Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 2015, 64

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Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie
Ergebnisse aus Psychotherapie, Beratung und Psychiatrie
Herausgeberinnen und Herausgeber:
Albert Lenz, Paderborn; Franz Resch, Heidelberg; Georg Romer, Münster;
Maria von Salisch, Lüneburg; Svenja Taubner, Klagenfurt
Verantwortliche Herausgeber:
Univ.-Prof. Dr. med. Franz Resch, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Zentrum für Psychosoziale
Medizin, Universitätsklinikum Heidelberg, Blumenstr. 8, D-69115 Heidelberg
Univ.-Prof. Dr. med. Georg Romer, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und
-psychotherapie, Schmeddingstr. 50, D-48149 Münster
Redakteur: Dipl.-Psych. Kay Niebank (verantw. i. S. des niedersächs. Pressegesetzes), Hartwigstr. 2c,
D-28209 Bremen, E-Mail: [email protected]
Gegründet von A. Dührssen und W. Schwidder
Frühere Herausgeber: R. Adam, M. Cierpka, A. Dührssen, E. Jorswieck, G. Klosinski, U. Lehmkuhl,
M. Müller-Küppers, W. Schwidder, I. Seiffge-Krenke, F. Specht, A. Streeck-Fischer
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PSYNDEX und den Referatediensten „Current Contents“ (SSCI), „Psychological Abstracts“ und
„Psychologischer Index“ ausgewertet.
Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefreiem Papier.
ISSN (Printausgabe): 0032-7034, ISSN (online): 2196-8225
1 Beilage: Vandenhoeck & Ruprecht.
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Inhalt
Originalarbeiten / Original Articles
Marc Birkhölzer, Kirstin Goth, Christian Schrobildgen, Klaus Schmeck und
Susanne Schlüter-Müller
Grundlagen und praktische Anwendung des Assessments of Identity
Development in Adolescence (AIDA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584
Background and Practical Use of the Assessment of Identity Development in Adolescence
(AIDA)
Lina Werpup-Stüwe und Franz Petermann
Visuelle Wahrnehmungsleistungen bei motorisch auffälligen Kindern –
eine Pilotstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601
Visual Perceptual Abilities of Children with Low Motor Abilities – A Pilot Study
Sabine Loos, Saskia Wolf, Dunja Tutus und Lutz Goldbeck
Häufigkeit und Art traumatischer Ereignisse bei Kindern und Jugendlichen
mit Posttraumatischer Belastungsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617
Frequency and Type of Traumatic Events in Children and Adolescents with a
Posttraumatic Stress Disorder
Autoren und Autorinnen / Authors 634 | Neuere Testverfahren / Test Reviews 635
Buchbesprechungen / Book Reviews 649 | Tagungskalender / Congress Dates 653
Aus dem Inhalt des nächsten Heftes / Preview of the next Issue 654
Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 64: 583 (2015), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online)
© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2015
ORIGINALARBEITEN
Grundlagen und praktische Anwendung des Assessments of
Identity Development in Adolescence (AIDA)
Marc Birkhölzer, Kirstin Goth, Christian Schrobildgen, Klaus Schmeck und
Susanne Schlüter-Müller
Summary
Background and Practical Use of the Assessment of Identity Development in Adolescence (AIDA)
A paradigm shift towards early detection and intervention of personality disorders in adolescence to prevent persistent and chronic suffering is currently taking place. Aside further
distinct areas of impaired psychosocial integrity, disturbed identity development is seen as
one core component of personality disorders. Thus, the detection of early antecedents of impaired identity development is an important step to allow for early intervention. The selfreport questionnaire Assessment of Identity Development in Adolescence (AIDA) is a reliable
and valid diagnostic instrument to detect disturbed identity development. This questionnaire
allows for global assessment of identity and a differentiation in fundamental subdomains as
well and distinguishes between identity diffusion on one side and consolidated and stable
identity on the other. In clinical practice, it supports the differentiation between severely disturbed identity as the core component of personality disorders and identity crisis or stable
identity development that can be found in other mental disorders.
Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 64/2015, 584-600
Keywords
identity – personality disorder – adolescence – psychopathology – assessment
Zusammenfassung
Seit kurzem findet ein Paradigmenwechsel zugunsten früher Erkennung und Intervention bei
Persönlichkeitsstörungen in der Adoleszenz zur Vermeidung dauerhaften und chronischen
Leidens statt. Neben weiteren Bereichen beeinträchtigter psychosozialer Integrität wird die
gestörte Identitätsentwicklung als ein Kernelement von Persönlichkeitsstörungen angesehen.
Der Selbstbeantwortungsfragebogen „Assessment of Identity Development in Adolescence“
(AIDA) ist ein reliables und valides Diagnoseinstrument, um eine gestörte IdentitätsentwickPrax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 64: 584 – 600 (2015), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online)
© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2015
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lung zu erkennen. Dieser Fragebogen erlaubt eine globale Erfassung und eine Differenzierung fundamentaler Teilbereiche der Identitätsentwicklung und unterscheidet dimensional
zwischen Identitätsdiffusion auf der einen Seite und gefestigter und stabiler Identität auf der
anderen. In der klinischen Praxis ist er hilfreich bei der Unterscheidung zwischen schwer
beeinträchtigter Identität als Kernelement von Persönlichkeitsstörungen und vorübergehend
krisenhaft oder auch stabil verlaufender Identitätsentwicklung, wie sie bei anderen psychischen Störungen zu finden ist.
Schlagwörter
Identität – Persönlichkeitsstörung – Jugendliche – Psychopathologie – Fragebogen
1
Hintergrund
Die Vergabe der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung im Jugendalter ist nach
wie vor umstritten (Schmid, Schmeck, Petermann, 2008). Die eine Seite argumentiert, dass die Symptome einer Persönlichkeitsstörung in Kindheit und Jugend zu
schwach und instabil sind, um die Diagnose „Persönlichkeitsstörung“ zu rechtfertigen. Auch wird argumentiert, dass die Adoleszenz per se eine aufwühlende und
verunsichernde Lebensphase sei, sodass zwischen „gesund“ und „krank“ keine valide Trennlinie gezogen werden könne. Gleichzeitig wird die Diagnose „Persönlichkeitsstörung“ häufig als unveränderlich und stigmatisierend angesehen, weshalb sie
bei Jugendlichen nicht gestellt werden solle, obwohl das Bestehen entsprechender
Symptome bereits seit Kindheit und Jugend ein Diagnosekriterium der Persönlichkeitsstörung ist. Die andere Seite argumentiert, dass Symptome einer Persönlichkeitsstörung bereits früh erkennbar und außerdem ausreichend stabil sind, um
eine solche Diagnose vor dem 18. Lebensjahr eindeutig zu rechtfertigen (Schmeck
u. Schlüter-Müller, 2009; Chanen et al., 2004). Zahlreiche umfangreiche und qualitativ hochwertige Studien der vergangenen Jahre zeigen, dass die Diagnose einer
Persönlichkeitsstörung im Jugendalter valide gestellt werden kann (Becker, Grilo,
Edell, McGlashan, 2002; Johnson et al., 1999, 2000a, b; Kasen, Cohen, Skodol, Johnson, Brook, 1999; Westen, Shedler, Durrett, Glass, Martens, 2003; Crawford et al.,
2008; Westen et al., 2014). Kasen et al. (1999) betonen, dass das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörungen, gekennzeichnet durch eine persistierend maladaptive Art zu
denken und zu Handeln, wichtige Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz erschweren oder gar verhindern kann. Als Folge dessen kann eine Persönlichkeitsstörung zu
tiefgreifenden inter- und intrapersonellen Problemen und aufgrund der negativen
Umweltreaktion zu einem Negativkreislauf der maladaptiven und dysfunktionalen
Persönlichkeit im Erwachsenenalter führen. Die Erfassung und Therapie der Persönlichkeitsstörungen im Kindes- und Jugendalter ist deshalb notwendig, um der
Chronifizierung und Progredienz der Problematik ins Erwachsenenalter entgegen-
586 M. Birkhölzer et al.
zuwirken und die Betroffenen dabei zu unterstützen, altersadäquate Entwicklungsaufgaben wieder selbstständig zu bewältigen. Persönlichkeitsstörungen und auch
solche, die sich bereits in der Adoleszenz manifestieren, sind spezifisch und manualisiert behandelbar (Böhme, Fleischhaker, Mayer-Bruns, Schulz, 2002; Foelsch et al,,
2013; Rossouw u. Fonagy, 2012).
Mit der Einführung des DSM-5 im Jahr 2013 wurde die Altersgrenze von 18 Jahren für die Vergabe der Diagnose „Persönlichkeitsstörung“ aufgehoben (APA, 2013).
Diese Entwicklungsperspektive von Persönlichkeitsstörungen über die Lebensspanne
hinweg wird auch in der 11. Version der ICD in ähnlicher Weise integriert werden
(Tyrer et al., 2011), da die Ergebnisse empirischer Studien eindeutige Hinweise dafür
liefern, dass es eine Kontinuität von Persönlichkeitsmerkmalen und ihren Störungen
über die Lebensspanne hinweg gibt (Bernstein et al., 1993; Caspi et al., 2003). Nach
DSM-5 soll bei der Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen zusätzlich geprüft
werden, ob die Persönlichkeitsbeeinträchtigungen nicht besser durch das normative
Verhalten der Entwicklungsphase erklärbar sind (Kriterium G). Dies ist eine sinnvolle
Ergänzung, um im Jugendalter zum Beispiel eine Identitätskrise von einer voll ausgeprägten Borderline-Persönlichkeitsstörung mit Identitätsstörung zu differenzieren
(Koch, Resch, Schlüter-Müller, Schmeck, 2013). Im vorliegenden Artikel wird ein Instrument beschrieben, mit dessen Hilfe eine solche Differenzierung möglich ist, was
anhand von fünf Kasuistiken erläutert wird.
1.2 Persönlichkeitsstörungen und Identität
Bereits in der ICD-10 und im DSM-IV galt ein gestörtes Identitätserleben als ein
zentrales Symptom vor allem der Borderline-Persönlichkeitsstörung (APA, 2000). In
der Sektion III des 2013 veröffentlichten DSM-5 kommt der Identität bzw. deren Störung eine Schlüsselrolle für die Diagnose nicht nur der Borderline-Persönlichkeitsstörung, sondern einer Persönlichkeitsstörung per se zu (Schmeck, Schlüter-Müller,
Foelsch, Döring, 2013). Es wurde mit der „Levels-of-Personality-Functioning“Skala ein dimensionales Störungskonzept eingeführt, das Beeinträchtigungen der
Identität und Selbststeuerung sowie der Fähigkeit zu Empathie und Intimität als
zentrale Kriterien der Persönlichkeitsstörung etabliert. Jegliche Persönlichkeitsstörungen sollen sich durch dimensionale Beeinträchtigungen in diesen Kernbereichen
beschreiben lassen (APA, 2013).
Erickson (1959) sieht die Identität als das zentrale Organisationsprinzip der Persönlichkeit an, welches sich andauernd und durchgehend weiterentwickelt und doch gleich
bleibt und ein Gefühl von Kontinuität innerhalb des Selbst und in der Interaktion mit
anderen erzeugt. Außerdem sieht er in ihr den Rahmen, innerhalb dessen sich ein Individuum von anderen abzugrenzen und eigenständig von ihnen zu existieren vermag.
Identität und Identitätserleben stellen somit einen Schlüssel der psychosozialen Integrität dar. Er sieht die Konsolidierung der Identität als zentrale Aufgabe der normalen
Entwicklung eines jeden Adoleszenten an. Die erfolgreiche Bewältigung dieser Schlüs-
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selaufgabe geht mit dem Verwerfen und der Umwandlung früherer Identifikationen
und verinnerlichter Erfahrungen mit sich selbst und anderen einher, was zu zeitweiligen
Krisen des Selbsterlebens führen kann, die bewältigt werden müssen. Das erfolgreiche
Bewältigen dieser Identitätskrisen führt zu einem subjektiven Gefühl der Kontinuität
und Kohärenz des Selbsterlebens und somit zu einer integrierten Identität als harmonische Gesamtheit (Taskforce OPD, 2007). Eine integrierte Identität, resultierend aus
der erfolgreichen Bewältigung zeitweiliger Identitätskrisen, kann als Voraussetzung für
eine realistische Selbstreflexion, Eigenständigkeit und befriedigende soziale Interaktion
angesehen werden und ermöglicht eine Vorhersagbarkeit und Kontinuität des Empfindens und des Erlebens innerhalb eines Individuums – über die Zeit und verschiedene
Situationen hinweg (Kernberg, Weiner, Bardenstein, 2000).
James (1890, vgl. Resch, 2005) unterscheidet ein eher emotional-intuitives, vitales
Selbsterleben von einer eher kognitiv-selbstreflektierten Selbstwahrnehmung und
Selbsterkenntnis. Diese beiden Formen des Selbst konstituieren zwei unterscheidbare
Domänen der Identität: das subjektive Selbst mit dem Fokus auf Kontinuität, einen
stabilen Kern und emotionalen Zugang und das definitorische Selbst mit dem Fokus
auf Kohärenz, integrierter Gesamtheit und kognitivem Zugang. Fonagy, Gergely und
Jurist (2003) fassen die Entwicklung komplexer mentaler Repräsentationen von sich
selbst und anderen zusammen in dem Konzept der Mentalisierung: Diese entsteht
durch die Entwicklung und Fähigkeit zur Emotionsregulation (Selbstbeherrschung
und Affektkontrolle), das Vermögen zur Intersubjektivität (Imitation, Rollen-Akzeptanz und Perspektivenwechsel) und Selbstreflexion. Diese mentalen Repräsentanzen
entstehen fortschreitend aus selbstreflexiven Prozessen und ermöglichen das Verständnis, die Vorhersage und die Beachtung eigener und fremder seelischer Zustände. Dies kann als Grundvoraussetzung für ein Identitätserleben angesehen werden.
Seiffge-Krenke und Beyers (2005) heben besonders die großen Veränderungen, die
mit der Adoleszenz einhergehen, hervor und die damit einhergehende Notwendigkeit,
neue Selbstbilder entwickeln zu müssen.
1.3 Identitätskrise und Identitätsdiffusion: Begriffserläuterung
Nach Kernberg (1978) resultiert eine Identitätskrise aus der Diskrepanz zwischen
sich rasch ändernden physischen sowie psychischen Erlebnissen auf der einen Seite und auf der anderen einer zunehmenden Kluft zwischen Selbstwahrnehmung
und der Wahrnehmung darüber, wie man von anderen gesehen wird. Zeitliche und
situative Kontinuität bleiben jedoch trotz etwaiger Experimente mit unterschiedlichen Rollen erhalten und die Identitätskrise löst sich hin zu einer konsolidierten
und zugleich anpassungsfähigen und flexiblen Identität (Kernberg et al., 2000). Dies
erlaubt dem Jugendlichen, erfüllende Freundschaften aufzubauen, klare Lebensziele
zu formulieren, angemessen mit den Eltern und Lehrkräften zu interagieren, intime
und sexuelle Beziehungen aufzubauen und einen positiven Selbstwert zu entwickeln
(Foelsch et al., 2013).
588 M. Birkhölzer et al.
Wenn die beschriebene Integration der unterschiedlichen Anforderungen der Identitätsentwicklung nicht gelingt und Identitätskrisen nicht bewältigt werden können, so
kann es zu Blockaden der Identitätsentwicklung kommen. Diese Blockaden können
sich auf mehreren Ebenen äußern: als mangelhafte Integration des Selbst-Konzepts
und des Konzepts bedeutsamer anderer, als Unfähigkeit zur Selbstdefinition, als mangelnde Verbindlichkeit in Bezug auf Ziele, Wertvorstellungen und Beziehungen und
als schmerzhaftes Gefühl der Inkohärenz. Diese Identitätsdiffusion wird in Form unreflektierter, chaotischer und offensichtlich widersprüchlicher Selbstbeschreibungen
und Beschreibung anderer und in Form des Unvermögens, diese Widersprüche zu
integrieren oder überhaupt wahrzunehmen, sichtbar (Clarkin, Yeomans, Kernberg,
1999). Nach Kernberg (1985) manifestiert sich die unvollständig integrierte, mangelhaft konsolidierte Identität durch ein chronisches Gefühl der Leere, Widersprüchlichkeiten und Oberflächlichkeit und durch andere Anzeichen der Ich-Schwäche. Die
Identitätsdiffusion ist laut Kernberg ein Kernelement der Borderline-Persönlichkeitsorganisation, kann aber auch insgesamt als Grundlage weiterer Persönlichkeitspathologie angesehen werden, die zu einem breiten Spektrum maladaptiver und dysfunktionaler Verhaltensweisen führt (Fonagy et al., 2003).
Besonders die Adoleszenz stellt eine vulnerable Phase der Persönlichkeitsentwicklung dar. Störungen des Selbsterlebens in diesem Zeitraum treten aufgrund des zunehmenden Wegfalls äußerer stabilisierender Faktoren (klare Rollenbilder und Selbstkonzepte der Kindheit) und aufgrund steigender Anforderungen an den Jugendlichen
(Eigenständigkeit, erste intime Beziehungen, Verantwortungsübernahme) deutlicher
und gravierender zutage und bereits beeinträchtigte Persönlichkeitsfunktionen können
symptomatisch werden. Dem überwiegenden Teil der Jugendlichen gelingt es, diese aufwühlende und unter Umständen destabilisierende Lebensphase gut zu bewältigen und
neue Anforderungen und Selbstbilder in ihr Selbstkonzept zu integrieren, während bei
einer Minderheit der Jugendlichen rigide, maladaptive und dysfunktionale Verhaltensweisen nun endgültig offenbar werden und den Beginn einer Persönlichkeitsstörung
markieren können. Die Entwicklung der Identität bzw. deren Störung kann als ein dimensionales Kontinuum von gesunder, integrierter Identität zu fragmentierter, diffuser
Identität als Grundlage einer Persönlichkeitsstörung beschrieben werden (Goth et al.,
2012). Zwar mag die „normale“ Adoleszenz durch phasenhafte Identitätskrisen gekennzeichnet sein, diese unterscheiden sich in ihrem Ausmaß jedoch eindeutig von einer
Identitätsdiffusion als Grundlage der Persönlichkeitsstörung (Foelsch et al., 2010).
2
Erfassung von Störungen der Identitätsentwicklung
Eine große Einschränkung der meisten bisherigen Studien, die Persönlichkeitsstörungen im Kindes- und Jugendalter untersucht haben, war die mangelnde Verfügbarkeit altersgerechter Diagnoseinstrumente und die meist kategoriale Erfassung
von Symptomen. Von Goth et al. (2012) wurde der Selbstbeantwortungsfragebogen
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AIDA zur Erfassung pathologischer Identitätsentwicklung im Jugendalter entwickelt. Ziel dieses „Assessment of Identity Development in Adolescence“ (AIDA) ist
eine dimensionale Differenzierung zwischen gesunder Identitätsentwicklung, einfacher Identitätskrise und klinisch auffälliger Identitätsdiffusion bei Jugendlichen.
Diese Einschätzung soll sowohl diagnostische Entscheidungen fundieren als auch
eine wertvolle Grundlage für die Therapie sein, z. B. die spezifische Therapieform
AIT für Jugendliche mit Persönlichkeitsstörungen (Adolescent Identity Treatment;
Foelsch et al., 2013). Die inhaltliche Struktur des zugrundeliegenden Konstrukts
„Identität“ bzw. „Identitätsintegration“ entspricht der oben genannten Definition
des Konzepts „Identität“ als Ergebnis der Synthese von Beschreibungen aus verschiedenen Theorieschulen. Das Gesamtkonstrukt setzt sich dabei aus den beiden
Hauptskalen Kontinuität (entsprechend einem emotional-intuitiven Selbstkonzept)
und Kohärenz (entsprechend einem kognitiv-definitorischen Selbstkonzept) zusammen (s. Tab. 1, folgende Seite). Die jeweils drei Subskalen je Hauptskala leisten
zusätzlich eine Subdifferenzierung in die klassischen psychologischen Funktionsbereiche selbstbezogen (identitätsstabilisierende Eigenschaften und Perspektiven und
konsistentes Selbstbild), sozialbezogen (stabilisierende Beziehungen und Autonomie, Ichstärke) und zudem den Bereich der mentalen Repräsentationen (emotionale und kognitive Selbstreflexion). Die beiden Hauptskalen mit den Benennungen
„Diskontinuität“ und „Inkohärenz“ bilden als Summe die Gesamtskala „Identitätsdiffusion“. Die Hauptskala Diskontinuität bildet sich aus den drei Subskalen „Stabilisierende Eigenschaften und Perspektiven“, „Stabilisierende Beziehungen und
Rollen“ und „Stabilisierende emotionale Selbstreflexion“, während die Hauptskala
Inkohärenz sich aus den drei Subskalen „konsistentes Selbstbild“, „Autonomie“ und
„Differenzierte kognitive Selbstreflexion“ bildet.
Die 58 Items zur Selbstbeantwortung werden auf einer fünfstufigen Skala von 0 =
nein bis 4 = ja beantwortet. Die resultierende Gesamtskala „Identitätsdiffusion“ und
die Hauptskalen „Diskontinuität“ und „Inkohärenz“ zeigten sehr gute Skalenreliabilitäten (α: .94, .86, .92) und eine hervorragende Differenzierung zwischen Patienten
mit Persönlichkeitsstörungen (N = 20) und Schülern aus zwei öffentlichen Schulen
(N = 305) mit Effektstärken d = 1.94 bis d = 2.17 (Goth et al., 2012). Eine Effektstärke
von d > 0.8 wird als großer Effekt angesehen (Bortz u. Döring, 2006), Effektstärken
von d = 2 entsprechen inhaltlich einem Unterschied von zwei Standardabweichungen.
Normwerte aus deutschen Schulen stehen zur Verfügung (N = 1.446). Die differenzierte diagnostische Validität des Instruments konnte in klinischen Studien dargelegt
werden. Jung, Pick, Schlüter-Müller, Schmeck und Goth (2013) zeigten, dass sich der
AIDA in einer klinischen Stichprobe mit 86 jugendlichen Patienten sehr gut eignet,
um Patienten mit Persönlichkeitsstörungen von Patienten mit externalisierenden (z.
B. ADHS) oder internalisierenden Störungen (z. B. Depression oder Angststörung)
zu differenzieren (s. Abb. 1). Besonders stark vertreten in der Gruppe der Persönlichkeitsstörungen war die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Die Ergebnisse von Jung
et al. (2013) weisen darauf hin, dass eine stark auffällige „Identitätsdiffusion“, gekenn-
590 M. Birkhölzer et al.
Tabelle 1: Aufbau und interne Struktur des „Assessment of Identity Development in Adolescence“
(AIDA); Sub = Subskala, F = Facetten
Gesamtskala: Identitäts-Integration vs. Identitäts-Diffusion
Skala 1:
Skala 2:
Identitäts-Kontinuität vs. Diskontinuität Identitäts-Kohärenz vs. Inkohärenz
Ich-Stabilität, intuitiv-emotionales Ich
Ich-Stärke, einheitlich definiertes Ich
Sub 1.1: Stabilisierende Eigenschaften/
Sub 2.1: Konsistentes Selbstbild vs.
Gegensätzlichkeit
Ziele vs. fehlende Perspektive
F1: Engagement/stabilisierende Bindung
an Interessen, Talente, Perspektiven,
Lebensziele
F1: gleiche Eigenschaften bei unterschiedlichen Personen/Situationen
F2: stabile innere Zeitlinie, historischbiografisches Selbst, subjektive Ich-Stabilität
F2: keine extremen unüberbrückbaren
inneren Gegensätzlichkeiten
F3: stabilisierende moralische Richtschnur
F3: gefühlte definierte Mitte und Konsistenz
Bsp.: Ich erinnere mich nicht mehr, wie
ich als Kind gedacht und gefühlt habe, ich
bin jetzt wie ein ganz anderer Mensch.
Sub 1.2: Stabilisierende Beziehungen/Rollen vs. fehlende Zugehörigkeit
Bsp.: Ich habe das Gefühl, dass ich verschiedene Gesichter habe, die nicht gut
zueinander passen.
Sub 2.2: Autonomie, Ich-Durchsetzung
vs. Überidentifikation/Beeinflussbarkeit
F1: Engagement/stabilisierende Bindung
an dauerhafte Beziehungen
F1: Ich-Stärke, Durchsetzungsfähigkeit,
keine Überidentifikation
Selbstbezogen
intrapersonal
Ebene: Ich und
Ich
sozialbezogen
interpersonal
Ebene: Ich und
die anderen
F2: positive Identifikation mit stabili­
F2: unabhängiger Selbstwert, Eigenstänsierenden Rollen (sexuell, ethnisch, kultu- digkeit
rell, familär)
F3: positives Körper-Selbst
F3: positive Affektregulierung
Bsp.: Ich habe das Gefühl, dass ich nirgends richtig dazugehöre.
Sub 1.3: Stabilisierende emotionale Selbstreflexion vs. Misstrauen in Stabilität von
Gefühlen
Bsp.: Wenn ich alleine bin, fühle ich
mich hilflos.
Sub 2.3: Differenzierte kognitive Selbstreflektion vs. oberflächliche, diffuse
Repräsentationen
Bsp.: Manchmal habe ich starke Gefühle
ohne zu wissen, wo sie herkommen.
Bsp.: Ich kriege oft nicht auf die Reihe,
was, wann und warum ich Dinge gemacht habe.
Mentale Repräsentationen
Zugänglichkeit
und DiffeF1: Verstehen eigener Gefühle, innere
F1: Verstehen eigener Motive und Taten, renziertheit
von eigenen
gute kognitive Zugänglichkeit
Kommunikation, gute emotionale Zuund fremden
gänglichkeit
Gefühlen/MoF2: Verstehen fremder Gefühle, Vertrauen
F2: differenzierte und kohärente mentale tiven
in Stabilität von eigenen positiven Gefühlen Repräsentationen von sich und anderen
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T-Werte
zeichnet durch T-Werte > 70 im AIDA, ein wichtiger Indikator für das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung und nicht bloß ein Indikator psychischer Erkrankung im
Allgemeinen ist. Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung erreichten TWerte von T > 70 sowohl in der Gesamtskala „Identitätsdiffusion“ als auch in den beiden Hauptskalen „Diskontinuität“ und „Inkohärenz“, das heißt, nur 2,3 % der Normpopulation weisen im AIDA ebenso hohe Werte auf. Demgegenüber wiesen Patienten
mit internalisierenden Störungen leicht erhöhte T-Werte um den Grenzwert T > 60
auf (nur 15,8 % der Normpopulation weisen vergleichbar hohe Werte auf), was im
Sinne einer Identitätskrise interpretiert werden könnte. Im Gegensatz dazu zeigten die
Patienten mit externalisierenden Störungen Werte im Normbereich und somit keine
Auffälligkeiten bezüglich der Ich-Stabilität und der Ich-Stärke, wie sie im AIDA als
Identitätsproblematik definiert ist.
