Hans Garten Lehrbuch Applied Kinesiology

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Hans Garten
Lehrbuch Applied Kinesiology
Extrait du livre
Lehrbuch Applied Kinesiology
de Hans Garten
Éditeur : Elsevier Urban&Fischer Verlag
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2.
2.1.
Manuelle Muskeltestung
die neuromuskuläre Spindelzelle kontrolliert und eine
angemessene Umsetzung der Afferenz, die dem Zentralnervensystem von der Spindelzelle zugeht. Der
manuelle Muskeltest ist so zu beschreiben, dass der
Untersucher den Patienten auffordert, dem Testdruck
des Untersuchers zu widerstehen. Wenn der Untersucher seinen Testdruck ausübt, wird ein „Sperren" des
Muskels wahrgenommen. Wenn dieses Sperren auftritt,
erhöht der Untersucher den Testdruck minimal über die
isometrische Kontraktion des Patienten hinaus und
führt so den Muskel in eine exzentrische Kontraktion
über. D. h., der Muskel wird durch den Testdruck verlängert, während der Patient weiterhin versucht, dies zu
verhindern. Es scheint bei dieser Art des Tests der entscheidende Faktor zu sein, ob das Nervensystem des
Patienten den Muskel so steuern kann, dass er an die
Veränderungen des Testdrucks angepasst werden
kann und gegen diesen sperren kann."
Allgemeine Vorbemerkungen
Der manuelle Muskeltest soll hier so beschrieben werden, wie er in der Applied Kinesiology angewandt wird,
da die Verwendung dort dem Konzept einer funktioneilen manuellen Medizin und darüber hinaus einer ganzheitlichen Diagnostik und Therapie im Sinne der „Triad
of Health" (s. Kap. 1.4.) voll und ganz entspricht. Da die
manuellen Muskeltests der Applied Kinesiology von
GOODHEART und anderen jedoch vom manuellen
Muskeltest nach KENDALL abgeleitet sind, soll zunächst
eine vergleichende Betrachtung des Themas erfolgen,
zumal das Buch von KENDALL & KENDALL (1983) gerade in
der Beschreibung der Grundlagen des manuellen Muskeltests interessante Details vermittelt.
Die erste Beschreibung dieser manuellen Muskeltests
durch KENDALL & KENDALL geht auf das Jahr 1952 (KENDALL:
Functional Muscle testing) zurück. Das Ehepaar KENDALL
verweist im Vorwort zur ersten Auflage ihres Buches auf
Dr. ROBERT LOVETT als Referenz für die Erstbeschreibung der
heute gebräuchlichen Muskeltests. LOVETT veröffentlichte
1916 „Methodof Muscle Testing" (in KENDALL, 1983).
Es geht beim Muskeltest in der Applied Kinesiology also
keineswegs um die absolut entwickelte Kraft, sondern
um die Adaptations- und Reaktionsfähigkeit des Muskels, d. h., um die Überprüfung der normalen Funktionsfähigkeit der sensomotorischen Einheit (s. Kap. 12.2).
Um weiter WALTHER (1988) zu zitieren:
& KENDALL entwickelten den manuellen Muskeltest zur Befunderhebung und Verlaufskontrolle bei der
Behandlung von neuromuskulären Störungen und Erkrankungen des Bewegungsapparates. Auch andere
Autoren verfolgten dieses Konzept (COLE, 1988.JANDA,
1994, DANIELS u. WORTHINGHAM, 1986).
KENDALL
„In der Applied Kinesiology werden die Ergebnisse des
manuellen Muskeltests als .Stärke' und .Schwäche' von
Muskeln beschrieben. Der Begriff Schwäche impliziert,
dass der Muskel unfähig ist, Kraft zu entwickeln. Unterschiedliche Arten von Muskelkrafttestung belegen,
dass dies in einigen Fällen richtig ist, in anderen falsch.
Die manuelle Muskeltestung, wie sie in der Applied Kinesiology praktiziert wird, erfordert die Kontraktion
des getesteten Muskels gegen den Testdruck des Untersuchers. Der Untersucher erhöht den Testdruck, bis der
Muskel von isometrischer in exzentrische Kontraktion
übergeht. Eine exzentrische Kontraktion ist gekennzeichnet durch Kraftentwicklung des Muskels bei
gleichzeitiger Verlängerung, da die Gegenkraft stärker
ist als diejenige, die vom Muskel aufgebracht wird. Daher wird tatsächlich in der manuellen Muskeltestung
der Applied Kinesiology die Fähigkeit eines Muskels,
gegen den Testdruck zu .sperren', bestimmt. Wenn der
Muskel eine schlechte Fähigkeit zu .sperren' hat,
wird er vom Untersucher als schwach wahrgenommen. Daher wurde der Terminus .schwacher Muskel' in
der Applied Kinesiology eingeführt. Manchmal ist der
Muskel tatsächlich schwach; andere Testmethoden
zeigen jedoch, dass der Muskel oft die Möglichkeit
hat, normale Stärke zu entwickeln..."
BeimTest nach KENDALL wird die Fähigkeit des Muskels bewertet, gegen die Schwerkraft und gegen den Widerstand
eines Untersuchers Kraft zu entwickeln. Dabei wird die
Muskelkraft in Prozent vom Normalen bewertet. 100% ist
die Fähigkeit, die Testposition gegen die Schwerkraft und
maximalen Druck zu halten. Das Problematische dieser
Bewertung ist augenscheinlich die Definition von „normal". KENDALL& KENDALL beziehen die Normalwerte auf die
Norm Erwachsener. Das führt dazu, festzustellen, dass
nach diesem Bezugssystem die ventralen Halsmuskeln
bei einem dreijährigen Kind einen Wert von ca. 30%, bei
einem fünfjährigen Kind einen Wert von ca. 50% erreichen, um im Alter von 10 bis 12 Jahren allmählich auf den
Normwert von 100% anzusteigen (KENDALL, 1983).
