Wechselwirkung von langsamen hochgeladenen Argonionen mit

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Wechselwirkung von langsamen
hochgeladenen Argonionen mit kleinsten
Heliumclustern
Stefan Zeller
Masterarbeit
Institut für Kernphysik
Johann Wolfgang Goethe Universität
Frankfurt am Main
18. Juli 2011
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung
5
2 Physikalische Grundlagen
11
2.1
Gebundene Atome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.2
Eigenschaften kleinster Heliumcluster
2.3
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.2.1
Das Heliumdimer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.2.2
Das Heliumtrimer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Ionisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.3.1
Das Over-Barrier Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.3.2
Ionisationsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2.3.3
Coulomb-Explosion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
3 Aufbau des Experimentes
27
3.1
Targetpräparation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
3.2
Ionenstrahlerzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
3.3
3.2.1
Funktionsweise der EZR-Ionenquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
3.2.2
Strahlführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Impulsspektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
3.3.1
Trajektorien im Spektrometer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.3.2
Teilchendetektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
3.3.3
Datenerfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
3.3.4
Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
4 Auswertung und Interpretation
49
4.1
Koordinatensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
4.2
Kalibrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
4.3
Analyse der Rohdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4.4
Auswertung der Heliumdimere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
4.4.1
Identifizierung der Ionisationsmechanismen . . . . . . . . . . . . . 59
4.4.2
Abstandsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
3
4.5
Auswertung der Heliumtrimere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
4.5.1
Impulskonfiguration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
4.5.2
Dalitz-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
4.5.3
Newton-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
4.5.4
Internukleare Abstände und Innenwinkel . . . . . . . . . . . . . . . 76
5 Zusammenfassung und Ausblick
81
5.1
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
5.2
Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
Literaturverzeichnis
83
Abbildungsverzeichnis
91
1 Einführung
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden reproduzierbare Experimente durchgeführt, die
mit der bis dahin im Wesentlichen verstandenen und bewährten klassischen Physik 1 nicht
erklärt werden konnten. So war zum Beispiel die Wärmestrahlung eines Körpers mit den
klassischen Konzepten nicht beschreibbar. Durch die Annahme einer Energiequantelung
konnte Planck jedoch die experimentellen Ergebnisse korrekt beschreiben, auch wenn für
ihn die Quantelung selbst nicht streng beweisbar war. Das Konzept gequantelter Energien griff Bohr auf und erstellte das nach ihm benannte Atommodell. Mit diesem Modell
war es erstmals möglich die bis dahin unverstandenen Spektrallinien des Wasserstoffatoms zu erklären.
Ein weiteres Phänomen, das nur mit der Energiequantelung erklärt werden konnte, war
der photoelektrische Effekt. Nach der Lichtquantenhypothese von Einstein kann sich
Licht wie Teilchen verhalten. Unterdessen beweisen Beugung und Interferenz den Wellencharakter von Licht, es kann sich demnach situationsbedingt wie Teilchen oder wie eine
Welle verhalten. Die Gültigkeit dieses klassisch unbegreiflichen Welle-Teilchen-Dualismus
konnte durch De Broglies Theorie und bestätigenden Experimenten auch für Materie erkannt werden [DG27]. Demnach kann Materie einen Wellencharakter aufweisen und wie
Licht interferieren und gebeugt werden.
Diese experimentellen Beobachtungen konnten nur mit Hypothesen gedeutet werden, die
der klassischen Physik fundamental widersprechen. Somit wurde eine neue abgeschlossene Theorie notwendig, die sowohl diese Hypothesen in beweisbare Gesetze überführt
als auch die makroskopisch korrekte klassische Physik als Grenzfall enthält. Dies führte
schließlich zu der Entwicklung der Quantenmechanik.
Aufgrund des Wellencharakters der Materie wird die Dynamik von Quantensystemen
durch Wellenfunktionen Ψ(r, t) beschrieben, die aus der Schrödingergleichung folgen. Der
Charakter dieser Wellenfunktionen gestattet im Gegensatz zur klassischen Mechanik le1
Als klassische Physik werden die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ausgearbeiteten physikalischen
Theorien bezeichnet. Charakteristisches Merkmal dieser Theorien ist ihr Determinismus: Sind alle
definierenden Größen des Zustandes eines Systems zu einem Zeitpunkt bekannt, so ist der Zustand
zu allen späteren Zeiten bereits eindeutig festgelegt.
