwendbar ist und bei denen von anderen Dimensionen, bspw. von ihrer lyrischen Qualität, abstrahiert wird. Im Falle des Gefangenendilemmas werden Handlungen als Strategien individueller Präferenzmaximierung betrachtet, womit sie als der ökonomischen Rationalität unterworfen gelten und Fragen z.B. nach einem präferenzunabhängigen Eigenwert von Handlungen unsinnig werden. Solche Projektionen stellen, relativ auf den Abbildbereich A, synthetische Urteile a priori dar und legen Präsuppositionen, Systematisierungen und Sinnkriterien für Urteile in A fest. Damit werden Folgerungen und Vergleiche in A möglich, durch die dann auch Erwartungen mit Blick auf die Gegenstände von A gerechtfertigt sind. Paradoxien treten nun auf, wenn die analogischen Strukturen Folgerungen zulassen, die, obwohl sie in M adäquat sind, in A zu Überraschungen und Widersprüchen, zu „Abweichungen von den Normalfolgen“ (Stekeler-Weithofer) führen, d.h. wenn die Eigengesetzlichkeit von A mit den aus M importierten Kategorien und Präsuppositionen der Darstellungsform kollidiert. In M korrekte Folgerungen sind im Bereich A der Anwendung bzw. Projektion von M dann nicht mehr zulässig, die Analogie trägt die Folgerungen nicht mehr. Wird sie aufgrund der durch die Projektion gesetzten, gegenstandskonstitutiven strukturellen Ähnlichkeiten zum ‚Wesen‘ des Abbildbereiches hypostasiert, dann stehen wir vor einem Paradox: Die (aus M importierten) formalen Anwendungs- und Sinnbedingungen sowie Präsuppositionen von A, die als materiale Aussagen über die Gegenstände von A auftreten (etwa in Form von Definitionen), widersprechen materialen Aussagen über Gegenstände aus A. Das Lügnerparadox tritt auf, wenn Ausdrükke, die nach grammatischer Definition indikative Sätze darstellen, per se als semantisch wohlgeformte Aussagen betrachtet werden, d.h. wenn, wie es für die Logik konstitutiv ist, unterstellt wird, jeder syntaktisch wohlgeformte Satz stünde für ein wahrheitsfähiges Urteil. Soziale Dilemmata wie das Gefangenendilemma resultieren aus der Übertragung des ZweckMittel-Modells der individuellen instrumentellen, herstellenden Handlung auf soziale Handlungen. Andere Personen kommen darin nicht als Zweck, sondern nur als Mittel oder Bestand- 51 teil der Handlungssituation vor, d.h. im günstigen Fall als berechenbares Objekt, im ungünstigen Fall als eine Art Zufallsgenerator, nicht aber als Subjekt. Daß es aber unsinnig ist, einem quasi naturgesetzlich bestimmten Objekt kooperativen Vorschuß zu gewähren, müssen, wie das Dilemma zeigt, die scheinbar vernünftigen Prinzipien rationalen Handelns notwendig ins Desaster führen. Es ist also gerade die kategoriale (Fehl-)Entscheidung, soziales prinzipiell als instrumentelles Handeln zu deuten, die in das Paradox führt. Ich denke nun, daß derartige Kategorienfehler6 und die anschließende schematische Analogiebildung, welche die Anwendungsbedingungen und die Grenzen der Analogie aus dem Auge verliert und wichtige Unterschiede zwischen Modell und Abbild vernachlässigt, auch bei anderen als den beiden Beispielparadoxien den grundlegenden Mechanismus des Paradoxen darstellen (vgl. auch Kannetzky 2000, Kap. 6). Läßt sich dieser Mechanismus nicht umgehen? Könnten wir ‚falsche‘ Analogien nicht einfach aufgeben und den Umweg über inadäquate, potentiell paradoxienerzeugende Modelle und Darstellungsnormen vermeiden? Nein. Erkennen ist immer auch Wiedererkennen, schon durch seine sprachliche Form. Wir eignen uns begrifflich unerschlossenes Gebiet an, indem wir Ähnlichkeiten mit Vertrautem suchen, es unter geläufige Begriffe subsumieren, die Geltung allgemeiner Prinzipien (etwa der Kausalität oder der Logik) unterstellen, entsprechende Schlüsse ziehen, so gewonnene Hypothesen prüfen, d.h. indem wir bekannte Strukturen analogisch projizieren und uns damit auf die Geltung bestimmter synthetischer Urteile a priori, d.h. auf bestimmte Darstellungsnormen für den Abbildbereich, festlegen und dadurch die Mittel in der Hand haben, die Analogie auszubauen. Aber ob und wie weit die Analogie trägt, ob ihre Unterscheidungen zu grob sind oder ob nicht ganz allgemein unter einen falschen Oberbegriff subsumiert wurde, können wir erst feststellen, wenn der interessierende Gegenstandsbereich mittels der Analogie bereits so weit ausdifferenziert ist, daß Normalitätsbedingungen und Substitutionsmöglichkeiten festgelegt und entsprechende, nicht nur deduktive, Folgerungen möglich geworden sind. Solche Folgerungen erweitern den Bereich der Analogie aber auch über den Be- 52 reich ihrer sinnvollen Verwendung hinaus, wodurch zugleich die Möglichkeit paradoxer Folgerungen besteht, die gerade die Grenzen der Analogie markieren. Wie strikt solche Folgerungen sind, mit welchen Abstraktionen und Idealisierungen sie verbunden und wie systematisch und für welchen Gegenstandsbereich sie ausgearbeitet werden, ist eine Frage des Grades. Theorien werden darin regelmäßig weitergehen als das Alltagsverständnis, weshalb Paradoxien vor allem die theoretische Erkenntnis betreffen. Das Prinzip bleibt aber das gleiche: die Überdehnung von Modellvorstellungen, Analogien, Prinzipien über den Bereich ihrer sinnvollen, dem Gegenstand adäquaten, seine Eigengesetzlichkeit respektierenden Verwendung hinaus. Mit der heuristisch zunächst fruchtbaren Schematisierung der Projektion und der entsprechenden strukturstiftenden Vereinseitigung der Perspektive geht aber zugleich eine, in gewisser Hinsicht systematische, Blindheit gegenüber wichtigen, oft kategorialen Unterschieden zwischen Modell- und Abbildbereich einher. Paradoxien sind demnach der Zwilling der systematischen, prinzipiengeleiteten und begrifflichen Erkenntnis. Sie beruhen auf den gleichen Mechanismen wie diese und können daher überall auftreten, wo wir es mit Versuchen zu tun haben, die Welt auf den Begriff zu bringen, auch und gerade da, wo wir über sicheres Wissen oder sichere Prinzipien zu verfügen glauben. Weder sind sie bloße Irrtümer und Fehler, noch zeigen sie grundsätzliche Unvollkommenheiten des Erkenntnisvermögens an. Vielmehr sind sie unvermeidliche Begleiter, aber zugleich ein Antrieb jedes systematischen Erkennens. Es sollte jetzt auch klar sein, warum gerade die Wissenschaften immer wieder Paradoxien hervorbringen, und auch, warum Paradoxien die begriffliche Basis und die grundlegenden Orientierungen und Gewißheiten ganzer Disziplinen erschüttern können. Für den Umgang mit Paradoxien lassen sich nun zwei prinzipiell unterschiedliche Herangehensweisen festhalten (dazu ausführlicher Kannetzky 2000, Kap. 5.6; Kannetzky 2002). Zum einen Versuche, die Paradoxien als Widersprüche innerhalb des gegebenen begrifflichen bzw. kategorialen Rahmens zu lösen, was bedeutet, mindestens eine Prämisse aufzugeben oder zu