Im Gegensatz dazu ist für den manuellen Muskeltest in
der Applied Kinesiology nicht die absolute Kraft das
entscheidende Kriterium, sondern es handelt sich um
eine Prüfung der normalen Funktion der neuromuskulären Rückkoppelung bzw. der Adaptationsfähigkeit des
neuromuskulären Systems. Schon in der ersten Auflage
der „Synopsis" schreibt WALTHER (1988): „Beim manuellen Muskeltest muss sich der Muskel an den sich verändernden Testdruck des Untersuchers anpassen. Dies erfordert effektive Funktion des Gammasystems, welches
Ein Muskel, dessen Kontraktion nicht adäquat an die
äußeren Erfordernisse angepasst werden kann, unterliegt meist inhibitorischen nozizeptiven Afferenzen.
Diese störenden Impulse führen dazu, dass der Muskel
die Fähigkeit verliert, zu „sperren".
13
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Herausgeber: Elsevier Urban & Fischer
Leseprobe erstellt vom Narayana Verlag, 79400 Kandern, Tel: 0049 (0) 7626 974 970-0
2. Manuelle Muskeltestung
Die Klassifikation von .schwachen' und .starken' Muskeln ist in diesem Buch konsequenterweise verlassen
worden, zumal eine dritte Qualität zu differenzieren ist:
Der nicht inhibierbare Muskel (s. Kap. 2.3).
In der Folge wird der Versuch unternommen, Erklärungsmodelle für die Muskeltestreaktionen zu liefern (s. u.).
2.2.
Manueller Muskeltest
in der Applied Kinesiology (AK)
Definition
Der Muskeltest der Applied Kinesiology ist ein vom Patienten gestarteter isometrischer Muskeltest, der für
jeden Muskel in definierter Position durchgeführt wird.
Diese ergibt sich daraus, dass der getestete Muskel gegenüber seinen Synergisten im Vorteil sein muss. Der
diagnostische Testdruck wird bei Erreichen der
Maximalkraft des Patienten ausgeübt. Er führt die isometrische Kontraktion in eine exzentrische über. Der
Patient muss die Möglichkeit haben, seine Maximalkraft zu erreichen. Der Untersucher darf diese nur
zeitgerecht und um ein minimales Maß beim Erbringen
des diagnostischen Testdrucks überschreiten. Jeder
Test bei nicht maximaler Kraft des Patienten ist nicht
reproduzierbar.
Der gesamte Test sollte nicht länger als drei Sekunden
dauern, da die maximale isometrische Kraft nicht länger
ohne Ermüdung gehalten werden kann. Ein Muskel, der
der zunehmenden Kraft des Untersuchers widerstehen
kann, d.h., die Testposition auch bei Ausübung der
minimalen zusätzlichen Kraft des Untersuchers halten
kann, wird als „stark" wahrgenommen. Ein Muskel,
der zu irgendeinem Zeitpunkt bis zum Erreichen der
potenziellen maximalen isometrischen Kontraktion oder
nach Erreichen der maximalen isometrischen
Kontraktion bei Ausübung des geringen zusätzlichen
Testdrucks durch den Untersucher die Testposition nicht
halten kann, wird als „schwach" wahrgenommen.
Bedingungen, Fehlerquellen und
Vorsichtsmaßnahmen des Muskeltests
„Isolierung" des Hauptagonisten
Die manuelle Muskeltestung verlangt ein umfassendes
und detailliertes Wissen der Muskelfunktionen, d.h.,
die Kenntnis der Mechanik der Gelenke, die durch den
Muskel bewegt werden, über Ursprung und Ansatz,
über Synergisten und Antagonisten. Praktisch jede Bewegung wird durch einen Hauptagonisten und Synergisten desselben ausgeführt.
Beim manuellen Muskeltest geht es darum, durch Positionierung des Körperteils, der vom Muskel bewegt wird,
sowie Optimierung der Kontraktionsfähigkeit des Muskels durch optimale Wirklänge, den zu testenden Muskel
von seinen Synergisten zu „isolieren" (s. auch Kap. 12.2.).
Durchführung
Die Extremität oder der Körperteil, der von dem zu testenden Muskel bewegt wird, wird in eine definierte
Ausgangsposition gebracht, die in der Regel Ursprung
und Ansatz des Muskels so weit annähert, dass dieser
sich in einer Position maximalen Wirkungsgrades befindet (s. Kap. 12.2). Die Ausgangspositionen der einzelnen Muskeltests gehen meist auf KENDALL & KENDALL
(1949) zurück, teilweise sind sie von Mitentwicklern
der Applied Kinesiology beschrieben worden (BEARDALL,
1980,1985 und andere).
Der Untersucher nimmt mit seiner Hand weichen Kontakt zum distalen Ende des Körperteils auf. Punktueller
Kontakt besonders zu knöchernen Vorsprüngen muss
vermieden werden, um zu verhindern, dass beim Test
Schmerz ausgelöst wird.
Dem Patienten wird die Richtung erklärt, in der er den
Körperteil mit maximaler Kraft gegen den gehaltenen
Widerstand des Untersuchers drücken oder ziehen soll
(Abb. 2.1).
