E-Mail: [email protected] Internet: www.gsf.de/flugs GSF - Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, GmbH Ingolstädter Landstraße 1 85764 Neuherberg Diabetes mellitus - Häufig unerkannte Volkskrankheit 1. Definition des Krankheitsbildes Diabetes mellitus wird im allgemeinen als Zuckerkrankheit oder abgekürzt auch Diabetes bezeichnet. Es ist eine Stoffwechselstörung, die auf einer mangelnden Insulinwirkung beruht und mit erhöhten Zucker- (Glukose-) Werten im Blut einhergeht. Der Begriff "Diabetes mellitus" ist aus dem Griechischen (diabetes = fließen) und dem Lateinischen ( mellitus = süß wie Honig) entnommen. Insulin, ein von der Bauchspeicheldrüse produziertes Hormon, steuert unter anderem die Aufnahme und den Abbau von Traubenzucker (Glukose) in den Körperzellen. Fällt die Insulinbildung aus oder sprechen die Körperzellen schlecht auf Insulin an, kann Traubenzucker nicht normal umgesetzt werden und reichert sich dann in Geweben, Blut und Urin an. Oft kommt es dabei auch zu Störungen im Fett-, Eiweiß- und Mineralstoffwechsel. Durch die Notwendigkeit einer jahrelangen Behandlung und häufig schwerwiegende Folgen wie z. B. Beinamputation, Herzinfarkt, Nierenversagen oder Erblindung verursacht Diabetes mellitus großes individuelles Leid und erhebliche gesellschaftliche Kosten. Typ 1 Beim Typ I des Diabetes entsteht ein Insulinmangel als Folge der teilweisen Zerstörung der "Inselzellen" in der Bauchspeicheldrüse. Typische Symptome neu erkrankter Typ-I-Diabetiker sind die Ausscheidung großer Mengen Harn, starkes Durstgefühl, Gewichtsverlust und schnelle Ermüdung. Dazu kommen oft Sehstörungen, Hautinfektionen, Übelkeit, Brechreiz und Bauchschmerzen. Ohne Behandlung können Typ-I-Diabetiker nach Bewusstseinsverlust (Koma) an der Stoffwechselstörung sterben. Als Ursache für die Erkrankung nach Typ I scheinen immunologische Prozesse eine bedeutsame Rolle zu spielen, bei denen (Auto-)Antikörper die eigenen Inselzellen zerstören. Neben Erbfaktoren spielen vermutlich Virusinfektionen, frühes Abgestilltwerden, Kuhmilchernährung im frühen Säuglingsalter und Kaffeekonsum der Mutter in der Schwangerschaft eine Rolle. Bis zum Alter von 40 Jahren ist Typ-I-Diabetes die häufigste Form. Er kommt, wenn auch selten, bereits bei Kindern und Jugendlichen vor (juveniler Diabetes mellitus). Typ-IDiabetiker müssen lebenslang mit Insulin behandelt werden. Diabetes Typ-1 Erkrankungsalter vorwiegend vor dem 40. Lebensjahr, möglicherweise bis ins hohe Alter Gewicht schlank Ursachen Zerstörung der insulinbildenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse Genetische Veranlagung, Insulinresistenz Typ 2 Beim Diabetes vom Typ II sprechen die Körperzellen auf Insulin schlecht an, Aufnahme und Umsatz von Glukose sind verzögert. Es besteht zunächst kein Insulinmangel. Die Krankheit beginnt schleichend und bleibt häufig lange Zeit unentdeckt. Der Diabetes Typ II lässt sich durch Diät und Medikamente (Tabletten) behandeln. Im weiteren Verlauf kann es jedoch zur "Erschöpfung" der Inselzellen kommen, die eine Insulinbehandlung erforderlich macht. Diabetes Typ II tritt vorwiegend im höheren Lebensalter auf und wird dann auch als "Altersdiabetes" bezeichnet. Er kommt aber auch immer häufiger bei jüngeren Menschen vor. Zahlenmäßig macht der Typ 2 Diabetes 93-95 Prozent aller Diabeteserkrankungen aus. Beim Typ-II-Diabetes steht