Sonderausgabe AF_D

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Sonderausgabe Pro-Argin
PROPHYLAXEdialog
Zeitschrift für Oralprävention in der Praxis
Technologiedurchbruch für Zahnbehandlung
bei schmerzempfindlichen Zähnen
Umgang mit Dentinhypersensibilität in der Praxis
Überblick über die Durchführung klinischer Studien
zur Bewertung desensibilisierender Produkte
Impressum / Inhalt / Editorial
Editorial
Herausgeber (V.i.S.d.P.):
GABA International AG
PR & Communication: Dr. Stefan Hartwig
Scientific Affairs:
Dipl.-Biochem. Bärbel Kiene
Grabetsmattweg · 4106 Therwil · Schweiz
[email protected]
Liebe Leserinnen und Leser,
die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs für eine Indikation,
die für die Patienten bei der Behandlung in der Praxis, aber
auch im täglichen Leben eine enorme Belastung bedeuten
kann, ist für die beteiligten Wissenschaftler ein spannendes
Projekt. Wie schnell wirkt der Wirkstoff? Wie lange hält die
Wirkung an? Welches Ergebnis zeigen klinische Studien?
Gestaltung:
Besonders spannend ist es auch, wie dieser Wirkstoff von
der Profession wahrgenommen wird. Was sagen Hochschulexperten? Welche Meinung haben Fachmedien? Und vor
allem: Was berichten Zahnärzte und ihre Teams?
eye-con Medienagentur · 50374 Erftstadt
Internet:
Diese Sonderausgabe des PROPHYLAXEdialogs befasst
sich mit der Indikation Dentinhypersensibilität, die sich als
kurzzeitiger, scharfer Schmerz als Reaktion auf externe Stimuli
an freiliegenden Zahnhälsen manifestiert. Das Problem ist in
der Praxis sehr gut bekannt, wenn auch stark unterdiagnostiziert. Es sind auch einige Wirkstoffe bekannt, die Abhilfe versprechen sollen. Wenig davon ist jedoch neu und oft bleibt es
beim Versprechen.
www.gaba.com
Die Meinung der Autoren muss nicht in jedem
Fall der Meinung des Herausgebers entsprechen.
Nachdruck und auszugsweise Veröffentlichung
ist bei Quellenangabe gestattet.
Inhalt
Technologiedurchbruch für Zahnbehandlung
bei schmerzempfindlichen Zähnen
Umgang mit Dentinhypersensibilität in der Praxis
Prof. Dr. Nicola X. West, Bristol, Großbritannien
Dentinhypersensibilität: Ätiologie und Prävalenz –
ein kurzer Überblick für den Zahnarzt
Prof. Dr. Lars G. Petersson, Halmstad, Schweden
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Dentinhypersensibilität – ein bekanntes Problem
mit zahlreichen Lösungsansätzen
PD Dr. Christian R. Gernhardt, Halle
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Die Lösung bei Dentinhypersensibilität für Sie
und Ihre Patienten – die Wirkstoffkombination
Arginin/Kalziumkarbonat
Prof. Dr. Mark S. Wolff, Morey J. Gendler,
Scott W. Podell, New York, USA
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Mundgesundheitsbezogene Lebensqualität bei Patienten mit freiliegenden und hypersensiblen Zahnhälsen
Dr. Katrin Bekes, Halle
Prof. Dr. Christian Hirsch, Leipzig
Behandlung von Dentinhypersensibilität:
Produkt für die Zahnarztpraxis im PE-Programm
Dänemark, Norwegen, Schweden evaluiert
Dr. Kaj Stoltze, Kopenhagen, Dänemark
Überblick über die Durchführung klinischer Studien
zur Bewertung desensibilisierender Produkte gegen
Dentinhypersensibilität
Dr. David G. Gillam, London, Großbritannien
Entwicklung eines Desensibilisierungsprodukts
GABA-Innovations-Symposium:
Schmerzempfindliche Zähne – eine neuartige
Technologie zur Anwendung in der Praxis
TM
Der Wirkmechanismus von Pro-Argin
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Sonderausgabe 2010
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Diese Kritik an vorhandenen Lösungen haben wir im Vorfeld der Produktentwicklung immer wieder von der Profession
gehört: Publizierte klinische Studien fehlen, die Wirksamkeit ist
nicht eindeutig nachgewiesen, die Wirkung setzt nicht schnell
genug für eine Behandlung ein, die Anwendung in der Praxis
ist zeitaufwändig und kompliziert, es werden nur Symptome
behandelt.
Deshalb war die Entwicklung und Kommunikation der
neuen Desensibilisierungspaste elmex SENSITIVE PROFESSIONAL so herausfordernd. Es konnte mit der Wirkstoffkombination Arginin und Kalziumkarbonat endlich ein echter Technologiedurchbruch erreicht werden. Wie Sie sehen werden,
setzt die Wirkung sofort ein und ist nachhaltig. Zwei erste klinische Studien belegen die Wirksamkeit und die Überlegenheit
gegenüber den Inhaltsstoffen gebräuchlicher Polierpasten.
Dementsprechend fiel auch die Wahrnehmung der neuen
Technologie in der Fachwelt aus. In Berlin nahmen im April
2010 rund 200 internationale Gäste am GABA-InnovationsSymposium teil – darunter rund 30 Journalisten. Ihre Reaktionen waren einhellig sehr positiv. Bis jetzt haben wir zudem
außerordentlich viele positive Rückmeldungen aus den Praxen
bekommen. Wie gewohnt, dokumentieren wir dieses Ereignis
im Internet unter www.gaba-dent.de/dhs (der produktbezogene Teil sowie ein Vortragsausschnitt, in dem die Wirkstoffeigenschaften erklärt werden, ist passwortgeschützt für medizinisches Personal zugänglich). Weiterhin wollen wir mit dieser
umfassenden Zeitschrift einen breiten Zugang zur Indikation
und zur neuen Technologie bieten, und zwar anhand einer
Reihe von Beiträgen renommierter Experten. Wir sind wie
immer gespannt auf Ihre Meinung.
Mit freundlichen Grüßen
Bärbel Kiene
Director Scientific Affairs
GABA International
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Wie die Pro-Argin-Technologie
Schmerzen verhindert: Arginin löst die
Verschließung der Dentintubuli aus und
blockiert damit die Weiterleitung von
Schmerz auslösenden Reizen zur Pulpa.
Diese Verschließung bleibt sogar nach
Behandlung mit Säure intakt.
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Pro-Argin
Technologiedurchbruch für Zahnbehandlung
bei schmerzempfindlichen Zähnen
Neue Desensibilisierungspaste mit sofortiger und
anhaltender Wirkung
Dentinhypersensibilität (DHS) kann sich als kurzzeitiger, scharfer Schmerz als Reaktion auf externe Stimuli
an freiliegenden Zahnhälsen manifestieren. Genau hier
liegen die Dentintubuli als direkte Verbindung zur
Pulpa offen. Dadurch können thermische, mechanische
oder osmotische Stimuli direkt auf den Nerv übertragen
werden, was oft mit beträchtlichen Schmerzen verbunden ist. Dies kann auch zahnärztliche Behandlungen
erheblich erschweren oder einschränken. Mit der Desensibilisierungspaste elmex SENSITIVE PROFESSIONAL konnte durch eine neue Technologie jetzt ein
Durchbruch erzielt werden.
Etwa 30 % der Bevölkerung leiden an schmerzempfindlichen Zähnen. Dies hat zur Folge, dass ein beträchtlicher Anteil der Betroffenen seine mundgesundheitsbezogene Lebensqualität beeinträchtigt sieht
und viele Betroffene ihre Lebensgewohnheiten diesem
Leiden anpassen. DHS macht die tägliche Zahnhygiene
zu einer schmerzhaften Prozedur, was sich längerfristig
negativ auf die Mundgesundheit auswirkt. Bei Patienten mit schmerzempfindlichen Zähnen ist die professionelle Zahnreinigung (PZR) in der Zahnarztpraxis erschwert: Wurzelglättung und Zahnsteinentfernung sind
für den Patienten demotivierend und mitunter extrem
unangenehm.
Herkömmliche Produkte zur Behandlung von Dentinhypersensibilität basieren meist auf der Desensibilisierung des Nervs durch temporär depolarisierende Substanzen. Nachteilig ist hier, dass die Wirkung deutlich
zeitverzögert einsetzt und dass lediglich ein Symptom
bekämpft wird. Der ursprünglich wichtige und notwendige Schmerzreflex des Zahns wird gedämpft.
Die Wirkstoffkombination aus der natürlichen, im
Speichel vorkommenden Aminosäure Arginin sowie
Kalziumkarbonat dringt bereits bei einmaliger Anwendung in die Dentintubuli ein und verschließt diese, was
mit einer sofortigen und deutlichen Linderung der
Symptome einhergeht.
Eine klinische Studie von Schiff et al. in San Francisco belegt, dass das Produkt im Vergleich zu einer
herkömmlichen Polierpaste eine statistisch signifikante
Verbesserung der DHS-Symptomatik zur Folge hat. Die
Anwendung erfolgte in diesem Fall nach der PZR. Die
Wirkung tritt nicht nur sofort ein, sondern hält auch
mindestens vier Wochen an. Darüber hinaus konnten
Hamlin et al. von Contract Dental Evaluation in
Pennsylvania zeigen, dass die vorherige Anwendung
der neuen Desensibilisierungspaste bei Patienten mit
schmerzempfindlichen Zähnen die professionelle Zahnreinigung deutlich angenehmer macht. Diese klinische
Studie beweist die Überlegenheit der Wirkstoffkombination Arginin/Kalziumkarbonat gegenüber den Inhaltsstoffen gebräuchlicher Polierpasten.
Zur Anwendung der Desensibilisierungspaste sind
keine zusätzliche Prozedur, Technik oder Ausrüstung
notwendig, sie wird schnell und einfach mittels eines
Polierkelchs beim Zahnarzt eingearbeitet. Weiterhin
ermöglichen die Inhaltsstoffe Silikat und Karbonat
einen zusätzlichen Poliereffekt, der dazu beiträgt,
Verfärbungen zu entfernen.
Mit elmex SENSITIVE PROFESSIONAL steht nun ein
Produkt zur Verfügung, das sich mühelos in die zahnärztliche Routine integriert und mit dem sich Dentinhypersensibilität sofort, wirksam und nachhaltig behandeln lässt.
Ein weiterer Ansatz sind restaurative Anwendungen,
wodurch die Reizleitung zwischen Mundraum und Pulpa
blockiert werden soll. Dies gestaltet sich in der Praxis
jedoch als sehr aufwändig (Anätzen und Trockenlegen
der betreffenden Regionen) und somit für den schmerzgeplagten Patienten unangenehm. Ferner kann keine
anschließende PZR durchgeführt werden, ohne den
Schutz gleichzeitig wieder zu reduzieren. In-office-Behandlungen von DHS zeigen demnach bislang keinen
zufriedenstellenden Erfolg, da sie entweder nur zeitverzögert und kurzfristig wirken oder aber zu viel Aufwand
beinhalten.
Günstigstenfalls besteht die Behandlung von DHS
in der langfristigen Verengung oder Blockierung der
Tubuli. Mit elmex SENSITIVE PROFESSIONAL, einer
Desensibilisierungspaste für die Anwendung in der
Zahnarztpraxis, gelang nun erstmalig die Entwicklung
eines medizinischen Produkts, das mit sofortiger
Wirkung DHS an ihrem Entstehungsort bekämpft.
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe 2010 30
Sonderausgabe Pro-Argin
Umgang mit Dentinhypersensibilität in der Praxis
Prof. Dr. Nicola X. West, Bristol Dental Hospital and School, Großbritannien
Einführung
Dentinhypersensibilität (DHS) ist ein gewöhnlicher
oraler Schmerzzustand und kommt bei vielen Menschen
vor. Daten über die Häufigkeit variieren zwischen 3 und
57 %, wobei Patienten mit Parodontalerkrankungen mit
mehr als 78 % (Chabanski et al. 1997) wesentlich öfter
betroffen sind. Für einige Patienten mag es sich bei
DHS lediglich um eine geringfügige Unannehmlichkeit
handeln, die sich als scharfer, kurzzeitiger Schmerz
bemerkbar macht. In diesen Fällen genügt es oft, die
Zähne mit der Zunge abzuschirmen oder sie z.B. nach
dem Putzen mit lauwarmem anstatt mit kaltem Wasser
zu spülen. Solche Maßnahmen verhelfen den Betroffenen dann, im Bewusstsein, was die Schmerzen verursacht und wie man damit umgehen kann, ein normales
Leben zu führen. Für andere Patienten stellt DHS ein
sehr unangenehmes Leiden dar, das die Lebensqualität
ernsthaft beeinträchtigt (Bekes et al. 2009). Die meisten Betroffenen empfinden Dentinhypersensibilität als
lediglich unangenehm, aber nicht als Beeinträchtigung
der Lebensqualität (Gillam et al. 2002a; Clayton et al.
2002).
Wenn ein Patient seinen Zahnarzt während einer
Zahnuntersuchung auf schmerzempfindliche Zähne hinweist, wird er gewöhnlich professionellen Rat und Hilfe
erhalten. Falls der Patient den Zahnarzt jedoch nicht
davon unterrichtet, wird ihm auch keine Behandlung
angeboten, und der Betroffene findet sich weiter mit
diesem unangenehmen Zustand ab. Dies liegt mitunter
daran, dass in Großbritannien die Patienten nicht
routinemäßig von ihrem Zahnarzt auf Rezession des
Zahnfleisches, Abnutzung der Zähne oder DHS untersucht werden.
Charakteristik der DHS
Definition
DHS wird als kurzer, scharfer Schmerz beschrieben,
der als Antwort auf externe, thermische, taktile, osmotische oder chemische Stimuli auftritt und der keiner
Pathologie und keinem Defekt der Zähne zugeschrieben werden kann (Dowell & Addy 1983). Diese Definition wurde 2002 modifiziert, als das Canadian
Advisory Board vorschlug, das Wort „Pathologie“ durch
„Krankheit“ zu ersetzen. Diese Veränderung halten die
meisten Kliniker für sinnvoll. Demnach ist die Feststellung von DHS eine durch Differenzialdiagnose und
Ausschluss. Es ist sehr wichtig, alle anderen Zustände
auszuschließen, die ähnliche Symptome wie DHS verursachen können. Diese wären Rissbildung im Zahn,
Karies, das Versagen von Zahnsanierungen, „vital bleaching“ und atypische Gesichtsschmerzen.
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Sonderausgabe 2010
Gelegentlich kann sich DHS als dumpfer, klopfender
Schmerz manifestieren, der für Stunden, Tage oder gar
Wochen anhalten kann (Dowell & Addy 1983). Man
nimmt an, dass verschiedene Nervenfasern für den
Schmerz verantwortlich sind, aber es wurde bereits vorgeschlagen, dass es sich hierbei um eine Pulpitis handelt, nicht um DHS, und dass die Behandlung dementsprechend erfolgen sollte. Tatsächlich gibt es bislang
keine Forschungsergebnisse, die Pulpahistologie mit
den klinischen Symptomen einer Dentinhypersensibilität korrelieren. Makroskopisch sieht nämlich hypersensibles Dentin genauso aus wie nicht hypersensibles.
Häufigkeit und Verbreitung
Die Verbreitung von DHS variiert in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zwischen 3 und 57 % (Graf
& Glasse 1977; Flynn et al. 1985; Orchardson & Collins
1987; Irwin & McCusker 1997; Lui et al. 1998; Murray &
Roberts 1994; Rees 2000), wobei eine etwa gleichbleibende Zahl von 15 % für Menschen mit gesundem
Zahnapparat (Fischer et al. 1992) und > 78 % für Parodontalpatienten berichtet wird (Chabanski et al. 1997).
Betrachtet man diese Daten näher, erschließen sich
zahlreiche Beobachtungen: Die Studien unterscheiden
sich in vielen Punkten, was einen maßgeblichen Einfluss auf die Statistiken haben kann. So wurden z.B. die
Daten eines Fragebogens (Irwin & McCusker 1997;
Murray & Roberts 1994; Chabanski et al. 1996; Gillam
et al. 1999; Clayton et al. 2002) entweder vom Betroffenen allein oder vom Zahnarzt bei der Untersuchung
ausgefüllt. Der vom Betroffenen beschriebene Schmerz
muss jedoch nicht unbedingt eine Konsequenz von
DHS sein, was ohne klinische Bestätigung nicht geklärt
werden kann.
Wenn jedoch der Patient regelmäßig den Zahnarzt
aufsucht, dann sollte die Genauigkeit der Angaben
über die Häufigkeit von DHS wesentlich höher sein.
Man muss sich immer vergegenwärtigen, dass laut britischen Statistiken etwa 40 % der Menschen nicht regelmäßig zum Zahnarzt gehen (Nutall et al. 2001). Wenn
der Patient dagegen klinisch auf DHS getestet wird
(Graf & Glasse 1977; Flynn et al. 1985; Orchardson &
Collins 1987; Rees 2000), werden im Gegensatz zum
Fragebogen lediglich aktuelle Symptome betrachtet
und nicht die Vorgeschichte einer etwaigen DHS, die
womöglich episodisch auftritt und am Untersuchungstag gar nicht feststellbar ist. Wird die Studie in einer
Zahnklinik durchgeführt, ist die Wahrscheinlichkeit
hoch, dass die Untersuchung in der Abteilung für Parodontologie stattfindet, wo die Wahrscheinlichkeit für
DHS naturgemäß höher liegt und somit höhere Inzidenz
verzeichnet wird (Lui et al.; Gillam et al. 2002).
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Pro-Argin
Analog wird man unterschiedliche Häufigkeiten in
allgemeinen und in auf Parodontologie spezialisierten
Praxen finden wie auch zwischen Privatversicherten und
Patienten des nationalen Gesundheitsdiensts (NHS),
wobei hier die Ersteren sicherlich intensivere Prophylaxe betreiben. Darüber hinaus variiert die Anfälligkeit
für Parodontalerkrankungen und die damit verbundene
DHS geographisch (Lui et al. 1998; Gillam et al. 1999a).
So ist der Prozentsatz parodontaler Erkrankungen
bei der asiatischen Bevölkerung eindeutig höher. Die
Altersverteilung ist ein weiterer bestimmender Faktor:
Eine Gruppe älterer, motivierter Patienten wird eine
größere DHS-Häufigkeit aufweisen als eine Gruppe
Studenten oder Menschen, die nur unregelmäßig anwesend sind (Claydon et al. 2009, persönliche Mitteilung).
Die Zähne, an denen DHS am häufigsten beobachtet wird, sind die permanenten Eckzähne wie auch die
ersten Prämolaren (Orchardson & Collins 1987), was
wahrscheinlich durch bestimmte Zahnputzcharakteristika bedingt ist. Prädilektionsstellen sind die Bukkalseiten der Zahnhälse, obwohl heute auch oft bukkal,
okklusal und palatinal exponiertes Dentin klinisch festgestellt wird (Jaeggi & Lussi 2006) (Abb. 1).
Umgang mit DHS
Wenn das Zahnarztteam mit DHS umgeht, müssen
drei Gebiete beurteilt und angesprochen werden, um
die Schmerzen zu verringern und die Symptomatik zu
reduzieren.
Abb. 1:
SCHRITT 1: Bestätigung der Diagnose
Gebiss mit deutlicher
bukkaler Zahnabnutzung, die
Anlass für Dentinhypersensibilität
gibt
Es gibt eine Reihe von Befunden, die Anlass zu ähnlichen Symptomen geben wie hypersensibles Dentin.
Der erste Schritt zur Behandlung von DHS ist daher der
Erhalt einer definitiven Diagnose durch Ausschluss der
folgenden Kriterien:
Die Symptome des Schmerzzustands können in
jedem Alter auftreten, jedoch sind die meisten
Betroffenen zwischen 20 und 40 Jahren alt mit einer
Haupthäufigkeit im dritten Lebensjahrzehnt (Graf &
Gelasse 1977). Frauen leiden häufiger und in einem
niedrigeren Durchschnittsalter unter DHS (Flynn et al.
1985; Addy et al. 1987), was wahrscheinlich an der
häufigeren und ausgiebigeren Dentalhygiene liegt. Der
Rückgang der DHS-Häufigkeit ab einem Alter von
40 Jahren ist wahrscheinlich eine Konsequenz von reparativem und Sekundärdentin. Verschiedene Kliniker
berichten über eine unterschiedliche Wahrnehmung
der Prävalenz, wobei Dentalhygieniker etwa einen zweimal so hohen Prozentsatz melden wie Zahnärzte
(Canadian Advisory Board 2002).
Erklärung von Ursache und Mechanismus des Schmerzes bei DHS
Schmerz ist generell eine unangenehme sensorische und emotionale Erfahrung, die mit tatsächlichem
oder potenziellem Gewebeschaden verbunden ist
(Alexander 2000). Diese Definition stellt bereits einige
Schwierigkeiten bei der Behandlung von Schmerzzuständen heraus: Die individuelle Reaktion auf und
Toleranz gegenüber verschiedenen Schmerzintensitäten sowie die hoch subjektive Natur der Dentinhypersensibilität machen eine objektive Bewertung extrem
schwierig.
PROPHYLAXEdialog
Die heute allgemein akzeptierte hydrodynamische
Theorie zur mechanistischen Erklärung der Schmerzentstehung bei DHS wurde von Gysi (1900) formuliert und
von Brännström (1963) bestätigt. Sie basiert darauf,
dass der Schmerz eine Konsequenz der Bewegung von
Flüssigkeit in den Dentintubuli ist. Der Zustand ist episodisch, je nachdem, ob die Tubuli durchgängig oder
verschlossen sind. Sobald ein Kanälchen partiell oder
vollständig verschlossen ist, werden die Schmerzsymptome verringert. Viele Faktoren können hier zum Tragen
kommen, so z.B. das Zähneputzen mit einer Zahnpaste,
die einen sogenannten „smear layer“ entfernt oder
erzeugt. Hierbei könnten Zahnpastenbestandteile die
Dentintubuli blockieren oder öffnen. Einige Inhaltsstoffe von Zahnpaste, wie z.B. Natriumlaurylsulfat (West
et al. 1998; Parkinson et al. 2007) können den „smear
layer“ am Eingang der Dentintubuli entfernen, was
auch für Säuren in Lebensmitteln gilt (Absi et al. 1992).