Der Untersucher passt seinen gehaltenen Widerstand der
kontinuierlich zunehmenden Kraft des Patienten an und
hält den Test damit isometrisch. Wenn er spürt, dass keine weitere Kraftzunahme erfolgt, d. h. der Patient seine
maximale isometrische Kraft erreicht hat, erhöht der
Untersucher allmählich während einer Zeit von maximal
einer Sekunde seinen Druck geringfügig, was die isometrische Kontraktion in eine exzentrische (s. Kap. 12.2) überführt, wobei die Verlängerung des getesteten Muskels zu
einer Gelenkbewegung von wenigen Grad führen soll.
Der Druckvektor des Untersuchers muss genau der Tangente an den Kreisbogen folgen, den der Körperteil bei
Kontraktion des Muskels beschreibt.
Testvektor
Dies geschieht in erster Linie dadurch, dass Ursprung
und Ansatz des Muskels so eingestellt werden, dass der
Testdruck genau senkrecht zum Hauptfaserverlauf des
Muskels und entlang des Kreisbogens verläuft, der vom
Abb. 2.1: Test des M. deltoideus: Vektor der Kontraktion,
Vektor des Gegendrucks
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2. Manuelle Muskeltestung
distalen Anteil der Extremität, die vom Muskel bewegt
wird, beschrieben wird. Da kein zweiter Muskel denselben maximalen Wirkvektor hat, wird hiermit eine
Bevorzugung des getesteten Muskels erzielt. Der Testvektor wird durch den Kontakt der flachen Hand bestimmt, d. h. nie die Extremität umfassen. Der Auflagewinkel der Hand ist ein klares sensorisches Signal, das
auch durch ein verbales Kommando wie „schräg nach
oben", „zum Körper und etwas nach hinten" etc. niemals adäquat ersetzt werden kann.
trem verschlechtert wird. Dies ist damit zu begründen,
dass zweigelenkige Muskeln wie die Ischiokruralen und
auch die Fingerflexoren nicht in der Lage sind, sich genügend zu verkürzen, um bei Ausschöpfung des Bewegungsausmaßes beider Gelenke effizient zu kontrahieren (aktive Insuffizienz, O'CONNELL u. GARDNER, 1972).
Kontrolle der Testposition
Der Körperteil, der vom zu testenden Muskel bewegt
wird, muss vom Untersucher in die genau definierte
Ausgangsposition gebracht werden, soweit dies immer
Beispiel
Der M. psoas ist Hauptflexor der Hüfte und wird in 30°
Abduktion, 45° Flexion und maximaler Außenrotation
der Hüfte getestet, was diesen Muskel gegenüber dem
zweiten Hauptflexor M. rectus femoris in Vorteil bringt,
der seinen maximalen Wirkungsgrad bei 90° Flexion in
der Hüfte, 0° Abduktion und 0° Rotation hat (Abb. 2.2
und 2.3).
Einstellung der optimalen Wirklänge
Um die Funktion eines eingelenkigen Muskels von der
eines mehrgelenkigen abzugrenzen, wird der mehrgelenkige Muskel in eine Stellung gebracht, die seine
Kontraktionsfähigkeit erschwert. Am Beispiel hierfür ist
die Testung des M. glutaeus maximus als Extensor der
Hüfte (Abb. 2.4). Die kräftigen Synergisten mediale und
laterale Hamstrings (ischiokrurale Muskulatur) werden
durch Flexion im Kniegelenk aus dem Test herausgenommen, da durch die damit erreichte maximale Verkürzung der Wirkungsgrad dieser Muskelgruppe ex-
Abb. 2.3: Test des M. rectus femoris im Sitzen
l
Abb. 2.2: Testung des M. psoas im Sitzen
Abb. 2.4: Testung des M. gluteus maximus
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2. Manuelle Muskeltestung
möglich ist. Eine Ausnahme stellen Situationen dar, in
denen durch muskuläre oder kapsuläre Einschränkungen der Gelenkfunktion das Einnehmen einer standardisierten Ausgangsposition nicht möglich ist. In dieser
Situation muss ein annähernder Test durchgeführt werden und das Ergebnis entsprechend der Kenntnis der
Funktion der Synergisten extrapoliert werden. Von
einem Test zum nächsten darf die Position nicht
verändert oder nur kontrolliert verändert werden, wenn
der Einfluss einer bestimmten Körperposition auf die
Muskelfunktion untersucht werden soll („Challenge"
oder diagnostische Provokation, s. Kap. 3). Dies
bedeutet mit anderen Worten, dass bei bestimmten
Fragestellungen spezifische Körperpositionen eingenommen werden müssen, die vom Standard abweichen, dass hierbei aber ganz besonders die Anatomie
von Ursprung und Ansatz sowie der Wirkvektor der einzelnen Muskeln berücksichtigt werden muss.
Sicherstellung der Stabilisierung
Der Patient muss während des Muskeltests optimal stabilisiert werden, d. h. durch die Schwerkraft auf der Liege liegend, die Abstützung durch den Untersucher bzw.
durch eine Stuhllehne oder dergleichen, da ansonsten
während des Testens zu viele Muskeln zur Körperstabilisierung rekrutiert werden müssen. Ein Patient, der
unbewusst das Gefühl hat, durch den Testdruck „vom
Tisch zu fallen" oder „umgeschmissen zu werden" wird
natürlich nicht die Bedingung erfüllen, seine maximale
Kraft aufzubringen.