Abbildung 1: Vergleich der T-Werte des AIDA-Gesamtwertes und der beiden Hauptskalen zwischen
verschiedenen diagnostischen Gruppen und der Normalpopulation
3
Klinische Anwendung des AIDA: Fallbeispiele
3.1 Fallbeispiel 1
Vorstellungsgrund: Die 15-jährige Patientin wurde von ihrer Mutter vorgestellt wegen selbstverletzenden Verhaltens, akuter Schulprobleme, massiver Affekt-Dysregulation, Trennungsängstlichkeit von der Mutter und der Unfähigkeit, allein zu sein.
592 M. Birkhölzer et al.
Auf der Symptomebene erfüllte sie somit vier von neun Borderline-Kriterien. Auch
das äußere Erscheinungsbild (schwarze Kleider, schwarze Haare, schwarzer Lippenstift und Nagellack sowie verschiedene Gesichts-Piercings) widersprach einer entsprechenden Psychopathologie zunächst nicht. Das klinische Interview jedoch zerstreute diesen Verdacht, da die Patientin sich in klarer und kohärenter Weise selbst
beschrieb, eine kohärente und differenzierte Beschreibung von bedeutsamen Anderen sowie sichere Beziehungen zu Peers (schon seit langem bestehende Freundschaften) und Eltern hatte. Ferner hatte sie klare Vorstellung von der Zukunft. Sie
berichtete, verwirrt über ihre Veränderung zu sein („Ich bin total anders als früher,
irgendwie weiß ich nicht mehr wer ich bin.“) und äußerte einen klaren Wunsch
nach Hilfe.
Diagnostik: AIDA (s. Abb. 2): unauffällige Identitätsentwicklung, keine IdentitätsPathologie.
Abbildung 2: Profil zu Fallbeispiel 1
Behandlung: In der Behandlung bestätigte sich der klinische Eindruck und das Ergebnis des AIDA. Trotz der Borderline-Symptomatik zeigte die Patientin die Fähigkeit,
Hilfe anzunehmen, dankbar zu sein, ihre Abwehrmechanismen waren altersadäquat
und nicht durch Spaltung, Manipulation oder einen Wechsel von Idealisierung und
Entwertung geprägt. Sie befand sich in einer massiven Krise durch einen Suizidversuch ihrer Mutter, der sie völlig aus der Bahn geworfen hatte. Sie machte sich massive Vorwürfe, nicht genug auf die Mutter geachtet und ihre Krankheit übersehen zu
haben. Die Psychotherapie stellte in relativ kurzer Zeit (sechs Monate) einen stabilen
Zustand mit Rückgang sämtlicher Symptome her.
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3.2 Fallbeispiel 2
Vorstellungsgrund: Die 15,6-jährige, stark übergewichtige Jugendliche wurde von ihrer Mutter wegen massiver Aggressionsdurchbrüche, selbstverletzenden Verhaltens
(tiefes Schneiden), ständiger Auseinandersetzungen mit Peers, gewalttätiger Auseinandersetzungen mit Mutter und Bruder, eines großen Gefühls von Langeweile und
Leere, unregelmäßiger Schulbesuche und eines drohenden Schulausschlusses vorgestellt. Nicht nur auf der Symptomebene, sondern auch vom klinischen Aspekt her
bestand bei der Patientin der dringende Verdacht einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Sie erfüllte sechs von neun Borderline-Kriterien, außerdem war sie in der
Untersuchungssituation feindselig, aggressiv, entwertend und sprunghaft. Sie hatte
keine Vorstellung von sich selbst und anderen und keinerlei Fähigkeit zur Selbstreflexion bei guter Intelligenz. Von der Mutter wurde jedoch beschrieben, dass sich
die Tochter plötzlich verändert habe und früher ein liebes und eher unauffälliges
Kind gewesen sei. Die Untersucherin vermutete jedoch zunächst ein Dissimulieren
der Mutter.
Diagnostik: Der AIDA (s. Abb. 3) zeigte keine großen Auffälligkeiten in der Identitätsentwicklung außer einem grenzwertigen Ergebnis bezüglich der Konsistenz des
Selbstbildes, hinsichtlich innerer Gegensätzlichkeit („verschiedene Gesichter“), eines
starken Unterschiedes zwischen Innen und Außen, schmerzhafter Ambivalenz oder
Leere (T-Wert 65). Insgesamt erreichte die Patientin auf der Gesamtskala „Identitätsdiffusion“ einen Gesamt-T-Wert von 61, was bedeutet, dass weniger als 15 % der
Normpopulation einen solchen Wert erreichen. Dieses Ergebnis entspricht nach jetziger Studienlage Jugendlichen, die unter einer internalisierenden Störungen (Depressive Episode, Angststörung usw.) leiden.
Abbildung 3: Profil zu Fallbeispiel 2
594 M. Birkhölzer et al.
Behandlung: Die Behandlung der Patientin wurde durch ständige Notaufnahmen in
der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik wegen massiver Aggressionsdurchbrüche unterbrochen. Dort wurde sie dann dabei beobachtet, wie sie Deo inhalierte.
Daraufhin erfolgten ein Drogenscreening und eine Drogenevaluation, die ergaben,
dass die Jugendliche seit circa neun Monaten zunehmend Deo-Dämpfe inhalierte,
zum Schluss bis zu acht Dosen pro Tag. Es werden folgende Nebenwirkungen bei
Deo-Inhalation beschrieben: massive Aggressivität, Wesensveränderung, extreme
Abhängigkeit, massives Craving; tödliche Komplikationen sind häufig.
Nach dem extrem belastenden Entzug zeigte sich ein Mädchen mit deutlich reduzierter Psychopathologie und deutlichem Rückgang der Borderline-Symptomatik.
Das Ergebnis des AIDA hatte – trotz der akuten Symptomatik – die tatsächlich zugrundeliegende, wenig beeinträchtigte Identitätsstruktur erfasst.
3.3 Fallbeispiel 3:
Vorstellungsgrund: Die 16,8-jährige Patientin mit seit Jahren bestehendem ausgeprägten Lügen, massiven Essstörungen (Wechsel von bulimischer, anorektischer und
binge-eating Symptomatik), selbstverletzendem Verhalten und schon seit Jahren
bestehenden Problemen mit Peers (ständig wechselnde Freunde nach streithaften
Auseinandersetzungen), wurde jugendpsychiatrisch vorgestellt. Sie hatte bereits
vier Mal die Schule abgebrochen (bei einem IQ von 120), war schon mehrfach in
kinderpsychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung gewesen. Diese habe
sie aber immer abgebrochen. Nun war sie in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Dort fiel sie durch ein stark manipulatives Verhalten, einen ständigen Wechsel zwischen Idealisierung und Entwertung sowie selbstverletzendes Verhalten auf.
Auf der Symptomebene erreichte sie sieben von neun Kriterien einer BorderlinePersönlichkeitsstörung. Im klinischen Interview zeigte sich eine verwirrende und
wenig greifbare Patientin, die wie ein Chamäleon wirkte. Die Beschreibung von sich
selbst und anderen war leer. Trotz sehr guter Intelligenz hatte die Jugendliche keine
Vorstellung von ihrer Zukunft, keine Erklärungen, warum sie die Schule trotz guter
Leistungen immer wieder abbrach, vor allem, warum sie ständig die ungeheuerlichsten Geschichten erfand, konnte sie selbst nicht erklären. Lediglich die Aussage,
wie sehr sie ihren Körper hasse, war klar von ihr benannt.
Diagnostik: Im SKID II erfüllte sie die Kriterien für eine Dependente, eine Negativistische und eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Das AIDA-Profil (s. Abb. 4) ist
gut vereinbar mit dem SKID II-Ergebnis und dem klinischen Eindruck und zeigt eine
stark beeinträchtigte Identitätsentwicklung, geprägt durch eine starke Identitäts-Diskontinuität (T-Wert 80). Im Einzelnen fällt eine fehlende Stabilisierung durch langfristige Ziele und stabile Eigenschaften und ein fehlendes inneres Kontinuitätsgefühl und
fehlende Perspektive auf (T-Wert 80). Der Bereich der stabilisierenden Beziehungen
und Rollen ist ebenso auffällig (T-Wert 74). Insgesamt ist auch die Identitätskohärenz
auffällig (T-Wert 72), getragen durch die Ergebnisse in den Subskalen „Konsistenz“ im
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595
Sinne eines widersprüchlichen Selbstbildes mit Gefühlen starker Gegensätzlichkeiten
(T-Wert 76), und „kognitive Selbstreflexion“ geprägt durch große Schwierigkeiten eigene Motive und Taten zu verstehen (T-Wert 74). Einzig die Subskala „Autonomie“
im Sinne wahrgenommener Ich-Schwäche und starker Beeinflussbarkeit von außen
ist gerade noch unauffällig (T-Wert 60). Insgesamt erreichte die Patientin auf der Gesamtskala „Identitätsdiffusion“ einen T-Wert von 77, was bedeutet, dass weniger als
ein Prozent der Normpopulation ähnlich hohe Werte erreichen.
Abbildung 4: Profil zu Fallbeispiel 3
Behandlung: Zu Beginn der Behandlung zeigte die Patientin eine fast unterwürfige Haltung, passte sich der Therapeutin völlig an, war unecht und gekünstelt im Affekt und
imponierte wie eine „Als-Ob-Persönlichkeit“. Schnell zeigte sich, dass die Patientin Versionen von Vorfällen präsentierte, die durch die Zusammenarbeit mit der Jugendhilfeeinrichtung als erfunden entlarvt werden konnten, an die die Jugendliche selbst fest
glaubte (Pseudologia phantastica). Sie hatte eine starke Manipulationsfähigkeit. Nach
anfänglicher Idealisierung der Therapeutin schlug diese in eine starke Entwertung um,
die darin gipfelte, dass sie ihrer Mutter angebliche Vorfälle aus der Therapie erzählte, was
dazu führte, dass die Mutter der Tochter dazu riet, die Therapie abzubrechen und sogar
mit anwaltlichen Konsequenzen drohte. Da die Situation nicht aufzuklären war, wurde
die Therapie auf diese Weise beendet, wie schon drei Therapien zuvor.
3.4 Fallbeispiel 4
Vorstellungsgrund: 16,2-jähriger Junge, der seit mehreren Monaten die Schule nicht
mehr besuchte. Vorausgegangen sei eine „Mobbing-Situation“, nachdem er zuvor,
wie er selbst sagte, „für alle, vor allem für die Mädchen, der wichtigste Mitschüler“
596 M. Birkhölzer et al.
gewesen sei. Niemand würde andere so gut verstehen wie er, deshalb hätten ihn die
anderen auch dringend gebraucht. Die anderen seien neidisch darauf gewesen, dass
er so überdurchschnittlich sei, und hätten ihn dann schlecht gemacht.
Seine Vorgeschichte ist geprägt von Entwertung und Überhöhung seiner Person: Er
ist das uneheliche Kind seiner Mutter, und das außereheliche Kind seines Vaters, der
im selben Haus wie Mutter und Sohn mit seiner Ehefrau (mit der er keine Kinder hatte) lebte, die aber nicht wissen durfte, dass der Junge sein Sohn war. Außerhalb dieser
Konstellation (also z. B. im Freizeitbereich) wurde der Junge aber stolz präsentiert und
wie ein „Prinz“ dargestellt. In anderen Situationen durfte er wiederum nicht zu erkennen geben, wer er war. Von der Mutter wurde er als „einziger Mann im Haus“ ebenso
stark aufgewertet. Diese beiden Seiten wechselten so lange ab, bis der Vater vor drei
Jahren starb. Laut der Lehrer hatte der Junge immer schon ein sehr arrogantes und
überhebliches Auftreten und dadurch keine Freunde. Er habe immer versucht, andere
zu manipulieren und Mitschüler gegeneinander auszuspielen sowie falsche Dinge zu
erzählen, bis die Klasse sich gegen ihn zusammentat und er ausgeschlossen wurde.
Daraufhin habe er die Schule verweigert.
Diagnostik: Im SKID II erfüllt der Patient die Diagnosekriterien für eine Narzisstische Persönlichkeitsstörung. Der AIDA ist sowohl auf Subskalen-Ebene als auch
auf Hauptskalen-Ebene hoch auffällig im Sinne einer Identitätsdiffusion. Beide
Hauptskalen und vier der sechs Subskalen erreichen den Maximal-T-Wert von 80,
was bedeutet, dass weniger als 0,1 % der Normpopulation vergleichbar hohe Werte erzielen. Insgesamt zeigt sich eine stark beeinträchtigte Identitätsentwicklung im
Sinne einer Identitätsdiffusion, gekennzeichnet durch fehlende Stabilisierung durch
langfristige Ziele, ein fehlendes inneres Kontinuitätsgefühl und fehlende Perspektive
(T-Wert 72); ein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl und fehlende soziale Verankerung
(T-Wert 80), außerdem durch Gefühle innerer Gegensätzlichkeit („verschiedene
Gesichter“), einen starken Unterschied zwischen Innen und Außen, schmerzhafte
Ambivalenz oder Leere (T-Wert 80) sowie durch große Probleme, eigene Motive
und Taten zu verstehen (T-Wert 68), einen fehlenden Zugang zur eigenen und fremden Gefühlswelt und fehlendes Vertrauen in die Stabilität von positiven Gefühlen
(T-Wert 80), ebenso wie eine wahrgenommenen Ich-Schwäche, starke Beeinflussbarkeit von außen, Überidentifikation, fehlende Selbstbehauptung und mangelhafte
Affektregulierung (T-Wert 80).
Behandlung: Anfangs war es schwierig, den Patienten in der Behandlung zu halten.
Er zeigte ein stark entwertendes und arrogantes Verhalten, das ein therapeutisches Arbeiten schwierig machte. Da die „narzisstische Überblähung“ auch eine Bedürftigkeit
nach Behandlung nicht zulassen konnte, konnte er eine positive Veränderung weder
zulassen noch erkennen. Anfangs bestand nur das Ziel, ihn wieder in eine Schule zu
integrieren und ihn in der Behandlung zu halten. Beides gelang, und sehr langsam
konnte der Adoleszente auch seine bedürftige Seite zeigen, ohne die Angst, dass der
Therapeut „triumphieren“ könnte. Mehrmals drohte eine erneute Schulverweigerung,
da er auch in der neuen Schule mit seiner überheblichen Art nicht gut ankam.
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597
3.5 Fallbeispiel 5
Vorstellungsgrund: Die 15,5-jährige Patientin wurde von einer Jugendhilfeeinrichtung vorgestellt, in der sie nach einer Inobhutnahme seit einem Jahr lebte. Sie sei
auffallend kühl und distanziert im Kontakt, wäre am liebsten allein, wirke depressiv und wenig interessiert an Kontakten. Seit Kurzem zeige sie selbstverletzendes
Verhalten. Im Erstkontakt zeigte sich ein rationales, sehr intelligentes Mädchen mit
starkem Wunsch nach Autarkie („Ich brauche niemanden!“), ohne eigene Therapiemotivation, da sie sich nicht ändern wolle („Ich habe keine Gefühle und das finde
ich gut!“). Aufgrund der starken Selbstverletzungen bestand die Jugendhilfeeinrichtung aber auf eine Behandlung und so wurden zunächst 14-tägige Therapiestunden
vereinbart. Die Patientin brach nach kurzer Zeit die Therapie ab und kam erst fünf
Monate später zurück, dieses Mal mit eigenem Wunsch nach Hilfe.
Diagnostik: Im SKID II erfüllte sie die Kriterien für eine Schizoide sowie für eine
Borderline-Persönlichkeitsstörung. Im AIDA zeigt sich ein auffälliges Profil, welches
– zur Schizoiden Persönlichkeitsstörung passend – jedoch unauffällig ist in den Bereichen „Autonomie“ (T-Wert 56) und „kognitive Selbstreflexion“ (T-Wert 58), ebenso ist der Bereich „Diskontinuität bezgl. Eigenschaften“ wenig auffällig (T-Wert 63).
Die Patientin erreicht einen Gesamt-T-Wert von 73, entsprechend erreichen weniger
als 1,1 % der Normpopulation vergleichbar hohe Werte, was als Identitätsdiffusion
interpretiert wird.
Behandlung: Besondere therapeutische Herausforderung war es, auf die starken
Distanzierungs- und Autonomiewünsche der Patientin zu achten, um einen erneuten Therapieabbruch zu verhindern. Da jede Art von emotionaler Abhängigkeit von
starker Angst begleitet wurde, waren die zentralen Abwehrmechanismen am Anfang
der Behandlung Rationalisierung und Intellektualisierung (Diskrepanz zwischen
fehlender emotionaler bei guter kognitiver Selbstreflexion, siehe AIDA-Profil). Sehr
allmählich entstanden in der Therapie traurige Gefühle über die sehr traumatische
Kindheit mit vielen Entbehrungen.
4
Diskussion
Ein Kernbereich der beeinträchtigten psychosozialen Funktionen der von einer Persönlichkeitsstörung Betroffenen und somit ein Kernbereich der Störung überhaupt,
ist die Identitätsentwicklung. Eine gestörte Identitätsentwicklung im Sinne einer
Identitätsdiffusion beinhaltet eine stark beeinträchtigte Selbstreflexion, eine stark
beeinträchtigte Emotionsregulation, ein Gefühl innerer Leere, Bedeutungslosigkeit,
Wertlosigkeit und Orientierungslosigkeit sowie starke Instabilität bezüglich des Selbsterlebens und bezüglich zwischenmenschlicher Beziehungen. Auf Symptomebene
kann sich eine Identitätsdiffusion durchaus vielseitig präsentieren (Depression, Selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität, Unfähigkeit zu stabilen, nahen Beziehungen etc.).
598 M. Birkhölzer et al.
Auf der anderen Seite können für eine Identitätsdiffusion typische Symptome eine
völlig andere Grundlage haben. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Ursache, das Zugrundeliegende einer klinischen Symptomatik zu suchen und zu verstehen, damit die
Identitätsdiffusion spezifisch behandelt werden kann. Mit dem AIDA wurde ein Instrument eingeführt, welches eine pathologische Identitätsentwicklung im Jugendalter
differenziert und mit hervorragender statistischer Güte erfassen kann. Im klinischen
Setting differenziert er deutlich zwischen Jugendlichen mit Persönlichkeitsstörung
und anderen Störungsbildern (Depression etc.). Er kann somit sehr gut als ScreeningInstrument eingesetzt werden. Zudem können die Ergebnisse dem Untersucher dabei
helfen, ein differenziertes Bild des Jugendlichen unter Einbeziehung der beeinträchtigten Kernbereiche etwaiger Identitätspathologie zu erlangen. Häufig sind Jugendliche
erleichtert, wenn sie erfahren, dass es für ihre komplexen Schwierigkeiten einen Namen gibt und sie mit ihrer psychischen Störung nicht allein sind, dass ihre Probleme
nachvollziehbar sind, dass sie wahrgenommen und verstanden werden und vor allem,
dass man ihnen störungsspezifisch helfen kann, da inzwischen verschiedene störungsspezifische Therapiemethoden zur Verfügung stehen. Insbesondere wurde mit dem
Adolescent Identity Treatment (Foelsch et al., 2013) eine identitätsstörungsspezifische
Therapie für Jugendliche eingeführt.
Fazit für die Praxis
Es konnte gezeigt werden, dass Persönlichkeitsstörung bereits im Jugendalter diagnostiziert werden können. Es stehen verschiedene manualisierte Therapiemethoden zur Behandlung von Jugendlichen zur Verfügung, die unter einer Persönlichkeitsstörung leiden. Aus diesem Grund sollten Betroffene spezifisch nach ihrem
Störungsbild behandelt werden, und man sollte ihnen nicht aufgrund befürchteter
Stigmatisierung eine wirksame Therapiemethode vorenthalten. Die Erfassung und
Therapie von Persönlichkeitsstörungen im Kindes- und Jugendalter ist notwendig,
um der Verfestigung und Verschlimmerung der Problematik ins Erwachsenenalter
entgegenzuwirken.
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Korrespondenzanschrift: Marc Birkhölzer, Jugendforensische Ambulanz (JAM), Universitäre Psychiatrische Kliniken, Wilhelm-Klein-Strasse 27, CH-4012 Basel; E-Mail:
[email protected]
Marc Birkhölzer, Kirstin Goth, Christian Schrobildgen, Klaus Schmeck und Susanne Schlüter-Müller, Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel/Schweiz; Susanne
Schlüter-Müller, Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Frankfurt am Main/Deutschland
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Visuelle Wahrnehmungsleistungen bei motorisch auffälligen
Kindern – eine Pilotstudie
Lina Werpup-Stüwe und Franz Petermann
Summary
Visual Perceptual Abilities of Children with Low Motor Abilities – A Pilot Study
The results of many studies show visual perceptual deficits in children with low motor abilities. This study aims to indicate the correlation between visual-perceptual and motor abilities. The correlation of visual-perceptual and motor abilities of 41 children is measured by
using the German versions of the Developmental Test of Visual Perception – Adolescent and
Adult (DTVP-A) and the Movement Assessment Battery for Children – Second Edition (MABC-2). The visual-perceptual abilities of children with low motor abilities (n = 21) are also
compared to the visual-perceptual abilities of children with normal motor abilities (the control group, n = 20). High correlations between the visual-perceptual and motor abilities are
found. The perceptual abilities of the groups differ significantly. Nearly half of the children
with low motor abilities show visual-perceptual deficits. Visual perceptual abilities of children
suffering coordination disorders should always be assessed. The DTVP-A is useful, because
it provides the possibilities to compare motor-reduced visual-perceptual abilities and visualmotor integration abilities and to estimate the deficit’s degree.
Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 64/2015, 601-616
Keywords
visual perception – low motor abilities – DTVP-A – correlation – comparative study
Zusammenfassung
Viele Studien weisen auf das Vorliegen von visuellen Wahrnehmungsdefiziten bei motorisch
auffälligen Kindern hin. Diese Studie beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen
den motorischen Leistungen Handgeschicklichkeit, Ballfertigkeiten und Balance und visuoperzeptiven sowie visuo-motorischen Wahrnehmungsfähigkeiten. Der Zusammenhang der
visuellen Wahrnehmungsleistungen mit den motorischen Fertigkeiten von 41 Kindern wird
anhand des Frostigs Entwicklungstest der visuellen Wahrnehmung für Jugendliche und Erwachsene (FEW-JE) und der Movement Assessment Battery for Children – Second Edition
(M-ABC-2) erhoben. Zudem werden die visuellen Wahrnehmungsleistungen der motorisch
auffälligen Kinder (n = 21) mit denen von motorisch unauffälligen Kindern (n = 20) verglichen. Die visuellen Wahrnehmungsleistungen der Kinder korrelieren stark mit den motorischen Leistungen. Die Wahrnehmungsleistungen beider Gruppen unterscheiden sich
Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 64: 601 – 616 (2015), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online)
© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2015
602 L. Werpup-Stüwe, F. Petermann
signifikant. Knapp die Hälfte der motorisch auffälligen Kinder weist visuelle Wahrnehmungsdefizite auf. Im Rahmen der klinischen Diagnostik und der Therapieplanung sollten die visuellen Wahrnehmungsfähigkeiten von Kindern mit motorischen Defiziten immer überprüft
werden. Der Einsatz eines Testverfahrens wie dem FEW-JE erscheint angemessen, da sich
die motorik-reduzierten visuellen Wahrnehmungsleistungen gezielt mit den Leistungen im
Bereich der visuo-motorischen Integration vergleichen lassen und so der Schweregrad der
visuellen Wahrnehmungsdefizite eingeordnet werden kann.
Schlagwörter
visuelle Wahrnehmung – motorische Funktionen – FEW-JE – Korrelation – Vergleichsstudie
1
Hintergrund
1.1 Motorische Entwicklungsstörungen
Motorisch auffällige Kinder können Defizite in den Bereichen Grob- und Feinmotorik aufweisen (vgl. z. B. Kastner et al., 2011; Knievel u. Petermann, 2008. Feinmotorische Defizite zeigen sich beispielsweise beim Ausführen alltäglicher Handlungen
(Selbstversorgung, Spiel- und Freizeitaktivitäten) und oftmals auch in schlechten
Schulleistungen im Schreiben. Grobmotorische Auffälligkeiten kann man an einem
ungeschickten Umgang der Kinder mit dem Ball oder häufige Stürze erkennen (Kastner u. Petermann, 2009). Das DSM-5 erfasst das beschriebene Störungsbild unter
der Diagnose „Entwicklungsbezogene Koordinationsstörung“, wobei bei dieser Störung häufig auch kognitive Defizite und psychische Verhaltensauffälligkeiten auftreten (Kastner u. Petermann, 2010a, b). Zur Diagnosestellung ist zunächst relevant,
dass die Ausführung von koordinierten motorischen Bewegungsabläufen des Kindes
wesentlich unter dem Niveau liegen muss, das für sein Lebensalter und seine Lernund Übungsmöglichkeiten zu erwarten wäre. Dabei sind Ungeschicklichkeiten (wie
beispielsweise an Gegenstände anstoßen) und verlangsamt ausgeführte bzw. ungenau
koordinierte Bewegungsabläufe (z. B. beim Fangen eines Balls oder Benutzen einer
Schere) beobachtbar. Die beschriebenen Schwierigkeiten müssen zur Diagnosestellung zudem Aktivitäten des täglichen Lebens, die für das Lebensalter angemessen
sind (z. B. schulische Fertigkeiten und Freizeitaktivitäten) deutlich und überdauernd
behindern sowie die schulische Leistungsfähigkeit, Ausbildungsaktivitäten, berufliche
Tätigkeiten oder das Freizeit- und Spielverhalten beeinträchtigen. Außerdem muss
der Beginn der Symptomatik in einer frühen Entwicklungsphase liegen und die motorischen Schwierigkeiten dürfen sich nicht besser durch eine intellektuelle Beeinträchtigung oder Sehstörung erklären lassen bzw. dürfen nicht auf neurologischen Faktoren
basieren, die mit Bewegungsabläufen in Verbindung stehen (z. B. Zerebralparese oder
degenerative Erkrankungen).