W Risse, oft vorhanden bei stark restaurierten Zähnen,
„cracked tooth syndrome“
W Brüche in Füllungen, falsch platzierte „dentine pins“,
„ditching“ von Füllungsrändern
W Nervenreiz durch Karies oder restaurative Behandlung
W Abgeschlagene Zähne, bei denen Dentin offenliegt
W Inkorrektes Anbringen von Dentinadhäsiven, die im
Nanometerbereich Undichtigkeit mit sich bringen
W Unangemessenes Anwenden von Medikamenten
während der Präparation einer Zahnaushöhlung
W Fehlende Sorgfalt beim Modellieren von Restaurationen, was zu traumatischem Gebissschluss führt
W Palatogingivale Furchen und andere Schmelzinvaginationen und -defekte
W Zahnaufhellung
Diese Ansammlung von Befunden kann ähnliche
Symptome verursachen wie DHS, was eine Unsicherheit
der klinischen Diagnose zur Folge hat. Als generelle
Regel gilt, dass, wenn nur ein Zahn hypersensibel
reagiert, nur selten DHS vorliegt. Weiterhin gilt, dass
DHS deswegen episodisch ist, weil das dynamische
Gleichgewicht auf der Dentinoberfläche von einer
abwechselnden Durchlässigkeit und Blockierung der
Tubuli begleitet ist.
Sonderausgabe 2010 50
Sonderausgabe Pro-Argin
Die klinische Untersuchung zur Diagnose DHS
würde daher eine möglichst objektive Bewertung der
Reaktion auf mechanisch/taktile Stimuli, wie das
Berühren des exponierten Dentins mit einer scharfen
Sonde (Abb. 2), sowie thermische und evaporative
Stimuli, wie ein kalter Luftstoß (Abb. 3), beinhalten.
Das Resultat auf diese Stimuli ist ein kurzer, scharfer
Schmerz, der so lange anhält wie der Stimulus selbst.
Viele Patienten reagieren nicht auf alle Stimuli, aber
die meisten verspüren den Schmerz beim evaporativen
Stimulus. Röntgenbilder könnten indiziert sein, wenn
der Verdacht auf parodontale oder andere Erkrankungen besteht.
Abb. 2:
Eine scharfe Sonde über exponiertem
Dentin
Abb. 3:
Thermischer und evaporativer Stimulus,
hier ein kalter Luftstoß
Dentinhypersensibilität kommt am wahrscheinlichsten einerseits bei Patienten mit guter Mundhygiene vor, da hier das Dentin durch Schmelzverlust
oder Zahnfleischverletzungen (Abb. 4) freigelegt wird.
Andererseits findet man DHS auch oft bei Menschen
mit mangelhafter Mundhygiene, bei denen fortschreitende Parodontalentzündung bereits eine Gingivarezession verursacht hat, wodurch das Dentin ebenfalls
exponiert wird (Abb. 5). Bei den meisten Betroffenen ist
das freiliegende Dentin klar sichtbar, aber sogar ein
sehr kleines Gebiet exponierten Dentins mit minimaler
Rezession kann bereits sensibel reagieren. Falls der
Schmerz nach dem Beheben aller pathologischen
Befunde noch immer anhält, kann die Diagnose DHS als
bestätigt betrachtet und der nächste Schritt eingeleitet
werden.
Abb. 4:
Gebiss mit Dentinhypersensibilität
trotz guter Mundhygiene
Abb. 5:
Gebiss mit Parodontalerkrankung
und Dentinhypersensibilität
66
Sonderausgabe 2010
SCHRITT 2: Ätiologie und Gewohnheiten
modifizieren
Die Ätiologie der DHS hat zwei Komponenten:
1. Das Dentin muss freigelegt werden, ein Prozess der
Lokalisierung von Läsionen. 2. Die Tubuli müssen weit
offenliegen und über ihre Gesamtlänge durchgängig
sein, ein Prozess der Initiierung von Läsionen.
Ätiologie: Läsionslokalisierung
Viele junge Erwachsene weisen freiliegendes Dentin
durch den Verlust von Schmelz und/oder Zement auf,
aber aus klinischer Erfahrung leiden bei Weitem nicht
alle an DHS (Addy et al. 1987). Jedweder Vorgang, der
zur Freilegung von Dentin (z.B. Erosion oder Gingivarezession) und überdies zur Öffnung der Tubuli führt
(Verlust des „smear layer“, der normalerweise die
Tubuli verschließt und damit das Dentin abschirmt),
kann potenziell zur Sensibilität der Zähne führen, was
eine multifaktorielle Ätiologie nahelegt. Die Rolle der
Bürstabrasion allein, mit oder ohne Zahnpaste, bei dem
Verlust von Zahnhartsubstanz, ist untersucht. Eine
Zahnbürste allein hat keinen messbaren Effekt auf den
Schmelz und nur einen minimalen auf das weichere
Dentin, wenn eine normale Routine von zweimaligem
Putzen täglich eingehalten wird. Zahnpaste mit einem
niedrigen abrasiven Index wird bei gleichem Putzprotokoll ebenfalls wenig zum Verlust der Zahnhartsubstanz beitragen (Addy 2008). Viele Menschen, die
unter DHS leiden, putzen jedoch ihre Zähne exzessiv,
bis zu fünfmal am Tag (West 1995). Darüber hinaus
konnten Gillam et al. (2002a) zeigen, dass 70,6 % der
Betroffenen öfter als zweimal am Tag putzten. Für diese
Patienten sind detaillierte Instruktionen unbedingt notwendig, und eine Zahnpaste mit niedrigem abrasiven
Index sollte empfohlen werden. Oft benutzen eben
diese Betroffenen eine harte Zahnbürste und wechseln
diese monatlich (West 1995).
Der Verlust von Zahnschmelz ist vorwiegend ein
Abnutzungsprozess durch Erosion, verursacht durch
Angriffe intrinsischer oder extrinsischer Säuren auf die
Zähne, und kann durch weitere Abnutzungsvorgänge
verstärkt werden. Eine bukkale Zervixläsion mit freiliegendem Dentin durch Schmelzverlust ist mit hoher
Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass der
Patient anfällig für Erosion ist, eine aggressive Zahnputztechnik praktiziert und Schmirgelstoffe in allen
Zahnpasten enthalten sind. Sich zu überlegen, wie
lange man tatsächlich zwischen einem Säureangriff auf
die Zähne und einem Abrasivangriff durch die Zahnbürste warten sollte, erscheint vernünftig. Eine In-vitroStudie zeigte, dass etwa eine Stunde vergeht, bis das
durch Speichel erworbene Schmelzoberhäutchen (der
Pellikel) sich neu gebildet hat, möglicherweise weniger
als eine Stunde auf Dentin (Wetoon et al. 2006), um
einen optimalen Schutzeffekt gegen Erosion zu garantieren. Ein erosiver Angriff, welcher der Tätigkeit der
Oralmuskulatur vorausgeht, sollte ebenfalls nicht unterschätzt werden. Eine In-situ-Studie (Gregg et al. 2004)
zeigte, dass sogar die Zunge mit ihren abrasiven Eigenschaften durchaus in der Lage ist, Oberflächenverluste
an erweichter Hartsubstanz zu verursachen.
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Pro-Argin
Ätiologie: Läsionsinitiierung
SCHRITT 3: Behandlungsstrategien
Läsionsinitiierung beinhaltet das Freilegen einer
Anzahl weit offener Dentintubuli. Man nimmt an, dass
Dentin mit dem „smear layer“ bedeckt ist oder die
Tubuli mit Kalziumphosphat-Ablagerungen verschlossen sind, die aus dem Speichel und/oder der Zahnpasta
stammen. Sowohl physikalische wie auch chemische
Komponenten könnten den schützenden Einfluss verhindern, und so spielen erosive und abrasive Prozesse
eine wichtige Rolle.
Kliniker behandeln DHS häufiger auf der Basis vorheriger Behandlungserfolge, als vielmehr die spezifischen ätiologischen und prädisponierenden Faktoren
jedes Patienten individuell zu betrachten. Der Zustand
ist multifaktoriell, und somit wird einer Behandlung, die
sich nicht nach einer spezifischen Kausalität richtet,
lediglich ein trügerischer Erfolg beschieden sein. Viele
Produkte zur Minderung der Symptome sind mittlerweile auf dem Markt, die zu Hause angewendet werden, aber bislang zeigt keine der angebotenen Formulierungen einen herausragenden Effekt.
Verhalten: Prophylaxeberatung
Eine Übersicht über die aktuelle Literatur erwähnt
die Bedeutung des Konsums sogenannter Softdrinks
von jungem Alter an als wichtigen Faktor bei der
Abnutzung von Zähnen (Zero & Lussi 2000). Patienten
mit einem hohen Risiko für Erosion lassen sich nicht
leicht identifizieren, daher ist es wichtig für das Team
der Zahnarztpraxis, Präventivmaßnahmen einzuleiten
und aufmerksam nach den ersten Anzeichen für den
Verlust der Zahnhartsubstanz zu suchen. Das Implementieren einer gesunden Lebensweise ist danach für einen
Anteil der Patienten notwendig. Als Symptom kann
leichte Dentinhypersensibilität mitunter das einzige
Anzeichen für Zahnabnutzung sein. Durch die geringe
Dicke der Schmelzschicht am Zahnhalssaum können
einige Mikrometer Schmelzverlust bereits zur Freilegung des Dentins führen. Erosion und abrasive Einflüsse sind daher der Schlüssel zur Ätiologie der
Dentinhypersensibilität. Umwelteinflüsse sind variabel
und beeinflussen die Schmerzsymptome. Das Team in
der Zahnarztpraxis muss die Risikofaktoren für den
Patienten mit DHS identifizieren und dementsprechend
beraten.
Es gibt zwei wesentliche Ansätze zur Behandlung
von DHS: 1. Modifikation oder Blockierung der Nervenreizleitung und 2. Änderung des Flüssigkeitsstroms
innerhalb der Dentintubuli.
Die folgenden Faktoren sollten dabei berücksichtigt
werden:
Die Befreiung von Symptomen der DHS kann
extrem schwierig, frustrierend und zeitaufwändig
sowohl für Patienten wie auch den Zahnarzt sein.
Interessanterweise unterscheiden sich laut einer Studie
von Gillam et al. (2002b) die Einschätzungen der
Sensibilität ein und derselben Bevölkerungsgruppe, je
nachdem, ob sie von Zahnärzten oder von Dentalhygienikern vorgenommen wurden. Viele Zahnärzte sehen
sich außerstande, DHS erfolgreich zu behandeln
(Gillam et al. 2002). Weil die allgemeine Bevölkerung
mittlerweile die eigenen Zähne länger erhält (Nuttal et
al. 2001), wird es immer wahrscheinlicher, dass Patienten irgendwann in ihrem Leben Parodontalerkrankungen, Zahnabnutzung und infolge auch DHS erfahren.
Zahnärzte und Dentalhygieniker sollten daher in der
Lage sein, effektiv und sinnvoll mit verschiedensten
Fällen von DHS umzugehen, um sich den Problemen
ihrer Patienten erfolgreich zu stellen. Dieser Artikel
schlägt einen effizienten Umgang mit DHS vor, mithilfe
dessen eine verlässliche und erfolgreiche Therapie der
Dentinhypersensibilität möglich sein sollte.
W Ätiologische Faktoren müssen verändert werden,
um die Dentinoberfläche zu schützen und zu bedecken, damit der Schmerz reduziert wird (die
Aufrechterhaltung des „smear layer“).
W Die Ernährungsgewohnheiten des Patienten sollten
genau beleuchtet werden, zusammen mit einer
detaillierten medizinischen Anamnese mit Fokus auf
Säurereflux. Die Häufigkeit, mit der erosive Getränke konsumiert werden, und die Länge der Pausen
zwischen Aufnahmen sollten bewertet werden. Es
sollte immer genügend Zeit vergehen, um eine
Neubildung des Pellikels sowie ein Wiedererhärten
der erweichten Oberfläche zu gewährleisten. Säurehaltige Lebensmittel und Getränke sollten nachts
vermieden werden, genauso wie Spülen und Verteilen dieser Getränke im Mundraum.
W Alle Tätigkeiten, die zur Gingivarezession beitragen,
sollten vermieden werden, wie aggressive Mundhygiene, Zungenpiercing etc. Die zweimal tägliche Anwendung einer Zahnpaste mit niedrigem
abrasiven Index wurde als empfehlenswert eingestuft.
PROPHYLAXEdialog
DHS kann in der Zahnarztpraxis professionell wie
auch zu Hause behandelt werden, je nachdem, wie
stark und anhaltend die Symptome sind und was der
Patient individuell bevorzugt. Der Kliniker muss je nach
Kausalität der DHS individuelle Strategien anwenden.
Die am wenigsten invasiven Behandlungsmöglichkeiten
werden gewöhnlich zuerst vorgeschlagen, direkt gefolgt von Anwendungen beim Zahnarzt. Da DHS in den
meisten Fällen von Gingivarezession und erosiver Zahnabnutzung begleitet ist, muss Sorge getragen werden,
dass die prädisponierenden Umstände ebenfalls geändert werden. Ein weites Angebot käuflicher Produkte
zur Selbstanwendung stellt die einfachste und kostengünstigste Behandlungsmethode dar, die sogar vom
Canadian Advisory Board befürwortet wird. Die Patienten werden angewiesen, ein desensibilisierendes Produkt anzuwenden, um die Symptome zu mildern.
Prof. Dr. Nicola X. West
Clinical Trials Unit · Dept. of Oral and Dental Science
Bristol Dental Hospital and School
Lower Maudin Street · Bristol BS1 2LY · Großbritannien
Sonderausgabe 2010 70
Sonderausgabe Pro-Argin
Dentinhypersensibilität: Ätiologie und Prävalenz –
ein kurzer Überblick für den Zahnarzt
Prof. Dr. Lars G. Petersson, Maxillo-Facial Unit, Central Hospital, Halmstad, Schweden
Einführung
Schmerzempfindliche Zähne sind heute ein in der
Bevölkerung weit verbreitetes Problem, das bei Patienten mit freiliegendem Dentin oft von unangenehmen
Symptomen begleitet ist. Dentinhypersensibilität wird
allgemein als kurzer, scharfer Schmerz charakterisiert,
der als Antwort auf verschiedene Reize am freiliegenden Dentin auftritt. Eine Voraussetzung für die Entstehung von Dentinhypersensibilität ist Gingivarezession
und anschließende Offenlegung der Dentinsubstanz.
Gingivarezession kommt bei fast 40 % der Menschen
über 65 Jahre vor und wird vorwiegend durch falsches
oder zu häufiges Zähneputzen, chronische Parodontalerkrankung, operative Eingriffe oder verschiedene
Restaurationsbehandlungen verursacht. Dieser Übersichtsartikel fasst den aktuellen Wissensstand bezüglich
der Definition, Ätiologie und Prävalenz der Dentinhypersensibilität zusammen.
Ätiologie der Dentinhypersensibilität
Obwohl schmerzempfindliche Zähne innerhalb der
vergangenen Jahrzehnte bekannt waren und das
Phänomen immer wieder diskutiert wurde, ist die
genaue Ätiologie der Dentinhypersensibilität nicht
bekannt (Canadian Advisory Board on Dentin Hypersensitivity). Prinzipiell ist Dentin nämlich keine schmerzempfindliche Hartsubstanz per se. Schmerzempfindliche Zähne weisen vielmehr freiliegende Dentintubuli
wie auch Verlust des innertubulären Dentins auf
(Holland 1985). Verschiedene Theorien wurden über
die Jahre entwickelt, um den Schmerzmechanismus bei
Dentinhypersensibilität zu erklären, von denen heute
der hydrodynamische Prozess (West 2006) allgemein
anerkannt wird. Die hydrodynamische Theorie von
Brännström (1963) liefert die grundlegende Erklärung
für den Schmerz bei freiliegendem Dentin und bei
gleichzeitiger Abwesenheit bakterieller Infektionen
oder kariöser Läsionen. Nach dieser Theorie ist der
Schmerz eine Konsequenz thermischer oder osmotischer Veränderungen innerhalb der Dentintubuli. Der
Schmerzzustand ist meist zeitlich begrenzt. Der thermische Ausdehnungskoeffizient der Flüssigkeit innerhalb der Tubuli ist etwa zehnmal so groß wie der der
Tubuluswand. Den Schmerz lösen Reize aus, vor allem
thermisch oder evaporativ (z.B. durch einen kalten
Luftstoß), die Diffusion innerhalb der Dentintubuli
verursachen. Ein Hitzestimulus wird daher mit einer
Expansion der Flüssigkeit in den Tubuli einhergehen,
wodurch die Diffusion verlangsamt wird und normalerweise eine geringere Schmerzreaktion auftritt.
88
Sonderausgabe 2010
Der Trigeminusnerv innerviert die Pulpa von verschiedenen myelinierten Fasern (A-β und A-δ Fasern),
die auf Stimuli reagieren, die Flüssigkeit innerhalb der
Dentintubuli über den hydrodynamischen Mechanismus verdrängen, wie z.B. taktile, evaporative, osmotische oder thermische Reize. Dieser Vorgang gibt Anlass
zu einer scharfen, intensiven Schmerzempfindung, die
normalerweise lediglich für einige Sekunden anhält.
Dieser Schmerz ist mechanistisch anders als jener,
der durch z.B. Entzündungsprozesse wie Pulpitis hervorgerufen wird, und für Stunden, wenn nicht sogar
Tage anhält. Um eine Antwort auf einen Reiz zu liefern,
müssen die Dentintubuli sowohl am der Pulpa zugewandten wie auch dem entgegengesetzten, zur
Mundhöhle weisenden, Ende offen und durchgängig
sein. Osmotische Reize, Flüssigkeiten mit saurem pH,
hoher Ionenstärke oder Substanzen, die das Flüssigkeitsgleichgewicht in den Dentintubuli beeinflussen,
können daher ebenfalls kurzzeitigen Schmerz verursachen. Sogar geringfügige mechanische Belastung,
wie z.B. durch eine Sonde, die das freiliegende Dentin
berührt, können die Flüssigkeitsdiffusion innerhalb der
Dentinkanälchen so weit beeinflussen, dass Reaktionen
an den Mechanorezeptoren der Nervenfasern auftreten, besonders wenn diese Nervenfasern neurogene
Entzündungsanzeichen tragen und daher noch sensibler als gewöhnlich reagieren (Abb. 1). Es gibt jedoch
auch eine Art elektrischer Entladung durch das Dentin,
die man als Strömungspotenzial bezeichnet und die
eine elektrische Stimulation des exponierten Nervs auslösen kann (Närhi 1985; Matthews et al. 2000).
Stimulus:
thermisch, mechanisch,
evaporativ, chemisch
Dentin
Abb. 1:
Das modifizierte
hydrodynamische
Modell nach
Brännström:
Auf- und
Abbewegung der
tubulären Flüssigkeit als Antwort
auf externe Reize
werden an den subodontoblastischen
Plexus (blauer Pfeil)
geleitet, wodurch
ein vorübergehender Schmerzreiz
auftritt.
Pulpa
Nerv
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Pro-Argin
Rasterelektronenmikroskopische und auch Farbdiffusionsexperimente ergaben, dass in schmerzempfindlichen Bereichen die Dichte der Dentintubuli etwa
zehnfach vergrößert und der Durchmesser der Tubuli
etwa doppelt so groß ist wie in schmerzunempfindlichen Gebieten. Ferner sind bei empfindlichen Dentinoberflächen die Tubuli offen, während sie in schmerzunempfindlichen Bereichen verschlossen und undurchlässig sind. Darüber hinaus zeigte sich, dass sowohl
Anzahl wie auch Durchmesser der Dentintubuli von
außen (Mundhöhle) nach innen (Pulpa) zunehmen. So
sind z.B. an der Grenze zwischen Pulpa und Dentinoberfläche 45.000 Tubuli mit einem Durchmesser von
2,5 Mikrometer zu beobachten, während an der DentinSchmelz-Grenzfläche etwa 50 % weniger Tubuli mit
einem Durchmesser von lediglich 0,8 Mikrometer gefunden werden (Schröder 2000). Diese Befunde legen
nahe, dass sich Dentinhypersensibilität signifikant verschlechtern könnte, wenn ständig weitere Zahnhartsubstanzverluste verzeichnet werden, wie z.B. durch
Abrasion, Erosion oder Attrition (Addy 2002).
Die Durchlässigkeit des Dentins wurde genau untersucht, wobei gezeigt werden konnte, dass der Flüssigkeitsstrom durch die Tubuli sowohl von der Anzahl wie
auch vom Radius der exponierten Tubuli abhängt.
Demnach fällt die Flussgeschwindigkeit innerhalb der
Tubuli auf einige wenige Prozent des Originalwerts ab,
wenn der Radius der Kanälchen nur um die Hälfte verringert wird. Dies lässt sich dadurch begründen, dass
die Flussrate proportional zur vierten Potenz des Radius
ist. Es gibt natürliche Desensibilisierungsprozesse, die
durch Wiedererhärten der Dentinsubstanz zu einer
Verbesserung der Schmerzsymptome führen können.
Dazu gehören die Bildung eines sogenannten „smear
layer“, einer Kombination organischer und anorganischer, mikrokristalliner Ablagerungen, die spezifische
Wirkung essentieller Speichelkomponenten, wie Kalzium und kalziumbindende Proteine, durch Phosphat
vorangetriebene Remineralisation oder gar Zahnsteinbildung. Deshalb ist die partielle oder vollständige
Verschließung der Dentintubuli von größter Wichtigkeit, wenn es darum geht, die Flüssigkeitsbewegung
dort zu verringern und somit die Symptome der
Dentinhypersensibilität zu mindern (West 2006; Goldberg et al. 2010) (Abb. 2).