5
6
diglich Wahrscheinlichkeitsaussagen über Messgrößen. Daraus folgt ein wesentliches Charakteristikum der Quantenmechanik, welches die prinzipielle Unmöglichkeit beschreibt,
zwei komplementäre Observablen wie Ort und Impuls gleichzeitig scharf bestimmen zu
können: Die Heisenbergsche Unbestimmheitsrelation. Eine weitere Folge der Wellennatur
ist der Tunneleffekt, der mathematisch aus dem Eindringen der Wellenfunktion in klassisch verbotene Bereiche resultiert. Konsequenzen dieses Effektes sind beispielsweise die
α-Radioaktivität und die Energiebänder in Festkörpern. Derartige Folgen sind jedoch
nur im Bereich atomarer Dimensionen relevant, bei makroskopischen Objekten treten
Quanteneffekte wie das Tunneln nicht in Erscheinung.
Systeme für deren Beschreibung die Quantenmechanik benötigt wird, werden Quantenobjekte genannt. Diese sind insbesondere Elementarteilchen und Objekte mit vergleichbarer Masse. Aber auch größere Teilchen wie Moleküle zeigen unter gegebenen
Bedingungen Quanteneigenschaften. Die Eigenschaften von einfachen Quantenobjekten
können hervorragend durch ab initio Rechnungen der Quantenmechanik vorhergesagt
werden. Dabei lässt sich allerdings nur für Zweikörperprobleme, wie beispielsweise das
aus Proton und Elektron bestehende Wasserstoffatom, die Schrödingergleichung analytisch, also ohne den Einsatz numerischer Verfahren, lösen. Bereits für die Lösung von
Dreikörperproblemen sind Näherungsverfahren notwendig, die zusätzliche Annahmen
oder, neben fundamentalen Naturkonstanten, weitere Parameter erfordern.
Durch Messungen an solchen Quantenobjekten kann die Gültigkeit, und darüber hinaus
die Güte verwendeter Rechenverfahren und theoretischer Annahmen überprüft werden.
Die in dieser Arbeit untersuchten kleinsten Heliumcluster bilden derart fragile Systeme,
dass die theoretische Vorhersage ihrer Existenz in höchstem Maße von der Genauigkeit der Berechnungsmodelle abhängt. Der nachfolgende Abschnitt wird zeigen, dass
das Auftreten des Heliumdimergrundzustandes, und damit das Auftreten des Dimers an
sich, aufgrund seiner extrem niedrigen Bindungsenergie lange Zeit umstritten war. Anschließend soll das Interesse an einem weiteren flüchtigen Quantenzustand, dem EfimovZustand des Heliumtrimers, erläutert werden.
Existenz des Heliumdimers
Theoretische Überlegungen zur Existenz des Heliumdimers wurden um das Jahr 1928
von J. C. Slater angestellt. Er untersuchte die Wechselwirkung zwischen zwei Heliumatomen und zeigte, dass sie aus einem repulsiven Term und einem attraktiven Term,
der Van-der-Waals Wechselwirkung, besteht. Dadurch wird ein Potentialminimum bei
KAPITEL 1. EINFÜHRUNG
7
einem internuklearen Abstand von 5,6 Å gebildet [Sla28]. Der Quantenmechanik zufolge besitzt der Grundzustand jedes gebundenen Systems eine Mindestenergie, die sogenannte Nullpunktsenergie. Ein gebundener Zustand existiert also nur dann, wenn die
Nullpunktsenergie kleiner ist als die Tiefe des Potentials des fraglichen Systems. Diese
Bedingung ist in den meisten Systemen deutlich erfüllt, die Potentialtiefe des Heliumdimers unterscheidet sich jedoch nur marginal von dessen Nullpunktsenergie. Und so
hängt die Frage darüber, welche der beiden Größen die größere ist, und damit die Frage
über die Existenz des Heliumdimers, empfindlich von Verfahren der Berechnung beider
Größen und den dabei erforderlichen Näherungen ab. Mehr als 60 Jahre lang wurde
die exakte Bestimmung beider Größen mit Hilfe unterschiedlicher Verfahren angestrebt
[SK31, Pag38, Ros50, GW55, Kim62, Abr63, KS66, SK80]. Eine eindeutige Aussage über
die Existenz des Heliumdimers konnte jedoch nicht getroffen werden.