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Visuelle Wahrnehmungsleistungen bei motorisch auffälligen Kindern������
603
Die ICD-10 bietet eine vergleichbare Möglichkeit, Beeinträchtigungen der motorischen Leistungsfähigkeit zu erfassen; sie werden unter dem Begriff „Umschriebene
Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen“ (F82, kurz UEMF) klassifiziert.
Das Hauptmerkmal bildet eine schwerwiegende Entwicklungsbeeinträchtigung der
motorischen Koordination, welche nicht allein durch eine Intelligenzminderung oder
eine neurologische Störung erklärbar sein darf, und die Schulausbildung oder alltägliche Tätigkeiten beeinflussen muss. Die European Academy for Childhood Disability (EACD) stellt Diagnosekriterien bereit, nach denen das Störungsbild sowohl nach
ICD-10 als auch nach DSM-5 klassifizierbar ist (vgl. Blank, Smits-Engelsman, Polatajko, Wilson, 2012). Sie sind in Kasten 1 dargestellt. In der internationalen Fachliteratur wird zur Beschreibung der Störung meist die DSM-5-Diagnose „Developmental
coordination disorder (DCD)“ (dt. Entwicklungsbezogene Koordinationsstörung)
verwendet. Die EACD empfiehlt, diesen Begriff in Ländern zu verwenden, in denen
das Klassifikationssytem DSM-5 gilt. In Ländern, in denen die ICD-10 gültig ist (u.
a. in Deutschland), sollte der dazugehörige Begriff UEMF (engl. „Specific developmental disorder of motor functions“) verwendet werden. In einigen Studien werden
zur Beschreibung des Störungsbildes auch die Begriffe „motorische Ungeschicklichkeit“ (bzw. engl. „clumsiness“) oder „Kinder mit schwachen motorischen Fähigkeiten“
(engl. „children with low motor ability“) verwendet (vgl. Bonifacci, 2004; Schott u.
Roncesvalles, 2004).
Kasten 1: Diagnosekriterien für Entwicklungsbezogene Koordinationsstörung/Umschriebene
Entwicklungsstörung motorischer Funktionen nach EACD (modifiziert nach Blank et al., 2012)
1. Die motorische Leistung liegt wesentlich unter dem Niveau, das aufgrund des chronologischen
Alters bei angemessenen Entwicklungsbedingungen zu erwarten wäre. Die schwache motorische
Leistung kann sich in schwacher Balancefähigkeit, in Ungeschicklichkeit, im Fallenlassen von
oder im Zusammenstoßen mit Objekten zeigen oder in anderen Schwierigkeiten beim Erwerb von
basalen motorischen Fertigkeiten (z. B. Fangen, Werfen oder Schießen von Bällen sowie Rennen,
Springen, Hüpfen, Schneiden, Anmalen, Drucken, Handschreiben). Ebenso können deutliche
Verzögerungen im Erreichen von entwicklungsbedingten motorischen Meilensteinen (z. B. Laufen, Krabbeln, Sitzen) berichtet werden.
2. Die bestehenden motorischen Schwierigkeiten behindern die Alltagsaktivitäten oder Schulleistungen (z. B. Selbstfürsorge und -pflege, Handschrift, schulische/berufliche Leistung, Freizeitund Spielaktivitäten) wesentlich.
3. Die Beeinträchtigung der motorischen Koordination ist nicht allein durch eine Intelligenzminderung zu erklären. Die Störung lässt sich nicht durch eine spezifische angeborene oder erworbene
neurologische Schädigung oder psychosoziale Probleme (z. B. durch eine schwere Aufmerksamkeitsstörung) erklären.
Die UEMF gehört mit einer Prävalenz von 5-6 % zu einer der häufigsten Störungen
des Kindes- und Jugendalters (Dewey u. Wilson, 2001; Kadesjo u. Gillberg, 1998;
Mandich u. Polatajko, 2003). Die Ursachen der Störung sind noch unklar. Es wird
allerdings von multikausalen Erklärungsansätzen ausgegangen (Kastner u. Petermann, 2009). Die Defizite der Kinder sind sehr unterschiedlich ausgeprägt (Dewey
604 L. Werpup-Stüwe, F. Petermann
u. Wilson, 2001) und sie bestehen vermutlich bis ins Erwachsenenalter (Cousins u.
Smyth, 2003; Mandich u. Polatajko, 2003; Schott u. Roncesvalles, 2004).
Bei Kindern mit visuellen Wahrnehmungsstörungen lassen sich oftmals nicht nur
ähnliche Defizite (z. B. im Laufen, Fangen, Werfen, Abzeichnen; vgl. Petermann et al.,
2013) beobachten, sondern auch Zusammenhänge zwischen motorischen und visuellen Wahrnehmungsstörungen feststellen (vgl. z. B. Kastner et al., 2011; Knievel u.
Petermann, 2008).
1.2 Visuelle Wahrnehmung und Motorik
Bei der Erforschung visueller Wahrnehmungsleistungen ist es besonders problematisch,
dass unterschiedliche Begriffe zur Spezifizierung herangezogen werden und bislang keine eindeutige Definition einer „visuellen Wahrnehmungsstörung“ nach ICD-10 oder
DSM-5 existiert. In der vorliegenden Studie wird visuelle Wahrnehmung als Bestandteil
der Informationsverarbeitung definiert, der zwischen der Sinnesempfindung (passive
Reaktion der Rezeptorzellen) und komplexen kognitiven Prozessen (z. B. gesprochene
und geschriebene Sprache, Denken und Schlussfolgern) vermittelt. Visuelle Wahrnehmung beinhaltet demnach einfache Prozesse wie die Wahrnehmung von Farbe, Form
etc. Hierzu gehören die Aspekte „Formkonstanz“, „Figur-Grund-Unterscheidung“,
„Lage im Raum“ und „Räumliche Beziehungen“ (Reynolds, Pearson, Voress, 2002).
Bei der visuellen Wahrnehmung lassen sich zwei eng verknüpfte, aber unterschiedlich spezialisierte kortikale visuelle Systeme unterscheiden. Das eine System verarbeitet die Wahrnehmung von Objekten. Es handelt sich um einen ventral verlaufenden
Pfad, der vom primären visuellen Kortex in den inferiotemporalen Kortex projiziert.
Das andere System verläuft dorsal vom primären visuellen Kortex in den intraparietalen
Sulcus und den superioren okzipito-parietalen Kortex. Hier werden räumliche Wahrnehmungsaspekte verarbeitet, die auch zur Bewegungsanbahnung (z. B. Greifen von
Objekten) relevant sind (Goodale, 2013). Demnach ist davon auszugehen, dass visuelle
Wahrnehmungsaufgaben, die Bewegung beinhalten (z. B. Abzeichnen) eher über die
dorsale Route verarbeitet werden und dass die Lösung motorik-reduzierter Aufgaben (z.
B. Formkonstanz) eher über den ventralen Pfad erfolgt. Neuropsychologische Studien
kommen zu dem Ergebnis, dass die Entwicklung des dorsalen Pfades im Vergleich zur
Entwicklung des ventralen Pfades empfindlicher für Funktionsstörungen ist („Dorsal
stream vulnerability“; vgl. Braddick, Atkinson, Wattam-Bell, 2003).
Die Schnittstelle zwischen motorischer Handlung und visueller Wahrnehmung bildet die Visuomotorik (AWMF, 2009). Die Hirnregion, in der die visuo-motorischen
Transformationen erfolgen, ist ebenfalls der intraparietale Sulcus. Hier werden die
sensorischen Informationen in körperzentrierte Koordination transformiert. Der anteriore intraparietale Sulcus ist unter anderem beim visuell geführten Greifen, beim
vorgestellten Objektmanipulieren und beim mentalen Rotieren aktiviert und zuständig für die Analyse dreidimensionaler Informationen im Zusammenhang mit Greifbewegungen. In die visuelle Kontrolle von Bewegungen sind zudem Regionen im su-
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Visuelle Wahrnehmungsleistungen bei motorisch auffälligen Kindern������
605
perioren Parietallappen beteiligt (vgl. Jäncke, 2013). Bei vielen neuropsychologischen
und Entwicklungsstörungen (Autismus, Williams Syndrom, frühgeborene Kinder)
konnte bereits nachgewiesen werden, dass die Funktionen des dorsalen Pfades der
betroffenen Kinder häufig gestört sind. Ob dies auch auf Kinder mit UEMF zutrifft, ist
bislang fraglich (vgl. Übersicht von Braddick u. Atkinson, 2013).
Die Ergebnisse einiger Studien, die mit Kindern mit motorischen Entwicklungsstörungen durchgeführt worden sind, weisen auf defizitäre Funktionen in der dorsalen
Verarbeitung der visuellen Informationen hin. Im Rahmen der Validierung des FEW-2
wurden die visuellen Wahrnehmungsleistungen von Kindern mit UEMF im Alter von
fünf bis acht Jahren mit denen einer Kontrollgruppe verglichen. Die Kinder mit UEMF
wiesen defizitäre Leistungen in der visuo-motorischen Integration auf, während sie
in den motorik-reduzierten Leistungen im Durchschnitt altersgemäße Leistungen
erzielten (Büttner, Dacheneder, Schneider, Weyer, 2008). Zu ähnlichen Ergebnissen
gelangt auch eine Studie von Bonifacci (2004), in der Kinder mit geringen grobmotorischen Leistungen signifikant schlechter in Aufgaben zur visuo-motorischen Integration abschnitten als Kinder mit überdurchschnittlichen grobmotorischen Leistungen;
es waren jedoch keine Gruppenunterschiede in den motorik-reduzierten visuellen
Wahrnehmungsaufgaben nachweisbar.
Eine andere Studie von Schoemaker et al. (2001), bei der die visuellen Wahrnehmungsleistungen von Sechs- bis Zwölfjährigen mit UEMF mit denen einer gleichaltrigen Kontrollgruppe verglichen wurden, ergab hingegen nicht nur signifikante
Unterschiede in der Subskala „Visuo-motorischen Integration“, sondern auch in den
motorik-reduzierten Untertests „Gestaltschließen“ und „Lage im Raum“ im Developmental Test of Visual Perception (DTVP-2; Hammill, Pearson, Voress, 1993), was
auf eine zusätzliche Störung des ventralen Verarbeitungspfades hinweist. Bei einer
weiteren Studie mit Neun- und Zehnjährigen schnitten die motorisch gestörten Kinder in der Gesamtskala und in allen Untertests eines motorik-freien visuellen Wahrnehmungstests, der unter anderem Aufgaben zur Erfassung der Formkonstanz, des
Gestaltschließens und der Figur-Hintergrund-Unterscheidung enthält, signifikant
schlechter ab als die Kontrollgruppe (Tsai, Wilson, Wu, 2008). In anderen Studien
erzielten Kinder mit entwicklungsbedingter Koordinationsstörung signifikant schwächere Leistungen beim Abzeichnen geometrischer Figuren als motorisch unauffällige
Gleichaltrige (Dewey u. Wilson, 2001; Van Waelvelde, de Weerdt, de Cock, SmitsEngelsman, 2004).
2
Fragestellungen
Basierend auf der Annahme, dass die motorik-reduzierte visuelle Wahrnehmung und die
motorische Koordination zwei getrennte neuropsychologische Systeme darstellen, würden schwache Leistungen in Tests zur Erfassung visuo-motorischen Integration keinen
Hinweis darauf geben, ob die Defizite im Bereich der Motorik oder der visuellen Wahr-
606 L. Werpup-Stüwe, F. Petermann
nehmung bestehen oder ob sogar in beiden Bereichen Schwierigkeiten vorliegen (vgl.
Büttner et al., 2008). Davon lässt sich ableiten, dass bei auffälligen Leistungen in der visuomotorischen Integration immer die motorik-reduzierten visuellen Wahrnehmungs- und
die motorischen Leistungen untersucht werden müssen. So würde ein niedriger Testwert
in der visuo-motorischen Integration in Kombination mit einem durchschnittlichen Testergebnis in einem motorik-reduzierten visuellen Wahrnehmungstest auf eine Beeinträchtigung des dorsalen Verarbeitungspfades hinweisen. In anderen Studien zeigen motorisch
auffällige Kinder jedoch ebenfalls defizitäre Leistungen in motorik-reduzierten visuellen
Wahrnehmungstests, was ein Hinweis auf zusätzliche Funktionsstörungen im ventralen
Verarbeitungspfad wäre. Aus diesem Grund soll die vorliegende Studie prüfen, ob sich
neben den Leistungen von motorisch auffälligen Kindern in Aufgaben zur Erfassung der
visuo-motorischen Integration auch ihre motorik-reduzierten Leistungen von denen einer motorisch unauffälligen Kontrollgruppe unterscheiden.
Unter klinisch-kinderpsychologischen Gesichtspunkten soll zudem gezeigt werden,
wie viele motorisch auffällige Kinder im späten Kindesalter Defizite in den unterschiedlichen visuellen Wahrnehmungsleistungen aufweisen. Hierbei soll der Anteil
der auffälligen Kinder bezogen auf die visuelle Gesamtleistung angegeben werden;
zudem der Anteil der in den einzelnen Teilbereichen auffälligen Kinder. In diesem
Zusammenhang soll ebenfalls verdeutlicht werden, wie viele Kinder leichte, mittlere
und schwere Wahrnehmungsdefizite zeigen.
Außerdem sollen die Zusammenhänge zwischen verschiedenen motorischen
Leistungen (Handgeschicklichkeit, Ballfertigkeiten und Balance) und motorik-reduzierten sowie motorik-abhängigen visuellen Wahrnehmungsleistungen ermittelt
werden, um zu überprüfen, ob die motorischen Fähigkeiten nur mit den visuo-motorischen Leistungen oder auch mit den motorik-reduzierten visuellen Wahrnehmungsleistungen zusammenhängen.
3
Methodik
3.1 Stichprobe
Von Dezember 2012 bis August 2014 wurden die Daten von insgesamt 41 Schulkindern
im Alter von 9 bis 14 Jahren erhoben. Wesentliche Stichprobenmerkmale sind Tabelle
1 zu entnehmen. Zum Großteil erfolgte die Datenerhebung in einer universitären Forschungseinrichtung. Einige Kinder wurden auch an kooperierenden Schulen in Norddeutschland untersucht. Die Akquise erfolgte über Pressemitteilungen und in Kooperationen mit Förderstellen. Die untersuchten Kinder wurden anhand ihrer Leistungen im
Motoriktest in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Kinder, deren Leistungen im Motoriktest als
kritisch oder therapiebedürftig (Prozentrang < 15) eingestuft wurden, bilden die Gruppe
der motorisch auffälligen Kinder (n = 20); die Kinder, die keine Defizite im Motoriktest
aufwiesen, werden der Kontrollgruppe (KG, n = 21) zugeordnet. Anhand der Durchfüh-
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Visuelle Wahrnehmungsleistungen bei motorisch auffälligen Kindern������
607
rung eines Wortschatz- und eines Matrizentests wurde ausgeschlossen, dass die Ergebnisse von Kindern mit Intelligenzminderung in die Analysen einbezogen wurden. Hierzu wurde festgelegt, dass die Kinder im Wortschatz- oder Matrizentest in der Wechsler
Intelligence Scale for Childen – Fourth Edition (WISC-IV; Petermann u. Petermann,
2014) ein Ergebnis von mindestens vier Wertpunkten (entspricht einem IQ-Wert von
mindestens 70) erzielen müssen. Nach ICD-10 kann für die motorisch auffälligen Kinder die Diagnose UEMF gestellt werden. Da nach EACD-Richtlinien zur Diagnostik
einer UEMF immer auch eine vollständige Familien-, Patienten- und Krankheitsanamnese notwendig ist (vgl. Blank et al., 2012), die im Rahmen der vorliegende Studie
allerdings nur reduziert durch einen Elternfragebogen erfolgt ist, wird im Folgenden der
Terminus „motorisch auffällige Kinder“ und nicht „Kindern mit UEMF“ verwendet.
Laut Elternauskunft sind zwei Kinder Frühgeborene (vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren). Bei sechs Kinder (29 %) gab es Geburtskomplikationen. Bei vier
Kindern (19 %) wurde eine Aufmerksamkeitsstörung diagnostiziert, bei zwei Kindern
frühkindlicher Autismus (10 %) und bei einem Kind (5 %) eine Asperger-Problematik. Keines der Kinder weist eine Lese-Rechtschreibstörung oder Rechenstörung auf.
Den Angaben der Eltern ist zudem zu entnehmen, dass acht Kinder (38 %) verspätet
(im Alter von mehr als 42 Wochen) begonnen haben oder gar nicht das „Krabbelstadium“ durchlaufen haben und, dass neun Kinder (43 %) verspätet (im Alter von mehr
als 60 Wochen) ohne Hilfe Laufen konnten. Des Weiteren geben die Eltern an, dass
ihre Kinder die folgenden Alltagsfertigkeiten nicht beherrschen: sechs Kinder (29 %)
zeigen Auffälligkeiten beim Werfen, 13 (62 %) beim Fangen, zwölf (57 %) beim Balancieren, zehn (48 %) beim Rückwärts gehen, neun (43 %) beim Malen, zehn (48 %)
beim Zeichnen und elf (52 %) beim Basteln.
Tabelle 1: Ausgewählte Stichprobenmerkmale
Alter in Monaten
Geschlecht:
Händigkeit
Schultyp
Muttersprache
männlich
weiblich
links
rechts
Grundschule
Real-/Gesamt-/Oberschule
Gymnasium
Förderschule
Sonstige
Deutsch
Deutsch und andere
andere
KG (n = 20)
132 ± 17
13 (65 %)
7 (35 %)
1 (5 %)
19 (95 %)
10 (50 %)
4 (20 %)
5 (25 %)
0 (0 %)
1 (5 %)
17 (85 %)
3 (15 %)
0 (0 %)
Anmerkungen: KG = Kontrollgruppe, MAK = motorisch auffällige Kinder
MAK (n = 21)
132 ± 17
14 (67 %)
7 (33 %)
2 (9,5 %)
19 (91,5 %)
5 (24 %)
1 (5 %)
1 (5 %)
12 (57 %)
2 (10 %)
17 (81 %)
3 (14 %)
1 (5 %)
608 L. Werpup-Stüwe, F. Petermann
3.2 Instrumente
Zur Erhebung der visuellen Wahrnehmungsleistungen wurde Frostigs Entwicklungstest der visuellen Wahrnehmung – Jugendliche und Erwachsene (FEW-JE;
Petermann et al., 2013) eingesetzt. Der FEW-JE ist für den Altersbereich von 9 bis
90 Jahren normiert. Der Gesamtindex „Allgemeine visuelle Wahrnehmung“ repräsentiert inhaltlich das, was im Rahmen dieser Studie als visuelle Wahrnehmung definiert wird. Der Indexwert wird aus den Leistungen in sechs Untertests gebildet,
von denen jeder einen spezifischen Aspekt der visuellen Wahrnehmung erfasst. Im
FEW-JE sind zwei grundlegende Formate zur Testung visueller Wahrnehmungsfähigkeiten integriert worden, die sich in den folgenden Skalen widerspiegeln: motorik-reduzierte Aufgaben und Aufgaben zur visuo-motorischen Integration. Der
Index „Motorik-reduzierte visuelle Wahrnehmung“ erfasst die visuellen Wahrnehmungsleistungen in den Untertests „Figur-Grund“, „Gestaltschließen“ und
„Formkonstanz“ ohne den Gebrauch von handmotorischen Fähigkeiten. Der Index
„Visuo-motorische Integration“ setzt sich aus den Untertests „Abzeichnen“, „Visuomotorische Suche“ und „Visuo-motorische Geschwindigkeit“ zusammen.
Die motorischen Fähigkeiten der Kinder wurden mit der deutschsprachigen Adaption der Movement Assessment Battery for Children – Second Edition (M-ABC-2;
Petermann, 2009) erhoben. Die M-ABC-2 erfasst die motorischen Leistungen in den
Bereichen Handgeschicklichkeit, Ballfertigkeiten und Balance. Je nach Altersgruppe
kommen unterschiedliche Untertests zum Einsatz. Es werden jeweils acht Untertests
durchgeführt, aus denen sich auch ein Gesamttestwert berechnen lässt. Die M-ABC-2
ist für den Altersbereich von 3 bis 16 Jahren normiert.
Die kognitive Leistungsfähigkeit der Kinder wurde anhand der Untertests „Wortschatztest“ und „Matrizentest“ aus der Wechsler Intelligence Scale for Childen –
Fourth Edition (WISC-IV; Petermann u. Petermann, 2014) geschätzt.
3.3 Statistik
Die statistischen Berechnungen sind in drei Abschnitte unterteilt: Der erste Abschnitt
enthält nonparametrische Gruppenvergleiche, die anhand des U-Tests nach MannWhitney berechnet werden. Das Signifikanzniveau wird auf α = 0.05 festgelegt. Die
Vergleiche auf Untertestebene wurden indexweise nach Bonferroni-Holm gegen eine
Inflation des α-Fehlers abgesichert. Zudem wird die Effektstärke d angegeben. Dann
wird der prozentuale Anteil der Kinder dargestellt, die auffällige Werte (mindestens 1
SD unterhalb des mittleren Normwertes) im FEW-JE, das heißt Werte von klinischer
Relevanz (mindestens -1.5 SD) und weit unterdurchschnittliche Werte (mindestens
-2 SD) aufweisen. Im dritten Abschnitt folgt die Darstellung der korrelativen Zusammenhänge zwischen den visuellen Wahrnehmungs- und den motorischen Leistungen
anhand der Produkt-Moment-Korrelation nach Pearson (r).
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609
4
Ergebnisse
4.1 Gruppenunterschiede im FEW-JE
Die visuellen Wahrnehmungsleistungen der beiden Gruppen unterscheiden sich signifikant im Gesamtindex des FEW-JE („Allgemeine visuelle Wahrnehmung“), in
den beiden Indexwerten („Motorik-reduzierte visuelle Wahrnehmung“ und „Visuomotorische Integration“) sowie den Untertests „Gestaltschließen“, „Formkonstanz“,
„Abzeichnen“ und „Visuo-motorische Suche“. Die Effekte sind als groß einzustufen.
Die beiden Gruppen unterscheiden sich zudem tendenziell im Untertest „FigurGrund“. Die Kinder der Kontrollgruppe (KG) erzielen im Durchschnitt die besseren
Leistungen. In der „Visuo-motorische Geschwindigkeit“ zeigen sich keine Gruppenunterschiede. Die Mittelwerte der KG liegen insgesamt im durchschnittlichen Bereich (Indexwerte: 85-114, Untertests Wertpunkte: 7-13), die Mittelwerte der Gruppe der motorisch auffälligen Kinder in der „Allgemeinen visuellen Wahrnehmung“
und im Untertest „Abzeichnen“ darunter (vgl. Tab. 2).
Tabelle 2: Gruppenvergleich der visuellen Wahrnehmungsleistungen
Allg. visuelle Wahrnehmung
Motorik-reduzierte visuelle
Wahrnehmung
Figur-Grund
Gestaltschließen
Formkonstanz
Visuo-motorische Integration
Abzeichnen
Visuo-motorische Suche
Visuo-motorische
Geschwindigkeit
KG
MAK
(n = 20)
(n = 21)
M
SD
M
SD Diff.
104,4 ±13,8 84,1 ±20,9 20,3
105,5 ±13,3 88,0 ±20,9
11,2 ±2,6
9,0 ±3,0
10,5 ±2,5
7,6 ±3,7
10,8 ±2,4
8,1 ±4,0
101,6 ±13,0 86,1 ±17,4
9,5 ±4,0
6,0 ±3,2
10,4 ±2,9
8,3 ±3,0
10,8
±3,4
9,7
±2,8
17,5
2,2
2,9
2,7
15,5
3,5
2,1
U
84,000
110,000
130,500
106,000
132,000
92,000
102,000
118,000
p
α
d
0,001 0,050 1,20
0,009
0,037
0,006
0,041
0,002
0,004
0,015
0,050
0,025
0,017
0,050
0,050
0,017
0,025
0,89
0,69
0,94
0,67
1,10
0,99
0,82
1,1 164,500 0,232 0,050 0,38
Anmerkungen: Diff. = Differenz, KG = Kontrollgruppe, M = Mittelwert, MAK = motorisch auffällige
Kinder, SD = Standardabweichung, U = Mann-Whitney-U-Testwert, p = Signifikanz, α = indexweise
nach Bonferroni-Holm korrigierter α-Fehlerwert, d = Effektstärke
4.2 Prozentuale Verteilungen der im FEW-JE auffälligen Kinder
Ein Kind (5 %) aus der KG zeigt ein leichtes visuelles Wahrnehmungsdefizit (-1 SD
vom Normmittelwert) im Gesamtindex des FEW-JE („Allgemeine visuelle Wahrnehmung“). Auf Subskalen- und Untertestebene zeigt ebenfalls je ein Kind (5 %) aus
610 L. Werpup-Stüwe, F. Petermann
der KG auffällige Leistungen im Index „Visuo-motorische Integration“ sowie bei den
Untertests „Gestaltschießen“ und „Visuo-motorische Suche“. Im Index „Motorik-reduzierte visuelle Wahrnehmung“ und in den Untertests „Formkonstanz“ und „Visuo-motorischen Geschwindigkeit“ weisen je zwei Kinder (10 %) der KG auffällige
Leistungen auf; beim Untertest „Abzeichnen“ sind es vier Kinder (20 %). Kein Kind
der KG ist auffällig im Untertest „Figur-Grund“. Die Wahrnehmungsdefizite sind
als leicht (-1 SD vom Normmittelwert) bis mittelstark (-1,5 SD vom Normmittelwert) einzustufen. Neun der motorisch auffälligen Kinder (42,9 %) erzielen auffällige Werte (mindestens -1 SD vom Normmittelwert) in der „Allgemeinen visuellen
Wahrnehmung“. Zwei Kinder (9,5 %) weisen leichte Wahrnehmungsdefizite und
zwei (9,5 %) mittelschwere Defizite auf. Bei fünf Kindern (23,8 %) sind die visuellen
Wahrnehmungsdefizite als schwer einzustufen. Zwölf Kinder (57, 1 %) zeigen auffällige Leistungen im Index „Motorik-reduzierte visuelle Wahrnehmung“ und neun
Kinder im Index „Visuo-motorische Integration“ (42,9 %). Am häufigsten weisen die
motorisch auffälligen Kinder defizitäre Leistungen im Untertest „Abzeichnen“ (11
Kinder = 52,4 %) auf, gefolgt von „Formkonstanz“ (7 Kinder = 33,3 %), „Gestaltschließen“ (6 Kinder = 28,6 %) und „Figur-Grund“ sowie „Visuo-motorische Suche“
(jeweils 4 Kinder = 19,0 %). Im Untertest „Visuo-motorische Geschwindigkeit“ erzielen zwei Kinder (9,5 %) ein auffälliges Ergebnis. Alle prozentualen Verteilungen
sind Tabelle 3 zu entnehmen.
