Literatur - Universitätsklinikum Münster

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Persönliche PDF-Datei für
P. Young, G. Möddel
www.thieme.de
Mit den besten Grüßen vom Georg Thieme Verlag
Schlafwandeln und andere
Non-REM-Parasomnien
DOI 10.1055/s-0034-1372567
Akt Neurol 2014; 41: 225–236
Nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt.
Keine kommerzielle Nutzung, keine Einstellung
in Repositorien.
Verlag und Copyright:
© 2014 by
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14
70469 Stuttgart
ISSN 0302-4350
Nachdruck nur
mit Genehmigung
des Verlags
Übersicht
Schlafwandeln und andere Non-REM-Parasomnien
Sleep Walking and other Non-REM-Parasomnias
Autoren
P. Young, G. Möddel
Institut
Department für Neurologie, Klinik für Schlafmedizin und Neuromuskuläre Erkrankungen, Münster
Schlüsselwörter
Zusammenfassung
Abstract
▼
▼
Parasomnien umfassen eine große Gruppe unterschiedlicher motorischer Phänomene während
des Schlafes. Entsprechend der Internationalen
Klassifikation von Schlafstörungen II (ICSD II)
werden Parasomnien in Formen unterteilt, die
aus dem Non-REM-Schlaf heraus auftreten und
Formen, die aus dem REM-Schlaf auftreten. Als
andere Parasomnien werden die Formen bezeichnet, bei denen keine feste Zuordnung zu
einem Schlafstadium möglich ist. Schlafwandeln,
Schlaftrunkenheit und der Pavor nocturnus sind
die klinisch wichtigsten Formen der Non-REM
Parasomnien. Hauptmerkmal dieser Formen ist
der Beginn aus dem Schlafstadium Non-REM 3,
dem durch hohen Anteil an Deltaaktivität gekennzeichneten Tiefschlaf. Die Gesamtprävalenz der Non-REM-Parasomnien bei Erwachsenen wird mit ca. 4 % angegeben. Damit ist diese
Form der Parasomnien eine klinisch relevante,
aber vermutlich unterdiagnostizierte Gruppe
von Schlafstörungen. Als besondere Form der
Parasomnie gilt neben den Non-REM-Parasomnien die schlafbezogene Essstörung. Diese in die
Gruppe der anderen Parasomnien klassifizierte
Schlafstörung tritt aus Non-REM-Stadium 2 und
3 auf. Für alle hier beschriebenen Parasomnien
gilt, dass assoziierte Symptome wie Tagesschläfrigkeit, Traumerinnern und nächtliche autonome
Aktivierungen häufiger zu finden sind als allgemein angenommen wurde. Die wichtigsten Differenzialdiagnosen des Schlafwandelns und der
gesamten Gruppe der Non-REM-Parasomnien
sind die REM-Schlaf-assoziierten Parasomnien, wie die REM-Schlaf-Verhaltensstörung und
epileptische Anfälle aus dem Schlaf, bspw. bei
Patienten mit nächtlicher Frontallappenepilepsie. Da die nächtlichen, motorischen Symptome
keine ausreichende und sichere Differenzierung
der verschiedenen Differenzialdiagnosen zulassen, stellt die videobasierte Polysomnografie im
Parasomnias comprise a great variety of motor
phenomena during sleep. According to the International Classification of Sleep Disorders II (ICSDII) parasomnias are subclassified into forms originating from Non-REM sleep stages or from the
REM-sleep-stage. A third group comprises other
parasomnias, which are not clearly originating
form a definite sleep stage. Sleep walking, sleep
terrors and confusional arousals are clinically
the most important forms of Non-REM parasomnias. The hallmark of all these forms is an arousal
from Non-REM sleep stage 3 (slow wave sleep).
The overall prevalence of Non-REM parasomnia
is about 4% in the general population. Therefore
they represent a common but underdiagnosed
group of sleep disorders. Sleep related eating
(SRED) is classified as a distinct form of other
parasomnias in which the mechanism of arousal
varies from Non-REM sleep stage 2 to 3. Daytime
symptoms, recalling dreams and autonomic activation during parasomnic episodes is much more
frequent than formerly postulated.
The most important differential diagnoses of
sleep walking and other Non-REM parasomnias
are forms of REM-sleep parasomnias as the REM
behavorial disorder, and epileptic seizures during
sleep, for example in patients withnocturnal
frontal lobe epilepsy. Since abnormal sleep related motor symptoms are not specific enough to
exclude the differential diagnoses, video based
polysomnography is the gold standard to differentiate these different sleep disorders and to
decide if further electrophysiological diagnostic
procedures such as video-electroencephalopathy
is needed. For that reason, cooperation of sleep
specialists and epileptologists is highly recommended.
▶ Schlafwandeln
●
▶ Parasomnien
●
▶ Epilepsie
●
Keywords
▶ sleep walking
●
▶ parasomnias
●
▶ epilepsy
●
Bibliografie
DOI http://dx.doi.org/
10.1055/s-0034-1372567
Akt Neurol 2014; 41: 225–236
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York
ISSN 0302-4350
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Peter Young
Department für Neurologie,
Klinik für Schlafmedizin und
Neuromuskuläre Erkrankungen
Albert-Schweitzer Campus 1
48149 Münster
[email protected]
Young P, Möddel G. Schlafwandeln und andere Non-REM … Akt Neurol 2014; 41: 225–236
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Übersicht
Schlaflabor den Gold-Standard in der technischen Diagnosestellung dar. Ebenso dient die videobasierte Polysomnografie der
Entscheidung zur erweiterten video-basierten elektroenzephalografischen Diagnostik. Vor diesem Hintergrund ist für die Diagnosestellung von Schlafwandeln und Non-REM-Parasomnien
die enge Zusammenarbeit zwischen Schlafmedizinern und Epileptologen empfehlenswert.
