Von neuronalen Mikrowelten zur globalen Dynamik digitaler

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Netzkultur heute
Karin Ohlenschläger
»Wir sind, glaube ich, in einem Moment, wo
einer vom Menschen geschaffenen Struktur
sich die Welt weniger als ein großes sich
entspricht. Netzwerke sind ein dem Leben
durch die Zeit entwickelndes Leben erfährt,
innewohnendes
sondern eher als ein Netz, das seine Punkte
analoge,
verknüpft und sein Gewirr durchkreuzt.«1
Sonnensystem bis zur Körperzelle, vom
Michel Foucault
Wassermolekül bis zum Ökosystem – ist
Gefüge.
physische
Selbst
unsere
–
Welt
vom
über den globalen Stoffwechsel, das heißt
Unser heutiger informationstechnologisch
über den kontinuierlichen Austausch von
geprägter Lebensraum hat die Welt als dicht
Materie,
verknüpftes
verbunden.
Kommunikations-
und
Energie
und
Dies
Information,
bedeutet
ständige
Datenverkehrsnetz erfahrbar gemacht. Auf
Bewegung und Veränderung aller dem
den ersten Blick scheint es, dass wir das
Kreislauf angeschlossener Teile. Und dies
vernetzte Weltbild unserer Technik
bedeutet außerdem, dass sowohl unser
zu
verdanken haben. Mit dem aufkommenden
stofflicher
Industriezeitalter ist unser Planet im 19.
Metabolismus
Jahrhundert über Land, Meer und Luft
Transformationen unterliegt.
mittels
neuer
Kommunikations-
als
auch
unser
kognitiver
kontinuierlichen
und
Transportwege immer enger verbunden
Der
worden.
letzten
gateways. Kunst und vernetzte Kultur geht
entstandene
diesen grundlegenden Beziehungen von
Dazu
hat
Jahrhundert
das
im
vorliegende
Text
zur
Informationszeitalter vom Rundfunk und
stofflichen,
Fernsehen bis hin zum Computer, Internet
Netzwerken nach. Dabei bleibt der Begriff
und
der Netzkultur nicht allein auf formale
anderen
mobilen
Telekommunikationstechnologien
den
telekommunikationsbasierte
Datenraum immer dichter verwoben.
Entwicklung
heutige
hat
uns
wissenschaftliche
zudem
und
digitalen
Phänomene
beschränkt. Vielmehr geht es darum, sich
dem
Unsere
kognitiven
Ausstellung
paradigmatisch
geprägten
Netzkulturbegriff des 21. Jahrhunderts in
erkennen
seiner
lassen, dass diese vernetzte Welt nicht nur
Entwicklungsgeschichte
und
Aktualität anzunähern. Diese zeichnet sich
Dieser Text erschien erstmalig im Katalog zur Ausstellung gateways. Kunst und vernetzte Kultur, der über den Hatje-Cantz-Verlag zu beziehen ist.
1
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unter
anderem
heutzutage
die
Wissensgebiete,
Physik,
dadurch
aus,
dass
Ergebnisse der Produktionsprozesse, der
verschiedensten
von
der
Neurologie,
Erfahrung,
Mathematik,
Biologie
der
Macht
und
der
Kultur
verändert haben.
oder
Unser
global
verbundener
Lebensraum
Psychologie bis hin zur Klimaforschung,
lässt sich nicht mehr im Rahmen des
Soziologie,
oder
reduktionistisch-mechanistischen Weltbilds
Stadtplanung – um hier nur einige Beispiele
von René Descartes und Isaac Newton
zu nennen –, so verknüpft werden, dass sie
erfassen. Vielmehr entspricht er einem
uns neue Methoden und Erkenntnisse zur
komplexen
Bewältigung
neuer
Probleme
Epidemiologie
konkreter
erlauben,
Fragen
die
oder
über
das
nicht-linearen
kreativer
System,
das
Darstellungsformen,
wissenschaftlicher Methoden, Denk- und
Einzelwissen nicht mehr zu beantworten
Handlungsmodelle
sind.
die
Probleme und Herausforderungen vor die
und
der Mensch sich heute gestellt sieht, lassen
Forscher seit Beginn des 20. Jahrhunderts
sich nicht mehr nur mit traditionellen Mitteln
grundlegende
zum
und Methoden erklären und bewältigen.