Die Suche nach dem Heliumdimer begann von experimenteller Seite in den 70er Jahren.
Bei erster Herangehensweise wurden Cluster unterschiedlicher Größe in einem kalten
Gasjet erzeugt. Um die Masse der erzeugten Cluster zu bestimmen, wurde der Gasjet
mit Elektronen beschossen. Sie sollten einzelne Cluster ionisieren, um anschließend deren
Masse zu Ladungs-Verhältnis zu bestimmen. Ein nachgewiesener Cluster mit Masse zu
Ladungs-Verhältnis von 8 entspräche einem einfach geladenen Heliumdimer, welches in
der Reaktion mit dem Elektron ionisiert wurde. Aufgrund der erhöhten Bindungsenergie
des He+
2 gegenüber dem He2 ist jedoch auch die Fragmentierung eines größeren Clusters
durch die Reaktion mit einem Elektron sehr wahrscheinlich. Da He+
2 -Ionen auch auf diesem Weg erzeugt werden können, bietet ihr Nachweis keinen Beweis für die Existenz des
neutralen Heliumdimers.
Eine Weiterentwicklung dieses Nachweiskonzeptes bestand darin, einen gepulsten Gasjet
zu verwenden [LMK+ 93]. Hierbei sollten die Dimere durch ihre Masse von den leichteren
Monomeren getrennt und mit einem Elektron ionisiert werden, um sie anschließend durch
Massenspektrometrie nachzuweisen. Jedoch bestanden auch hier Zweifel, ob das nachgewiesene Masse zu Ladungs-Verhältnis von 8 nicht von Fragmenten größerer Cluster
stammt [MMS94]. Im Jahre 1994 brachte eine neue Methode der Untersuchung schließlich den Beweis für die Existenz des Heliumdimers. Schöllkopf und Toennies nutzten
die Wellennatur von Teilchen aus, um einen kalten Heliumgasjet an einem Nanogitter zu
beugen [ST94]. Nach de Broglie kann jedem Teilchen in Abhängigkeit seines Impulses eine Wellenlänge λ =
h
p
zugeschrieben werden, wobei h das Plancksche Wirkungsquantum
ist. Der Beugungswinkel α der n-ten Ordnung wird in Abhängigkeit der Gitterkonstan-
8
ten d und der De-Broglie-Wellenlänge λ durch
sin(α) = n
λ
d
(1.1)
beschrieben. Da die Wellenlänge abhängig vom Teilchenimpuls p = mv ist, können anhand der Beugungswinkel die Massen der Teilchen bestimmt werden, sofern die Geschwindigkeit aller Teilchen identisch ist. Von dem eingesetzten Überschall-Gasjet wird
die Bedingung, dass alle Teilchen nahezu die gleiche Geschwindigkeit besitzen, erfüllt.
Abbildung 1.1 zeigt das Beugungsbild eines Heliumstrahls bei verschiedenen Temperaturen und Drücken. Die dominante Interferenzstruktur wird von Monomeren erzeugt.
Zwischen den Monomerpeaks nullter und erster Ordnung sind weitere Peaks2 zu erkennen, die über Gleichung 1.1 der Masse von Dimeren, Trimeren und Tetrameren zugeordnet werden können. Damit wurde die Existenz der Heliumdimere eindeutig bestätigt.
Darüber hinaus konnte durch dieses Experiment die mittlere Bindungslänge des Heliumdimers von 52 Å bestimmt werden. Der große internukleare Abstand ist Beweis für
die extrem geringe Bindungsenergie, die nach aktuellen Rechnungen nur 95 neV beträgt
[GST+ 00]. Um von theoretischer Seite über die Existenz des Dimers zu entscheiden, muss
eine Genauigkeit der Berechnung von dieser Größenordnung erreicht werden. Damit eignet sich das Heliumdimer hervorragend als Testobjekt für die Entwicklung theoretischer
Verfahren. [Kom01]: “As the hydrogen molecule in the past, the helium dimer today
became a test case for developement of new computational methods and tools“.