Verhinderung von Rekrutierungen
Bei Muskeldysfunktion im Sinne einer funktionellen
Schwäche werden von dem Patienten unbewusst Ausweichbewegungen ausgeführt, die zu einer Abweichung
vom optimalen Wirkvektor des zu testenden Muskels
führen und den Wirkungsgrad synergistischer Muskeln
verbessern. Beispielsweise wird bei einem funktionell
schwachen Deltoideus vom Patienten im Sitzen gerne
der Oberkörper zur Gegenseite des Tests geneigt, um
damit einen verbesserten Wirkungsgrad des synergistischen M. supraspinatus, der bis 30° (Abb. 2.5) Abduktion der Hauptagonist ist, zu erreichen. Dasselbe geschieht bei Testung des M. glutaeus medius in Rückenlage: Wenn dieser funktioneil schwach ist, wird die
kontralaterale Beckenseite angehoben, d. h. eine Innenrotation der getesteten Hüfte ausgeführt, welche den
synergistischen M. tensor fasciae latae zu einem besseren Wirkungsgrad verhilft. Alle Ausweichbewegungen
müssen durch entsprechende Stabilisierung des Patienten verhindert werden (Abb. 2.6). Zu den
Rekrutierungen gehört auch das Abwinkein einer
Extremität, die beim Test eigentlich gestreckt gehalten
werden muss: Beispiele sind der Test des Latissimus
dorsi, wo bei Schwäche der Bizeps rekrutiert wird, oder
des M. pectoralis major, wo ebenfalls der Ellenbogen bei
Schwäche gebeugt wird (Abb. 2.7). In diesen Fällen ist
der Test nach erneuter Aufforderung des Patienten zu
wiederholen. Bei der Beschreibung der einzelnen Muskeltests in Kap. 11. wird gesondert hierauf hingewiesen.
Abb. 2.5: Rekrutierung beim Test des M. deltoideus durch
Seitabweichung
Abb. 2.6: Rekrutierung bei Test des M. glutaeus medius
durch Beckenrotation
Das „Timing"
Am Beispiel des rechten Deltoideus: Nachdem der rechte
Arm vom Behandler im Ellenbogen flektiert 90° abduziert in die richtige Ausgangsposition gebracht wurde, dort gehalten wurde und dem Patienten erklärt wur-
Abb. 2.7: Leichte Beugung des Ellenbogens beim PectoralisTest führt zu Testverfälschung
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10. Muskeldysfunktion und ihre Therapie
(H. Garten)
10.1.
stellt, die miteinander zusammenarbeiten und für eine
optimale Gesamtfunktion sorgen. Wenn alle Funktionsaspekte, die mit einem Muskel assoziiert sind, vollständig untersucht werden, wird deutlich, dass der Muskel
durch alle Systeme beeinflusst wird. Solche systemischen Einflüsse wurden in Kapitel 6 angerissen in GARTEN und Weiss (2007) ausführlich dargestellt.
Allgemeines
Die Applied Kinesiology wurde als primär manualmedizinische Methode entwickelt. Dies entspricht ihrem
Ursprung im Berufsstand der Chiropraktoren. 1965 war
das eigentlich Neue am Vorgehen von GEORGE GOODHEART,
dass er sich die Frage stellte, mit welchen Mitteln die
Funktion eines Muskels, der als funktionell schwach imponiert, verbessert werden kann. Hierzu gehört das Konzept, dass bei der Ausbildung von osteomuskulären
Funktionsstörungen der inhibierte, funktionsgestörte
Muskel die primäre Störung darstellt und der Hypertonus bzw. die Verkürzung ein Folgezustand der Antagonisten ist. Folglich hat sich nach diesem Konzept die primäre therapeutische Bemühung nicht auf den hypertonen
bzw. verkürzten Muskel zu richten (durch Dehnung, Entspannung usw.). Vielmehr muss der Versuch gemacht
werden, den inhibierten Muskel in seiner Funktion zu
normalisieren. In der klinischen Praxis wird tatsächlich
beides notwendig sein: Normalisierung der durch manuelle Testung definierten hyporeaktiven Muskeln und
Entspannung, Dehnung und myofasziale Behandlung
hypertoner Strukturen ergänzen sich entsprechend
Indikation. Der Gegenstand dieses Buches ist es naturgemäß primär, die spezifischen Techniken der Applied
Kinesiology zur „Stärkung" eines „schwachen" Muskels
darzustellen. Die Techniken zur Entspannung und Dehnung von hypertonen, verkürzten Muskeln werden jedoch integrativ dargestellt und können in aller Ausführlichkeit in vielen anderen Büchern nachgelesen werden.
Grundsätzlich kann man die möglichen Ursachen für
Muskelfunktionsstörungen in „intramuskuläre Ursachen" und „extramuskuläre Ursachen" untergliedern, wie
weiter vorn bereits angedeutet wurde (s. auch Abb. 4.1).
l Extramuskuläre Ursachen für Muskeldysfunktion
Die extramuskulären Ursachen sind alle diejenigen,
die von außerhalb der anatomischen Einheit des
Muskels und seiner Sehnenansätze auf den Muskel
einwirken.
• Systemische Ursachen
Diese betreffen die chemische Seite und die emotionale Seite der Triad of Health (s. Kap. 6): Herd- und
Störfeldbelastungen, Injury-Muster Allergischtoxische Belastungen inkl. Dysbiosen Störungen des
Säure-Basen-Haushaltes Emotionaler Stress
Störungen der neurologischen Integration (s. Kap. 12).