Abb. 2: Dentinoberfläche mit offenen, verschlossenen und
partiell verschlossenen Dentintubuli (Pfeil)
PROPHYLAXEdialog
Mit dem Alter zunehmende Gingivarezession wurde
als „normaler“ Prozess diskutiert, der Einfluss auf
Dentinhypersensibilität hat. Dagegen zeigen jedoch
ältere Patienten trotz freiliegenden Dentins häufig
weniger Schmerzsymptome, da die Dentintubuli bei
ihnen oft durch sklerotische Prozesse verengt oder gar
verschlossen sind, wodurch die Schmerzempfindlichkeit
verringert wird. Dergleichen kann auch während längerer Phasen der Remineralisation durch die im Speichel
enthaltenen Komponenten Kalzium und Phosphat eintreten.
Es gibt viele prädisponierende Faktoren für Dentinhypersensibilität: Verlust von Schmelz- und Zahnzementschichten legt Dentinoberflächen frei, die
wiederum Zugang zu offenen Dentintubuli gewähren.
Spontane Rissbildung oder kontinuierliche Zahnabnutzung durch Attrition (Zahn-auf-Zahn-Abnutzung), Erosion (chemische Auflösung der Zahnhartsubstanz) und
Abrasion (häufige und falsche Anwendung von Zahnbürste und Zahnpaste mit zu starken Schmirgelstoffen)
können ebenfalls die Schmerzempfindlichkeit der
Zähne erhöhen. Professionelle Zahnreinigung, wie z.B.
Polieren, Zahnsteinentfernung, die Anwendung eines
Luftstroms und Bleichen von vitalen Zähnen, können
sich schädlich auf bereits freiliegende Dentinoberflächen auswirken (West 2006). Da Zahnaufhellungen
heute häufig zur Anwendung kommen, ist es wichtig
zu wissen, dass Karbamidperoxid-Behandlungen bei
15 – 65 % der Patienten Schmerzempfindlichkeit zu Tage
fördern können (Goldberg et al. 2010).
Prävalenz der Dentinhypersensibilität
Die Prävalenz schmerzempfindlicher Zähne wurde
über die Jahre in verschiedensten Teilen der Welt beobachtet. Die Berichte beinhalten eine Vielfalt diagnostischer Methoden, was einen Vergleich sehr schwierig
gestaltet. Es gibt zahlreiche Studien, die eine Häufigkeit von 15 % unter allen Zahnarztpatienten und
zwischen 8 und 57 % der erwachsenen Bevölkerung
berichten. Bis zu 30 % aller Erwachsenen leiden oder
litten entweder zeitweise oder dauerhaft unter
schmerzempfindlichen Zähnen. Die Mehrheit der Betroffenen ist zwischen 20 und 40 Jahre alt; mit weiter
zunehmendem Alter scheinen reparative Prozesse, wie
z.B. Sekundärdentinbildung, die die Durchlässigkeit der
Tubuli verringert, das Fortschreiten der Dentinhypersensibilität zu kompensieren. Geschlechtsunterschiede
treten dahingehend klar hervor, dass Frauen häufiger
betroffen sind als Männer. Es wurde berichtet, dass
Dentalhygienikerinnen zweimal so viele Betroffene registrieren wie Zahnärzte (Canadian Advisory Board on
Dentine Hypersensitivity 2003). Die große Vielfalt der
Prävalenzberichte über Dentinhypersensibilität sind
wahrscheinlich ein Resultat unterschiedlicher diagnostischer Methoden, obwohl natürlich auch ethnische,
kulturelle und ökonomische Faktoren eine Rolle spielen
dürften. Die Zähne, die am häufigsten betroffen sind,
sind die bukkalen Zahnhalsregionen der bleibenden
Eckzähne und Prämolaren.
Sonderausgabe 2010
90
Sonderausgabe Pro-Argin
Zusammenfassung
Dentinhypersensibilität ist ein häufig anzutreffendes
Leiden, das mit zunehmender Exposition des Dentins
an bleibenden Zähnen aller Altersgruppen beobachtet
wird. Begünstigende Faktoren sind hierbei übereifrige
Zahnhygiene mit zu harten und abrasiven manuellen
oder elektrischen Zahnbürsten und die Benutzung von
Zahnpaste mit hohem abrasiven Index. Weitere
Ursachen der Zahnabnutzung, wie z.B. chemische
(Erosion) oder mechanische Belastung (Abrasion,
Attrition), können Faktoren darstellen, die die Voraussetzung für Dentinfreilegung und auch Dentinhypersensibilität sind. Manche Prozeduren in der Zahnarztpraxis können Situationen herbeiführen, in denen
Dentinhypersensibilität häufiger auftritt. Zu ihnen
gehören professionelle Zahnreinigung mit zu aggressivem Polieren, Glätten, Druckluftanwendung oder
auch Bleichen der Zähne.
Es ist wichtig zu erkennen, dass Speichel durch
seine Pufferkapazität, Säurebeseitigung, Remineralisation und seine Wirkung auf die Bildung von
Schmelzschutzhäutchen und „smear layer“ eine wichtige Schutzfunktion gegen Verlust der Zahnhartsubstanz
hat. Ebenfalls wichtig ist, zu sehen, dass eine Anzahl
professioneller Maßnahmen Dentinhypersensibilität
verhindern oder mildern kann. Durch ein tieferes Verständnis der Mechanismen, die der Dentinhypersensibiliät zugrunde liegen, ist der Zahnarzt in der Lage, den
Patienten zu beraten und ihm geeignete prophylaktische und therapeutische Ansätze zu empfehlen,
die Zähne schmerzunempfindlicher machen und die
Lebensqualität dadurch eindeutig erhöhen.
Prof. Dr. Lars G. Petersson
Dept. of Preventive and Community Dentistry
Maxillo-Facial Unit
Central Hospital · 301 85 Halmstad · Schweden
Dentinhypersensibilität – ein bekanntes Problem
mit zahlreichen Lösungsansätzen
PD Dr. Christian R. Gernhardt, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Einleitung
Als Dentinhypersensibilität bezeichnet man allgemein einen pathologischen Schmerzzustand, der durch
freiliegende Dentinoberflächen mit erhöhter Sensibilität gegenüber intraoralen Stimuli verursacht wird
(Chabanski & Gillam 1997; Addy 2002; Kielbassa 2002;
Sykes 2007) (Abb. 1).
Abb. 1:
Freiliegende Dentinoberflächen der
unteren Frontzähne.
Diese reagieren
sensibel auf äußere
Reize.
Als schmerzauslösende Reize kommen dabei thermische, mechanische oder chemische Noxen infrage
(Addy & Urquhart 1992; Addy 2002). Die betroffenen
Patienten äußern unterschiedliche Beschwerden, die
von leichten Missempfindungen bis zu massiven
Schmerzzuständen reichen und stark von der individuellen Schmerzempfindung bzw. -toleranz sowie emotionalen und physischen Faktoren abhängen (Ash 1986;
McGrath 1986). Meist klingen diese nach erfolgter Reizeinwirkung schnell und vollständig ab. Der Schmerz
unterscheidet sich vom herkömmlichen Dentin- oder
Pulpaschmerz dadurch, dass der Patient den Ort der
Schmerzentstehung gut lokalisieren kann (Sykes 2007).
Bemerkenswert ist, dass die Intensität der beschriebe-
10
Sonderausgabe 2010
nen Schmerzen dabei nicht unweigerlich mit den klinischen Befunden korreliert. Zieht man außerdem in
Betracht, dass infolge der heute effizienteren und hochwertigeren Diagnose- und Therapieverfahren immer
mehr Menschen den Großteil ihrer Zähne bis ins hohe
Alter behalten werden und somit die Zahl der freiliegenden Dentinoberflächen im Zahnhalsbereich und
damit verbundener Begleiterscheinungen – Dentinhypersensibilität, Wurzelkaries – aufgrund von Parodontopathien, Atrophievorgängen oder durch die verfügbaren Therapie- und Prophylaxemöglichkeiten selbst,
zunehmen wird (Bartold 2006), kann man annehmen,
dass das Phänomen Dentinhypersensibilität in Zukunft
eine größere Rolle spielen wird. Ein weiterer Aspekt,
der eine Zunahme der Dentinhypersensibilität vermuten lässt, ist die durch das gesteigerte ästhetische
Empfinden unserer Patienten vermehrte Anwendung
von Bleichtherapien. Eine glücklicherweise meist temporäre Nebenwirkung des Bleichens vitaler Zähne ist
die in der Folge auftretende Hypersensibilität (Auschill
et al. 2005; Ziebolz et al. 2007).
Obwohl die Ätiologie, Epidemiologie und Therapie von nicht-kariösen Zahnhartsubstanzdefekten und
häufig damit verbundener Hypersensibilitäten ein viel
diskutiertes Thema in der Literatur ist (Meurman & ten
Cate 1996; Barbour & Rees 2006), trägt die Vielzahl der
unterschiedlichen Therapievorschläge auch heute noch
zur Verwirrung bei. Eine sorgfältige Befunderhebung
und die daraus resultierende Diagnose sind wichtige
Voraussetzungen für die Auswahl eines geeigneten
Therapiekonzepts.
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Pro-Argin
Trotz der Vielfalt möglicher Therapien zur Beeinflussung schmerzhafter Zustände bei Dentinhypersensibilität, ist es bisher nicht gelungen, eine endgültig
befriedigende Lösung zu finden.
Epidemiologische Aspekte der
Dentinhypersensibilität
Obwohl sich zahlreiche Studien mit der Therapie
und Ätiologie der Dentinhypersensibilität beschäftigen,
existieren in der internationalen Literatur nur vergleichbar wenige hochwertige Untersuchungen, die Aussagen über die Prävalenz der zervikalen Dentinhypersensibilität treffen. In einer Untersuchung, die insgesamt 635 Patienten einschloss, gaben 25 % aller
Patienten selbst an, unter Dentinhypersensibilität zu
leiden. Nach klinischer Untersuchung konnten jedoch
lediglich bei 17 % der Patienten Symptome der Dentinhypersensibilität diagnostiziert werden (Fischer et al.
1992). Eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung
unserer Patienten und einer tatsächlich diagnostizierbaren Dentinhypersensibilität scheint möglich. Ähnliche Werte sind auch aus anderen Publikationen
bekannt (Liu et al. 1998; Lussi et al. 1993). Andere
Untersucher beschrieben, dass 52–57 % aller Patienten
Missempfindungen infolge von Dentinhypersensibilität
äußern (Irwin & McCusker 1997; Verzak et al. 1998;
Gillam et al. 1999; Taani & Awartani 2002; Udoye
2006). Untersuchungen am Patientenklientel einer allgemeinzahnärztlichen Praxis zeigten lediglich in etwa
3 % der Fälle das Auftreten der Dentinhypersensibilität
(Rees & Addy 2004). Beobachtungen an parodontal
behandelten Patienten zeigten dagegen eine deutlich
höhere Prävalenz der Dentinhypersensibilität (67,7–
98 %) (Chabanski et al. 1996; Chabanski & Gillam 1997;
Taani & Awartani 2002; von Troil et al. 2002; Rees et al.
2003).
Frauen scheinen häufiger als Männer betroffen zu
sein, die Verteilung liegt ca. bei 60:40 (Flynn et al.
1985; Fischer et al. 1992). Andere Autoren verneinen
eine geschlechterspezifische Häufung (Al-Sabbagh et
al. 2004). Prinzipiell können alle Altersklassen im zweistelligen Bereich betroffen sein. Es scheint jedoch eine
Häufung zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr zu
geben (Al-Sabbagh et al. 2004). Hinsichtlich der Lokalisation wird ein vermehrtes Auftreten im Unterkiefer
beschrieben (Udoye 2006). Manche Autoren beobachten ein vermehrtes Auftreten an Eckzähnen, andere
beschreiben, dass Molaren und Prämolaren die am häufigsten betroffenen Zähne sind (Taani & Awartani 2002;
Rees & Addy 2004).
Pathogenese und Mechanismus der
Dentinhypersensibilität
Viele Untersuchungen während der letzten Jahrzehnte zielten darauf ab, den Mechanismus der Dentinsensibilität bzw. -hypersensibilität zu klären. Man geht
allgemein davon aus, dass eine exponierte Dentinoberfläche mit offenen Tubuli die Grundvoraussetzung
PROPHYLAXEdialog
für das Auftreten dieses Phänomens ist (Johnson &
Brännström 1974; Yoshiyama et al. 1989; 1990). Verwirrend sind jedoch die Vielzahl der Hypothesen zur
Innervation, Schmerzperzeption und Weiterleitung von
Reizen im Bereich des Dentins. Die hydrodynamische
Theorie gilt heute als die gültige Erklärung für die
Dentinhypersensibilität (Brännström 1966; 1967; 1968;
Brännström & Johnson 1970; Brännström & Aström
1972; Hirvonen & Närhi 1986). Sie führt die Reizübertragung auf eine Verschiebung des Dentinkanälcheninhalts durch eine schnelle Flüssigkeitsbewegung in
den Tubuli zurück (Brännström et al. 1967). Ultrastrukturelle Grundlage sind die in den Tubuli lokalisierten
Odontoblastenfortsätze und der den periodontoblastischen Raum ausfüllende Dentinliquor sowie die Beobachtung, dass sensible Nervenfasern nur im Bereich
des Prädentins und des pulpanahen Dentins sicher dargestellt werden konnten.
Bedingt durch einen Druckgradienten von 30 mm
Hg (Beveridge & Brown 1965) resultiert ein von pulpal
nach peripher gerichteter Liquorstrom, der jedoch nicht
zu einer Schmerzsensation führt. Eine Applikation von
Heiß- und Kaltreizen, osmotisch wirkenden Substanzen
sowie die Kavitätenpräparation oder exzessive Trocknung induzieren bei exponierten Dentinflächen mit
offenen Tubuli (Brännström et al. 1968; Johnson &
Brännström 1971) einen durch Kapillarkräfte bedingten
schnellen Auswärtsfluss. Gleichzeitig kann eine Verlagerung des Tubulusinhaltes nach peripher beobachtet
werden (Brännström & Johnson 1970; 1978).
Studien zeigten eine erhöhte Liquorfließrate von
2–4 mm/Sek. nach Trocknung der Dentinoberfläche mit
einem Luftbläser (Bergren & Brännström 1965). Ähnliche Ergebnisse wurden nach der Applikation von
Zucker oder Salzen gefunden. Elektrophysiologische
Studien zeigten, dass intradentale A-Delta-Fasern,
deren Endigungen im Bereich der Pulpa-Dentin-Grenze
lokalisiert sind, die Schmerzleitung nach Reizapplikation übernehmen und für den hellen, spontan auftretenden Schmerz verantwortlich sind (Närhi et al.
1984; Hirvonen & Närhi 1986; Jyväsjärvi & Kniffki 1987).
Therapiemöglichkeiten der
Dentinhypersensibilität
Ziel sämtlicher therapeutischer Maßnahmen ist es,
das Auftreten von Schmerzen bzw. Missempfindungen
im Bereich der freiliegenden Zahnhälse zu verhindern
bzw. zu beseitigen (Duroux & Cimasoni 1991). Die Wahl
der geeigneten Therapie ist dabei vor allem vom klinischen Befund abhängig (Abb. 2).
Abb. 2:
Rasterelektronenmikroskopische
Aufnahme einer sensiblen Dentinoberfläche. Deutlich zu erkennen
sind die freiliegenden Dentinkanälchen.
Sonderausgabe 2010
11
Sonderausgabe Pro-Argin
Eine entscheidende Rolle bei der Behandlung spielen dabei das Vorhandensein und die Ausdehnung von
Zahnhartsubstanzdefekten. Während freiliegende Zahnhälse ohne Zahnhartsubstanzdefekte, abgesehen von
parodontal-chirurgischen Maßnahmen, in der Regel
nicht-invasiv behandelt werden können, erfordern ausgeprägte Zahnhartsubstanzdefekte meist ein invasives
restauratives Vorgehen. Die angewendeten Therapiemittel sollten die folgenden, bereits 1935 postulierten
Forderungen erfüllen (Grossman 1935).
Anforderungen an die Therapie der
Dentinhypersensibilität
W Keine Irritation oder Gefährdung der vitalen Pulpa
W Schmerzlose Applikationsmöglichkeit
W Einfach in der klinischen Anwendung
W Schneller und vorhersagbarer Wirkungseintritt
W Permanenter und effektiver Erfolg
W Keine ästhetischen Irritationen
Die Behandlung der hypersensiblen Zahnhälse lässt
sich in drei Hauptteile unterteilen: präventive, nichtinvasive und invasive Maßnahmen. Bei allen Patienten,
die bereits über hypersensible Zahnhälse klagen, sollte
jedoch durch prophylaktische Maßnahmen eine Zunahme der betroffenen Zahnoberflächen vermieden
werden.
Nicht-invasive Therapiemaßnahmen
Zu den nicht-invasiven therapeutischen Möglichkeiten, die dem Zahnarzt zur Behandlung hypersensibler Zahnhälse zur Verfügung stehen, gehören eine
Vielzahl von Lacken, Lösungen und Gelen, die allesamt
einen Verschluss der Dentinkanälchen hervorrufen
und somit die Schmerzentstehung unterbinden sollen.
Neben der Anwendung fluoridhaltiger Agenzien kommen auch anorganische und organische Ionenverbindungen sowie Dentinhaftvermittlersysteme in Betracht.
Fluoridhaltige Präparate
In Form von Gelen, Lösungen und Lacken werden
vor allem Natriumfluorid, Zinnfluorid, Natriummonofluorphosphat und Aminfluoride oder Kombinationen
aus unterschiedlichen Fluoridformen zur Therapie der
Dentinhypersensibilität eingesetzt (Collaert & Fischer
1991; Yates et al. 2004). Die auf die freiliegenden
Dentinoberflächen applizierten Fluoridpräparate sollen
durch verstärkte Remineralisationsprozesse einen Verschluss der Dentinkanälchen bewirken. Durch das Ausfällen von schwer löslichen Fluoridkristallen auf der
Oberfläche wird die Obliteration der Kanälchen erzielt
(Ellingsen & Rølla 1987; Gangarosa 1994). Da diese
indirekte Versiegelung der Dentinkanälchen nur temporären Charakter besitzt, ist eine mehrfache Applikation
notwendig.
Niedermolekulare ionische Verbindungen
Präventive Möglichkeiten
Da das Auftreten hypersensibler Zahnhälse an das
Freiliegen von Dentinoberflächen gebunden ist, bietet
die Vermeidung solcher Problemzonen den bestmöglichen Schutz. Vor allem eine adäquate und richtig
durchgeführte häusliche Mundhygiene spielt nicht nur
für die Prävention kariöser und parodontaler Erkrankungen, sondern auch für die Prävention freiliegender
Zahnhälse eine wichtige Rolle. Durch die Verwendung
nicht oder nur geringfügig abrasiver Zahnpasten in
Kombination mit einer weicheren Zahnbürste kann
Putzdefekten und somit dem Verlust von Zahnhartsubstanz vorgebeugt werden. Außerdem kann einem
Rückgang der marginalen Gingiva, welcher ebenfalls
zu exponierten Dentinoberflächen führen kann, durch
das Erlernen einer adäquaten Putztechnik vorgebeugt
werden. Durch die Wahl spezieller Zahnpasten können
auch bereits bestehende Symptome gelindert werden.
Ein weiteres Ziel sollte die Vorbeugung von Erosionen durch Aufklärung und Anleitung des Patienten sein.
Hier ist besonders auf die Vermeidung möglicher
ätiologischer Faktoren, wie beispielsweise der exzessive Genuss von säurehaltigen Nahrungsmitteln, zu
achten. Die Vermeidung von diesen Nahrungsmitteln
beugt nicht allein dem Fortschreiten oder der Entstehung von Erosionen vor, sondern kann auch das
Auftreten der Schmerzen verhindern, da der Kontakt
der Dentinoberfläche mit Säuren zu einer Entfernung
der Schmierschicht und somit zu einem Freiliegen und
Öffnen der Dentinkanälchen führt.
12
Sonderausgabe 2010
Zur Behandlung der Dentinüberempfindlichkeit
stehen zahlreiche niedermolekulare ionische Verbindungen, organische und anorganische Salze, zur Verfügung. Es handelt sich hierbei um strontiumchlorid-,
kaliumnitrat-, eisen- oder aluminiumoxalat-, natriumcitrat-, magnesiumsulfat-, kaliumoxalat- und aluminiumlactathaltige Lösungen, Lacke oder Pasten (Orchardson
& Gillam 2000; Poulsen et al. 2006).
Die desensibilisierende Wirkung dieser Agenzien
basiert im Wesentlichen auf zwei Grundmechanismen.
Einerseits soll die Präzipitation schwer löslicher Salzkristalle zu einer artifiziellen Obliteration der Dentinkanälchen führen (Ishikawa et al. 1994). Andererseits
bewirken freie Kationen im Bereich der Nervenmembranen eine Anhebung des Schwellenwerts, der zur
Auslösung eines Membranpotenzials erreicht werden
muss, und erschweren somit die Schmerzperzeption
und Weiterleitung durch die sensiblen A-Delta-Fasern
(Markowitz & Kim 1992; Peacock & Orchardson 1995;
Kolker et al. 2002; Duran & Sengun 2004).
Strontiumchloridhaltige Zahnpasten oder Lacke sollen infolge der Präzipitation und durch die schmerzstillenden Eigenschaften des Strontiums eine Linderung
der Beschwerden erreichen. Eine weitere Therapiemöglichkeit bieten Eisen- und Aluminiumoxalate, die
durch Ausfällung von schwer löslichem Kalziumoxalat
einen Verschluss der offenen Dentinkanälchen erzielen
sollen (Pashley & Galloway 1985).
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Pro-Argin
Kunststoffhaltige Versiegler
Restaurative Therapie
Die Anwendung von Dentinhaftvermittlern zur
Therapie der hypersensiblen Zahnhälse wurde erstmals
von Brännström et al. (1979) untersucht. Andere
Untersucher beobachteten ebenfalls einen desensibilisierenden Effekt nach der Applikation von Acrylaten auf
Dentin (Javid et al. 1987; Pamir et al. 2007). Da die
Applikation von Primern eine Reduktion der Dentinpermeabilität verursacht, scheint die Anwendung dieser Agenzien zur therapeutischen Beeinflussung der
Dentinhypersensibilität geeignet (Watanabe et al.
