Schnitt mit Folgen - Schaffler Verlag GmbH

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Wo Aufklärung fehlt
Schnitt mit Folgen
Ohne Emotionen geht es bei Diskussionen zum
Thema Kaiserschnitt so gut wie nie ab, sowohl
in der Bevölkerung als auch quer durch alle
Berufsgruppen. Was noch immer fehlt, ist eine
gesicherte Information für Schwangere über
Schaden und Nutzen.
Christian F. Freisleben-Teutscher
I
n Österreich kamen im Jahr 2014 29,8 Prozent der Babys
per Kaiserschnitt zur Welt. Damit liegt die Alpenrepublik über dem OECD-Durchschnitt von 26,7 Prozent. Seit
dem Jahrtausendwechsel stieg die Sectiorate hierzulande um
12,8 Prozentpunkte. Dabei ist der Unterschied zwischen einzelnen Bundesländern beachtlich (siehe Grafik auf Seite 9).
Die Empfehlung der WHO, die Rate solle nicht über 15 Prozent liegen, wird allerdings nirgendwo in der westlichen Welt
erreicht. In Ländern wie Brasilien liegt die Sectiorate über 80
Prozent, dort scheinen Schönheitsideale ein wesentlicher Motivationsgrund zu sein.
Klare medizinische Indikationen
MedUni Wien/F. Matern
„Es gibt zwar dazu noch keine wirklich aussagekräftige Statis­
tik: Mein Eindruck ist aber, dass bei der in den letzten Jahren
stark nach oben gehenden Kurve der Sectiorate ein Plafond erreicht ist“, analysiert Angelika Berger, Leiterin der Abteilung für
Neonatologie, Pädiatrische Intensivmedizin und Neuropädiatrie
am Wiener AKH. Sie führt dies unter anderem auf eine deutlich
intensivere Diskussion zum Thema in den letzten Jahren zurück bzw. darauf, dass auch mehr valide Fakten zu möglichen
Folgewirkungen auf dem Tisch liegen, beispielsweise darüber,
dass Kaiserschnitt-Kinder in ihrem späteren Leben häufiger an
Allergien erkranken. Zudem verweist Berger auf diverse gesundheitspolitische Bemühungen wie das Auflegen von Informationsfoldern in Ordinationen von Wiener Frauenärzten, an dem
sie auch selbst mitwirkte.
Neonatologin Angelika Berger,
AKH Wien: „Es gibt keinen Grund,
die Auswirkungen einer Sectio
herunterzuspielen.“
Berger ruft dazu auf, die Emotionen aus dem Thema rauszulassen: „Es ist überhaupt keine Frage, dass es Kinder gibt, etwa
extreme Frühgeburten zwischen der 23. und 27. Schwangerschaftswoche, für die eine Sectio die Geburtsmethode der
Wahl ist.“ Auch sonst gebe es eine Reihe klarer medizinischer
Indikationen. Es mache keinen Sinn, den Kaiserschnitt zu verteufeln oder gar Frauen zu verurteilen, die sich – ohne medizinische Notwendigkeit – einen solchen wünschen. So sei es
etwa durchaus nachvollziehbar, dass sich Frauen ab 40, die
vielleicht zudem eine In-Vitro-Fertilisation hinter sich haben,
eher für diese Variante der Geburt entscheiden, da sie diese
als besonders sicher einschätzen.
Für solche Wunschkaiserschnitte „gibt es keine zufriedenstellende Datenaufbereitung, da dieser Terminus weder als Diagnose noch als Kategorie kodiert wird“, schreibt die oberösterreichische Soziologin und Hebamme Barbara Schildberger im
Österreichischen Frauengesundheitsbericht.1
Mögliche negative Folgen
Gleichzeitig gebe es aber keinen Grund, die Auswirkungen
einer Sectio herunterzuspielen, sagt Angelika Berger. Selbst
wenn wie an der Berliner Charité ohne Sichtschutz gearbeitet
wird, die Mutter also sehen kann, wie das Baby auf diese Weise
das Licht der Welt erblickt (die Fachleute sprechen dann von
„natural cesarean“2): Dies ändere nichts an den möglichen körperlichen Konsequenzen: Für die Mutter, wie die leitende Hebamme Anna Harm an der Universitätsklinik Innsbruck erklärt,
Vernarbungen, die ein Risiko bei Folgeschwangerschaften
darstellen, sowie Wundschmerz, der sowohl akut problematisch sein sowie monatelang Beschwerden verursachen kann.