Tabelle 3: Prozentuale Verteilung der im FEW-JE auffälligen Kinder
Index/Untertest
Allgemeine visuelle Wahrnehmung
Motorik-reduzierte visuelle
Wahrnehmung
Figur-Grund
Gestaltschließen
Formkonstanz
Visuo-motorische Integration
Abzeichnen
Visuo-motorische Suche
Visuo-motorische
Geschwindigkeit
ges.
5,0
KG (n = 20)
leicht mittel schwer
5,0
0,0
0,0
MAK (n = 21)
ges. leicht mittel schwer
42,9
9,5
9,5
23,8
10,0
0,0
5,0
10,0
5,0
20,0
5,0
5,0
0,0
0,0
10,0
0,0
0,0
0,0
5,0
0,0
5,0
0,0
5,0
20,0
5,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
57,1
19,0
28,6
33,3
42,9
52,4
19,0
28,6
4,8
9,5
9,5
19,0
14,3
4,8
9,5
9,5
0,0
9,5
9,5
9,5
4,8
19,0
4,8
19,0
14,3
14,3
28,6
9,5
10,0
5,0
5,0
0,0
9,5
4,8
4,8
0,0
Anmerkungen: KG = Kontrollgruppe, leicht Kinder, die leichte visuelle Wahrnehmungsdefizite aufweisen (-1 SD, Indexwerte < 85, Wertpunkte in Untertests < 7 im FEW-JE), MAK = motorisch auffällige
Kinder, mittel Kinder mit mittelschweren visuellen Wahrnehmungsdefiziten (-1,5 SD, Indexwerte
< 78, Wertpunkte in Untertests < 6 im FEW-JE), SD = Standardabweichung, schwer Kinder, bei denen
schwere visuelle Wahrnehmungsdefizite vorliegen (-2 SD, Indexwerte < 70, Wertpunkte in Untertests
< 4 im FEW-JE)
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4.3 Korrelationen
Die Korrelationen zwischen den Indexwerten des FEW-JE und den Skalen der MABC-2 über den gesamten Datensatz sind in Tabelle 4 dargestellt. Die Indexwerte
des FEW-JE korrelieren alle signifikant mit dem Gesamtwert und den Skalenwerten
der M-ACB-2. Alle Korrelationen sind als mittelstark bis stark einzustufen. Der stärkste Zusammenhang besteht zwischen dem Index „Allgemeine visuelle Wahrnehmung“ und dem Gesamtwert der M-ABC-2 (r = .615, p = .000, N = 41). Der Index
„Allgemeine visuelle Wahrnehmung“ korreliert am stärksten mit der M-ABC-2Skala „Balance“ (r = .588, p = .000, N = 41), gefolgt von „Handgeschicklichkeit“
(r = .541, p = .000, N = 41) und schließlich „Ballfertigkeiten“ (r = .428, p = .005,
N = 41). Zwischen dem Index „Visuo-motorische Integration“ und dem Gesamtwert
der M-ABC-2 besteht ein etwas stärkerer Zusammenhang (r = .584, p = .000, N = 41)
als zwischen dem Indexwert „Motorik-reduzierte visuelle Wahrnehmung“ und dem
M-ABC-2-Gesamtwert (r = .537, p = .000, N = 41). Am stärksten hängt der Index
„Visuo-motorische Integration“ mit dem Skalenwert „Handgeschicklichkeit“ zusammen (r = .558 p = .000, N = 41). Etwas geringer ist der Zusammenhang mit der
Skala „Balance“ (r = .482, p = .000, N = 41) und der Skala „Ballfertigkeiten“ (r = .439,
p = .000, N = 41). Der Index „Motorik-reduzierte visuelle Wahrnehmung“ korreliert
am stärksten mit der Skala „Balance“ (r = .578, p = .000, N = 41), etwas geringer mit
der Skala „Handgeschicklichkeit“ (r = .432, p = .000, N = 41) und am geringsten mit
der Skala „Ballfertigkeiten“.
Tabelle 4: Korrelationen zwischen den Indexwerten des FEW-JE und den Skalen der M-ABC-2 (N = 41)
AVW
Gesamtwert
Handgeschicklichkeit
Ballfertigkeiten
Balance
r
.615
.541
.428
.588
p
.000
.000
.005
.000
MRVW
r
p
.537
.000
.432
.005
.348
.026
.578
.000
VMI
r
.584
.558
.439
.482
p
.000
.000
.004
.001
Anmerkungen: AVW = Allgemeine visuelle Wahrnehmung, MRVW = motorik-reduzierte visuelle
Wahrnehmung, p = Signifikanz, r = Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient nach Pearson, VMI =
Visuo-motorische Integration
5
Diskussion
Die vorliegende Studie sollte überprüfen, ob sich die Leistungen von motorisch auffälligen und motorisch unauffälligen Kindern nur in Aufgaben zur Erfassung der
visuo-motorischen Integration oder auch in ihren motorik-reduzierten Leistungen
unterscheiden. Die motorisch auffälligen Kinder erzielten sowohl im Gesamtindex
des FEW-JE („Allgemeine visuelle Wahrnehmung“) als auch in den beiden Index-
612 L. Werpup-Stüwe, F. Petermann
werten „Motorik-reduzierte visuelle Wahrnehmung“ und „Visuo-motorische Integration“ signifikant schwächere Leistungen als die motorisch unauffälligen Kinder.
Dies spricht für das Vorliegen von Funktionsstörungen im dorsalen und ventralen
Verarbeitungspfad.
Auf Untertestebene zeigen sich zudem signifikante Unterschiede in den Untertests „Gestaltschließen“, „Formkonstanz“, „Abzeichnen“ und „Visuo-motorische
Suche“. Die große Effektstärke spricht für eine klinische Relevanz der Ergebnisse.
Die klinische Bedeutsamkeit der Ergebnisse wird dadurch unterstrichen, dass knapp
die Hälfte der untersuchten motorisch auffälligen Kinder auffällige Werte (mindestens -1 SD vom Normmittelwert) im Gesamtindex des FEW-JE („Allgemeinen
visuellen Wahrnehmung“) aufweist, von denen wiederum die Hälfte leichte bis
mittelschwere und die andere Hälfte sogar schwere visuelle Wahrnehmungsdefizite
zeigt. Hervorzuheben ist hierbei ebenfalls, dass etwas mehr Kinder (57,1 %) auffällige Leistungen im Index „Motorik-reduzierte visuelle Wahrnehmung“ als Index
„Visuo-motorische Integration“ (42,9 %) erbringen. Im Kontrast hierzu stehen die
Ergebnisse der Korrelationen: Der Indexwert „Visuo-motorische Integration“ korreliert höher mit dem Gesamtwert der M-ABC-2 als der Index „Motorik-reduzierte
visuelle Wahrnehmung“. Während die Leistungen in der Handgeschicklichkeit und
den Ballfertigkeiten stärker mit den Leistungen in der visuo-motorischen Integration zusammenhängen, korreliert die Skala „Balance“ stärker mit den motorik-reduzierten visuellen Wahrnehmungsleistungen. Dies wirft die Frage auf, ob es sich
bei der visuellen Wahrnehmung und der motorischen Koordination tatsächlich um
zwei getrennte neuropsychologische Systeme handelt, deren gemeinsamer Schnittpunkt die Visuomotorik darstellt.
Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse lässt sich schließen, dass sich beide Systeme nicht komplett voneinander abgrenzen lassen und dass der Zusammenhang
zwischen unterschiedlichen motorischen Fertigkeiten und visuellen Wahrnehmungsleistungen in seiner Intensität variiert. So hängen die Balancefähigkeiten enger mit der motorik-reduzierten visuellen Wahrnehmung zusammen als mit der visuo-motorischen Integration, wobei dies vor dem Hintergrund plausibel erscheint,
da es beim Halten des Gleichgewichts bei den Balanceaufgaben (z. B. auf einem Bein
stehen) hilfreich ist, wenn man einen bestimmten Punkt mit den Augen fixiert. Es
scheinen Verbindungen zwischen dem ventralen visuellen Verarbeitungspfad und
dem motorischen System zu bestehen, die den beobachtbaren Zusammenhang zwischen der motorik-reduzierten visuellen Wahrnehmung und der Balancefähigkeit
bewirken. Bei Aufgaben aus dem Bereich der visuo-motorischen Koordination ist
eher der Abgleich von visuell Wahrgenommenem und Hand- bzw. Armbewegungen
(Auge-Hand-Koordination) relevant, um gute Leistungen zu erbringen. Ein konstantes Halten und Manipulieren des visuell Wahrgenommenen ist bei den motorikreduzierten Aufgaben entscheidender. Insgesamt weisen die Ergebnisse darauf hin,
dass es zwischen der visuellen Wahrnehmung und der motorischen Koordination
mehr als nur eine Verknüpfung durch den Bereich der Visuomotorik gibt.
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Die in der vorliegenden Studie untersuchten motorisch auffälligen Kinder weisen unterschiedliche Wahrnehmungsdefizite auf. Am häufigsten zeigen sie auffällige
Leistungen im Untertest „Abzeichnen“ (52,4 %), gefolgt von „Formkonstanz“ (33,3 %)
und „Gestaltschließen“ (28,6 %). Einige Kinder haben auch Schwierigkeiten in der Bewältigung der Aufgaben „Figur-Grund“ und „Visuo-motorische Suche“ (jeweils 19,0
%) sowie „Visuo-motorische Geschwindigkeit“ (9,5 %). Das häufige Auftreten und die
Variabilität der visuellen Wahrnehmungsdefizite sprechen für die Notwendigkeit, die
visuellen Wahrnehmungsleistungen bei auffälligen motorischen Leistungen (z. B. bei
Verdacht auf UEMF) im diagnostischen Prozess zu untersuchen und die Förderung
bei vorliegenden Defiziten in der Therapieplanung zu berücksichtigen. Auch Wilson
(2005) fordert eine mehrere Ebenen umfassende Vorgehensweise bei der Diagnostik
und Therapie von UEMF. Eine komplette Darstellung der motorischen Entwicklung
muss die behaviorale, (neuro-)kognitive und emotionale Funktionsebene erfassen.
Der standardmäßige Einsatz eines visuellen Wahrnehmungstests bei der Diagnostik
von UEMF erscheint aufgrund der vorliegenden Ergebnisse eine sinnvolle Ergänzung
zur Überprüfung der (neuro-)kognitiven Funktionsebene darzustellen.
Zukünftige Studien sollten überprüfen, welcher Therapieansatz bei Kindern mit
motorischen Störungen, die parallel visuelle Wahrnehmungsdefizite aufweisen, angemessen ist. Nach Jaščenoka und Petermann (2013) lassen sich die Therapieansätze in
der Physio- und Ergotherapie grob in zwei Methoden unterscheiden: prozessorientiert (Bottom-up) und aufgabenorientiert (Top-down). Aufgabenorientierte Methoden wie z. B. das Cognitive Orientation to daily Occupational Performance (CO-OP;
vgl. Polatajko u. Mandich, 2008) scheinen prozessorientierten Programmen wie z.
B. der Sensorischen Integrationstherapie (SIT) nach Ayres (2002) in ihrer Wirksamkeit überlegen zu sein (Mostered-van der Meijs, van der Kaay, Vlugt-van den Brand,
Smits-Engelsman, 2010). Für die Perceptual-Motor Therapie (PMT), ebenfalls einem
prozessorientierten Ansatz, konnten Bumin und Kayihan (2001) einen moderaten
Wirksamkeitseffekt nachweisen.
Nach Wilson (2005) sollte die therapeutische Förderung zwar theoriegeleitet
erfolgen, jedoch in der Praxis den individuellen Unterschieden der Kinder in der
Ausprägung der Defizite sowie ihrem Lernstil und Therapiefortschritt angepasst
werden. Insbesondere bei Kindern mit komorbiden Störungen (wie beispielsweise
Lern- und Aufmerksamkeitsstörungen) empfiehlt die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF, 2011) die Kombination
verschiedener Therapieansätze. Solange die Wirksamkeit der verschiedenen Therapieformen für Kinder mit motorischen Störungen und visuellen Wahrnehmungsdefiziten nicht umfassend überprüft wurde (vgl. Taubner, Munder, Unger, Wolter,
2013), sollten Therapeuten den Therapiefortschritt durch regelmäßige Leistungskontrolle der Fähigkeiten der Kinder überwachen und die verschiedenen Therapieansätze kombinieren.
614 L. Werpup-Stüwe, F. Petermann
Fazit für die Praxis
Ein Großteil der untersuchten motorisch auffälligen Kinder weist visuelle Wahrnehmungsdefizite auf. Aus diesem Grund sollten bei der Diagnostik von UEMF
und anderen motorischen Störungen die visuellen Wahrnehmungsleistungen
überprüft werden. Der Einsatz eines Testverfahrens, bei dem sich die motorikreduzierten visuellen Wahrnehmungsleistungen gezielt mit den Leistungen im
Bereich der visuo-motorischen Integration vergleichen lassen, erscheint besonders sinnvoll. Der FEW-JE erfüllt diesen Anspruch und bietet zudem die Möglichkeit, die visuellen Wahrnehmungsdefizite als leicht, mittelschwer oder schwer
zu klassifizieren. In der Therapieplanung und -durchführung ist das Vorliegen
visueller Defizite zu berücksichtigen. Visuelle Wahrnehmungsstörungen sollten
zumindest parallel zu den motorischen Störungen stärker beachtet werden, um
sekundär auftretende Schulprobleme zur reduzieren und eine Teilhabe an Alltagsaktivitäten zu ermöglichen.
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Korrespondenzanschrift: Dipl.-Psych. Lina Werpup-Stüwe, Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen, Grazer Straße 6, 28359 Bremen;
E-Mail: [email protected]
Lina Werpup-Stüwe und Franz Petermann, Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der
Universität Bremen
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Häufigkeit und Art traumatischer Ereignisse bei Kindern und
Jugendlichen mit Posttraumatischer Belastungsstörung1
Sabine Loos, Saskia Wolf, Dunja Tutus und Lutz Goldbeck
Summary
Frequency and Type of Traumatic Events in Children and Adolescents with a Posttraumatic
Stress Disorder
The risk for children and adolescents to be exposed to a potentially traumatic event (PTE)
is high. The present study examines the frequency of PTEs in children and adolescents with
Posttraumatic Stress Disorder (PTSD), the type of index trauma, and its relation to PTSD
symptom severity and gender. A clinical sample of 159 children and adolescents between 7-16
years was assessed using the Clinician-Administered PTSD Scale for Children and Adolescents (CAPS-CA). All reported PTEs from the checklist were analyzed according to frequency. The index events were categorized according to the following categories: cause (random vs.
intentional), relation to offender (intrafamilial vs. extrafamilial), patient’s role (victim, witness
or vicarious traumatization), and type of PTE (physical or sexual violence). Relation between
categories and PTSD symptom severity and sex were analyzed with inferential statistics. On
average participants reported five PTEs, most frequently physical violence without weapons
(57.9 %), loss of loved person through death (45.9 %), and sexual abuse/assaults (44 %). The
most frequent index traumata were intentional (76.7 %). Regarding trauma type, there was a
significant difference concerning higher symptom severity in children and adolescents who
experienced sexual abuse/assault compared to physical violence (t = -1.913(109), p = 0.05).
A significantly higher symptom severity was found for girls compared to boys for the trauma
categories extrafamilial offender (z = -2,27, p = 0.02), victim (z = -2,11, p = 0,04), and sexual
abuse/assault (z = -2,43, p = 0,01). Clinical and diagnostic implications are discussed in relation to the amendments of PTSD diagnostic criteria in DSM-5.
Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 64/2015, 617-633
Keywords
traumatic events – symptom severity – Posttraumatic Stress Disorder (PTSD) – gender – Clinician-Administered PTSD Scale for Children and Adolescents (CAPS-CA)
1 Die Studie TreatChildTrauma (TCT) wird gefördert durch das Bundesministerium für Bildung
und Forschung (BMBF) im Förderschwerpunkt „Studien in der Versorgungsforschung“ (Förderkennzeichen: 01GY1141)
Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 64: 617 – 633 (2015), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online)
© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2015
618 S. Loos et al.
Zusammenfassung
Über die klinische Bedeutsamkeit unterschiedlicher traumatischer Ereignisse bei Kindern und
Jugendlichen ist wenig bekannt. Die vorliegende Studie untersucht Art und Häufigkeit potenziell traumatischer Ereignisse bei Kindern und Jugendlichen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die Art der traumatischen Indexereignisse und deren Zusammenhang
mit Symptombelastung und Geschlecht. In einer klinischen Stichprobe von 159 Kindern und
Jugendlichen zwischen 7 und 16 Jahren wurden die im Interview zu Belastungsstörungen bei
Kindern und Jugendlichen berichteten belastenden Lebensereignisse nach Häufigkeit ausgewertet. Die traumatischen Indexereignisse wurden nach Ursache (zufällig vs. intentional), Beziehung zum Täter (intrafamiliär vs. extrafamiliär), Rolle des Patienten (Opfer, Zeuge, stellvertretende Traumatisierung) sowie Art des traumatischen Ereignisses (körperliche Gewalt oder
sexuelle Gewalt) kategorisiert. Zusammenhänge der Kategorienzuordnung mit der Belastungssymptomatik und dem Geschlecht wurden inferenzstatistisch untersucht. Durchschnittlich
wurden fünf potenziell traumatische Ereignisse berichtet, am häufigsten körperliche Gewalt
ohne Waffen (57,9 %), Verlust nahestehender Personen durch Tod (45,9 %) und sexuelle Übergriffe bzw. Missbrauch (44 %). Die traumatischen Indexereignisse wurden am häufigsten
als intentional (76,7 %) eingeordnet. Im Vergleich der Indexereignisarten fand sich eine
signifikant ausgeprägtere Symptomatik bei Opfern sexueller Gewalt im Vergleich zu körperlicher Gewalt (t = -1,913(109), p = 0,05). Eine signifikant höhere Symptombelastung findet
sich bei Mädchen in den Traumakategorien „extrafamiliärer Täter“ (z = -2,27, p = 0,02) „Opfer“
(z = -2,11, p = 0,04) und „sexuelle Gewalt“ (z = -2,43, p = 0,01). Klinische Implikationen werden
vor dem Hintergrund der Revision der Diagnosekriterien im DSM-5 diskutiert.
Schlagwörter
traumatisches Ereignis – Symptombelastung – Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) –
Geschlecht – Interview zu Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen (IBS-KJ)
1
Hintergrund
Eine große Anzahl von Kindern und Jugendlichen ist potenziell traumatischen Ereignissen (PTE) ausgesetzt, wobei die Mehrzahl diese Ereignisse adaptiv bewältigt.
Die Prävalenz, ein potenziell traumatisches Ereignis zu erleben, liegt in den USA bei
Kindern und Jugendlichen je nach Stichprobe und Erhebungsinstrument zwischen
0,25 und knapp 62 % (Costello, Erkanli, Fairbank, Angold, 2002; McLaughlin et
al., 2013). In einer Schweizer nationalen Stichprobe Jugendlicher der neunten Klasse haben 56 % mindestens von einem traumatischen Ereignis berichtet (Landolt,
Schnyder, Maier, Schoenbucher, Mohler-Kuo, 2013). In Deutschland liegt die Prävalenz nach einer Studie mit Jugendlichen bei 21,4 % (angelehnt an das A1-Kriterium des DSM-IV) bzw. 17 % (angelehnt an das A2-Kriterium; Perkonigg, Kessler,
Storz, Wittchen, 2000). Die möglichen negativen Folgen traumatischer Ereignisse in
Kindheit und Jugend sind mittlerweile gut belegt (Carrion, Weems, Ray, Reiss, 2002;
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Häufigkeit und Art traumatischer Ereignisse bei PTBS������
619
Copeland, Keeler, Angold, Costello, 2007; Sachsse, 2013) und betreffen eine ganze
Bandbreite von Traumafolgestörungen, darunter insbesondere Posttraumatische
Belastungsstörungen (PTBS). Die Inzidenzrate für PTBS nach Traumaexposition bei
Kindern und Jugendlichen liegt nach einer aktuellen Metaanalyse bei 15.9 % (95 % CI
11.5-21.5) und ist bei Mädchen nach interpersonellem Trauma am höchsten (32.9
%, 95 % CI 19.8-49.3, Alisic et al., 2014).
Weniger Beachtung in der Forschung fand bisher die Frage, welche Ereignisse Kinder und Jugendliche als potenziell traumatisch benennen und ob es Unterschiede im
Stressorpotenzial zwischen verschiedenen Ereignissen gibt. Dies ist jedoch sowohl für
das theoretische Verständnis der Entstehung von Psychotraumata als auch für die klinische Versorgung von Bedeutung.
In einer Arbeit von Taylor und Weems (2009) wurde eine städtische Stichprobe von
200 amerikanischen Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 17 Jahren mit der
Child PTSD Checklist (Amaya-Jackson, McCarthy, Newman, Cherney, 1995) nach
PTE und posttraumatischen Stresssymptomen befragt. Die Ereignisse wurden anhand
eines selbst entwickelten Kodierschemas mit zwölf Kategorien klassifiziert. Die am
häufigsten berichteten traumatischen Ereignisse waren hier das Erleben von Gewalt
in Medien, in der Öffentlichkeit und Trennung und Verlust von bedeutsamen Personen. In einer Befragung repräsentativer Stichproben von Jugendlichen der 8. und 9.
Klasse aus Dänemark, Island, den Färöer-Inseln und Litauen wurden am häufigsten
Tod eines Familienmitglieds, Gewaltandrohung, Mobbing, beinahe Ertrinken und
Verkehrsunfälle genannt (Elklit u. Petersen, 2008). Die als subjektiv am schlimmsten
erlebten Ereignisse in einer dänischen repräsentativen Stichprobe waren Vergewaltigung, Suizidversuch, Tod eines Familienmitglieds und ernsthafte Erkrankung (Elklit,
2002). Jedoch gilt es, potenziell traumatische Ereignisse, die das A-Kriterium einer
PTBS erfüllen, von belastenden oder lebensverändernden Ereignissen unterhalb der
Traumaschwelle (sog. life events) zu unterscheiden.
Empfehlungen zur Zusammenfassung traumatischer Ereignisse in Kategorien finden sich häufig in Stichproben traumatisierter Erwachsener, werden jedoch selten
einheitlich oder systematisch definiert oder verwendet. Der von der amerikanischen
Kinderpsychiaterin Terr (1991) erstellte Vorschlag einer Einteilung traumatischer Ereignisse im Kindesalter in Typ I (einmaliges Ereignis wie z. B. Unfälle oder Naturkatastrophen) und Typ II-Traumata (länger andauerndes oder wiederholtes Geschehen,
teilweise unvorhersehbar) wird häufig genutzt und hat auch die Diskussion um die
sogenannte Entwicklungstraumastörung beeinflusst (van der Kolk, 2009; D‘Andrea,
Ford, Stolbach, Spinazzola, van der Kolk, 2012; Schmid, Petermann, Fegert, 2013).
Diese Typologie ist allerdings bisher nicht hinreichend empirisch fundiert und wurde
auch nicht in die Neuauflage des Diagnostischen Statistischen Manuals (DSM) aufgenommen (Bremness u. Polzin, 2014). Landolt und Hensel (2014) unterscheiden menschenverursachte Ereignisse (z. B. Krieg, Vergewaltigung) von Naturkatastrophen (z.
B. Flutkatastrophen) und zufälligen Ereignissen (z. B. Verkehrsunfällen). Die Häufigkeit von PTBS ist nach von Menschen zugefügten traumatischen Ereignissen deutlich
620 S. Loos et al.
höher als nach zufälligen Ereignissen (Tagay, Repic, Senf, 2013). Auch die Debatte
um die Aufnahme einer neuen Diagnosekategorie der komplexen PTBS in das ICD11 (z. B. Maercker et al., 2013) als Folge langanhaltender Traumatisierung durch z.
B. körperliche oder emotionale Vernachlässigung oder sexuellen Missbrauch in der
Kindheit unterstreicht die Aktualität der Thematik (Bryant, 2015).
Hinsichtlich der Beziehung zum Täter zeigen sich folgende Befunde: Opfer sexuellen Missbrauchs durch intrafamiliäre Täter weisen gegenüber extrafamiliären Tätern
einen früheren Beginn, längere Erkrankungsdauer, mehr Intrusionen und stärkere
körperliche und emotionale Verletzung auf (Fischer u. McDonald, 1998). Familien
von Jugendlichen, die intrafamiliär missbraucht wurden, zeigten mehr Scheidungen,
einen höheren Drogenkonsum durch den Vater und einen allgemein niedrigeren sozioökonomischen Status. Jedoch zeigte sich kein Unterschied im Funktionsniveau der
Familien insgesamt im Vergleich zu extrafamiliären Tätern (Bal, De Bourdeaudhuij, Crombez, Van Oost, 2004). Afroamerikanische Frauen, die einen sexuellen Missbrauch durch einen intrafamilären Täter in der Kindheit erlebt haben, zeigten ein
höheres sexuelles Risikoverhalten im Erwachsenenalter als Frauen, die von einem
sexuellen Missbrauch durch einen extrafamiliären Täter berichten (Lestrade, Talbot,
Ward, Cort, 2013).