modifizieren, das Schlußverfahren Frank Kannetzky als inkorrekt auszuweisen oder aber die Konklusion des paradoxen Argumentes als wahr anzuerkennen. Beispiele wären das ‚Verbot‘ der Bildung des Lügnersatzes durch die Unterscheidung von Objekt- und Metasprache oder die Einführung eines ‚Moralfaktors‘ im Gefangenendilemma, der die Präferenzen der Akteure verschiebt. Ich nenne diesen Typus des Umgangs mit Paradoxien technische Lösung oder Vermeidungsstrategie. Aufgrund der logischen Struktur des paradoxen Widerspruchs sind diese Strategien aber logisch gleichwertig, was bedeutet, daß die durch das Paradox gestörte Orientierung nicht wiederhergestellt wird. Denn für welche der logisch möglichen Lösungen soll man sich entscheiden? Das Paradox reproduziert sich damit auf der Ebene seiner Lösungen. Ebenfalls problematisch sind Folgeparadoxien, die an anderer Stelle auftreten können, weil technische Lösungen am paradoxienerzeugenden begrifflichen Rahmen nichts verändern. Zum anderen kann der begriffliche Rahmen, also die Angemessenheit der analogischen Projektion und der entsprechenden gegenstandskonstitutiven Urteile, d.h. der Darstellungsformen und -normen selbst befragt werden. Ein paradigmatisches Beispiel ist Kants Herangehen an die Vernunftantinomien. Dabei geht es um die Auflösung im Sinne des Verschwindens der Paradoxie. Im folgenden wird der Unterschied der beiden Herangehensweisen noch deutlich werden. Paradoxien der Sozialwissenschaften Es sollte nunmehr nicht verwundern, daß sozialwissenschaftliche Theorien, wie andere Theorien auch, von Paradoxien betroffen sind. Dies gilt insbesondere, sofern sie Gebrauch von Modellen machen, die entweder nicht aus den Sozialwissenschaften selbst stammen oder einen Teil ihres Gegenstandes modellhaft für das Ganze nehmen. Das im gegenwärtigen Mainstream der Sozialwissenschaften alles dominierende Verhaltensmodell beruht auf der Anwendung von Methoden der Ökonomie (ausführlich Kirchgässner 1991). Es wird in jüngerer Zeit geradezu als die sozialwissenschaftliche Methode schlechthin betrachtet und soll die Sozialwissenschaften erst zu exakten Wissenschaften im eigentlichen, naturwissenschaftlichen Sinn machen, weil es, im Gegensatz zu Kollisionen mit der Doxa den Begriffsbildungen und Erklärungen der ‚normativen‘ Sozialwissenschaft – angeblich – frei von metaphysischem Ballast ist.7 Problematisch daran ist, daß der Erklärungsrahmen des ökonomischen Verhaltensmodells gerade auf dem Gebiet in Paradoxien führt, welches mittels ökonomischer Modelle sozialwissenschaftlich erklärt werden soll: in der Erklärung sozialer Interaktion und gesellschaftlicher Beziehungen, nicht zuletzt des gemeinschaftlichen und gemeinsamen Handelns, sowie kollektiver Güter und Institutionen. Nach dem Vorangegangenem sind diese Paradoxien ein Indikator grundlegender begrifflicher Konflikte aus der Überdehnung der Methoden der Ökonomie, d.h. ihrer Erhebung zur allein gültigen Darstellungsnorm aller Bereiche der sozialen Realität. Das Gefangenendilemma und aandere soziale Dilemmata, letztlich auch Kants Freiheitsantinomie, stehen exemplarisch für diese Schwierigkeiten. Schwerwiegender ist aber, daß das ökonomische Verhaltensmodell und sein Akteur, der rationale Egoist, die mit Aufklärung und Moderne zu selbstverständlich geltenden Topoi der Selbstbeschreibung des Menschen und seines Handels werden, damit auf alle Bereiche der Lebenswelt übergreifen und diese formen. Indem sie zu Grundorientierungen und Kriterien auch des sozialen Handelns (erklärt) werden, zur einzig relevanten Perspektive der Fremd- und dann auch der Selbstbeurteilung, bleiben sie nicht länger nur Beschreibungen, die zu theorieintern unlösbaren paradoxen Widersprüchen führen. Vielmehr werden diese Handlungsorientierungen zu konstitutiven Bestandteilen der Produktion und Reproduktion von realen Gefangenendilemmasituationen mit allen bereits am Modell sichtbaren ‚suboptimalen‘, genauer selbstzerstörerischen Konsequenzen mit Blick auf freie Kooperationen und Gemeinschaften, öffentliche Güter und damit auch die normativen (moralischen) und kulturellen Voraussetzungen des Marktes. Die aus der Selbstbeschreibung als homo oeconomicus resultierenden Handlungsorientierungen werden zu Konstituenten von vermeintlich unbegreiflichen und unlösbaren Realparadoxien des Sozialen, die sich in scheinbar unausweichlichen Sachzwängen, in Pathologien des Rechts und der Moral sowie in pragmatisch widersprüchlichen Handlungen zeigen und darüber hinaus zugleich deren Lösung verhindern. 53 Warum eine zunächst eher marginal anmutende Paradoxie wie das Gefangenendilemma ein zentrales Problem der am ökonomischen Verhaltensmodell orientierten Sozialwissenschaft darstellt, wird klar, wenn man sich zweierlei vor Augen führt: Erstens folgt es unmittelbar aus den Grundannahmen des Modells. Zweitens umfaßt seine systematische Reichweite nahezu alle sozialen Interaktionen. Denn das Gefangenendilemma wirft unter den Prämissen des ökonomischen Verhaltensmodells nichts Geringeres auf als das Problem der Kooperation, generell das der kollektiven bzw. arbeitsteiligen Handlungen, und damit auch das Problem der Produktion und Erhaltung öffentlicher Güter und Institutionen qua Resultaten kollektiven Handelns. Zur Illustration mögen einige Beispiele genügen. Etwa befinden wir uns in der Situation eines der Gefangenen, wenn wir bei Ebay etwas ersteigern und Vorkasse leisten müssen, ohne uns sicher sein zu können, daß wir die versprochene Ware jemals zu Gesicht bekommen. Auch das sog. „Trittbrettfahren“ – die Partizipation an öffentlichen Gütern, ohne einen Beitrag dazu zu leisten – gehört hierher. Der Trittbrettfahrer profitiert von der Existenz nicht-exklusiver öffentlicher Güter, d.h. von Gütern, zu denen er allein aufgrund der Mitgliedschaft in einer Gruppe Zugang hat – von der Infrastruktur über das allgemeine Niveau von Bildung und Wissenschaft, die Geltung und Durchsetzung des Rechts und den sozialen Frieden bis hin zu einer lebensfreundlichen Umwelt; und zwar profitiert er im gleichen Maße wie derjenige, welcher seinen Teil zur Bereitstellung und Reproduktion dieser Güter beiträgt. Die Kosten der öffentlichen Güter erscheinen daher als zusätzliche Kosten, denen man sich zu entziehen sucht – die Rahmenbedingungen individuellen Handelns werden als gegeben betrachtet, obwohl sie durch massenhafte Defektion ruiniert werden. Dieser Perspektive entspricht auf der Ebene von Wirtschaftssubjekten die betriebswirtschaftliche Sichtweise, die für die Produktion ihrer Voraussetzungen – oder, wenn man so will: für die Sinnbedingungen betriebswirtschaftlicher Rationalität, insbesondere die normativen und institutionellen Grundlagen ökonomischen Handelns – blind ist. Selbst wenn reale Akteure