Dokumentation der Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ Der Sommerberg AWO Betriebsgesellschaft mbh in Kooperation mit Institut zur Interkulturellen Öffnung (IzIKÖ), AWO Mittelrhein Fachtagung vom 10.09.2007, 13.00 bis 17.00 Uhr, in Schloss Burgau, Winkelsaal 1, in Düren-Niederau. von Frau Dr. Susanne Schmidt, IzIKÖ, AWO Mittelrhein November 2007 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ Zum 11-jährigen Bestehen seines Büros für Flexible Dienste in Düren lud Der Sommerberg AWO Betriebsgesellschaft mbH zu einer Fachtagung am 10. September 2007 in den Winkelsaal des Schlosses Burgau ein. Der Sommerberg AWO Betriebsgesellschaft mbH bietet im Bereich der Kinder-, Jugend-, Familien und Behindertenhilfe dezentrale und differenzierte ambulante, teilstationäre und stationäre Angebote der Hilfen zur Erziehung sowie der Eingliederungshilfe an. Die gesetzlichen Grundlagen seines Handelns sind das Kinder- und Jugendhilfegesetz SGB VIII; §§ 27 ff und das Bundessozialhilfegesetz SGB XII § 53. Im Rahmen der interkulturellen Woche in Düren stellten sich die Veranstalter dem bisher wenig in Fachwelt und Öffentlichkeit thematisierten Komplex „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“. Gemeinsam mit geladenen Gästen aus den verschiedensten Bereichen der Jugendhilfearbeit sollte erörtert werden, wie der Schutz von Kindern mit Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft besser gewährleistet werden kann, auf welcher Bemessungsgrundlage die Gefährdung oder die Schädigung von Kindern bewertet werden kann und inwieweit dabei interkulturelle Aspekte eine Rolle spielen. Die Fachvorträge widmeten sich sowohl den Besonderheiten, denen Familien mit Migrationshintergrund in Deutschland unterliegen, als auch den Neuerungen, die der Paragraph 8a des SGB VIII bei Kindeswohlgefährdung mit sich bringt. Diese Fragen in einem thematischen Zusammenhang zu erörtern, bedeutete eine besondere Herangehensweise. Zu diesem Zweck kooperierte Der Sommerberg mit dem Institut zur Interkulturellen Öffnung (IzIKÖ) der AWO Mittelrhein, das seit 2005 überregional Dienste und Institutionen bei der interkulturellen Öffnung begleitet und unterstützt. Aufgrund der erstmaligen öffentlichen Thematisierung beider Aspekte war es das Anliegen der Veranstalter, möglichst viele Stimmen zu Wort kommen lassen. Dazu eignet sich die Weltcafé - Methode, die in mehreren wechselnden Gesprächsrunden jeden Teilnehmer/ jede Teilnehmerin zu Wortmeldungen herausfordert. Es ist dadurch eine Meinungsvielfalt entstanden, die die folgende Dokumentation aufgreift. Ziel der Veranstaltung war es u.a., möglichen Unterstützungsbedarf für die PädagogInnen zu ermitteln, die sich in ihrer Arbeit zunehmend den Fragen des interkulturellen Zusammenlebens zuwenden. Die Fachtagung fand im Winkelsaal des Schlosses Burgau in Düren-Niederau statt. Zur Durchführung der Methode „Weltcafé“ waren Tischrunden für jeweils 6 - 8 Personen vorbereitet worden, an denen die TeilnehmerInnen Platz nahmen. Zur Einführung hielt Anita Stieler, Geschäftsführerin von Der Sommerberg AWO Betriebsgesellschaft mbH eine Begrüßungsrede, mit der sie das Thema des Fachtages, „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ einleitete. Sie hob hervor, dass alle Akteure im sozialen Bereich gefordert sind, sich mit dem Thema Kinderschutz in Migrantenfamilien auseinander zu setzen. Aus ihrer Sicht bedeutet dies: Wahrnehmung, Zugänge, kommunikative und mediative Kompetenzen sowie Handlungsstrategien auf Alltagstauglichkeit hin zu prüfen und wenn notwendig zu verändern. Allein die Tatsache, dass das Gut Kind eine knapper werdende November 2007 Seite 2 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ Ressource darstellt, rechtfertigt und fordert aus ihrer Sicht den uneingeschränkten Einsatz für die Lobby Kind als Hoffnungsträger und als Investition in Zukunft. Anschließend übernahm Dieter Remig (Bezirksverband AWO Mittelrhein e.V.) als Moderator das Wort und führte durch das Tagungsprogramm. Die folgenden Fachvorträge von Susanne Bourgeois (Freie Referentin, IzIKÖ) und Klaus Theissen (AWO Bundesverband e.V.) enthielten die nötigen Inputs, Informationen und Erläuterungen zum Verständnis des Themenkomplexes „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“. November 2007 Seite 3 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ Susanne Bourgeois: „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ Einstiegsfragen zum Thema „Kinderschutz im interkulturellen Dialog sind aus meiner Sicht: Welche spezifischen Aspekte sind in der präventiven und intervenierenden Arbeit mit Familien mit Migrationshintergrund zu beachten? Gibt es einen Unterschied in der Wahrnehmung zwischen den Gefahrenpotentialen ausländischer Familien und denen deutscher? Zur Klärung dieser Fragen sind folgende Aspekte relevant: Rechtliche Aspekte Sozialpolitische Aspekte Kultur-/ religionsspezifische Aspekte 1.: Rechtliche Aspekte Der jeweilige Aufenthaltsstatus ist das entscheidende Kriterium für die Lebensbedingungen der Familien, er entscheidet darüber, mit welcher zeitlichen Perspektive die Familien hier leben können, welche Möglichkeiten der Arbeitsaufnahme und welche sozialen Unterstützungsmöglichkeiten ihnen gewährt werden. In absteigender Reihenfolge vom sichersten bis zum unsichersten Rechtsstatus gelten derzeit folgende Titel: Einbürgerung Niederlassungserlaubnis (§ 9 AufenthG, unbefristet) Aufenthaltserlaubnis (§ 7 AufenthG, befristet und zweckgebunden) Aufenthaltsgestattung im Asylverfahren (§ 55 Asylverfahrensgesetz) Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung – Duldung (§ 60a AufenthG) Ohne legale Aufenthaltspapiere a) Das Kindeswohl im Spannungsfeld zwischen Aufenthaltsgesetz und KJHG Durch die in Deutschland geltende Vorbehaltserklärung zur UNKinderrechtskonvention kommt es zu einem Konflikt zwischen Kindeswohl und Gesetzeslage in der Bundesrepublik, u.a. in folgenden Punkten: - Art. 3 KRK verpflichtet die Länder, das Wohl des Kindes bei allen Entscheidungen vorrangig zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich häufig ein Zielkonflikt für die MitarbeiterInnen der zuständigen Ausländerbehörde: diese sind weder ausgebildet, das jeweilige Kindeswohl festzustellen noch entspricht es ihrem Auftrag als Ordnungsbehörde, die sich am allgemeinen öffentlichen Interesse orientieren muss. - Familienzusammenführung: Art 9 KRK sichert Kindern das Recht auf beide Eltern zu und verpflichtet die Unterzeichnerstaaten dazu, dafür zu sorgen, dass Eltern und Kinder nicht gegen ihren Willen voneinander getrennt leben müssen. Das geltende Ausländerrecht beschränkt das Nachzugsalter für Kinder auf das November 2007 Seite 4 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ 18. Lebensjahr, in der Regel ist der Nachzug nur zu beiden Eltern gemeinsam oder zum allein sorgeberechtigten Elternteil möglich. Trennung und Scheidung trifft Kinder aus Migrantenfamilien oft härter als deutsche Kinder. In manchen Fällen wird dem umgangsberechtigten Elternteil zugemutet, den Umgang vom Ausland aus zu pflegen. - Ausweisung: Jugendliche aus Migrantenfamilien, die straffällig werden, erfahren eine Doppelbestrafung, wenn das Strafmaß 3 Jahre überschreitet. In diesen Fällen sieht das Ausländergesetz neben der Verbüßung der Strafhaft im Inland die anschließende Ausweisung vor – u.U. in ein Land, das sie nur aus dem Urlaub oder gar nicht kennen, dessen Sprache sie nicht oder nur unzureichend sprechen. Diese Praxis ist mit Art. 3 KRK nicht vereinbar, die das Wohl des Kindes als einen bei allen Entscheidungen vorrangig zu beachtenden Gesichtspunkt festlegt. - Kinder aus Flüchtlingsfamilien / unbegleitete minderjährige Flüchtlinge befinden sich in einer besonders schwierigen Lage, deshalb ist ihnen in der KRK ein eigener Art. (22) gewidmet. Dem gegenüber steht die gesetzliche Regelung und Praxis in Deutschland (nicht kindgemäße Unterbringung und Betreuung in Gemeinschaftsunterkünften, Flughafenverfahren, juristische Handlungsfähigkeit Jugendlicher im Zusammenhang nicht kind- und jugendgerechter Asylverfahren, Asylbewerberleistungsgesetz usw.) Gut: Neuregelung in § 42 KICK, aber: immer noch in der Praxis zuwenig Beachtung durch Behörden. b) Im Aufenthaltsgesetz findet sich eine Fülle von Tatbeständen, die mögliche negative Konsequenzen für den Aufenthaltstitel von Ausländern (Schlechterstellung oder Verlust, möglich sogar Ausweisung) nach sich ziehen können: z.B.: - in § 5 Abs. 1: „Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt i.d.R. voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert, ... kein Ausweisungsgrund vorliegt... „ - in § 55 Abs. 1 + 2: „(1) Ermessensausweisung bei Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland, (2) insbesondere bei Sozialhilfebezug, Bezug von Hilfe zur Erziehung außerhalb der eigenen Familie oder Hilfe für junge Volljährige nach dem 8. Buch SGB (dies gilt nicht für einen Minderjährigen, dessen Eltern oder dessen allein sorgeberechtigter Elternteil sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten).“ - D.h.: der Bezug von Hartz IV, oder auch von HzE kann u.U., je nach sonstigen Voraussetzungen und Ermessensentscheidung des Sachbearbeiters im Ausländeramt, die Ausweisung bedeuten oder zumindest einen Grund für das Versagen einer Verbesserung des Aufenthaltsstatus‘. - Außerdem müssen auch hier wieder die möglicherweise existentiell wichtigen Rahmenbedingungen des jeweiligen Aufenthaltsstatus mitbedacht werden: z.B. - Die Trennung von einem gewalttätigen Ehepartner innerhalb der ersten 2 Aufenthaltsjahre in Deutschland ist ein Problem, es droht der Verlust des eigenen Aufenthaltsrechts (und ggf. des Aufenthaltsrechts der Kinder). - Die engen rechtlichen Grenzen sind insbesondere in asylsuchenden Familien schnell ausgereizt: Stellt sich z.B. heraus, dass der Mann stellvertretend für die ganze Familie Asyl beantragt hat, verliert die Frau und somit auch ihre Kinder i.d.R. das Bleiberecht in Deutschland, wenn sie sich von ihm trennen will. November 2007 Seite 5 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ c) Im Strafgesetzbuch gibt es auf der Grundlage des GG eine Gleichbehandlung von Delikten, somit gibt es also keine „Sondergesetze“ für Familien mit Migrationshintergrund. Fazit von 1.: Rechtliche Faktoren wirken sich auf die Lebenssituation der Familien mit Migrationshintergrund aus und gleichzeitig auch auf ihre Bereitschaft, sich vertrauensvoll an Behörden und öffentliche/ soziale Einrichtungen zu wenden. Keine relevanten Auswirkungen haben sie auf die strafrechtliche Bewertung ihrer Handlungen (zumindest soweit es sich um schwerwiegende Delikte handelt bzw. nicht um Delikte im Rahmen des Ausländergesetzes). 2.: Sozialpolitische Aspekte Als Risikofaktoren im Bereich der Kindeswohlgefährdung gelten im Allgemeinen folgende Faktoren: Materielle Armut Soziale Belastungen wie Isolation oder der Wegfall von familiären oder nachbarschaftlichen Unterstützungssystemen Persönliche Belastungen der Eltern wie z.B. psychische Erkrankungen Familiäre Belastungen wie Paar-/ Rollenkonflikte. Familien mit Migrationshintergrund sind im Durchschnitt von all diesen Faktoren in besonderer Weise betroffen! Dies belegen z.B. Aussagen im 6. Familienbericht, im Sozialbericht des AWO Bundesverbandes 2002 als auch im Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland 2004: „Die soziale Lage von Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland ist, gemessen an der Einkommenssituation, deutlich schlechter als die der deutschen Bevölkerung. Niedrigere Erwerbseinkommen und die höhere Arbeitslosigkeit führen häufiger zur Angewiesenheit auf soziale Transferleistungen.“ (S. 112) Darüber hinaus gibt es Hinweise auf erhöhte gesundheitliche Probleme in Familien mit Migrationshintergrund; im Zusammenhang mit Migration ist der Wegfall von familiären oder nachbarschaftlichen Unterstützungssystemen ebenso möglich wie veränderte familiäre Rollen. Dies alles hängt nicht mit nationalen, ethnischen oder kulturellen Eigenheiten der Zuwanderer zusammen, sondern mit den Umständen der Einreise nach und den Lebensbedingungen in Deutschland und den im Zusammenhang mit Migration auftretenden Belastungen und Brüchen in den individuellen Biographien. November 2007 Seite 6 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ 3.: Kultur- und religionsspezifische Aspekte a) Innerfamiliäre Beziehungen in Familien mit Migrationshintergrund (aus: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: 6. Familienbericht. Familien ausländischer Herkunft. Berlin 2000) Über alle Nationalitäten hinweg bejahen Eltern die psychologisch-emotionalen Werte deutlich stärker als die ökonomisch-utilitaristischen Werte. Allerdings liegt in der Befragung die Zustimmung türkischer Eltern für die ökonomisch-utilitaristischen Werte erkennbar höher als etwa bei deutschen, italienischen oder griechischen Eltern. Diese grundsätzliche Einstellung hat auch Auswirkungen auf vorherrschende Erziehungsstile: eine auf Autonomie der kindlichen Persönlichkeit und eine unverwechselbare, gefühlsbetonte Eltern-Kind-Beziehung einerseits gegenüber einer auf lebenslange Loyalität zu und Engagement für die Eltern zielende Erziehung andererseits. Allerdings räumt der 6. Familien-Bericht auch mit Klischees auf, u.a.: Generationenkonflikte in Migrantenfamilien sind seltener, als es den Massenmedien nach den Anschein hat. Frauen aus der Türkei können weitaus häufiger auf die Hilfe des Mannes bei der Betreuung der Kinder zurückgreifen als Aussiedlerfrauen oder deutsche Frauen; diese greifen eher auf institutionalisierte Betreuungsformen und weibliche Mitglieder der Verwandtschaft zurück. Türkische Familien sind unter allen Familien ausländischer Herkunft diejenigen mit der höchsten Kooperation zwischen den Ehepartnern. Bezogen auf die 2. und 3. Generation türkischer Migrantenfamilien deuten eine Reihe von Befunden im 6. Familienbericht darauf hin, dass Söhne türkischer Migranten November 2007 Seite 7 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ - - eine stärkere normative Geschlechterrollen-Orientierung hätten als ihre Väter sich die Söhne stärker ökonomischen Erwartungshaltungen der Herkunftsfamilie verpflichtet fühlten, als diese von ihr selbst geäußert würden und stärker als ihre Väter auf die Kontrolle sozialer Situationen setzten. b) Theoretisches Konstrukt: Dimensionen kultureller Unterschiede nach Hofstede Hofstede unterscheidet vier Dimensionen: - Machtdistanz (von gering bis groß) - Kollektivismus vs. Individualismus - Feminität vs. Maskulinität - Unsicherheitsvermeidung (von schwach bis stark) Am Beispiel Kollektivismus vs. Individualismus können mögliche kulturelle Unterschiede aufgezeigt werden, die sich auch auf den jeweiligen Umgang mit Autorität oder Konflikten auswirken können: Kollektivismus • Identität durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe • Gruppe schützt, fordert dafür Loyalität • Harmonie ist wichtig, Konfrontation und Konflikt sind unhöflich • bei (bekannt gewordenem) Regelverstoß: Gruppe empfindet Scham Individualismus • Identität ist verankert im Individuum • Individuum steht allein und auf eigenen Füßen • Pflicht, die Wahrheit zu sagen (auch schmerzliche) • bei Regelverstoß: Individuum empfindet Schuld Fazit: An diesen kulturell oder religiös bedingten Sollbruchstellen können kulturelle Differenzen entstehen, z.B. in Bezug auf unterschiedliche Erziehungsstile in den Familien, die Differenz zwischen Stadt-Land, bildungsferne vs. Akademikerfamilien, Einreisedatum, religiöse Zugehörigkeit und Grad der Identifikation, Flucht- oder Kriegserfahrungen, Diskriminierungserfahrungen usw. Diese Differenzen können aber nicht auf unterschiedliche nationale Kulturen zurückgeführt werden, sondern sind von den jeweiligen individuellen Lebensbedingungen und familiären Hintergründen abhängig. Hier liegt die besondere interkulturelle Kompetenzanforderung an Konzepte und das Personal in der Erziehungshilfe: Wie können auch Zielgruppen mit divergierenden (kulturell bedingten) Erziehungsvorstellungen und Familienkonzepten erreicht werden? Wie können solche Zielgruppen erreicht werden, die keine Kenntnis über die Struktur des hiesigen Sozialsystems haben? Und wie kann die Arbeit mit dieser Zielgruppe gestaltet werden? In diesem Zusammenhang können die Empfehlungen von Prof. Dr. Christian Schrapper zu den Themen und Fragestellungen sozialpädagogischer Diagnostik ggf. weiterhelfen: 1) Lebenslagen und Lebensgeschichten erfragen (wie z. B. kritische Lebensereignisse, Erwartungen, Ressourcen und Beeinträchtigungen) November 2007 Seite 8 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ 2) 3) Sichtweisen und Deutungen (wie Erfahrungen, Sichtweisen und Einschätzungen sowohl aus eigener Sicht wie aus der der Schlüsselpersonen im Feld) Hilfesysteme und Hilfegeschichte (Maßnahmen, Übergänge und Brüche, Kooperationen und Konflikte in Bezug auf Jugendämter/ Ausländerbehörden usw., Erfolge und Misserfolge) Allgemeine Schlussfolgerung (bezogen auf die Eingangsfrage): „Gibt es einen Unterschied in der Wahrnehmung zwischen den Gefahrenpotentialen von Familien mit Migrationshintergrund und von deutschen Familien?“ - - Ja, es gibt einen Unterschied! Der darf aber nicht auf die kulturelle Ebene reduziert werden. Und es dürfen auch nicht alle Ausländer oder Menschen mit Migrationshintergrund in einen Topf geworfen werden, sondern die jeweiligen rechtlichen, sozialen und individuellen Lebensbedingungen berücksichtigt werden. Zusätzlich müssen die eigenen inneren Bilder (z.B. in Bezug auf die eigenen Erziehungsvorstellungen oder zu Familienbildern) besonders aufmerksam reflektiert werden, Empathie, Offenheit und Ambiguitätstoleranz entwickelt werden. Nach diesen Ausführungen übernahm Herr Klaus Theissen vom AWO Bundesverband e.V. (Bonn) das Wort und ging auf die relevanten Aspekte des § 8 a SGB VIII ein. Mit § 8 a ist in das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) ein eigener Artikel eingeführt wurden, der sich mit dem Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung befasst. Auch Klaus Theissen betonte, dass das Thema „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ noch nicht ausreichend diskutiert und publik gemacht wurde und mit dieser Fachtagung, „Pionierarbeit geleistet wird.“ Sein Beitrag hob insbesondere die rechtlichen Grundlagen des Kindeswohls im Rahmen der interkulturellen Orientierung hervor: November 2007 Seite 9 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ Klaus Theissen: „§ 8a – Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung im interkulturellen Kontext“ Folgende Grundsatzfragen entstehen bei der Beschäftigung mit der Thematik: - - Aus welchem normativen Bezugssystem, also Wertesystem, beurteilen wir die Situation der Kinder, das „Kindeswohl“ – also auch eine Gefährdung des Kindeswohls? Wieviel Unsicherheiten erzeugen „fremde“ Kulturmuster, Wertesysteme, bzgl. notwendiger Einschätzungs- und Bewertungsaufgaben? Welche Rolle spielen kulturspezifische Aspekte bei der Intervention und Prävention? EISBERGMODELL Anliegen Ziele 1/7 Sachlogische Ebene Rechtliche Rahmenbedingungen Verfahren Theorien Zeit Aufgaben Hierarchien Mittel Verhalten Zielvereinbarungen Mut Angst Sympathie Misstrauen Zuneigung Liebe Wünsche Sicherheit Werte Antipathie Status Vertrauen Akzeptanz Hilfeerfahrungen ungeschriebene Gesetze 6/7 psychosoziale Ebene Tabus Das Modell kann verdeutlichen, aus welchen Aspekten sich u.a die Kernfragen bei der Beschäftigung mit dem Thema der Kindeswohlgefährdung im interkulturellen Kontext ergeben. Eine bekannte Tatsache ist, dass immer Sach- und Beziehungsebene das Prozessgeschehen zwischen den Beteiligten bestimmen. Die sachlogische Ebene bestimmt dabei u.a. über die Aufträge, die Zeitvorgaben, die Verfahrensabläufe – also äußere Rahmenbedingungen, Erkennbares. Hierzu gehören z. B. die spezifischen Regelungen im Ausländerrecht, die in der Bearbeitung einer Kindeswohlgefährdung Berücksichtigung finden müssen. Susanne Bourgeois ist ausführlich darauf eingegangen. November 2007 Seite 10 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ Auf der verdeckten psychologischen Ebene finden sich die Aspekte, die in Hilfeprozessen mitgedacht und berücksichtigt werden müssen, und deren Beachtung bzw. Missachtung in der Regel über Erfolg und Misserfolg entscheidet. Gelten diese Aspekte auch grundsätzlich kulturunabhängig, ist deren Gehalt und Ausprägung durchaus sehr kulturspezifisch geprägt, was z. B. bei „Werte“, „Status“, „Tabus“ unmittelbar nachvollziehbar ist. Aber auch weiter „an der Oberfläche“ zu verortende Aspekte wie etwa „Angst“ können, unter Berücksichtigung des ausländerrechtlichen Kontextes, eine zusätzliche Dimension beinhalten (im Vergleich zu deutschen Eltern). Das Kulturspezifische findet sich also nicht in der Bewertung der kindeswohlgefährdenden Tatsachen an sich, sondern in der Berücksichtigung