Einem traumatischen Ereignis direkt oder indirekt ausgesetzt zu sein, hängt ebenfalls mit der Symptomschwere zusammen. Es konnte ein Dosis-Wirkungs-Effekt gezeigt werden mit höheren Raten von PTBS bei direkt erlebten Ereignissen im Vergleich zu nur als Zeuge erlebten Ereignissen (Petersen, Elklit, Olesen, 2010) und für
Ereignisse, die in der näheren Umgebung erlebt werden verglichen mit solchen in
weiterer Entfernung (z. B. Goenjian et al., 2005). Gleichzeitig gibt es jedoch Befunde,
die das Dosis-Wirkungs-Modell infrage stellen. So erklären in Untersuchungen von
jungen Opfern von traumatischen Ereignissen andere Faktoren wie etwa Merkmale
des Kindes (Geschlecht, Bewertung und Coping) und umweltbedingte Faktoren (soziale Unterstützung) mehr Varianz in der Entwicklung einer Traumasymptomatik als
die Schwere des Ereignisses (Bal, Crombez, De Bourdeaudhuij, Van Oost, 2009; Olofsson, Bunketorp, Andersson, 2009). Geschlecht als prädiktiver Faktor für die Entwicklung einer PTBS wird schon lange diskutiert. Männer erleben mehr traumatische
Ereignisse, Frauen entwickeln jedoch zweimal so häufig eine PTBS wie Männer nach
traumatischen Ereignissen und beide Geschlechter unterschieden sich in der Art traumatischer Ereignisse, die sie erleben (Pratchett, Pelcovitz, Yehuda, 2010; Gavranidou
u. Rosner, 2003). Als Gründe dafür werden eine weibliche intrinsische Vulnerabilität
auf der einen und das erhöhte Risiko sexueller Gewalt über die Lebensspanne hinweg auf der anderen Seite diskutiert (Cortina u. Kubiak, 2006). Auch in untersuchten
Stichproben von Jugendlichen zeigen sich Geschlechterunterschiede bezogen auf die
Anzahl und den Typ traumatischer Ereignisse: Es besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit von Mädchen, über sexuellen Missbrauch und häuslicher Gewalt zu berichten,
Jungen hingegen berichten mehr Unfälle, nichthäusliche Gewalt und Katastrophen
(Landolt et al., 2013; Elklit, 2002).
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Häufigkeit und Art traumatischer Ereignisse bei PTBS������
621
Da die Literatur noch wenig Hinweise sowohl zu Art und Häufigkeit potenziell
traumatischer Ereignisse bei klinisch auffälligen Kindern und Jugendlichen als auch
zum Zusammenhang mit ihrer Belastungssymptomatik gibt, sind die Ziele der vorliegenden explorativen Studie:
1. die Untersuchung der Häufigkeit potenziell traumatischer Ereignisse in einer Stichprobe von Kindern und Jugendlichen mit PTBS,
2. die Kategorisierung und Beschreibung der Häufigkeit der von den Patienten identifizierten schlimmsten Ereignisse (Indexereignisse),
3. die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen dem Schweregrad der posttraumatischen Stresssymptome und den Kategorien der traumatischen Indexereignisse,
auch getrennt nach Geschlechtern.
2
Methode und Rekrutierung
Die Daten für die vorliegende Untersuchung stammen aus der Basiserhebung einer
laufenden, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten
multizentrischen, randomisiert-kontrollierten Therapiestudie. Ein Ethikvotum der
zuständigen Ethikkommissionen liegt vor. Die Zuweisung der Probanden zur Studie
erfolgte aus den beteiligten acht Studienzentren, die sowohl aus universitären Einrichtungen als auch aus Versorgungskliniken zusammengesetzt sind:
1. Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie; Universitätsklinikum
Ulm
2. Zentrum für Psychiatrie Die Weissenau, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
des Kindes- und Jugendalters, Ravensburg
3. Zentralinstitut für seelische Gesundheit, Mannheim
4. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters; Psychiatrische Klinik Lüneburg gGmbH
5. Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie; Vestische Kinderund Jugendklinik Datteln
6. Saarland Heilstätten GmbH, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der SHG, Kleinblittersdorf
7. Abteilung für klinische Psychologie; Ludwig-Maximilians-Universität München,
8. Vivantes Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Berlin
Die Rekrutierung erfolgte aus dem klinischen stationären wie ambulanten Versorgungsalltag. Ein systematisches Screening der in der Routineversorgung gesehenen
Patienten in den Studienzentren auf die Eignung für die Studie wurde etabliert. Für
das Screening wurde der UCLA PTSD-Reaction Index verwendet, welcher in Kinder-, Jugendlichen- und Elternversion vorliegt.
622 S. Loos et al.
In die Studie eingeschlossen wurden nach ausführlicher Baseline-Diagnostik Patienten mit mindestens moderater posttraumatischer Stresssymptomatik (RW ≥ 35 in
der Gesamtsymptomskala des Interviews zu Belastungsstörungen bei Kindern und
Jugendlichen, IBS-KJ, Steil u. Füchsel, 2006) und mindestens einem Symptom in den
Bereichen Wiedererleben, Vermeidung/Affektverflachung und Übererregbarkeit, sofern das traumatische Ereignis mindestens drei Monate zurücklag und nach dem dritten Lebensjahr stattgefunden hatte.
2.1 Instrumente
Der oben genannte UCLA PTSD Reaction Index for DSM-IV (Pynoos, Rodriguez,
Steinberg, Stauber, Frederick, 1998; dt. Version: Arbeitsgruppe Psychotraumatologie
Kinder- und Jugendpsychiatrie/-Psychotherapie Ulm, 2010) ist ein Screeningfragebogen zur Erfassung der Symptome und des Schweregrads einer Posttraumatischen
Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 7-18 Jahren nach
den Kriterien des DSM-IV. Verfügbar sind eine Kinderversion (7-12 Jahre), eine
Jugendlichenversion (ab 13 Jahre) und eine Elternversion.
Das Interview zu Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen (IBS-KJ; Steil
u. Füchsel, 2006) ist ein semistrukturiertes Interview, in dem anhand einer Checkliste von 16 potenziell traumatischen Ereignissen zunächst erfragt wird, welche Erfahrungen das Kind oder der/die Jugendliche jemals gemacht hat. In dieser Liste nicht
enthaltene Ereignisse können in einer zusätzlichen offenen Frage berichtet werden.
Mehrfachnennungen sind zulässig. Werden vom Kind oder der/dem Jugendlichen
mehrere Ereignisse bejaht, wird das subjektiv schlimmste Ereignis als Indexereignis
definiert. Dauer, Art und Umstände werden genauer erfragt und verbatim protokolliert. Die 17 nach DSM-IV definierten Belastungssymptome werden auf einer Skala
von 0 (niemals) bis 4 (meistens) hinsichtlich Häufigkeit und 0 (kein Problem) bis 4
(extreme Belastung) hinsichtlich Intensität im vergangenen Monat eingeschätzt. Aus
der Summe der Einzelwerte werden Gesamthäufigkeit und -intensität der Stresssymptome ermittelt. Die Summe dieser beiden Werte ist der Gesamtbelastungsrohwert.
Die interne Konsistenz für diesen Parameter ist mit Cronbach’s α = .91 hoch. Die
Durchführung der Interviews erfolgte durch trainierte und supervidierte Interviewer.
Komorbide Störungen wurden mit der Kiddie-Schedule for Affective Disorders and
Schizophrenia – Present and Lifetime Version erfasst (K-SADS-PL; Delmo, Weifenbach,
Gabriel, Marchia, Poustka, 1998). Dies ist ein halbstrukturiertes, diagnostisches Interview zur Erfassung der Psychopathologie des Kindes- und Jugendalters und der
Vorgeschichte psychischer Störungen.
Mit der Children Global Assessment Scale (CGAS; Schaffer et al., 1983) wird eine allgemeine Beurteilung des Funktionsniveaus des Kindes/Jugendlichen vorgenommen.
Die Skala der CGAS reicht von 1 bis 100 und verfügt über Beschreibungen von Ankerpunkten, um verschiedene Lebenssituationen zu bewerten. Sie verfügt über eine hohe
Interrater-Reliablität und hohe diskriminante Validität.
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Häufigkeit und Art traumatischer Ereignisse bei PTBS������
623
Der Child Behavior Checklist/4-18 Elternfragebogen zum Verhalten von Kindern und
Jugendlichen (CBCL; Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 1998 ) erfasst
die Einschätzung von Eltern zu Problemen ihrer Kinder im Alter von 4 bis 18 Jahren.
Der Fragebogen umfasst acht übergreifende Syndrome: Sozialer Rückzug, Körperliche
Beschwerden, Angst/Depressivität, Soziale Probleme, Schizoid/Zwanghaft, Aufmerksamkeitsstörung, Delinquentes Verhalten, Aggressives Verhalten.
2.2 Auswertung
Die Häufigkeit der in der Checkliste erfassten Ereignisse wurde ausgezählt. Als bejaht wurde ein Ereignis gewertet, wenn der/die Proband/in entweder Opfer oder
Zeuge des Ereignisses war oder davon gehört hatte. Die als verbatim protokollierten
Beschreibungen des als am schwerwiegendsten benannten Ereignisses (Indexereignis) wurden mittels eines Kodierschemas einer Oberkategorie bzw. Unterkategorie
zugeordnet. Vier Rater (Autoren) kodierten zunächst unabhängig voneinander die
Texte aus den Interviews getrennt nach folgenden, aus der Literatur entnommenen
vier Kategorien:
• Ursache: intentionale vs. zufällige Ereignisse (Landolt u. Hensel, 2014),
• Beziehung zum Täter (nur bei intentionalen Ereignissen): intrafamiliärer vs. extrafamiliärer Täter,
• Rolle des Befragten: Beteiligung am traumatischen Ereignis entweder als Opfer, Zeuge oder durch stellvertretende Traumatisierung (Ereignis betrifft eine nahestehende
Person, Patient hat davon erfahren, ohne es miterlebt zu haben),
• Traumatyp (Art des traumatischen Ereignisses): körperliche Gewalt (sowohl mit als
auch ohne Waffen) vs. sexuelle Gewalt.
Die Interrater-Reliabilität ergab sehr gute Werte für die Kategorie Ursache (κ = 0,92)
und Beziehung zum Täter (κ = 0,91) und gute Werte für die Kategorien Rolle der
Beteiligten (κ = 0,76) und Traumatyp (κ = 0,70). Die Mittelwertsvergleiche innerhalb der Kategorien der Indexereignisse bezüglich der PTBS-Symptomschwere und
des Geschlechts wurden mittels t-Tests für unabhängige Stichproben, einfaktorieller
ANOVA und bei Nichterfüllen der Voraussetzungen für parametrische Teststverfahren mittels Mann-Whitney-U-Test inferenzstatistich geprüft. Die statistischen
Analysen erfolgten mittels IBM SPSS Statistics für Windows, Version 20.0.
3
Ergebnisse
3.1 Stichprobenmerkmale
In die Auswertung wurden Daten von 159 Probanden (w = 114, 71,7 %) im Alter von
7-16 Jahren (M = 13,0; SD = 2,8) einbezogen. 91 (58,3 %) Teilnehmer hatten min-
624 S. Loos et al.
destens eine komorbide psychische Störung, am häufigsten depressive Störungen
oder hyperkinetische Störungen. Insgesamt 75,0 % (117) der Stichprobe lebte bei
mindestens einem leiblichen Elternteil.
Tabelle 1: Soziodemografische und klinische Stichprobenmerkmale (N = 159)
Merkmal
Geschlecht, weiblich
Wohnsituation
mit beiden leiblichen Eltern
nur ein Elternteil
bei Adoptiv-/Pflegeeltern
andere Verwandte
Jugendhilfeeinrichtung
Wohngemeinschaft
Komorbide Störungen
F32.xx
F90.xx
F40.xx
F91.xx
N (%)
114 (71,7)
156
37 (23,7)
80 (51,3)
9 (5,8)
4 (2,6)
25 (16,0)
1 (0,6)
Merkmal
Alter
IBS-KJ-Gesamtrohwert1
CGAS2
UCLA Selbsturteil gesamt3
UCLA-Fremdurteil gesamt3
CBCL-Fremdurteil gesamt4
MW (SD)
13,0 (2,8)
57,4 (16,7)
57,5 (11,3)
36,5 (10,3)
33,3 (11,1)
56,3 (26,6)
43 (27,1)
19 (11,9)
14 (8,8)
13 (8,2)
1
Interview zu Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen (Gesamtrohwert: Häufigkeit und
Intensität aus 17 Belastungssymptomen, Range: 0-136) ; 2Children Global Assessment Scale; 3UCLA
PTSD Reaction Index for DSM-IV (Gesamtrohwert aus Häufigkeit von Belastungssymptomen, Range:
0-76 im Selbsturteil, 0-72 im Fremdurteil); 4Child Behavior Checklist (Gesamtwert Problemverhalten,
Range: 0-246)
3.2 Häufigkeit potenziell traumatischer Ereignisse
Von zehn Probanden lagen keine Ergebnisse der Checkliste potenziell traumatischer Ereignisse, aufgeteilt nach gradueller Exponiertheit, vor. Die übrigen in
die Auszählung eingegangenen 149 Probanden bejahten zwischen einer und 15
Ereignisklassen (M = 5,0; SD = 2,9, Tab. 2, folgende Seite). Am häufigsten als „ist
mir passiert“ genannt wurden körperliche Gewalt ohne Waffen (57,9 %), Verlust
nahestehender Personen durch Tod (45,9 %) und sexuelle Übergriffe bzw. Missbrauch (44,0 %).
3.3 Klassifikation der Indexereignisse
Tabelle 3 (folgende Seite) zeigt die genaue Zuordnung der Indexereignisse am Beispiel der Kategorie „Rolle des Beteiligten“. Am häufigsten kamen die Ereignisse Opfer sexueller (35,8 %) und körperlicher Gewalt (25,2 %), Zeuge intrafamiliärer Misshandlung (6,3 %) und stellvertretende Traumatisierung durch das Erfahren über
den Tod einer anderen Person (6,3 %) vor.
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Häufigkeit und Art traumatischer Ereignisse bei PTBS������
625
Tabelle 2: Häufigkeiten potentiell traumatischer Ereignisse aus der Checkliste des Interviews zu Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen (IBS-KJ), N = 149
Ereignis (Mehrfachnennungen)
Körperliche Gewalt ohne Waffen
Tod einer nahestehenden Person
Sexuelle Übergriffe bzw. Missbrauch
Anderes schlimmes Ereignis
Körperliche Gewalt mit Waffen
Schlimmer Unfall in Schule, zu Hause oder beim Spielen
Verkehrsunfälle
Jemand absichtlich oder versehentlich schwer verletzt
Naturkatastrophe
Vernachlässigung
Lebensgefährliche Krankheit oder Verletzung
Nahe bei Hungernden, Sterbenden oder Obdachlosen
Gewaltsamer Tod oder Leichen
Entführung
Feuer oder Explosion
Vergiftung
In Gegend gelebt, in der gekämpft wurde oder Krieg war
selbst passiert
n (%)
92 (57,9)
73 (45,9)
70 (44,0)
54 (34,0)
50 (31,4)
39 (24,5)
30 (18,9)
29 (18,2)
19 (11,9)
18 (11,3)
18 (11,3)
18 (11,3)
17 (10,7)
14 (8,8)
9 (5,7)
5 (3,1)
4 (2,5)
gesehen davon erfahren
n (%)
n (%)
32 (20,1)
12 (7,5)
4 (2,5)
14 (8,8)
6 (3,8)
7 (4,4)
5 (3,1)
2 (1,3)
15 (9,4)
8 (5,0)
8 (5,0)
8 (5,0)
23 (14,5)
34 (21,4)
10 (6,3)
4 (2,5)
2 (1,3)
18 (11,4)
1 (0,6)
7 (4,4)
16 (10,1)
16 (10,1)
8 (5,0)
1 (0,6)
14 (8,8)
10 (6,3)
1 (0,6)
5 (3,1)
21 (13,2)
14 (8,8)
4 (2,5)
3 (1,9)
8 (5,0)
Tabelle 3: Häufigkeiten der Indexereignisse nach Rolle der Beteiligten (N = 159)
Kategorien
Opfer
Körperliche Gewalt
Sexuelle Gewalt
Unfall
Medizinisches Trauma
Kriegsereignisse
Gesamt
n (%)
40 (25,2)
57 (35,8)
6 (3,8)
3 (1,9)
3 (1,9)
Gesamt
n (%)
Zeuge
Zeuge intrafamiliärer Misshandlung
Natürlicher Tod
Unnatürlicher Tod
Drohende/ernsthafte Verletzung anderer
Zeuge extrafamiliärer Misshandlung
Unfall anderer
10 (6,3)
7 (4,4)
5 (3,1)
4 (2,5)
2 (1,3)
2 (1,3)
Stellvertretende Traumatisierung
Von Tod anderer gehört
10 (6,3)
Sonstige
10 (6,3)
Die häufigste Zuordnung der Indexereignisse zu den weiteren Kategorien (Tab. 4,
folgende Seite) waren intentional (76,7 %), wobei der Täter in der Mehrzahl der Fälle
aus der eigenen Familie kam (42,1 %), am häufigsten war der Vater Täter (40,3 %),
gefolgt von Mutter und Stiefvater (jeweils 19,4 %). Anhand der konkreten Beschreibungen wurden über 70 % der Indexereignisse als körperliche oder sexuelle Gewalt
klassifiziert.
626 S. Loos et al.
Vergleiche der Angaben in der Checkliste und der Identifikation des schlimmsten Ereignisses zeigen, dass 75,0 % der Befragten, die sexuelle Gewalt oder Missbrauch in der
Checkliste bejahten, dies auch als Indexereignis benannten. Demgegenüber gaben nur
28,2 % der Kinder und Jugendlichen, die körperliche Gewalt mit und/oder ohne Waffen
in der Checkliste bejaht hatten, ein solches Ereignis auch als schlimmstes Ereignis an.
Der Tod einer nahestehenden Person war in 26,2 % der Fälle auch das Indextrauma.
Tabelle 4: Klassifikation der Indexereignisse und statistische Kennwerte zum Mittelwertsvergleich der
PTBS-Symptomschwere (N = 159)
Kategorien
Ursache
zufällig
intentional
Beziehung zum Täter
Intrafamiliärer Täter
Extrafamiliärer Täter
Rolle des Befragten
Opfer
Zeuge
Stellvertretende Traumatisierung
Traumatyp
Körperliche Gewalt
Sexuelle Gewalt
N
%
PTBS-Symptomschwere
M (SD)
36
122
22,6
76,7
56,19 (17,72)
57,74 (16,63)
67
46
42,1
28,9
55,27 (14,76)
61,17 (19,33)
109
30
10
68,6
18,9
6,3
59,15 (17,11)
55,33 (15,88)
49,60 (21,17)
56
57
35,2
35,8
54,72 (15,28)
61,00 (18,99)
t
F
p
-0,48
-
0,64
-1,75
-
0,08
-
1,79
0,17
-1,92
-
0,057
3.4 Zusammenhänge der kategorisierten Indexereignisse mit
Symptombelastung und Geschlecht
Die Mittelwertsunterschiede bezüglich der Symptombelastung innerhalb der vier Kategorien (Ursache, Beziehung zum Täter, Rolle des Befragten und Traumatyp) sind ebenfalls in Tabelle 4 dargestellt. Es zeigte sich, dass die Gruppe der Patienten, die durch
einen extrafamiliären Täter geschädigt wurde, tendenziell eine ausgeprägtere Symptomatik aufwies als die durch einen intrafamiliären Täter (t = -1,751(111), p = 0,08)
geschädigte. Beim Gruppenvergleich nach Traumatyp fand sich ein signifikanter
Unterschied in Richtung einer höheren Symptombelastung bei Opfern sexueller
Gewalt im Vergleich zu körperlicher Gewalt (t = -1,922(111), p = 0,05).
Betrachtet man die Unterschiede nach Geschlecht (Tab. 5, folgende Seite), erleben in
unserer Stichprobe Mädchen mehr sexuelle Gewalt (43,86 %), Jungen hingegen mehr
körperliche Gewalt (51,12 %). Darüber hinaus ergibt sich eine allgemein höhere Symptombelastung der Mädchen im Vergleich zu den Jungen. Signifikante Unterschiede
finden sich in den Traumakategorien „extrafamiliärer Täter“ (z = -2,27, p = 0,02) „Opfer“ (z = -2,11, p = 0,04) und „sexuelle Gewalt“ (z = -2,43, p = 0,01).
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Häufigkeit und Art traumatischer Ereignisse bei PTBS������
627
Tabelle 5: Klassifikation der Indexereignisse und statistische Kennwerte zum Mittelwertsvergleich nach
PTBS-Symptomschwere und Geschlecht (N = 159)
Kategorien
Ursache
zufällig
intentional
Beziehung zum Täter
Intrafam. Täter
Extrafam. Täter
Rolle des Befragten
Opfer
Zeuge
Stellvertretende
Traumatisierung
Traumatyp
Körperliche Gewalt
Sexuelle Gewalt
4
Mädchen (N = 114)
PTBSSymptomschwere
N (%)
M (SD)
Jungen (N = 45)
PTBSSymptomschwere
N (%)
M (SD)
z
p
28 (24,56)
86 (75,44)
56,14 (15,31)
59,92 (17,65)
8 (17,78)
36 (80,0)
56,38 (25,78)
52,53 (13,94)
-0,31
-1,88
0,78
0,06
45 (39,47)
34 (29,82)
55,87 (15,85)
64,94 (18,74)
22 (48,89)
12 (26,67)
54,05 (12,05)
50,50 (17,53)
-0,24
-2,27
0,81
0,02
80 (70,18)
19 (16,67)
61,43 (17,43)
55,47 (14,49)
29 (64,45)
11 (24,45)
53,86 (15,13)
55,09 (18,81)
-2,11
-0,37
0,04
0,73
8 (7,02)
54,13 (21,23)
2 (4,45)
31,50 (7,78)
-1,45
0,20
33 (28,95)
50 (43,86)
55,06 (16,11)
63,44 (18,37)
23 (51,12)
7 (17,78)
54,43 (13,64)
43,30 (14,31)
-0,03
-2,43
0,97
0,01
Diskussion
Die Auswertung der Checkliste belastender Lebensereignisse zeigt, dass die Kinder
und Jugendlichen in unserer deutlich belasteten klinischen Stichprobe im Durchschnitt fünf verschiedene potenziell traumatische Ereignisse berichteten. Vor allem
das Erleben oder Beobachten körperlicher Gewalt wurde von einer Mehrheit der
Studienteilnehmer bejaht. Es folgen der Verlust nahestehender Personen und sexuelle Gewalt bzw. Missbrauch. Wie bereits aus früheren Studien bekannt, erleben
Kinder und Jugendliche häufig mehrere unterschiedliche traumatische Ereignisse,
bis sie eine PTBS entwickeln oder deswegen in Behandlung kommen (Cyr et al.,
2013; Gustafsson, Nilsson, Svedin, 2009; Hodges et al., 2013). Unser Befund steht
auch im Einklang mit einer Studie von Suliman et al. (2009), die einen kumulativen Effekt durch multiple Traumaexposition feststellt, der einhergeht mit einer
schwereren Ausprägung von PTSS bei Jugendlichen im Vergleich zum Erleben eines
traumatischen Einzelereignisses.
Die am häufigsten bejahten belastenden Lebensereignisse der Checkliste finden
sich auch in den berichteten Indexereignissen wieder. Mit knapp 70 % betrafen diese meist körperliche und sexuelle Gewalt. Sexuelle Gewalt bzw. Missbrauch wurden
von unseren Studienteilnehmern häufiger als schlimmstes Ereignis eingeordnet als
körperliche Gewalt oder der Tod einer nahestehenden Person. Körperliche Gewalt,
auch wenn eine Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen mir ihr in Kontakt kommt,
wird nicht so häufig als schlimmstes Ereignis bewertet wie sexuelle Gewalt. Auch der
Verlust nahestehender Personen wird nicht so häufig als traumatisch eingeordnet wie
628 S. Loos et al.
sexuelle Gewalt. Dieser Befund kann auch damit erklärt werden, dass die Abgrenzung
eines natürlichen Todes von traumatischen Verlusten in der Ereignisliste unscharf
bleibt. Die Ereigniskategorien in der IBS-KJ-Checkliste gehen teilweise fließend in den
Bereich kritischer Lebensereignisse über. Die Prüfung der klinischen Bedeutsamkeit
der Ereignisse im Sinne des A-Kriteriums einer PTBS-Diagnose erfolgt erst durch eine
genauere Exploration der Qualität des schlimmsten Erlebnisses. 31 % der erwachsenen
Befragten zwischen 18-45 Jahren in einer amerikanischen repräsentativen Stichprobe
geben als auslösendes Ereignis für eine PTBS auch den plötzlichen, unerwarteten Tod
einer nahestehenden Bezugsperson an (Breslau et al., 1998), den insgesamt 60 % der
Stichprobe als traumatisches Ereignis angeben. Dieses Ergebnis deckt sich mit unserer
Stichprobe von Kindern und Jugendlichen, in der 26,2 % den Tod einer nahestehenden Person angeben.
Der Verlust nahestehender Bezugspersonen kann insbesondere für Kinder und Jugendliche von besonderer Bedeutung sein, da sie, je jünger sie sind, umso mehr den
Schutz und die Fürsorge einer erwachsenen Bezugsperson brauchen. Nach den revidierten Diagnosekriterien des DSM-5 wird in den Fällen von natürlichen Todesursachen wie Krankheit jedoch das A-Kriterium nicht mehr erfüllt, nur noch bei Verlust
durch gewalttätige Tode (Suizide oder Morde) oder Unfalltode. Immerhin erlebte in
unserer klinischen Stichprobe ein beträchtlicher Anteil der symptomatischen Kinder
und Jugendlichen den plötzlichen oder nach qualvollem Siechtum eingetretenen Tod
einer nahestehenden Person, z. B. eines Elternteils, als wesentliches belastendes Ereignis. Der Tod eines Elternteils ist für Kinder und Jugendliche nicht zuletzt aufgrund ihrer Abhängigkeit von ihnen und entsprechender existenzieller Ängste ein mit hohem
Stress verbundenes Lebensereignis. Eine verlängerte Trauerreaktion ist nicht nur mit
traumatischem Stress verbunden, sondern erhöht das Risiko für funktionelle Beeinträchtigungen und Depressionen (Suliman et al., 2009). Die in das DSM-5 aufgenommenen Kriterien für die Diagnose einer persistierenden komplizierten Trauerreaktion
führt ein alternatives Störungsmodell für solche Fälle ein, das allerdings noch weiter
empirisch gestützt werden muss (Kaplow, Layne, Pynoos, Cohen, Lieberman, 2012;
Rask, Kaunonen, Paunonen-Ilmonen, 2002). Es gilt auch zu berücksichtigen, dass ein
traumatischer Verlust im Sinne einer PTBS und eine verlängerte Trauerreaktion unterschiedliche Behandlungsansätze implizieren (Spuij et al., 2012). Immerhin konnte
gezeigt werden, dass die traumafokussierte kognitive Behandlung von Kindern und
Jugendlichen mit traumatischen Verlusten wirksam ist (Cohen, Mannarino, Knudsen,
2004). Entsprechende Studien zu einer eher trauerfokussierten Behandlung dieser
Gruppe fehlen dagegen bislang.