• Die sieben Faktoren des viszerosomatischen Sys
tems
Dies sind spezifische, dem Muskel zugeordnete extramuskuläre Faktoren, die in systematischer und
vorhersehbarer Art die Muskelfunktion beeinflussen.
Hierzu gehören:
1. Vertebrale Läsion
assoziiertes motorisches Segment
assoziiertes viszeroparietales Segment
2. Assoziierter Neurolymphatische Reflexzonen
3. Assoziierter Neurovaskuläre Reflexzonen
4. Spannungen der Dura mater/Störungen der Zirku
lation des Liquor cerebrospinalis
5. Assoziierte Akupunktur-Leitbahn
6. Assoziiertes Organ
7. Assoziierter Nährstofffaktor
Über die im vorhergehenden Absatz geschilderten manualmedizinischen Aspekte hinaus hat sich die Applied
Kinesiology zu einem allgemeinmedizinisch diagnostischen und therapeutischen Werkzeug entwickelt. Es
steht dann nicht mehr primär die Funktion des getesteten Muskels für die Bewegung und Stabilisierung von
knöchernen Strukturen im Vordergrund, sondern der
Muskel auf Grund seiner Funktionsbeziehungen zu Organen. Für Stoffwechselvorgänge und andere Körperfunktionen kann der Muskel sozusagen als äußerer Indikator innerer Prozesse verwendet werden.
Das Verständnis für die tatsächliche Natur der Beziehungen zwischen physiologischen Prozessen und anatomischen Strukturen des menschlichen Körpers hat nicht
nur in den etablierten Kenntnissen der Neurologie, Anatomie und Physiologie ihre Quellen, sondern muss auch
in den Bereichen der Quantenphysik und verwandter
Theorien aus der biologischen Medizin (PISCHINGER, NORDENSTROEM et al., siehe Kap. 3) gesucht werden. Die
klinische Erfahrung hat gezeigt, dass der Muskeltest nur
eine von verschiedenen Möglichkeiten des Zugangs zu
dem Netzwerk von Strukturen und Systemen dar-
• Rezeptorstörungen an den vom Muskel bewegten
Gelenken
• Spondylogenes Reflexgeschehen
• Weitere Reflexbeziehungen
Hautrezeptoren Kraniale
Stressrezeptoren Fuß- und
Hand-Reflexe
211
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10. Muskeldysfunktion und ihre Therapie
l Intramuskuläre Ursachen für Muskeldysfunktion
10.2. Extramuskuläre Ursachen für
muskuläre Funktionsstörungen
Unter intramuskulären Ursachen kann man sämtliche
Störungen der Struktur des Muskelsehnenapparates
sowie der propriozeptiven Funktionen des Muskels
subsummieren, ebenso wie Störungen des eigentlichen
Muskelstoffwechsels. Im Einzelnen müssen folgende
Störungen und therapeutische Techniken beachtet
werden:
• Muskel-Propriozeptoren-Störungen
Golgi-Sehnenapparat: Ursprungs- und Ansatz-Tendinosen.
Therapeutisch: Origin-Insertion-Technique
Muskel-Spindel (inkl. „reaktive Muster")
• Strain-Counterstrain-Läsion
Rib-Pump-Technique
• Myofasziale Störungen, muskulärer Hypertonus
Trigger-Punkte und Faszienstörungen
Myofasziale Gelose
• Aerobe/anaerobe Dysfunktion
• Repeated Muscle Activation Patient Induced
(RMAPI)
Beispiel orthopädische Anwendung
Bei einer orthopädischen Erkrankung, wie einem
Schulter-Arm-Syndrom, werden sämtliche Muskeln der
Schulter getestet. Wenn der Pectoralis major sternalis
hyporeaktiv ist, stellt er eine reproduzierbare Dysfunktionskomponente dieses Beschwerdebildes dar. Dann
stellt sich primär die Frage, „was hilft dem Muskel": Die
sieben Faktoren des viszerosomatischen Systems sind
sämtliche zu testen und dann zu behandeln. Die in der
Osteopathie bekannte Tatsache, dass Leberdysfunktionen zu Schulterbeschwerden führen können, findet hier
ein testbares Korrelat.
Daneben werden sämtliche „intramuskulären" Ursachen behandelt. Diese sind vor allem bei Sportverletzungen regelmäßig zu finden.
Beispiel internistische Anwendung
Die Funktionsbeziehungen können auch diagnostisch
genutzt werden. So kann bei einer primär internistisch
orientierten Behandlung z.B. zur Funktionsdiagnostik
der Leber über die Erhebung von Laborbefunden hinaus
die Testung des assoziierten M. pectoralis major sternalis (PMS) benutzt werden, dessen mögliche Dysfunktion
mit der Leberdysfunktion korreliert. Die Korrektur der
Wirbelsäulensegmente, die in viszerosomatischer Reflexbeziehung zur Leber stehen (Th 8 und andere) sowie
die Behandlung kutaner Reflexzonen, die im viszerosomatischen Segment liegen (Neurolymphatische Reflexe,
s.u.) werden die Leberfunktion verbessern. Ausgehend
von der Dysreaktion des PMS können sehr spezifisch
Lebertherapeutika getestet werden: Führen diese bei
oraler Testung zur Normoreaktion des PMS, so ist vorhersehbar, dass das Mittel „nicht nur dem Muskel
nutzt", sondern vor allem auch der Leber.
Die Strategie bei der Anwendung der einzelnen Techniken wird am Ende dieses Kapitels zusammengefasst
(Kap. 10.4).