zwar eine erbliche Veranlagung im Vordergrund, aber Übergewicht und Bewegungsmangel spielen für seine Entstehung ebenfalls eine große Rolle. Durch Ernährungsumstellung zur Vermeidung von Übergewicht und ausreichende Bewegung lässt sich diese Form der Zuckerkrankheit oder die Neigung dazu günstig beeinflussen. Diabetes Typ- 2 Erkrankungsalter Vorwiegend nach dem 40. Lebensjahr Ursachen Genetische Veranlagung Begünstigung Übergewicht, Bewegungsmangel 2. Verbreitung und Häufigkeit von unerkannten Diabetes-Fällen Etwa 40 Prozent der 55 bis 74-Jährigen in Deutschland leiden unter einer mehr oder minder schweren Form der Störung ihres Blutzucker-Stoffwechsels, aber nur ein Viertel weiß davon. Betrachtet man allein die Fälle an Diabetes mellitus, so ist das Verhältnis von Wissenden zu Unwissenden noch drastischer: Jeder zweite Diabetiker ahnt nichts von seiner Erkrankung. Ein nicht behandelter Diabetes stellt eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit dar. Bis zu 30% der zunächst unentdeckten Diabetiker hatten zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Schädigungen der Netzhaut und damit ein hohes Erblindungsrisiko. Bei 15% waren beginnende Nierenschäden nachweisbar. Bisher weitgehend unbekannte genetische Faktoren spielen bei der Entstehung eines Diabetes eine große Rolle. Die wichtigsten Risikofaktoren für unerkannten Diabetes sind Übergewicht, Bluthochdruck sowie eine familiäre Vorbelastung. Auf Basis dieser neuen Zahlen, welche eine gemeinsame KORA (kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg)-Studie des GSF-Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit mit dem Düsseldorfer Diabetesforschungsinstitut erbracht hat, fordern die Wissenschaftler nun ein Diabetes-Screening, welches eng zugeschnitten auf die Risikogruppen, große Fortschritte in der Früherkennung dieser gefährlichen Volkskrankheit bringen könnte. In der untersuchten Altersgruppe leiden etwa 17 Prozent an Diabetes mellitus, aber über die Hälfte, genau 8,4 Prozent der Studienteilnehmer, wissen nichts von ihrer Erkrankung. Im europäischen Vergleich zählt Deutschland damit zu den Spitzenreitern. Männer sind – vor allem in der Altergruppe der 55 bis 59-Jährigen weitaus häufiger betroffen als Frauen. 3. Risikofaktoren Die Suche nach möglichen Ursachen von unerkanntem Diabetes ergab klare Zusammenhänge mit bekannten kardiovaskulären Risikofaktoren: Menschen, die über einen Body Mass Index von über 30 kg/m2 verfügen, deren Taillenumfang bei über 100 cm (Frauen) bzw. 109 cm (Männer) liegt und die Störungen der Blutfett-Funktionen oder einen erhöhten Blutdruck von über 140 zu 80 mm Hg aufweisen, tragen auch ein deutlich erhöhtes Risiko, bereits an unerkannter Diabetes erkrankt zu sein. Eine familiäre Vorbelastung durch die Eltern erhöht die Wahrscheinlichkeit, unter bisher unerkanntem Diabetes zu leiden: Um einen unerkannten Diabetikerfall aufzudecken bedarf es im Schnitt – je nach Risikofaktor nur 5 bis 10 Testpersonen aus der besagten Risikogruppe. 