Efimovzustand des Heliumtrimers
Eine sonderbare Eigenschaft von Dreikörpersystemen besteht in ihrem Vermögen selbst
dann gebundene Zustände zu formen, wenn es keine gebundenen Zustände für die einzelnen Zweikörper-Untersysteme gibt. Diese besondere Situation tritt unter speziellen
Bedingungen im Fall der sogenannten Efimov- und Halo-Zustände ein [Efi70]. Beide Arten von Zuständen treten in Systemen identischer Teilchen auf, könnten prinzipiell aber
auch in asymmetrischen Systemen vorkommen.
Sowohl Efimov- als auch Halo-Zustände treten in Systemen auf, deren Wechselwirkungspotential mit zunehmendem Abstand der Konstituenten voneinander stärker als r−2
abfällt. Der Unterschied zwischen den beiden Arten von Zuständen wird durch die Energieniveaulage in den konstituierenden Zweikörper-Untersystemen definiert: Gibt es im
Zweikörpersystem einen gebundenen Zustand sehr nahe der Nullpunktenergie so kön2
englisch: peak - Scheitelpunkt, Gipfel
KAPITEL 1. EINFÜHRUNG
9
Abbildung 1.1: Interferenzbild eines Heliumstrahls, welcher bei verschiedenen Temperaturen und
Drücken an einem 100 nm Gitter gebeugt wurde [BST02]. Zwischen dem Monomerpeak 0. und 1. Ordnung werden weitere Peaks gemessen, die anhand ihrer
Position den Massen von Dimeren, Trimeren und Tetrameren zugeordnet werden
können.
nen Efimov-Zustände auftreten. Halo-Zustände hingegen entstehen, wenn es keinen gebundenen Zweikörperzustand gibt. Letztere wurden zwar in Kernmodellen studiert, es
gibt jedoch weder für Atom- noch für Molekülsysteme detaillierte Untersuchungen. Für
Efimov-Zustände gab es lange Zeit ebenfalls keinen experimentellen Nachweis. Aufgrund
der langreichweitigen Coulombkraft bilden sich diese Zustände nicht innerhalb eines
Atoms aus. Für Systeme aus mehreren neutralen Atomen könnten sie jedoch existieren,
da das Wechselwirkungspotential zwischen zwei neutralen Atomen mit zunehmendem internuklearen Abstand stark abfällt. Tatsächlich wurde 2006 der Nachweis für die Existenz
eines Efimov-Zustandes durch Messungen an einem ultrakalten Gas aus Caesiumatomen
erbracht [KMW+ 06].
Das Heliumtrimer ist ein weiterer hervorragender Kandidat für ein System, in dem ein
Efimov-Zustand existieren könnte. Wie im vorherigen Abschnitt beschrieben, besitzt das
10
Heliumdimer nur einen einzigen extrem schwach gebundenen Zustand und erfüllt damit
die für das Auftreten von Efimov-Zuständen notwendige Bedingung an die ZweikörperUntersysteme. Theoretisch sind zwei gebundene Zustände für das Heliumtrimer vorhergesagt, wobei der erste angeregte Zustand ein Efimov-Zustand ist [ELG96]. Bisher konnte
dessen Existenz jedoch nicht experimentell bestätigt werden [BKK+ 05].
In der Beschreibung von Vielteilchensystemen könnten Efimov-Zustände die Rolle von
statisch korrelierten Unterstrukturen oder von Vermittlern dynamischer Prozesse spielen. So kann die genauere Kenntnis dieser Art von Zuständen zu einem detaillierterem
Verständnis von Vielteilchensystemen führen [JRF04].
Schwerpunkte dieser Arbeit
In dieser Arbeit sollen die Eigenschaften der beschriebenen kleinsten Heliumcluster durch
deren Wechselwirkung mit langsamen hochgeladenen Ionen erforscht werden, um ein facettenreicheres Verständnis dieser fragilen Quantenobjekte zu erlangen. Dazu wurden
die in einem Überschall-Gasjet erzeugten Cluster mit Ar8+ -Ionen aus der ElektronZyklotron-Resonanz-Ionenquelle der Goethe-Universität Frankfurt gekreuzt. Die ionischen Fragmente, die bei der Wechselwirkung entstehen, werden in einer COLTRIMSApparatur impulsspektroskopisch vermessen. Das Messen der vollständigen Impulsvektoren ermöglicht die Rekonstruktion unterschiedlicher Ionisationsprozesse sowie der räumlichen Lage und der molekularen Konfiguration der Cluster zum Zeitpunkt der Reaktion.