Paradigmenwechsel in der Kultur, das heißt
Somit ist man vom klassischen Verständnis
in der Kunst, Wissenschaft und Technik,
der
geleistet
unabhängiger Systeme und absoluter Werte
Erinnert
wird
europäischen
daran,
Denker,
dass
Künstler
Beiträge
haben,
die
uns
ins
Welt
bedarf.
als
einem
Denn
geschlossene
Informationszeitalter des 20. Jahrhunderts
zu
neuen
Weltbild
und bis hin zur daraus entstehenden
dynamischer,
Netzwerkgesellschaft des 21. Jahrhunderts
vernetzter Phänomene gelangt.
variabler
und
die
Einheit
offener,
komplex
führen. Der Begriff der Netzwerkgesellschaft
wird
von
dem
spanischen
Soziologen
Innovative
Positionen
aus
Kunst
und
Manuel Castells in seiner dreiteiligen Studie
Wissenschaft haben in den letzten zwei
zum Informationszeitalter geprägt.2 Diese
Jahrhunderten
definiert
der
Paradigmenwechsel beigetragen, als sie
Revolution
den formalen und institutionellen Rahmen
er
als
eine
neue,
informationstechnologischen
entstehende
aus
Gesellschaftsform.
insoweit
zu
einem
Seinen
auf den sie festgelegt waren, immer wieder
Untersuchungen nach bilden Netzwerke die
in Frage stellten. Dabei haben beide sowohl
neue soziale Morphologie, wobei die Logik
grenzüberschreitend agiert, als auch neue
ihrer Verbreitung, sowie ihre Verbindungen
Erfahrungen und Erkenntnisse aus der
wesentlich die Funktionsweise und die
Verbindung
von
bis
dahin
nicht
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2
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zusammenhängenden
geschaffen.
Beziehungen
Beide
haben
veränderbar ist. Dadurch kann es auch
auf
neue Beziehungen zwischen Ereignissen
unterschiedlichste Weise die vorgegebenen
herstellen, andere Schlüsse ziehen und
Modelle von der Welt überarbeitet und sie
damit
durch die Entwicklung und den Einsatz
schaffen.
innovativer Technologien und Methoden
Quantenmechanik und Systemtheorie des
verändert, erweitert und neu verständlich
20. Jahrhunderts haben entscheidend zur
3
gemacht.
innovative
Definition
Erkenntnismodelle
Relativitätstheorie,
unseres
beigetragen.
heutigen
Die
Weltbildes
Vordenker
dieser
Kunst und Wissenschaft generieren Wissen,
Erkenntnismodelle hatten schon im 18.
das die Welt im Prinzip auf der Basis von
Jahrhundert grundlegende Einwände gegen
Information beschreibt. Diese wird durch
das
unsere
Maschine.
natürlichen
und
technisch
kartesianische
Der
Bild
der
deutsche
Welt
als
Philosoph
erweiterten Sinnesorgane vermittelt. Der
Immanuel Kant entwickelte 1781 in der
Prozess
des
Kritik der reinen Vernunft erstmals die Idee,
darauf,
dass
Erkennens
man
beruht
Bezüge
dabei
zwischen
dass
Lebewesen
sich
insoweit
Phänomenen herstellt, die zunächst isoliert,
Maschinen
ungeordnet oder zuvor auch durch ganz
autoorganisativ und autoreproduktiv sind.
andere
Somit
Beziehungsgeflechte
oder
unterscheiden,
von
kann
Kant
als
als
Vorläufer
des
Denkmodelle definiert sein können. Der
autopoietischen
französische
werden, das in den 1970er-Jahren von den
Mathematiker
Jules
Henri
Poincaré hatte bei der Beobachtung und
chilenischen
dem
Nachvollziehen
Denkprozesse
komplexer
vermutet,
während
die
erachetet
Biologen
und
seiner
eigenen
Neurowissenschaftlern Humberto Maturana
der
Lösung
und
mathematischer
dass
Konzeptes
sie
Probleme
Entstehung
Francisco
Varela
entscheidend
weiterentwickelt wurde und insgesamt in der
neuer
interdisziplinären Systemtheorie bis heute
Erkenntnisse mit den Interpretationsregeln
eine wichtige Rolle spielt.
4
des Gehirns zu tun haben müsste.
Kants Zeitgenosse, der schottische Geologe
Der Mensch ist dabei relativ von seinem
James Hutton, stellte seinerzeit die These
neuronalen Regelwerk abhängig, dass sich
auf, dass die geologischen und biologischen
jedoch über Lernprozesse modellieren lässt
Prozesse nicht getrennt, sondern in enger
und
Beziehung zueinander betrachtet werden
somit
entwicklungsfähig
und
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3
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sollten.
Der
deutsche
Naturforscher
Hirnzellenstruktur schon vor ihm bekannt
Alexander von Humboldt bewies die von
war, haben seine Studien erstmals gezeigt,
Hutton aufgestellte These in seinen Studien
dass
zur Koevolution von Lebewesen, Klima und
geschlossenes
Erdoberfläche. Heute wird Alexander von
hatte Cajal die Neuronen als selbstständige,
Humboldt zu Recht als wissenschaftlicher
elementare Signaleinheiten des Gehirns
Vordenker unseres Netzzeitalters genannt.5
erkannt.
das
neuronale
System
Gewebe
bildet.
kein
Vielmehr
Auch die Evolutionstheorie des britischen
Naturforschers Charles Darwin und die
Das neuronale Netz als Ganzes bildet eine
Vererbungsregeln
entwicklungsfähige
des
österreichischen
und
veränderbare
Naturforschers Gregor Mendel ließen im 19.
Struktur, in der nicht die Zelle an sich,
Jahrhundert keinen Zweifel daran, dass die
sondern
Wissenschaft an neuen Methoden und
zwischen den Zellen entscheidend für die
Denkmodellen arbeitete, die nicht die Dinge
Art der Wahrnehmung, des Denkens und
an sich, sondern die Beziehungen und
des Handeln sind. Cajals Prinzip der
Prozesse zwischen den Teilen erfassen und
Verbindungsspezifität
verständlich machen wollte. So entstanden
Natur der übermittelten Information davon
seinerzeit viele bedeutende Entwicklungen
abhängt,
die
unterschiedlichen
werden. Währenddessen ist die Art der
Wissensbereichen kamen, und die hier nur
Information, die ein Neuron weiterleitet,
ansatzweise
können.
durch die Bahn bestimmt, zu der es gehört.6
Gemeinsam war ihnen, die Welt als ein
Interessant ist, dass die Hirnforschung bis
vernetztes System offener und variabler
heute
Ordnungsprinzipien zu definieren, deren
Informationsspeicher
innere Beziehungen und Funktionen es zu
konnte. Die Idee eines dezentralisierten und
erforscht galt.
verteilten
aus
ganz
genannt
werden
die
variablen
welche
Verbindungen
besagt,
dass
Nervenfasern
die
aktiviert
keinen
zentralen
im
Gehirn
Informationssystems
finden
ist
somit
schon zur Geburtsstunde der modernen
Bedeutsam ist in unserem Zusammenhang
Neurowissenschaft ein bedeutender Aspekt
auch die Theorie neuronaler Netzwerke, die
der Forschung gewesen und auch heute im
von
und
Zusammenhang
Neuroanatom Santiago Ramón y Cajal am
dezentralisierter
Ende des 19. Jahrhunderts vorgedacht und
Kommunikationsdynamiken ein wichtiges
dem
visualisiert
spanischen
wurde.
