Bessere Aussichten für Patienten mit Typ-2

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FORTBILDUNG
SEMINAR
Prof. Dr. med. Robert Ritzel
Klinik für Endokrinologie,
Diabetologie und
Sucht­medizin, Klinikum
Schwabing, Städtisches
Klinikum München GmbH
Wichtige Endpunktstudien mit DPP-4- und SGLT2-Inhibitoren
Bessere Aussichten für Patienten
mit Typ-2-Diabetes
Robert A. Ritzel
Negative Erfahrungen aus der ACCORD-Studie (erhöhte Mortalität bei
Typ-2-Diabetes durch sehr intensive Glukosesenkung) und der (wider­
legte) Verdacht, das Thiazolidindion Rosiglitazon steigere das Myokard­
infarkt­risiko, führten dazu, dass neue antihyperglykämische Therapien in
klinischen Endpunktstudien ihre kardiovaskuläre Sicherheit beweisen
müssen. Welche Ergebnisse liegen für DPP-4- und SGLT2-Inhibitoren vor?
Diabetologie für den Hausarzt
__Typ-2-Diabetes mellitus ist eine chronisch progrediente Erkrankung und erfordert bei fast allen Patienten im Laufe
der Zeit eine pharmakologische Kombinationstherapie [1]. In Ergänzung zur
Lebensstilintervention wird in nationalen und internationalen Leitlinien Metformin als Erstlinienmedikament empfohlen, wenn keine Kontraindikationen
oder Verträglichkeitprobleme vorliegen.
Als Kombinationspartner zu Metformin
bieten sich insbesondere Dipeptidyl-Peptidase-4(DPP-4)-Inhibitoren und Sodium-Glucose-Transporter 2(SGLT2)-Inhibitoren an (Wirkprinzipien s. Tab. 1). Aktuell sind in Deutschland die folgenden
vier Moleküle auf dem Markt verfügbar:
a) DPP-4-Inhibitoren: Sitagliptin und
Saxagliptin;
b) SGLT2-Inhibitoren: Dapagliflozin
und Empagliflozin.
und dafür die Zulassungskriterien der
FDA erfüllen müssen.
Kardiovaskuläre Endpunktstudien
Zu drei dieser Substanzen (Saxagliptin,
Sitagliptin, Empagliflozin) wurden kardiovaskuläre Endpunktstudien publiziert, die die Grundlage für diesen Artikel bilden [2, 3, 4]. Der DPP-4-Inhibitor
Alogliptin ist in Deutschland zwar nicht
zugelassen, da aber eine Endpunktstudie
publiziert wurde [5], soll auch dieses Molekül kurz erwähnt werden.
Nach negativen Erfahrungen, dass
neu zugelassene Medikamente wegen
Redaktion: PD Dr. M. Hummel, Rosenheim
(Koor­dination); Prof. Dr. L. Schaaf, München
(wissenschaftliche Leitung)
Saxagliptin (SAVOR-Studie)
Die Hemmstoffe der DPP-4 verzögern
die rasche Metabolisierung des Darm-
© Monkey Business / Fotolia
kardiovaskulärer Sicherheitsbedenken
innerhalb weniger Jahre wieder vom
Markt genommen werden mussten, z. B.
der Insulin-Sensitizer Rosiglitazon, hat
die US-amerikanische Zulassungsbehörde (FDA) Ende 2008 Richtlinien für
die Evaluation der kardiovaskulären Sicherheit neuer antidiabetischer Therapien formuliert. Dort wird u. a. empfohlen,
dass für ein neu entwickeltes Molekül
nur dann keine kardiovaskuläre Sicherheitsstudie notwendig ist, wenn in einer
Metaanalyse der kardiovaskulären Ereignisse aus allen Phase-2- und Phase3-Studien die obere Grenze des
95%-Konfidenzintervalls (KI) des Risikoverhältnisses („Risk Ratio“: RR) gegenüber der Placebo- oder Kontrolltherapie unterhalb von 1,3 liegt.
Da in den Zulassungsstudien nicht
ausschließlich kardiovaskuläre Hoch­
risikopatienten in fortgeschrittenen
Krankheitsstadien eingeschlossen werden, sind kardiovaskuläre Ereignisse jedoch so selten (niedrige Ereignisrate),
dass die Varianz des Risikoverhältnisses
meist oberhalb von 1,3 liegt. Es ist daher
nicht überraschend, dass bis zum Jahr
2020 noch > 10 kardiovaskuläre Endpunktstudien von neuen antihypergly­
kämisch wirkenden Medikamenten Ergebnisse berichten werden, da die Hersteller eine Zulassung für den wichtigen
US-amerikanischen Markt anstreben
Regelmäßiger Sonderteil der MMW-Fortschr.