diese mittelbaren Konsequenzen ihres Tuns überschauen mögen, sind sie, sofern sie ökonomisch 54 rational agieren, zur Unempfindlichkeit gegenüber diesen gezwungen, so wie die Gefangenen zur Defektion. Dieses Dilemma ist systematisch mit den Grundannahmen des ökonomischen Verhaltensmodells verknüpft, mit dem Bild des Menschen als homo oeconomicus (vgl. zur Darstellung des Modells Kirchgässner 1991, Kap. 2). Menschliches Handeln wird in diesem Modell als rationale Entscheidung zwischen verschiedenen möglichen Handlungsstrategien bestimmt, wobei die Entscheidung als Abschätzung der Konsequenzen der Wahl einer Handlungsstrategie mit Blick auf die Präferenzen des Akteurs modelliert wird. Rational ist eine Handlung dann, wenn sie von einer Entscheidung getragen wird, welche die Risiken der Akteurs minimiert und seine Präferenzen maximiert, sprich: ihm nach Abzug der Kosten den größten Nutzen verspricht. Rationalität ist Zweckrationalität, wobei es letztlich nur ein Ziel gibt, dem alle anderen möglichen Zwecke untergeordnet sind: Nutzenmaximierung gemäß der Präferenzordnung des Akteurs. Dabei wird angenommen, daß nur Individuen Akteure sein können, es gilt das „Eigennutzaxiom“, d.h. Individuen handeln ausschließlich nach ihren eigenen Präferenzen, die anderer Individuen sind nur so weit relevant, als sie die eigenen Interessen betreffen. Sofern man unter Egoismus Rücksichtslosigkeit in der Verfolgung eigener Interessen versteht, ist der homo oeconomicus ein rationaler Egoist, weder mißgünstig noch altruistisch, aber immer auf seinen Vorteil bedacht – andere Motive werden nicht zugelassen bzw. sollen durch den Begriff der Präferenzordnung abgedeckt werden. In Anknüpfung an Max Webers Vorschlag, eine Handlung zu verstehen bedeute, ihren subjektiven Handlungssinn zu verstehen, wird intentionales Handeln als präferenzgeleitetes, rationales Verhalten aufgefaßt. Wir verstehen eine Handlung, wenn wir verstehen, wie sie relativ zu gegebenen Handlungsmöglichkeiten und -einschränkungen (etwa durch sanktionsbewehrte Regeln) die Präferenzen des Individuums maximiert, und wir verstehen Verhaltensänderungen aufgrund der Veränderung der Handlungsmöglichkeiten. Deren systematischer und damit theoretisch erfaßbarer Zusammenhang wird durch individuelle Rationalität gestiftet, die daher in den Sozialwissenschaften einen ähnlichen Status Frank Kannetzky einnimmt wie die Kausalität in den Naturwissenschaften: Beliebige soziale Phänomene, etwa die Präferenzen und das Verhalten von Gruppen, deren Institutionen, Konventionen und Praxen sollen auf Basis dieses Handlungsbegriffs als Aggregationen individueller Handlungen und Entscheidungen erklärt und damit auf diese zurückgeführt werden. (Paradigmatisch ist nach wie vor Lewis 1975.) Nur der konkrete Mechanismus ihrer Aggregation zu kollektiven Gebilden ist umstritten. Der Begriff der individuellen Präferenz, das Rationalitätsprinzip und der methodologische Individualismus bilden demnach den begrifflichen Rahmen der am ökonomischen Verhaltensmodell orientierten Sozialwissenschaften. In diesem Rahmen muß nun auch die Kooperation als Basis und Bedingung der Möglichkeit kollektiver Einrichtungen erklärt werden können. Ein gängiges Erklärungsmuster kooperativen Handelns unter den gegebenen Prämissen ist der freie Tausch von Gütern oder die wechselseitige Erbringung bestimmter Leistungen, die dann und nur dann zustande kommen, wenn sich jeder der Beteiligten einen Vorteil davon verspricht. Sinngemäß wird dies auch für die Produktion öffentlicher bzw. kollektiver Güter unterstellt: Sie werden dann produziert, wenn der individuelle Nutzen ihrer Existenz die individuellen Aufwendungen für ihre Produktion für eine hinreichend große Anzahl von Gruppenmitgliedern übersteigt. Die Handlungen der Individuen werden durch den Tauschmechanismus so in Übereinstimmung gebracht, daß für alle Beteiligten ein Optimum an Präferenzerfüllung garantiert ist – die „unsichtbare Hand“ sorgt dafür, daß eines jeden Jagd nach dem Glück zum Besten aller gereicht. Aus diesem Grunde spielt der ideale Tauschmarkt im ökonomischen Verhaltensmodell eine zentrale Rolle: Er ist das Vehikel der Sozialität frei entscheidender, individuell präferenzmaximierender Akteure. Unter dieser Beschreibung erscheinen Kooperationsprobleme als Koordinationsprobleme – womit das Prekäre jeder Kooperation verfehlt wird.8 Denn der Tausch ist keine bloße Koordinationsleistung, bei der es keine Interessenkonflikte gibt. Sich auf Kooperationen einzulassen bedeutet, Kosten zu übernehmen und Risiken einzugehen, d.h. eigene Interessen wenigstens partiell zurückzustellen, ohne daß der Kooperationsbonus Kollisionen mit der Doxa und damit die Präferenzmaximierung sicher oder dessen Wahrscheinlichkeit auch nur kalkulierbar wäre. Für den rechnenden Verstand des homo oeconomicus ist Kooperation daher irrational: Sind die anderen Teilnehmer rationale Egoisten, werden sie versuchen, ihren Nutzen ohne Rücksicht auf die Interessen anderer zu maximieren, d.h. sie sind nicht kooperativ. Sind sie kooperativ, dann wird der rationale Egoist aus dem gleichen Grund versuchen, sie auszunutzen – kooperieren wird er nicht. Denn warum sollte der rationale Egoist die Tauschobjekte nicht einfach rauben oder Leistungen erzwingen, wenn er die Macht dazu hat? Was spricht aus seiner Sicht dagegen, Konflikte durch Mord an Konkurrenten zu lösen? Warum sollte er einen Beitrag zu öffentlichen Gütern leisten, wenn er auch ohne die Kosten der Kooperation daran partizipieren kann? Das Gefangenendilemma illustriert nun gerade diese allgemeine Struktur des Problems freier Kooperation und seine Unlösbarkeit unter der Voraussetzung des homo oeconomicus. Der bloße Appell an Regelkonformität, etwa per Präferenzkritik und Aufforderung zum Altruismus, muß wirkungslos bleiben. Denn die Aufrechterhaltung der normativen Voraussetzungen des Marktes liegt zwar im Interesse des rationalen Egoisten, sie stellt selbst aber keine individuelle Präferenz dar. Entsprechend werden dessen Normen unterlaufen, wenn es der Präferenzmaximierung dient – der homo oeconomicus entzieht seinem Handeln die Grundlage, auch der ideale Tauschmarkt zerstört seine Basis und führt tendenziell zum „Krieg aller gegen alle“.9 Damit die Kooperation in Gang kommt und Kollektivgüter bereitgestellt bzw. nicht geplündert werden, bedarf es zusätzlicher, außerökonomischer Anreize, welche die Präferenzstruktur aller ökonomischen Akteure systematisch und stabil verändern. Der homo oeconomicus bedarf der Intervention des homo politicus, welcher die normativen Rahmenbedingungen des Marktmechanismus garantiert und die Kooperativität der Akteure erwartbar, d.h. kalkulierbar macht, indem er deren Verletzung sanktioniert und damit die Kosten