kulturspezifischer Aspekte im Kontakt und dem Hilfe- und Interventionsprozess mit den Betroffenen. Gehen wir noch mal einen Schritt zurück, zu den Grundlagen: Art 6 Abs. 2 des Grundgesetzes stellt fest, dass die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und ihre zuvörderst obliegende Pflicht ist. Im § 1 SGB VIII wird dieser Grundsatz wiederholt. Über deren Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft, die der Jugendhilfe u. a. die Aufgabe überträgt, Kinder vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen. Den eingangs erwähnten Fragen vorangestellt ist in der alltäglichen Praxis häufig eine Grundsatzfrage, auf die das Gesetz keine Antwort gibt: wie ist Kindeswohl eigentlich zu definieren und wo ist die Grenze zwischen Gefährdung/ Schädigung und einer "nur" unzureichenden Erziehung. Zusätzliche Unsicherheiten entstehen dann und verkomplizieren die Einschätzungsaufgabe und Intervention, wenn sie um die kulturspezifische Dimension erweitert wird. Zäumt man die Thematik formal vom Strafrecht her auf, stecken die Paragrafen §§ 171 bis 229 den strafrechtlichen Rahmen ab: § 171 § 174 § 176 § 178 § 180 § 181 a § 182 § 183 § 184 § 223 § 224 § 225 § 226 § 227 § 228 § 229 Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen Sexueller Missbrauch von Kindern Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger Zuhälterei Sexueller Missbrauch von Jugendlichen Exhibitionistische Handlungen Verbreitung pornografischer Schriften Körperverletzung Gefährliche Körperverletzung Misshandlung von Schutzbefohlenen Schwere Körperverletzung Körperverletzung mit Todesfolge Einwilligung Fahrlässige Körperverletzung Soweit es sich um strafrechtlich relevante Handlungen im o.g. Sinne handelt, ist die Frage nach einer möglichen kulturspezifischen Legitimation schnell beantwortet. Es kann keine Communitys oder gesellschaftliche Räume geben, innerhalb derer November 2007 Seite 11 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ andere als die hiesigen Rechtsnormen gelten. Eine Körperverletzung bleibt, unabhängig ihrer kulturellen/ rituellen Legitimation, eine Körperverletzung und ist im hiesigen Rechtssystem damit strafbar. Am Beispiel der „Beschneidung“ wird allerdings der schmale Grat zwischen verfassungsmäßig verbrieften Recht auf Religionsausübung und damit auf religiöse Erziehung samt ihrer Riten und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit deutlich. So stellt die Beschneidung von Mädchen in Deutschland einen Straftatbestand nach § 224 StGB (gefährliche Körperverletzung) oder 226 StGB (schwere K.) dar. Das OLG Dresden hat einer gambianischen Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen, da es nicht mit Sicherheit auszuschließen war, dass ein geplanter Heimaturlaub dazu genutzt werden sollte, eine Beschneidung an der Tochter durchzuführen. OLG Dresden - 20 UF 401/03 Dagegen steht die Beschneidung von Jungen nicht unter Strafe und wird geduldet, da es sich um einen vermeintlich wenig invasiven Eingriff handelt und, unabhängig von einer medizinischen Indikation, hier die religiösen Rechte der Eltern höher angesiedelt sind als die Verpflichtung der Gesellschaft, ihre Kinder vor rituellen Operationen ohne unmittelbaren Vorteil für sie zu schützen. Dass das nicht selbstverständlich ist, zeigt das Beispiel Schwedens. Am 1. Oktober 2001 trat dort nach einer längeren öffentlichen Debatte wegen des Todes mehrerer Babys durch Beschneidungen - ein neues Gesetz in Kraft, das Beschneidungen ohne medizinische Begründung auch bei Jungen, die älter als 2 Monate sind, generell verbietet. Die z. Zt. weitgehend anerkannte Systematisierung von Kindeswohlgefährdung bzw. –schädigung konzentriert sich auf 3 bzw. 6 Kategorien, denn Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung oder -schädigung verweisen unmittelbar auf die Frage ihrer Erscheinungsformen. Diese lassen sich unterteilen in Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellen Missbrauch. Münder/Mutke/Schone1 differenzieren diese noch weiter aus in, - Vernachlässigung, körperliche Kindesmisshandlung, seelische Kindesmisshandlung, sexueller Missbrauch, Erwachsenenkonflikte ums Kind, Autonomiekonflikte (z.B. Zwangsverheiratung) Der § 8a sieht vor, dass „gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung“ vorhanden sein müssen, als Voraussetzung für das Einsetzen des Schutzauftrages und entsprechender Verfahrenspflichten. Die Unbestimmtheit dieses Rechtsbegriffes macht es der Praxis schwer! Bei Extremsituationen lässt sich unschwer Einigkeit in der Bewertung erzielen aber – wie sie alle wissen und erfahren – sind Eindeutigkeiten selten und Interpretationsspielräume groß. Wir haben es also häufig nicht mit Tatsachenbeschreibungen zu tun, sondern mit hypothetischen Risikoeinschätzungen 1 Vgl.:Münder/Mutke/Schone, Kindeswohl zwischen Jugendhilfe und Justiz, 2000 S. 47 November 2007 Seite 12 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ auf der Grundlage einer manchmal dünnen Informationsdecke. Typische Merkmale solcher Situationen sind: Intransparenz, hohe Dynamik, Vernetzheit der Problemlagen, Ungenauigkeit oder Falschheit der Kenntnisse und unreflektierter Überzeugungen. Sie stellen also höchstkomplexe Handlungs- und Entscheidungssituationen dar, in der eine Fragestellung auf Seiten des Helfersystems immer im Blick behalten werden muss, nämlich wie (vor)schnell wir bereit sind, die „Kultur“ als Hintergrund des Problems zu bewerten. Beispiel: Die Mutter eines türkischen Mädchens kommt wiederholt nicht zu einem Gesprächstermin bei der Lehrerin. Die Lehrerin macht sich Sorgen, da das Mädchen verstört wirkt und es Anzeichen gibt, dass es zu Hause sehr unter Druck gesetzt wird. Mögliche Gedanken: Die Frau kommt nicht, weil sie nicht darf. Es wird ihr vom Vater verboten - türkische Frauen haben ja zu Hause nichts zu sagen. Es kann aber auch ganz andere Gründe geben! Feststellung: Trotz der inzwischen vielerorts/ zahlreich entstandenen/ erarbeiteten/ ausgehandelten Empfehlungen und Vereinbarungen zu § 8a SGB VIII ist/ bleibt der institutionelle Zugang der Angebote der Jugendhilfe und der persönliche Zugang von Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen zu der Kultur, zu den Milieus ihrer Klientel die wahre „Klippe“ bei der Umsetzung des Schutzauftrags. Daraus resultiert: Nicht die Kindeswohlgefährdung hat einen kulturspezifischen Aspekt (abgesehen von Riten, die hier unter Körperverletzung fallen oder etwa die Zwangsverheiratung). Als kulturspezifisch können sich allenfalls der Hintergrund und die Begründungen zeigen. So wird die körperliche Bestrafung in einigen Herkunftsstaaten nicht als Gewalt angesehen und als Unrecht gewertet, sondern mit der Haltung legitimiert, dass sie angewendet werden muss, um Kinder zu disziplinieren, damit sie später loyal und gehorsam sind. Mithin dient sie der Verfolgung von Erziehungszielen, wie Respekt vor Autoritäten, Ehrenhaftigkeit und Zusammengehörigkeit. „Wer sein Kind nicht schlägt, hat später