Med., herausgegeben von der Fachkommission
Diabetes in Bayern – Landesverband der
Deutschen Dia­betes-Gesellschaft, Dr. med.
Andreas Liebl (1. Vorsitzender), Bad Heilbrunn
Gute Diabetes­
einstellung – auch
kardiovaskulär sicher?
MMW Fortschritte der Medizin 2016 . 1 / 158
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FORTBILDUNG . SEMINAR
hormons Glucagon-like Peptide-1 (GLP1). Dadurch werden insbesondere die
Glukoseanstiege nach Mahlzeiten reduziert, da die Nahrungsaufnahme der
physiologische Stimulus für die Freisetzung von endogenem GLP-1 ist. Die
DPP-4-Inhibitoren sind somit gute
Kombinationspartner für Metformin
und werden auch als Kombinationsmedikamente (mit Metformin) angeboten.
Die SAVOR-Studie (Tab. 2) untersuchte die kardiovaskuläre Sicherheit von Saxagliptin bei Personen mit Typ-2-Diabetes und wurde im Oktober 2013 publiziert [3]. Eingeschlossen wurden Patienten mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung oder multi­plen Risikofaktoren
für vaskuläre Erkrankungen (z. B.
Dyslipid­
ämie, arterielle Hypertonie,
Nikotin­abusus). Nach einer mittleren Behandlungszeit von ca. zwei Jahren zeigte
sich für den primären kombinierten Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt und ischämischer Schlaganfall)
kein Unterschied zwischen Saxagliptinund Placebo-behandelten Patienten.
Ebenso zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied für die einzelnen
Komponenten des primären Endpunktes
und für weitere präspezifizierte klinische
Endpunkte, z. B. Gesamtmortalität, Hospitalisierung wegen instabiler Angina
oder koronarer Revaskularisation.
Saxagliptin führte jedoch zu einem signifikanten Anstieg des präspezifizierten
Endpunktes Hospitalisierung wegen
Herzinsuffizienz (Hazard Ratio [HR]
1,27; 95%-KI 1,07–1,51; p = 0,007). Hypoglykämien traten unter Saxagliptin etwas
häufiger auf (15,3% vs. 13,4% der Patienten im Kontrollarm; p < 0,001). Die Autoren der SAVOR-Studie schlussfolgern,
dass Saxagliptin zwar die Rate kardiovaskulärer Ereignisse (außer der Herzinsuffizienz) nicht verändert, dass aber zusätzliche Therapiestrategien eingesetzt werden sollten, um bei Typ-2-Diabetikern
das kardiovaskuläre Risiko zu senken.
Sitagliptin (TECOS-Studie)
Die TECOS-Studie (Tab. 2) untersuchte
Sitagliptin im Vergleich zu Placebo und
wurde im November 2015 publiziert [2].
Die Studienteilnehmer mussten mindestens 50 Jahre alt sein und es musste eine
manifeste kardiovaskuläre Erkrankung
vorliegen. Nach einer mittleren Behandlungszeit von drei Jahren zeigte sich kein
Unterschied für den primären kombinierten Endpunkt (kardiovaskulärer
Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall und
Hospitalisierung wegen instabiler Angina). Für die einzelnen Komponenten des
primären Endpunktes und die Gesamtmortalität zeigte sich ebenfalls kein statistisch signifikanter Unterschied. Anders als in der SAVOR-Studie resultierte
unter Sitagliptin in TECOS keine vermehrte Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz (HR 1,00; 95%-KI 0,83–1,20;
p = 0,98). Schwere Hypoglykämien traten in beiden Untersuchungsarmen etwa
gleich häufig auf (2,2% vs. 1,9% der Patienten, Sitagliptin vs. Placebo; p = 0,33).