Muskeln haben Funktionsbeziehungen zu weiteren
Strukturen, die demselben „Segment" angehören. Der
Begriff Segment ist in diesem Zusammenhang nicht als
eine strenge anatomische Struktur anzusehen, sondern
eher als eine Gruppe von anatomischen Entitäten, die
miteinander in funktionellem Bezug stehen und ein
„funktionelles Segment" oder ein „Funktionssystem"
bilden. Die genannten Funktionsbeziehungen wurden
in den Anfangsjahren der Applied Kinesiology von
GOODHEART zum großen Teil durch systematische Untersuchungsreihen empirisch gefunden und untermauert.
Die Faktoren segmentaler Nerv (motorisch und sympathisch), Neurolymphatischer Reflex, Neurovaskulärer
Reflex, Dura mater und Akupunktur-Leitbahn wurden
von GOODHEART als die „Fünf Faktoren des Intervertebralforamens" (WALTHER, 1981) bezeichnet. Angesichts der
Tatsache, dass in den Anfangsjahren der Applied Kinesiology die meisten Anwender der Methode Chiropraktoren waren, ergab sich eine verständliche Tendenz, die
Muskeltestbefunde mit der Wirbelsäulenmechanik und
ihrer Neurologie in Verbindung zu bringen und die Nomenklatur entsprechend zu wählen. Dies entsprach der
traditionellen chiropraktischen Vorstellung des „Nerve
impingement" (PALMER, 1910) am Foramen intervertebrale (Abb. 10.2).
Daneben gibt es, wie bereits erwähnt, zusätzliche Reflexmechanismen, die den Muskel von außerhalb seiner
anatomischen Strukturen beeinflussen.
10.2.1.
Die sieben Faktoren des viszerosomatischen
Systems (Abb. 10.1. bis 10.3)
10.2.1.1. Störungen der segmentalen Innervation
des Muskels
Störung des motorischen Segments
Die vertebrale Läsion ist sicher die bedeutendste Funktionsstörung, die zu muskulärer Dysfunktion führt. In
Kap. 7.3.6. wurden verschiedene Modelle zum Charakter
einer vertebralen Läsion und ihren Auswirkungen beschrieben. Danach liegt es nahe, dass ein Muskel, der seine motorische Innervation aus einem gestörten Wirbelsäulensegment erhält, eine Funktionsstörung aufweist.
Diese Funktionsstörung imponiert praktisch immer als
funktionelle Schwäche, d. h. als Hyporeaktion im manuellen Muskeltest. Dies steht nicht im Widerspruch
zum palpatorisch feststellbaren Hypertonus der autochthonen (intrinsischen) Wirbelsäulenmuskulatur (s.u.),
deren Ursprung bzw. unterhaltender Mechanismus
ebenfalls die Nozireaktion im Segment sein dürfte. Auch
schmerzhafte hypertone Reaktionen der langen, willkürlich innervierbaren Muskulatur und das spondylogene Reflexgeschehen mit seinem Hypertonus widersprechen dieser Erfahrung nicht, da zwischen muskulärer Hyporeaktion im manuellen Test der Applied Kinesiology und einem neuromuskulären Hypertonus zu
unterscheiden ist (s. Kap. 2).
Ein typischer Befund ist der schmerzhaft verspannte
M. levator scapulae bei Funktionsstörungen der Segmente C l bis C4. Dieser Muskel bildet bei Persistieren
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10.
Muskeldy
Abb. 10.2: Die Fünf Faktoren des Intervertebralforamens nach GOODHEART: Segmentaler Nerv (motorische, ventrale und sensible, dorsale Wurzel) sowie Spinalganglion, begleitende Arterie und Vene, Dura-Ausstülpung. Lymphgefäße sind nicht gezeichnet. Der Assoziationspunkt (Zustimmungspunkt, Rücken-Shu-Punkt) der Akupunkturleitbahnen liegt in der Nähe des Foramens (s. Abb. 9.22).
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10. Muskeldysfunktion und ihre Therapie
dem viszeroparietalen oder viszerosomatischen Segment des Organs (der Ebene des sympathischen Grenzstranges). Im Beispiel ist die Lunge auf der Höhe Th3
mit dem sympathischen Grenzstrang verbunden, die
Leber auf der Höhe Th 8. Benachbarte Segmente sind
meist mit betroffen. Diese Beziehungen wurden von
REES (in WALTHER, 2000) beschrieben, der die sog. Temporosphenoidal-Linie (TS-Line) als Korrelat von viszeraler Dysfunktion und vertebraler Dysfunktion beschrieb.
GOODHEART stellte die Zusammenhänge zwischen Organdysfunktion und Muskeldysfunktion her, sodass die TSLine als Korrelat einer Muskeldysfunktion und vertebraler Dysfunktion uminterpretiert wurde (Abb. 10.3).
der segmentalen Irritation häufig ein myofasziales
Syndrom mit Triggerpunkten aus und ist beim Testen
entsprechend schmerzhaft. Allein die Schmerzhaftigkeit macht anschaulich, warum eine segmentale Funktionsstörung bevorzugt mit Hyporeaktion (funktionelle
Schwäche) des Muskels im Test assoziiert sein dürfte.
Sollte ein Muskel, der segmental einer vertebralen Läsion zugeordnet ist, hyperreaktiv testen, so ist eine nicht
strukturelle Stresskomponente zu vermuten, beispielsweise chemischer Stress, manchmal emotionaler Stress.