das Nachsehen“ – so ein gängiges türkisches Sprichwort2. Der zu berücksichtigende kulturspezifische Aspekt findet sich also in einer zu den deutschen Erziehungsauffassungen divergierenden Einstellung, der sich darin ausdrückt, dass nicht das Individuum im Mittelpunkt steht, sondern die Gesellschaft. Prioritär ist die Meinung der Gemeinschaft, der Familie und nicht das persönliche Motiv. Für die Anwendung von Gewalt in der Erziehung sind vorrangig kulturunabhängige Sozialisations- und sozialstrukturelle Faktoren, wie Schichtzugehörigkeit, eigene Gewalt- und Opfererfahrungen sowie Überforderungssymptome grundsätzlich von ausschlaggebenderer Bedeutung. Die Einzigartigkeit jeder Biographie ist bei Eingewanderten und Flüchtlingen wie bei Einheimischen gleichermaßen die zentrale Bezugsgröße der Bewertung, der Beratung und der Intervention. Interkulturelle Kompetenz Die Fachkräfte in den Erziehungshilfen sind in ihrer Arbeit in der Regel mit Eltern konfrontiert, deren Sozialisationserfahrungen von denen der Helfer/innen häufig beträchtlich abweichen, mithin also auch eine interkulturelle Kompetenzen erfordern. 2 siehe auch: Toprak, Dr. A.: Interview in AiD, Integration in Deutschland 2/2005, 21.Jg. November 2007 Seite 13 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ Es geht in den Hilfeprozessen immer um den Umgang mit unterschiedlichen Werten und Normen. Diese zeigen sich z. B. in divergierenden Vorstellungen über familiäre Rollen, Partnerschaft (z. B. Stellung und Rechte der Frau/ des Mannes) und/ oder (geschlechtsspezifischen) Erziehungszielen und –konzepten. Sozialpädagogen/innen stammen biographisch eher aus „Verhandlungshaushalten“, denn aus „Befehlshaushalten“, der bei Klienten eher vorzufinden ist.. Wie viel interkulturelles Wissen ist notwendig in der Arbeit und im Zugang mit und zu Familien mit Migrationshintergrund? Müssen wir uns in den kulturellen Besonderheiten von 80 Nationalitäten auskennen? Ja und nein – auf der einen Seite ist ein gewisses Maß an spezifischen Wissensbeständen bzgl. anderer Lebenswelten, kultureller Muster, spiritueller und religiöser Systeme, Geschlechterkonstruktionen etc. notwendig. Vorrangig geht es aber um interkulturelles Verständnis, um kulturelle Sensibilität. Auernheimer spricht z. B. von der kontraproduktiven Sicherheit des Verstehens. Produktives „Nicht-Wissen“ oder Nicht-Verstehen, ohnehin eine der Schlüsselqualifikationen in der sozialen Arbeit, ist, erhält im interkulturellen Kontext noch mal eine besondere Bedeutung. Kompetenzen treten in den Vordergrund, die unterschiedlichste Bilder von Gesellschaft erlauben/ ermöglichen/ gestatten/ fördern. Neue/ Andere als die üblichen verbalen Verstehensprozesse/ Prozesse des gegenseitigen Verständigens sind notwendig, um sich und andere (besser) zu verstehen, damit nicht letztlich die Unsicherheit vor dem „Anderssein“ und unsere subjektiven Bilder die Hilfe bestimmen. In der Begegnung mit den Eltern und aus Respekt vor deren eigenen biographischen- und Sozialisationserfahrungen gehört dann, paradoxerweise, die pädagogische Leitidee des "Verhandlungshaushaltes" nicht zur unhinterfragbaren Maxime zu erklären, mithin also die eigenen Überzeugungen über gewaltfreie Erziehung hinten an zu stellen. Diese Ambiguitätstoleranz und die ständige Reflexion eigener Grundüberzeugungen sind keine interkulturell spezifischen Schlüsselqualifikationen aber im Besonderen notwendige, um interkulturell angemessen kommunizieren zu können. Interkulturelle Aspekte des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung (§ 8a SGB VIII) Zur Umsetzung des Schutzauftrages durch die leistungserbringenden Dienste und Einrichtungen liegen umfangreiche Arbeitshilfen vor. Deren Handlungs- und Verfahrensempfehlungen treffen grundsätzlich auch für den Umgang mit Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung in der Arbeit mit nicht-deutschen Eltern und Kindern zu. In dem gestellten Thema ist nun die spannende Frage, ob es für die Hilfeplanung und Intervention darüber hinaus spezifische zu beachtende Aspekte gibt. Diese können u.a. sein: - Bei auftretenden Problemen ist es nicht üblich, sich außerhalb der ethnischen Community Hilfe zu holen Sprachliche Hürden können erschweren, dass Kinder sich äußern oder Erwachsene sich Hilfe holen Beratungsangebote sind unbekannt oder werden nicht verstanden, da sie in den Herkunftsländern nicht existierten November 2007 Seite 14 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ - Misstrauen gegen öffentliche Stellen aufgrund schlechter Erfahrungen im Herkunftsland Erfahrungen aus erfahrener Diskriminierung erzeugen Misstrauen gegen Beratungsangebote Es bestehen divergierende Auffassungen über die Rolle von außerfamiliären Institutionen und Instanzen wie z. B. der Schule, die Lehrer/innen Angst vor Weitergabe der Information bei ungesichertem Aufenthaltsstatus Individualistisches Vorgehen ist Menschen aus kollektivistischen Kulturen fremd. (siehe auch: Ulrike Schreck, Sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen, in: Reader Fachtagung 2005, Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche aus Familien mit Migrationshintergrund Abschätzung des Gefährdungsrisikos Bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos ist zu beachten, dass aufgrund eines hohen innerfamiliären Drucks und einer hohen Normenkontrolle Kinder und Jugendliche große Angst haben können, sich fremden Menschen anzuvertrauen. Hinzukommen können reale oder irrationale Befürchtungen über eine mögliche Abschiebung. So verhalten sie sich häufig loyal, Anzeichen von Gefährdungen sind dann schwer zu erkennen, bzw. werden geleugnet. Die "Trübungen" der Fachkräfte und eine falsch verstandene kulturelle Akzeptanz ("Das ist bei denen so!") bergen darüber hinaus die Gefahr von blinden Flecken für die Nöte der Kinder. „Insoweit erfahrene Fachkraft“ Bzgl. notwendiger Kompetenzen der sog. „Insoweit erfahrenen Fachkräfte“, die zur Abschätzung eines Gefährdungsrisikos hinzugezogen werden müssen, ist es, über mittlerweile vielfach beschriebene Qualifikationen hinaus, notwendig, dass sie spezifische Kenntnisse zu folgenden Aspekten besitzen: - Ausländerrechtliche Rahmenbedingungen Psychosoziale Folgen von Migration, Diskriminierung, Rassismus und sozialer Ungleichheit in unserer Gesellschaft Konzepte zur gesellschaftlichen Integration Interkulturelle Kompetenz und die Kompetenz, interkulturelle Handlungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen. Wird das Verfahren der Risikoeinschätzung durch standardisierte Einschätzungsbögen unterstützt, so sind diese auf interkulturelle Aspekte zu überprüfen und ggf. zu ergänzen. Kulturspezifische Differenzierungen beziehen sich wiederum nicht auf die auf das Kind einwirkenden schädigenden Faktoren oder Verhaltensweisen an sich, sondern darauf, ob kulturspezifische Aspekte in der Hilfebzw. Interventionsplanung zu berücksichtigen und zu beachten sind. Diese können sich beziehen auf die (Nicht)Anerkennung von Gefährdungsaspekten auf der Ebene der - Existenz („Mein Mann schlägt das Kind nicht!“), Bedeutung/ Umdeutung („Schläge sind notwendig, um Respekt vor Älteren zu lernen! – Das ist wichtig“) Veränderbarkeit („Da kann man nichts machen – das ist bei uns seit Generationen so!“), November 2007 Seite 15 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ - Persönliche Fähigkeit und Möglichkeit zur Veränderung („Ich kann mich da als Frau/ Mann nicht einmischen!“). Ebenfalls ist der Blick auch auf ggf. vorhandene kultur-/ communityspezifische Resilienzfaktoren zu richten. Gibt es z. B. Schlüsselpersonen in der Gemeinde, die als „Autorität“ anerkannt sind und in den Prozess der Kontaktaufnahme zu den Eltern und die Thematisierung der problematischen Situation mit einbezogen werden können? Einbeziehung der Eltern und Kinder/Informationsweitergabe an das Jugendamt Es besteht eine besondere Anforderung und ein Prüferfordernis hinsichtlich der Einbeziehung der Personensorgeberechtigen in den Prozess der Risikoeinschätzung bzw. die Entscheidung für eine angemessene Hilfe. Diese Prüfung bezieht sich darauf, ob durch die Einbeziehung der wirksame Schutz des Kindes gefährdet sein könnte. Da die Konfrontation mit Gefährdungsaspekten oder die erkennbare Tatsache, dass sich ein Familienmitglied einem Fremden anvertraut hat, eine massive kontraproduktive Reaktion auslösen kann (Rückzug, Abschottung, massive Sanktionierung wg. Loyalitätsbruch), ist ein sehr umsichtiges Handeln gefordert. Das ist kein kulturspezifisches Risiko, aber ggf. kulturspezifisch „verstärkt“. In jedem Fall verbieten sich "schnelle" Lösungen, sofern nicht eine massive und/ oder akute Gefährdung besteht. Häufig ist es sinnvoll, akzeptierte Schlüsselpersonen aus der Community anzusprechen und diese dafür zu gewinnen, den Kontakt herzustellen oder Gesprächstermine mit wahrzunehmen. Bei der Weitergabe von Informationen an das Jugendamt ist insbesondere darauf zu achten, - welche Konsequenzen eine Information vor dem Hintergrund des ausländerrechtlichen Status haben kann dass eine Entscheidung über weitere Schritte unter der Prämisse zu erfolgen hat, dass der Kontakt zu dem Kind hierdurch nicht gefährdet wird. Kinder werden in naher Zukunft zu einem erheblichen Teil in Migrantenamilien und dort überproportional in den sogenannten benachteiligten Stadtteilen aufwachsen. Das Aufwachsen von Kindern in Problemvierteln führt zu besonderen Lebensbedingungen, Belastungs- und Gefährdungslagen. Gleichzeitig besuchen Kinder mit Migrationshintergrund seltener und weniger lang Kindertageseinrichtungen, so dass sie einem wichtigen Bestandteil frühkindlicher Förderung, aber auch dem System staatlicher Aufsicht entzogen sind. Im Falle einer Kindeswohlgefährdung die geeignete Hilfe gemeinsam mit allen Betroffenen/ Beteiligten zu entwickeln, kann nur gelingen, wenn die unterschiedlichen Deutungsmuster, Gewalterfahrungen und Sichtweisen – auch eigene der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – reflektiert und verstanden werden können. Künftig wird mit Sicherheit der Milieuzugang und konkrete Fragen der Leistungserbringung als ein Teil von Professionalität an Bedeutung gewinnen. November 2007 Seite 16 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ Nach einer Pause lud Dieter Remig zum „Weltcafé“ ein: Das Weltcafé - Format ist flexibel und kann unterschiedlichen Gegebenheiten angepasst werden. Die Methode soll den kooperativen Dialog, das aktive Engagement fördern und kann konstruktiv zu Handlungsoptionen führen. Sie beinhaltet Regeln (Café – Etikette), die für jede Veranstaltung modifiziert werden können: - Fokus auf das legen, was wichtig ist Hinhören, um wirklich zu verstehen Tischmoderator als Zeitmanager und Ergebnissicherer unterstützen Kurze Wortbeiträge Neue Erkenntnisse und tiefer gehende Fragen entdecken Auf die Tischdecke kritzeln und malen Respektvoll sein: hören bei Vorträgen und sprechen bei Tischaufgaben Die Fragen für die Tischmoderation lauteten: Erste Tischrunde: „Welchen Umgang haben Sie mit Familien mit Migrationshintergrund und haben Sie Besonderheiten bei der Umsetzung des § 8 A SGB VIII wahrgenommen?“ Zweite Tischrunde: „Wie erklären Sie sich Ihre Beobachtungen? Wo würden Sie womöglich noch Handlungsbedarf sehen, z.B. in Form von Unterstützung, Fortbildung oder Vernetzungen? Was genau könnte gerade hier in Düren noch unternommen werden?“ Die GastgeberInnen/ ModeratorInnen an jedem Tisch hießen die Gäste willkommen und baten um eine kurze Vorstellungsrunde. Nach einer Klärung der persönlichen Anliegen und der Motivation zur Teilnahme wurden Erfahrungen/ Meinungen zur ersten Frage ausgetauscht und von den Teilnehmenden auf Moderationskarten festgehalten. Es fand ein reger Ideenaustausch statt. Nach der ersten Gesprächsrunde folgte ein Wechsel der TeilnehmerInnen, die „Gastgeber“ verblieben an ihren Tischen, die TeilnehmerInnen wurden zu „Reisenden.“ In der zweiten Gesprächsrunde wurden den neuen Gästen die Ideen aus der ersten Gesprächsrunde vom Moderator kurz mitgeteilt, die neuen Gäste waren aufgefordert, die Ideen und Ergebnisse ihrer vorherigen Tischgespräche ebenso einzubringen. Nach zwei Gesprächsrunden präsentierten die TischmoderatorInnen ihre Ergebnisse dem Plenum. Der Themenspeicher aus den vielen Wortmeldungen in den Gesprächsrunden des Weltcafés spiegelt die Erfahrungs- und Meinungsvielfalt der ca. 50 Teilnehmenden wider. Die eigenen Zitate, die die Teilnehmenden auf Karteikarten festgehalten hatten, werden hier zusammengefasst und unkommentiert wiedergegeben. Um einen themenzentrierten Überblick zu gewährleisten, sind die Wortmeldungen im Folgenden den Kategorien der Fragen bei den Tischrunden und einigen weiteren Kategorien zugeordnet. Umgang mit Familien mit Migrationshintergrund/ Erklärung der Beobachtungen November 2007 Seite 17 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ Beobachtungen, die PädagogInnen im Umgang mit Menschen mit Migrationshintergrund gemacht haben, schlugen sich in folgenden Erfahrungen/ Meinungen nieder: Bezogen auf Familien wurde die Meinung geäußert, Migrantenfamilien hätten eine andere Auffassung von familiären Rechten und Pflichten als die Mehrheitsgesellschaft. Familien mit Migrationshintergrund fehlten bei prophylaktischen Ansätzen und hegten Vorurteile bezüglich der Ziele des Jugendamts in Bezug auf Abschiebung, Unterbringung, Rassismus. Die Familien seien, auch wenn ein Zugang möglich ist, wenig veränderungsbereit. In Migrantenfamilien würden eher innerfamiliäre Konfliktlösungen bevorzugt, da Angst bestehe, Hilfe anzunehmen. Dies würde auch als Bloßstellen gewertet. Andererseits gebe es eine hohe Erwartungshaltung an Lösung/ Hilfestellung, wenn die Grenze einmal überschritten ist und Hilfe angenommen wird. Dann werde die Verantwortung an den Staat abgegeben. Der Staat habe in den Herkunftsländern eine andere Rolle, und die hohe Erwartungshaltung bei MigrantInnen könne nicht leicht geändert werden. An