1991; Bergenholtz et al. 1993; Schaller & Götze 1993;
Nikaido et al. 1995; Vaitkeviciene et al. 2006). Durch
das Auftragen der Dentinprimer werden die Dentinkanälchen ganz oder teilweise versiegelt und eine
Schmerzentstehung kann verhindert werden (Watanabe
et al. 1991; Ide et al. 1998).
Die Füllungstherapie ist eine Möglichkeit, Missempfindungen, die infolge freiliegender Dentinoberflächen
auftreten, zu beseitigen. Diese Möglichkeit sollte auf
jeden Fall immer dann in Betracht gezogen werden,
wenn ausgeprägte Zahnhartsubstanzverluste vorliegen
und die freiliegenden Dentinoberflächen bereits kariöse Veränderungen aufweisen. Als Restaurationsmaterial
dieser Klasse-V-Läsionen kommen vor allem Kompomere und Komposite zur Anwendung. Kompomere
haben den Vorteil, dass aufgrund eines niedrigeren
E-Moduls als bei herkömmlichen Kompositen eine Art
Pufferfunktion bei Deformation des zervikalen Bereichs
infolge okklusaler Belastung des Zahnes das Randschlussverhalten der Füllung positiv beeinflusst (Loher
et al. 1997). Zahnhalsfüllungen aus Kompomeren zeigen heute ähnliche ästhetische und funktionelle Eigenschaften wie Kompositfüllungen und sind daher als
gleichwertige Alternative einzustufen.
Parodontalchirurgische Maßnahmen
In manchen Fällen kann auch durch chirurgische
Maßnahmen eine Linderung der Beschwerden herbeigeführt werden. Ziel der mukogingival-chirurgischen
Eingriffe ist die Deckung freiliegender Zahnhälse. Die
vorliegenden Rezessionen können mit unterschiedlichen Operationsmethoden behandelt werden. Neben
dem Verfahren der Guided Tissue Regeneration (GTR)
ist das freie Bindegewebstransplantat zur Rezessionsdeckung eine Methode mit hoher Erfolgsaussicht (Pini
Prato et al. 1996). Der Eingriff an sich kann auf unterschiedliche Art und Weise durchgeführt werden. Neben
der sogenannten Envelope-Technik (Raetzke 1985)
kommen laterale (Nelson 1987) und koronale Verschiebelappen (Bruno 1994) zum Einsatz. Die Erfolgsaussichten der chirurgischen Rezessionsdeckung sind in
hohem Maße vom chirurgischen Geschick des Behandlers abhängig und die Prognose auf lange Sicht noch
nicht geklärt.
Invasiv-restaurative
Therapiemöglichkeiten
Restaurative Maßnahmen zur Versorgung der vorliegenden Defekte sollten immer dann in Betracht
gezogen werden, wenn folgende Gegebenheiten vorliegen (Lambrechts et al. 1996):
Indikationen für restaurative Maßnahmen
W Ausgeprägte Zahnhartsubstanzdefekte, die den Erhalt des Zahnes gefährden
W Kariöse Läsionen, die ein restauratives Vorgehen
erfordern
Mithilfe der Säure-Ätz-Technik und eines geeigneten Dentinhaftvermittlers können auch im Zahnhalsbereich Kompositfüllungen dauerhaft und zuverlässig
appliziert werden, so dass die Beschwerden in der
Regel abklingen. Gleichzeitig können ästhetische Unzulänglichkeiten, die vom Patienten als störend empfunden werden, auf diese Art und Weise behoben werden.
Endodontische Behandlung
Die Möglichkeit der Devitalisierung und nachfolgender endodontischer Behandlung betroffener Zähne
als maximalinvasive Lösung sollte nur im Fall persistierender, schwerer Schmerzzustände in Erwägung gezogen werden. Erst nachdem alle anderen Therapiemöglichkeiten erfolglos angewandt wurden, sollte dem
Patienten diese Möglichkeit angeboten werden. Notwendig wird die endodontische Behandlung natürlich
in Fällen, in denen pulpitische Symptome vorliegen
oder aufgrund des Ausmaßes des Zahnhartsubstanzdefekts bereits eine Pulpaexposition vorliegt.
Sicherlich lassen sich durch endodontische Maßnahmen die vorhandenen Schmerzsensationen ausschalten, jedoch können gegebenenfalls auftretende
Komplikationen die Prognose des Zahnes erheblich
beeinträchtigen.
PD Dr. Christian R. Gernhardt
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Universitäts- und Poliklinik für Zahnerhaltung
und Parodontologie
Große Steinstraße 19 · 06108 Halle
W Persistierende, therapieresistente Schmerzen
W Ästhetische Faktoren
W Gefahr der Pulpaexposition bei weit fortgeschrittenen Defekten
Als Maßnahmen kommen neben den konservierenden auch prothetische Möglichkeiten in Erwägung.
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe 2010
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Sonderausgabe Pro-Argin
Die Lösung bei Dentinhypersensibilität für Sie
und Ihre Patienten – die Wirkstoffkombination
Arginin/Kalziumkarbonat
Prof. Dr. Mark S. Wolff, Morey J. Gendler, Scott W. Podell,
New York University College of Dentistry, USA
Eine große Anzahl Menschen leidet unter Dentinhypersensibilität (DHS), wobei die Zahlen zwischen
8 und 35 % der Bevölkerung schwanken (Chabanski et
al. 1997). Die mittlerweile anerkannte Definition der
Dentinhypersensibilität wurde bei einem Konsensmeeting zum Entwurf und der Durchführung klinischer
Studien (Holland et al. 1997) als „kurzer scharfer
Schmerz, der durch freiliegendes Dentin als Antwort auf
einen externen Stimulus (thermisch, evaporativ, taktil,
osmotisch oder chemisch) auftritt und keiner anderen
Form von Zahndefekt oder -pathologie zugeschrieben
werden kann“. Dentinhypersensibilität unterscheidet
sich somit von anderen Schmerzempfindlicheiten, die
durch Risse in der Zahnsubstanz, brüchigen Sanierungen, Zahnkaries oder Mikroleckagen hervorgerufen
werden.
Gysi (1900) schlug als Erster vor, dass die Schmerzempfindung bei freiliegendem Dentin durch Flüssigkeit
in den Dentintubuli ausgelöst wird. Die sogenannte
„hydrodynamische Theorie“ (Brännström 1963) postuliert, dass die Bewegung von Flüssigkeit innerhalb
durchgängiger Dentintubuli Schmerzen verursacht. Die
Kanälchen müssen durchlässig bleiben, wenn sie dem
Speichel und anderen Elementen der Mundhöhle ausgesetzt sind, um Anlass für Hypersensibilität zu geben.
(Brännström et al. 1967). Sensible Zähne weisen eine
höhere Anzahl signifikant erweiterter Dentintubuli auf
als nicht sensible (Absi et al. 1987). Eine Erklärung,
warum die durchgängigen Tubuli bei bestimmten
Patienten Hypersensibilität erzeugen, bei anderen wiederum nicht, ist nicht klar ersichtlich. Es gibt eine signifikante negative Korrelation zwischen der Ansammlung
bukkaler Plaque und dem Auftreten von Sensibilität,
was nahelegt, dass DHS nichts mit den Ablagerungen
zu tun hat (Addy et al. 1987).
Vielfach wurde klinisch beobachtet, dass Patienten
mit DHS außergewöhnlich saubere Zähne haben.
Innerhalb von Plaqueablagerungen wird das Ausmaß
der Säureproduktion, die Abnahme des pH-Werts und
ihre Dauer durch den Speichel und seine Bestandteile
reguliert (Kleinberg 1970). Der Prozess der Säureproduktion wird weithin als die Ursache für die Demineralisation der Zahnstruktur (Schmelz und Dentin)
akzeptiert. Plaqueansammlung und anschließende
Säureproduktion scheint jedoch nicht der Schlüssel zum
Auftreten von DHS zu sein. DHS entwickelt sich nach
einem anderen Mechanismus.
14
Sonderausgabe 2010
Es wurde postuliert, dass offene Dentintubuli durch
die mangelnde Fähigkeit des Speichels, einen kalzifizierten Pellikel zu bilden, sowie durch säurebedingte
Erosion oder Abrasion, z.B. durch die Zahnbürste, verursacht werden (Brännström 1992). Die Ätiologie der
DHS scheint ein multifaktorieller Prozess zu sein, im
Rahmen dessen der erste Schritt der Verlust des Zervikalschmelzes als Konsequenz einer Kombination von
Abrasion und Erosion (Addy & Pearce 1994) und/oder
Rezession des Parodontalgewebes ist, wodurch die
Oberfläche des Wurzeldentins ebenfalls exponiert wird
(Addy 2001). Der Verlust des Parodontalgewebes kann
ein Resultat abrasiver Prozesse sein, wie z.B. bei der
Bürstabrasion (Volpe et al. 1975), der professionellen
Zahnreinigung oder bei chirurgischen Eingriffen.
Schmelzerosion wird allgemein als die chemische
Auflösung und oberflächlicher Verlust der Zahnhartsubstanz beschrieben, was durch Säuren in Abwesenheit mikrobieller Plaque hervorgerufen wird (Hannig et
al. 2003). Säurebedingte Erosion, sowohl ex- als auch
intrinsisch, fand in der Kausalität von DHS Erwähnung.
Der tatsächliche Verlust der Zahnhartsubstanz kann
zusätzlich durch physikalische Abrasion (Addy 2002)
beschleunigt werden. Zitronen- und Maleinsäure sind
in vielen Früchten, Fruchtsäften und Softdrinks in einer
Konzentration von 0 – 3 % enthalten. Phosphorsäure findet sich in einer großen Anzahl Konsumentenprodukte,
wie z.B. Colagetränken, und dies in einer Konzentration
zwischen 0 und 1% (West et al. 2001). Diese Säuren
besitzen die Fähigkeit, sowohl Schmelz als auch Dentin
zu erweichen und schließlich aufzulösen, da auf der
Zahnoberfläche ein Kalziumverlust stattfindet.
Aus einer Bewertung des Einflusses von pH und Zeit
auf die Erweichung der Dentinoberfläche geht hervor,
dass das Dentin bereits bei relativ hohen pH-Werten
(6,0 – 6,2) deutlich weicher wird (Vanuspong et al. 2002).
Während epidemiologisches Datenmaterial bislang
noch fehlt, wurden durch In-situ-, In-vitro- und klinische
Studien deutliche Hinweise auf die Schmelzerosion
durch extrinsische Säuren erbracht (Zero & Lussi 2000).
Säurehaltige Mundhygiene- und Medizinprodukte, wie
z.B. Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin), wurden im Zusammenhang mit Dentinerosion diskutiert (Hellwig & Lussi
2006).
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Pro-Argin
Es gibt wenige Gründe, warum die säurebedingte
Demineralisation von Zahnschmelz nicht auch das
Dentin betreffen sollte, obwohl wahrscheinlich in einer
anderen Geschwindigkeit. Die Häufigkeit, Art (z.B.
durch den Strohhalm), Dauer und Tageszeit des Konsums beeinflussen alle das Ausmaß, in welchem Erosion
und in deren Folge Offenlegung des Dentins verursacht
werden.
Abrasion der erweichten Dentinoberfläche durch
aggressives Bürsten scheint eine zusätzliche Rolle in
diesem Prozess zu spielen. Das Zähneputzen allein,
ohne erosive Erweichung des Dentins oder die Anwendung einer Zahnpaste, wird die schützende
Schmierschicht schwerlich entfernen (Absi et al. 1992).
Obwohl Zahnpaste potenziell die Dentinoberfläche zu
einem gewissen Grad abnutzen kann, kam man zu dem
Schluss, dass sie nur einen geringen Einfluss auf den
Zahnschmelz und einen klinisch insignifikanten Einfluss
auf das Dentin hat (Hunter & West 2000). Der stärkste
Dentinverlust wird verzeichnet, wenn das Zähneputzen
(sogar ohne Zahnpaste) direkt nach einem Säureangriff
stattfindet (Absi et al. 1992). Aus diesem Grund ist eine
Empfehlung gegen das Putzen unmittelbar nach dem
Konsum säurehaltiger Lebensmittel angemessen.
Obwohl viele Patienten mit freiliegendem Dentin
DHS als Folge erosiver oder abrasiver Agentien entwickeln, geschieht dies bei Weitem nicht bei allen. Es
scheint, dass die Plaque/der Pellikel/der Biofilm auf der
Zahnoberfläche eine bedeutende Rolle in der Verhinderung der Demineralisation und im Vorantreiben der
Remineralisation spielen. Als Folge eines Säureangriffs
mag die pH-Absenkung und Solubilisierung der Dentinoberfläche stärker sein, wenn sich auf dieser Oberfläche wenig oder gar keine Plaque befindet, da Plaque
bereits lösliche und schützende KalziumphosphatBausteine enthält (Kleinberg et al. 1994).
Abrasives Zähneputzen kann tatsächlich sowohl zum
Dentinverlust wie auch zur Entfernung der schützenden
Plaqueschicht beitragen, obwohl bis heute nur wenige
Forschungsbemühungen dem Einfluss des Pellikels auf
die Dentinerosion gewidmet wurden. Eine In-vitroStudie zeigte eine Widerstandsfähigkeit gegen Säureangriffe, sobald der Biofilm weniger als eine Stunde
Zeit zu seiner Bildung hatte (Wetton et al. 2006). Der
durch den Speichel erzeugte Biofilm könnte hier
wie bei Karies in Prozesse auf der Zahnoberfläche eingreifen.
Die Rolle des Speichels bei DHS
Heute gilt als gesichert, dass Speichel vielfältige
Funktionen bei der Verhinderung von Demineralsation
und sogar beim Vorantreiben der Remineralisation hat.
Diese Funktionen beinhalten u.a. das Abpuffern von
Säuren mithilfe von Bikarbonat, Speichelproteinen und
Kalziumphosphat (Kleinberg 1970) sowie die Verdünnung und Entfernung erosiver Stoffe.
PROPHYLAXEdialog
Der proteinreiche Biofilm oder Pellikel ist zwei
Stunden nach Neubildung je nach Lage 20 – 500 nm dick
und kann mit einer Zahnbürste allein oder durch Kauen
von Lebensmitteln nicht entfernt werden. Die Fähigkeit
dieses dünnen Biofilms, Säuren zu neutralisieren, wie
auch die Remineralisation der Dentinoberfläche zu
unterstützen, erscheint extrem wichtig, wenn es darum
geht, ob ein Dentinkanal verschlossen wird oder
offenbleibt. Es war diese Tatsache, dass Speichel in
diese Prozesse eingreift, welche zur Entwicklung einer
bahnbrechenden Technologie führte. Die An- oder
Abwesenheit durchlässiger Dentintubuli hilft dabei, vorauszusagen, ob das Dentin hypersensibel auf externe
Stimuli reagiert.
Die Erforschung, wie Speichel die Remineralisation
der Zahnhartsubstanz unterstützt, vollzog sich in drei
Richtungen. Die offensichtlichste Wirkung von Speichel
auf die Kalzifizierung der Zahnoberfläche lässt sich an
der Konzentration freien Kalziums und Phosphats im
Speichel sehen. Diese beiden Komponenten würden
sich natürlich zu einem Kalziumphosphat-Komplex, genannt Zahnstein, zusammenschließen. Zahnstein findet
sich am häufigsten an den unteren Vorderzähnen. In
dieser Region tritt DHS nur äußerst selten auf. Zahnstein bildet sich, wenn der pH des Speichels ansteigt
und der Speichel somit eine Sättigung mit Bezug auf
Kalzium und Phosphat erreicht.
Die häufigste Erklärung für einen pH-Anstieg innerhalb einer sauren Plaqueumgebung ist die Anwesenheit
von Bikarbonat im Speichel. Darüber hinaus wird ein
Stoff, Präzipitin, das ein Aggregat aus Kohlenhydrat,
Protein und Kalziumphosphat darstellt (Chatterjee &
Kleinberg 1979; Kleinberg et al. 1994) im Speichel produziert und in der Plaque auf der Zahnoberfläche abgelagert. Dieses Aggregat dient nun als Phosphatreservoir für die Mineralisierung.
Es scheint darüber hinaus Prozesse zu geben, die
zur Neutralisierung des pH in der Mundhöhle beitragen
(Wijeyeweera & Kleinberg 1989). Kleinberg konnte
zeigen, dass die Aminosäure Arginin und kleine, Arginin
enthaltende Peptide für ein Ansteigen des pH mitverantwortlich sind. Diese Resultate stellten die Grundlage
einer Serie von Experimenten dar, der idealen Kombination von Arginin und Kalzium zur kontrollierten
Fällung (Präzipitation), um offene Dentintubuli wieder
zu verschließen.
Zur Findung der idealen Kombination dieser Komponenten wurden Versuche durchgeführt und deren
Erfolg an der Fähigkeit, Dentinkanäle zu verschließen,
gemessen. Ein Messverfahren, bekannt als hydraulische
Leitfähigkeitsmessung (Greenhill & Pashley 1981), bei
dem Flüssigkeit durch Dentin und andere Materialien
gepresst wird, kam zur Anwendung. Hiermit konnte
gezeigt werden, ob ursprünglich offene Tubuli verschlossen wurden.
Sonderausgabe 2010
15
Sonderausgabe Pro-Argin
Zusätzlich zu diesen Messungen wurde die Tatsache, dass an den Öffnungen der Tubuli ein pfropfenähnliches Gebilde erzeugt wurde, mit rasterelektronischen Bildern (SEM) bestätigt. Man fand heraus, dass
ein Verstopfen der Kanälchen mit Bimsmehl allein
nicht ausreichte, den Flüssigkeitsstrom zu reduzieren.
Argininbikarbonat allein, ebenso wie Kalziumkarbonat
allein und Natriumkarbonat/Kalziumkarbonat trugen
gleichfalls nicht zum Verschließen der Tubuli bei. Allein
die einmalige Anwendung einer Kombination aus
Argininbikarbonat und Kalziumkarbonat reduzierte die
Durchlässigkeit der Kanälchen und verstopfte laut
SEM-Bildern den Eingang.
In den späten Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts kam ein neues, remineralisierendes Produkt
auf den Markt, das erfolgreiche Desensibilisierung
sowohl als Zahnpaste wie auch als Paste für die Zahnarztpraxis zeigte. Es handelte sich um ein Argininbikarbonat/Kalziumkarbonat-Produkt, das eingeführt
wurde, um auf mehreren Ebenen Mineralisation voranzutreiben. Der Mechanismus des Produkts wurde wie
folgt beschrieben: „das hoch lösliche Argininbikarbonat ist von Partikel(n) schwer löslichen Kalziumkarbonats behaftet. Wegen dieser Haftung wird ein pastenähnlicher Stopfen gebildet, der seinerseits an den
Wänden der Dentintubuli haftet. Aufgrund seiner alkalischen Natur reagiert Argininbikarbonat/ Kalziumkarbonat mit den Phosphationen innerhalb der Dentinkanäle
und verbindet diesen Stopfen dadurch mit dem
Dentin“ (Kleinberg 2002).
Die klinische Dauer dieser Verschließung wurde in
einer frühen klinischen Studie nach einer einzigen
Prophylaxemaßnahme mit dieser Kombination gezeigt.
60 % der Untersuchten verhielten sich daraufhin völlig
asymptomatisch gegen einen kalten Luftstoß und
77,4 % gar gegen Berührung mit einer Sonde. Die
Zähne, die nach der Behandlung nicht symptomfrei
waren, zeigten in den meisten Fällen eine deutliche
Verbesserung (Wolff & Kleinberg 2003, unpubliziertes
Material). Klinische Studien über die zweimal tägliche
Selbstanwendung der Argininbikarbonat/Kalziumkarbonat enthaltenden Zahnpaste zeigten ähnliche
Ergebnisse.
In der zweiten Studie wurde eine Formulierung,
die Arginin, Kalziumkarbonat und 1.450 ppm Fluorid
enthielt, untersucht, wobei sich zeigte, das auch hier
eine relativ schnelle (zwei Wochen) Verringerung der
Schmerzintensität beobachtet wird (Ayad et al. 2009).
Wie in früheren Untersuchungen nahm auch hier die
Sensibilität über acht Wochen Studiendauer kontinuierlich ab.
Diese beiden Studien wie auch die Originalarbeiten
halfen dabei, ein Behandlungsprotokoll bei DHS zu
entwickeln, welches eine einzige prophylaktische Anwendung mit einer Arginin und Kalziumkarbonat enthaltenden Polierpaste beinhaltet und langanhaltende
wie auch deutliche Linderung der DHS-Symptomatik
mit sich bringt. Dauerhafte Linderung erreicht man
schließlich durch anschließendes Verwenden der Zahnpaste, die diese Wirkstoffkombination enthält.
Schlussfolgerung
DHS hat eine andere Ätiologie und Pathogenese als
Karies. Die Entwicklung von DHS steht in engem Zusammenhang mit säurebedingter Dentinerosion und
Abrasion, aber die Instandhaltung exponierter Tubuli
hängt im Wesentlichen von der Zusammensetzung des
Speichels ab. Die schützende und remineralisierende
Wirkung des Biofilms/Pellikels scheint ähnlich zu funktionieren wie bei Karies. Frühe klinische und Laborstudien zeigten, dass ein effizientes Verschließen der
Dentintubuli mithilfe der Kombination Argininbikarbonat/Kalziumkarbonat möglich ist.
Prof. Dr Mark S. Wolff
Dept. of Cariology and Comprehensive Care
NYU College of Dentistry (MC 9480)
345 East 24th Street · New York, NY 10010 · USA
Bestätigung früherer Befunde
Im Jahr 2009 wurden zwei In-vivo-Studien veröffentlicht, die im Wesentlichen die unveröffentlichten Ergebnisse von Wolff und Kleinberg wiederholten. In der
ersten Studie wurde die Wirksamkeit einer Prophylaxepaste mit 8 % Arginin in Kalziumkarbonat/Kieselgel
im Vergleich zu einer bimsmehlhaltigen Paste untersucht (Schiff et al. 2009). Diese Studie bestätigte frühere Ergebnisse, dass eine einfache Anwendung der
Prophylaxepaste schnell die Sensibilität sowohl gegen
Luftstoß als auch gegen Berührung reduziert. Die
Linderung hält etwa 28 Tage an.