der Defektion in untragbare Höhen treibt. Dies ist im Grunde die Hobbessche Lösung des Dilemmas durch die Einführung von Staat und Recht, welche die Bedingungen des Marktes, insbesondere die Einhaltung von Verträgen und das 55 Privateigentum, durch Sanktionsdrohung garantieren. Der Krieg aller gegen alle wird auf diese Weise freilich nicht beendet, sondern nur zivilisiert. Denn das Wesen des Krieges „besteht nicht in tatsächlichen Kampfhandlungen, sondern in der bekannten Bereitschaft dazu während der ganzen Zeit, in der man sich des Gegenteils nicht sicher sein kann“ (Hobbes 1651, 107) – und sicher sein kann man sich niemals, weil der rationale Egoist nur durch ihm äußere, kontingente Größen gebändigt wird, sich in seinem Wesen aber gleich bleibt. Die Einsetzung des Leviathan ist daher eine bloß technische Lösung des Problems der Kooperation unter rationalen Egoisten. Sie verschiebt die individuellen Präferenzen durch politische Gewalt, aber sie löst den zugrundeliegenden Konflikt nicht. Zwar ist der Leviathan eine außerökonomische Bedingung (und Konsequenz) der ökonomischen Rationalität, das Problem ist aber, daß er sich, ganz analog zu anderen vorgefundenen Bedingungen, lückenlos in das ökonomische Verhaltensmodell integrieren läßt und damit etliche Folgeprobleme hervorbringt. Der Leviathan ist selbst ein fragiles Gebilde, das von mehreren Seiten bedroht wird. Erstens unterläuft der rationale Egoist die Gesetze und vermeidet die aus seiner Perspektive zusätzlichen Kosten öffentlicher Güter immer dann, wenn er keine Sanktionen zu befürchten hat, d.h. wo es Regelungslücken gibt oder aber bestehende Gesetze nicht ausnahmslos durchgesetzt werden – die Defektion wird in andere Bahnen gelenkt, aber nicht verhindert. Der rationale Egoist weiß sich den Umständen systematisch anzupassen – erlaubt ist alles, was nicht explizit verboten ist bzw. was nicht effektiv sanktioniert wird – und findet neue Wege seiner Präferenzmaximierung: legale Halsabschneiderei, Steuerflucht, Subventionserpressung, Schwarzarbeit etc. mögen als Stichworte genügen. Um dies zu verhindern, tendiert der Leviathan zur Ausweitung seiner Befugnisse und der Reichweite seiner Regeln, er ist daher tendenziell totalitär und neigt zu pathologischen Formen, zu Extremen der Verschiebung oder Manipulation der individuellen Präferenzen, wie sie idealtypisch in den Dystopien von Orwell (1984) und Huxley (Schöne Neue Welt) entwickelt und in Schlagworten wie „repressiver oder Überwachungsstaat“ oder „politische Manipulation“ artikuliert werden. 56 Zweitens existiert der Leviathan nur in seinen Institutionen und deren Repräsentanten. Letztere agieren nach den Prämissen des ökonomischen Verhaltensmodells aber ebenfalls als individuelle Präferenzmaximierer, die wiederum durch Sanktionsdrohung oder zusätzliche Anreize dazu gebracht werden müssen, die staatliche Organisation aufrechtzuerhalten und die Rahmenbedingungen des freien Austauschs zu garantieren (vgl. Olson 1992). Da es nach dem Modell aber um abstrakte Nutzenmaximierung geht, gibt es immer die Möglichkeit stärkerer Anreize. Dienst nach Vorschrift, Bestechung und Korruption wohnen der staatlichen Organisation deshalb systematisch inne, ebenso die Möglichkeit der, nicht notwendig gewaltsamen, Usurpation des Staates durch Individuen oder Gruppen, die ihn als Instrument der Durchsetzung ihrer Partikularinteressen benutzen. Die Inbesitznahme staatlicher Institutionen bietet die für den Präferenzmaximierer unwiderstehliche Versuchung, sanktionsfrei zu defektieren und zugleich die Rahmenbedingungen der Defektion aufrechtzuerhalten, sprich: Kooperationen und öffentliche Güter, d.h. andere Personen, ohne Risiko auszubeuten. Aus diesem Grunde erscheint der Staat unabhängig von der Regierungsform seinen Bürgern als „Mitspieler“ mit besonderen Machtmitteln, Befugnissen und Präferenzen und steht als solcher nicht über der ökonomischen Rationalität, sondern wird zum Schauplatz des Kampfes wechselnder Koalitionen; siehe entsprechende Schlagworte wie „Tyrannei der Mehrheit“, „Kleptokratie“, „Oligarchie“, „Parteienstaat“, „Macht der Lobbys und Verbände“ etc. In jedem dieser Fälle steigen die materiellen und immateriellen Kosten des Leviathan, womit die politische Lösung des Problems der Kooperation ihre Voraussetzungen unterminiert: Entweder wird die freie Entscheidung und Präferenzbildung der Individuen beschränkt, oder der Kampf aller gegen alle wird innerhalb von Staat und Recht auf die Defektion im Rahmen der Gesetze und auf die Ebene des Konflikts wechselnder Koalitionen verlagert. Gelöst ist das Problem der freien Kooperation hiermit nicht. Vielmehr steht so die Legitimität des Staates immer in Frage: Denn er muß die Marktordnung garantieren und zugleich die Last ihrer Rechtfertigung tragen, er muß elementare Rechte der Individuen qua Marktteilnehmer Frank Kannetzky schützen und zugleich deren Handlungsspielräume einschränken. Nun bringt aber selbst eine ideale Marktordnung, auch wenn sie in ihren normativen, kulturellen und anderen notwendigen Voraussetzungen, die vom Marktmechanismus selbst nicht produziert werden, staatlich zunächst abgesichert ist, immer aufs neue ökonomische Ungleichgewichte und Ungleichverteilungen hervor. Gewöhnlich kann sie, selbst wenn sie relativ zu anderen Organisationsformen der Gesellschaft ein Maximum an Gütern produzieren sollte, weder den Marktzugang noch das Überleben aller garantieren; eine Tatsache, die von Kritikern und Apologeten des Marktes, von Theoretikern wie Bentham, Marx, Weber, Friedman oder Hayek gleichermaßen anerkannt, wenn auch unterschiedlich erklärt und bewertet wird. Damit stellt sich aber die Frage nach der Legitimität der staatlich sanktionierten Marktordnung für den weniger begünstigten homo oeconomicus: Warum sollte er die staatliche Ordnung anerkennen und die Kosten des Leviathan tragen (und seien dies ‚nur‘ die moralischen Kosten, die ihm aus der Gesetzeskonformität entstehen, ihn aber etwa als arbeitscheuen Versager dastehen lassen, ihn aus Gemeinschaften ausschließen, ihn seine Selbstachtung, und wichtiger noch, seine informale Satisfaktions-, d.h. Geschäftsfähigkeit kosten), wenn dies nur anderen von Nutzen ist, aber seine eigene Präferenzerfüllung minimiert? Das Individuum sieht sich dann zur Defektion gezwungen; und selbst Hobbes räumt ein Widerstandsrecht gegen die staatliche Ordnung ein, wenn die Rechte und Freiheiten verletzt werden, zu deren Sicherung der Leviathan eingesetzt wurde. Dazu zählt auch „die Sicherheit der Person hinsichtlich [...] der Mittel, das Leben so erhalten zu können, daß man seiner nicht überdrüssig wird“ (Hobbes 1651, 113). Man mag nun über das Maß lebensnotwendiger Mittel streiten, ob es absolut oder relativ zu definieren