positiv bewerteten Unterschieden wurde gesagt, im Allgemeinen seien „ausländische“ Eltern oft sehr bemüht, bemühter als deutsche Eltern, und kümmerten sich intensiver um ihre Kinder (Bildung, Sprache). Es gebe aber auch sehr hohe Erwartungen der Eltern an ihre Kinder, an das „Funktionieren“ in der Schule, unauffällig sein, Leistung erbringen. Ausnahme seien hier Sinti- und Roma-Familien. Das soziale Netz bei Migrantenfamilien sei intakt, die familiären Strukturen, die Familie halte zusammen. Das bedeute aber auch Abgrenzung und es könne schon bei Anfragen an die Familie zu Problemen kommen. Ebenso kamen negative Bilder von Familien zur Sprache: der Bruch in den Familien sei häufig, dadurch entstünde der Kontakt zum Jugendamt. Es wurde auch gesagt, dass Erziehungsmethoden nach deutschem Recht häufig nicht zu tolerieren seien (Gewalt). Die bestehenden Gesetze anzuerkennen sei für Migrantenfamilien äußerst schwierig. Auch unter Migrantenfamilien gebe es Abgrenzung, wie bei Russlanddeutschen/ Baptisten. Unter Gruppen mit Migrationshintergrund bestehe eine Hierarchie, unter den Konflikten zwischen den Kulturen leideten vor allem die Kinder. Die nichtdeutschen Kinder/ Spätaussiedler blieben unter sich, grenzten sich von deutschen Kindern ab. Bei baptistischen Familien stünde die Religion im Vordergrund, sie verfügten über eigene Kindergärten, die Erziehung verlaufe aus einer Hand, bei Verstößen gebe es Berührung mit dem Jugendamt. Hier und bei Spätaussiedlern allgemein gelten restriktive Erziehungsmaßstäbe, aber die Frage blieb offen, „was dahinter steht“. Die Notwendigkeit, das andere Wertesystem zu ergründen, wurde auch hier genannt. Geschlechtsspezifische Unterschiede, die in Migrantenfamilien beobachtet wurden, kamen auch zur Sprache: Es herrsche persönliche Betroffenheit bei den PädagogInnen, wenn bei Geschwistern der Junge vor dem Mädchen bevorzugt werde. Es wurde auch gesagt, dass türkische Familien Lehrerinnen weniger akzeptierten als Lehrer. November 2007 Seite 18 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ Bezogen auf MigrantInnen im Allgemeinen hieß es, Migranten hätten ähnliche Probleme wie die Einheimischen auch, aber trotzdem besondere Bedürfnisse. Einen Zugang zu den Familien über Theorie zu gewährleisten, funktioniere in der Praxis mit Migranten nicht, es würden immer direkte Kontaktpersonen benötigt. Es gebe große Unterschiede innerhalb der Generationen und es sei schwierig, eine einheitliche Vorgehensweise in der Migrantenarbeit zu finden. Das andere System (Werte, Familie, Kultur) sei schwieriger zu verstehen und Zugang zu finden dauere länger. Es wurde eine Resistenz gegen bisherige Jugendarbeit geäußert, die mit Angst vor institutioneller Hilfe/Unterstützung erklärt wurde. Viele Kulturen/ Familien denken, es sei unter ihrer Ehre, dass sie für ihre Kinder Hilfe vom Amt in Anspruch nehmen. Dadurch seien ausländische Kinder in vielen Bereichen unterrepräsentiert. Dass die „tatsächliche“ Arbeit von Ehrenamtlichen durchgeführt werde, wurde behauptet und gleich kritisch gesehen: Ehrenamtliche aus der Community würden nicht mit dem Staat gleichgesetzt, sie würden nicht als Respektperson, sondern nur als Sprachvermittler akzeptiert. Da bei Übersetzungen aber keine nonverbale Kommunikation möglich sei, gebe es immer wieder sprachliche Barrieren zwischen PädagogInnen und Klientel. Stimmen außerhalb der kulturellen Perspektive Bei der Nennung der Probleme und Irritationen gab es verschiedene Wortmeldungen, die die kulturelle Perspektive relativierten und darauf hinwiesen, dass Gewalt in der Familie kein typisches Phänomen von Migration, sondern milieuspezifisch sei. So seien Scham und Gesichtsverlust bei Inobhutnahme gleichermaßen bei „Deutschen“ und „Migranten“ vorhanden. Besonderheiten beim Umgang mit § 8a SGB VIII Es wurde deutlich, dass durch den § 8a SBG VIII eine schnellere Herausnahme aus der Familie möglich ist, diese aber im Familienverband von Migranten nicht erklärt werden könne, da dies innerfamiliäre Konflikte mit sich bringen kann. Die Bereitschaft zur Fremdunterbringung wachse mit dem Druck von außen und innen, der Community. Die Angst vor Verlust der kulturellen Identität sei dabei groß, außerdem werde es als unehrenhaft angesehen und bedeute Gesichtsverlust, Kinder in fremde Obhut zu geben. Aus diesem Grund gebe es eher Zugang zu ambulanten Hilfen und eine Abwehr stationärer Maßnahmen. In diesem Zusammenhang gebe es Meldun-gen von Kindeswohlgefährdung eher von öffentlichen Stellen als von privater Seite. Eine wichtige Anregung für den Prozess der Gefährdungseinschätzung des Kindes-wohls wurde genannt: anstatt in dem „Ampelbogen“ nach ethnischer oder nationaler Zugehörigkeit zu fragen, sollten Fragen nach dem Aufenthaltsstatus des Kindes/ der Familie integriert und eine Kooperation von Jugendamt und Ausländerbehörde angestrebt werden. Rolle der PädagogInnen beim § 8 a SGB VIII Einige Wortmeldungen thematisierten Schwierigkeiten der Fachkräfte, die eigene Rolle bei der Inobhutnahme von Kindern aus Migrantenfamilien zu definieren. Es wurde persönliche Bedrohung der MitarbeiterInnen durch Eltern bei Meldung von Gewalt genannt. Situationen wurden als gefährlich geschildert, ein Mädchen musste November 2007 Seite 19 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ inkognito untergebracht werden. Im allgemeinen wurde eine stärkere Verunsicherung der PädagogInnen deutlich, wenn Kinder mit Migrationshintergrund auffallen. Das Angstpotential der PädagogInnen, Fehler zu machen, etwas zu versäumen, sei auch aufgrund der Reaktionen der MigrantInnen höher als bei einheimischen Familien. Innerfamiliäre Gewaltbereitschaft sei ebenso wie außerfamiliäre, z.B. gegenüber Behörden, vorhanden. Sicht der Institution Angestellte des Jugendamts fühlen sich herausgefordert, in erster Linie Übersetzungen zu gewährleisten, obwohl sie als Anbieter von Maßnahmen Kooperation mit den Familien anstreben. In Fällen von Bedrohung durch Familien mit Migrationshintergrund bemühe sich die Leitungsebene, sich schützend vor die KollegInnen zu stellen. Um den Zugang zum Jugendamt zu erhöhen, wurde vorgeschlagen, mit Institutionen und Ärzten zu kooperieren, die bei der Vermittlung helfen. Allerdings wurde auch zu bedenken gegeben, dass bei einer Steigerung von Annäherung/ Vertrauen, d.h. Vermehrung der Fälle für das Jugendamt, zu wenig finanzielle Mittel zur Verfügung stünden, um diese zu bewältigen. Ein Mangel an Ressourcen wurde auch im Bereich der Fortbildungen deutlich: Möglichkeiten zum Austausch und zu Fortbildungen im Amt seien theoretisch vorhanden, aber es gebe keine Zeit, auch im Team nicht, Unterstützung von außen anzunehmen. Von Seiten der Migrantenorganisationen wurde weitergegeben, dass diese mehr vermitteln und ihren eigenen Leuten besser helfen möchten, dass aber die persönlichen Kontakte zu Institutionen fehlen. Außerdem gebe es Verständigungsprobleme. Eine Teilnehmerin zitierte eine ehrenamtliche türkische Mitarbeiterin einer Migrantenselbstorganisation: „Wir werden nicht verstanden von den Deutschen.