16
Sonderausgabe 2010
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Pro-Argin
Mundgesundheitsbezogene Lebensqualität bei Patienten
mit freiliegenden und hypersensiblen Zahnhälsen
Dr. Katrin Bekes, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,
Prof. Dr. Christian Hirsch, Universität Leipzig
Überempfindliche Zähne infolge freiliegender
Zahnhälse sind ein häufiger Grund für Patienten,
die Zahnarztpraxis aufzusuchen. Dabei kann anhand
des objektiv vorhandenen Zahnhartsubstanzverlusts
nicht unmittelbar auf das Ausmaß der Beschwerden
geschlossen werden. Dieses erschließt sich erst,
wenn alle Beeinträchtigungen der Lebensqualität als
Folge der schmerzhaften Zähne erfasst werden. Der
vorliegende Beitrag liefert eine Übersicht zu den
Beeinträchtigungen der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität bei einer repräsentativen Patientenstichprobe aus deutschen Zahnarztpraxen.
Was heißt mundgesundheitsbezogene Lebensqualität (MLQ)?
Nicht nur in der medizinischen Versorgungsforschung im Allgemeinen, sondern auch in der zahnmedizinischen Versorgungsforschung im Speziellen hat sich
in den letzten Jahren eine intensive Beschäftigung mit
dem Begriff der „gesundheitsbezogenen Lebensqualität“ ergeben. Die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität (MLQ) ist der Teil der gesundheitsbezogenen
Lebensqualität, der sich auf das stomatognathe System
bezieht (Abb. 1). Sie beschreibt die Wahrnehmung der
Mundgesundheit durch den Patienten, versucht also
die subjektive Seite der Mundgesundheit zu charakterisieren. Indem MLQ darstellt, wie die Patienten selbst
ihre Gesundheit und die entsprechenden Behandlungsmaßnahmen erleben, liefert sie wichtige komplementäre Informationen zu den klinischen Indikatoren oraler
Erkrankungen (z.B. Indizes für Karies oder Parodontopathien) (Robinson 2003; John 2004).
Individuelle
Faktoren
den Patienten, geeignete Fragen gestellt werden. Seit
Beginn der 90er-Jahre haben verschiedene Autoren
Instrumente, d.h. Fragebögen, zur Messung des Mundgesundheitsstatus und MLQ entwickelt.
Als methodisch gut validierter und international am
weitesten verbreiteter Fragebogen hat sich zweifellos
das Oral Health Impact Profile (OHIP) etabliert. Dieses
Instrument wurde in Australien von Slade und Spencer
(1994) als ein Fragebogen mit 49 Fragen entwickelt
(Slade 1994). Der Fragebogen ist in sieben Subskalen
gegliedert. Dazu zählen: Funktionelle Einschränkungen
(neun Items), Schmerzen (neun Items), psychisches
Unwohlsein/Unbehagen (fünf Items), physische Beeinträchtigung (neun Items), psychische Beeinträchtigung
(sechs Items), soziale Beeinträchtigung (fünf Items) und
Benachteiligung/Behinderung (sechs Items). Das Instrument ist für klinische Untersuchungen gut geeignet
(Awad 2000), ist bereits in vielen klinischen Studien zum
Einsatz gekommen und wurde in viele Sprachen übersetzt: chinesisch (Wong 2002), ungarisch (Szentpetery
2006), spanisch (Lopez 2006), schwedisch (Hagglin
2007), arabisch (Al-Jundi 2007), japanisch (Yamazaki
2007), niederländich (van der Meulen 2008). Die
Notwendigkeit eines international vergleichbaren deutschen Instruments hat zur Entwicklung einer deutschen
Version des Oral Health Impact Profile (OHIP-G) geführt
(John 2002). Das OHIP-G umfasst die 49 Items des englischen Originals (OHIP-E, um es von der deutschen
Version abzugrenzen) und 4 zusätzliche Items, die spezifisch für die deutsche Bevölkerung als bedeutend
angesehen wurden und nicht im englischen Original
enthalten sind (John 2002). Das OHIP-G ist für Patienten in einem Altersbereich ab 16 Jahren einsetzbar. Mit
dem OHIP-G ist es möglich, MLQ bei deutschsprachigen Personen zu bestimmen.
Lebensqualität
Der Fragebogen setzt sich aus Fragen zusammen, die dem Patienten in folgendem
Gesundheitsbezogene Format gestellt werden: „Hatten Sie im verLebensqualität
Umweltgangenen Monat aufgrund von Problemen mit
faktoren
Ihren Zähnen, im Mundbereich oder mit Ihrem
MundgesundheitsZahnersatz Schwierigkeiten beim Kauen von
bezogene LebensNahrungsmitteln?“ Die Patienten haben die
qualität (MLQ)
Möglichkeit, ihre Antwort zur Häufigkeit eingeschränkter Lebensqualität auf einer Mehrstufenskala anzugeben. Diese umfasst folgende AbAbb. 1: MLQ ist eingebettet in die allgemeine Lebensqualität
(nach John et al. 2003).
stufungen: „nie“ 0, „kaum“ 1, „ab und zu“ 2, „oft“ 3
und „sehr oft“ 4. Es werden also das Problem an sich
und dessen Schwere evaluiert. Aus den 49 Fragen und
Die MLQ ist ein multidimensionales Konstrukt, das
4 Schweregraden resultiert ein Gesamtscore zwischen
nicht direkt erfasst, sondern nur in seinen Teilbereichen
„0“ bis maximal „196“. Dabei bedeutet der Gesamtüber Indikatoren abgebildet werden kann. Um solche
score „0“ die Abwesenheit jeglicher mundgesundheitsKonstrukte zu erfassen, müssen der Zielperson, also
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe 2010
17
Sonderausgabe Pro-Argin
bezogener Probleme. Höhere Punktzahlen bedeuten
einen stärkeren negativen Einfluss auf die MLQ. Die
stärkste Einschränkung der MLQ wird durch den Wert
„196“ ausgedrückt, nämlich dann, wenn alle Probleme
„sehr oft“ erlebt werden. Für die Auswertung des
Fragebogens steht dem Anwender eine Tabelle bevölkerungsrepräsentative Normwerte zur Verfügung, mit
denen der gewonnene Patientenwert eingeordnet, verglichen und bewertet werden kann.
Wie wirken sich einzelne orale
Erkrankungen auf die MLQ aus?
Einschätzungen der MLQ sind in der Literatur
bereits für unterschiedliche Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten erhoben worden. Dazu gehören z.B. der
Zahnverlust infolge von Karies und Parodonthopathien
(Strauss 1993), Mundschleimhautveränderungen und
das sogenannte Burning-Mouth-Syndrom (Larsson
2004; Lopez-Jornet 2009), kieferorthopädische Anomalien (de Oliveira 2004; Bernabe 2008) oder LippenKiefer-Gaumenspaltungen (Sinko 2005). Auch in
Deutschland hat es bereits einige Untersuchungen
gegeben. Studien darüber liegen vor, z.B. bei Patienten
mit orofazialen Schmerzen (John 2007), bei Auswirkungen von oralen Erkrankungen im Kindesalter (Hirsch
2000) oder Patienten mit Totalprothesen (John 2004).
Die Ergebnisse zeigen, dass Erkrankungen in der
Mundhöhle und Erkrankungen der Zähne und Zahnersatz eine hohe psychosoziale Bedeutung für große
Teile der Bevölkerung haben. Nicht nur der positive
Einfluss auf funktionelle Aspekte wie Kauen und
Sprechen wird deutlich, sondern auch der Einfluss auf
das Aussehen, auf Lächeln und Lachen sowie Wohlbefinden und Selbstvertrauen wird von den Befragten
angegeben. Mundgesundheit ist also ein wichtiger Einflussfaktor für die Allgemeingesundheit.
Welchen Einfluss hat das
Beschwerdebild der freiliegenden
hypersensiblen Zahnhälse auf die
MLQ?
Das Beschwerdebild der zervikalen Dentinhypersensibilität hat in der Zahnheilkunde in den letzten
Jahren an Bedeutung gewonnen, da es in der erwachsenen Bevölkerung ein zunehmendes Problem darstellt,
mit dem der Zahnarzt in der Praxis konfrontiert wird
(Abb. 2). Die Prävalenz in der Erwachsenenpopulation
reicht von 4 % bis hin zu 57 % (Orchardson 2006).
Jedoch können in der Literatur auch Extremwerte bei
parodontal geschädigten Patienten wie 60 – 98 % gefunden werden (Chabanski 1997). In einem nationalen
Survey in Deutschland (2001) gaben 39 % der Befragten
an, dass sie im vergangenen Monat unter schmerzempfindlichen Zähnen litten (John 2003).
18
Sonderausgabe 2010
Abb. 2:
Freiliegende Zahnhälse, die sensibel
auf externe Reize
reagieren können
Die Dentinüberempfindlichkeit ist charakterisiert
durch kurze, starke Schmerzsensationen, die durch
bestimmte Stimuli ausgelöst werden. Solche Stimuli
können Berührung (taktile Stimulation), Hitze oder Kälte
(thermale Stimulation), Kontakt mit osmotisch aktiven
Lösungen (z.B. konzentrierte Zuckerlösungen) oder das
Verdampfen von Flüssigkeit auf Dentin sein (Dababneh
1999). Demnach klagen die Patienten über Schmerzen
beim Genuss heißer oder kalter Speisen und Getränke
(Kaffee, Speiseeis etc.), beim Zähneputzen und manchmal sogar beim Atmen. Meist klingen diese nach
erfolgter Reizeinwirkung schnell und vollständig ab.
Die betroffenen Patienten äußern unterschiedliche
Beschwerden, die von leichten Missempfindungen bis
zu massiven Schmerzzuständen reichen und stark von
der individuellen Schmerzempfindung bzw. -toleranz
sowie emotionalen und physischen Faktoren abhängen
(McGrath 1986). Diese Einschränkungen spielen aus
der Perspektive des Patienten eine große Rolle, denn
sie haben für diesen einen Einfluss auf seine Lebensqualität (Locker 1988).
Die Ätiologie der Dentinhypersensibilität ist multikausal. Die Schmerzen werden an freiliegendem Dentin
ausgelöst, das nicht durch Schmelz, Wurzelzement oder
Gingiva abgedeckt ist oder nicht durch eine Restauration vor äußeren Reizen geschützt wird. Ursachen für
den Schmelzverlust können Erosionen, Attritionen,
Abrasionen oder Kombinationsformen sein. Dabei wird
speziell im Zahnhalsbereich das Vorkommen freiliegenden Dentins besonders begünstigt: Die Schmelzschichtdicke ist im Zervikalbereich sehr dünn, das
weichere Wurzelzement ist abrasionsanfällig, und
häufig fehlt im Bereich des Zahnhalses bereits bei
der Zahnentwicklung eine Hartsubstanzabdeckung.
Darüber hinaus kann die Freilegung der Wurzeloberfläche (Gingivarezession) durch eine inadäquate
Mundhygiene, abrasive Zahnpasten, akute oder chronische parodontale Erkrankungen, Parodontalbehandlungen (Scaling etc.) sowie chronisches Trauma aufgrund von Gewohnheiten begünstigt werden (Dowell
1983). Durch die Freilegung von Dentinflächen kommt
es automatisch zur Exposition und Öffnung der Dentintubuli. Die Exposition der Dentinoberfläche mit offenen
Tubuli ist die Grundvoraussetzung für das Auftreten
des Beschwerdebildes (Brännström 1986). Nach dem
gegenwärtigen Stand der Kenntnisse werden die
Schmerzsensationen durch rasche Bewegungen von
Flüssigkeit in den Dentintubuli ausgelöst (Brännström
1986).
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Pro-Argin
OHIP-G49 Summenwert
Die Patienten wurden bei ihrer ersten Vorstellung
in der Praxis zu ihrer mundgesundheitsbezogenen
Lebensqualität befragt. Diese wurde anhand der deutschen Version des Oral Health Impact Profile (OHIP-G)
erfasst. Die gewonnen Werte der Patienten wurden mit
einem Datensatz von 1.541 Personen aus einer bundesweiten Erhebung in der Allgemeinbevölkerung vergleichend bewertet (John 2003). Die Auswertung der
Fragebögen ergab, dass Patienten mit hypersensiblen
Zahnhälsen eine wesentlich stärker eingeschränkte
MLQ im Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung
zeigen (Abb. 3).
100
Allgemeinbevölkerung
Patienten
wurde als praktisch geringfügig eingeschätzt. Frauen
hatten hier offensichtlich mehr Probleme als Männer.
Dies steht im Gegensatz zur Allgemeinbevölkerung, in
der Männer höhere OHIP-Summenwerte aufweisen als
Frauen. Darüber hinaus konnte unabhängig vom Alter
in allen Altersklassen ein signifikanter Unterschied zwischen der Allgemeinbevölkerung und der Patientenklientel gefunden werden (Abb. 4).
40
36,0
33,1
OHIP-G Summenwert
Im Rahmen einer multizentrisch angelegten Anwenderstudie wurden die Einschränkungen der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Patienten,
die sich wegen hypersensibler Zahnhälse in ihrer Zahnarztpraxis vorstellten und eine Behandlung suchten,
charakterisiert (Bekes 2009). Teilnehmer dieser Studie
waren 724 erwachsene Patienten (Durchschnittsalter
42,8 +/– 13,0 Jahre, 76,9 % Frauen) mit hypersensiblen
Zähnen aus 163 Zahnarztpraxen. Von den 724 Patienten
wiesen 667 (92,1 %) keinen herausnehmbaren Zahnersatz auf. Von ihnen gaben 656 Patienten einen kompletten Datensatz ab. Diese Personen wurden in die
Studie einbezogen.
30
20
14,3
10,7
10
0
< 40 Jahre
40+ Jahre
Allgemeinbevölkerung
< 40 Jahre
40+ Jahre
Patienten
Abb. 4: Unterschiede in der MLQ bei Patienten mit hypersensiblen Zahnhälsen und der Allgemeinbevölkerung in den
unterschiedlichen Altersklassen
Welche Schlussfolgerungen ergeben
sich?
50
0
Abb. 3: Unterschiede in der MLQ bei Patienten mit hypersensiblen Zahnhälsen und der Allgemeinbevölkerung
Während die Probanden aus der Allgemeinbevölkerung einen mittleren OHIP-Summenwert von 12,2
Punkten (+/– 18,4) aufweisen, wurden für die Studienpatienten ein mittlerer OHIP-Summenwert von 34,5
Punkten (+/– 22,6) errechnet. Dieser Unterschied von
22,3 Punkten war statistisch signifikant. Patienten mit
hypersensiblen Zahnhälsen weisen folglich eine fast
dreimal stärker eingeschränkte MLQ im Vergleich zur
Allgemeinbevölkerung auf.
Die fünf am häufigsten beantworteten Fragen aus
dem Fragenkatalog waren: „empfindliche Zähne“
(n = 272; 50,7 %), „Speisreste an den Zähnen festgesetzt“ (n = 134; 25,0 %), „es war unangenehm, bestimmte Nahrungsmittel zu essen“ (n = 90; 16,8 %),
„sich Sorgen gemacht wegen Zahnproblemen“ (n = 88;
16,4 %), „Schmerzen am Zahnfleisch“ (n = 83; 15,5 %).
Unterschiede in der MLQ zwischen den Geschlechtern waren bei den Patienten kaum vorhanden. Zwar
war der Unterschied von 2,8 im Mittel bei den Patienten
statistisch signifikant (p = 0,003), aber der Unterschied
PROPHYLAXEdialog
In zunehmendem Maße sollte der Fokus wissenschaftlicher Studien darauf gerichtet sein, den Effekt
oraler Erkrankungen auf die individuelle Lebensqualität
zu untersuchen. Das Konzept der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität bietet für die Zahnmedizin
die Möglichkeit, die Sicht vom Zahn bzw. Mund auf den
Patienten selbst zu erweitern und damit zu einer umfassenderen Bewertung oraler Erkrankungen beizutragen.
Dem klinischen Forscher steht folglich ein Werkzeug
zur Gewinnung patientenbezogener Ergebnisse zur Verfügung. Die gewonnenen Daten können andere klinisch
erhobene Parameter, sinnvoll ergänzen.
Hypersensible Zahnhälse sind bei Erwachsenen aller
Altersstufen ein häufig auftretendes Problem. Die
Zähne können empfindlich auf Kälte, Hitze, Säuren,
Süßigkeiten oder Druck reagieren. Diese Beschwerden
spielen aus der Perspektive des Patienten eine große
Rolle. Mithilfe des Fragebogens konnte erstmals manifest gemacht werden, dass hypersensible Zähne zu
einer starken Beeinträchtigung des allgemeinen Wohlbefindens führen. Vom Ausmaß her sind diese Beeinträchtigungen vergleichbar mit denen, die durch andere orale Erkrankungen, wie z.B. kraniomandibuläre Dysfunktionen, verursacht werden.
Dr. Katrin Bekes
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Universitäts- und Poliklinik für Zahnerhaltung
und Parodontologie
Harz 42a · 06108 Halle
Sonderausgabe 2010
19
Sonderausgabe Pro-Argin
Behandlung von Dentinhypersensibilität: Produkt für die
Zahnarztpraxis im PE-Programm Dänemark, Norwegen,
Schweden evaluiert
Dr. Kaj Stoltze, Københavns Universitet, Kopenhagen, Dänemark
Einführung
Dentinhypersensibilität (DHS) wird gewöhnlich vom
Zahnarzt durch die Empfehlung einer desensibilisierenden Zahnpaste oder durch Produkte zur Blockierung
oder Verengung der Dentintubuli in der Praxis behandelt. Das Verengen oder Verschließen der Tubulieingänge ist von sofortigem Nachlassen der Schmerzsymptome begleitet, während die meisten Desensibilisierungsprodukte mindestens zwei Wochen lang angewendet werden müssen, bevor sich ein Effekt zeigt. Aus
diesem Grund werden immer häufiger Produkte in der
Zahnarztpraxis verwendet, um Prozeduren wie Zahnsteinentfernung und Wurzelglättung für die Patienten
weniger unangenehm zu machen.
Eine neue, einfach anzuwendende, desensibilisierende Polierpaste, für die Praxis entwickelt, wirkt durch
Verschließen der offenliegenden Dentintubuli und
bietet sofortige Abhilfe für DHS, wenn sie direkt vor
oder nach der Zahnsteinentfernung angewendet wird.
Die Paste enthält die Wirkstoffkombination Arginin/
Kalziumkarbonat. Die hier vorgestellte, in Zahnarztpraxen durchgeführte Studie hatte zum Ziel, unter realen Bedingungen mit echten Patienten herauszufinden,
ob die neue Technologie tatsächlich die Symptome
hypersensibler Zähne sofort und merklich mindert.
Studienbedingungen
Die Studie wurde in 33 Zahnarztpraxen in Dänemark (18 Praxen, 110 Patienten), Norwegen (7 Praxen,
52 Patienten) und Schweden (8 Praxen, 47 Patienten)
durchgeführt. Die teilnehmenden Zahnärzte und Dentalhygieniker wurden gebeten, die neue Polierpaste an
Patienten anzuwenden, die unter DHS litten. Vor der
Anwendung des Produktes wurden die Zähne mittels
eines kalten Luftstoßes auf DHS getestet (Air-blastMethode). Hierbei wurden einzelne Zähne oder Oberflächen einem kalten Luftstoß ausgesetzt, während
benachbarte Zähne durch die Finger des Zahnarzts
abgeschirmt wurden. Die Patienten wurden gebeten,
das Ausmaß der empfundenen Schmerzen nach dem
Stimulus wie folgt einzuordnen: kein, leichter, mäßiger
oder starker Schmerz. Diese Einordnung wurde in eine
Schmerzskala zwischen 0 (kein Schmerz) und 3 (starker
Schmerz) übertragen. Anschließend wurde die Polierpaste mithilfe eines Weichgummipolierkelchs für
3 Sekunden angewendet. Die Zähne wurden daraufhin
erneut mit dem kalten Luftstoß getestet und das
Ausmaß des Schmerzes wie zuvor erfasst.
20
Sonderausgabe 2010
Nach der anschließenden Zahnsteinentfernung und
Wurzelglättung wurden die Patienten gebeten, sich
dazu zu äußern, ob sie diese Behandlung als „genauso“, „weniger“ oder „viel weniger“ unangenehm empfanden, verglichen mit früheren Erfahrungen.
Die Datenerfassung und -auswertung wurde mithilfe
des Statistical Analysis System (SAS Institute Inc.
Raleigh, North Carolina, USA) vorgenommen. Bei der
statistischen Analyse wurde der Wert auf der
Schmerzskala als Beobachtungsgröße verwendet. Der
chi-Quadrat-Test wurde zur Auswertung des Effekts der
Behandlung auf die Sensibilität angewendet. Weil
jedoch mehr als ein Zahn von ein und demselben
Patienten in die Analyse einbezogen wurde, kann
zumindest theoretisch eine gewisse Abhängigkeit der
Ergebnisse voneinander nicht ausgeschlossen werden.
Die tatsächlich Anzahl getesteter, hypersensibler Zähne
eines einzelnen Patienten variierte zwischen 1 und 12.
Um dies bei der Auswertung zu berücksichtigen, wurde
der Mittelwert aller von einem Patienten erhaltenen
Daten in der Größe „Patientenschmerz“ zusammengefasst. Die Beobachtungsgröße ist somit der individuelle Patient. Ein generalisiertes Linearmodell (GLM)
wurde angewendet, um die statistische Signifikanz der
Unterschiede im Patientenschmerz vor und nach der
Behandlung zu evaluieren.
Ergebnisse und Diskussion
Zehn Patienten mit unvollständigem Datensatz wurden von der statistischen Auswertung ausgeschlossen,
daher wurden schließlich 199 Patienten mit insgesamt
893 hypersensiblen Zähnen aus den Registrierungen in
33 Zahnarztpraxen analysiert. Die Patienten, welche in
dänischen oder norwegischen Praxen untersucht
wurden, zeigten vor der Behandlung einen leicht höheren Patientenschmerz als diejenigen aus Schweden
(p < 0,003). Diese Beobachtung könnte einfach durch
geringe und klinisch insignifikante Unterschiede in der
Zusammensetzung der Patientengruppen bedingt sein.