Kaiserschnitt-Kinder haben zudem ein gering erhöhtes Risiko,
später Diabetes zu entwickeln.
Berger betont, dass auch eine vaginale Geburt mit Risiken verbunden sein kann und es wichtig ist, Mütter umfassend aufzuklären bzw. auch Fachpersonal weiterhin intensiv zu schulen.
Das sieht Hebamme Harm ebenso: „Schon die initiale Beratung
der Mütter – wobei es sicher Sinn macht, Väter mit einzubeziehen – sollte interdisziplinär erfolgen, zudem sollte dafür ausreichend Zeit eingerechnet werden.“ Sie betont, dass es nicht
12 Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ
57. Jg. (2016), 01-02 | www.schaffler-verlag.com
Wo Aufklärung fehlt
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Im Frühjahr 2014 wurde eine gemeinsame Studie von Stadt
Wien und dem Wiener Krankenanstaltenverbund präsentiert:
Ein Viertel der kurz vor der Niederkunft befragten Frauen gaben
an, „große Angst vor einer normalen Geburt“ gehabt zu haben,
38 Prozent von diesen entschieden sich dann für eine Sectio.
Wahrscheinlicher wird ein Kaiserschnitt auch, wenn schon eine
Geburt via Sectio vorangegangen ist, eine Beckenendlage oder
eine Frühgeburt. Laut der Studie hatten Frauen mit vaginaler
Geburt deutlich weniger Schmerzen im Vergleich zu jenen nach
Sectio, zudem fühlten sie sich kräftiger. Wie belastend sich ein
Kaiserschnitt auswirkt, habe auch mit Faktoren zu tun wie dem
sozialen Netz, der finanziellen Situation und dem bisherigen
darum ginge, jemanden mit alle Vehemenz vom „Gegenteil“ zu
überzeugen. Gleichzeitig müsste aber eben der Zugang zu verschiedenen Informationen gewährleistet sein.
Angst als wesentliches Motiv
Umgang mit schwierigen Lebenssituationen. Eine geplante Sectio wird laut der Studie besser verarbeitet als eine ungeplante.
Nur 24 Prozent der Frauen, die sich für eine Sectio entschieden,
würden diese anderen werdenden Müttern empfehlen.
In der Wiener Studie wird auch auf Metaanalysen hingewiesen, die auf eine geringere Zufriedenheit mit dem Geburtserlebnis von Frauen nach Sectio hinweisen, sowie darauf, dass
diese seltener stillten und längere Zeit bis zum wichtigen ers­
ten Mutter-Kind-Kontakt warten mussten. Hingewiesen wird
weiters auf die Wichtigkeit umfassender Information für Eltern
und auch für Fachkräfte.
seit Kurzem, dass auch Kinder der Wochen 37 und 38 ein deutlich erhöhtes Risiko für vor allem respiratorische Probleme nach
der Geburt haben, weshalb diese Kinder heute als „early term“
bezeichnet werden“, erklärt Berger. Das sieht
Harm ebenso, die auf oft auftretende Atembeschwerden von vielen Sectiokindern hinweist,
„zudem kann die Darmflora der Kinder beeinträchtigt und das Abwehrsystem des Körpers
insgesamt geschwächt sein“.
„Aus Sicht der Geburtsmedizin sind Schwangerschaft und Geburt zu Risiken geworden, die
strenger und andauernder Überwachung bedürfen. So erleben sich werdende Mütter zunehmend verunsichert und fremdbestimmt“,
Unterstützung der Mutter
heißt es dazu im Frauengesundheitsbericht.
Ebenso wichtig ist aus Bergers Sicht die För„Zusätzlich werden Indikationen zur Sectio so
derung des Prozesses des Bonding: „Hier
breit gefasst, dass gemäß der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
braucht es eine umfassende Unterstützung
(DGGG) bereits die Angst vor einer spontanen
der Mutter, ebenso bei der Initialisierung des
Geburt eine medizinische Indikation für eine
Stillens“, so Harm. In Innsbruck bleiben Mütter noch etwa zwei Stunden im Kreißzimmer,
geplante Schnittentbindung darstellt.“ Auch
Hebamme Anna Harm:
„haben ungestörte Zeit mit dem Baby auf der
die Hebamme Anna Harm verweist auf die
„Schon die initiale Beratung der Mutter
sollte interdisziplinär erfolgen.“
nackten Haut“. Harm ist es wichtig, noch ein
Angst der werdenden Mütter als wesentliches
anderes Thema anzusprechen: „Für Kinder,
Motiv für eine Sectio, „wobei es oft um Angst
die intrauterin versterben oder bei denen klar ist, dass sie unvor Schmerzen geht. Die Möglichkeiten der Periduralanästhesie
mittelbar nach der Geburt versterben werden, ist die vaginale
haben sich in den letzten Jahren weiterentwickelt, unsere Anästhesisten arbeiten mit einem System, das mit einer SchmerzGeburt der natür­lichste Weg und auch aus medizinischer Sicht
pumpe verglichen werden kann: Via Knopfdruck kann die Frau
zu empfehlen.“ Die vaginale Geburt sei für viele Frauen ein Weg,
die Dosis erhöhen.“ Die Erfahrungen würden zeigen, dass so
die Realität des Todes des Kindes zu akzeptieren und den Trauerschmerz zu verarbeiten. Bei solchen Geburten sei der Einsatz
insgesamt weniger Schmerzmittel zum Einsatz kämen.
von Schmerzmitteln sehr wichtig. „Es braucht aber auch Überlegungen auf gesundheits- und sozialpolitischer Seite: Nach einer
Dass auch eine andere Sorge, nämlich die der Ärzte vor juristischen Konsequenzen bei etwaigen negativen Folgen einer Sponsolchen sogenannten ‚stillen Geburt‘ sollten Frauen Zeit für
tangeburt, die Entscheidung für eine Sectio befördern kann, will
die Verarbeitung haben und somit das
keiner der von der ÖKZ dazu befragten Gynäkologen bestätigen.
Anrecht auf Mutterschutz in Anspruch
G O:
ÖK Z TO
nehmen können“, betont Harm. ::
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en diese
Neonatologin Berger wünscht sich auch intensive InformationsSie könn r herLiteratur:
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arbeit vonseiten niedergelassener Gynäkologen, durch spezielle
Artik
Schildberger B (2011): Schwangerschaft, Geburt und Muten und
unterlad
Kampagnen und Hebammen. Es sei zu wenig, wenn seit drei Jahterdasein. In: Österreichischer Frauengesundheitsbericht.
immer
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Bundesministerium für Gesundheit.
ren in Kinder- und Jugendgesundheitsstrategien eine Senkung
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Smith J et al (2008): The natural caesarean: a womander Sectiorate festgeschrieben ist, es brauche mehr konkrete
centred technique. Bjog, 115(8), 1037–1042. Zugang: http://
doi.org/10.1111/j.1471-0528.2008.01777.x. Zugriff: 12.10.2015
Maßnahmen. Und eben auch Weiterbildung für das Personal.
„So ist es bei uns am AKH jetzt Standard, dass eine Sectio ohne
Mag. Christian F. Freisleben-Teutscher
medizinische Indikation, also ein Wunschkaiserschnitt, nicht vor
[email protected]
Schwangerschaftswoche 39 durchgeführt wird. Wir wissen erst
privat
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Wiener Studie
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57. Jg. (2016), 01-02 | www.schaffler-verlag.com
Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ 13
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