“ Handlungsbedarf/ Lösungen Für eine Verbesserung der Kommunikationsdefizite wurden eine Reihe hoffnungsvoller Aspekte genannt wie „Ressourcen nutzen“, „Vermeidung der Isolation“, „Lust haben, die Schwelle der Fremdheit zu überwinden“, „Neugier für das Andere“, „Vertrauen wecken/ aufbauen“, „Hilfen müssen ganz früh einsetzen“, „Intuition anwenden“, „Perspektivenwechsel ist nötig“, „Neugierig sein, offen sein“,... Konkretere Vorschläge bezogen sich auf folgende Punkte: Vertrauensbildende Maßnahmen als Standardprogramm einführen, z.B. Müttersprachkurse in Kitas; einen offeneren Dialog anregen, um den Informationsfluss auch für ausländische Familien zu gewährleisten; die Entwicklung von Konzepten zur Kooperation aller Institutionen in Kommunen, und zwar im Dialog zwischen Helfern und Klienten (Migranten) anregen. Der Dialog über geeignete Hilfen für das Kind müsse gemeinsam mit Eltern, Kind und Jugendamt geführt werden. Als hilfreich zur Herstellung einer guten Arbeitsbeziehung zwischen Fachkraft und Eltern seien Vertrauen und interessiertes Nicht-Wissen die Voraussetzung. Als Lösung für die genannten Defizite wurden eine Vernetzung in der Migrationsarbeit intern (Ämter) und extern (z.B. MSO), der interkulturelle Dialog November 2007 Seite 20 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ (präventiv), aber auch eine verbesserte kollegiale Beratung und Supervision für die PädagogInnen genannt. Situation in Düren/ Lösungsvorschläge/ offene Fragen Zur Situation in Düren wurde gesagt, dass 120 Nationen vertreten seien, dass es aber Kommunikationsdefizite zwischen MigrantInnen und der Mehrheitsgesellschaft gebe: „Die erleben uns nicht, wir erleben die nicht.“ Generell sei das gängige System in Deutschland nicht „auf das uns Zukommende“ vorbereitet. Obwohl auch gesagt wurde, die Vernetzung in Düren funktioniere ausreichend gut, wurden des Öfteren die Defizite bei der Kooperation benannt: eine kollegiale Beratung zwischen ASD und Sozialpädagogen und die Kooperation zwischen Migrationserstberatung, Jugendmigrationsdiensten und Fachdiensten für Migration müsse gefördert werden, sowie der Kontakt zu Familienzentren und Familien. In die interkulturelle Öffnung von Familienzentren wurde Hoffnung gesetzt, da die ErzieherInnen in den Kindergärten bisher nicht ausreichend vorbereitet seien. Wissensdefiziten könnten Schulungen zur interkulturellen Öffnung, im kulturellen Bereich, entgegen wirken. Die Ausbildung der ErzieherInnen, SozialpädagogInnen und LehrerInnen müsse verbessert, deren interkulturelle Kompetenzen gefördert werden. Selbstkritisch wurde angemerkt, dass die MitarbeiterInnen selbst mehr Fragen stellen müssten, um Antworten über Migrationshintergründe zu bekommen. Im Allgemeinen seien inhaltliche Fragen bisher zu wenig Thema in der alltäglichen Arbeit. Orte/ Räume, an denen diesem Defizit entgegen gewirkt werden kann, seien Stadtteilgremien, Stadtteilbegehung, Interkulturelle Woche. Im Allgemeinen wurde eine Förderung des interkulturellen Dialogs vorgeschlagen. Dieser solle zwischen Familien (deutscher und nicht - deutscher Herkunft) in den Kindergärten beginnen und mit Migrantenselbstorganisationen angeregt werden. Konzepte des Integrationsausschusses sollten aufgegriffen und umgesetzt werden. Zur Verbesserung der Chancen der Kinder mit Migrationshintergrund wurden kostenfreie Bildung, Samstagsbetreuung und qualifizierte kostenlose Lehrmittel vorgeschlagen, ebenso eine qualifizierte Ganztagsbetreuung für alle Kinder. Den Migranteneltern sollten Erziehungswerte vermittelt werden, sowohl innerfamiliäre als auch gesellschaftliche. Auch auf Sprachdefizite wurde hingewiesen, da die Verständigungsmöglichkeiten ungenügend seien. Veränderungen in der Gemeinwesenarbeit sollten das Erkennen und Nutzen von Ressourcen mit sich bringen, z.B. durch die Förderung von Ehrenamt, hier von türkischen Frauen als Familienhelferinnen. Aber auch ein offener Zugang zu den Migrantenselbstorganisationen wurde als hilfreich angesehen, z.B. in die verschiedenen Gruppen, z.B. Baptisten, hineinzugehen. Als offene Fragen blieben hier die Unkenntnis darüber, wie es den Kindern z.B. bei „ausgrenzenden Erziehungsmethoden“ von Migranteneltern gehe, wodurch deutlich wurde, dass die Kenntnis auch der Kinder und ihrer Gedanken und Gefühle gering ist. Ob der Maßstab für den Umgang mit den Familien gleichermaßen für deutsche und Migrantenfamilien angelegt werden könne, solle, blieb auch als unbeantwortete Frage stehen. November 2007 Seite 21 von 22 Fachtagung „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ Fazit Zusammenfassend kann hier festgehalten werden, dass es viele verschiedene Beobachtungen zu Familien mit Migrationshintergrund gab, die Fragen aufwerfen. Es besteht oft Ratlosigkeit beim Umgang mit diesen Beobachtungen, insbesondere in Bezug auf das Verstehen dieser und mit der eigenen Rollendefinition. Die Distanz zwischen BetreuerIn und Klienten ist oft groß. Der Dialog zwischen den verschiedenen Institutionen untereinander und zu den Familien ist unzureichend. Deutlich wird jedoch auch, dass die Liste der Lösungsvorschläge und konstruktiven Ideen ebenso lang wie die der Problemschilderungen ist. Die Wortbeiträge sprechen für sich: es fehlt an Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit interkulturellen Themen, mit der eigenen Rolle im Umgang mit Migrantenfamilien und an Wissen über Migrationshintergründe. Als Lösung für Düren wurde von den Teilnehmenden wiederholt eine bessere Vernetzung und Kooperation mit den Migrantenselbstorganisationen und Migrantenfamilien durch Förderung des interkulturellen Dialogs vorgeschlagen. Diesen Aspekt griffen auch die beiden Redner auf, die zum Ende der Veranstaltung ein Resümee zur Fachtagung gaben. Die Leiter des Kreisjugendamtes Düren, Gregor Dürbaum, und des Stadtjugendamtes Düren, Manfred Savelsberg, würdigten die Veranstaltung als eine der ersten zum Themenbereich „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“. In der ihnen eigenen humoristischen Weise betonten sie, dass so eine 11-Jahres – Feier wie zum heutigen Tag auch nur im Rheinland stattfinden könne und dass sie sich freuen, durch diese Veranstaltung gelernt zu haben, dass sich hinter der Abkürzung IzIKÖ ein Institut verbirgt, das Unterstützung bei interkultureller Öffnung leistet. Die Tatsache jedoch, dass trotz gezielter und breit gestreuter Einladungen an Migrantenselbstorganisationen keine Vertreter dieser erschienen sind, wurde als Aufforderung gewertet, in Düren die Kooperation und Vernetzung der Institutionen, die auch von vielen TeilnehmerInnen als verbesserungswürdig eingeschätzt wurde, voranzutreiben. Der Sommerberg AWO Betriebsgesellschaft mbH dankt allen Teilnehmenden für das Interesse an dieser Fachveranstaltung und für die engagierten Beiträge zum „Kinderschutz im interkulturellen Dialog“ in Düren. November 2007 Seite 22 von 22