Nach der Behandlung wurden jedoch keine statistisch
relevanten Unterschiede in der Variable „Patientenschmerz“ gefunden.
Nach der Anwendung der Polierpaste wurde ein
deutlicher Rückgang der Schmerzempfindlichkeit
gegen den kalten Luftstoß verzeichnet, was sich auf
der Schmerzskala widerspiegelt (p < 0,0001, siehe
Abb.) Insgesamt 610 von 893 Zähnen waren nach der
Behandlung weniger schmerzempfindlich, was einem
Prozentsatz von 68,3 % entspricht.
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Pro-Argin
%
60
Nach der Anwendung
Vor der Anwendung
436
50
404
40
30
333
233
20
156
174
10
0
Effekt auf Beschwerden während
der professionellen Zahnreinigung
50
1
0
2
Der chi-Quadrat-Test zeigte eine signifikant unterschiedliche Verteilung des Effekts auf verschiedene
Schmerzlevel vor der Behandlung. Der schmerzstillende
Effekt der neuen Polierpaste ist demnach signifikant
größer, wenn die Schmerzwahrnehmung zuvor hoch
war (p < 0,0001). Der Grund für diese Unterschiede auf
der Schmerzskala könnte darin liegen, dass geringe
Unterschiede in der Schmerzwahrnehmung schwer zu
quantifizieren sind, was insbesondere dann der Fall ist,
wenn die Schmerzen ohnehin leicht sind.
3
Schmerzskala
Verteilung der Schmerzwahrnehmung ab 893 Zähnen vor (rot)
und nach (blau) der Behandlung mit einer Arginin und
Kalziumkarbonat enthaltenden Polierpaste (chi-Quadrat =
163,6, df: 6, p < 0,0001).
Die Variable „Patientenschmerz“ zeigte nach der
Behandlung einen Rückgang des Durchschnittswerts
von 2,22 auf 1,07. Dies entspricht einem Rückgang der
Schmerzwahrnehmung von 51,8 % (p < 0,0001).
Die Tabelle zeigt die Patientendaten gruppiert nach
„leichtem“ (Schmerzskala = 1), „mäßigem“ (> 1 und
= 2) sowie „starkem“ (> 2 und = 3) Schmerz neben der
Anzahl der Patienten, bei denen eine Veränderung der
Schmerzwahrnehmung nach der Behandlung mit der
Arginin und Kalziumkarbonat enthaltenden Polierpaste
verzeichnet wurde. In keinem Fall wurde nach der
Behandlung eine Intensivierung des Schmerzes beobachtet.
Patientenschmerz
vor der
Behandlung
Anzahl der Patienten mit veränderter Schmerzwahrnehmung
nach der Behandlung
Abnahme
keine Abnahme
leicht
2 (14,3 %)
12 (85,7 %)
mäßig
59 (65,6 %)
31 (34,4 %)
stark
88 (92,6 %)
7 (7,4 %)
Achtundzwanzig Patienten mit unvollständigem
Datensatz wurden vom Vergleich „Beschwerden bei der
professionellen Zahnreinigung“ ausgeschlossen. Von
den verbleibenden 171 Patienten vermeldeten 130
(76 %), dass sie Zahnsteinentfernung und Wurzelglättung nach der Anwendung der Arginin und Kalziumkarbonat enthaltenden Polierpaste als weniger unangenehm empfunden hätten, verglichen mit vorherigen
Erfahrungen.
Schlussfolgerungen
Die hier vorliegende, in Zahnarztpraxen durchgeführte Studie zeigt deutlich, dass die Wirkstoffkombination aus Arginin und Kalziumkarbonat schnelle,
klinisch und statistisch signifikante Abhilfe bei Dentinhypersensibilität zeigt (p < 0,0001). Die Behandlung
mit der neuen Polierpaste wurde von einer sofortigen
Schmerzlinderung bei 68,3 % der untersuchten hypersensiblen Zähne begleitet. Der Nutzen dieser Behandlung ist eindeutig umso deutlicher, je empfindlicher die
Zähne vor der Anwendung sind. Schließlich zeigt die
vorliegende Studie, dass 76 % der Patienten nach der
Behandlung die professionelle Zahnreinigung mit Zahnsteinentfernung wie auch Wurzelglättung als weniger
unangenehm empfanden.
Dr. Kaj Stoltze
Odontologisk Institut · Tandlægeskolen
Københavns Universitet
Nørre Allé 20 · 2200 København · Dänemark
Anzahl der Patienten (n = 199), die eine Veränderung in der
Schmerzwahrnehmung nach der Anwendung der Arginin und
Kalziumkarbonat enthaltenden Polierpaste zeigten (chiQuadrat = 47,4, df: 2, p < 0,0001).
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe 2010
21
Sonderausgabe Pro-Argin
Überblick über die Durchführung klinischer Studien
zur Bewertung desensibilisierender Produkte gegen
Dentinhypersensibilität
Dr. David G. Gillam, Institute of Dentistry, Barts and the London School of Medicine and Dentistry,
Großbritannien
Einführung
Vor der Veröffentlichung der Empfehlungen von
Holland et al. (1997) schien es lediglich einen begrenzten Konsens zur Durchführung von Studien zu geben,
welche die Wirksamkeit desensibilisierender Produkte
zur Behandlung von Dentinhypersensibilität (DHS)
untersuchten. Als Folge wurde es immer schwieriger,
die klinischen Resultate der bereits publizierten Studien
zu der Vielfalt der Produkte gegen DHS zu bewerten.
Die nachfolgende Ungleichheit zwischen den diversen
Behandlungsmöglichkeiten lag wahrscheinlich teilweise
an den unterschiedlichen Studienbedingungen, der
Auswahl der Teilnehmer und der verschiedenen experimentellen Bedingungen in den einzelnen Studien.
DHS manifestiert sich als episodenhaft auftretende
oder chronische Beschwerden, unter denen bis zu 69 %
aller Menschen leiden (Gillam & Orchardson 2006).
Viele Betroffene sehen ihre Lebensqualität durch DHS
ernsthaft beeinträchtigt (Bekes et al. 2009). Da sowohl
die Natur des Reizes, der die Beschwerden auslöst, wie
auch die individuelle Schmerzbewertung subjektiv sind,
ist es für den Kliniker extrem schwer, das Ausmaß der
Erkrankung objektiv zu bewerten, wenn der Patient in
der klinischen Umgebung untersucht wird. Die Bewertung der Schmerzantwort, wenn die Wirksamkeit desensibilisierender Produkte untersucht wird, ist zusätzlich durch Hawthorne- und Placeboeffekt erschwert.
Weitere beeinflussende Faktoren sind nicht hinreichende statistische Signifikanz und auch mangelnde Standardisierung der Methoden in klinischen Untersuchungen zu Behandlungserfolgen.
Nach Gillam et al. (2000) ist die Bewertung von DHS
in klinischen Studien immer subjektiv auf der Basis der
individuellen Reaktion der Studienteilnehmer auf den
jeweiligen Stimulus (taktil und/oder thermisch). So wird
z.B. die Schmerzempfindung mithilfe von Fragebögen
verbal oder visuell eingeordnet. Holland et al. (1997)
empfehlen, dass DHS danach bewertet werden sollte,
welche Reizintensität nötig ist, um Schmerz hervorzurufen (stimulus-based assessment) oder als subjektive
Bewertung des Schmerzes, der durch einen Reiz verursacht wird (response-based assessement). Stimulusbased-Methoden beinhalten die Messung der Schmerzschwelle, Response-based-Methoden die Einschätzung
des Schmerzausmaßes.
22
Sonderausgabe 2010
Evidenz für die Wirksamkeit
desensibilisierender Produkte
Nach den Richtlinien des ADA (Council on Scientific
Affairs 1998) für desensibilisierende Produkte sind
Hersteller gehalten, Daten aus mindestens zwei (unabhängigen) klinischen Doppelblindstudien einzureichen,
die einen statistisch signifikanten Effekt der Wirkstoffe
auf DHS beweisen. Weiterhin müssen Verweise auf alle
veröffentlichten Studien, die eben diese Wirksamkeit
nicht zu belegen vermögen, enthalten sein. Klinische
Daten aller firmeneigenen Studien, einschließlich solcher, die keine Wirksamkeit beweisen, müssen bei
der Einreichung ebenfalls vorgewiesen werden. Das
Gremium gibt ferner an, dass in beiden eingereichten
Studien eine 20 %ige statistische Signifikanz zwischen
Kontroll- und Testgruppe für einen Sensibilitätsindex
bestehen sollte. Während Holland et al. (1997) dagegen zustimmen, den Behandlungserfolg in Form der
klinischen Symptomreduzierung auszudrücken, wird die
Bewertung in Form allein der statistischen Signifikanz
als fragwürdig eingestuft.
Eine weitere Bedingung der Richtlinien ist, dass,
falls irgendwelche zusätzlichen Indizes in klinischen
Studien zur Anwendung kämen, wie z.B. ein thermischer Stimulus, es einen statistischen Effekt zugunsten
der Testgruppe geben sollte.
Studiendesign und Auswahl der
Kontrolle
Es sollte erwähnt werden, dass Studien mit der
Erklärung von Helsinki (1996; 2000 abgeändert) konform gehen. Dies ist generell die Basis für ethische
Zulassung und Durchführung der Studie. Studien sollten ferner nach den ICH/GCP-Richtlinien durchgeführt
werden (1996). Das Studiendesign ist eine Beschreibung dessen, wie Patienten im Zusammenhang mit
Selektion, Behandlung und Bewertung in die Studie
integriert werden (Raven 1993). Für den vorliegenden
Artikel soll daher die Wichtigkeit der korrekten Auswahl
von Studienteilnehmern, Einschluss- und Ausschlusskriterien, die Anwendung und Messung von Stimuli zur
Bewertung von DHS, die Messergebnisse, angemessene Kontrollen und die Handhabung wie auch Interpretation statistischer Daten zur Sprache kommen.
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Pro-Argin
Die Durchführung einer Studie ist eine sehr zeitaufwändige und kostspielige Angelegenheit sowohl für
den Hersteller des Produkts wie auch die involvierten
Forscher. Aus diesem Grund sollten Studien generell
gut geplant und korrekt durchgeführt werden.
Ein inhärentes Problem klinischer Studien ist das
Auftreten von Placebo- und/oder Hawthorne-Effekt,
welche die Ergebnisse verfälschen können (Gillam
1997; Addy et al. 2007). Dies gilt insbesondere
für Schmerzstudien, wie z.B. Wirksamkeitsstudien an
Patienten mit DHS. Um diese Verfälschung auszuschließen, empfiehlt sich ein placebokontrolliertes,
doppelt verblindetes Studiendesign (Jeffcoat 1993;
Holland et al 1997; ADA 1998). In diesem Studientyp
werden Probanden zufällig entweder der Test- oder der
Kontrollgruppe zugeordnet. Die Unterschiede der
Ergebnisse beider Gruppen bestimmt schließlich die
signifikante Wirksamkeit bei der Testgruppe. Das
Design ist einfach und erfordert anfangs nur minimales
Wissen über die Ursachen der Krankheit in beiden
Gruppen. Allerdings sollte erwähnt werden, dass die
zufällige Randomisierung zu einer ungleichen Verteilung von Hochrisikopatienten in den beiden Gruppen
führen kann, wobei dies eher in Studien mit weniger als
30 Teilnehmern zum Tragen kommt.
Stratifizierungstechniken können angewendet werden, um für einen Ausgleich zwischen den Gruppen zu
sorgen. Gewöhnlich stratifiziert man potenziell Störvariablen, wie z.B. Anzahl der Zähne, Baseline-Empfindlichkeitslevel, Alter, Geschlecht etc. Vom praktischen Standpunkt her ist es einfacher, jedem Teilnehmer individuell eine Behandlung zuzuordnen.
Dieser Studientyp wurde für klinische Studien empfohlen, in denen sowohl In-office- wie auch frei verkäufliche
Produkte getestet werden, obwohl für den Fall von
DHS auch Cross-over- und Split-mouth-Studien (Gillam
1997) angewendet wurden.
Ein Studiendesign mit einer Vorbehandlungsphase,
in der die Teilnehmer in Test- und Kontrollgruppe randomisiert werden und so ermöglichen, dass der behandelte Teilnehmer als eigene Kontrolle fungiert, wie auch
ein solches, in dem dieser Teilnehmer mit der randomisierten Kontrollgruppe und anderen Gruppen verglichen wird, kann bei Studien über DHS ebenfalls zur
Anwendung kommen (Page et al. 1995). So kann es z.B.
von Vorteil sein, den Sensibilitätsstudien eine zwei- bis
vierwöchige Vorstudienperiode vorzuschalten, in denen
die Teilnehmer die Methoden der Schmerzerfassung
kennenlernenn können (Visual Analogue Scales, VAS),
während sie eine Placebo- oder lediglich fluoridhaltige
Zahnpaste benutzen. Man sollte erwarten, dass am
Ende einer solchen Phase die Teilnehmer verstehen,
was von ihnen bei der Schmerzerfassung erwartet wird,
dass Teilnehmer mit „realer“ Schmerzemfindlichkeit
erkannt werden. Die Teilnehmer, die nach der Vorstudienphase die Eingangskriterien für die Studie erfüllen, werden schließlich zugelassen. Ein Nachteil dieses
Studiendesigns ist jedoch, dass zusätzlich Zeitaufwand
und Kosten entstehen.
PROPHYLAXEdialog
In der Literatur wurde über weitere Studientypen
berichtet, die eine Begleittherapie (z.B. durch Anwendung kaliumhaltiger Mundspülungen vor dem Zähneputzen mit fluoridierter Zahnpaste) beinhalten (Gillam
et al. 1996a; Yates et al.1998). Dieser Studientyp, der
häufig bei der Untersuchung antrimikrobieller Medikamente zur Anwendung kommt, wurde soweit nicht
routinemäßig für DHS Studien eingesetzt, obwohl die
Integration eines solchen Studienprotokolls zur Erfassung zusätzlicher Daten von Vorteil wäre. Hier könnte
man z.B. den zusätzlichen Effekt über die Benutzung
einer fluoridierten Zahnpaste studieren.
Probandenzahl
Die Probandenzahl hängt vom Signifikanzniveau,
dem Level wie auch dem Typ des Fehlers, der als
akzeptabel hingenommen wird, und auch von der
Standardabweichung der untersuchten Prüfvariable ab.
So wurde für die meisten Studien eine Potenz von 80 %
ausgewählt, um einen Effekt innerhalb einer statistischen Signifikanz von 5 % zu erreichen. Für dieses Beispiel wäre die Wahrscheinlichkeit für einen Typ-II-Fehler
20 %. Die Probengröße kann deshalb bestimmt werden,
indem man diese Faktoren in Betracht zieht. In der
Realität kann jedoch zwischen der idealen Anzahl
Studienteilnehmer (bestimmt durch die Statistik) und
einschränkenden Variablen wie Zeitaufwand, Kosten
und Verfügbarkeit der Teilnehmer abgewogen werden.
Die Anzahl der Teilnehmer, die für die Studie rekrutiert
bzw. in die Studie aufgenommen werden, die erwartete
Dropout-Rate (z.B. 10 %) und die Anzahl der Teilnehmer, die an der Studie bis zum Ende teilnehmen,
sollte im Protokoll angegeben werden (ICH-Richtlinien
für statistische Prinzipien in klinischen Studien 1998).
In den meisten Studien, die zur Untersuchung der Wirksamkeit von Desensibilisierungsprodukten durchgeführt wurden, waren die Gruppen etwa 25–50 Teilnehmer stark.
Auswahl der Studienteilnehmer und
der Testregionen
Die meisten Kliniker würden wahrscheinlich zustimmen, dass die Rekrutierung von Probanden für DHSStudien mit Schwierigkeiten verbunden ist, was unterschiedliche Gründe hat: Zum einen befindet sich die
schmerzempfindliche Region normalerweise auf der
Bukkal- oder Facialseite der Zähne, und immer wieder
bringen Kliniker z.B. Dentinbindungsmaterial oder
Glas-Ionomer-Zement an, um nicht-kariöse Defekte am
Zahnhals zu restaurieren. Dieses Vorgehen kann die
Anzahl für den Untersucher zur Verfügung stehender
Regionen einschränken. Ein weiterer Grund liegt in der
Natur der Dentinhypersensibilität selber, und zwar
sowohl in ihrem zeitlichen Verlauf (Phasen der Beschwerdefreiheit) wie auch der Schmerzantwort beim
Screening. Darüber hinaus limitiert die Genauigkeit der
Einschluss-/Ausschlusskriterien die Anzahl ScreeningTeilnehmer auf der Basis dentaler oder medizinischer
Gründe.
Sonderausgabe 2010
23
Sonderausgabe Pro-Argin
Es ist ferner erwähnenswert, dass Unterschiede
darin bestehen, ob man Teilnehmer aus einer Zahnarztpraxis, aus einer Zahnklinik (wo Röntgenbilder verfügbar sind) oder in einer klinischen Forschungseinrichtung, wo man die klinische Anamese der Teilnehmer
nicht notwendigerweise kennt und sich deshalb auf die
Auskünfte der Kandidaten verlassen muss, rekrutiert.
Idealerweise sollten die Teilnehmer gesunde Menschen
mit einer bekannten Vorgeschichte schmerzempfindlicher Zähne sein.
Immer wieder gibt es Patienten, die angeben, unter
DHS zu leiden, bei denen jedoch aus der Vorgeschichte
hervorgeht, dass sie keine desensibilisierende Zahnpaste verwenden. Diese können jedoch positiv auf die
Anwendung von Stimuli reagieren. Sowohl vom ADA
Akzeptanzprogramm (1998) als auch von Holland et al.
(1997) wird aus der Erfahrung mit früheren Studien
empfohlen, dass nur Schneidezähne, Eckzähne und
Prämolare in Studien einbezogen werden sollten. Allerdings geht aus den bereits publizierten Studien hervor,
dass die ersten Molaren ebenfalls in das Program aufgenommen werden können (Gillam et al. 1996a; 2002).
Zweite und dritte Molare werden normalerweise jedoch
nicht einbezogen, da vor allem der taktile Stimulus mithilfe einer Sonde (Yeaple Probe) aufgrund schlechter
Zugänglichkeit der Testregion problematisch ist. Die
Teilnehmer brauchen ein Minimum von zwei geeigneten Zähnen zur Beurteilung, und normalerweise müssen
auch beide schmerzempfindlich auf die angewendeten
Stimuli reagieren, damit der Teilnehmer in die Studie
aufgenommen werden kann.
Einschluss- und Ausschlusskriterien
Die Studienteilnehmer werden normalerweise in
Anerkennung eines von einer Ethikkommission (IRB)
bewilligten Protokolls rekrutiert. Die Zielpersonen für
die vorliegende Übersicht werden Menschen sein, bei
denen eine Vorgeschichte der Dentinhypersensibilität
nachgewiesen ist. Diejenigen Teilnehmer, welche die
Eingangskriterien erfüllen, können dann in die Studie
aufgenommen werden. Sie müssen bei guter Gesundheit sein und Zähne mit exponiertem Wurzeldentin aufweisen, die auf taktile, thermische und/oder evaporative Stimuli reagieren. Ausschlusskriterien beinhalten
krankhafte Zustände, Erkrankungen, die die Einnahme
von Schmerzmitteln erfordern, Allergien auf kosmetische oder Dentalprodukte, Schwangerschaft, Stillzeit,
jeden Dentalzustand, der das Ergebnis verfälschen
könnte, parodontalchirurgische Eingriffe innerhalb der
vergangenen sechs Monate, Zähne, bei denen kürzlich
Zahnstein entfernt wurde, oder die Verwendung desensibilisierender Produkte innerhalb der vergangenen
Monate (Gillam et al. 1996a; 1996b; Holland et al.
1997).
Es ist jedoch wichtig bei der Rekrutierung, dass die
Kriterien vernünftig und realistisch sind, andernfalls
werden sich innerhalb der zur Verfügung stehenden
Zeit schwerlich genügend Teilnehmer finden lassen.
Dies gilt besonders, wenn es um subjektive Beschwer-
24
Sonderausgabe 2010
den geht, die in der Studie untersucht werden sollen.
Beim Screening muss sorgfältig vorgegangen werden,
damit nicht nur Teilnehmer rekrutiert werden, die
entweder minimale oder aber extrem starke Reaktion
zeigen, da die Schmerzmessung nur Antworten wie
„genauso“, „besser“ oder „schlimmer“ zulässt. Das
dann zu beobachtende statistische Artefakt nennt man
„regression-to-mean“ (Rückkehr zum Mittelwert) (Yates
et al 1998; Addy et al. 2007), und nach Jeffcoat (1993)
wird dadurch entweder der Effekt der untersuchten
Behandlung verstärkt (bei einer Überzahl von Probanden mit extrem hoher Schmerzempfindlichkeit) oder
verringert (bei überwiegend wenig schmerzempfindlichen Teilnehmern).
Studiendauer
Die Studiendauer hängt vom Studienzweck, der Art
des Testprodukts, dem vermuteten Wirkmechanismus,
den Ergebnissen, der Empfindlichkeit und den Fehlern
der Messungen ab. Die Dauer einer klinischen Studie ist
ein kritischer Faktor, wenn es darum geht, die Wirksamkeit eines Produkts zu bestimmen (Gore & Altman
1982). Die Wirkstoffkonzentration in einem frei verkäuflichen Produkt wird eher gering sein, somit sollte die
Studie hinreichend lange dauern, um die maximale
klinische Wirksamkeit nachzuweisen (Orchardson, persönliche Mitteilung). Dagegen können Vergleichsstudien mit einer inaktiven Kontrolle (Placebo) einen
deutlichen Placeboeffekt offenbaren, welcher einem
anderen Zeitplan folgt als der eigentliche Wirkstoff.
Die Studiendauer sollte also so bemessen sein, dass
Placeboeffeke minimiert werden.