Einleitung
▼
Parasomnien sind gekennzeichnet durch unerwünschte und oft
als abnorm angesehene Handlungen, die entweder im WachSchlaf-Übergang, aus dem Rapid Eye Movement (REM)-Schlaf
oder aus dem Non-REM-Schlaf auftreten können. Dabei ist das
eigentliche motorische Phänomen immer in Bezug zum jeweiligen Schlafstadium zu setzen, wie es nur unter videobasierter
polysomnografischer Ableitung (PSG) möglich ist. Durch diese
technische schlafmedizinische Untersuchung ist eine differenzialdiagnostische Zuordnung und Planung der therapeutischen
Optionen möglich [1]. Die Gruppe der Parasomnien, die neben
dem Auftreten von komplexen Handlungsfolgen auch verschiedene Formen des Erlebens und der autonomen Aktivität aufweisen können [2, 3] werden gemäß der internationalen Klassifikation der „International Classification of Sleep Orders II“ (ICSD II)
folgendermaßen klassifiziert:
1. Erkrankungen mit Erwachen aus dem Non-REM-Schlaf
2. Erkrankungen mit Erwachen aus dem REM-Schlaf
3. Andere Parasomnien
Die zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen
für Parasomnien können generell in einer kurzen Aktivierung
oder kurzzeitigen Einstreuung von elektroenzephalografischen
Merkmalen des Wachzustandes in den Zustand des Schlafens
gesehen werden. Diese Episoden führen dann ihrerseits zu dem
abnormen Verhalten oder den anderen Symptomen, durch die
die jeweilige Parasomnieform gekennzeichnet ist [3, 4] und eine
Dissoziation von Schlafen und Wachen darstellt. Die Patienten
sind häufig amnestisch für die nächtlichen Ereignisse. Die elektrophysiologische Einstreuung von alpha-Aktivität mit mindestens 3 s und maximal 15 s Dauer (Arousal) in den Non-REMSchlaf führt zu den nach ICSD II klassifizierten Non-REM-Parasomnien [4, 5]. Im Fall der REM-Schlaf-Parasomnien können
eingestreute Arousals in den REM-Schlaf beobachtet werden
[4, 5]. Das wichtigste polysomnografische Merkmal ist jedoch
entweder die fehlende Atonie (sog. REM without atonia, RWA)
der Skelettmuskulatur oder die intermittierende, phasische
und/oder tonische Tonuserhöhung im REM-Schlaf, die durch
verschiedene Ausprägungen von Verhaltensauffälligkeiten gekennzeichnet sein kann. Für die Detektion dieser Tonusanomalien im REM-Schlaf wurden kürzlich Grenzwerte beschrieben [6].
In dieser Übersichtsarbeit werden die verschiedenen Formen
der Non-REM-Parasomnien gemäß der ICSD II und deren klinisch relevanten Differenzialdiagnosen und Differenzialtherapien dargestellt. Obwohl es für die verschiedenen Formen der Parasomnien mittlerweile einige pathophysiologische Ansätze zur
Entstehung gibt, wird in dieser Übersicht nicht auf die einzelnen, zum Teil wegweisenden Befunde aus SPECT-Untersuchungen [7] und intrazerebraler EEG-Ableitung [8] eingegangen, da
die klinische Abgrenzung der verschiedenen Non-REM-Parasomnien im Vordergrund stehen soll.
Epidemiologie
▼
In den letzten Jahren wurde in klinischen Beobachtungen eine
Frequenz von 22,3 % der Schlafwandler mit täglichen Episoden
und 43,5 % mit wöchentlichen Episoden von Schlafwandeln beschrieben [9]. Dabei konnte festgestellt werden, dass entgegen
der Meinung und wissenschaftlichen Ansicht dass Schlafwandeln bei Erwachsenen selten sei, eine Gesamtprävalenz von
29,2 % in den größten epidemiologischen Studien nachgewiesen
werden [9]. Chronisches Schlafwandeln wird mit einer Prävalenz von bis zu 4 % angegeben [10]. Es scheinen besondere Risikofaktoren für die klinische Manifestation von Schlafwandels zu
existieren [11, 12]. Zu diesen Risikofaktoren zählen das Obstruktive Schlaf-Apnoe-Syndrom (OSAS), zirkadiane Rhythmusstörung, Insomnie, Alkoholmissbrauch, depressive Erkrankungen
und verschiedene Pharmaka. Es ist auch bekannt, dass eine ausgeprägte Familiarität für Schlafwandeln besteht. Über 80 % der
Schlafwandler haben mindestens einen Familienangehörigen,
der ebenfalls unter Schlafwandeln leidet oder litt [13, 14]. Ebenfalls ist ein Risiko für Kinder von schlafwandelnden Eltern beschrieben. Ist ein Familienmitglied im Verwandtschaftsgrad ersten Grades ein Schlafwandler, besteht ein 10-fach erhöhtes Risiko selber an Schlafwandeln zu leiden [13, 14]. Für Schlafwandeln
konnte eine Assoziation zum HLA System vor einigen Jahren gefunden werden. Es besteht eine erhöhte Prävalent für das Allel
HLA DQB 01* 0502 [15]. Diese Assoziation wurde bislang jedoch
noch nicht in einer weiteren Gruppe von Schlafwandlern bestätigt.