Tab. 1 Klinische Wirkungen der DPP-4- und SGLT2-Inhibitoren
DPP-4-Inhibitoren
SGLT2-Inhibitoren
In Deutschland verfügbar seit
2007
2012
Primärer Wirkmechanismus
Regulation der Inselhormone
(Insulin ↑, Glukagon ↓)
Induktion einer Glukosurie
Klinische Wirkungen
Senkung der Blutglukose
Senkung der Blutglukose
Gewichtsneutral
Leichte Gewichtsreduktion
Blutdruckreduktion
46
Zielgruppe
Personen mit Typ-2-Diabetes
mellitus
Personen mit Typ-2-Diabetes
mellitus
Besonderheiten
Glukose-Abhängigkeit der
blutzuckersenkenden Wirkung
(geringes Hypoglykämierisiko)
Wirkung auf den Glukosestoffwechsel ist insulinunabhängig
(geringes Hypoglykämierisiko)
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Die Autoren schlussfolgern, dass Sita­
gliptin das Risiko für kardiovaskuläre
Ereignisse nicht erhöht.
Alogliptin (EXAMINE-Studie)
Die EXAMINE-Studie (Tab. 2) untersuchte den DPP-4-Inhibitor Alogliptin
bei Personen mit Typ-2-Diabetes und
kürzlich zurückliegendem (15–90 Tage)
akuten Koronarsyndrom (Publikation
im Oktober 2013) [5]. Nach einem mittleren Follow-up von eineinhalb Jahren
traten im primären Endpunkt keine Unterschiede auf. Die Autoren schlussfolgern, dass Alogliptin die Rate von kardiovaskulären Ereignissen nicht steigert.
Empagliflozin (EMPA-REG OUTCOME)
Die Substanzklasse der SGLT2-Inhibitoren ist in Deutschland seit Ende 2012 für
die Therapie des Typ-2-Diabetes mellitus verfügbar. Durch selektive Hemmung des Natrium-Glukose-Kotransporters-2 im proximalen Tubulus des
Nephrons der Nieren wird eine therapeutische Glukosurie ausgelöst. Daraus
resultiert neben der Blutglukosesenkung
auch eine veränderte Energiebilanz mit
leichter Gewichtsreduktion.
Empagliflozin ist der erste SGLT2Hemmer, der Daten aus einer Endpunktstudie vorlegt. Die EMPA-REG OUTCOME-Studie (Tab. 2) untersuchte Personen mit Typ-2-Diabetes mit kardiovaskulärer Erkrankung über etwa drei Jahre
(Publikation im November 2015) [4]. Der
primäre kombinierte Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall) trat mit Empagliflozin signifikant
seltener auf als mit Placebo (HR 0,86;
95%-KI 0,74–0,99; p = 0,04). Die Analyse der einzelnen Endpunkte zeigte, dass
das Risiko für Schlaganfall und Myokardinfarkt nicht signifikant verändert
wurde, sondern dass ausschließlich die
Gesamtmortalität (HR 0,68; 95%-KI
0,57–0,82; p < 0,001) und die kardiovaskuläre Mortalität (HR 0,62; 95%-KI
0,49–0,77; p < 0,001) seltener auftraten.
Hospitalisierungen wegen Herzinsuffi­
zienz traten unter Empagliflozin ebenfalls signifikant seltener auf (HR 0,65;
95%-KI 0,50–0,85; p = 0,002). Die Häufigkeit von Hypoglykämien wurde durch
Empagliflozin nicht beeinflusst. Die
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Tab. 2 Publizierte Endpunktstudien mit DPP-4- oder SGLT2-Inhibitoren (Stand November 2015)
Studie
Geprüfte
Substanz
Patienten­
zahl [n]
AusgangsHbA1c [%]
Follow-up
[Jahre]
SAVOR-TIMI
53 [3]
Saxagliptin
vs. Placebo
16.492
8,0 ± 1,4
2,1
EXAMINE [5]
Alogliptin
vs. Placebo
5.380
8,0 ± 1,1
TECOS [2]
Sitagliptin
vs. Placebo
14.671
EMPA-REG
OUTCOME [4]
Empagliflozin
vs. Placebo
7.020
* Signifikanter Unterschied vs. Placebo.
Primärer kombinierter
Endpunkt
p-Wert
–0,2*
CV-Tod, Myokardinfarkt,
ischämischer Schlaganfall
0,99
1,5
–0,4*
CV-Tod, Myokardinfarkt,
Schlaganfall
0,32
7,2 ± 0,5
3,0
–0,3*
CV-Tod, Myokardinfarkt,
Schlaganfall, Hospitalisierung
wegen instabiler Angina
0,65
8,1 ± 0,8
3,1
–0,4*
CV-Tod, Myokardinfarkt,
Schlaganfall
0,04
CV = kardiovaskulär
Schlussfolgerungen der Autoren beschreiben lediglich die Ergebnisse und
nennen eine Reduktion des primären
kardiovaskulären Endpunktes sowie der
Gesamtmortalität durch Empagliflozin
im Vergleich zu einer Standardtherapie.
Konsequenzen für die Praxis
Prospektive, randomisierte, doppelblinde Studien liefern die belastbarsten Daten, um den klinischen Nutzen einer
neuen Therapie im Vergleich zur Standardtherapie zu untersuchen. Die Endpunktstudien mit den drei DPP-4-Inhibitoren belegen, dass diese Substanzen
einen neutralen Effekt auf kardiovaskuläre Endpunkte haben, zumindest über
die in den Studien untersuchte Dauer
von drei Jahren.
Es ist unwahrscheinlich, aber nicht
ausgeschlossen, dass sich die Risiken für
kardiovaskuläre Ereignisse längerfristig
(> 3 Jahre Therapie) noch ändern können
(positiv oder negativ). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Substanzen für
ihren zugelassenen Zweck der Glukosesenkung eingesetzt werden. Dies war in
SAVOR, TECOS und EXAMINE nicht
wirklich der Fall, da in der Placebogruppe für eine individuell adäquate Kon­
trolle des Glukosestoffwechsels andere
Medikamente verabreicht werden konnten. So haben in den Placeboarmen mehr
Patienten zusätzliche antihyperglykämi-
Δ-HbA1c am
Studienende vs.
Placebo [%]
Der p-Wert zeigt die statistische Auswertung für den primären Endpunkt der jeweiligen Studie.
sche Therapien eingenommen oder begonnen, inklusive Insulin. Durch dieses
Studiendesign wird zwar die Wirkung
auf kardiovaskuläre Endpunkte besser
von der Glukosesenkung isoliert, spiegelt
aber nicht den Einsatz der Medikamente
im Alltag wider, wo sie primär zur Glukosesenkung verordnet werden.
Da in allen drei Studien kardiovaskuläre Hochrisikopatienten eingeschlossen
wurden, stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse auf Typ-2-Diabetiker ohne kardiovaskuläre Vorerkrankungen übertragbar sind. Formal wurde dies nicht
geprüft. Allerdings ist anzunehmen,
dass Patienten ohne makrovaskuläre
Schädigung wahrscheinlich auch keine
relevante Änderung ihres kardiovaskulären Risikos unter den geprüften DPP4-Inhibitoren erleben werden. Die beiden in Deutschland verfügbaren DPP4-Inhibitoren (Sitagliptin und Saxagliptin) sind also insgesamt aufgrund der
hier besprochenen Daten als kardiovaskulär sicher einzustufen.
Herzinsuffizienz-Anstieg
Angesprochen werden muss das Signal
für eine Herzinsuffizienz, das selektiv in
der Saxagliptin-Studie (SAVOR) berichtet wurde (Anstieg um 27% vs. Placebo).
Seit den Primärpublikationen haben sich
viele Analysen und Kommentare mit
diesem Thema beschäftigt [6, 7], ohne
eine abschließende Erklärung für die
Diskrepanz zu der erst kürzlich publizierten TECOS-Studie (kein Signal für
Herzinsuffizienz) geben zu können. Es
bleibt daher festzuhalten, dass das Risiko für Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz nach akutem Koronarsyndrom insbesondere bei den Patienten erhöht ist, bei denen eine Herzinsuffizienz
bislang nicht bekannt ist. Zusätzlich sind
in SAVOR und EXAMINE Patienten betroffen, die zu Studienbeginn die höchsten BNP- oder pro-BNP-Werte (Biomarker der Herzinsuffizienz) aufwiesen. Für
die Praxis ist relevant, dass bei allen Patienten mit einer bestehenden kardiovaskulären Erkrankung und geplanter Behandlung mit einem DPP-4-Inhibitor
speziell nach Herzinsuffizienzsymptomen gefragt oder gesucht werden sollte.
In diesem Patientenkollektiv scheint es
einige Patienten mit bislang unbehandelter Herzinsuffizienz zu geben.