Neben der mechanischen Störung durch Nozizeption
auf der Ebene der motorischen Wurzel kann die Funktionsstörung des peripheren Muskels durch lymphatische Kongestion, zirkulatorische Störungen, Dysbalancen der Akupunktur-Leitbahn oder seine somatoviszeralen Bezüge und Nährstoffdysbalancen verursacht
sein. Diese Effekte überlagern sich gegenseitig, sodass
eine muskuläre Hyperreaktion auch bei vertebraler Läsion als Hauptursache auftreten kann.
Praktische Anwendung der TS-Linie
Der Patient liegt auf dem Rücken und der Untersucher
palpiert mit kreisender, relativ fester Massage mit den
Kuppen der Mittelfinger an beiden Schläfen des Patienten vergleichend die Punkte, wo eine TS-Linien-Reaktionsstelle zu vermuten wäre. Diese ist empfindlich bis
schmerzhaft und etwa reiskorngrofs'. Wenn eine solche
Stelle gefunden wurde, wird der vermutlich dazu assoziierte Muskel getestet. Ist dieser hyporeaktiv, führt der
Patient eine Therapielokalisation zur Reaktionsstelle
durch. Wenn diese mit der Muskeldysreaktion zusammenhängt, wird der Muskel bei TL normoreaktiv. Nach
GOODHEART wird die TS-Line nur diagnostisch verwendet,
um ein gestörtes Segment bzw. einen gestörten Muskel
zu finden, eine Therapie dieser Punkte entsprechend
Störung des viszeroparietalen Segments
Wie in Kap. 9 und 12 beschrieben wird, kann es bei Organläsionen zu viszerosomatischen Begleitreaktionen
an den zugeordneten Wirbelsegmenten kommen, die
sich mittelbar auf die dem Organ assoziierten Muskeln
im Sinne eine Dysfunktion auswirken können. Die vertebrale Läsionsebene entspricht in diesen Fällen jeweils
214
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10. Muskeldysfunktion und ihre Therapie
tung, denn der Vektor des positiven Challenge ist genau
entgegengesetzt dem Summenvektor der maximalen
muskulären Spannung gerichtet, die die Läsion verursacht.
Selbstverständlich sind hypomobile Funktionsstörungen in allen Richtungen des Raumes möglich und müssen
entsprechend diagnostisch provoziert werden. Eine
wichtige Hilfe für die Wahl des Challenge-Vektors ist die
Palpation. Meist sind es paraspinöse Irritationszonen,
die den hypertonen intrinsischen Muskeln entsprechen.
Im Fall von Brust und Lendenwirbeln sowie Halswirbeln,
deren Dornfortsatz leicht erreichbar sind, nimmt man
am besten Kontakt zum Dornfortsatz. An der Halswirbelsäule ist auch ein Kontakt am Proc. mamillaris, d. h. an der
Facette praktikabel. Bei anterioren Läsionen ist speziell
der Dornfortsatz bei p. a.-Schub schmerzhaft. Für die
Visualisierung der Schubrichtung in Bezug auf das mögliche muskuläre Korrelat wird die Anatomie der intrinsischen Muskulatur hier rekapituliert (Abb. 10.4 bis 10.8).
der Yamamoto-Schädelakupunktur ist jedoch effektiv
zur Korrektur vertebraler Läsionen und assoziierter
Muskeldysfunktionen (s. Abs. 10.2.1.5).
Zusammenfassend muss also als Ursache für eine muskuläre Dysfunktion jeweils die Wirbelebene der motorischen Wurzel(n) des Muskels sowie seiner assoziierten
vegetativen Segmente des viszerosomatischen Reflexgeschehens (sofern vorhanden) untersucht werden.
Vertebraler Challenge
(GOODHEART, 1972; WALTHER, 1981, 2000; LEAF,
1996)
1972 wurde von GOODHEART der vertebrale Challenge beschrieben. Dabei handelte es sich um einen Probeschub
an einem Wirbel mit dem jeweilig notwendigen bzw.
praktikablen Kontakt in verschiedenen Richtungen. Am
Ende des Schubs wird der Kontakt losgelassen, es handelt sich also um einen nicht gehaltenen Challenge. Bei
Druck in einer und nur einer spezifischen Richtung und
anschließendem Loslassen kommt es zur Reaktionsänderung eines vorher normoreaktiven Indikatormuskels.
Als Erklärung für dieses Phänomen kann die KoRR'sche
Hypothese der vertebralen Läsion herangezogen werden, nach der ein Muskel oder Muskelgruppe der intrinsischen Muskulatur der Wirbelsäule hyperton ist und
damit den Wirbel in einer Richtung, die der Zugrichtung
des Muskels (der Muskelgruppe) entspricht, hält. Die
entsprechenden Antagonisten sind hypoton. Bei Kontakt und Schub in Richtung des positiven Challenge
wird auch das Barrierephänomen gespürt, welches
durch die verspannten Muskeln verursacht wird. Wird
nun diese hypertone Muskelgruppe durch den Probeschub gedehnt und anschließend der Kontakt losgelassen, so kommt es zu einem Rückschnellen des Muskels
in die Ausgangsposition und durch die vermehrte Spannung des intrinsischen Muskels (der Muskelgruppe) zu
einer kurzfristigen Verstärkung der Läsion, zu einer
Nozireaktion und in der Folge zu einer Dysreaktion des
Indikatormuskels.