Histologen
Auch
wenn
der
Analyse
Informations-
und
die
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4
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Thema
der
Sozialforschung
oder
der
Allgemeine
Netzwerkwissenschaft.
Darin
Organisationslehre
suchte
er
nach
genannt.
Methoden,
die
sozialen und kognitiven Wissenschaften mit
Zu Beginn des 20 Jahrhunderts ging der in
der Biologie und der Physik zu verbinden
der Ukraine geborene, nordamerikanische
und ein universales Ordnungsprinzip zu
Mathematiker und Biophysiker Alfred Lotka
definieren, das allen lebenden und nicht
der Frage nach, ob die Intelligenz als eine
lebendigen Phänomenen gemeinsam sein
Form
könnte. Seine Ideen antizipierten sowohl die
von
Energie
bezeichnet
werden
könne, insofern sie die Kapazität habe, die
Kybernetiker
wie Norbert Wiener
materielle Welt zu verändern.7 Zwar wissen
Gregory
wir bis heute nicht wann und wo genau die
Systemtheoretiker
Schnittstelle zwischen der gedanklichen und
Bertalanffy.
Bateson,
als
wie
oder
auch
die
Ludwig
von
der physischen Welt liegt, jedoch gibt es
keinen Zweifel an den Veränderungen, die
Um die Jahrhundertwende hat neben der
die menschliche Aktivität in ihrer Umwelt
Relativitätstheorie und der Quantenphysik
bewirkt. Der russische Biochemiker und
die
Geologe Vladimir Vernadsky gab in den
Gegenentwurf
1930er-Jahren insofern eine Antwort auf
formuliert.
Lotkas Frage, als er die These aufstellte,
Biologen Ludwig von Bertalanffy wurde
dass der Mensch Teil der Biosphäre sei, die
Ende
unseren Planeten transformiert. Ihm ist
Systemforschung
auch der Begriff der Noosphäre in seiner
wissenschaftliches Paradigma eingeführt.
enttheologisierten
verdanken.
Diese Theorie zeichnet sich dadurch aus,
Diese wird von ihm als ein vom globalen
dass sie das Gesamtverhalten und den
Bewusstsein gesteuerter Teil der Biosphäre
inneren Aufbau,
definiert, der die Welt gerade in den letzen
Funktion von Lebewesen analysiert. Dabei
zweihundert Jahren zunehmend verändert
wurde
hat.
Eigenschaften und das Verhalten einzelner
Form
zu
Biologie
den
zur
Von
der
auch
entscheidenden
klassischen
dem
Physik
österreichischen
1930er-Jahre
als
neues
das heißt
untersucht
die
Form
und
inwieweit
die
Komponenten eines Systems die kurz-,
Der russische Philosoph, Mediziner und
mittel und langfristige Entwicklung des
Ökonomist
Bogdanow
Ganzen beeinflussen, beziehungsweise das
veröffentlichte 1912 das erste Buch seines
Ganze auf die Teile einwirkt. In der
dreiteiligen
Netzkultur des 21. Jahrhunderts werden die
Alexander
Werkes
Tektologie,
auch
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5
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Biosphäre und die Infosphäre nicht mehr
autonome Einheit einem neuen Konzept
getrennt
Unsere
des Menschen in einem vernetzen System
Biosphäre ist eine Infosphäre8, das heißt ein
gewichen, in dem sich biologische, soziale,
elektrochemisch
codierter
technoökonomische, und kulturelle Aspekte
Diese
sind
wahrgenommen.
Daten
technologischen
Datenraum.