ist, ob es mit der Armutsgrenze zusammenfällt oder nicht – gleichviel: Der Marktmechanismus bringt immer Überschüssige hervor, überschüssig relativ zu den Renditechancen, nicht relativ zur Menge der produzierbaren Güter; ein Mißverhältnis, welches desto unerträglicher wird, je weniger Personen mit dem Steigen der Arbeitsproduktivität zur Güterproduktion notwendig und je mehr Personen daher unter den Prämissen der Kollisionen mit der Doxa Verwertungslogik anonymer Konkurrenzmärkte strukturell überzählig sind. Ohne Korrektiv werden die Kosten des Leviathan zu hoch, der benachteiligte rationale Egoist wird der legalen Ordnung seine Anerkennung entziehen, was sich z.B. in Kriminalität oder Aufruhr manifestieren kann. (Wenn von der „Gefährdung des sozialen Friedens“ die Rede ist, dann ist es blauäugig, darin im schlimmsten Fall die Verletzung der „Friedenspflicht“ in Tarifauseinandersetzungen zu sehen. Vielmehr steht die Geltung grundlegender zivilisatorischer Normen auf dem Spiel.) Der Staat kann darauf mit der Verschärfung von Gesetzen und polizeilichen Maßnahmen reagieren, was sein Legitimationsdefizit gerade nicht behebt und nicht nur die materiellen Kosten des Leviathan steigen läßt; oder aber, indem (weitere) außerökonomische Gesichtspunkte – genauer: moralische Gesichtspunkte etwa der Gleichheit und Gerechtigkeit – konstitutiven Einfluß auf die Form der staatlichen Ordnung gewinnen. Zu nennen wäre hier die Erfindung des Sozialstaates, der als institutionalisierter Altruismus, letztlich als Akt der Gnade gegenüber den Schwachen, völlig mißverstanden wäre. Vielmehr geht es darum, die politische Basis der Sphäre der Ökonomie legitimatorisch abzusichern und damit die normative Basis des Marktes zu erhalten. Der Sozialstaat, so könnte man sagen, ist der Kooperationsbonus für diejenigen, die von der Marktwirtschaft nicht profitieren und deshalb kein Interesse an der politischen Sicherung ihrer Fundamente haben.10 Ohne die Form des subjektiven Rechtsanspruchs könnte er jedoch nichts zur notwendigen (auch moralischen) Anerkennung des Staates beitragen, denn nur in dieser Form wird auch der Marktverlierer als Kooperationswesen, als kooperations- und rechtsfähiges Subjekt und damit als wenigstens potentieller Teilnehmer des freien Austauschs anerkannt. In diesem Sinne ist der Sozialstaat als solcher eine Voraussetzung der Marktwirtschaft, kein „systemfremdes“ Element oder gar die Ursache von Dysfunktionen „der Wirtschaft“.11 Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Er kompensiert das systematische Versagen des Marktes bei der Produktion seiner normativen und kulturellen Grundlagen, insbesondere der wechselseitigen Anerkennung der Individuen als Kooperationswesen, als moralisches Sub- 57 jekt und nicht als bloßes Objekt strategischen Verhaltens. Der Tausch als Form der Kooperation unter den Prämissen des ökonomischen Verhaltensmodells ist demnach abhängig von rechtlichen und moralischen Voraussetzungen – der homo oeconomicus bedarf zur Stabilisierung seiner vorgeblich rein ökonomischen Verhältnisse nicht nur der Interventionen des homo politicus, sondern auch der Legitimation und der Gewährung kooperativen Vorschusses durch den homo moralis, der freien, d.h. nicht sanktionsbewehrten Anerkennung von moralischen und rechtlichen Normen, insbesondere der Pflichten gegenüber anderen (was Pflichten mit Blick auf die öffentlichen Güter einschließt). Das Gefangendilemma zeigt nun, daß die Rationalität der Nutzenmaximierung diese Bedingungen aushöhlt und sich damit langfristig das Wasser abgräbt – der rationale Egoist, der nach dem ökonomischen Verhaltensmodell den ganzen Bau der Gesellschaft tragen soll, ist auf Dauer nicht lebensfähig. Er kann mit seinem Effizienzstreben, seiner instrumentellen Rationalität und den daraus folgenden Formen des Gütertauschs, der Arbeits- und Güterteilung, der anonymen Konkurrenz samt entsprechender Institutionen nur in einem durch Recht und Moral begrenzten Raum überleben. Denn Verhältnisse, die sich auf nur externe Normen und Sanktionen stützen, sind notwendig labil: Werden die Normen nicht anerkannt, dann ist in ihrem Rahmen keine Kooperation möglich. Oder kantisch gesprochen: Keine äußere ohne innere Obligation. Das Problem der Kooperation ist daher unter den Darstellungsnormen des ökonomischen Verhaltensmodells als Frage nach einer nutzenmaximierenden Strategie falsch gestellt und muß unlösbar bleiben. Die Darstellungsform erzwingt falsche Alternativen, denn bei freier Kooperation geht es weder um strategische Handlungen noch um bloß individuelle Nutzenmaximierung noch um die technische Optimierung von Arbeitsteilungen, sondern um ein praktisch-moralisches Problem. Dieses als Problem der Prognose und Kalkulation zu beschreiben, bedeutet, denselben Kategorienfehler zu begehen, den Kant als Grund der Freiheitsantinomie herausgestellt hat. Denn es geht um freie, d.h. nicht vorhersagbare Handlungen von Personen, nicht um die Bewertung und Kalku- 58 lation der Wahrscheinlichkeit von quasi-kausalen Abläufen. Daher läßt sich ein optimales Ergebnis, also der wechselseitige Nutzen oder Kooperationsbonus aufgrund der freien Befolgung moralischer Normen, deren Geltung zum besseren Ergebnis für alle führt, nicht erzwingen, sondern nur erhoffen. Das setzt freilich voraus, den je anderen als freies, prinzipiell kooperationsfähiges und -williges Wesen mit eigenen Interessen, als moralische Person anzuerkennen und zu behandeln, d.h. den Standpunkt der Moral einzunehmen. Das strategische Verhältnis des rationalen Egoisten zu anderen Personen schließt das aber gerade aus, weil die Form der kalkulierenden Rationalität dazu zwingt, andere als ‚Umweltfaktoren‘, d.h. als bloße Randbedingung des eigenen Handelns zu betrachten. Diese amoralische Haltung führt aber notwendig zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung, denn es ist sinnlos, in Spielen gegen Natur – hier: gegen den Umweltfaktor ‚anderer Akteur‘ – kooperieren zu wollen, womit die wechselseitige Kooperation und somit auch der Kooperationsbonus ausgeschlossen sind. Im Bereich des Handelns müssen wir daher das hedonistische Paradox akzeptieren: Man verfehlt sein Glück, wenn man es zu erzwingen sucht. Aus der Perspektive des rationalen Egoisten bedeutet dies, daß Glück reiner Zufall ist und man es nicht erarbeiten kann. Denn ist Glück bloß individuelle Präferenzmaximierung, dann kann man freilich nicht viel tun, solange diese von den Handlungen anderer rationaler Egoisten abhängig ist. Faßt man Glück dagegen als erfülltes Leben in einer Gemeinschaft, zu dem auch das Glück anderer gehört, dann hängt es sehr wohl auch von den Akteuren selbst ab – selbst wenn sie es, jeder für sich, nicht erzwingen können. Die Unterstellungen des ökonomischen Verhaltensmodells führen demnach in Paradoxien, die im Rahmen seiner Darstellungsnormen nicht aufgelöst, sondern bestenfalls vermieden werden können, und auch das nur um den Preis, daß dem Modell fremde Elemente wie Recht und Moral eine zentrale Stellung in der Erklärung seines Gegenstandes einnehmen, die zwar teilweise in das Modell integriert werden können, deren Genese, vor allem aber deren Reproduktion jedoch rätselhaft bleiben muß. Das ökonomische Verhaltensmodell zehrt von Voraussetzungen, die nach seinen Prämissen sy- Frank Kannetzky stematisch nicht nur nicht produziert, sondern im Gegenteil aufgezehrt werden, und ist in diesem Sinne paradox: Es geht von allgemein akzeptierten Annahmen aus, etwa dem Truismus, daß jeder Mensch auf der Jagd nach seinem Glück ist und daß Menschen gewöhnlich ihren Verstand zu gebrauchen wissen, also rationale Wesen sind, daß sie in Gesellschaft leben und zur Kooperation gezwungen sind, und gelangt zur Folgerung, daß ihnen das gerade aufgrund ihrer Rationalität und ihrer Ziele nicht gelingen kann. Realparadoxien des Sozialen Können wir uns nun damit beruhigen, daß mit den sozialen Dilemmata als Paradoxien des ökonomischen Verhaltensmodells nur eine sozialwissenschaftliche Theorie des menschlichen Handelns als falsch oder wenigstens lückenhaft ausgewiesen ist und wir auch eine Vorstellung von deren Auflösung haben? Nach dem Gesagten dürfte klar sein, daß es keinen Grund zu derartiger Beruhigung gibt. Denn das ökonomische Verhaltensmodell beschreibt eben auch soziale Realitäten, die in unserem Handeln täglich reproduziert werden – wir leben in einer Marktwirtschaft, zentrale Bereiche unserer Gesellschaftlichkeit sind über Tausch bzw. Geld vermittelt, soziale Anerkennung erfahren wir insbesondere als Marktteilnehmer, genauer in der Rolle des Geldbesitzers und des zahlungskräftigen Konsumenten; wir erfahren Glück, wenn überhaupt, tatsächlich oft genug als individuelle Präferenzmaximierung, häufig auch als Kauf und Konsum, und wir können es nicht erzwingen. Wir haben mit der Anhäufung von abstraktem Reichtum, also Geld, auch ein reales Äquivalent der abstrakten Nutzenmaximierung, und wir wissen um die krassen Ungleichverteilungen des Reichtums, die der Markt hervorbringt. Die strategische, kalkulierende Rationalität ist uns nicht fremd und reicht bis in den Bereich der persönlichen Nahbeziehungen, die unter dem Druck der anonymen Konkurrenz des Arbeitsmarktes zum Mittel des sog. „Networking“ pervertieren, womit ihre Grundsubstanz zugunsten einer wechselseitigen Instrumentalisierung unweigerlich aufgelöst wird. Als Objekt und nicht als vernünftiges Subjekt behandelt zu werden, ist eine beinahe tägliche Kollisionen mit der Doxa Erfahrung, die bspw. von Amtspersonen, Vorgesetzten, Kellnern, Vertretern und Verkäufern vermittelt wird. Aus dieser Sicht sind der rationale Egoist und das ökonomische Verhaltensmodell nur Abstraktionen, die bestimmte, von der sozialen Realität geprägte Erwartungen systematisieren und auf den Begriff bringen. Umgekehrt gilt aber auch, daß Theorien im Orientierungswissen und den Deutungsmustern des Alltags sedimentieren. Und so gewinnen bestimmte Darstellungsformen und Beschreibungen – etwa: Der Mensch ist des Menschen Wolf, er ist ein rücksichtloser Präferenzmaximierer, er lügt und betrügt, wenn es ihm nur nützt – unter dem Einfluß der Theorie eine Eigendynamik. Zum einen neigen sie zur Selbstbestätigung. Man vermutet den ökonomischen Menschen und seine Motive, oft zu Unrecht, nun auch da, wo er vorher nicht vorkam. Widerlegen kann man solche Vermutungen nicht, und werden sie einigemal bestätigt, dann werden sie zur Gewißheit. Damit geht zugleich eine Erweiterung des Deutungsmusters über seinen ursprünglichen Bereich einher. Habe ich mit Recht beim Versicherungsvertreter mit einem skrupellosen Präferenzmaximierer gerechnet, so wird es als nächstes der Kollege sein, der mich im Gespräch womöglich aushorchen will. Die theoretische Abstraktion wird zur realen Größe, wenn man beginnt, andere Menschen von vornherein unter der Deutung des homo oeconomicus zu betrachten. Denn man behandelt Personen anders, wenn man ihnen die Motive des rationalen Egoisten unterstellt: Man rechnet mit ihrer Rücksichtslosigkeit und mißtraut ihrem Kooperationswillen. Es ist dann nur folgerichtig, den Kooperationsvorschuß zu verweigern. Auf diese Weise kommt aber, wie am Gefangenendilemma erläutert, der Mechanismus der kooperationsverhindernden selbsterfüllenden Prophezeiungen in Gang, welcher seinerseits die Erfahrung scheiternder Kooperation festigt und zu der Gewißheit führt, daß die Defektion die einzig sinnvolle und rationale Strategie ist. Hinzu kommt, daß das ökonomische Verhaltensmodell historisch als Aufklärung antritt und traditionelle Praxen der Einbindung des Individuums in die Gemeinschaft als Fesseln des Individuums kritisiert. Der Individualismus erlaubte, die Gesellschaft als etwas von Menschen Gemachtes anzusehen. Zugleich wurde 59 die Auffassung vom Glück des guten Lebens als Befreiung und Maximierung der Präferenzen der einzelnen Person etabliert und mit dem Glück als gutem Leben in der Gemeinschaft kontrastiert. Das Einnehmen einer Gemeinschaftsperspektive und die Aufopferung für die Gemeinschaft wurden folglich als Dummheit und Wahn dargestellt, ohne deren moralischen Gehalt zu erkennen und zu bewahren. Mit der Beschreibung und Selbstbeschreibung von Personen als rationale Egoisten einerseits, der unaufgeklärten Haltung zur Moral als überholte, an traditionelle Gemeinschaften und deren Bräuche gebundene Sittlichkeit, welche die freie Entfaltung des Individuums einengt, andererseits gewinnen auch die oben geschilderten Paradoxien der Theorie des ökonomischen Menschen im Handeln der Menschen in dem Maße soziale Realität, wie alle Lebensbereiche nach ihrem Bilde, also auf Nutzenmaximierung, Effektivität und Vermittlung der Gesellschaftlichkeit über Tausch und Marktgängigkeit hin, geformt werden und man den Akteuren die Motivationsstruktur des rationalen Egoisten unterstellt. Zugleich wird der Horizont möglicher Zwecksetzungen radikal beschnitten, denn die Individualisierung der Zwecksetzung als subjektive Präferenzordnung blendet die Möglichkeit der gemeinsamen Formveränderung des Sozialen, den eigentlichen Gegenstand autonomer Zwecksetzung, systematisch aus. Was bei einer universellen Durchsetzung der ökonomischen Perspektive von der versprochenen Befreiung und Selbstverwirklichung des Individuums bliebe (und in der Tendenz auch faktisch nicht unbekannt ist), wären Idiosynkrasien und subjektive Vorlieben relativ zu vorgegebenen Wahlmöglichkeiten, die von grellbuntem Konformismus begleitete Verarmung des Möglichkeitssinns – und moralische Leere. Daß