2 Physikalische Grundlagen
In diesem Kapitel sollen die Wechselwirkungen vorgestellt werden, die den attraktiven
und repulsiven Kräfte zwischen zwei oder mehreren Atomen zugrunde liegen. Sie sind
verantwortlich für die Ausbildung der Potentialminima in denen die Zustände von Molekülen gebunden sind. Besteht das Molekül aus zwei, drei oder mehreren Atomen einer
Sorte, wird von Dimeren, Trimeren oder allgemein von Clustern gesprochen. Nach einem
Überblick über die Eigenschaften des Heliumdimers und des Heliumtrimers wird die Interaktion zwischen langsamen, hochgeladenen Ionen und Heliumclustern erläutert, und
die daraus resultierenden Ionisationsprozesse erklärt.
2.1 Gebundene Atome
Eine Bindung zwischen Atomen wird immer dann eingegangen, wenn der gebundene
Zustand energetisch günstiger ist als der Zustand der getrennten Teilchen. Solch ein Zustand niedrigerer Energie kann durch unterschiedliche Mechanismen ermöglicht werden,
was dazu führt, dass nahezu die gesamte Materie in Form von mehratomigen Molekülen
oder als Kondensat vorliegt. Das Potential zwischen zwei Atomen ist abhängig von deren
Abstand zueinander. Im Grenzfall großer Abstände ist dieses Potential gleich Null, die
Atome sind nicht gebunden. Nähern sich die Atome einander an, so wird die Elektronenhülle eines Atoms vom jeweils anderen Kern angezogen, wodurch sich die gemeinsame
Energie verringert. Erst wenn sich die beiden Atome so nah sind, dass die Abstoßung
ihrer positiv geladenen Kerne überwiegt, steigt die potentielle Energie wieder an. Durch
Auftragen der potentiellen Energie in Abhängigkeit des internuklearen Abstandes entsteht eine Potentialkurve, wie sie beispielsweise in Abbildung 2.3 dargestellt ist. Für
einen Verband aus mehreren Atomen ergibt sich analog eine Potentialfläche, da die potentielle Energie des Systems von der Lage aller Atome abhängt.
Neben dem Abstand der Atomkerne hat auch die Veränderung der atomaren Orbitale
bei der Bindung zu einem Molekül großen Einfluss auf das gebundene System. Um molekulare Orbitale Ψ zu konstruieren, können die atomaren Orbitale φn der beteiligten
11
12
2.1. GEBUNDENE ATOME
Atome linear kombiniert werden1 .
Ψ=
X
cn φn
(2.1)
n
Für ein diatomares Molekül ergibt sich ausgehend von der Schrödingergleichung
Ĥ(cA φA + cB φB ) = E(cA φA + cB φB ),
(2.2)
wobei Ĥ der molekulare Hamiltonoperator ist. Das Auflösen des aus Gleichung 2.2 entstehenden linearen Gleichungssystems liefert zwei Energieeigenwerte E+ und E− . Sie
können dem bindenden Ψ+ und dem antibindenden Molekülorbital Ψ− zugeordnet werden (für eine detaillierte Beschreibung siehe [Jah05]).
Das einfachste Beispiel für eine solche kovalente Bindung bildet das Wasserstoffmolekül.
Es wird durch den Überlapp der atomaren Wellenfunktionen beider Wasserstoffatome
zusammengehalten. Die beiden 1s Elektronen bilden gemeinsam ein σ-Molekülorbital.
Die Schrödingergleichung liefert für die Überlagerung beider Wellenfunktionen zwei Lösungen, eine symmetrische und eine antisymmetrische, dargestellt in Abbildung 2.1. Die
symmetrische Lösung führt zu einer erhöhten Ladungsdichte zwischen beiden Kernen,
also zu einer Bindung. Bei der antisymmetrischen Lösung überlagern sich die Wellenfunktionen destruktiv, was zu einer verringerten Ladungsdichte zwischen den Kernen,
und damit zur Abstoßung führt.