Klare Reduktion der Gesamtmortalität
Die Auswirkungen der EMPA-REG-Studie für die klinische Praxis sind sicher
deutlicher als die der DPP-4-HemmerStudien. Dies liegt an dem klaren Ergebnis mit einer Reduktion der Gesamtmortalität sowie daran, dass SGLT2-Inhibitoren in Deutschland aufgrund des
Wirkprinzips (Glukose erscheint im
Urin) bislang relativ vorsichtig einge-
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FORTBILDUNG . SEMINAR
Urogenitale Infektionen –
regelmäßig danach fragen
Ein zukünftig zu beachtender Sicherheits­
aspekt bei Empagliflozin und anderen SGLT2Inhibitoren sind die urogenitalen Infektionen.
Diese sind zwar gut behandelbar und kom­
plizierte Infektionen, Pyelonephritiden oder
Fälle mit Urosepsis sind selten. Allerdings
muss in der klinischen Praxis daran gedacht
werden, dass das Monitoring der Patienten
meist nicht so engmaschig stattfindet wie in
klinischen Studien. Zu Beginn, aber auch im
Verlauf einer Therapie mit SGLT2-Inhibitoren
sollte also regelmäßig nach Symptomen für
urogenitale Infektionen gefragt werden.
setzt werden. Der Befund einer Glukosurie ist traditionell ein Marker für einen
dekompensierten Patienten. Daher fällt
es schwer, diesen Befund mit einem beabsichtigten Therapieeffekt zu assoziieren. Möglicherweise ist es aber gerade
der Effekt der osmotischen Diurese
durch Glukose, der sofort zu Studienbeginn zu einer Mortalitäts-Absenkung
führt. Diese schnell und deutlich divergierenden Kurven für die Mortalität
sind sonst nur aus Studien mit erfolgreicher Herzinsuffizienz-Therapie bekannt.
Folgerichtig werden in EMPA-REG
die individuellen Endpunkte Myokardinfarkt und Schlaganfall auch durch
Empagliflozin nicht signifikant verändert. Hier gilt weiterhin, dass durch eine
Modifikation der traditionellen Risikofaktoren Glukose, Blutdruck und Dys­
lipidämie wahrscheinlich deutlich längere Behandlungsintervalle notwendig
sind, um kardiovaskuläre Endpunkte
und die Gesamtmortalität günstig zu beeinflussen. Selbst wenn das so zutreffen
sollte und die günstigen Wirkungen auf
die Mortalität weitgehend unabhängig
von dem glukosesenkenden Effekt auftreten, ist Empagliflozin mit dem Ergebnis der EMPA-REG-Studie eine wichtige
Erweiterung der antihyperglykämischen
Therapiemöglichkeiten.
Lediglich 39 Patienten müssen mit
Empagliflozin über drei Jahre behandelt
werden, um einen Todesfall zu verhindern. Diese „number needed to treat“
(NNT) ist mindestens gleichwertig mit
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MMW Fortschritte der Medizin 2016 . 1 / 158
den Statineffekten bei makrovaskulären
Erkrankungen. Sollte EMPA-REG vom
G-BA bei der Nutzenbewertung berücksichtigt werden, ist die Anerkennung
eines Zusatznutzens zu erwarten.
Die Ergebnisse von EMPA-REG sollten jedoch nicht als Klasseneffekt bewertet werden. Dafür müssen weitere Endpunktstudien, z. B. mit Canagliflozin
(2017) und Dapagliflozin (2019) abgewartet werden. Außerdem sollte Empagliflozin aufgrund der nur moderaten Glukosesenkung nach vier Jahren (HbA1c
–0,36%) nicht bevorzugt für eine Mono-,
sondern eher für eine Kombinations­
therapie mit anderen Antidiabetika (z. B.
Metformin) eingesetzt werden.
Diabetische Ketoazidose
Kürzlich wurde auch bei einzelnen Personen mit Typ-2-Diabetes unter SGLT2Inhibitoren ein erhöhtes Risiko für diabetische Ketoazidosen bei vergleichsweise gering erhöhten Glukosekonzentra­
tionen be­schrie­ben [10]. Das könnte daran liegen, dass SGLT2-Inhibitoren
möglicherweise das Glukagon anheben
und damit die Lipolyse sowie Ketogenese stimulieren. Wahrscheinlich ist dieses
Risiko für Patienten mit geringer Restfunktion des endokrinen Pankreas höher. Patienten mit Typ-1-Diabetes mellitus sollten daher gemäß der Zulassung
nicht mit SGLT2-Inhibitoren behandelt
werden.