Arousalstörungen
▼
In der Gruppe der Arousalstörungen sind verschiedene Schlafstörungen und Parasomnien zusammengefasst. In diese Gruppe
gehören das Schlafwandeln, der Pavor Nocturnus und die Schlaftrunkenheit (im Englischen: Confusional Arousal). Generell ist
bekannt, dass schlafbezogene Atmungsstörungen, wie das Obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OSAS), durch die Induktion von
Arousals mit einem erhöhtem Risiko für Arousalstörungen im
Sinne der Non-REM-Parasomnien einhergehen [5].
Eine weitere, hauptsächlich aus Non-REM-Schlafstadien auftretende Parasomnie ist die schlafbezogene Essstörung (sleep-related eating disorder, SRED) [16]. Bislang wird diese Form der Parasomnie gem. ICSD II zu den unklassifizierten oder anderen
Parasomnien gezählt. Die Prävalenz von depressiven Störungen
scheint beim SRED erhöht zu sein [17].
Klinische Präsentation und Polysomnografiebefund
Schlafwandeln
▼
Die Prävalenz von Schlafwandeln wird in der Allgemeinbevölkerung mit insgesamt 1–17 % und bei Erwachsenen mit bis zu 4 %
angegeben [10]. Dabei ist bekanntermaßen bei Kindern im Alter
von 4–8 Jahren das Hauptmanifestationsalter für Schlafwandeln
[18]. In der Regel handelt es sich um komplexe Handlungsabfolgen, die vom simplen Aufrichten aus dem Bett bis zum Verlassen
▶ Abb. 1). Auch ist es möglich, dass während
des Bettes reichen (●
einer Schlafwandel-Episode das Zimmer oder sogar das Haus
verlassen wird. Häufig enden die Episoden, indem ein Erwachen
stattfindet. Auffällig ist beim Erwachen dann häufig eine Form
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Übersicht
Abb. 1 Video-PSG einer Episode mit Schlafwandeln. Vor der EMG Überlagerung deutliche Hypersynchrone Delta-Aktivität für 2 s gefolgt von einem
Arousal und anschließendem Verlassen des Bettes bei weiterhin erkennbarer Delta-Aktivität im EEG zwischen den EMG-Überlagerungen. PSG-Ableitung
gem. der American Association of Sleep Medicine (AASM).
der Verwirrtheit und langsame Reorientierung. Typischerweise
treten somnambule Episoden in zeitlichen Clustern auf. Die Frequenz kann von vereinzeltem Auftreten alle paar Monate bis zu
mehrfachem Auftreten pro Woche bestehen. Die einzelne Episode dauert selten länger als 30 min. Länger andauernde Episoden
wurden unter dem Einfluss von Sedativa beschrieben [19]. Eine
besondere Beachtung bedarf der Eigengefährdung während
somnambuler Phasen. Während der Phase können Stürze und
verschiedene Formen von Unfällen auftreten. Als auslösende
Faktoren für somnambule Episoden werden die Einnahme von
Sedativa, Schlafentzug und Fieber diskutiert [19]. Weiterhin sind
andere Schlafstörungen, wie das Schlaf-Apnoe-Syndrom oder
das Upper Airway Resistance Syndrom (UARS) mögliche Auslöser für somnambule Phasen [19].
Als besondere Form des Schlafwandelns gilt die Sexsomnie. Sie
ist gekennzeichnet durch sexuelle Handlungen während der Episode des Schlafwandels. Für vereinzelte Fälle von nachgewiesener Sexsomnie wird berichtet, dass häufig eine positive Eigenoder Familienanamnese für Schlafwandeln besteht. Sexuelle
Handlungen können von ganz unterschiedlicher Ausprägung
sein [20, 21].
Therapeutisch können in der Behandlung des Schlafwandelns
können versuchsweise Benzodiazepine oder verschiedene anekdotisch als wirksam berichtete Antikonvulsiva eingesetzt werden [22, 23]. Bevor eine Therapie begonnen wird, sollte jedoch
die Notwendigkeit und die Indikation einer pharmakologischen
Therapie überprüft werden.
Vorsatzbildung kann eine mögliche verhaltenstherapeutische
Intervention darstellen [24]. Es liegen aber ebenso wie für die
pharmakologischen Interventionen keine Daten zum Effekt über
einen längeren Zeitraum vor. Im klinischen Gebrauch kann deshalb die verhaltenstherapeutische verwendete Vorsatzbildung
nicht als sichere Therapieempfehlung angesehen werden. Ebenso ist die Wertigkeit von Hypnose in der Therapie des Schlafwandeln einzustufen [22, 25].
Häufig reicht es aus, die Besonderheit der Schlafstörung und den
sicheren Ausschluss von anderen Differenzialdiagnosen getätigt
zu haben. Betroffene müssen ausführlich über mögliche Konsequenzen und wichtige Vorsichtsmaßnahmen aufgeklärt werden.
Eine Verhaltensmaßnahme kann auch in der reinen Absicherung
der Schlafumgebung, z. B. Abschließen der Fenster, Abschließen
der Türen bestehen. Ebenso sollten Bettpartner instruiert
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Übersicht
Abb. 2 Video-PSG einer Episode mit Pavor nocturnus im Erwachsenenalter. Vor der EMG-Aktivierung kurze hypersynchrone Delta-Aktivität. Mit der Episode erwacht die Patientin (s. hellblaue Markierung im Hypnogramm). Abrupte Zunahme der Herzfrequenz mit Verdopplung von 71 auf 146 Schläge/min.