Bei konstruktiver Überlagerung wird nun also Energie frei, es wird ein energetisch günstigerer Zustand erreicht, und deshalb kommt Wasserstoff in der Natur in molekularer
Form vor. Nach diesem Prinzip wäre nun auch die Bindung zweier Heliumatome zu einem
Heliummolekül denkbar. Das Heliumatom besitzt zwei Valenzelektronen, die gemeinsam
die K-Schale abschließen. Beide Elektronen befinden sich also im 1s Zustand und müssen sich nach dem Pauli-Prinzip in mindestens einer Quantenzahl unterscheiden, was in
diesem Fall nur die Spinquantenzahl sein kann. Im Molekülorbital eines Heliummoleküls
würden durch die vier Elektronen sowohl der symmetrische als auch der antisymmetrische Zustand mit jeweils zwei Elektronen besetzt, wie in Abbildung 2.2 dargestellt.
Bei Superposition beider Zustände überwiegt jedoch die antibindende Eigenschaft des
antisymmetrischen Zustandes und es kommt nicht zur Bildung eines Moleküls. Bindung
zwischen zwei Atomen kann nach diesem Prinzip also solange erreicht werden, wie mehr
symmetrische als antisymmetrische Molekülorbitalzustände besetzt werden können. Da
alle Edelgase sich durch ihre voll aufgefüllte Valenzschale auszeichnen entstünden stets
1
Diese Methode wird LCAO genannt, was für „linear combination of atomic orbitals“ steht.
KAPITEL 2. PHYSIKALISCHE GRUNDLAGEN
13
Abbildung 2.1: (oben) Additive Überlagerung der Wellenfunktion und zugehörige schematische
Darstellung eines bindenden Orbitals. (unten) Subtraktive Überlagerung der Wellenfunktion und Darstellung eines antibindenden Orbitals [Wik11].
gleich viele symmetrische und antisymmetrische Molekülorbitalzustände. Deshalb gehen
Edelgase keine atomare Bindung untereinander ein [HW93].
Es gibt jedoch noch eine weitere Kraft, durch die eine Bindung zwischen Atomen und
Molekülen entstehen kann. Diese sogenannte Van-der-Waals Wechselwirkung beschreibt
die attraktive Kraft zwischen Dipolen. Sie bildet sich zwischen heterogenen Molekülen
aus, die ein statisches Dipolmoment besitzen. Doch auch neutrale Atome besitzen aufgrund der Elektronenbewegung Dipolcharakter, sofern eine Momentaufnahme und nicht
das zeitliche Mittel betrachtet wird. Dadurch kann ein kurzzeitiges Dipolmoment in
einem Nachbaratom induziert werden. Durch gegenseitige Induktion wird eine Ausrichtung der Dipole bewirkt, was in einer attraktiven Kraft zwischen dem Atom und seinem
Nachbarn resultiert. Die Van-der-Waals Wechselwirkung wird in der Praxis meist durch
das semi-empirische Lennard-Jones Potential beschrieben:
m
V (R) =
n−m
R0
R
n
n
−
m
R0
R
m (2.3)
Die Position des Potentialminimums und die Potentialtiefe werden durch R0 und angegeben. Für den Potentialverlauf zwischen zwei neutralen Atomen liefern m = 6 und
n = 12 eine realitätsnahe Beschreibung. Die Van-der-Waals Kräfte bilden den anziehenden Wechselwirkungsterm im Lennard-Jones-Potential, der mit der sechsten Potenz
des Abstandes R zwischen den beiden Atomen abfällt. Für große Abstände R bildet
14
2.2. EIGENSCHAFTEN KLEINSTER HELIUMCLUSTER
Abbildung 2.2: Besetzung der Molekülorbitale von Wasserstoff (links) und Helium (rechts). Nach
dem Pauli-Prinzip können maximal zwei Elektronen (mit unterschiedlichem Spin)
den gleichen Zustand besetzen. Daher müssten im He2 Molekül zwei der vier
Elektronen in den antibindenden Zustand übergehen. Dieses System ist jedoch
instabil. [Wik11].