Unsere Vergleiche zwischen den Ereignistypen zeigten einen stärkeren „traumatogenen“ Effekt von sexueller Gewalt bzw. Missbrauch verglichen mit körperlicher Gewalt. Dieser Befund ist konsistent mit der Literatur, die bei sexuellen Traumata im
Vergleich zu anderen Traumatypen bei betroffenen Jugendlichen und Erwachsenen
eine stärkere Belastung und ein niedrigeres Funktionsniveau gezeigt hat (Krupnick
et al., 2004; Shakespeare-Finch u. Armstrong, 2010; Trickett, Noll, Putnam, 2011).
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Häufigkeit und Art traumatischer Ereignisse bei PTBS������
629
Hingegen überraschend zeigte sich in unserer Studie eine tendenziell stärkere Symptombelastung bei Opfern von extrafamiliären Tätern im Vergleich zu intrafamiliären
Tätern, was in der Literatur eher als umgekehrter Effekt beschrieben wird (z. B. Fischer u. McDonald, 1998). Die Kategorie „extrafamiliärer Täter“ in unserer Stichprobe beinhaltet in der Mehrzahl traumatische Ereignisse von Gewalt oder Missbrauch
durch Mitschüler, Bekannte oder intime Partner, somit keine Fremden. Dieser Befund
konnte auch in einer Studie zur Prävalenz von intra- und extrafamiliärem Missbrauch
von Mädchen gezeigt werden, hier waren auch nur 15 % der extrafamiliären Täter unbekannte Personen (Russell, 1983). Wenn der Täter aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis stammt, kann dies durchaus eine starke psychische Belastung insbesondere
für betroffene Jugendliche sein, die soziale Nachteile bei Offenlegung erleben oder
fürchten (Sylaska u. Edwards, 2014).
Der Geschlechtervergleich innerhalb der Traumakategorien bezogen auf die Symptombelastung zeigt eine grundlegend höhere Ausprägung von PTBS-Symptomen
bei Mädchen, signifikant bei extrafamiliären Tätern, wenn Mädchen selbst Opfer
von traumatischen Ereignissen sind und wenn sie sexuelle Gewalt erleben. Dieser
Befund bestätigte sich auch in einer Übersichtsarbeit, in der innerhalb desselben
PTEs weibliche Teilnehmer einen höheren Schweregrad einer PTBS zeigten (Tolin
u. Foa, 2006).
Zu den Limitationen unserer Studie ist zu sagen, dass die Grundlage für die vorliegende Auswertung eine knappe deskriptive Erfassung des schlimmsten Ereignisses
darstellte. Eine umfassende Traumaanamnese mit der Exploration sämtlicher eventuell auch wiederholter Ereignisse desselben Typs oder anderer traumatischer Ereignisse
wurde zum Zeitpunkt der Basisdiagnostik und vor Therapiebeginn nicht erhoben. Somit konnte die Kategorisierung nach Typ I (Einzelereignis) und Typ II (wiederholte traumatische Erlebnisse desselben Typs oder unterschiedlicher Typen) nach Terr
(1991) nicht valide durchgeführt werden. Es muss also weiteren differenzierteren Untersuchungen vorbehalten bleiben, Effekte von singulären traumatischen Ereignissen
von Effekten wiederholter oder über einen längeren Zeitraum anhaltender traumatischer Erlebnisse abzugrenzen. Die Rekrutierung erfolgte aus dem klinischen Alltag
von sowohl universitären Einrichtungen als auch aus Versorgungskliniken der Kinder- und Jugendpsychiatrie im städtischen und ländlichen Raum. Somit ist eine bestimmte Selektion gegeben, die von möglichen anderen Rekrutierungswegen abweicht
(z. B. von Flüchtlingsunterkünften, pädiatrischen Kliniken oder Beratungsstellen), bildet jedoch einen guten Querschnitt ab. Die Subgruppenanalysen, insbesondere der
Geschlechterdifferenzen, müssen mit Vorsicht interpretiert werden, da die Stichprobenumfänge klein sind.
630 S. Loos et al.
Fazit für die Praxis
Körperliche und sexuelle Gewalt durch Täter aus ihrer Familie werden von betroffenen Kindern und Jugendlichen mit manifester PTBS am häufigsten als
schlimmstes Erlebnis benannt. Sexuelle Gewalt bzw. sexueller Missbrauch geht
mit einer besonders stark ausgeprägten Symptomatik einher. Allerdings kann
auch der krankheitsbedingte traumatische Verlust nahestehender Personen zu
einer PTBS führen, nicht nur der Verlust aufgrund gewaltsamer oder unfallbedingter Todesfälle von Angehörigen. Aufgrund der kumulativen Wirkung von
potenziell traumatischen Erlebnissen ist in der klinischen Praxis eine ausführliche und möglichst vollständige Traumaanamnese zu empfehlen.
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Korrespondenzanschrift: Sabine Loos, Universitätsklinik Ulm, Kinder- und
Jugendpsychiatrie/-psychotherapie, Steinhövelstraße 1, 89073 Ulm;
E-Mail: [email protected]
Sabine Loos, Saskia Wolf, Dunja Tutus und Lutz Goldbeck, Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie/Psychotherapie
AUTOREN UND AUTORINNEN
Marc Birkhölzer, Assistenzarzt, Jugendforensische Ambulanz der Universitären Psychiatrischen
Kliniken (UPK) Basel, zuvor wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel.
Lutz Goldbeck, Dipl.-Psych., Dr. phil., Prof., Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie/Psychotherapie. Leiter der Sektion Psychotherapieforschung und Verhaltensmedizin mit Ausbildungszentrum für Verhaltenstherapie.
Kirstin Goth, Dr. phil. nat. Dipl.-Psych., wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitären
Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel, Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik.
Sabine Loos, Dr. biol. hum,, Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin (VT), derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin (Postdoc) in der Sektion Psychotherapieforschung und Verhaltensmedizin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Ulm.
Franz Petermann, Prof. Dr. phil., seit 1991 Professor für Klinische Psychologie, Universität Bremen,
Direktor des Zentrums für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen.
Susanne Schlüter-Müller, Dr. med., Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in eigener Praxis in Frankfurt a. M., Oberärztin in der Forschungsabteilung für Kinderund Jugendpsychiatrie der Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel/Schweiz.
Klaus Schmeck, Prof. Dr. med., Dipl.-Psych., Ordinarius, Klinikdirektor der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, Arzt für Kinderund Jugendpsychiatrie und Psychotherapie.
Christian Schrobildgen, M. Sc., Psychologe, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kinder- und
Jugendpsychiatrischen Klinik der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel.
Dunja Tutus, Dipl.-Psych. und M. Sc. Klinische Psychologie, Psychotherapie und Gesundheit,
derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sektion Psychotherapieforschung und Verhaltensmedizin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Ulm.
Lina Werpup-Stüwe, Dipl.-Psych., seit 2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für
Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen.
Saskia M. K. Wolff, M. Sc. in Gesundheits- und Sozialpsychologie, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sektion Psychotherapieforschung und Verhaltensmedizin der Universitätsklinik für
Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Ulm.
Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 64: 634 (2015), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online)
© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2015
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NEUERE TEST VERFAHREN
Kaufman, A. S., Kaufman, N. L. (2015). KABC-II. Kaufman Assessment Battery
for Children – II. Deutschsprachige Fassung von P. Melchers und M. Melchers.
Frankfurt: Pearson. Test komplett 1.389,- €, Auswertungsprogramm 273,70,
Verbrauchsmaterial pro Durchführung 3,64 €.
Theoretische Grundlagen und Testaufbau
Vor knapp 25 Jahren erschien die deutsche Ausgabe der Kaufman-Assessment Battery
for Children (K-ABC; Melchers u. Preuss, 1991), deren neuropsychologische Fundierung den Anspruch erhob, neue Wege in der kulturfairen Intelligenzdiagnostik von
Kindern zu eröffnen. In den letzten Jahren geriet die K-ABC gegenüber zwischenzeitlich erschienenen Neuauflagen anderer Verfahren ins Hintertreffen. Jetzt stellt sich
für viele Testanwender wiederum die Frage, ob die KABC-II wiederum innovative
Akzente in der Kinderdiagnostik setzen kann, wobei das amerikanische Original der
K-ABC-II bereits seit elf Jahren in Gebrauch ist (Kaufman u. Kaufman, 2004).
Die KABC-II besteht nunmehr aus insgesamt 18 Untertests. Bis auf die Dreijährigen,
bei denen lediglich ein Gesamtwert ermittelt wird, lassen sich aus je zwei bis vier Untertests Skalenwerte bilden, die nun wahlweise auf der Grundlage der neuropsychologischen Konzeption Lurias oder der CHC-Theorie nach Cattell, Horn und Carroll
(Schneider u. McGrew, 2012) interpretiert werden können.
Ursprünglich basiert die K-ABC auf Lurias neuropsychologischen Überlegungen zur
Einteilung und Rolle verschiedener Hirnfunktionen, die bei der Bewältigung komplexer
intellektueller Leistungen zusammenwirken (Luria, 1970). Grundlegend bei der Testkonstruktion war die Unterscheidung zwischen sequentieller und simultaner Verarbeitung,
wobei es den Testautoren nicht darauf ankam, einzelne Intelligenzfaktoren möglichst unabhängig voneinander zu erfassen. KABC-II erweitert nun den Bezug zu Lurias Überlegungen um Aufgaben zur Lernfähigkeit und, ab 7;0 Jahre, auch zur Planungsfähigkeit.
Aus den nunmehr vier Skalen, die verschiedenen Funktionen des neuropsychologischen
Modells Lurias zugeordnet werden, ergibt sich ein Gesamtmaß, das als Intellektueller
Verarbeitungsindex (IVI) bezeichnet wird. Separat davon kann auch ein Kennwert für
Wissen, bestehend aus zwei Untertests, ermittelt werden, der die Fertigkeitenskala der
K-ABC ablöst, allerdings keine Aufgaben zum Lesen und Rechnen enthält.
Den zweiten theoretischen Bezugsrahmen bildet die Cattell-Horn-Carroll-Theorie der Intelligenzmessung. Dazu werden mit der KABC-II bis zu fünf breite Fähigkeiten gemessen, nämlich Kurzzeitgedächtnis Gsm, visuelle Verarbeitung Gv,
fluide Intelligenz Gf, Langzeitspeicherung und -erinnerung Glr sowie Kristalline
Intelligenz Gc, die zu einem Gesamtindex namens Fluid-Kristallin-Index (FKI) zusammengefasst werden. Dieser ist in der Durchführung identisch mit dem IVI, bePrax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 64: 635 – 648 (2015), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online)
© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2015
636 Neuere Testverfahren
inhaltet aber zusätzlich den Kennwert für Wissen, der im Rahmen der CHC-Theorie
Kristalline Fähigkeiten Gc genannt wird (vgl. Tab. 1).
Generell empfehlen die Autoren, bei der Testinterpretation den FKI zu benutzen, es
sei denn, sprachliche Defizite und kulturelle Abweichungen (z. B. bei Kindern mit Migrationshintergrund) lassen es wichtig erscheinen, einen kulturfairen Gesamtwert zu
bilden, der die kristallinen Fähigkeiten von der Intelligenzberechnung ausschließt. Für
Kinder, die der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind, gibt es zusätzlich die
Möglichkeit, einen sprachfreien Index (SFI) als Globalmaß der Intelligenz zu bilden, der
sich aus Aufgaben zusammensetzt, die sprachfrei durchgeführt werden können. Der SFI
empfiehlt sich vor allem bei Kindern mit gravierenden Sprach- und Hörproblemen.
Tabelle 1: Gegenüberstellung der Funktionen nach Luria und der Faktoren nach der CHC-Theorie, die
mit der KABC-II erfasst werden können
Alter
4;0-18;11
4;0-18;11
7;0-18;11
4;0-18;11
Bezeichnung Luria-Modell
Sequentielle Verarbeitung
Simultane Verarbeitung
Planung
Lernfähigkeit
4;0-18;11 (Wissen)
3;0-18;11 Intellektueller
Verarbeitungsindex (IVI)
Bezeichnung CHC-Modell
Kurzzeitgedächtnis Gsm
Visuelle Verarbeitung Gv
Fluide Intelligenz Gf
Langzeitspeicher und
-erinnerung Glr
Kristalline Fähigkeiten Gc
Fluid-Kristallin-Index (FKI)
Bezeichnung KABC-II
Sequentiell/Kurzzeitged. Gsm
Simultan/Visuelle Verarbeitung Gv
Planung/Fluide Fähigkeiten Gf
Lernen/Langzeitspeicher und
-erinnerung Glr
Wissen/Kristalline Fähigkeiten Gc
Je nach Alter des Kindes und zugrunde gelegtem Modell werden zwischen fünf und
zehn Untertests zur Berechnung des Gesamtwerts herangezogen. Hinzu kommen eine
Reihe von Ergänzungsuntertests. Diese dienen der Erweiterung der diagnostischen
Möglichkeiten, können aber auch Kernuntertests ersetzen, wenn aufgrund von Verweigerung oder anderer besonderer Umstände ein Kernuntertest entfallen muss. Das
Zusammenstellen von Untertests nach Gutdünken zu einer eigenen Kerntestbatterie
und deren Auswertung anhand der vorhandenen Normwerttabellen ist nicht zulässig.
Einige Untertests sind in bestimmten Altersabschnitten Kernuntertests, während sie
zu anderen Zeitpunkten als Ergänzungsuntertests fungieren. Zwei Untertests werden
je nach Alter des Kindes verschiedenen Skalen zugeordnet (s. Tab. 2, folgende Seite).
Die Namen der Skalen beinhalten sowohl die Bezeichnung nach dem Luria-Modell als
auch den Namen des jeweiligen CHC-Faktors (s. Tab. 1).
Acht Untertests wurden mit geringfügiger Modifikation aus der K-ABC übernommen. Meist wurden Aufgaben niedriger und hoher Itemschwierigkeit hinzugefügt.
Acht Untertests der K-ABC sind weggefallen, wofür zehn Untertests neu hinzu kamen. Nicht mehr enthalten sind die Untertests Zauberfenster, Räumliches Gedächtnis, Fotoserie (wurde durch Geschichten ergänzen abgelöst), Gesichter & Orte (ersetzt
durch Wort- und Sachwissen), Rechnen, Lesen/Buchstabieren sowie Lesen/Verstehen.
Den Wegfall der Aufgaben zum Lesen und Rechnen begründen die Autoren damit,
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Neuere Testverfahren 637
dass diese Fertigkeiten mithilfe eigens dafür entwickelter Schulleistungstests überprüft
werden können.
Tabelle 2: Testaufbau und Durchführungsdauer der KABC-II
Alter in Jahren
3a
Zahlen nachsprechen
Wortreihe
Handbewegungen
ºb
•
+d
Bausteine zählen
Konzeptbildung
Wiedererkennen von Gesichtern
Muster ergänzene
Rover
Geschichten ergänzene
Dreiecke
Gestaltschließen
•+
•+
4
5
6
7-12
Sequentiell/Kurzzeitgedächtnis (Gsm)
•c
•
•
•
•
•
•
•
º+
º+
º+
º+
Simultan/visuelle Verarbeitung (Gv)
º+
º+
º+
•+
•+
•+
•+
º+
•
•
•
•
º+
•+
•
•+
º
º
º
º
º
º
Planung/fluide Fähigkeiten (Gf)
+
+
•+
•+
+
•+
•+
Lernen/Langzeitspeicher und -erinnerung (Glr)
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Atlantis
Symbole
Atlantis – Abruf nach Intervall
Symbole – Abruf nach Intervall
•
Wortschatz
Rätsel
Wort- und Sachwissen
•
•
º
Testdauer in Minuten (lt. Manual)
Luria-Modell (IVI)
25-30
CHC-Modell (FKI)
30-35
Sprachfreie Skala (SFI)
20
•+
•
•
•+
Muster ergänzene
Geschichten ergänzene
•+
º
•+
13-18
•+
º
º
º
º
º
º
º
º
Wissen/kristalline Fähigkeiten (Gc) (nur FKI)
•
•
•
º
º
•
•
•
•
•
•
•
º
º
º
30-35
40-45
20
35-40
45-50
30
45-50
55-60
30
55-60
70-75
40
50-55
65-70
40
Anmerkungen: a) Bei den Dreijährigen werden keine Skalenwerte ermittelt, sondern es wir nur ein Gesamtindex gebildet; b) º Ergänzungsuntertest; c) • Kernuntertest; d) + Untertest der sprachfreien Skala SFI;
e)
Die Untertests Muster ergänzen und Geschichten ergänzen sind bei den Kindern bis 6;11 Jahren der
Skala Simultan/Gv zugeordnet, ab 7;0 Jahren der Skala Planung/Gf
Im Folgenden werden die einzelnen Untertests beschrieben. Hinweise zu den Altersbereichen der Skalen siehe Tabelle 1. Der sprachfreie Index setzt sich je nach Altersgruppe aus vier oder fünf Untertests zusammen, wobei dazu teilweise Untertests
638 Neuere Testverfahren
herangezogen werden, die in der normalen Durchführung nur als Ergänzungsuntertests zum Einsatz kommen. In eckigen Klammern sind jeweils die CHC-Einzelfaktoren (Stratum-I) aufgeführt, die laut deutschem Manual mithilfe der Aufgaben
erfasst werden können. Andere Autoren finden teilweise auch andere Zuordnung
(vgl. Flanagan, Alfonso, Ortiz, 2012).
Zahlen nachsprechen: Vorgesprochene Zahlenreihen müssen in derselben Reihenfolge
wiederholt werden [Gedächtnisspanne].
Wortreihe: Es werden Wortreihen vorgesprochen. Auf die zugehörigen Symbole muss
anschließend auf einer Vorlage in der richtigen Reihenfolge getippt werden. Bei Aufgaben mit höherem Schwierigkeitsgrad ist zwischen Hören und Zeigen eine Interferenzaufgabe (Farben benennen) zu absolvieren [Arbeitsgedächtnis].
Handbewegungen: Vorgemachte einfache Handpositionen müssen vom Kind in der
richtigen Sequenz wiederholt werden [Gedächtnisspanne, visuelles Gedächtnis].
Bausteine zählen: Auf Abbildungen sind Bausteine in verschiedener Anordnung zu
sehen, wobei in der perspektivischen Darstellung Steine zum Teil verdeckt sind. Diese
müssen demnach beim Zählen erschlossen werden. Es ist jeweils die richtige Anzahl von
Bausteinen anzugeben [Visualisierung, mathematische Leistungen].
Konzeptbildung: Aus einem Satz von vier oder fünf Bildern soll dasjenige herausgefunden werden, das nicht zu den übrigen passt [Visualisierung, induktives Denken].
Wiedererkennen von Gesichtern: Zunächst wird das Gesicht einer oder mehrerer Personen gezeigt. Dieselben Personen sollen dann anschließend auf Gruppenfotos herausgefunden werden [visuelles Gedächtnis].
Rover: Auf einer schachbrettartig gegliederten Fläche mit Hindernissen soll der
kürzeste Weg vom Start- zum Zielpunkt gefunden werden. Die Aufgaben sind in die
Rahmenhandlung eines Hundes eingebettet, der auf dem kürzesten Weg zu seinem
Knochen gelangen möchte [räumliche Erfassung, generelles sequenzielles Denken, mathematische Leistungen].
Dreiecke: Bei den einfacheren Aufgaben dieses Untertests müssten aus verschieden
geformten und gefärbten Plastikteilen vorgegebene Muster nachgelegt werden. Bei den
schwierigeren Aufgaben stehen als Material zweifarbige Dreiecke aus Moosgummi zur
Verfügung [räumliche Zusammenhänge, Visualisierung]
Gestaltschließen: aus unvollständigen Abbildungen soll erschlossen werden, welches
Objekt dargestellt ist. Das Kind soll sagen, welches Objekt es erkannt hat [Schnelligkeit
visueller Erkennung].
Muster ergänzen: Eine Reihe von Mustern soll um ein fehlendes Muster ergänzt werden, das aus vier oder sechs Alternativen auszuwählen ist. Zur Lösung der Aufgaben ist
es erforderlich, die Logik zu erkennen, die der jeweiligen Serie inhärent ist [induktives
Denken, Visualisierung].
Geschichten ergänzen: Eine Abfolge von Bildern stellt eine unvollständige Handlungssequenz dar. Aus einer Reihe von Bildkarten müssen dann diejenigen Bilder ausgewählt
und eingefügt werden, die die Geschichte richtig vervollständigen [induktives Denken,
Visualisierung, generelles sequentielles Denken, Allgemeinwissen].
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Neuere Testverfahren 639
Atlantis: Sukzessive werden dem Kind die Phantasienamen von 12 Wasserlebewesen
vermittelt. Diese müssen anschließend nach Nennung durch den Untersucher aus einer größeren Ansammlung von Abbildungen herausgefunden werden [assoziatives Gedächtnis].
Atlantis – Abruf nach Intervall: 20 bis 25 Minuten nach der Durchführung von Atlantis wird ohne weiteren Lerndurchgang erneut abgefragt, welche Namen-Objekt-Zuordnungen das Kind sich aus der Erstdarbietung behalten hat [assoziatives Gedächtnis,
Lernfähigkeit].
Symbole: Das Kind bekommt eine Art Symbolschrift präsentiert und lernt nach und
nach die Wortbedeutung der einzelnen Zeichen, mit denen dann Sätze mit zunehmender
Anzahl von Symbolen „gelesen“ werden sollen [assoziatives Gedächtnis].
Symbole – Abruf nach Intervall: Auch zum Untertest Symbole gibt es eine zeitverzögerte Abfrage der behaltenen Symbolnamen, ohne dass zuvor eine Auffrischung des Gelernten erfolgt [assoziatives Gedächtnis, Lernfähigkeit].
Wortschatz: Abgebildete lebensweltbezogene Objekte sollen benannt werden [lexikalisches Wissen].
Rätsel: Anhand mehrerer vom Untersucher in Frageform genannter Merkmale soll
ein Begriff erraten werden [lexikalisches Wissen, generelles sequentielles Denken, Sprachentwicklung].
Wort- und Sachwissen: Aus jeweils sechs dargebotenen Bildern soll dasjenige ausgewählt werden, das zu einem genannten Begriff (Objekt, Eigenschaft etc.) passt [lexikalisches Wissen, Allgemeinwissen].
Die Subskalen werden jeweils aus zwei Kernuntertests gebildet. Eine Ausnahme stellt
Simultan/Gv dar, wo in manchen Altersgruppen bis zu vier Untertests zur Indexbildung beitragen. Zusätzlich zu den genannten Subskalen gibt es die Möglichkeit, aus den
beiden Ergänzungsuntertests Atlantis – Abruf nach Intervall und Symbole – Abruf nach
Intervall einen separaten Index „Abruf nach Intervall“ zu errechnen, für den eigene Normen vorliegen.
Das Material umfasst vier Aufstellordner und zwei Spiralblöcke mit Testaufgaben und
Instruktionen sowie Bildkarten und Legeplättchen. Es gibt ein Protokollheft für alle Altersgruppen sowie ein PC-Auswerteprogramm. Das Manual ist umfangreich (338 Seiten)
und detailliert. Es enthält im Anhang die Normtabellen. Anfangs wurde der Test in einer
Stofftasche geliefert, die den Inhalt nicht ausreichend schützte. Nach Kritik aus dem Kreis
der Testbenutzer wurde diese zwischenzeitlich durch einen Pilotenkoffer ersetzt.
Testdurchführung, Auswertung und Interpretation
Die Durchführungsregeln unterscheiden sich in vielen Details von der Vorgängerversion, sodass auch Testleiter, die die K-ABC kennen, um eine sorgfältige Einarbeitung
nicht umhin kommen. Außer einem geeigneten Arbeitsplatz sind keine besonderen
räumlichen Anforderungen zu erfüllen. Der Test wird im Einzelsetting durchgeführt.
Die Reihenfolge der Aufgaben ist festgelegt. Die Ergebnisse werden im Protokollheft
640 Neuere Testverfahren
festgehalten, wo auch die Verrechnungen vorgenommen und die Ergebnisse dargestellt werden. Außerdem besteht dort die Möglichkeit, Verhaltensbeobachtungen
einzutragen. Zu vielen Untertests gibt es Einführungs- und Lernaufgaben, die gewährleisten sollen, dass das Kind die Aufgabenstellung verstanden hat. Altersdifferenzierte Einstiegspunkte und Abbruchkriterien sowie Regeln für den Fall, dass die Einstiegs- und Lernaufgaben nicht bewältigt wurden, gewährleisten eine ökonomische
Testdurchführung. Verrechnungshinweise gibt es auch für den Fall, dass in Untertests
null Rohwertpunkte erreicht werden. Bei einigen Aufgaben ist exakte Zeitnahme erforderlich, um Darbietungs- und Bearbeitungszeiten zu kontrollieren. Ab 7;0 Jahren
gibt es bei einigen Untertests Bonuspunkte für rasche Bearbeitung. Für Personen mit
motorischen Handicaps liegen separate Normen ohne diese Bonusbepunktung vor.
Bei einigen Aufgaben ist eine abgestufte Bewertung vorzunehmen, je nachdem; ob sie
im ersten oder zweiten Lösungsversuch richtig bewältigt wurden.
Die Normwerte der Untertests werden in Wertpunkten (M = 10, SD = 3), die der
Skalen als IQ-Werte (M = 100, SD = 15) angegeben. Zur Profilinterpretation werden ausschließlich die Subskalenindices herangezogen, wenn die Untertestergebnisse nicht zu
große Unterschiede aufweisen. Es können sowohl normbezogene als auch individuelle
Stärken und Schwächen unter Berücksichtigung von Signifikanzniveaus und kritischen
Grundraten ermittelt werden.