4. Früherkennung Diese in ihrem Ausmaß für Deutschland neu aufgedeckten Zusammenhänge bergen weitreichende Chancen für eine verbesserte Früherkennung: Endlich ist eine für jeden Betroffenen sehr einfach nachzuvollziehende Risikogruppe definiert, für die ein Früherkennungs-Screening sinnvoll und zu befürworten ist. Die bislang einzige Testform, mit der in einer großen Population auch Vorstufen einer Diabeteserkrankung klar diagnostiziert werden können ist der orale Glukose-Toleranz-Test (OGTT). Für diese zeitaufwändige Untersuchung muss man nach einer Blutentnahme zur Bestimmung des Nüchternblutzuckers 75 Gramm Dextroglukose auf nüchternen Magen zu sich nehmen, genau zwei Stunden nach dem Glukosetrunk wird der Blutzuckerspiegel erneut bestimmt. So wird aufgezeigt, wie der Körper auf Glukosezufuhr reagiert. Einfache Nüchternblutzuckerbestimmungen, wie sie von den Krankenkassen im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen finanziert werden, übersehen etwa 40% der bisher unentdeckten Diabetiker. Demgegenüber können auch von den Apotheken angebotene Zufallsblutzuckerbestimmungen (z.B. nach einer ausgiebigen Mahlzeit) erste wichtige Hinweise auf eine Glukosestoffwechselstörung (etwa ab Blutzuckerwerten von 160 mg/dl) geben, die dann der weiteren ärztlichen Diagnostik bedürfen. Bis solche praktisch bedeutsamen Erkenntnisse Eingang in das Screeningprogramm der Krankenkassen finden, kann erfahrungsgemäß einige Zeit vergehen. Bis dahin könnten Vertreter der Risikogruppen eine solch wichtige und gleichzeitig wenig aufwändige Vorsorge selbst in die Hand nehmen – ein wichtiger Schritt gerade in Zeiten, in denen vielerorts Stimmen nach größerer Eigenverantwortung für eine individuelle Gesundheitsvorsorge laut werden. 5. Prävention Das Risiko für Typ I des Diabetes lässt sich möglicherweise durch ausschließliches Stillen und Verzicht auf Kuhmilch im ersten Lebensjahr senken. Bei genetisch vorbelasteten Personen kann versucht werden, die immunologischen Prozesse z.B. durch Nicotinamid oder niedrig dosierte Insulingaben zu verlangsamen. Die Präventionsmöglichkeiten von Typ-II-Diabetes sind größer: Durch Vermeiden von Übergewicht und angemessene körperliche Aktivität lässt sich der Erkrankung in hohem Maße vorzubeugen. Der Verzicht auf faserarme, zuckerreiche Nahrungsmittel, die den Blutzucker stark erhöhen, scheint ebenfalls vorbeugend zu wirken; aussagekräftige Studien über die Wirkung solcher Maßnahmen nachweisen liegen noch nicht vor. Der Vorbeugung der Folgekrankheiten wird große Bedeutung beigemessen: Beim Typ-IDiabetes lässt sich durch Stoffwechselkontrolle in Form von Blutzuckerselbstkontrolle, differenziertere Insulindosierung und Insulinpumpen zum Beispiel das Fortschreiten der diabetischen Netzhauterkrankung um bis zu 80% vermindern. Quellen / Literaturtipps / Internetangebote: Rathmann, W., B, Haastert, A. Icks, H. Löwel, R. Holle, G.Giani: High prevalence of undiagnosed diabetes mellitus in Southern Germany: Target populations for efficient screening. The KORA Survey 2000. – Diabetologia (2003) 46:182-189 Meisinger, C., Thorand, B., Schneider, A., Stieber, J., Döring, A., Tietze, M., Löwel, H.: Kardiovaskuläre Risikofaktoren und Diabetesinzidenz: Ergebnisse der MONICA-AugsburgKohortenstudie 1984-1998. Diab Stoffw, 10: 3-11 (2001) – ausgezeichnet mit dem Karl Schöfflingpreis 2002 KORA – Koperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg (www.gsf.de/kora/s2000frames.htm) Deutsches Diabetesforschungsinstitut (www.ddfi.uni-duesseldorf.de) Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Kap. 5.20 (www.gbe-bund.de) Stand: Juli 2003 Autorin: Ulrike Koller Wiss. Beratung: Dr. Hannelore Löwel, GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit