Institut der deutschen Wirtschaft Köln Nr. 37/5. September 2012 Eurokrise Auch die Politik kann versagen Niedrigere Gehälter für Staatsbedienstete, weniger Sozialleistungen und höhere Steuern – die Regierungen in Griechenland, Spanien und Italien müssen umfangreiche Reformen umsetzen, um das Vertrauen der Finanzmärkte wiederzugewinnen. Kritiker monieren allerdings, die Politik müsse sich stärker gegen die unbändigen Finanzmärkte durchsetzen. Doch auch der Staat kann versagen. Politiker sind zum Beispiel besonders dann populär, wenn sie Steuern senken und Sozialleistungen schaffen bzw. erhöhen. Doch kurzfristige Steuersenkungen und höhere Staatsausgaben bedeuten meist höhere Schulden. So lag die öffentliche Schuldenquote Anfang der 1970er Jahre in den meisten europäischen Staaten noch unter 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts; seitdem ist sie fast überall deutlich gestiegen, beim Spitzenreiter Griechenland hat sie sich sogar verachtfacht. Gerade in Hellas haben sich bestimmte Interessengruppen auf Kosten der Allgemeinheit bereichert: Staatsposten wurden als Wahlgeschenke verteilt, Beamte verdienten viel mehr als Beschäftigte in der Privatwirtschaft. Schlecht sieht es laut OECDZahlen auch bei der Regulierung der Arbeitsmärkte aus, die vielen Arbeitslosen schadet. Somit ist der Druck der Finanzmärkte, endlich Reformen anzugehen, zumindest in dieser Hinsicht äußerst heilsam. Ansprechpartner im IW:Jürgen Matthes, Telefon: 0221 4981-754 Dr. Berthold Busch, Telefon: 0221 4981-762 Herausgeber: Institut der deutschen Wirtschaft Köln · Verantwortlich für den Inhalt: Katrin Rüffer · Telefon 0221 4981-602 · [email protected] www.iwkoeln.de · Grafik: Michael Kaspers, Ralf Sassen · Verlag und Druck: Institut der deutschen Wirtschaft Köln Medien GmbH, Postfach 1018 63, 50458 Köln, Konrad-Adenauer-Ufer 21, 50668 Köln Anlage zu Pressemitteilung Nr. 37/2012 des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln Wenn die Politik versagt Eurokrise. Die Regierungen in Griechenland, Spanien und Italien müssen umfangreiche Reformen umsetzen, um das Vertrauen der Finanzmärkte wiederzugewinnen und um an neue Kredite zu kommen – allen Protesten der eigenen Bevölkerung zum Trotz. Die Krise fordert in den betrof­ fenen Euroländern Opfer – zum Bei­ spiel in Form niedrigerer Gehälter für Staatsbedienstete, geringerer Sozialleistungen und höherer Steu­ ern. Das ruft Kritiker auf den Plan. Die Politik müsse sich durchsetzen und sich gegen die unbändigen Fi­ nanzmärkte wehren, schließlich hät­ ten sie die Krise eingebrockt. Doch so einfach ist die Situation nicht. Wer das Primat der Politik einfordert, darf nicht vergessen, dass nicht nur der Markt versagen kann, sondern auch der Staat und somit die Politik. Denn in parlamenta­ rischen Demokratien ist es keines­ wegs sichergestellt, dass die staatli­ che Wirtschaftspolitik garantiert gesamtgesellschaftlich sinnvolle Ent­ scheidungen trifft. Einerseits gibt es gut verdrahtete Lobbygruppen, die versuchen, ihre Interessen durchzusetzen, und Wäh­ ler, die oft nur an ihr kurzfristiges Wohl denken. Andererseits sind da Politiker, die gern wiedergewählt werden wollen und dafür so manch langfris­tig problematische Entschei­ dung vertagen und die Lasten in die Zukunft verschieben. Genau das ist nämlich vor der Eurokrise passiert, schon lange bevor Griechenland oder Spanien öffentlich in die Bre­ douille kamen: • Staatsverschuldung. Politiker sind besonders dann populär, wenn sie Steuern senken und Sozialleistungen Hohe Barrieren auf dem Arbeitsmarkt Der Arbeitsmarktregulierungsindex der OECD gibt an, wie stark der Arbeitsmarkt eines Landes z.B. durch Vorschriften zum Kündigungsschutz oder bezüglich der Gestaltungsfreiheit bei Verträgen reguliert ist – auf einer Skala von null (sehr wenig reguliert) bis sechs (sehr stark reguliert) unbefristeten Verträgen befristeten Verträgen Massenentlassungen Spanien 3,1 2,4 3,8 3,1 Portugal 3,1 4,0 2,5 1,9 3,0 Griechenland 2,3 3,5 3,3 Deutschland 2,6 2,9 2,0 3,8 Italien 2,6 1,7 2,5 4,9 Vereinigtes Königreich 1,1 0 1 1,2 0,3 2,9 2 3 4 Massenentlassungen: Entlassungen mehrerer Personen, sofern diese strikteren Regulierungen unterliegen als Einzelentlassungen; Quelle: OECD 5 6 © 2012 IW Medien · iwd 36 Insgesamt, darunter Regulierung von schaffen bzw. erhöhen – schließlich sorgt das für mehr Geld bei den Wählern. Doch diese verkennen da­ bei – bewusst oder unbewusst – eines: Kurzfristige Steuersenkungen und höhere Staatsausgaben bedeu­ ten meist höhere Schulden. Solche Wahlgeschenke fallen den Beschenk­ ten also irgendwann auf die Füße, wenn auch oft erst den Kindern in der nächsten Generation. Doch die Wähler von morgen haben noch kein Mitspracherecht. Wie verbreitet dieser kurzsichtige Handel ist, zeigt ein Blick in die Vergangenheit (Grafik Seite 5). Lag die öffentliche Schuldenquote Anfang der 1970er Jahre in den meis­ ten europäischen Staaten noch bei unter 20 Prozent des Bruttoinlands­ produkts, ist sie seitdem fast überall sehr deutlich angestiegen, beim Spit­ zenreiter Griechenland hat sie sich sogar verachtfacht. Wie sich bestimmte Gruppen auf Kosten der Allgemeinheit berei­ chern, kann man am Beispiel Grie­ chenland ablesen. Dort wurden in der Vergangenheit Staatsposten als Wahlgeschenke verteilt; und Beamte verdienten in Hellas sehr viel mehr als Beschäftigte in der Privatwirt­ schaft. Dass sich nun Widerstand gegen den Abbau solch lieb gewon­ nener Besitzstände regt, ist zwar aus Sicht der Betroffenen verständlich – der Allgemeinheit zuliebe muss die Zahl der staatlichen Jobs trotzdem auf ein vernünftiges Maß gekappt werden. • Marktabschottung und Arbeitslo­ sigkeit. Ein typisches Versagen der Politik besteht darin, das Richtige zu wollen – aber das Falsche dafür Aus iwd Nr. 36 vom 6. September 2012; die abgebildeten Grafiken können zur Verfügung gestellt werden, Anfragen bitte per E-Mail: [email protected] Anlage zu Pressemitteilung Nr. 37/2012 des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln Staatsverschuldung: Große und kleine Sünder Öffentlicher Schuldenstand in Prozent des Bruttoinlandsprodukts 160,6 150 150 Griechenland 100 100 50 22,5 Italien 123,5 56,6 50 0 0 1980 84 88 92 96 00 04 08 12 82 86 90 94 98 02 06 10 1980 84 88 92 96 00 04 08 12 82 86 90 94 98 02 06 10 150 100 68,3 Irland 150 50 0 0 29,5 150 Frankreich Deutschland 90,5 100 50 113,9 100 50 150 Portugal 116,1 100 82,2 50 30,3 20,7 0 0 1980 84 88 92 96 00 04 08 12 82 86 90 94 98 02 06 10 1980 84 88 92 96 00 04 08 12 82 86 90 94 98 02 06 10 150 100 150 Spanien 80,9 50 16,5 0 2012: Prognose; Deutschland: bis einschließlich 1990 Westdeutschland Quelle: EU-Kommission Auch Jugendliche, die ihre erste Stelle suchen, haben es in einem stark regulierten Markt schwer, Fuß zu fassen. Die Jugendarbeitslosigkeit lag beispielsweise in Griechenland und Spanien selbst in guten Jahren von 2000 bis 2007 im Durchschnitt bei jeweils rund 9,5 Prozent. Gleich­ zeitig schnitten beide Länder im OECD-Arbeitsmarktregulierungs­ index besonders schlecht ab. Niederlande 100 45,3 50 0 70,1 © 2012 IW Medien · iwd 36 zu tun. Manche Regulierungen schützen zwar die Arbeitsplatzbesit­ zer (die sogenannten Insider), scha­ den aber den Arbeitslosen (den so­ genannten Outsidern). Zwar sind die Outsider eigentlich schutzbedürf­ tiger als die Insider, doch weil die Arbeitslosen in der Minderheit sind, spielen ihre Interessen im politischen Prozess nur eine untergeordnete Rol­ le. Die Insider dagegen sind in der Mehrheit, sei es im Staat oder auch in den Gewerkschaften, die für ihre Mitglieder die Löhne verhandeln. Höhere Löhne kommen zwar den Arbeitnehmern zugute. Doch zu hohe (Mindest-)Löhne sind auch eine Barriere für Outsider, die zu­ rück in den Job wollen – denn hohe Löhne schützen die Insider vor un­ erwünschter Konkurrenz. Auch ein zu rigider Kündigungsschutz und restriktive Zugangsbestimmungen für bestimmte Berufsgruppen, etwa für viele freie Berufe und Handwer­ ker, haben eine solche abschottende Wirkung. Ein Blick auf den Regulierungs­ index der OECD (Grafik Seite 4) zeigt, dass sich in Südeuropa be­ stimmte Interessengruppen in der Politik offenbar besonders gut durchgesetzt haben: In Spanien, Portugal und Grie­ chenland sind die Arbeitsmärkte stär­ ker reguliert als im Durchschnitt der Industriestaaten. Dabei hat jedes Land seine eige­ nen Schwächen. In Portugal etwa ist es besonders schwierig, unbefristete Arbeitsverträge abzuschließen. In Italien dagegen war die Arbeits­ marktregulierung vor der Schulden­ krise insgesamt sogar etwas weniger strikt als in Deutschland. Doch sind die Regeln für die gleichzeitige Ent­ lassung von mehreren Personen hier wie dort besonders unflexibel. Inzwischen ist der Druck auf Süd­ europa hoch, sowohl Reformen in ihren Haushalten als auch auf dem Arbeitsmarkt anzugehen. Diese Re­ formen werden den Arbeitslosen, den Jugendlichen und den künftigen Generationen helfen. Die Politik al­ lein hat bisher zu wenig bewirkt – deshalb ist der disziplinierende Druck des Finanzmarkts in Grenzen durchaus heilsam.