PSG-Ableitung gem. der American Association of Sleep Medicine (AASM).
werden den Schlafwandelnden in Ruhe wieder ins Bett zu begleiten. Da häufig eine starke Schläfrigkeit und Schlaftrunkenheit auch beim Erwecken besteht, wird vom forcierten Wecken
abgeraten.
Pavor Nocturnus
▼
Schlafterror wird mit einer Prävalenz von 3 % bei Kindern angegeben [26]. Dabei sind mehr Jungen als Mädchen betroffen [27].
Im Erwachsenenalter gibt es keine gesicherten Daten zur Epidemiologie des Pavor Nocturnus [28]. Der Pavor Nocturnus ist gekennzeichnet durch ein sehr plötzliches Arousal aus dem NonREM-Schlafstadium 3, dem Tiefschlaf. In der Regel ist dieses
Arousal verbunden mit Zeichen der akuten sympathischen autonomen Aktivierung in Form von Herzfrequenzsteigerung bis zur
Tachykardie, Mydriasis und angespanntem Muskeltonus. Typischerweise zeigen sich auch klinisch Zeichen der ausgeprägten
Angst, z. T. mit Schreien und Verwirrtheit. In der Regel kommt es
dann zu einer Phase der Schlaftrunkenheit und verlangsamten
▶ Abb. 2). In welchem AusReorientierung bis zum Erwachen (●
maß die klinische Abgrenzung zu Alpträumen bei Erwachsenen
wie bei Kindern über Traumerinnern erfolgen kann, ist bislang
für den Pavor Nocturnus nicht in systematischen Untersuchungen geklärt. Im klinischen Kontext ist jedoch der Alptraum in der
Regel gerade durch Traumerinnern bei Kindern, wie auch bei Erwachsenen gekennzeichnet. Differenzialdiagnostische Abgrenzungen zu Albträumen lassen sich mittels der Polysomnografie
(PSG) vornehmen [29]. Eine Therapie sollte initiiert werden,
wenn subjektive Beschwerden wie Tagesschläfrigkeit oder allgemeine Symptome eines unerholsamen Nachtschlafes bestehen.
In seltenen Fällen ist eine Behandlung aus sozialer Indikation
notwendig. Die Therapie wird weiterhin in der Verabreichung
von Benzodiazepinen beschrieben [5]. Die Frage zur Wirksamkeit von L-5-hydroxytryptophan (L-5-HTP) ist bislang nur in einer Studie nachgegangen worden [30]. Pragmatisch kann die
Therapie auch in der Anwendung eines Benzodiazepins nur in
besonderen Situationen bestehen (z. B. beim Schlafen in Gemeinschaftsunterkünften). Die psychotherapeutische Betreuung und Vermeidung von psychosozialer Belastung kann ebenfalls verhaltenstherapeutisch genutzt werden, um die Episoden
des Pavor Nocturnus zu reduzieren.
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Übersicht
Abb. 3 Video-PSG einer Episode mit Schlaftrunkenheit. Vor der EMG-Aktivierung Mikroarousal über 3 s. Mit der Episode erwacht der Patient (s. hellblaue
Markierung im Hypnogramm). Zunahme der Herzfrequenz über 6 s. PSG-Ableitung gem. der American Association of Sleep Medicine (AASM).
Schlaftrunkenheit (Confusional Arousal)
Schlafbezogene Essstörung
▼
▼
Schlaftrunkenheit als Arousalstörung wird bei Erwachsenen selten als isolierte Schlafstörung diagnostiziert. Phänomenologisch
besteht die Episode aus plötzlichem Erwachen aus dem Tiefschlaf mit dem Bild der Verwirrtheit und Desorientierung
▶ Abb. 3). Dabei kommt es dann infolge zu komplexen Hand(●
lungen und einer ausgesprochenen Verzögerung der Reaktion
auf Außenreize wie z. B. das Ansprechen des Bettpartners. Die
Episoden dauern in der Regel nur wenige Minuten und sind gekennzeichnet durch eine retrograde und anterograde Amnesie
[2, 31]. Eine Häufung dieser Arousals durch Schlafentzug oder
ZNS-wirksame Hypnotika und Alkohol sowie Antihistaminika
ist beschrieben [31]. Gesicherte Therapieoptionen pharmakologischerseits gibt es nicht. Empfehlung besteht insbesondere in
der Meidung von Schlafentzug, Vermeidung von Störungen der
zirkadianen Rhythmik, wie z. B. Schichtarbeit, aber auch in der
Vermeidung von Alkohol oder anderen Sedativa.
Schlafbezogenes Essen in der Nacht wird als sehr seltene Schlafstörung gem. ICSD II in die Gruppe der „anderen Parasomnien“
klassifiziert. Da das schlafbezogenes Essen zu 80 % aus dem NonREM-Schlaf auftritt [32] und die klinischen Symptome des
schlafbezogenen Essens vielen Neurologen, Nervenärzten und
selbst Schlafmedizinern nicht geläufig sind, wird diese Parasomnie in dieser Übersicht auch beschrieben.
Unter normalen physiologischen Bedingungen ist die Nachtund Schlafenszeit charakterisiert durch eine verlängerte Phase,
in der keine Nahrung aufgenommen wird. Für Stoffwechselgesunde ist eine an den Schlaf gebundene Nahrungsaufnahme
nicht physiologisch, wenn keine nächtliche Hypoglykämie besteht. Im Gegensatz dazu isst der Patient mit der Parasomnie des
schlafbezogenen Essens aus dem abrupten Erwachen heraus
▶ Abb. 4). Der Hauptbefund in der PSG besteht in einer akuten
(●
Arousalreaktion aus dem Non-REM-Schlaf Stadium 2 oder 3 heraus, die gefolgt ist von einer impulsiven Nahrungsaufnahme.
Sehr häufig handelt es sich dabei um hochkalorische Nahrungsmittel. Dabei beschreiben Patienten häufig das Gefühl nicht wieder ins Bett gehen zu können, bevor sie nicht etwas ausreichend
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Übersicht
Abb. 4 Video-PSG einer Episode mit Schlafbezogener Essstörung. Arousal aus dem Non-REM Schlafstadium 2. Die Patientin greift gezielt nach Essen in der
Schublade des Nachtschränkchens. Anschließend wird die Patientin wach, wie sich aus der EMG Aktivität herleiten lässt (s. auch Schlafstadienwechsel im
Hypnogramm markiert durch hellblaue Linie). PSG-Ableitung gem. der American Association of Sleep Medicine (AASM).
hochkalorisches gegessen haben. Bekanntermaßen werden diese Essattacken durch verschiedene Sedativa, insbesondere Zolpidem und Zopiclon, ausgelöst [33] und sind häufig mit Depressionen assoziiert. Differenzialdiagnostisch abgrenzen muss man
das schlafbezogene Essen zum nächtlichen Essen. Das nächtliche
Essen ist gekennzeichnet durch eine vorübergehende Episode
des Wachens im EEG, sodass die Nahrungsaufnahme nicht direkt
aus dem Tiefschlaf erfolgt, sondern immer eine kurze Wachphase vorausgeht [32]. Es besteht dabei ein Zusammenhang zwischen schlafbezogenem Essen und dem Restless-Legs-Syndrom
(RLS) [34]. In einer Umfrage konnte bei 88 Patienten mit einem
RLS bei 61 % regelmäßiges nächtliches Essen gefunden werden
und bei 36 % schlafbezogenes Essen im Sinne der Non-REM-Parasomnie [35]. Ein Zusammenhang mit dem Dopaminhaushalt
wird diskutiert. Einerseits ist unter dopaminerger Therapie gehäuft schlafbezogenes Essen beobachtet worden. Andererseits
gibt es Einzelfälle, die durch eine Levodopa-Therapie eine Verbesserung der Symptomatik des schlafbezogenen Essen aufwiesen. Therapeutisch gibt es unterschiedliche Optionen mit Antikonvulsiva (z.B.Topiramat) und Dopaminergika (z. B. Pramipexol) [36]. Therapieversuche mit Pramipexol führten zu einer
Reduktion der nächtlichen Aktivität, aber nicht in einer Verminderung der Essattacken. Insgesamt ist bei Patienten mit einem
schlafbezogenen Essen darauf zu achten, dass keine sog. Z-Substanzen (Zolpidem, Zopiclon) eingenommen werden.
Gemeinsame Aspekte der Non-REM-Parasomnien
▼
Tagessymptomatik bei Schlafwandeln und Non-REMParasomnien
Die klinischen Konsequenzen von nächtlichem Schlafwandeln
wurde lange Zeit als unbedeutsam eingeschätzt. Bislang wurde
nur in wenigen Untersuchungen die Konsequenz auf Tagesschläfrigkeit und Leistungsfähigkeit am Tage bei Patienten mit
Schlafwandeln untersucht. Es ist jetzt in einer kleinen Studie gezeigt worden, dass Schlafwandler durchaus eine relevante Tagesschläfrigkeit angaben [37]. Ebenfalls konnte in einer anderen
Studie gezeigt werden, dass gemessen am Epworth-Schläfrigkeits-Skalen-Wert, die Hälfte von 43 Patienten mit Non-REMSchlafparasomnien durchaus einen relevanten pathologischen
Wert in der Angabe von Tagesschläfrigkeit in der Epworth-
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Übersicht
Schläfrigkeits-Skala (mehr als 10 von 24 möglichen Punkten)
angaben [38]. Diese Daten wurden in einer Studie von einer kanadischen Arbeitsgruppe um Montplaisir ebenfalls bestätigt, in
der gefunden wurde, dass 45 % der Patienten mit Schlafwandeln
eine relevante, in der Epworth-Schläfrigkeits-Skala gemessene
Tagesschläfrigkeit hatten [39]. In unserem eigenen Kollektiv sehen wir auch regelmäßig eine relevante signifikante Tagesschläfrigkeit bei der Patienten mit Arousalstörungen (Schlafwandeln,
Pavor Nocturnus und Schlaftrunkenheit).
Amnesie bei Schlafwandeln und anderen Non-REMParasomnien
Für Schlafwandeln wurde lange angenommen, dass eine komplette Amnesie für die Episode besteht. Es gibt jedoch mittlerweile Arbeiten, die zeigen, dass ein Großteil der Patienten (80 %)
in der Phase des Erwachens nach einer Episode von Schlafwandeln eine Form des Erinnerns an Inhalte während dieser Phase
hat. Dabei können sich 61 % sogar an spezielle Handlungen und
Handlungsabläufe, die in diesen Episoden eine Rolle spielten, erinnern [40]. In verschiedenen Fallberichten wird Erinnern an
Träume ebenfalls berichtet [41, 42]. Insbesondere gibt ein hoher
Anteil der Schlafwandler auch an, die in der Episode nach außen
gespiegelten Emotionen auch tatsächlich empfunden zu haben,
sodass die Hypothese der kompletten Amnesie durchweg für
Schlafwandler nicht zu halten ist [43].