Es versteht sich von selbst, dass die Richtung des positiven Challenge gleichzusetzen ist mit der Korrekturrich-
Prinzipiell ist es auch möglich, einen gehaltenen Challenge auszuführen: Dabei wird der Wirbel in Korrekturrichtung gehalten, während ein Muskel, der durch die
vertebrale Läsion funktionsgestört ist (beispielsweise
ein hyporeaktiver M. deltoideus bei Läsion C 5/6) getestet wird. Während der Wirbel in die optimale Korrekturrichtung gehalten wird, testet dieser assoziierte
Muskel normoreaktiv. FUCHS (mündl. Mitteilung) berichtet, dass bei anteriorer Facette ausschließlich der gehaltene Challenge positiv sein kann. Bei einem Palpationsund Funktionsbefund, der auf eine vertebrale Läsion
hinweist, ist also dann bei negativem nicht gehaltenen
Challenge ein gehaltener zu prüfen.
Erklärungsmodell des vertebralen
Challenge (WALTHER, 1981)
Die Wirbelsäulensegmente unterliegen fortgesetzt
funktionellen mechanischen Dysbalancen, die sich jedoch selbst korrigieren. Die autochthone Wirbelsäulenmuskulatur, die nicht willkürlich steuerbar ist (s.
Kap. 12.) hat also eine korrektive Funktion. Bleibt die
Selbstkorrektur aus, dann muss der Hintergrund eine
muskuläre Balance-Störung sein, wie sie klinisch regelmäßig gefunden wird. Schon 1941 fanden DENSLOW und
Abb. 10.5: Mm. rotatores longi
Abb. 10.4: Mm. rotatores breves
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Leseprobe von Hans Garten „Lehrbuch Applied Kinesiologie“
Herausgeber: Elsevier Urban & Fischer
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10. Muskeldysfunktion und ihre Therapie
gestörten Segment mithilfe eines speziellen Druckstempels und fanden, dass die Erregungsschwelle für
vermehrte elektromyographische Aktivität an den gestörten Segmenten signifikant niedriger lag als in ungestörten Segmenten.
Um den Mechanismus der Hyperreflexivität zu klären,
wurde die Haut der Kontaktstelle des Schuhes anästhesiert, was zu keiner Änderung der myographischen Befunde führte. Wenn das Periost des gestörten Segments
anästhesiert wurde, wurde die erhöhte Reflexaktivität
(Nozireaktion) eliminiert.
Der vertebrale Challenge hat folgende
praktische Vorzüge (WALTHER, 1981):
• Er bestimmt nach funktioneilen Kriterien, welches
Wirbelsäulensegment funktionsgestört ist.
• Er ermöglicht, die exakte Korrekturrichtung zu be
stimmen, unabhängig davon, ob die Korrektur in
einer Ebene oder in mehreren erfolgen muss.
• Nach Korrektur kann sofort der Erfolg (oder Misser
folg) derselben überprüft werden.
• Der Patient kann einfach nach oder während ver
schiedener Aktivitäten, welche die Struktur belasten
getestet werden: eine vertebrale Läsion ist u.U. nur
im Stehen oder in einer bestimmten Arbeitshaltung
relevant und auffindbar.
• Posturales Fehlverhalten und andere stereotype Bewegungs- und Haltungsmuster ebenso wie der Ein
fluss beispielsweise eines Fehlbisses können dem
Patienten anschaulich gemacht werden.
• Es kann die neurologische Konsequenz einer vertebralen Läsion, die Indikation und Kontraindikation
einer manipulativen Korrektur nach neurofunktionellen Gesichtspunkten bestimmt werden. Diese
Aspekte werden im Band „Chirotherapie und Osteopathie" beschrieben.
Abb. 10.6: Mm. intertransversarii
Abb. 10.7: Mm. interspinosi
Korrektur einer vertebralen Läsion
mit den Techniken der AK (Abb. 10.9)
(1.) Zunächst sollte die in der Manualmedizin übliche Palpation und Funktionsprüfung durchgeführt werden: Bei
der Befunderhebung sollten immer alle Untersuchungstechniken angewandt und in Korrelation gesetzt werden.
(2.) Dann kann zur spezifischen AK-Diagnostik übergegangen werden: Der Patient führt mit einem Finger die
Therapielokalisation an einer oberflächlich gelegenen
Struktur des Wirbels durch (Dornfortsatz oder Processus articularis). Ein vorher normoreaktiver Indikatormuskel, der keine Beziehung zu dem Segment haben
braucht, wird dysreaktiv. Positive Therapielokalisation
sagt ausschließlich, dass sich an der berührten Region
eine Abweichung von der Norm findet, nicht jedoch
welcher Art diese Abweichung ist (es könnten dort
auch Entzündungen, Tumoren, Triggerpunkte ect. vorliegen). Der therapielokalisierende Finger wird wieder
entfernt.
(3.) Zur Differenzialdiagnose wird ein Challenge durchgeführt. Da es sich am wahrscheinlichsten um eine vertebrale Läsion handelt, wird ein Probeschub am Wirbel
wie oben dargestellt durchgeführt. Wiederum wird
vom normoreaktiven Indikatormuskel ausgegangen.
Ein x-beliebiger Muskel kann verwendet
Abb. 10.8: Mm. costotransversales
in elektromyographischen Untersuchungen,
dass mit konzentrischen Elektroden in der reflektorisch
hypertonen Muskulatur des gestörten Wirbelsäulensegments eine erhöhte elektrische Aktivität in Ruhe im
Vergleich zu einer Kontrollregion gefunden werden
kann. Sie induzierten Bewegungen am entsprechenden
CLOUGH
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Hans Garten
Lehrbuch Applied Kinesiology
666 pages, relié
publication 2011
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www.editions-narayana.fr
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