■
Weitere Sicherheitsaspekte
Einfluss auf das Pankreas
DPP-4-Inhibitoren wurden ebenso wie
GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1 RA)
intensiv bezüglich unerwünschter pan­
kreatischer Wirkungen untersucht. Die
Behörden (EMA, FDA) und Fachgesellschaften (EASD, ADA) schlussfolgerten,
dass es keine Veränderung der Evidenz
für eine adverse Wirkung von GLP-1-basierenden Substanzen auf das Pankreas
gibt und dass keine hinreichende Evidenz für eine Änderung der gültigen
Therapieempfehlungen vorliegt (bei akuter Pankreatitis in der Vorgeschichte
sollten GLP-1-basierende Therapien
nicht eingesetzt werden) [8].
In SAVOR, EXAMINE und TECOS
wurden keine Hinweise für ein erhöhtes
Risiko für akute Pankreatitis oder Pankreaskarzinom gefunden, obwohl die
Ereignisraten in der Studienpopulation
eher niedrig liegen. Es bleibt offen, wie
die Befunde, dass unter GLP-1-basierenden Substanzen leichtgradige, aber
messbare Anstiege der Pankreasenzyme
auftraten, erklärt werden sollen [9].
(SAVOR, EXAMINE und TECOS legen
dazu keine guten Daten vor. Das Studiendesign wurde aber auch vor Beginn
der Pankreasdiskussion festgelegt.) Die
Pankreas­enzyme gehen beim Absetzen
der Substanzen auf den Ausgangswert
zurück. Möglicherweise hat dieser Befund keinen Krankheitswert. Das kann
aktuell aber noch nicht abschließend bewertet werden.
FAZIT FÜR DIE PRAXIS
1.DPP-4-Inhibitoren haben in kardiovaskulären Endpunktstudien einen neutralen
Effekt auf das kardiovaskuläre Risiko und
können daher bei Patienten mit Typ-2Dia­betes auch in fortgeschrittenen
Krankheitsstadien eingesetzt werden.
2.Der SGLT2-Inhibitor Empagliflozin senkt
bei Patienten mit Typ-2-Dia­betes die
kardiovasku­läre und die Gesamtmortalität und steht möglicherweise vor einer
breiteren Anwendung bei diesen Patienten, bevorzugt in der Kombination mit
Metformin.
3.Die Ergebnisse großer kardiovaskulärer
Endpunktstudien sollten nicht pauschal
als Klasseneffekte interpretiert werden,
sondern in erster Linie als spezifisch für
das geprüfte Molekül.
ȖȖ Literatur: springermedizin.de/mmw
ȖȖ Title and Keywords: Important endpoint
trials in diabetes mellitus – impact on
clinical care DPP-4 inhibitors / SGLT2-inhibitors /
cardiovascular endpoints / empagliflozin
ȖȖ Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Robert Ritzel Klinik für Endokrinologie, Diabetologie
und Suchtmedizin
Klinikum Schwabing
Städtisches Klinikum München GmbH
Kölner Platz 1, D-80804 München
E-Mail:
[email protected]
FORTBILDUNG
Literatur
1. Ritzel, R.A., Therapeutic approaches based
on beta-cell mass preservation and/or regeneration. Front Biosci (Landmark Ed), 2009.
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2. Green, J.B., et al., Effect of Sitagliptin on Cardiovascular Outcomes in Type 2 Diabetes. N
Engl J Med, 2015. 373(3): p. 232-42.
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6. Scirica, B.M., et al., Heart failure, saxagliptin,
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the SAVOR-TIMI 53 randomized trial. Circulation, 2014. 130(18): p. 1579-88.
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trial. Lancet, 2015. 385(9982): p. 2067-76.
8. Egan, A.G., et al., Pancreatic safety of incretin-based drugs--FDA and EMA assessment.
N Engl J Med, 2014. 370(9): p. 794-7.
9. Jensen, T.M., K. Saha, and W.M. Steinberg, Is
there a link between liraglutide and pancreatitis? A post hoc review of pooled and
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10. Rosenstock, J. and E. Ferrannini, Euglycemic
Diabetic Ketoacidosis: A Predictable, Detectable, and Preventable Safety Concern With
SGLT2 Inhibitors. Diabetes Care, 2015. 38(9):
p. 1638-42.
MMW Fortschritte der Medizin 2016 . 1 / 158
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