Obwohl eine Anzahl veröffentlichter Studien eine
Verbesserung der Symptomatik im Vergleich zu anderen Zahnpasten und dem Placebo um 30 – 80 % verlautbaren (Clark & Troullos 1990), sind die Resultate widersprüchlich und etwas schwierig zu interpretieren, u.a.
wegen unterschiedlicher Methoden und Ausschlusskriterien. Die Mehrheit klinischer Studien sind zwischen
6 und 12 Wochen, manche 22 lang (Gillam 1997). Hier
sollte erwähnt werden, dass die meisten dieser Studien
auf kurzzeitige Wirksamkeit abzielten und es bislang
keine Studien zur Langzeitwirkung von desensibilisierenden Produkten gibt. Weiterhin gibt es relativ wenige
Studien (Gillam et al. 1992), die den Effekt einer Zahnpaste, die nach der Anwendung eines aktiven Produkts
benutzt wird, aufzeigen. Die Resultate dieser Studien
würden sicherlich einen Carry-over-Effekt offenbaren.
Daraus ergibt sich, dass Probanden vor Beginn einer
Studie 1–2 Monate lang kein desensibilisierendes
Produkt verwenden dürfen.
Studien über In-office-Behandlungen dauern gewöhnlich zwischen 4 Wochen und 3 Jahren. Es ist wichtig zu erkennen, dass die Zeit, die ein Produkt braucht,
bis seine klinische Wirkung einsetzt, höchstwahrscheinlich von verschiedenen Faktoren abhängt, wie z.B.
Schwankungen der Motivation und Fähigkeit der
Studienteilnehmer, das Produkt korrekt zu verwenden,
und die Natur der Wirkstoffe und ihr wahrscheinlicher
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Pro-Argin
Wirkmechanismus. So benötigen die meisten desensibilisierenden Zahnpasten, die z.B. Kalium- oder Strontiumsalze enthalten, bis zu 4 Wochen, bis die desensibilisierende Wirkung einsetzt (Tarbet et al. 1979; 1980;
1982; West et al. 1997), während die Anwendung eines
In-office-Produkts, wie z.B. einer Prophylaxepaste oder
einer Zahnversiegelung, dem Patienten bereits sofortige Erleichterung verschafft (Gillam et al. 1997; Ayad
et al. 2009; Nathoo et al. 2009; Schiff et al. 2009). In der
Umgebung der Zahnarztpraxis erwartet ein Patient, der
von stark schmerzempfindlichen Zähnen geplagt ist, die
eine oder andere Form einer sofortigen Linderung und
ist eher nicht bereit, 4 Wochen zu warten.
Beurteilung der Schmerzantwort
Dentinhypersensibilität sollte entweder mit Bezug
auf Stimulusintensität (stimulus-based) oder als subjektive Evaluation des Schmerzes, der durch einen Stimulus hervorgerufen wird (response-based), bewertet
werden. Stimulus-based-Methoden involvieren die
Messung einer Schmerzschwelle, während Responsebased-Methoden die Einschätzung des Schmerzausmaßes beinhalten. Hierbei ist wichtig, dass der Stimulus
sowohl verlässlich wie auch reproduzierbar ist und dass
die angewendeten Methoden wissenschaftlich gültig
sind. Die subjektive Bewertung von Veränderungen der
Gesamtsensibilität eines Individuums im Vergleich zu
den einzelnen Messungen sollte ebenfalls in die
Bewertung eingeschlossen werden, dies würde man
realisieren, bevor der Teststimulus angewendet wird.
Die Daten können als VAS-Wert oder mithilfe eines
Fragebogens am Ende der Studie gewonnen werden.
Als Minimum müssen pro Teilnehmer und Studie zwei
Datenpunkte erfasst werden, nämlich zu Beginn und
zum Ende der Studie. In gewissem Ausmaß kann dies
von der Länge der Studie wie auch von der Art des zu
testenden Produkts abhängen: Wenn ein oder zwei
Bewertungen mitten in der Studie für eine Studiendauer von 12 Wochen akzeptabel sind (Baseline, 4, 8
und 12 Wochen), so ist, sofern ein Produkt mit sofortigem Effekt getestet wird, eine Datenerfassung bereits
nach fünf Minuten sinnvoll und nötig.
Testmethoden
Traditionell wurden Studiendaten zu DHS immer auf
der Basis der subjektiven Reaktion der Probanden auf
einen Stimulus erfasst, sei es in Form von verbaler Einstufung, VAS-Werten oder Fragebögen (Tab. 1). Der
Teststimulus kann auf verschiedene Art verabfolgt werden: mechanisch, chemisch, elektrisch, evaporativ oder
thermisch (Tab. 2). Bislang existiert noch keine ideale
Methode, mit der sich DHS betrachten oder gar bewerten ließe (Gillam & Newman 1993; Ide et al. 2001). Die
Vielfalt von Methoden könnte vermuten lassen, dass
keine ideal für die Bewertung von DHS ist. Der Mangel
einer angemessenen, objektiven Methode zur Beschreibung von DHS und die fehlende Möglichkeit, standardisierte Messungen einer subjektiven Reaktion durchzuführen, lässt weiterhin Bedenken bestehen (Gillam et al.
2000).
PROPHYLAXEdialog
Beispiele für Schmerzskalen, die für DHS-Studien
herangezogen wurden: subjektive Empfindung
nach taktilem und/oder thermischem Stimulus
a) Binäre Skala:
Schmerz vor und Schmerz/kein Schmerz nach
der Behandlung
(Hansen 1992)
b) 0 = Keine Beeinträchtigung
1 = Mildes Unbehagen
2 = Deutliches Unbehagen
3 = Deutliches Unbehagen für mehr als 10 Sek.
(Gillam & Newman 1993)
c) 1 = Kein Schmerz
2 = Lediglich Unbehagen
3 = Schmerz
4 = Starker Schmerz
5 = Unerträglicher Schmerz
(Gedalia et al. 1987)
d) 0 = Kein nennenswertes Unbehagen,
jedoch Empfindung des Stimulus
1 = Unbehagen, aber kein starker Schmerz
2 = Starker Schmerz während der Dauer des
Stimulus
3 = Starker Schmerz auch über die Dauer des
Stimulus hinaus
(Lecointre et al. 1986; Thrash et al. 1992;
Ayad et al. 1994; Schiff et al. 1998;
Nagata et al. 1994)
e) 0 = Keine Reaktion des Probanden
1 = Reaktion des Probanden, jedoch keine Bitte,
den Stimulus zu beenden
2 = Proband reagiert auf Stimulus und bittet
darum, den Stimulus zu beenden oder
versucht auszuweichen
3 = Proband reagiert auf den Stimulus mit
deutlichem Schmerz und bittet um
Beendigung des Stimulus
(Ayad et al.1994; Schiff et al. 1994; 1998;
2009 [Schiff''s cold air score])
f) Visual Analogue Scales (VAS)
VAS ist eine 10 cm lange Linie, deren Enden die
Extremwerte der Schmerzbewertung darstellen,
d.h. kein Schmerz auf der einen, extremer
Schmerz auf der anderen Seite. Die Patienten
werden gebeten, eine Markierung auf dieser
Linie anzubringen, wo ihre derzeitige Schmerzbewertung liegt. Die Schmerzintensität wird entweder als Absolutwert oder normiert als Prozentsatz des Maximalwerts angegeben (nach Gillam
et al. 2000).
Tab. 1
Sonderausgabe 2010
25
Sonderausgabe Pro-Argin
Stimuli zur Bewertung von Dentinhypersensitivität in klinischen Studien
Mechanische
Stimuli
Sonde, Constant-pressure-Sonde,
(Yeaple Probe), mechanische
Druckstimulatoren, Zahnsteinentferung
Chemische
(osmotische)
Stimuli
Hypertonische Lösungen, z.B.
Kochsalz, Glukose, Sukrose und
Kalziumchlorid
Elektrische
Stimuli
Elektrische Pulpatester, Dental
Pulp Stethoscope
Evaporative
Stimuli
Kalter Luftstoß, Yeh Air Thermal
System, Luftstoßstimulator,
Temptronic (Mikroprozessor,
temperaturkontrolliertes Air
Delivery System)
Thermische
Stimuli
Elektronisches Schwellenmessgerät, kaltes Wasser, Hitze
durch thermoelektrische Geräte
(z.B. Biomat Thermal Probe),
Ethylchlorid, Eis
Die hydrostatische Druckauswertung wurde in der Literatur
erwähnt, wird aber als unpraktisch
für klinische Studien betrachtet
(aus Gillam et al. 2000).
Tab. 2
In diesem Zusammenhang können verschiedene
Kommentare zum Tragen kommen: Stimuli zur Testung
einer subjektiven Reaktion sollten realistisch und hydrodynamisch sein. Zumindest zwei Arten Stimulus sollten
zur Anwendung kommen, und zwar der weniger starke
zuerst. Die Stimuli sollten sich gegenseitig nicht stören,
und es sollte eine hinreichend lange Zeitspanne
zwischen den Stimuli eingehalten werden. Es gibt
wenig publiziertes Datenmaterial über die empfohlene
Zeitdauer zwischen zwei Stimuli, obwohl ein zehnminütiges Intervall zwischen taktilem und thermischem/evaporativem Reiz in klinischen Studien zur Anwendung kam (Gillam et al. 1996a; 1996b). Zurzeit wird
in den meisten Studien ein taktiler (Yeaple Probe, Xinix
Research Inc., NH, Portsmouth, USA, eine Sonde mit
einem elektronischen Kraftmesser) und ein thermischer/evaporativer Stimulus (kalter Luftstoß) angewendet (Gillam et al. 1996a; 1996b; Schiff et al. 2009).
Ein weiterer relevanter Punkt ist das Auftreten
falscher Positivreaktionen, die vor allem bei Messungen
der Schmerzschwelle mit der Yeaple-Sonde beobachtet
werden. Nach Curro et al. (2000) treten falsche Positivreaktionen mit erhöhter Wahrscheinlichkeit bei geringerer Kraftanwendung (10 – 20 gm) und bei der Eingangsuntersuchung etwa zweimal so oft wie bei den folgenden Untersuchungen auf. Dies könnte an einem
möglichen Lerneffekt bei sowohl dem Probanden als
auch beim Untersucher liegen.
26
Sonderausgabe 2010
Die Anzahl falscher Positivreaktionen lässt sich
durch eine Vorbehandlungsphase im Studiendesign
vermeiden. Das wahrscheinliche Resultat einer großen
Anzahl falscher Positivreaktionen auf den taktilen
Stimulus ist, dass die Placeboeffekte ebenfalls erhöht
sind und dadurch der Behandlungseffekt verringert
würde (Curro et al. 2000). Ein praktischer Aspekt der
Aufnahme sowohl taktiler wie auch thermisch-evaporativer Reaktionen eines Probanden könnte hier ebenfalls relevant sein: Bei der Anwendung der YeapleSonde sollte das akustische Signal ausgeschaltet sein,
und der Patient sollte während der Testprozedur unwissend ob der angewendeten Kraft bleiben. Idealerweise
sollte ein Assistent die Sonde regulieren, so dass die
Wechselwirkung zwischen Untersucher und Proband
gering ist. Darüber hinaus ist beim Testen mithilfe des
thermisch-evaporativen Stimulus wichtig, dass der
Teilnehmer während der Testphase keinerlei Wertung
mithören kann. So sollten sich Untersucher und
Assistent zuvor auf Handzeichen einigen, mithilfe derer
sich während der Untersuchung verständigt wird.
Man sollte niemals den Einfluss der Beziehung
zwischen Untersucher und Proband oder gar die Lernkurve, auf welcher sich Letzterer befindet, unterschätzen. Schließlich sollten die Erwartung eines Studienteilnehmers an die klinische Studie nicht außer Acht
gelassen werden und wie diese Erwartung das Ergebnis
über die Zeitdauer der Studie beeinflussen kann.
Patienten mit chronischen Beschwerden wie DHS
zeigen üblicherweise episodenhafte oder schwankende
Symptome und jede potenzielle Änderung dieser
Symptome über die Studiendauer könnte eine Verbesserung darstellen (sogenannter Erwartungseffekt,
expectancy effect) (Curro et al. 2000). Die Teilnehmer
können aber durchaus auch Schmerzempfindung erwarten, wenn der Teststimulus z.B. bei der Eingangsuntersuchung oder bei Folgeuntersuchungen angewendet
wird. Bei der Baseline-Untersuchung werden dann die
Schmerzwerte höher ausfallen, während bei folgenden
Untersuchungen der Teilnehmer über seine vorherige
Erfahrung reflektiert und diese im Nachhinein doch
nicht als so unangenehm bewertet. Die vorstehend
erwähnte Vorbehandlungsphase kann helfen, derartige
Effekte zu reduzieren. Alternativ sollte man bei der Testprozedur den kalten Luftstoß einsetzen.
Die Methode, welche in klinischen Studien zur Anwendung kommt, sollte daher wissenschaftlich anerkannt und gültig sein, d.h. Details und Spezifikationen
sollten entweder zuvor in von Fachleuten begutachteten Zeitschriften veröffentlicht oder aber behördlich anerkannt sein. Messgeräte sollten stets konform zu den
aktuellen Sicherheitsstandards stehen. Ein Problem, das
jedoch bei der Bewertung von DHS auftritt, ist die hoch
subjektive Natur der Schmerzantwort, obwohl eine
eigentlich objektive Methode zur Anwendung kommt.
Die komplette Abwesenheit von Schmerzen durch DHS
kann daher im Gegensatz zum Versuch, objektive Maße
für taktile und thermische Schwellen zu quantifizieren,
nur das einzig wirklich wahre Endergebnis sein.
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Pro-Argin
Diskussion und Schlussfolgerungen
Die Literatur zeigt, dass trotz aller Versuche, eine
objektivere Methode zur Quantifizierung einer subjektiven Antwort zu finden, alle Studienergebnisse die
Wahrnehmung des Probanden reflektieren. Eine weitere Komplikation ist der Placeboeffekt, der bis zu 40 %
der Ergebnisse behaften kann. Viele Kliniker sprechen
diesen offensichtlichen Effekt in ihren Studien an, aber
wie weit der Einfluss geht, bleibt spekulativ. Auf alle
Fälle sollte man erwähnen, dass nach Curro der
Placeboeffekt, der bei DHS-Studien beobachtet wird,
ähnlich dem anderer medizinischer oder therapeutischer Studien ist. So ergab ein Review von 15 postoperativen Schmerzstudien von Beecher (1955), zitiert von
Curro et al. (2002), dass im Durchschnitt bei 35 % aller
Patienten die Symptome durch ein Placebo gemildert
waren (die Placeboreaktion reichte von 15 bis zu 58 %).
Zusätzliche Faktoren, die DHS-Studien beeinflussen,
sind der Mangel an positiven wie auch negativen
Kontrollen, die in Äquivalenz- oder Überlegenheitsstudien enorm wichtig sind.
Faktoren, die Einfluss auf die Wirksamkeit desensibilisierender Produkte haben (nach Addy et al. 2007):
W Episodischer Charakter der DHS
W Subjektivität der Schmerzreaktion
W Falsche Positivreaktion bei Untersuchungen mit der
Yeaple-Sonde
W Klinische Wirksamkeit der desensibilisierenden Substanz könnte am unteren Ende des therapeutisch
relevanten Bereichs liegen.
W Ausgeprägter Placeboeffekt, der aus klinischen
Studien berichtet wird
W Hawthorne-Effekt
W Zufällige Variation der Symptome im Lauf der Zeit
(Regression zum Durchschnittswert)
W Technik des Untersuchers
W Beziehung zwischen Proband und Untersucher
W Auswahl und Mangel an Standardisierung der objektiven Beurteilung
W Kleine Probandenzahl
Im Gegensatz zu Gingivitis-Studien, wo der international anerkannte Goldstandard Chlorhexidin ist, gibt
es für DHS kein Produkt als positive Kontrolle. Darüber
hinaus kann die Schwierigkeit, dass eine Negativkontrolle ebenfalls wirksam sein kann, die Interpretation
der Ergebnisse erschweren (Gillam et al. 1996a; 1996b;
1997; Pearce et al. 1994; Chesters et al. 1997). Die
Verwendung einer Placebozahnpaste ohne bekannten
Desensibiliserungseffekt ist ebenfalls problematisch, da
in den meisten Studien fluoridhaltige Zahnpaste als
Negativkontrolle zum Einsatz kommt.
PROPHYLAXEdialog
Eine weitere Frage ist, ob die untersuchte Personengruppe überhaupt repräsentativ ist und ob nicht
vielleicht mehr Forschung in brauchbarere Rekrutierungsverfahren investiert werden sollte.
Das Idealziel für jedes Produkt zur Reduzierung von
DHS ist das Verschwinden von Schmerz und Beschwerden. Eine realistischere Erwartung für frei verkäufliche
Produkte wäre, die Beschwerden soweit zu reduzieren,
dass der Patient problemlos und mit erhöhter Lebensqualität damit umgehen kann. Das Hauptziel sollte stets
eine klinisch signifikante Minderung der Symptome
sein anstelle einer statistisch signifikanten.
Tatsächlich könnte man argumentieren, dass im
Gegensatz zur sogenannten objektiven Erfassungsmethode, die bei der Evaluation von DHS zu Anwendung kommt, die subjektive Empfindung der Probanden (Vorhanden- oder Nichtvorhandensein von
Schmerz) das Zünglein an der Waage ist. Behandlungen
kann man dagegen als Grad der Erleichterung (Reduktion klinischer Symptome) ausdrücken, aber das Ansetzen zufälliger prozentualer Veränderungen ist fraglich.
Das Ausmaß, in dem ein Produkt Wirksamkeit zeigt,
wird beträchtlich durch Baselinewerte beeinflusst, die
weder zu klein noch zu hoch sein sollten. Die Größenordnung eines erwarteten Effekts sollte zu Beginn der
Studie bereits bekannt sein. Der erwartete Endpunkt
(z.B. bei Eintreten des erwarteten therapeutischen
Effekts) beeinflusst das Studiendesign immer: Dies mag
unabhängig von Wirkmechanismus und angestrebter
klinischer Anwendung des Testprodukts sein. Ob nun
eine Studie beabsichtigt, die Wirksamkeit oder aber die
Äquivalenz/Überlegenheit eines Produkts zu beweisen,
muss ein Vergleich mit einem Placebo oder Standardprodukt erfolgen, daher sollte das Ziel der Studie zu
Beginn genannt werden.
Statistische Analysemethoden sollten in Übereinstimmung mit den ICH-Richtlinien für statistische
Prinzipien in klinischen Studien (1998) stehen, zusammen mit dem Studiendesign, vorzugsweise in Absprache mit einem kompetenten Statistiker. Auch diese
Prinzipien sollten vor Beginn der Studie klar im Studienprotokoll dargelegt sein.
Schließlich sei der Schluss erlaubt, was auch immer
in diesem Artikel diskutiert wird: Die Rekrutierung,
Bewertung der Schmerzreaktion nach der Produktanwendung und die Interpretation der Ergebnisse ist
komplizierter als manchmal in der Literatur erwähnt.
Dr. David G. Gillam
Institute of Dentistry
Barts and the London School of Medicine and Dentistry
London E1 2AD · Großbritannien
Sonderausgabe 2010
27
Sonderausgabe Pro-Argin
Entwicklung eines Desensibilisierungsprodukts
Dentinhypersensibilität, auch bekannt als schmerzempfindliche Zähne, ist ein zunehmendes Problem, von
dem ein großer Teil der Bevölkerung betroffen ist. Das
Aufreten schmerzempfindlicher Zähne ist multifaktoriell
(West 2010). Gingivarezession, aber auch erosive Angriffe durch Säure oder Störungen der Remineralisationsprozesse tragen dazu bei, dass das Dentin freigelegt wird, die Dentintubuli offenliegen und somit ein
direkter Kontakt zwischen Mundhöhle (dem Ort, an
dem schmerzauslösende Noxen auftreten) und Pulpa
(der Stelle, an dem der Schmerz ausgelöst wird) besteht. Wird durch externe Stimuli die Flüssigkeit in
den Dentintubuli bewegt, tritt der Schmerzreiz auf
(Brännström 1967; 1968), der gewöhnlich nach Entfernen des Stimulus schnell abklingt, in Einzelfällen aber
auch länger andauern kann. Dentinhypersensibilität als
„nicht-pathologischer“ Zustand wird oft verharmlost,
kann aber schwerwiegende Kosequenzen für die weitere Mundgesundheit Betroffener mit sich ziehen.
Bei der Entwicklung einer wirksamen Medikation
gegen Dentinhypersensibilität müssen nicht nur zahlreiche Faktoren, die zur Entstehung des Schmerzzustands beitragen, in Betracht gezogen werden, sondern auch der Mechanismus der Schmerzentstehung
selbst. Das Ziel ist, dem Patienten möglichst schnell
Abhilfe zu schaffen, sodass seine Zahnhygiene durch
schmerzempfindliche Zähne nicht dauerhaft beeinträchtigt wird bzw. er die zahnärztliche Behandlung
und/oder professionelle Zahnreinigung schmerzfrei
erlebt (und somit keine Veranlassung hat, diese zu
meiden). Weiterhin muss eine wirksame Therapie
kritisch gegenüber bereits auf dem Markt befindlichen
Ansätzen getestet werden.
Ziel dieses Artikels ist, einen Überblick über den
heutigen Stand der therapeutischen Strategien gegen
Dentinhypersensibilität zu bieten und die verschiedenen Methoden zu vergleichen, sodass gut geeignete
und weniger gut bzw. gar nicht geeignete Inhaltsstoffe
und Methoden unterschieden werden können. Dabei
ist das Vorliegen klinischer Studien wohl das überzeugendste Argument, das zur Wirksamkeit eines Produkts angeführt werden kann.