über
unsere
Kommunikations-
Kontrollinstrumente nicht
Wenn man die Entwicklungsgeschichte der
sichtbar. Sie werden seit Längerem auch in
europäischen Kunst des 20. Jahrhunderts
Laborversuchen technisch genutzt. Selbst
auf das Modell vernetzter Systeme hin
Bakterien können heute in ihrer DNA
untersucht, kann man aus heutiger Sicht
digitale Information speichern.9
behaupten,
Die Wahrnehmung des Lebens als ein
systematisch darauf hingearbeitet zu haben
kartesianisch konzipiertes Modell hat sich
scheint. Dabei begann ein erster Schritt mit
im Laufe des letzten Jahrhunderts also
der totalen Infragestellung der traditionellen
grundlegend geändert. »Wir konzipieren
Kunst als ein in sich geschlossenes und der
uns, das Leben konstruiert, organisiert und
bürgerlichen
definiert sich gemäß der Rhythmen seiner
System. Dies hatte erst einmal eine radikale
Beziehungen. [...] Das Leben als Kontinuum
Öffnung
ist ein Prozess, dessen Bewegung schon
künstlerischen Praxis zur Folge gehabt.
vor Millionen von Jahren begann und sich
Gesellschaftskritische
immer weiter entwickelt. Und dies Dank der
verschärften
Netzwerke.«10 Der Mensch ist Teil dieses
einerseits als ein sich selbst bestimmendes
komplexen
Schnittstelle
und selbst regulierendes, autopoietisches
zwischen den mikro- und makroskopischen,
System verstanden. Andererseits nahm sie
den
exosomatischen
sich die Freiheit, in alle Bereiche des Alltags
Phänomenen des Lebens. Von den lokal
einzudringen, ihn in Frage zu stellen und
verbundenen Gemeinschaftsformen bis hin
auch neu zu formulieren. Der Anspruch,
zu
sich mit dem Leben zu vernetzen und
endo-
den
und
ist
hör-
und
und
Gewebes;
nur
des Lebens verknüpfen.
global
vernetzten
Gesellschaftsstrukturen,
ist
alles
dieses
eingebunden in sich einander bedingende
offene
und
skalenfreie
–
aber
11
hierarchielose – Schaltkreise.
dass
auch
die
Wertvorstellung
und
zu
Kunst
dienendes
Reorientierung
sich.
der
Positionen
Die
Kunst
verändern,
wurde
wird
vom
Konstruktivismus, Dadaismus, Futurismus,
nicht
Bauhaus
Damit ist
und
Surrealismus,
über
die
Popkultur und Fluxus bis hin zur aktuellen
auch das Bewusstsein des Menschen als
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6
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Medienkunst immer wieder neu artikuliert,
kommunikationstechnischer Instrumente zu
kontextualisiert und weiterentwickelt.
arbeiten.13
Auffallend war zu jeder Zeit die verstärkte
Der französische Fluxus-Künstler Robert
temporäre Gruppenbildung von Künstlern
Filliou entwickelte seit 1968 die Idee eines
die – aus den verschiedensten Bereichen
kommunikationsbasierten
kommend – neue Verbindungen zwischen
network«,
während
den
zwischen
Deutschland
traditionellen
Ausdrucksformen
der
der
»Eternal
koreanische,
und
Amerika
Literatur, Musik, Theater, Tanz oder Malerei
pendelnde Fluxus- und Medienkünstler Nam
mit
der
June Paik in seinem Essay zur »Medialen
Fotografie, des Films oder des Radios
Planung für das postindustriellen Zeitalter«
herstellten.
1974 antizipatorische Anstöße zur global
den
damals
neuen
Medien
vernetzten
Innovative
gab.14
kommunikationstechnische
Kommunikationsgesellschaft
Diese
Ideen
visualisierten
sich
Errungenschaften flossen in die Kunst mit
sowohl in Videos wie Global Groove (1973),
ein oder wurden von der Kunst selbst
als
vorgedacht
und
weltweiten TV-Liveprogrammen wie Good
entwickelt. Schon im 19. Jahrhundert wurde
Morning Mister Orwell (1984) oder Wrap
der
Around the World (1988). Paiks Projekte
oder
gar
mitgetragen
französische
Dioramamaler
Theater-
Louis
Jacques
und
Mandé
auch
zeichneten
in
seinen
sich
durch
monumentalen
eine
globale
Daguerre zum Mitbegründer der Fotografie
Konnektivität von Kunst und Kultur aus, die
oder
der
amerikanische
Historienmaler
Miterfinder
Samuel
der
Porträt-
und
von Diversität und Pluralität geprägt waren.
Morse
zum
In der offenen Auseinandersetzung mit allen
Telegrafie
Bereichen des Lebens ging es seit den
elektrischen
12
erklärt.
1960er-Jahren
künstlerische
In
den
1960er-Jahren
gebürtige
Filmemacher
Woody
begannen
auch
Praxis
darum,
über
die
Verbindungen
zu
der
anderen Erfahrungs- und Wissensgebieten
tschechoslowakische
herzustellen und zu vertiefen: von der
Vasulka
und
die
Psychologie bis zur Soziologie, von der
isländische Musikerin Steina Vasulka in
Mathematik
New York zusammen mit anderen Künstlern
Kommunikationswissenschaft und Politik.
an
der
bis
zur
Entwicklung
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7
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Das Konzept der »Sozialen Plastik«, das
Kommunikationsmodelle
von dem deutschen Künstler Joseph Beuys
experimentell erfahrbar gemacht, von bis
erstmals 1967 erwähnt wurde, entsprach
heute
den damaligen Vorstellungen, dass der
Mailboxsystemen, bis hin zu den digitalen
Mensch durch sein Denken und Handeln
Stadtmodellen
Amsterdam
Umwelt und Gesellschaft mitbestimmen und
(1993–1997)
oder
transformieren könnte. Somit gehörte es zur
Internetarchiven, wie der vom spanischen
Aufgabe
Medienkünstler Antoni Muntadas schon
der
Kunst
Kommunikationsstrategien
partizipatorische
neue
und
offene
Handlungsfelder
weltweit
entwickelt
und
funktionierenden
oder
Berlin
partizipatorischen
1994 entwickelte The File Room.
zu
entwerfen, die verändernd auf Mensch und
Die Netzkunst der 1990er-Jahre, ebenso
Umwelt einwirken würden. Als Beispiel sei
wie die Videokunst der 1970er- und 1980er-
hier Beuys’ Projekt 7000 Eichen genannt,
Jahre
das
strategisch
dadurch aus, dass sie an der technischen,
vernetzten Beziehungsdynamik von Kunst,
konzeptuellen und ästhetischen Entwicklung
Politik,
und
der Medien mitgewirkt hat. Der politische,
Stadtplanung einen langfristig veränderten
soziale und kulturelle Kontext wurde dabei
Stadtraum zur Folge hatte, an dessen
immer wieder kritisch hinterfragt und sowohl
Transformation Bürger, Politiker, Sammler,
experimentell als auch partizipatorisch neu
Aktivisten und andere Interessengruppen
formuliert. Das Potenzial möglicher medial
mitgewirkt haben.
bestimmter Lebensräume wurde antizipiert.
als
Die
Resultat
einer
Ökologie,
vom
Konzeptkünstler
Ökonomie
deutsch-amerikanischen
Aspekt
unter
anderem
gesellschaftlicher
Verantwortung und Mitgestaltung an der
Kommunikations-,
Entwicklung des Mediums Fernsehen und
Produktions-, und Distributionsplattform The
des Internets als sozialem Raum einer
Thing
freien,
entwickelte
(1991)
ging
nach
Staehle
sich
im
Internet
Wolfgang
Der
zeichnete
Worten
des
sich
selbst
bestimmenden
Künstlers direkt auf Beuys’ Ideen der
Kommunikations-,
sozialen Plastik zurück. Sie gab seinem
Wissensgesellschaft ist in beiden Fällen
Konzept im global vernetzten Raum eine
bemerkenswert gewesen. Diese Ideen und
erweiterte
Dimension.
1990er-Jahren
Kulturinitiativen
haben
Gerade
Kultur-
und
in
den
Projekte haben in den heutigen sozialen
Netzkunst-
und
Netzwerken, der Blogkultur, der Freien-
innovative
Software-Bewegung oder den kollektiven
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8
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Datenbanken ihren Ausdruck gefunden.
Jedoch
gehört
Kritik
an
wurde
unter
anderem
die
15
verstärkt
»Network as Artwork«
des
zum Ende der
wirtschaftlichen Interessen und staatlichen
1970er-Jahre
Kontrollinstanzen,
inhaltsleerem
Medienkünstler und -theoretiker Roy Ascott
Informationsinflation
bis hin zu dem vom ihm geleiteten Planetary
an
Datenüberfluss
und
heute
zum
ebenso
Gedankengut
der
College
Netzkultur wie im letzten Jahrhundert.
von
Idee
dem
entwickelt.
Medialab-Initiativen
britischen
Den
der
temporären
1990er-Jahre
kommt in diesem Kontext bis heute eine
Heute liegt allerdings der Fokus nicht mehr
wichtige Rolle in der Zusammenarbeit von
nur auf der Gestaltung und »Nutzbarkeit«
Künstlern, Informatikern und Aktivisten zu.
virtueller Datenräume im Internet. Vielmehr
Neuartige Verbindungen zwischen aktuellen
betrachtet
künstlerischen
der
Netzkultur
Diskurs
auch
zur
aktuellen
rückkoppelnd
die
und
Arbeitsweisen,
Forschung
Kulturindustrie,
strukturellen Wandlungen, die der digitale
Mikroproduzenten
Datenfluss in der physischen Welt bewirkt.
Erfahrung und Wissen im virtuellen wie im
Dabei steht die Untersuchung veränderter
realen
Wahrnehmungsmechanismen
praktiziert.
und
Raum
und
zwischen
werden
Vermittlern
formuliert
von
und
Technologien, die unsere Beziehung zur
Welt, zu anderen Menschen und zur
Auch der Kunst-Leben-Diskurs hat sich zu
eigenen Identität fortlaufend modifizieren,
Beginn
nach wie vor im Mittelpunkt. Gleichzeitig
erweitert.
stellen
Analyse
Mikrosphären neuronaler Netzwerke bis hin
deterritorialisierter Machtinstanzen und ein
zu hybriden Makrowelten, die sich aus der
aus
Verbindung Körper / Maschine entwickelt
die
der
kritische
postindustriellen
hervorgegangenes
sozial
verändertes
Leben
Herausforderungen
an
Entwicklung
und
kulturell
haben
neue
Mensch
dieses
Jahrhunderts
Dieser
und
den
ökonomischen
und
reicht
beeinflussen.
von
ökologischen
globalen
visualisieren,
Gesellschaft.
bedeutend
den
und
Datenfluss
beziehungsweise
So
definiert
sich
die
Netzkultur heute zunehmend als offenes
Fragen zu den ideologischen, konzeptuellen
und partizipatorisches World Wide Lab einer
und funktionalen Beziehungen, zwischen
wachsenden
Benutzerkultur.16
Bildung, Kreativität und Leben werden in
experimentiert,
forscht
vernetzen Kunstsystemen neu gestellt. So
neuartige Modalitäten, die der Konstruktion,
und
Diese
entwickelt
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9
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Wahrnehmung und dem Verständnis der
zunehmend als Katalysator des World Wide
sich ändernden Beziehungsstrukturen von
Labs agieren könnte.
Mensch und Umwelt dienen.
Zusammenfassend
wird
noch
1 Michel Foucault, »Andere Räume« (1967), in:
Karlheinz Barck u. a. (Hrsg.), Aisthesis.
Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer
anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 34–46.
2 Manuel Castells, Das Informationszeitalter.
Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, Bd. 1,
Opladen 2003.
3 Thomas S. Kuhn, The Structure of the
Scientific Revolutions, Chicago 1962.