Traumerinnerungen bei Schlafwandeln und anderen
Non-REM-Parasomnien
Die Differenzierung zwischen Non-REM-Parasomnien und
REM-Parasomnien (REM-Verhaltensstörungen und Albträume)
wird häufig klinisch anhand der Frage des Traumerinnerns entschieden. Mittlerweile gibt es einige Untersuchungen, in denen
vergleichbar zu den REM-Parasomnien auch bei Non-REM-Parasomnien Patienten Trauminhalte angeben, welche meist als unangenehm erlebt oder mit negativen Emotionen belegten werden [42]. Somit ist die phänomenologische Unterscheidung unabhängig der polysomnografischen Daten nicht eindeutig und
durchaus ein Traumerleben in Verbindung mit Non-REM-Parasomnien möglich [44]. Die Interaktion mit der Umwelt bei NonREM-Parasomnien wird auch weiterhin durch die Tatsache gestützt, dass Patienten mit Non-REM-Parasomnien in der Episode
in der Regel geöffnete Augen haben, auch ein zielgerichtetes Umherschauen beobachtet wird, sodass hier besonders zu bedenken ist, dass im Sinne der Trauminhalte die Interaktion mit der
Umwelt und Umgebung aufgenommen wird [45, 46].
Differenzialdiagnosen von Schlafwandeln und
anderen Non-REM-Parasomnien
▼
Die Non-REM-Parasomnien, die sich in der Regel in der ersten
Nachthälfte präsentieren, sind klinisch differenzialdiagnostisch
▶ Abb. 5) und Albvon den REM-Schlaf-Verhaltensstörungen (●
träumen abzugrenzen. Eine weitere wichtige Abgrenzung besteht gegenüber andere Formen von Parasomnien, die in der
ICSD II als andere Parasomnien klassifiziert werden. Dazu zählen
die Katathrenie, die nächtliche Enuresis, und das Exploding
Head Syndrome. Bei der Katathrenie handelt es sich um ein
nächtliches lautes wiederkehrendes Stöhnen ohne assoziierte
Atmungsstörungen. Das Exploding Head Syndrome, besteht in
einem akuten Erwachen mit dem Sinneseindruck einen Knall
oder ein anderes sehr lautes Geräusch gehört zu haben. Kopfschmerzen bestehen im Gegensatz zum nächtlichen, schlafgebundenen Kopfschmerz (sog. Hypnic headache) nicht. Die
nächtliche Enuresis kann entweder als primäre Enuresis ab dem
5. Lebensjahr diagnostiziert werden, wenn immer schon nächtliche Episoden mit Enuresis bestanden oder als sekundäre Enuresis, wenn mindestens für 6 Monate keine Phasen mit nächtlichem Einnässen bestanden.
Mit einer noch höheren klinischen Relevanz müssen Schlafwandeln, Pavor Nocturnus und Schlaftrunkenheit von nächtlichen
▶ Abb. 6), insbesondere von nächtlichen
epileptischen Anfällen (●
▶ Tab. 1) [47] und anderen Formen
Frontallappenanfällen (●
nächtlicher Anfälle abgrenzt werden [48]. Die einzige Möglichkeit, diese Differenzierung sicher vorzunehmen ist die simultane
Video- und EEG-Aufzeichnung, z. B. mithilfe der videobasierten
PSG [29, 49]. Folgende klinische Aspekte können zur Differenzierung von Arousalstörungen bzw. Non-REM-Parasomnien einerseits und nächtlichen epileptischen Anfällen andererseits herangezogen werden: Epileptische Anfälle können zwar auch sehr
komplexe und bizarre Bewegungsabläufe zeigen, diese sind aber
meistens stereotyp, die Variation von einer Episode zur nächsten
▶ Abb. 7) [50]. Häufig tritt nach nächtlichen Anfällen
ist gering (●
vollständiges Erwachen auf. Traumerinnern wird nach Anfällen
in der Regel nicht angegeben. Im EEG findet sich häufig – aber
nicht immer – ein korrelierendes Anfallsmuster, in der Regel in
Form von rhythmischer Aktivität, die eine Evolution hinsichtlich
Amplitude, Frequenz und Ausbreitung aufweist. Auch zwischen
den Attacken zeigt das EEG bei Patienten mit nächtlichen Anfällen häufig epilepsietypische Potenziale (Spikes oder Sharp
Waves), die – wenn vorhanden – im Schlaf-EEG besonders gut
sichtbar werden. Bei entsprechendem Verdacht lohnt es daher,
das nächtliche EEG in hoher zeitlicher Auflösung (10 oder 15 s
pro Bildschirmseite) nach epilepsietypischen Potenzialen zu
durchsuchen. Schwierig kann die Diagnose von schlafgebundenen epileptischen Anfällen dann werden, wenn korrelierende
EEG-Anfallsmuster und interiktuale epilepsietypische Potenziale fehlen, wie es in 10–20 % der Patienten mit Frontallappenepilepsien der Fall ist (z. B. bei einem oberflächenfernen epileptogenen Areal wie etwa orbtitofrontal oder fronto-mesial. Dann ist
man auf die Analyse und Interpretation der im Video dokumentierten motorischen Symptome angewiesen. Eine gewisse zusätzliche differenzialdiagnostische Hilfe kann noch das mitregistrierte EKG liefern. Während bei Non-REM-Parasomnien wie
z. B. bei Pavor Nocturnus die Herzfrequenzbeschleunigung etwa
zeitgleich mit den motorischen Symptomen einsetzt, beginnt sie
im Fall von schlafgebundenen Anfällen oft schon mehrere
Sekunden vor Einsetzen der motorischen Symptome.
Die Abgrenzung des Schlafwandels zur REM-Schlaf-Verhaltensstörung ist ebenfalls nur mittels videobasierter Polysomnografie
möglich, da die motorische Aktivierung und die Handlungsabfolge einem konkreten Schlafstadium zugeordnet werden muss.
Um eine ausreichende Differenzierung der verschiedenen Diagnosen Schlafwandeln, nächtlichen epileptischen Anfällen und
REM-Schlaf-Verhaltensstörung vorzunehmen, ist also in der Regel eine Video-Polysomnografie notwendig. Des Weiteren kann
eine erweiterte EEG-Montage (10–20-EEG) notwendig sein, um
epilepsietypische Aktivität während der Episoden und interiktual zu detektieren [50, 51].
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Übersicht
Abb. 5 Video-PSG einer Episode mit REM-Schlafverhaltensstörung. Arousal tritt aus dem REM auf und besteht in einer ausfahrenden schlagenden Bewegung des rechten Arms. Der Patient berichtet am darauffolgenden Morgen, dass er von einem ehemaligen Mitarbeiter geträumt habe, den er schlagen
wollte, weil er ihn provoziert habe. Vor dieser Bewegung zeigen sich im EMG der Kinns und der Arme rezidivierende phasische Tonuserhöhungen. In den
augennahen Ableitungen (EOG li. und re.) zeigen sich die für den REM-Schlaf namensgebenden schnellen Augenbewegungen (rapid eye movements, REM)PSG-Ableitung gem. der American Association of Sleep Medicine (AASM).
Diagnostisches Vorgehen beim Schlafwandel und
anderen Non-REM-Parasomnien
▼
Der klinische Verdacht einer Non-REM-Parasomnie ergibt sich
in der Regel aus dem Anamnesegespräch und vor allem der
Fremdanamnese. Häufig ist es notwendig in die Anamneseerhebung den Bett- oder Zimmerpartner mit einzubeziehen. Diese
berichten typischerweise, dass komplexe Handlungen durchgeführt werden, dabei sind häufig die Augen des Patienten geöffnet. Es scheint auf den ersten Blick so, dass der Patient wach ist,
er reagiert aber nicht adäquat auf Ansprache. Eine genaue Beschreibung der schlafbezogenen Verhaltensweisen ist oft sehr
hilfreich in der Eingrenzung der Verdachtsdiagnose. Bei weiterem Vorgehen sollte die Tagesschläfrigkeit mittels Epworth-
Schläfrigkeits-Skala oder andere evaluierten und validierten
Testverfahren erhoben werden. Es sollte auch eine Frage zur Familiarität erfolgen. In der weiterführenden technischen Diagnostik ist dann die videobasierte PSG unerlässlich, um eine sichere Zuordnung des motorischen Phänomens, der komplexen
Handlungsabfolgen auf ein spezifisches Schlafstadium zu beziehen. Die sichere Abgrenzung zu Arousals, die durch schlafbezogene Atmungsstörungen hervorgerufen werden kann in der PSG
erfolgen. Die PSG hilft auch herauszufinden, ob es sich um eine
Non-REM- oder REM-Parasomnie handelt [51]. Ebenfalls dient
dann die PSG der Bewertung verschiedener Besonderheiten, die
sich bei Non-REM-Parasomnie-Patienten gehäuft finden lassen.
Hierzu ist eine genaue Betrachtung der Mikrostruktur des Schlafes der Patienten notwendig. Es zeigen sich gehäuft eine
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Abb. 6 Video-PSG einer Episode eines nächtlichen epileptischen Anfalls bei einer Patientin mit Temporallappenepilepsie. Die Patientin ist vor dem Anfall
wach. Mit Anfallsbeginn zeigt sich im EEG ein evolvierendes rhythmisches Muster, im Video zeigen sich dezente orale und manuelle Automatismen (Kauen,
Schmatzen, Nesteln unter der Bettdecke). Postiktual ist die Patientin verwirrt und verlässt das Bett. PSG-Ableitung gem. der American Association of Sleep
Medicine (AASM).
Tab. 1 Vergleich der Klinischen und Elektrophysiologischen Merkmale von Schlafwandeln, nächtlichen Frontallappenanfällen und der REM-Schlaf-Verhaltensstörung.
Schlafwandeln
Nächtliche frontale Anfälle
REM-Schlaf-Verhaltensstörung
variabel
< 40 %
jederzeit
Non-REM Stadium 2 (Leichtschlaf)
> 50 Jahre
selten
letzte Hälfte der Nacht
REM-Schlafstadium
Verlassen des Bettes
Kindheit
69–90 %
1. Drittel der Nacht
Non-REM Stadium 3
(Tiefschlaf)
1–30 min
0–3/Woche
einfach bis komplexe
Handlungsabfolgen mit
geöffneten Augen
häufig
wenige Minuten ( < 10 min)
sehr variabel
kurze ausfahrende Bewegungen, oft
myokloniform (sog. jerks). Passend zu
Traumerleben, Augengeschlossen
häufig
Spontanes Erwachen aus der Episode
Traumerinnern
Weck-Schwelle
Autonome Aktivierung
möglich
möglich
hoch
wenig
PSG
häufig Mikroarousal aus
Non-REM Stadium 3
(Tiefschlaf)
möglich
wenige Sekunden bis 3 min
häufig (oft jede Nacht)
Stereotype und für den Betrachter
sinnlose Handlungen mit geöffneten Augen
nicht im Anfall aber möglich in der
Phase der EEG-Normalisierung
selten
nein
nicht möglich im Anfall
stark häufig bevor Motorik zu
beobachten
nur in 10 % epilepsietypische
Muster
Manifestationsalter
Familienanamnese
Auftreten in der Nacht
Schlafstadium
Dauer der Episoden
Frequenz der Episoden
Motorik, Handlungen
Gefahr der Fremd- und/oder Eigenverletun
vermehrte Arousalaktivität aus dem Non-REM Stadium 3 (Tiefschlaf, Deltaschlaf). Ebenfalls zeigt sich gehäuft, ohne dass eine
motorische Aktivität aus dem Tiefschlaf direkt zu beobachten
ist, eine autonome Aktivierung. Bei verschiedenen motorischen
Aktivitäten aus dem Tiefschlaf kann häufiger auch eine hypersynchrone Deltaaktivität gefunden werden [52–54]. Diese können Hinweise auf das Vorliegen einer Non-REM-Parasomnie,
wie ebenso auch die zyklischen alternierenden Muster (cyclic
alternating pattern; CAP), die als Marker der Non-REM-Instabilität dienen. Bei uneindeutigem Befund und der Tatsache geschuldet, dass nur ca. 10 % der nächtlichen Frontallappenanfälle
in der Polysomnografie elektropsychologisch auffallende Muster
möglich
häufig
häufig
niedrig
keine
keine Muskelatonie im REM oder rezidivierende phasische Muskelaktivität
im REM-Schlafstadium
möglich
zeigen [55, 56], ist eine erweiterte EEG-Montage (nach dem
10–20-System) in der zweiten Nacht zu empfehlen. Die Detektion von epilepsietypischen Mustern mittels 10–20 System ist
dann erhöht, da bekanntermaßen ca. die Hälfte der Patienten
mit nächtlicher Frontallappenepilepsie interiktal und iktal epilepsietypische Muster (ETM) aufweisen [47]. Ein standardisiertes Vorgehen für die Diagnostik für Non-REM-Parasomnien im
Schlaflabor mittels PSG und Video-EEG ist bislang nicht erstellt.
In der klinischen Vorgehensweise empfiehlt es sich aus unserer
Sicht in der ersten Nacht eine videobasierte Polysomnografie
durchzuführen und dann in der zweiten Nacht eine erweiterte
EEG-Ableitung zu montieren. Es gibt bislang aber keine höhere
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Abb. 7 Nächtlicher epileptischer Anfall: Hypermotorischer Anfall mit komplexen proximal betonten Bewegungsautomatismen bei einem Patienten mit
einer Frontallappenepilepsie infolge einer kortikalen Dysplasie rechts frontal. Der Bewegungsablauf ist von einem Anfall zum nächsten stereotyp, nach
dem Anfall ist der Patient wach und sehr rasch reorientiert. Im korrelierenden EEG zeigt sich ein Anfallsmuster mit rhythmischem Spiking rechts frontal
(Maximum über der Elektrode F4).
Evidenz aus größeren Studien für diese Vorgehen und spiegelt
persönliche Meinung der Autoren wieder und wird von verschiedenen Laboren durchaus unterschiedlich gehandhabt.
Häufig kann es jedoch auch notwendig sein, dass nach 2-maliger
Polysomnografie bei unsicherem anamnestischem Befund und
differenzialdiagnostischem Verdacht auf Frontallappenanfällen
eine erneute Video-EEG-Untersuchung unter epileptologischer
Fragestellung durchgeführt werden muss. Je nach Häufigkeit der
nächtlichen Ereignisse ist dann eine Ableitung über 2–7 Tage
sinnvoll. Aus diesem Grund ist ein gute Kooperation und Kommunikation zwischen Schlafmedizinern und Epileptologen
wichtig in der Differenzialdiagnostik des Schlafwandelns und
anderer Non-REM-Parasomnien.
Durch dieses diagnostische Vorgehen könnten letztendlich die
unerwartet hohen Zahlen für die Prävalenz der Non-REM-Parasomnien in großen Kollektiven [57] besser zugeordnet werden.
Danksagung
▼
Die Autoren bedanken sich bei Frau A. Okegwo und Herrn Dipl.Ing. C. Glatz für die hervorragende technische Assistenz und die
Aufbereitung der Abbildungen.
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Zur Person
Prof. Dr. med. Peter Young ist Universitäts-Professor für Klinische Neurologie
und Neurogenetik mit der Funktion des
Direktors der Klinik für Schlafmedizin
und Neuromuskuläre Erkrankungen im
Department für Neurologie des
Universitätsklinikums Münster. In die
Klinik für Schlafmedizin und Neuromuskuläre Erkrankungen ist ein Bereich
für Epileptologie integriert. Die
besonderen wissenschaftlichen und klinischen Interessen
sind die Gruppe der neuromuskulären Erkrankungen mit
Schwerpunkt der erblichen Neuropathien, der Zusammenhang von Atmungsstörungen bei neuromuskulären Erkrankungen im Schlafen und im Wachen, die gesamte Gruppe
der Parasomnien und die Genregulation von Schlafen und
Wachen bei Hypersomnien und Insomnien.
Interessenkonflikt
▼
P. Young hat in den letzten 5 Jahren Vortraghonorare der Firmen
UCB Pharma, GENZY-ME, TEVA, Heinen und Löwenstein und
ResMed erhalten. P. Young ist Mitglied im advisory board RLS
der Firma UCB Pharma. G. Möddel hat in den letzten 5 Jahren
Vortraghonorare der Firmen UCB Pharma und Eisai. Bezüglich
der in dieser Übersicht vorgestellten Daten und Präparate gibt es
keine Interessenkonflikte.
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