Kaliumsalze: Depolarisation
der Nervenzellen
Eine Idee, wie dem Problem überempfindlicher
Zähne begegnet werden kann, ist die direkte Ansprache des dentalen Nervensystems. Hierbei kommen
Kaliumsalze zur Anwendung, deren Anwesenheit in
der Pulpa zu einer andauernden Depolarisation der
Nervenzellen führen soll. Das Ergebnis ist, dass der
Schmerzreiz nicht weitergeleitet werden kann und
somit theoretisch Schmerzfreiheit besteht. Die Wirkung
tritt eindeutig zeitverzögert auf, was wahrscheinlich
28
Sonderausgabe 2010
darauf zurückzuführen ist, dass die Kaliumionen eine
gewisse Zeit brauchen, um zur Pulpa zu gelangen. Nach
dem Absetzen des Produkts flutet auch das Kalium
schnell wieder ab, wodurch der ursprüngliche Schmerzzustand wiederhergestellt ist. Kaliumsalze, formuliert in
Zahnpasten, zeigen in manchen Studien eine bessere
Wirksamkeit als wirkstofffreie Produkte.
Die bisherige Datenlage zur Effektivität von Kalium
in Zahnpasten wird jedoch weiterhin kontrovers diskutiert (Poulsen et al. 2006). Näher betrachtet, bekämpft
man mit dieser Strategie ohnehin nur den Schmerz als
ein Symptom, das ursprünglich sinnvoll und notwendig
zur Erkennung eines pathologischen Zustands ist. Der
Zahn wird somit auch anderen Schmerzreizen gegenüber desensibilisiert, und an der Ursache der Schmerzentstehung, nämlich dem freiliegenden und empfindlichen Dentin, wird keine Veränderung vorgenommen.
Strontiumsalze: Depolarisation
und Verengung der Tubuli
Strontiumsalze können in In-vitro-Versuchen schwerlösliche Präzipitate auf der Dentinoberfläche bilden,
die zu einer graduellen Verstopfung der Dentintubuli
führen sollen. Somit ist die Reizleitung zur Pulpa gehemmt und der Schmerz gedämpft.
Strontiumsalze wie Strontiumchlorid oder Strontiumacetat gehören zu den desensibilisierenden Agentien der ersten Stunde (Jensen 2003). In kontrollierten
klinischen Studien haben Strontiumsalze jedoch im
Vergleich zu Kaliumsalzen noch schwächer abgeschnitten, in In-vitro-Versuchen ist die Effektivität regelmäßig
nicht signifikant höher als bei Negativkontrollen.
Strontiumsalzen wird daher eine allenfalls schwach desensibilisierende Wirkung nachgesagt.
Von Nachteil ist ferner, dass bei einigen strontiumhaltigen Verbindungen die Beimischung von Fluorid als
Kariesschutz kontraindiziert ist und dass auch hier die
Wirkung zeitverzögert und auf die Anwendungszeit
beschränkt auftritt.
Aminfluorid: Kariesschutz durch
Remineralisation
Freiliegendes Dentin ist besonders anfällig gegen
Karies, Abrasion und Erosion, daher sollte bei einer
sinnvollen Therapie schmerzempfindlicher Zähne
grundsätzlich an den Kariesschutz gedacht werden. Das
für seine vor Karies schützende Wirkung bekannte
organische Aminfluorid (AmF) bildet auf der gesamten
Zahnoberfläche eine kalziumfluoridhaltige Deckschicht,
die als Kalziumreservoir bei der Remineralisation der
Zahnhartsubstanz dient (Petersson & Kambara 2004).
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Pro-Argin
In den Eingängen der Dentintubuli führt diese Deckschicht ebenfalls zu vermehrter Remineralisation, wodurch der Durchmesser der Tubuli reduziert wird
(Renggli 1997). Die Remineralisation des Dentins ist
bei AmF deutlich ausgeprägter als bei Natriumfluorid,
ferner ist die Wirkung durch die gute Haltbarkeit der
Deckschicht auch dauerhaft gewährleistet. Hiermit ist
erstmals ein Ansatz beschrieben, der den Zahn auch
schützt.
NovaMin – bioaktive Glaskeramik
Zur Familie der sogenannten bioaktiven Glaskeramiken zählt der Vorläufer NovaMin, ein Silikat, das bei
Kontakt mit wässrigen Medien (Speichel) Kalzium und
Phosphat bereitstellt (Wefel 2009). Diese bilden in
In-vitro-Versuchen ein Hydroxykarbonatapatit-Material,
welches Dentinkanälchen bei Patienten verschließen
soll. Die Idee ist, dass mit einem zahnschmelzähnlichen
Mineral die Dentinoberfläche versiegelt wird und die
Schmerzempfindlichkeit deutlich reduziert ist. Trotz
längerer Marktpräsenz einer Reihe von NovaMin-haltigen Produkten stehen ernstzunehmende klinische
Nachweise zur Effektivität dieser Technologie weiterhin
aus. Weitere Nachteile dieses Ansatzes sind die nur
kurzfristige angegebene Haltbarkeit des Präzipitats
(7 Tage) und die Abwesenheit von Fluorid zu effektivem Kariesschutz.
Die Anwendung der feuchtigkeitsstabilen Desensibilisierungspaste ist einfach, ohne neue Technik oder
zusätzliche Kosten in die zahnärztliche Routine einzufügen und zeigt klinisch signifikante Wirksamkeit, die
in mehreren kontrollierten Studien bestätigt wurde.
Fazit
Die Entwicklung eines therapeutischen Ansatzes
gegen Dentinhypersensibilität orientiert sich am Stand
der Erkenntnisse über Ursachen und Mechanismen des
Problems. Hierbei wird sorgfältig der Nutzen (Schmerzdämpfung) gegen die Risiken (z.B. Dämpfung der wichtigen Nervenfunktion) abgewogen, Produkte werden
verglichen und Gelerntes angewendet. Ging es doch
ursprünglich lediglich um die Linderung eines Symptoms, so werden heute auch die Auswirkungen
schmerzempfindlicher Zähne auf die Lebensqualität
und die zukünftige Mundgesundheit berücksichtigt.
Dabei sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass
bei der Vermarktung eines Produkts gegen Dentinhypersensibilität kontrollierte klinische Studien durchgeführt werden sollten, die die Wirksamkeit des Produkts belegen. Diese Überlegungen führten schließlich
zu einem wirksamen Behandlungsansatz, der alle
Voraussetzungen erfüllt, die ein Desensibilisierungsprodukt bieten sollte.
Arginin und Kalziumkarbonat:
der einfache Weg zum dauerhaften
Verschluss
Beim natürlichen Prozess der Desensibilisierung in
der Mundhöhle spielt die im Speichel vorkommende
Aminosäure Arginin eine bedeutende, wenn auch noch
nicht vollständig geklärte Rolle. Die Pro-Argin-Technologie, eine Kombination aus Arginin und Kalziumkarbonat, formuliert in der beim Zahnarzt anzuwendenden Desensibilisierungspaste elmex SENSITIVE
PROFESSIONAL, zeigt erwiesenermaßen sofortige,
signifikante und dauerhafte Linderung der Schmerzsymptome bei Dentinhypersensibilität (Schiff et al.
2009). Sogar die sonst mitunter unangenehme Prozedur der professionellen Zahnreinigung lässt sich nach
nur einer Anwendung der neuen Technologie problemlos durchführen (Hamlin et al. 2009), ohne die Dentinkanälchen ungewollt wieder zu öffnen, und selbst
Säureangriffen halten die winzigen Stopfen, welche die
Kanälchen verschließen, stand.
In einer Reihe von kontrollierten klinischen Studien
wurde eine Überlegenheit der Pro-Argin-Technologie
im Vergleich zu Kaliumsalzen bereits innerhalb einer
ein- bis zweiwöchigen Anwendungsdauer demonstriert.
In weiterführenden In-vitro-Experimenten wurde zudem gezeigt, dass der Flüssigkeitsdurchtritt durch die
Dentintubuli nach Anwendung von Pro-Argin stark
reduziert ist, hochsignifikant im Vergleich zu Strontiumsalzen.
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe 2010
29
GABA-Innovations-Symposium:
Schmerzempfindliche Zähne – eine neuartige
Technologie zur Anwendung in der Praxis
Rund 200 Gäste aus Deutschland, der Schweiz,
Österreich und den Niederlanden nahmen am 15. und
16. April 2010 am GABA-Innovations-Symposium im
Hotel Steigenberger in Berlin teil. Hauptsächlich Experten aus Wissenschaft und Praxis sowie rund 30 Journalisten verfolgten die Vorträge und die Diskussion zum
Thema „Schmerzempfindliche Zähne – eine neuartige
Technologie zur Anwendung in der Praxis“.
Es sprachen Prof. Dr. Lars Petersson aus Halmstad/
Schweden („Epidemiologie und Ätiologie schmerzempfindlicher Zähne“), PD Dr. Christian Gernhardt aus Halle
(„Gängige Behandlungsmethoden dentinaler Hypersensibilität“), Prof. Dr. Christian Hirsch aus Leipzig
(„Mundgesundheitsbezogene Lebensqualität und
schmerzempfindliche Zähne") sowie Diplom-Biochemikerin Bärbel Kiene, Director Scientific Affairs GABA
International aus Therwil/Schweiz („Eine neuartige
Technologie zur Behandlung schmerzempfindlicher
Zähne“).
Prof. Petersson stellte dar, dass Dentinhypersensibilität heute eine häufig vorkommende Zahnerkrankung der Bevölkerung ist, die eine große Herausforderung für das professionelle Team darstellt. Typische
Symptome sind kurze, aber sehr scharfe Schmerzempfindungen, die über einige Sekunden bis zu einer
Minute andauern können. Die kurzzeitigen Schmerzen
entstehen, wenn freigelegte Dentinflächen verschiedenen Stimuli ausgesetzt sind, z.B. evaporativen (Luft),
thermalen (Temperatur), taktilen (Berührung), osmotischen oder chemischen Stimuli. Die sogenannte
„Hydrodynamische Theorie“ des Schweden Brännström (1963) ist heute als der Hauptmechanismus
der Dentinhypersensibilität akzeptiert, obwohl zusätzlich andere Theorien diskutiert werden. Grundlage
der „Hydrodynamischen Theorie“ sind Flüssigkeitsbewegungen in den Dentinkanälen, die zu Druckunterschieden führen, wobei es zu einer Aktivierung der
Nervenfibern am Ende der Dentintubuli über „Mechano-Rezeptoren“ kommt. Voraussetzung hierfür ist das
Vorhandensein von beidseitig offenen Dentinkanälen,
sowohl zur Pulpa als auch zur Dentinoberfläche hin.
Der Verschluss der Dentinkanäle führt zur Verminderung der Dentinhypersensibilität und ist das ultimative
Ziel jeder präventiven und konservierenden Behandlung. Das Vorkommen der Dentinhypersensibilität zeigt
große Unterschiede auf, zwischen 15 und 60 % der
Patienten leiden darunter. Bei selbstrapportierten
Aussagen liegen die Prozentzahlen höher, als wenn das
Problem durch den Zahnarzt festgestellt wird, und die
Häufigkeit ist bei Frauen höher als bei Männern. Das
Zunehmen der Dentinhypersensibilität kann auch mit
zu intensiver Zahnreinigung zusammenhängen.
30
Sonderausgabe 2010
Dr. Gernhardt erläuterte, dass Dentinhypersensibilität ein bekanntes und durchaus verbreitetes Problem
der Patienten ist, mit dem Zahnärzte in der Praxis konfrontiert sind. Bedenkt man allerdings, dass die Zahl
der älteren Patienten, die aufgrund verbesserter Prophylaxe und Versorgung möglicherweise einen Großteil ihrer Zähne erhalten konnten, in den nächsten
Jahren weiter ansteigen wird, so kann man davon ausgehen, dass die Problematik der Dentinhypersensibilität eher zunehmen als abnehmen wird. Der Zahnarzt
wird daher in Zukunft viel mehr mit der unangenehmen
Schmerzsymptomatik der Dentinhypersensibilität konfrontiert sein, als dies derzeit der Fall ist. Entsprechend
der Ätiologie der Dentinhypersensibilität stehen zahlreiche non-invasive und auch invasive Behandlungsoptionen zur Verfügung. Dr. Gernhardt gab zunächst
einen Überblick über gängige, vor allem non-invasive
Therapiemöglichkeiten und bewertete diese dann
anhand der aktuellen Literatur kritisch. Im Weiteren
stellte er einen gänzlich neuen Therapieansatz vor und
referierte erste eigene Erfahrungen mit dieser auf
Arginin und Kalziumkarbonat basierenden neuartigen
Technologie.
Prof. Hirsch beschrieb, wie traditionell in der Zahnmedizin orale Indizes zur Bewertung oraler Erkrankungen verwendet werden. So lässt sich mit dem DMFTIndex das Ausmaß kariöser Gebissschäden beschreiben. Indizes für Parodontalerkrankungen erfassen die
Schwere der Schädigung am Zahnhalteapparat oder
der kieferorthopädische Behandlungsbedarf wird mittels Indikationsgruppen bestimmt. All diese Parameter
beschreiben allerdings die jeweiligen oralen Erkrankungen relativ eindimensional aus rein fachlicher Sicht,
nicht jedoch aus Sicht der Betroffenen. Diese haben
infolge von Schäden an oralen Strukturen z.B. Probleme
beim Essen, Kauen oder Sprechen, sie können sich
nicht entspannen, machen sich Sorgen oder sind
mit ihrem Aussehen nicht zufrieden. Diese subjektive
Sicht oraler Erkrankungen kann mit Instrumenten zur
Messung der auf die Mundgesundheit bezogenen
Lebensqualität (MLQ) erfasst werden, z.B. mit dem Oral
Health Impact Profile für Erwachsene oder dem Child
Perceptions Questionnaire für Kinder und Jugendliche.
Die „klassischen Parameter“ oraler Erkrankungen können diese patientenbezogenen Probleme nicht abbilden, d.h. erst durch die zusätzliche Einschätzung
der MLQ entsteht ein sinnvolles Gesamtbild. MLQMessungen ermöglichen es z.B., schmerzhafte Zustände, wie sie von Patienten mit freiliegenden Zahnhälsen berichtet werden, vergleichend zu bewerten.
Repräsentative Daten von über 2.000 Probanden aus
der deutschen Allgemeinbevölkerung zeigen, dass
überempfindliche Zähne die MLQ der Betroffenen
PROPHYLAXEdialog
nachhaltig beeinträchtigen, obwohl die Strukturverluste
(freiliegende Dentinareale im Zahnhalsbereich) vergleichsweise gering scheinen. Die Behandlung überempfindlicher Zähne ist also aus Sicht der Betroffenen
dringend geboten.
Abschließend stellte Bärbel Kiene Pro-Argin, eine
neuartige Technologie zur Behandlung schmerzempfindlicher Zähne, vor. Sie erläuterte, dass gelegentliche
Dentinhypersensibilität weit verbreitet in der allgemeinen Bevölkerung ist, schwerwiegendere Formen der
Dentinhypersensibilität der Behandlung in der Zahnarztpraxis bedürfen. Es gibt eine ganze Reihe von Prozeduren, Methoden und potenziellen Aktivwirkstoffen,
um dieses schwierige klinische Symptom zu behandeln.
Es herrscht jedoch allgemeiner Konsens, dass
Behandlungsempfehlungen mit konservativen, gering
invasiven Methoden beginnen sollten. Als solche sind
topische Anwendungen in der Regel empfehlenswert,
die jedoch in Bezug auf sofortige und langfristige
Wirksamkeit nicht ausgereift sind. Auf der anderen
Seite stehen restaurative Behandlungsmöglichkeiten
zur Verfügung, die allerdings mit hohem Aufwand und
Kosten für Patient und behandelnden Arzt verbunden
sind. Es gibt somit momentan keine vollkommen zufriedenstellende Lösung für die Zahnarztpraxis zur
Behandlung akuter Dentinhypersensibilität mit
Bezug auf Wirksamkeit bei gleichzeitig geringem Aufwand.
Bärbel Kiene fasste In-vitro-Daten zur
Illustration des Wirkmechanismus einer neuartigen Desensibilisierungspaste mit ProArgin-Technologie zusammen. Diese Technologie basiert auf der Kombination einer
natürlichen Aminosäure, Arginin und Kalziumkarbonat. Auch die Resultate klinischer Studien zur Wirksamkeit dieser neuen Desensibilisierungspaste demonstrieren, dass die neue
Technologie eine sinnvolle Erweiterung der
Möglichkeiten zur Behandlung von Dentinhypersensibilität in der Zahnarztpraxis darstellt. Herkömmliche Produkte zur Behandlung von
Dentinhypersensibilität basieren meist auf der
Desensibilisierung des Nervs durch temporär depolarisierende Substanzen. Nachteilig ist hier, dass die
Wirkung deutlich zeitverzögert einsetzt und dass lediglich ein Symptom bekämpft wird. Ein weiterer Ansatz
sind restaurative Anwendungen, wodurch die Reizleitung zwischen Mundraum und Pulpa blockiert werden soll. Dies gestaltet sich in der Praxis jedoch als sehr
aufwändig (Anätzen und Trockenlegen der betreffenden Regionen) und somit für den schmerzgeplagten
Patienten unangenehm. Man kann angesichts der
sofortigen und anhaltenden Wirkung von elmex SENSITIVE PROFESSIONAL deshalb von einem Technologiedurchbruch für Zahnbehandlung bei schmerzempfindlichen Zähnen sprechen.
PROPHYLAXEdialog
Eine klinische Studie von Schiff et al. vom Scottsdale
Zentrum für Zahnheilkunde in San Francisco belegt,
dass das Produkt im Vergleich zu einer herkömmlichen
Polierpaste eine statistisch signifikante Schmerzlinderung zur Folge hat. Die Anwendung erfolgte in diesem
Fall nach der professionellen Zahnreinigung. Die
Wirkung tritt nicht nur sofort ein, sondern hält auch
mindestens vier Wochen an. Darüber hinaus konnten
Hamlin et al. zeigen, dass die vorherige Anwendung
der neuen Desensibilisierungspaste bei Patienten mit
schmerzempfindlichen Zähnen die professionelle Zahnreinigung deutlich angenehmer macht. Auch diese
klinische Studie beweist die Überlegenheit der
Wirkstoffkombination Arginin/Kalziumkarbonat gegenüber den Inhaltsstoffen gebräuchlicher Polierpasten.
Im Anschluss an die Vorträge ergab sich eine interessante Diskussion. Die neue Technologie wurde mit
großem Interesse aufgenommen. Der hohe praktische
Nutzen für die zahnärztliche Anwendung und die
gleichzeitige spürbare Erleichterung für den Patienten
wurden begrüßt. Insbesondere die Möglichkeit, in
einem eigens eingerichteten Prophylaxeraum unter
zahnmedizinischer Anleitung das neue Produkt kennenlernen zu können, stieß auf großes Interesse.
v.l.n.r.: Prof. Hirsch, Prof. Petersson, Dr. Gernhardt,
Dr. Hartwig, Bärbel Kiene
Weitere Informationen zum GABA-InnovationsSymposium, insbesondere audiovisuelle Beiträge der
Referenten sowie Interviews, finden Sie unter
www.gaba-dent.de/dhs.
Sonderausgabe 2010
31
Sonderausgabe Pro-Argin
Der Wirkmechanismus von Pro-Argin™
Die innovative Pro-ArginTM Technologie enthält
Arginin, eine natürlich vorkommende Aminosäure (z.B.
im Speichel) und eine unlösliche Kalziumverbindung in
Form von Kalziumkarbonat. Diese Kombination dringt
tief in die Dentintubuli ein und verschließt sie wie ein
Stopfen. Eine kalziumreiche Schutzschicht wird gebildet,
die offene Dentintubuli sofort füllt und verschließt.
Bis zu 30% der erwachsenen Bevölkerung sind von
schmerzempfindlichen Zähnen betroffen!
Bei vielen Betroffenen haben schmerzempfindliche
Zähne und ihre Folgen einen negativen Einfluss auf die
mundgesundheitsbezogene Lebensqualität. Dennoch
wird dieses Thema häufig nicht von den Patienten in
der Zahnarztpraxis angesprochen.
Schmerzempfindliche Zähne können zudem häufig
eine Hauptursache für entstehenden Stress während
einer Behandlung sein – sowohl beim Behandler als
auch beim Patienten. Wahrscheinlich ist diese Patientengruppe deshalb schwieriger zu behandeln und die
entsprechende Behandlung dauert deutlich länger.
Illustrierte Darstellung des
Verschlusses der Dentintubuli
Nach der Behandlung mit ProArginTM Technologie: Die Dentintubuli sind verschlossen und die
Schmerzweiterleitung wird
blockiert.
REM-Aufnahme einer Dentinoberfläche (in vitro): verschlossene
Dentintubuli nach der Behandlung
mit einer elmex SENSITIVE
PROFESSIONAL Desensibilisierungspaste
Externe Reize wie Kälte, Hitze oder Berührungen verursachen
Flüssigkeitsbewegungen in den Dentintubuli, die als Schmerz
empfunden werden.
Vor der Behandlung: Die Dentintubuli liegen frei und Kälte, Hitze,
Luft und Berührungen können
schmerzhafte Reize auslösen.
Der desensibilisierende Effekt von elmex SENSITIVE
PROFESSIONAL wurde mit einer Prophylaxepaste zur
Kontrolle verglichen. Gemessen wurde die Reduktion
der Schmerzempfindlichkeit nach der einmaligen Anwendung direkt im Anschluss an eine professionelle
Zahnreinigung und 4 Wochen später.
REM-Aufnahme einer unbehandelten Dentinoberfläche mit offenen
Tubuli (in vitro)
Signifikante Schmerzreduktion durch elmex SENSITIVE PROFESSIONAL Desensibilisierungspaste
50% Schmerzreduktion nach einmaliger Anwendung
Schmerzempfindlichkeit auf Kaltluft
2,5
*
*
2,0
1,5
* •
* •
1,0
Schmerzreduktion
3,0
Schiff et al. 2009
* p < 0,05 im Vergleich zum Ausgangswert
• p < 0,05 im Vergleich zur Kontrollgruppe
Doppelblinde, parallele Studie
mit 68 Patienten mit bestehender
Schmerzempfindlichkeit
0,5
0
Ausgangswert
nach professioneller
Reinigung
elmex SENSITIVE PROFESSIONAL
Desensibilisierungspaste
32
Sonderausgabe 2010
direkt nach
Produktanwendung
4 Wochen
Kontrollgruppe,
kommerziell erhältliche Prophylaxepaste
PROPHYLAXEdialog
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