das ökonomische Verhaltensmodell als einzig relevante Zwecksetzung die Nutzenmaximierung postuliert, spricht daher eine tiefe Wahrheit aus: Wenn Nutzen rein subjektiv, ohne Rücksicht auf die Perspektive eines guten Lebens in der Gemeinschaft, bestimmt ist, dann bleibt als einzig allgemeines, objektives Ziel die Maximierung des je Gegebenen, das zweckfreie Mehr abstrakten Nutzens, das ‚Wachstum‘, welches sich als Anhäufung abstrakten Reichtums darstellt, als Jagd nach mehr Geld. Dabei werden alle Bereiche der gesell- 60 schaftlichen Realität nach dem Bild der ökonomischen Rationalität geordnet. Unter Berufung auf – durch den Markt und die Marktgläubigkeit selbst erzeugte – Sachzwänge und mit dem Pathos der Abschaffung von Privilegien und der Modernisierung werden vermeintliche Wachstumshindernisse vermeintlich akzidentieller sozialer oder kultureller Bedeutung entweder ganz aus dem Weg geräumt oder zu ihrem Besten dem Marktmechanismus und der segensreichen Wirkung der Konkurrenz der Nutzenmaximierer überlassen, in der Überzeugung, die „unsichtbare Hand“ werde das Ihre tun: Keine Mittel für Bildung? Wird privatisiert. Sozialstaat zu teuer? Leistungen kürzen. Zu viele Arbeitslose? Der homo oeconomicus reagiert nur auf Strafe und Druck, also Zwangsarbeit bei Androhung des Entzuges des Existenzminimums. Die Realparadoxie ist nun, daß damit der Marktmechanismus selbst die Folgen seines Scheiterns durch seine Verallgemeinerung beheben soll und dabei auch die außerökonomischen, normativen und kulturellen Voraussetzungen des Marktes, die der Markt als Kollektivgüter nicht produzieren, sondern nur konsumieren kann, gerade diesem überantwortet werden. Die Anwendung des Paradoxiebegriffs kann unser Unbehagen angesichts solcher Problemlösungen artikulieren helfen: Es scheinen gegenwärtig nur technische Lösungen verfügbar zu sein, wo doch eine Auflösung gefragt wäre. Der analytische Nutzen dieser Unterscheidung liegt nach dem Gesagten auf der Hand, denn es sind die in Handlungsformen und Institutionen verobjektivierten Darstellungsnormen der sozialen Realität, die uns immer wieder vor falsche Alternativen stellen – etwa Marktordnung oder Chaos, individuelle Freiheit oder kollektive Zwangsbeglückung, individuelle Präferenzmaximierung, anonyme Konkurrenz und obszöne Ungleichheiten oder wirtschaftlicher Niedergang. An diesen objektiven Darstellungsformen und dann auch Handlungsnormen muß eine Auflösung der Realparadoxien des Sozialen ansetzen, etwa indem sie uns Einsichten in die Grenzen instrumenteller Rationalität vermittelt, d.h. auch die Illusion einer Naturwissenschaft des Sozialen, der sozialtechnologischen Beherrschbarkeit und Machbarkeit sozialer Verhältnisse jenseits vom Diskurs über Zwecke nimmt und zugleich darüber aufklärt, Frank Kannetzky daß vermeintliche Sachzwänge immer Sachzwänge unter einer bestimmten Darstellungsform und den mit ihr verbundenen Zwecken sind – die scheinbare Ausweglosigkeit sozialer Dilemmata ist vor allem ein Problem ihrer technischen Lösungen unter dem ökonomischen Verhaltensmodell. Denn was in der aktuellen Debatte als bloß akzidentielles Beiwerk der scheinbar allein wesentlichen, nämlich der ökonomischen Prozesse erscheint – Kultur und Moral – erweist sich aus einer anderen Perspektive als die Bedingung der Möglichkeit des ökonomischen Handelns überhaupt, was den Unfug der Ausdehnung der Ideologie und der Mechanismen der Nutzenmaximierung auf alle gesellschaftlichen Bereiche zeigt, die damit eben den Mechanismen unterworfen werden, die sie zerstören. Der Aspekt der Auflösung von Paradoxien durch den Wechsel des begrifflichen Rahmens erlaubt die Einsicht in die Gesellschaft als etwas von handelnden Menschen Gemachtes und unterstützt daher die Entwicklung des Möglichkeitssinns, etwa durch das Gedankenexperiment des „tabula-rasa-Machens“, wie es J. Rawls vorschlägt: Würden wir, gegeben den derzeitigen Stand der Güterproduktion, gemeinsam zu den gleichen Verhältnissen der Arbeitsteilung und Güterverteilung kommen, wie wir sie derzeit haben? Kaum. Aber wohin kämen wir dann? Die Frage, was den eindimensionalen Entwürfen des Sozialen als aggregiertes Resultat individueller Präferenzmaximierung, also des Kampfes um Herrschaft über die Natur und über Menschen, entgegenzusetzen ist, erscheint immer als ein „Killerargument“ gegen jede kritische Überlegung – die bestehende Ordnung erscheint alternativlos und selbstverständlich, als eine Naturkonstante wie der rationale Egoist. Aber dies ist kein Argument, sondern setzt die kalkulierende Rationalität und ihre Zwekke, die doch gerade in Frage stehen, schon voraus. Vielmehr geht es darum einzusehen, daß wir nicht einer Heilslehre folgen können, sondern daß wir, sofern wir humane Lebensformen anstreben, immer neu aushandeln müssen, wie und unter welchen Institutionen und Normen wir leben und welche gemeinsamen Zwekke wir verfolgen wollen, und auch, welchen Regeln und Grenzen der Markt unterworfen werden soll. Mit anderen Worten: Die Auflö- Kollisionen mit der Doxa sung der Realparadoxien des homo oeconomicus ist an die kommunikative Rationalität der gemeinsamen Verständigung gebunden. Sie kann gerade nicht mittels des Schematismus der in ihren Zwecken und Beschreibungen notwendig fixierten instrumentell-strategischen Rationalität erfolgen, die als allgemeine Form des Sozialen notwendig soziale Paradoxien und Pathologien hervorbringen muß. Um mit Kant zu sprechen: Es geht darum, die autonome Zwecksetzung, die immer die Aufhebung bloß zufälliger Subjektivität beinhaltet (vgl. Kambartel 1989, 128), in Gang zu bringen. Dazu gehört die Einsicht, daß vorgefertigte Pläne der Gestaltung einer humanen Welt dazu tendieren, gerade diese Autonomie einzuschränken. In gewisser Weise ist die Auflösung der Realparadoxien des Sozialen eine Utopie: Kein bestimmter Ort. Das bedeutet auch: Kein vorgegebener Weg. Genau das ist aber der Witz an der Auflösung sozialer Paradoxien. Daß kein Weg angegeben wird, sondern dieser gemeinsam zu finden ist, gehört schon dazu. 61 8 9 10 11 Naturwissenschaften stammen, was sich auch in der Terminologie (Präferenzskalen, Nutzenfunktionen, Gleichgewichtspunkte etc.) niederschlägt. Die Defizite und Ungleichgewichte realer Märkte werden auf Informationsdefizite, Transaktionskosten, Diskontierungsfehler und andere Reibungsverluste oder auch auf die Irrationalität realer Akteure zurückgeführt, das Prinzip des Tauschs als allgemeine Form der Vermittlung sozialer Beziehungen kann dagegen nicht in Frage gestellt werden. Gegen diese Konsequenz scheinen Axelrods (1987) Computerturniere des iterierten Gefangenendilemmas zu sprechen, bei denen das Programm „tit for tat“ (Augeum-Auge) klarer Sieger war. Allerdings beginnt tit-fortat mit Kooperation – der rationale Egoist tut dies nicht. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht nicht unwichtig, daran zu erinnern, daß auch das Eigentum (die ökonomische Kategorie schlechthin) seine Existenz als exklusives Recht, wie jedes Recht, den Garantien des Staates verdankt. Hobbes zählt die Idee, das Privateigentum sei unantastbar, deshalb zu den Vorstellungen, die das Gemeinwesen schwächen (Hobbes 1651, 277). Die Anerkennung des Eigentums ist selbst schon ein Kooperationsvorschuß, den sich die Glieder einer Gesellschaft gewähren, nämlich als Begrenzung ihres „Rechts auf alles“ – und einen Vorschuß, dem niemals ein Kooperationsbonus folgt, wird es nicht auf Dauer geben. Es sollte klar sein, daß dies kein historischer Exkurs ist, sondern ein Versuch zur begrifflichen Klärung der verdeckten Voraussetzungen des ökonomischen Verhaltensmodells. Anmerkungen 1 Ich danke Claudia Henning und Pirmin Stekeler-Weithofer für ihre Anregungen zum vorliegenden Text und ihre Einwände, v.a. aber für die zahlreichen anregenden Diskussionen zum Thema, denen der Text mehr zu verdanken hat, als dies in Anmerkungen deutlich werden könnte. 2 Aus Platzgründen verweise ich für eine detaillierte Darstellung und Diskussion dieser und anderer Paradoxien auf die Literatur: Sainsbury 1993; Rescher 2001; Kannetzky 2000; 2002. 3 Nur verwiesen sei hier auf Wittgensteins Privatsprachenargument, dessen Konsequenzen für die Philosophie des Geistes und die Handlungstheorie nach wie vor unterschätzt werden. 4 Dies bedeutet nicht, daß sich gute Gründe im nachhinein nicht als fehlerhaft herausstellen könnten oder daß man ggf. nicht weiterfragen könnte, sondern nur, daß jede Begründung an ein Ende kommen und weiteres Fragen selbst einen Grund oder Anlaß haben muß. Das ist die Essenz von Wittgensteins Über Gewißheit. Der Begriff des Zweifels wird nicht nur fehlerhaft verwendet, sondern seines Sinnes beraubt, wenn der Zweifel keinen Grund hat. Denn er könnte dann mit Gründen nicht mehr ausgeräumt werden. 5 Erhellend ist die Analogie von Paradoxien mit den Anomalien eines Paradigmas (vgl. Kuhn 1989). 6 Zum Begriff des Kategorienfehlers vgl. Ryle 1969, 13ff. Ryle führt den hier beschriebenen Mechanismus am Scheitern des Versuchs vor, den Geist mittels einer „Mechanik des Mentalen“ zu erfassen. 7 Unter dem Aspekt des Paradoxen ist darüber hinaus die doppelte Analogiebildung interessant, da die Methoden und Modelle der Ökonomik selbst wiederum aus den Literatur Axelrod, R.: Die Evolution der Kooperation. München: Oldenbourg 1987. Hobbes, T.: Leviathan. London 1651. Zit. nach der dt. Ausgabe: Leipzig: Reclam 1978. Kambartel, F.: Autonomie, mit Kant betrachtet. In: Philosophie der humanen Welt. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989, 117-131. Kannetzky, F.: paradoxes denken. Paderborn: mentis 2000. Kannetzky, F.: Paradoxien als skeptische Argumente? Dialektik 2002(1), 101-119. Kant, I.: Kritik der reinen Vernunft. Leipzig: Reclam 1971. Kirchgässner, G.: homo oeconomicus. Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Tübingen: Mohr/Siebeck 1991. Kuhn, T.S.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989. Lewis, D.: Konventionen. Eine sprachphilosophische Abhandlung. Berlin/New York: de Gruyter 1975. Olson, M.: Die Logik des kollektiven Handelns. Kollektivgüter und die Theorie der Gruppen. Tübingen: Mohr/Siebeck 1992. Rescher, N.: Paradoxes. Their Roots, Range, and Resolution. Chicago/La Salle, Ill.: Open Court 2001. Ryle, G.: Der Begriff des Geistes. Stuttgart: Reclam 1969. Sainsbury, M.: Paradoxien. Stuttgart: Reclam 1993. Stekeler-Weithofer, P.: Analogie als semantisches Prinzip. In: G. Meggle (Hg.): Analyomen 2/II, Berlin/New York 1997, 262-289. Wittgenstein, L.: Über Gewißheit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1992. Berliner Debatte Initial 15 (2004) 1 Sozial- und geisteswissenschaftliches Journal GSFP – Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Forschung und Publizistik mbH. Herausgegeben im Auftrag des Vereins Berliner Debatte INITIAL e.V. Berliner Debatte Initial erscheint alle zwei Monate. Redaktion: Henri Band, Harald Bluhm, Erhard Crome, Scott Gissendanner, Birgit Glock, Wladislaw Hedeler, Wolf-Dietrich Junghanns, Cathleen Kantner, Lutz Kirschner, Rainer Land, Ingrid Oswald, Hartwig Schmidt, Udo Tietz, Jan Wielgohs, Andreas Willisch, Rudolf Woderich E-Mail: [email protected] Internet: www.berlinerdebatte.de Verantwortlich für den Schwerpunkt: Hartwig Schmidt Verantwortlich für das Heft: Hartwig Schmidt (v.i.S.d.P.) Copyright für einzelne Beiträge ist bei der Redaktion zu erfragen. Abo-Bestellungen: inter abo, PF 360520, 10975 Berlin; Tel. (030) 61105475, Fax (030) 61105480. Das Abonnement gilt für ein Jahr und verlängert sich um ein Jahr, wenn nicht sechs Wochen vor Ablauf gekündigt wird. Einzelhefte werden per Post mit Rechung verschickt. Bestellungen: [email protected] Tel.: +49-39931-54726 Fax: +49-39931-54727 Post: PF 58 02 54, 10412 Berlin pdf-Dateien einzelner Artikel: siehe www.berlinerdebatte.de Preise: Einzelheft 8 Euro, Doppelheft 16 Euro Abonnement: Jahresabo 35 Euro, Ausland zuzüglich Porto. Studenten, Rentner und Arbeitslose 18 Euro, Nachweis beilegen. Ermäßigte Abos bitte nur direkt bei Berliner Debatte Initial per Post oder per Fax 039931-54726 bestellen. Autorenverzeichnis Matthias Bohlender, Dr. Politikwiss., Humboldt-Universität zu Berlin Ol’ga Brednikova, Soziologin, Centre for Independent Social Research, St. Petersburg Olaf Briese, PD Dr. Philosoph, Institut für Religionswissenschaft, Freie Universität Berlin Steffen Dietzsch, Prof. Dr. Institut für Philosophie, Humboldt-Universität zu Berlin Veit Friemert, Dr. phil. Philosoph, Übersetzer, freier Verlagsmitarbeiter Martin Hartmann, Dr. Philosoph, Institut für Sozialforschung, Frankfurt am Main Ronald Hartz, Dipl.-Kfm. Betriebswirtschafter, TU Chemnitz Axel Honneth, Prof. Dr. Philosoph, Institut für Sozialforschung, Frankfurt am Main Dirk Jörke, Dr. Politikwissenschaftler, Universität Greifswald, Institut für Politische Wissenschaft Roman Kalex, Politikwissenschaftler, Dresden Frank Kannetzky, Dr. Philosoph, Institut für Philosophie, Universität Leipzig Boy Lüthje, PD Dr., Soziologe, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main Günther Ortmann, Prof. Dr., Betriebswirt, Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr, Hamburg Arnd Pollmann, Dr., Philosoph, Berlin Hartmut Rosa, Dr. Politikwissenschaftler und Soziologe, Institut für Soziologie, Friedrich-Schiller-Universität Jena Hartwig Schmidt, PD Dr. Philosoph, TU Berlin, Frankreich-Zentrum Thomas Steger, Dr. Betriebswirtschaftter, TU Chemnitz Sven Thiermann, Soziologe, Potsdam Ol’ga Tkač, Soziologin, Centre for Independent Research, St. Petersburg