Deflationäre Vollbeschäftigung

Werbung
Deflationäre Vollbeschäftigung
Wellenreiter-Kolumne vom 06. April 2014
Wohlfühl-Deutschland möchte alles so wie früher. Wer sein Leben lang gearbeitet hat,
soll künftig schon mit 63 Jahren die volle Rente beziehen. So hat es die Bundesregierung
beschlossen. Das Rentenpaket soll am 1. Juli 2014 in Kraft treten. Die vor einigen Jahren
eingeführte stufenweise Verlängerung der Arbeitszeit bis 67 wird zurückgedreht.
Das von diesem Beschluss ausgehende Signal führt in die falsche Richtung. Der Blick auf
den so genannten „Altersabhängigkeitsquotienten“ verdeutlicht das Problem. Diese Ratio
bezeichnet das Verhältnis der Altersgruppe der Rentner (65plus Jahre) zur Bevölkerung
im erwerbsfähigen Alter (20-64 Jahre). Da die geburtenstarken Jahrgänge im Verlauf der
kommenden 10 bis 15 Jahre in Rente gehen, steigt der Altersabhängigkeitsquotient an.
Der steilste Teil des Anstiegs beginnt jetzt (folgender Chart).
Quelle: http://esa.un.org
In den kommenden 20 Jahren wird der Quotient (rote Linie obiger Chart) von 35 auf 60
zulegen. Derzeit versorgen 100 Personen im arbeitsfähigen Alter per Umlagesystem 35
Rentner. Im Jahr 2035 werden 100 Personen im arbeitsfähigen Alter aus ihrem Gehalt
60 Rentner finanzieren müssen.
Auch in anderen Ländern steigt die Altersabhängigkeit. Vorreiter der Entwicklung ist
Japan. Der scharfe Anstieg setzte dort ab 1990 ein (schwarze Linie folgender Chart).
Begleitet wurde dieser Anstieg von wirtschaftlicher Stagnation, Deflation, niedrigen
Zinsen und einem Fall der Aktienmärkte.
Während sich der Anstieg in den USA - bedingt durch Zuwanderung und eine relativ hohe
Geburtenrate – vergleichsweise verträglich darstellt, beginnt für China der „lange
Marsch“. Von der aktuell niedrigen Quote von 15 steigt die Ratio auf 34 im Jahr 2035 auf
60 im Jahr 2065.
Klar ist, dass für China die goldenen Zeiten, in denen die Jungen die Senioren ohne ein
staatliches System versorgen konnten, vorbei sind. Der Aufbau eines Sozialsystems
erscheint unabdingbar. Eine interessante Parallele ergibt sich, wenn man die
Altersabhängigkeitsquotienten Chinas und Japans um 30 Jahre zeitversetzt platziert.
Die Kurven liegen aufeinander: 1990 Japan = 2020 China. Droht China ab dem Jahr 2020
wirtschaftliche Stagnation, Deflation, niedrige Zinsen und ein fallender Aktienmarkt?
Auch wenn der Altersabhängigkeitsquotient nur einer von vielen Einflussfaktoren ist, so
erscheint er wichtig genug, um herausgestellt zu werden.
Wie mit diesem Anstieg des Altersabhängigkeitsquotienten in Deutschland umgehen? Die
gesetzliche Renditenversicherung wird ihr Niveau ohne zusätzliche staatliche
Subventionen nicht halten können. Der Aufbau einer zusätzlichen Absicherung ist Pflicht.
Doch wie soll das geschehen? Die Renditen befinden sich seit Jahren auf einem sehr
niedrigen Niveau. Der Sparer wird durch die Zentralbanken und die Politiker zum Konsum
im hier und jetzt gezwungen. Renditeversprechen mit 8 Prozent oder mehr, denen im
Falle Prokon 75.000 Anleger gefolgt sind, erweisen sich als Luftnummer. Tatsächlich
erweist sich - bei Betrachtung langer Zeitreihen - nur die Aktienanlage als realer
„Gewinnbringer“. Doch ist in Deutschland die Luft raus, was diese Anlageklasse anbetrifft.
In den USA wird der Vermögensaufbau für das Rentenalter durch sogenannte 401 (k)
Sparpläne steuerbegünstigt. Das Kapital wird nicht garantiert. Fallen die Kurse, fällt der
Wert des Sparplans.
In Deutschland hingegen ist die Konstruktion eine andere. Im Falle der Riester-Rente
müssen die Anbieter von Fondssparplänen und fondsgebundenen Rentenversicherungen
den Kapitalerhalt garantieren. Als Folge wird in „risikolose“ Anlageklassen wie Anleihen
investiert. Diese werfen angesichts der aktuellen Rendite kaum etwas ab. Aktien werden
gemieden. Wenn man die Deutschen an der weltweiten Kapitalbildung beteiligen will,
sollte die Politik den Schritt gehen und Risiken im steuerbegünstigten Vermögensaufbau
zulassen. Irrwitzigerweise geschieht das genaue Gegenteil. Anleger, die bereit sind, Risiken für die Alterssicherung auf sich zu nehmen, werden - voraussichtlich - durch eine
Finanztransaktionssteuer bestraft.
In Japan setzte in den 1990er Jahren eine deflationäre Entwicklung ein. Japan erscheint
nicht als Ausnahme, sondern als Vorreiter einer Entwicklung, die längst alle wichtigen
Industrienationen erfasst hat. Inflationsraten von 3% oder mehr dürften dort, wo
beständig mehr Ressourcen für die Sicherung des Rentenalters umgeschichtet werden
müssen, der Vergangenheit angehören. Dies gilt für die Industrienationen. Man darf
schon froh sein, wenn eine beständige deflationäre Tendenz wie in Japan bei uns
vermieden werden kann. Aber auch ein Schwellenland wie China muss einen immer
größeren Teil des Produktivvermögens für die Altersversorgung abzweigen. Dies kostet
Wachstum und dämpft die Inflation.
Ältere Arbeitnehmer verdienen üblicherweise mehr als junge Kräfte. Ein Arbeitsmarkt,
den mehr ältere Kräfte verlassen als junge Arbeitnehmer nachrücken, verschafft den
Unternehmen zwar Vorteile auf der Kostenseite. Gleichzeitig üben Rentner - mangels
Einkommen - Konsumverzicht. Dies wirkt sich negativ auf Unternehmensumsätze aus.
Auch die Kreditnachfrage bleibt schwach, da Investitionen weiter zurückgefahren werden.
Eine stagnierende oder schrumpfende Wirtschaft ist die Folge. Die Stimulierung einer
solchen Wirtschaft erhöht die Staatsverschuldung genauso wie die Übernahme von
Versorgungslasten für die Rentenkasse.
Das Modell „Deflationäre Vollbeschäftigung“ steht nicht in den Lehrbüchern. Dennoch
dürfte es ein passendes Modell für die westlichen Industrieländer sein. Aus der
Vergangenheit lässt sich ein solches Modell nicht ableiten. Denn in den vergangenen
Jahrhunderten waren pyramidenförmige Bevölkerungsstrukturen üblich. Es ist an der
Zeit, volkswirtschaftliche Modelle zu entwickeln, die die veränderte demographische
Entwicklung berücksichtigen. Das westliche Wirtschaftssystem wird in den kommenden
Jahren von immer weniger Arbeitnehmern getragen werden. In Japan – dem Vorreiter
dieser Entwicklung – beträgt die Arbeitslosenquote 4 Prozent.
In den kommenden 20 Jahren wird – nicht nur in Deutschland - die Transformation von
einer Arbeitnehmergesellschaft zu einer „Rentnergesellschaft“ stattfinden. 100
Arbeitnehmer müssen dann 60 Rentner finanzieren. Da muss jede einzelne Person im
erwerbsfähigen Alter „ran“. Japan befindet sich seit 1990 in einer solchen Situation. Die
westlichen Industrienationen werden Japan nicht eins zu eins folgen. Doch die Gesetze
der demografischen Entwicklung lassen sich weder durch Zentralbanken noch durch die
Politik aushebeln. Ein gewisses Maß Japan kommt auf alle westlichen Industrienationen
zu. Das bedeutet schwaches Wirtschaftswachstum, eine deflationäre Tendenz, niedrige
Renditen und kaum Möglichkeiten zum Abbau der Staatsverschuldung. Auf der
Positivseite lässt sich eine vergleichsweise geringe Arbeitslosigkeit notieren.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
Herunterladen