Testentwicklung, Normierung und Testgütekriterien
Aufbauend auf die sorgfältige Entwicklung der amerikanischen Originalversion erfolgte eine Übersetzung und teilweise kulturelle Adaptierung des Verfahrens auf
deutschsprachige Verhältnisse. Die Testnormierung erfolgte von April 2013 bis Februar 2014 an 1.745 Kindern in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen
Schweiz, wobei Repräsentativität bezüglich Geschlecht, regionaler Verteilung, Siedlungsform, Migrationsanteil und Bildungsstand der Eltern angestrebt und weitgehend
eingehalten wurde. Lediglich der Anteil von Probanden mit Eltern aus niedrigen Bildungsschichten war unterrepräsentiert. Zur Normierungsstudie selbst sind die Auskünfte eher spärlich. So erfährt man lediglich, dass die Durchführung in den Händen
eines Marktforschungsunternehmens lag, das seinerseits Untersucher anlernte, deren
beruflicher Hintergrund ungenannt bleibt. 1.628 Probanden wurden in Regelkindertagesstätten und Regelschulen gewonnen. Hinzu kam ein Anteil von 117 Kindern
und Jugendlichen, die als klinische Stichprobe bezeichnet werden. Diese macht 6,7
% der Gesamtstichprobe aus und beinhaltet Kinder mit Entwicklungsstörungen und
diversen psychischen Störungen, die sich nicht gleichmäßig über die Altersgruppen
verteilen. Auch zur Gewinnung dieser Probandengruppen fehlen nähere Angaben.
Für die Gesamtstichprobe ergaben sich vielfach schlechtere Testleistungen bei niedrigem Bildungsniveau der Eltern und Migrationshintergrund, wobei das letztgenannte
Merkmal im Manual zwar problematisiert, aber letztlich nicht definiert wird. Die Effekte
fallen für die verschiedenen Skalen unterschiedlich groß aus (s. Tab. 3).
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Neuere Testverfahren 641
Tabelle 3: Effekte des elterlichen Bildungsgrads und des Migrationsstatus auf KABC-II-Ergebnisse
KABC-II Skalen
Sequentiell/Gsm
Simultan/Gv
Lernen/Glr
Planung Gf
Wissen/Gc
IVI
FKI
SFI
Bildungsstand der Eltern
Differenz SA – HSa
3-6 Jahre
7-18 Jahre
10,8
15,6
13,9
14,2
10,2
13,7
--13,9
18,5
19,4
14,5
18,2
17,2
19,4
11,5
13,7
Migrationb
Differenz Nein – Ja
3-6 Jahre
7-18 Jahre
5,6**
4,2***
1,4
5,1***
1,6
3,4***
--3,4***
12,4***
8,5***
3,4*
5,0***
6,6***
6,1***
4,2***
- 0,9c
Anmerkungen: a) SA = Studienabschluss, HS = Hauptschule mindestens 8 Jahre; b) Migrationshintergrund ja/nein unter Berücksichtigung des elterlichen Bildungsgrads c) hier schnitten die Kinder mit
Migrationshintergrund geringfügig besser ab als die ohne * p ≤ .05 ** p ≤ .01 *** p ≤ .001
Bei den Skalen sind Akademikerkinder den Kindern aus niedrigen Bildungsschichten im Schnitt um 1 bis 1,3 SD überlegen. Selbst wenn der Bildungsstand der
Eltern kontrolliert wird, wirkt sich Migrationshintergrund ungünstig auf die Testergebnisse aus. Kulturfairness lässt sich demnach allenfalls für die sprachfreie Skala
reklamieren.
Es wurden 47 Altersgruppen gebildet, bei den Drei- bis Fünfjährigen Gruppen à drei
Monate pro Jahrgang, bei den Sechs- bis Vierzehnjährigen je drei Gruppen à vier Monate pro Jahrgang, und bei den Fünfzehn- bis Achtzehnjährigen erfolgte die Gruppeneinteilung in Halbjahresschritten. Die Normen gelten für Jungen und Mädchen gleichermaßen, auch wenn in der Normierungsstichprobe signifikante, aber geringfügige
Geschlechtsunterschiede, zumeist zugunsten der Jungen (Simultan/Gv, Wissen/Gc und
FKI), gefunden wurden. Für die amerikanische Fassung waren leichte, teilweise aber signifikante Unterschiede berichtet worden (Singer et al., 2012), wobei je nach Alter und
Skala mal die Jungen und mal die Mädchen besser abschnitten.
Bei den Kindern im Alter von 3;0 bis 3;2 Jahren weisen drei der sieben Kernuntertests
leichte Bodeneffekte auf, sodass bei einem Rohwert (RW) von 1 in allen Untertests minimal ein Gesamtwert von 57 (mehr als 3 SD) erreicht werden kann. Bei den Vierjährigen
sind alle Kernuntertests frei von Bodeneffekten und es werden Skalenwerte bis in den
untersten Messbereich hinein ausgewiesen. Leichte Bodeneffekte bestehen außerdem
beim Untertest Muster ergänzen bei den Fünf- und Sechsjährigen sowie im Untertest
Rover im Alter von 6;0 bis 6;2 Jahren. Ansonsten sind Kernuntertests und Skalen frei von
Bodeneffekten. Bis zu einem Alter von 13 Jahren treten keine Deckeneffekte auf, ab dann
zunehmend bei Ergänzungsuntertests. Kernuntertests sind nur in den höchsten Altersgruppen betroffen. Die Anstiege der Normwerte zwischen benachbarten Rohwertpunkten sind stetig, gelegentlich kommt es dabei zu Normwertsprüngen von 2/3 SD. Anstiege
zwischen Altersgruppen betragen selten mehr als 1/3 SD.
642 Neuere Testverfahren
Tabelle 4: Reliabilitäten der Testskalen
Sequentiell/Gsm
Simultan/Gv
Lernen/Glr
Planung/Gf
Wissen/Gc
IVI
FKI
SFI
3-6 Jahre
7-18 Jahre
.88 (.85 - .89)
.93 (.88 - .95)
.97 (.96 - .97)
--.94 (.92 - .95)
.95 (.94 - .96)
.97 (.96 - .97)
.92 (.90 - .92)
.90 (.87 - .93)
.95 (.94 - .97)
.97 (.96 - .97)
.89 (.84 - .92)
.95 (.94 - .96)
.97 (.96 - .98)
.98 (.97 - .98)
.95 (.93 - .96)
Anmerkung: Durchschnittswerte über alle Altersgruppen (in Klammern Range) berechnet mit Fisher’s
z-Transformation. Die Angaben im Manual beziehen sich auf gemittelte Werte der Altersnormgruppen.
Bei den Untertests erfolgte die Reliabilitätsberechnung anhand einer etwas unklar
beschriebenen Prozedur, die der Split-Half-Methode angenähert ist. Die somit gewonnenen Kennwerte fallen überwiegend zufriedenstellend (>.70) bis hoch (>.80),
teilweise sogar sehr hoch (>.90) aus. Bei den Kernuntertests treten keine Reliabilitätskoeffizienten < .70 auf, bei den Ergänzungsuntertests ist dies in einzelnen Altersgruppen der Fall. Für die Untertests Atlantis – Abruf nach Intervall und Symbole
– Abruf nach Intervall wird ein gemeinsamer Reliabilitätskoeffizient angegeben, der
in allen Altersgruppen Mittelwerte > .90 ergibt (s. Tab. 4).
Zur Retestreliabilität verweisen die Autoren auf die amerikanische Originalversion, von der eine zufriedenstellende bis hohe Mess-Stabilität über einen Zeitraum von
durchschnittlich vier Wochen (12 bis 56 Tage) berichtet wird. Auf eine Überprüfung bei
der deutschen Version haben die Autoren aus methodischen Gründen verzichtet. Sie
nehmen an, dass die für die amerikanische Fassung berichteten Übungseffekte von 11,5
Standardwertpunkten für Lernen/ Glr und 7-10 Standardwertpunkten für Simultan/Gv
und Planung/Gf vermutlich auch für die deutsche Fassung zutreffen, ebenso wie die geringeren Zuwächse bei Wissen/Gc (3-4 Punkte) und Sequentiell/Gsm (-0,8-2,2 Punkte).
Zuwächse bei den Gesamtskalen IVI, FKI und SFI werden im Manual nicht referiert. In
Anbetracht der teilweise deutlichen Übungseffekte empfehlen die Autoren, die KABC-II
nicht häufiger als im Abstand von 12 Monaten zu wiederholen.
Viele Aufgabenformate der KABC-II sind in der Intelligenzdiagnostik etabliert und
können als inhaltsvalide gelten. Für neu aufgenommene Untertests ist der Zusammenhang mit den zugrunde gelegten Intelligenzmodellen plausibel dargelegt. Die Subskala
Planung/Gf wurde eher aus statistischen denn aus inhaltlichen Gründen zusammengestellt. Jede Subskala wird aus mindestens zwei verschiedenen Untertests gebildet, was
im Rahmen der CHC-Theorie für ausreichend gehalten wird, um Stratum-II Faktoren
angemessen zu erfassen (Flanagan et al., 2012).
Die Interkorrelationen der Kernuntertests fallen in den niedrigen bis mittleren Bereich und sind innerhalb der jeweiligen Subskalen durchweg gleich hoch oder höher
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Neuere Testverfahren 643
als die Zusammenhänge zwischen Aufgaben, die verschiedenen Skalen angehören.
Alle Untertests korrelieren in mittlerer bis sehr hoher Ausprägung mit den jeweiligen
Skalen, die ihrerseits auch hohe Zusammenhänge untereinander aufweisen. Planung/
Gf hat von allen Skalen den höchsten Zusammenhang mit den Gesamtindices IVI und
FKI. Die referierten konfirmatorischen Faktorenanalysen scheinen die Skalenstruktur
der KABC-II für alle Altersgruppen zu bestätigen. Am höchsten laden Planung/Gf und
Simultan/Gv auf dem Gesamtwert (IVI) mit Werten von .88 bis .99. Auch die Ladungen
der Untertests auf den Fähigkeitsfaktoren, die die Subskalen repräsentieren, beträgt .50
und mehr. Allerdings lassen die im Manual enthaltenen Angaben keine umfassende Beurteilung der Faktorenanalysen zu.
Zur konkurrenten Validität werden Vergleichsuntersuchungen referiert, die mit Teilen
der Normierungsstichprobe in verschiedenen Altersgruppen durchgeführt wurden und
die überwiegend deutliche Zusammenhänge mit den Skalenwerten von WISC-IV (Petermann u. Petermann, 2011); IDS (Grob, Meyer, Hagmann-von-Arx, 2009); WPPSIIII (Petermann, 2009); SON-R 5½-17 (Tellegen u. Laros, 2005) und K-TIM (Melchers,
Schürmann, Scholten, 2006) aufweisen. So beträgt beispielsweise der Zusammenhang
zwischen FKI und dem WISC-IV-Gesamtwert .88. Ein Vergleich zwischen KABC-II
und K-ABC bei Kindern im Alter von 8 bis 11 Jahren liefert ebenfalls deutliche statistische Zusammenhänge bei nur geringen Mittelwertdifferenzen im Gesamtwert. Die
Korrelationen zwischen inhaltlich ähnlichen Untertests der beiden Verfahren fallen jedoch teilweise erstaunlich niedrig aus. Zur diskriminativen Validität wird lediglich von
einer Studie mit der Kaseler Konzentrationsaufgabe (Krampen, 2007) berichtet, die für
statistische Unabhängigkeit zwischen KABC-II und selektiver Aufmerksamkeit spricht.
Zu Profilen klinischer Stichproben einschließlich Hochbegabung werden lediglich Ergebnisse genannt, die für die amerikanische Version vorliegen. Zur Kriteriums- und
prognostischen Validität fehlen Angaben bzw. es wird kursorisch auf Befunde zur amerikanischen Version verwiesen.
Praktische Erprobung
Aufgrund der Vielzahl an Durchführungsregeln und zahlreicher Modifikationen gegenüber der K-ABC ist für alle Testanwender eine sorgfältige Einarbeitung erforderlich. Die
Aufbewahrungs- und Transporttasche ermöglicht keine übersichtliche Anordnung des
Materials und keinen materialschonenden Transport. Die Umstellung auf ein anderes
Behältnis, die der Verlag zwischenzeitlich vorgenommen hat, ist daher prinzipiell zu
begrüßen. Allerdings vermag der nunmehr zum Einsatz kommende Pilotenkoffer im
praktischen Einsatz nicht zu überzeugen. Er gewährleistet zwar einen sicheren und rückenschonenden Transport, ist aber platzintensiv und sollte von der Inneneinteilung her
verbessert werden. Die meisten Aufgaben werden anhand der Aufstellordner dargeboten,
was eine Sitzordnung „über Eck“ erfordert, damit die Zeigebewegungen des Kindes vom
Untersucher auch gut beobachtet werden können. Die Skizze im Manual, die diese Sitzposition veranschaulichen soll, erscheint dem Rezensenten dazu allerdings ungeeignet.
644 Neuere Testverfahren
Die Spiralheftungen der Aufstellordner biegen sich im Gebrauch auf, sodass ein reibungsloses Umblättern nicht durchgehend gewährleistet ist. Das erfordert häufiges
Nachbiegen oder, falls man das versäumt hat, umständliches Wiedereinfädeln der Aufstellpappen. Während einer Testung kann es dadurch zu erheblicher Behinderung kommen. Die Registerblätter nutzen sich an den Griffstellen rasch ab und die Pappen, die
statt des bisherigen Plastikeinbands die Aufstellordner stützen sollen, sind für Kinder,
die kraftvoll auf die Abbildungen tippen, nicht stabil genug. Eine fehlerhafte Abbildung
im Untertest Gestaltschließen wurde inzwischen ausgetauscht.
Die Handlungsanweisungen für den Testleiter sind klar beschrieben und die Instruktionen sind sprachlich einfach gehalten. Warum auf den Instruktionsseiten der Aufstellordner auch ausführliche Hintergrundinformationen zu den einzelnen Untertests
abgedruckt sind, ist nicht nachvollziehbar. Dadurch wird unnötiges Blättern bei jeder Testdurchführung erforderlich, was sich insbesondere bei Kindern, die konstante
Aufmerksamkeit verlangen, ungünstig auswirkt. Die wichtigsten Durchführungsanweisungen hätten etwas prägnanter hervorgehoben werden können. Die Vorlage zum
Untertest Wortreihe ist weder kratzfest noch abwaschbar oder praktisch in ihrer Handhabung. Bei regem Gebrauch bekommt der Softcover-Einband des Manuals auch bei
vorsichtiger Handhabung rasch Gebrauchsspuren. Ein Hardcover-Einband oder ein
separates spiralgebundenes Heft mit Testnormen wären bessere Alternativen.
Im Allgemeinen lässt sich das Verfahren mit Kindern aller Altersstufen gut durchführen, lediglich bei den Sechsjährigen gab es teilweise Durchhalteprobleme. Die
Angaben zur Durchführungsdauer im Manual erwiesen sich in der eigenen Erprobung als realistisch. Atlantis ist als Einstiegsaufgabe und „Eisbrecher“ meist gut gewählt. Lediglich sehr schüchterne Kinder, die der Aufforderung auf die Abbildungen
zu zeigen nicht nachkommen, lassen sich auf andere Untertests wie Wortschatz oder
Dreiecke am Anfang unter Umständen besser ein. Die Aufgabenreihenfolge ermöglicht eine durchaus abwechslungsreiche Darbietung. Durch Zeitnahme, gestaffelte
Bepunktung, Durchführungsunterschiede bei verschiedenen Altersgruppen und
nicht zuletzt die differenzierten Kriterien für die Verhaltensbeobachtung stellt das
Verfahren hohe, aber mit der nötigen Testroutine durchaus zu bewältigende Anforderungen an den Testleiter. Die Hinzunahme einfacher Aufgaben ermöglicht nun
einen problemlosen Einstieg in den Untertest Dreiecke. Das Bildmaterial ist optisch
klar gestaltet, aktualisiert und weist im Untertest Wort- und Sachwissen (Nachfolger von Gesichte & Orte) auch keine „Märchenlastigkeit“ mehr auf, erfordert allerdings intaktes Sehvermögen und gute Ausleuchtung des Arbeitsplatzes. Für die
Anwendung bei sehbehinderten Kindern bietet KABC-II sich nicht unbedingt an.
Die Anforderungen an die Handmotorik der Kinder sind bis auf Dreiecke und Rover gering. Bei entsprechenden motorischen Handicaps können, wo erforderlich,
Normen ohne Bonuspunkte für rasche Bearbeitung herangezogen werden, die allerdings bei den älteren Probanden ausgeprägte Deckeneffekte aufweisen. Sprachlichen Problemen der Probanden wird generell durch sprachlich einfache und kurze
Anweisungen und geringe Anforderungen an den sprachlichen Output Rechnung
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Neuere Testverfahren 645
getragen. Zusätzlich gibt es die sprachfreie Skala, jedoch ohne spezifische Instruktionen zur nonverbalen Durchführung.
Die Bewertung ist zumeist einfach. Der Protokollbogen bietet reichlich Platz für Eintragungen, ist vom Layout her aber gewöhnungsbedürftig. Die Auswertung anhand der Tabellen bereitet keine Schwierigkeiten. Alternativ liegt ein unkompliziert zu installierendes
und handzuhabendes Auswertungsprogramm vor. Die Vorgaben, die bezüglich der
Profilinterpretation gemacht werden, sind methodisch angemessen. Die Ergebnisinterpretation setzt Kenntnis der theoretischen Grundlagen voraus. Dies trifft im Prinzip für
alle (intelligenzdiagnostischen) Verfahren zu, ist aber wegen des expliziten Bezugs auf die
neuropsychologische Theorie Lurias und das CHC-Modell hier besonders augenfällig.
Bewertung
Die KABC-II stellt eine gründliche Überarbeitung und Erweiterung der K-ABC dar.
Das Verfahren basiert weiterhin auf dem Luria-Modell und fügt der simultanen und
sukzessiven Verarbeitung noch Lernen und Planung als weitere Leistungsbereiche
hinzu. Zugleich besteht die Möglichkeit, Befunde nach der CHC-Theorie zu interpretieren, auch wenn die Untertests in der Regel mehr als einem Intelligenzfaktor
zuzuordnen sind. Dem Benutzer eröffnen sich damit zeitgemäße Interpretationsmöglichkeiten, und die Verknüpfung mit anderen Verfahren im Sinne eines CrossBattery-Assessments (Flanagan et al., 2012) wird merklich erleichtert.
Begrüßenswert ist auch die Berücksichtigung von Lernen als spezifischer kognitiver
Leistung und des verzögerten Abrufs, zwei Komponenten, die bislang trotz ihrer praktischen Relevanz in Intelligenztests kaum Berücksichtigung fanden. Kritisch anzumerken
ist, dass im Untertest Symbole etliche Abbildungen die Symbolbedeutung anschaulich
wiedergeben, sodass die Testleistung nicht nur das Lernen in der Testsituation wiedergibt, sondern auch durch bildungsabhängiges Vorwissen beeinflusst wird. Außerdem
findet der verzögere Abruf bei der Berechnung des Index Lernen/Glr keine Berücksichtigung, obwohl der Recall als wesentlicher Bestandteil des CHC-Faktors Glr gilt. Die
Unterscheidung zwischen simultaner/visueller Verarbeitung einerseits und Planung/
fluider Intelligenz andererseits ist von den Aufgabeninhalten her wenig eingängig und
die Zuordnung der Aufgaben zu den beiden Indices erfolgte eher aus teststatistischen
denn aus inhaltlichen Gründen.
Wissen/Kristalline Fähigkeiten Gc enthält vornehmlich Aufgaben zum Passivwortschatz und zur sprachlichen Konzeptbildung und kann damit inhaltlich nur bedingt
mit dem Index Sprachverständnis der WISV-IV gleichgesetzt werden. Der Wegfall von
Rechnen und Leseverständnis bei KABC-II ist zu bedauern, da es sich hierbei um orientierende Aufgaben handelte, die eingesetzt werden konnten, um eingehenderen Abklärungsbedarf zu ermitteln. Laut Manual erfassen zwar Rover und Bausteine zählen auch
quantitative Fähigkeiten Gq, doch beschränken sich diese auf reine Zählfertigkeiten, die
ab einem Alter von 6 bzw. 13 Jahren für die Beurteilung der Rechenfertigkeiten weitgehend ungeeignet sind.
646 Neuere Testverfahren
Zu begrüßen ist, dass nunmehr normiertes Testen mit der KABC-II bis zum 19.
Lebensjahr möglich ist. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist allerdings zu berücksichtigen, dass Jugendliche im Alter von 16 bis 18 Jahren im Durchschnitt circa acht
IQ-Punkte besser abschneiden als im K-TIM (Melchers et al., 2006), wobei sich die Differenz vornehmlich bei den kristallinen Leistungen ergibt.
Für die Diagnostik von Kindern und Jugendlichen mit (leichter) Intelligenzminderung bietet sich die KABC-II mit ihren vielfältigen individuellen Adaptierungsmöglichkeiten und geringen Bodeneffekten an. Die Leistungsdifferenzierung im oberen Intelligenzbereich basiert bei den älteren Kindern nicht unwesentlich auf den Bonuspunkten
für rasche Bearbeitung, vor allem bei Planung/Fluide Fähigkeiten Gf. Die Bonuspunkte
machen am Gesamtergebnis bis zu 1½ SD aus, bei Planung/fluider Intelligenz Gf bis zu
4½ SD und auch bei Simultan/visuelle Fähigkeiten Gv kann es zu erheblichen Unterschieden je nach Arbeitstempo kommen. Längst nicht alle hochleistenden Jugendlichen
weisen hohes Arbeitstempo auf. Daher ist in diesen Fällen bei der Testinterpretation
Vorsicht angesagt. Irreführend könnte außerdem sein, dass Probanden einerseits durch
die Testinstruktionen aufgefordert werden, sich bei der Bearbeitung nicht zu beeilen und
andererseits der Lösungszeit bei der Bewertung ein so hoher Stellenwert beigemessen
wird. Der Wegfall der Altersgruppe 2;6 bis 2;11 Jahre fällt nicht ins Gewicht, da sich die
K-ABC wegen großer Bodeneffekte und unausgewogener Aufgabenzusammenstellung
für die Untersuchung dieser Altersgruppe ohnehin nicht empfahl.
Im Manual wird die K-ABC-II als kulturfaires Verfahren bezeichnet. Allerdings wirken sich niedriger Sozialstatus und Migrationshintergrund bei der deutschen Normierung erheblich stärker auf die Testergebnisse aus als in amerikanischen Studien (Singer et al., 2012), wo nur halb so große Unterschiede berichtet werden. Dies sollte nicht
vorschnell der deutschen Version des Tests angelastet werden, da die Ursachen auch in
der Stichprobenauswahl oder in anderen gesellschaftlichen Bedingungen liegen können
und in dieser Hinsicht Vergleiche mit anderen deutschsprachigen Verfahren fehlen. Die
genannten Leistungsunterschiede sind jedoch so groß, dass Kulturfairness kaum glaubwürdig für das Verfahren als Ganzes reklamiert werden kann.
Der Test lässt sich im vorgesehenen Altersbereich im Allgemeinen gut durchführen.
Die Instruktionen sind knapp gehalten, die Anleitungen für den Testleiter sind präzise
und ermöglichen eine objektive Durchführung. Das Material weist einige gravierende
Unzulänglichkeiten auf. Man wünscht sich, der Verlag hätte den Qualitätsstandard der
alten K-ABC-Materialien beibehalten. Hier sollte im Interesse einer störungsfreien Testdurchführung dringend nachgebessert werden. Das Protokollheft ist ausführlich und
bis auf einige gewöhnungsbedürftige Besonderheiten gut zu benutzen. Es enthält alle
Verrechnungsoptionen. Die manuelle Testauswertung dauert circa zehn Minuten, die
Auswertung mittels der empfehlenswerten Auswertungssoftware geht etwas rascher und
minimiert Ablese- und Berechnungsfehler. Positiv hervorzuheben sind die methodisch
klaren und fundierten Regeln zum Umgang mit Testergebnissen bei einem Rohwert von
Null und zur Profilinterpretation. Bezüglich der Validität von Testprofilen fehlen noch die
empirischen Belege.
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Neuere Testverfahren 647
Die Normtabellen im Anhang des Manuals sind einigermaßen übersichtlich gestaltet
und lassen sich zufriedenstellend ablesen. Das ansonsten ausführliche Handbuch liefert kaum Informationen zum Procedere der Testnormierung und auch die Angaben
zur Konstruktvalidität sind nicht umfassend genug. Die Skalen sind weitgehend frei von
Boden- und Deckeneffekten, die Normen sind stetig und liegen in ausreichend feiner
Altersabstufung vor.
Die Reliabilität der Gesamtskalen ist gut bis sehr gut. Zu den Untertests werden insbesondere bei den Kernuntertests hohe bis sehr hohe Konsistenzmaße berichtet, die aber
wegen verschiedener Berechnungsweisen mit den Reliabilitätswerten anderer Verfahren
nur bedingt vergleichbar sind. Für die deutsche Fassung wären Retestergebnisse und
Befunde zu Übungseffekten insbesondere für klinische Gruppen wünschenswert. Die
Menge an Vergleichsstudien mit anderen Intelligenztestverfahren ist geradezu als vorbildlich zu bezeichnen. Dafür fehlen Befunde zur diskriminativen und Kriteriumsvalidität der Skalen und des Testprofils noch weitgehend.
Insgesamt kann KABC-II als gelungene Neufassung und Normierung dieses weit verbreiteten Intelligenztests angesehen werden. Inhaltliche und teststatistische Schwächen
der Vorläuferversion wurden systematisch beseitigt, sodass dieses Verfahren nunmehr
eine methodisch fundierte Intelligenzdiagnostik auf dem aktuellen wissenschaftlichen
Stand ermöglicht. Unbefriedigend ist die Materialqualität, die zumindest teilweise für
den täglichen Gebrauch unzulänglich und dem hohen Anschaffungspreis unwürdig
ist. Falls es zu weiteren verlagsseitigen Nachbesserungen beim Material kommt, sollten
davon auch diejenigen profitieren können, die das Verfahren bereits angeschafft haben
und zum Teil durch ihre Kritik dem Verlag wichtige Hinweise zu dessen Verbesserung
geliefert haben. Andernfalls ist Interessenten zu raten, mit der Anschaffung zu warten,
bis die Materialqualität ausgereift ist.
Die theoretische Fundierung ist einerseits eine Stärke des Verfahrens, die in der Praxis
allerdings nur dann zum Tragen kommen kann, wenn Testanwender über das erforderliche Grundwissen verfügen, um die Ergebnisse angemessen interpretieren zu können.
Daher ist mit Nachdruck auf die Empfehlung der deutschen Testautoren im Manual
hinzuweisen, dass nur diejenigen das Verfahren anwenden sollten, die sich im Rahmen
eines Psychologiestudiums und/oder einer Weiterbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten das dazu erforderliche testtheoretische Wissen angeeignet und
sich mit den theoretischen Grundlagen des Verfahrens hinreichend vertraut gemacht
haben. Es ist zu hoffen, dass der Verlag beim Verkauf mithilft, diese in anderen Ländern
selbstverständlichen Standards psychologischer Testung im Interesse der Klienten auch
im deutschsprachigen Vertrieb zu beherzigen.