4 Henri Poincaré, »Mathematical Discovery«
(1908), in: American Mathematical Society
(Hrsg.), What’s Happening in the Mathematical
Sciences, Bd. 4, Providence 1998/99, S. 115126.
5 Ottmar Ette, Alexander von Humboldt und die
Globalisierung. Das Mobile des Wissens,
Frankfurt am Main 2009, S. 16.
6 Erich Kandel, Auf der Suche nach dem
Gedächtnis. Die Entstehung einer neuen
Wissenschaft des Geistes, München 2007. S.
95.
7 Alfred Lotka, Elements of Physical Biology
(1925), zitiert nach Vladimir I. Vernadsky, La
Biosfera y la Noosfera (Die Biosphäre und die
Noosphäre), Madrid 1997, S. 216.
8 Karin Ohlenschläger, »Die Biosphäre als
Infosphäre«, in: Sabine Himmelsbach und
Yvonne
Volkart
(Hrsg.),
Ökomedien.
Ökologische Strukturen in der Kunst heute,
Ostfildern 2007, S. 179–188.
9 Javier Sampedro, »Microbios que empaquetan
200 gigas«, in:El País, 27.11.2010, S. 58.
10 Angela Delgado und Diego RasskinGutmann, »Networks, the vital principle«, in:
Karin Ohlenschläger und Luis Rico (Hrsg.),
Banquete. Nodes and networks, Karlsruhe u. a.
2009, S. 79–84.
11 Albert-László Barabási, Linked. How
Everything is Connected to Everything Else,
New York 2008, S. 227–238.
12 Dieter Daniels, Kunst als Sendung. Von der
Telegrafie zum Internet, München 2002, S. 32–
46.
13 Woody and Steina Vasulka und Peter
Weibel, Eigenwelt der Apparate-Welt. Pioneers
of Electronic Art. Linz 1992.
14 Nam June Paik, »Medienplanung für das
postindustrielle Zeitalter«, in: Nam June Paik.
einmal
hervorgehoben, dass das Infragestellen und
Überschreiten vorgegebener disziplinärer
oder
kognitiver
zentralen
Grenzen
mit
zu
den
Errungenschaften
künstlerischen
und
Moderne
der
abendländischen
gehörten.
Im
der
wissenschaftlichen
Zeitalter
der
Kultur
digitalen
Datenverarbeitung
und
Kommunikationstechnologien, hat sich die
Konnektivität, Kollaboration und Koevolution
unterschiedlichster
verdichtet.
Wissensgebiete
Dabei
transdisziplinäre
entstehen
neue
Forschungsgebiete,
die
auch die künstlerische Praxis mit betreffen.
So wird sich diese vermehrt als Instrument
der kreativen und kollaborativen aber auch
kritisch verschärften Problemidentifikation
beziehungsweise der Problemvisualisierung
unserer Gesellschaft widmen. Auch wird sie
weiterhin in offenen und experimentellen
Handlungsräumen
Methoden
entwickeln,
die den Herausforderungen unserer Zeit
entgegenkommen, sie neu formulieren und
verarbeiten.
Netzkunst
artikulieren
dabei
und
einen
-kultur
verstärkt
disziplinübergreifenden Dialog, bei dem die
künstlerisch,
performative
Praxis
Dieser Text erschien erstmalig im Katalog zur Ausstellung gateways. Kunst und vernetzte Kultur, der über den Hatje-Cantz-Verlag zu beziehen ist.
10
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Werke 1946–1976, Ausst.-Kat. Kölnischer
Kunstverein, Köln 1976, S. 155–166.
15 Roy Ascott, »Network as Artwork: The Future
of Visual Arts Education«, in: Edward A.
Shanken (Hrsg.), Roy Ascott. Telematic
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11.6.2003,
http://www.wired.com/wired/archive/11.06/resear
ch_spc.html
Dieser Text erschien erstmalig im Katalog zur Ausstellung gateways. Kunst und vernetzte Kultur, der über den Hatje-Cantz-Verlag zu beziehen ist.
11
www.gateways.ee
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