648 Neuere Testverfahren
Literatur
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Tellegen, P. J., Laros, J. A. (2005). SON-R 5½-17. Non-verbaler Intelligenztest (3. korr. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
Dieter Irblich, Auel
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BUCHBESPRECHUNGEN
Baierl, M., Frey, K. (Hrsg.) (2014). Praxishandbuch Traumapädagogik. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht, 296 Seiten, 29,99 €.
Es ist davon auszugehen, dass bei fremdplatzierten Kindern fast immer eine Traumatisierung vorliegt. Daher sollten alle, die beruflich oder privat mit solchen Kindern zu tun haben, über gutes Handwerkszeug verfügen. Dazu kann dieses Buch
entscheidend beitragen. Baierl gibt im ersten Teil einen Überblick über das aktuelle
Wissen über Traumata, Symptome, Risiken und Resilienzfaktoren. Dabei geht es
neben der Weitergabe von Fachwissen besonders um die Vermittlung einer Haltung
voller Wertschätzung und Respekt und der grundsätzlichen Annahme, dass jedes
Verhalten aus gutem Grund gezeigt wird, den es zu verstehen gilt.
Kinder, traumatisierte ganz besonders, brauchen sichere Orte: äußere, personale
durch professionelle Nähe, im Selbst, durch Spiritualität und einen inneren sicheren
Ort, der sich durch Imagination lernen lässt. Diese Orte brauchen auch die Mitarbeiter für sich, um die herausfordernde Arbeit gesund bewältigen zu können. Voraussetzung für professionelle, die Kinder erreichende Arbeit ist eine gute Diagnostik, Vermittlung von Techniken zur Stabilisierung, zum Ziele erarbeiten, Verhinderung von
Kontrollverlusten. Eltern wird mit dem gleichen Respekt und Unterstützung begegnet,
wobei das Kindeswohl an erster Stelle steht. Das kann gelingen, wenn auch gut für die
Mitarbeiter gesorgt wird beziehungsweise Selbstfürsorge möglich ist.
Im zweiten Teil gibt es theoretisch fundierte Anleitungen zur Umsetzung von Bewährtem in der Praxis – immer mit Bezugnahme auf den ersten Teil. Es wird gezeigt, wie
die notwendige Lebensfreude in Wohngruppenarbeit Einzug hält, unter anderem durch
geeignete Sportangebote (oder eine Farbrutschbahn!). Auch wie mit Grenzverletzungen
der Bewohner prophylaktisch und akut umgegangen werden kann, wird sehr überzeugend dargestellt, wie sich Regeln etabliert und gleichzeitig flexibel handhaben lassen, wie
körperlich stabilisiert werden kann und wie ressourcenorientierte Angebote aussehen
können, wie sich Erlebnispädagogik gestaltet, welche Hilfen es bei Schlafstörungen gibt
oder welcher Umgang mit Kontrollverlusten der Kinder und Jugendlichen ratsam ist.
Es folgen Darstellungen von speziellen Angeboten: therapeutisches Puppenspiel,
Reitpädagogik oder spezielle Angebote für junge werdende Mütter, die sichere Bindung an ihre Kinder und Feinfühligkeit lernen können. Die Wichtigkeit der Selbstfürsorgemöglichkeiten für Mitarbeiter wird betont, auch, was die Einrichtung dafür zur
Verfügung stellen sollte. Das Buch endet mit einem Kapitel über die Implementierung
von Traumapädagogik in einer Einrichtung einschließlich Fortbildungskonzepte auch
für Entscheidungsträger.
Aufgrund der Vielfalt der behandelten Themen lässt sich das Buch auch als Nachschlagewerk bei einzelnen Fragen nutzen. Es ist sehr systematisch aufgebaut und gut
Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 64: 649 – 652 (2015), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online)
© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2015
650 Buchbesprechungen
lesbar. Jedes Kapitel hat eine eigene Literaturliste, was die Orientierung erleichtert für
die, die Themen gern vertiefen möchten. Trotz der unterschiedlichen Autoren ist eine
Einheitlichkeit erkennbar, weil alle die gleiche Grundhaltung vertreten.
Fachkompetenz und Erfahrungen machen Mut, die Arbeit mit Traumatisierten zu
wagen, weil es tatsächlich mit den richtigen Methoden und Einstellungen Veränderungs- und Heilungsmöglichkeiten gibt.
Charlotte von Bülow-Faerber, Ilsede
BundesArbeitsGemeinschaft (Hrsg.) (2014). Blickpunkt Gruppenangebote und
Projekte des Pflege- und Erziehungsdienstes in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Norderstedt: Books on Demand, 323 Seiten, 19,90 €.
In der Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es eine große Bandbreite therapeutischer
sowie pädagogisch-pflegerischer Angebote für Kinder und Jugendliche. Viele dieser
Angebote werden als Gruppenaktivitäten durchgeführt. Gruppensettings haben unabhängig von ihrer inhaltlichen Ausrichtung gemeinsame positive Auswirkungen.
Sie bieten den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen eine soziale Orientierung
und fördern die Fremd- und Eigenwahrnehmung. In der Gruppe erfahren sie Rückmeldungen über ihr Verhalten, und lernen am Modell der Gleichaltrigen. Dadurch
erhöht sich die Chance, dass sie ihre Stärken besser erkennen, angemessenes Sozialverhalten einüben und soziale Kompetenzen erwerben. Weitere Vorteile von Gruppensettings sind, dass die Kinder und die Jugendlichen durch die Gruppe ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln, hilfreiche neue Erfahrungen machen und Kontakte
zu Gleichaltrigen gestalten. Im Austausch mit anderen erleben sie, dass sie mit ihren
Problemen nicht alleine stehen.
In dem hier vorliegenden fünften Band der Schriftenreihe der „Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Mitarbeiter/innen kinder- und jugendpsychiatrischer Kliniken und Abteilungen e.V.“ (BAG) werden die unterschiedlichen Ansätze von Gruppenangeboten
des Pflege- und Erziehungsdienstes präsentiert. Diesem Überblick vorangestellt ist ein
Beitrag, der die Systemkompetenz in der (An-)Leitung von Gruppen beschreibt. Es wird
darin ausgeführt, in welcher Art und Weise die zentralen systemtheoretischen Grundannahmen auf die pflegerisch-pädagogische Gruppenarbeit übertragen werden können.
In seinen Schlussfolgerungen gibt dieser Beitrag konkrete und hilfreiche Antworten auf
die Fragen, worauf pädagogische Fachkräfte achten sollen, damit die gesetzten Impulse
von den Gruppenmitgliedern als unterstützend wahrgenommen werden.
In den folgenden Beiträgen lernen die Leser das breite Spektrum von Gruppenangeboten kennen, das von den Pflege- und Erziehungsdiensten in den einzelnen Kinderund Jugendpsychiatrien durchgeführt wird. Das Fachbuch ist so aufgebaut, dass in
zwölf Kapiteln jeweils ein spezifisches Gruppenangebot aus einer Klinik beschrieben
wird. Inhaltlich handelt es sich um Gruppenangebote zur Gesundheitsförderung, zum
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Buchbesprechungen 651
erlebnispädagogischem Klettern, zur Interaktionspädagogik, zum Improvisationstraining, zum sozialem Kompetenztraining, zur Tagesstruktur, zum geschlechtshomogenen Arbeit mit Jungen, zum Präventionsprogramm gegen sexuellen Missbrauch
(„Starke Kinder“), zur pädagogischen Medienkompetenz, zu Entspannungsverfahren
und zu Yoga. Die Autoren und Autorinnen gewähren einen sehr praxisnahen Einblick in die Planung, in die Anwendung sowie in die gemachten Erfahrungen ihres
speziellen Gruppenangebots. Wie ein roter Faden finden sich in allen Beiträgen viele
Fallbeispiele, die die Umsetzung des Angebots konkretisieren und veranschaulichen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es der BAG auch mit diesem Band wieder
gelungen ist, ein sehr lesenswertes Fachbuch zusammenzustellen. Es bietet den Lesern
viele praxisnahe Anregungen und konkrete Informationen zu den Gruppenangeboten, die aktuell in den Kinder- und Jugendpsychiatrien präsent sind. Davon können
nicht nur Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von klinischen Einrichtungen profitieren.
Auch die Fachkräfte, die in der Jugendhilfe Gruppenangebote durchführen oder planen, können von der Lektüre für ihr eigenes Praxisfeld sehr viel gewinnen.
Silvia Denner, Dortmund
Hasselhorn, M., Ehm, J.-H., Wagner, H., Schneider, W., Schöler, H. (2015). Zusatzförderung von Risikokindern. Handreichung für pädagogische Fachkräfte im
Übergang vom Elementar- zum Primarbereich. Göttingen: Hogrefe, 85 Seiten +
CD, 19,95 €.
Die Vermittlung sogenannter Vorläuferfertigkeiten vor der Einschulung gehört mittlerweile zum Standardprogramm in Kindertagesstätten. Insbesondere Übungen zur
Verbesserung der phonologischen Bewusstheit, die mit allen Kindern durchgeführt
werden, nehmen dabei eine zentrale Rolle ein. Einen etwas anderen, nämlich sekundär präventiven Ansatz verfolgt das hier beschriebene Konzept einer Zusatzförderung
von Kindern mit Entwicklungsrisiken. Es basiert auf einem in Baden-Württemberg
durchgeführten und wissenschaftlich begleiteten Modellprojekt, das mit dem Einsatz
diagnostischer Instrumente beginnt, um Risikokinder hinsichtlich verschiedener Entwicklungsaspekte am Ende des vorletzten Kindergartenjahres zu identifizieren. An
einem „runden Tisch“ sollen dann Eltern und Pädagoginnen darüber beraten, welche Kinder bis zur Einschulung Zusatzförderung erhalten sollen. Diese wird in Kleingruppen mit bis zu sechs Kindern angeboten, wobei die Autoren empfehlen, sich auf
empirisch bewährte Konzepte zu stützen, die von Erzieherinnen, Grundschulpädagoginnen und anderen Förderkräften durchgeführt werden können. Die Begleitforschung bestätigt die Wirksamkeit dieser Vorgehensweise, die sich insbesondere durch
ihre systematische manualisierte Vorgehensweise auszeichnet.
Das Buch wendet sich in erster Linie an Pädagogen im Elementarbereich, erläutert das Konzept der Schulbereitschaft, das die kognitiven, motorischen, sozial-
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emotionalen und motivationalen Voraussetzungen umfasst, die bis zur Einschulung
vorhanden sein sollten. Nicht alle Aspekte werden im Rahmen der Zusatzförderung
aufgegriffen, z. B. die Sprachförderung mehrsprachig aufwachsender Kinder, deren
Unterstützung wesentlich früher und in Alltagsabläufe integriert erfolgen muss. Diagnostische Instrumente, die im Rahmen der Kita eingesetzt werden können, werden im vorliegenden Band kurz beschrieben. Es folgen einige Hinweise zur Durchführung eines runden Tisches und zu empfehlenswerten Förderprogrammen.
Abschließend werden verschiedene Aspekte in einem Frage- und Antwortformat
erörtert. Dabei wird insbesondere auf mögliche Einwände eingegangen, die Pädagogen gegen dieses Förderkonzept erheben könnten.
Der Text ist ohne psychologisches Vorwissen lesbar, verzichtet aber auch weitgehend darauf, die zum Teil thesenartig vorgetragenen Aussagen zur Förderung von
Kindern anhand von Quellenangaben zu belegen. Die Vorgehensweise wird im Allgemeinen beschrieben, ohne auf die Förderinhalte im Einzelnen einzugehen. Im
Anhang finden sich einige Arbeitsmaterialien, die zusätzlich auf der mitgelieferten
CD als ausdruckbare PDF-Dateien zur Verfügung stehen. Der Leser gewinnt somit
einen guten Eindruck von dem Konzept. Es werden allerdings nicht alle Gesichtspunkte ausreichend gewürdigt. So fehlt es an Hinweisen inwieweit Kinder mit Behinderungen von dem Programm profitieren können oder auch nicht. Wahrscheinlich
werden die inhaltlichen Verbindungen, die im Text zwischen diesem Förderkonzept
und der Inklusionsdebatte hergestellt werden, kontrovers aufgenommen. Schließlich wird nicht diskutiert, inwieweit eine Kleingruppenförderung ausgewählter Problemkinder mit aktuellen Kindergartenkonzepten kompatibel ist. Dennoch ist dem
Buch und dem darin beschriebenen Konzept eine rege Aufmerksamkeit im Bereich
der Kindergartenpädagogik zu wünschen.
Dieter Irblich, Auel
Die folgenden Neuerscheinungen können zur Besprechung bei der Redaktion
angefordert werden:
–– Borg-Laufs, M. (Hrsg.) (2015). Soziale Online-Netzwerke in Beratung und Therapie. Tübingen:
dgvt-Verlag, 496 Seiten, 38,- €.
–– Klar, S., Trinkl, L. (Hrsg.) (2015). Diagnose: Besonderheit. Systemische Psychotherapie an den
Rändern der Norm. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 234 Seiten, 29,99 €.
–– Kraft, H. (2015). Die Lust am Tabubruch. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 244 Seiten,
19,99 €.
–– Nazarkiewicz, K., Kuschik, K. (Hrsg.) (2015). Handbuch Qualität in der Aufstellungsleitung.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 416 Seiten, 34,99 €.
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TAGUNGSKALENDER
14.11.2015 in Berlin:
Workshop: Migration – Soziales Trauma – Identität
Auskunft: IPU Berlin, Stromstr. 1, 10555 Berlin; Tel.: 030-300117500, Fax: 030-300117509,
E-Mail: [email protected], Internet: www.ipu-berlin.de
24./25.11.2015 in Essen:
Workshop: Akute Trauma-Nachsorge und Arbeit mit traumatisierten Familien
Auskunft: ifs, Bochumer Str. 50, 45276 Essen; Tel.: 0201-8486560,
E-Mail: [email protected], Internet: www.ifs-essen.de
28.11.2015 in München:
Interdisziplinäres Symposium: Familienentwicklung und Stärkung der elterlichen Kompetenz
Auskuft: Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation und Theodor-HellbrüggeStiftung, Heiglhofstr. 63/II, 81377 München; Fax: 089-7193610, E-Mail: [email protected], Internet: www.theodor-hellbruegge-stiftung.de
30.11.2015 in Essen
Beginn der Seminarreihe Marte Meo Grundkurs (Practitioner)
Auskunft: ifs, Bochumer Str. 50, 45276 Essen; Tel.: 0201-8486560,
E-Mail: [email protected], Internet: www.ifs-essen.de
07.12.2015 in Essen
Beginn der Seminarreihe Systemisch Kompakt – für Jugendhilfekontexte
Auskunft: ifs, Bochumer Str. 50, 45276 Essen; Tel.: 0201-8486560,
E-Mail: [email protected], Internet: www.ifs-essen.de
21.01.2016 in Essen
Beginn der Seminarreihe Systemische Traumapädagogik
Auskunft: ifs, Bochumer Str. 50, 45276 Essen; Tel.: 0201-8486560,
E-Mail: [email protected], Internet: www.ifs-essen.de
29./30.1.2016 in Innsbruck/Österreich:
2. Kinder- und Jugendpsychiatriekongress: (Selbst-)Aggression und Persönlichkeit im Kindes- und Jugendalter
Auskunft: Frau Juliane Steiner, Tel.: +43(0)512 504 23679, FAX: +43(0)512 504 23676, E-Mail:
[email protected], Internet: http://psychiatrie.tirol-kliniken.at
Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 64: 653 – 654 (2015), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online)
© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2015
654 Tagungskalender
12.02.2016 in Essen
Beginn der Seminarreihe Hypno-Systemisches Arbeiten in Beratung und Therapie
Auskunft: ifs, Bochumer Str. 50, 45276 Essen; Tel.: 0201-8486560,
E-Mail: [email protected], Internet: www.ifs-essen.de
24.-28.2.2016 in Berlin:
29. Kongress für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Beratung. The Dark Side of the
Moon. Krisen, Traumata ... - verlorene Sicherheit zurückgewinnen
Auskunft: DGVT, Postfach 1343, 72003 Tübingen; Tel.: 070-71943494, Fax: 070-71943435,
E-Mail: [email protected], Internet: www.dgvt.de
3.-5.3.2016 in Leipzig:
6. Kinderanalytisches Symposium: Sprache in der psychoanalytischen Arbeit mit Kindern
und Adoleszenten
zusammen mit der gleichzeitig stattfindenden
21. Jahrestagung der Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der frühen Kindheit (GAIMH):
Wege ins Leben, Lebenswege
Auskunft: E-Mail: [email protected], Internet: www.kinderanalyse-tagung.org
oder www.gaimh.org
4./5.3.2016 in München:
Münchner Symposion Frühförderung 2016: Kultur pur! Bedeutung kultureller Aspekte für
das System Interdisziplinäre Frühförderung
Auskunft: Arbeitsstelle Frühförderung Bayern, Pädagogische Abteilung, Frau Agnes Winzker,
Seidlstraße 18 a, 80335 München; Fax: 089-545898-29, E-Mail an: [email protected]
11./12.3.2016 in Wien/Österreich:
8. Wiener Fortbildungstagung: Essstörungen und assoziierte Krankheitsbilder
Auskunft: Internet: www.ess-stoerung.eu/index-Dateien/Page13064.htm
Aus dem Inhalt des nächsten Heftes
K. Wagner et al.: Psychometrische Erfassung des Elternverhaltens in einer nicht-standardisierten Eltern-Kind-Interaktion – H. M. Weber et al.: Verhaltensauffälligkeiten bei
Kindern und schulbezogene Anstrengungsvermeidung – A. Ramberg und S. Feldkötter:
Bindungsverhalten von Kleinstkindern psychisch kranker Eltern
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Psychosozial-Verlag
Günter Mey (Hg.)
Von Generation
zu Generation
269 Seiten • Broschur • € 29,90
ISBN 978-3-8379-2429-9
Inés Brock (Hg.)
Bruderheld und
Schwesterherz
ca. 300 Seiten • Broschur • € 32,90
ISBN 978-3-8379-2457-2
Susanne Walz-Pawlita et al. (Hg.)
Identitäten
325 Seiten • Gebunden • € 36,90
ISBN 978-3-8379-2399-5
Katharina Gröning
Sozialwissenschaftlich
fundierte Beratung in Pädagogik,
Supervision und Sozialer Arbeit
ca. 190 Seiten • Broschur • € 22,90
ISBN 978-3-8379-2508-1
Walltorstr. 10 · 35390 Gießen · Tel. 0641-969978-18 · Fax 0641-969978-19
[email protected] · www.psychosozial-verlag.de
Weil jedes Kind es wert
ist!
Die
Mutterliebe
und das
Böse
NEU
Martin Baierl / Kurt Frey (Hg.)
Praxishandbuch
Traumapädagogik
Irrtum und Preisänderungen vorbehalten. Abb.: © www.fotolia.de
Ulrich Sachsse (Hrsg.)
Proxy – dunkle Seite
der Mütterlichkeit
Lebensfreude, Sicherheit und Geborgenheit für Kinder und Jugendliche
Mütter, die unter dem sogenannten
„Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom“
leiden, fügen ihren gesunden Kindern
heimlich, aber gezielt Schaden zu. So
erzwingen sie eine medizinische Behandlung und erlangen die Aufmerksamkeit der Ärzte.
2014. 294 Seiten, mit 23 Abb. und 1 Tab., kart.
€ 29,99 D
ISBN 978-3-525-40245-0
•Schonungslosundaufrüttelnd: Erster
Erfahrungsbericht einer MBPS-Mutter
•Expertenperspektive: MBPS unter moralischen, kriminellen, strafrechtlichen,
feministischen, psychoanalytischen,
Trauma-spezifischen, pädiatrischen
und psychiatrischen Gesichtspunkten
Lebensfreude ist Grundhaltung,
Transportmittel und pädagogisches Ziel in der Traumapädagogik. Wie traumatisierte Kinder
und Jugendliche das Leben wieder lieben lernen, zeigt dieses
Buch aus der stationären Jugendhilfe-Praxis.
2015. 152 Seiten, kart.
€ 24,99 (D) / € 25,70 (A)
ISBN 978-3-7945-3153-0
www.schattauer.de
Verlagsgruppe Vandenhoeck & Ruprecht
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Be- und Ausgrenzungen von Klienten
begegnen
Sabine Klar / Lika Trinkl (Hg.)
Diagnose: Besonderheit
Systemische Psychotherapie an den Rändern
der Norm
Mit einem Vorwort von Tom Levold.
2015. 234 Seiten, Paperback
€ 29,99 D
ISBN 978-3-525-40465-2
eBook: € 23,99 D
ISBN 978-3-647-40465-3
Die Diagnose »Besonderheit« meint Unübliches, möglicherweise Unerwünschtes.
Von Menschen, die sich nicht einordnen lassen, berichten die im Buch versammelten systemischen Beiträge aus der Praxis.
Was sind die Vorstellungen davon, wie Menschen zu funktionieren haben? Was
ist zu tun, wenn sich diese Vorstellungen nicht umsetzen lassen? Und welche
Rolle spielt Psychotherapie dabei? Psychotherapeutische Begegnungen mit Asylsuchenden, Obdachlosen, Drogenabhängigen, Arbeitslosen, kleinen Kindern
und alten Menschen erfordern mitunter mutige Abweichungen von beruflichen
Grundsätzen. Manchmal gilt es, Normen und Werte in Frage zu stellen, um therapeutisch auf die Be- oder Ausgrenzungen von Klienten eingehen zu können.
Neue Regelungen und Kontexte müssen gefunden werden, um den Menschen,
die sich nicht einordnen lassen, respektvoll und hilfreich gegenüberzutreten.
Verlagsgruppe Vandenhoeck & Ruprecht
www.v-r.de
Anne Alvarez
Helmut Junker
Das denkende
Herz
ELLEN –
das Mädchen
aus der
Babyklappe
Drei Ebenen psychoanalytischer
Therapie mit
gestörten Kindern
»Minutiös diagnostiziert Alvarez den psychischen Zustand ihrer Patienten, unterscheidet
beispielsweise sehr genau, ob ein Kind auf
psychopathische Weise von Gewalt fasziniert
ist oder einfach voller Gewalt ist, die es nicht
verarbeiten kann (...). Anne Alvarez hat wirklich etwas zu sagen.« (Herbert Kley, Psyche)
304 S., geb. Großoktav, € 34,90
ISBN 978-3-95558-066-7
Peter Bründl
Carl E. Scheidt (Hrsg.)
Bericht über
eine magersüchtige
Jugendliche
Was bewegt magersüchtige junge Frauen,
wie sieht ihre Sicht auf die Welt aus? Der Psychoanalytiker findet mit seinem Bericht über
die Patientin Ellen Schall eine Form, diese
unheimliche Krankheit und ihre Hintergründe
zu erläutern und verständlich zu machen. Es
ist die Geschichte einer Nachreifung, die die
frühen Mangelerfahrungen durchgearbeitet
und überwunden hat und jetzt vorsichtig hinaus ins Leben will.
168 S., Pb. Großoktav, € 19,90
ISBN 978-3-95558-150-3
Spätadoleszenz:
Annemarie Laimböck
Die Szene
verstehen
Identitätsprozesse
und kultureller
Wandel
Die psychoanalytische Methode
in verschiedenen
Settings
Jahrbuch d. Kinderu. JugendlichenPsychoanalyse, Bd. 4
Die in dieser Entwicklungsphase auftauchenden Krisen bedürfen einer spezifischen
Sensibilität im intersubjektiven Prozess einer
psychoanalytischen Behandlung.
Beitr. v. Paula G. Atkeson, Mareike Birrcheneder, Peter Bründl, Mario Erdheim, James M.
Herzog, Jack Novick, Kerry K. Novick, Aydan
Özdaglar, Barbara Saegesser, Carl E. Scheidt,
Anita G. Schmukler, Angelika Staehle, Karin
Trübel, Elisabeth Vogel-Urban
248 S., geb. Großoktav, € 29,90
ISBN 978-3-95558-154-1
Das »Szenische Verstehen« ist zu einem
unverzichtbaren Instrument der Reflexion
psychoanalytischer Praxis geworden. Spiegeln
sich doch in der Szene die pathologischen
Konflikte und das Zusammenspiel von Patient
und Analytiker. Laimböck gibt einen lebendigen Einblick in das Verstehen von Szenen
in verschiedenen Psychotherapie-Settings und
entwirft zudem eine praxisorientierte Theorie
des »Szenischen Verstehens«.
164 S., Pb. Großoktav, € 19,90
ISBN 978-3-95558-153-4
Bitte fordern Sie auch unseren kostenlosen Psychoanalysekatalog an:
[email protected] • www.brandes-apsel-verlag.de
Gerne senden wir Ihnen auch unseren kostenlosen Newsletter zu:
[email protected]
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Das erste systemisch-pädagogische
Betreuungskonzept für Jugendwohngruppen
Ulrich Gehrmann
Ressource Jugendhilfe
Systemische Sozialpädagogik
in stationären Jugendwohngruppen
Unter Mitarbeit von Barbara Gehrmann, Nicole Kalipke,
Anne Pusch, Fried Kirsch und Katrin Kemper.
2015. 216 Seiten, mit 21 Abb., kartoniert
€ 24,99 D
ISBN 978-3-525-40466-9
eBook: € 19,99 D
ISBN 978-3-647-40466-0
Wie kann ein pädagogisches Betreuungskonzept aussehen, das der großen Anzahl von Jugendlichen, die außerhalb ihrer Herkunftsfamilie in Wohngruppen
leben, fachlich fundiert und menschlich zugewandt begegnet?
Jugendliche, die in stationären Wohngruppen leben, gelten vielfach als verlorene Kinder. Das Buch zeigt, wie es gelingen kann, ihnen eine tragfähige und konstruktiv-annehmende pädagogische Begleitung zu sein, die dabei hohen professionellen Ansprüchen genügt. Es beschreibt die theoretischen Grundlagen und
Verbindungen des systemisch-pädagogischen Betreuungskonzepts, illustriert die
wesentlichen Aspekte anhand ausführlicher Beispiele aus der Betreuungspraxis
und stellt schließlich das Konzept als Modell einer straffreien, systemisch fundierten Sozialpädagogik in der Jugendwohngruppe vor.
Verlagsgruppe Vandenhoeck & Ruprecht
www.v-r.de
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