dieser Term eine gute Näherung des Potentialverlaufs. Für kleine Abstände überwiegen
dann aber die repulsiven Coulombkräfte zwischen den Kernen und die Wechselwirkungen der Elektronenhüllen. Die Van-der-Waals Kraft wirkt generell zwischen Atomen und
Molekülen, tritt jedoch in den Hintergrund sobald andere Bindungsarten zum tragen
kommen, da ihre Bindungsenergie typischerweise unterhalb von 0,1 eV liegt. Diese geringe Bindungsenergie ermöglicht, dass unter geeigneten Umständen das Heliumdimer
existieren kann. Um den Potentialverlauf des sehr schwach gebundenen Heliumdimers zu
beschreiben bietet das Lennard-Jones Potential nur eine unzureichende Näherung. Hierfür werden aufwendigere Verfahren wie Störungsrechnung oder die sogenannte diffusion
quantum Monte Carlo-Methode benötigt (DMC) [Hav10, TTY95, Lew97].
2.2 Eigenschaften kleinster Heliumcluster
Durch die im vorangegangenen Abschnitt erläuterte Van-der-Waals Wechselwirkung können Heliumatome unter geeigneten Umständen zu Clustern gebunden werden. Im Folgenden wird näher auf die in dieser Arbeit untersuchten kleinsten Cluster, das Heliumdimer
und das Heliumtrimer, eingegangen.
2.2.1 Das Heliumdimer
Lange Zeit konnte weder theoretisch noch experimentell bestätigt werden, ob das Heliumdimer existiert (siehe Kapitel 1). Das liegt an dessen verschwindend kleinen Bindungs-
KAPITEL 2. PHYSIKALISCHE GRUNDLAGEN
15
Abbildung 2.3: Berechnete Potentialkurve des Heliumdimers (schwarz) nach [TTY95] (aus
[Hav10]). Von der Wellenfunktion R2 Ψ2 des Grundzustandes (blau) ist nur ein
Teilausschnitt dargestellt. Sie erstreckt sich über einen weiten Bereich mit einem
Mittelwert von 52 Å, wobei selbst für Abstände von r > 200 Å noch signifikante
Beiträge existieren.
energie. Nach aktuellen Rechnungen beträgt die Potentialtiefe des Dimers 0,94668 meV.
Die Nullpunktenergie erreicht mit 0,94658 meV allerdings schon fast die Kontinuumsgrenze [TTY95]. Die daraus resultierende Bindungsenergie des Grundzustandes von
95 neV führt zu extrem großen internuklearen Abständen im gebundenen Zustand. Bei
einem mittleren internuklearen Abstand von 52 Å ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit
so stark delokalisiert, dass Abstände von 3 bis 200 Å erreicht werden können [GST+ 00].
Das Potential und ein Ausschnitt der zugehörigen Wellenfunktion R2 Ψ2 sind in Abbildung 2.3 dargestellt.
Diese starke Delokalisierung kann auch durch die Heisenbergsche Unschärferelation erklärt werden. Sie besagt, dass eine gleichzeitige exakte Bestimmung von Ort ∆x und
Impuls ∆px eines quantenmechanisches Objektes prinzipiell unmöglich ist.
∆x · ∆px ≥
~
2
(2.4)
Für ein eindimensionales Potential gilt darüber hinaus der Ausdruck
∆E · ∆x ≥
~
|hpx i| .
2m
(2.5)
16
2.2. EIGENSCHAFTEN KLEINSTER HELIUMCLUSTER
Da die Nullpunktenergie des Heliumdimers sehr exakt bestimmt sein muss, ergibt sich
durch die Quantenmechanik also zwangsweise eine enorme Ausdehnung.
Selbst Rotationsanregungen und Vibrationsanregungen, die typischerweise Energien von
1 meV bis 250 meV besitzen [HW94], übersteigen die Schwelle bis zu der Zustände existieren können, und sind somit im fragilen Heliumdimer nicht möglich. Dies bietet bei
der Durchführung von Experimenten den Vorteil, dass der Anfangszustand den Dimers
immer eindeutig bestimmt ist. Darüber hinaus können Heliumdimere nur aus dem häufigsten Isotop 4 He bestehen, während die Nullpunktsenergie im 3 He2 und 4 He3 He System
bereits die Potentialtiefe übersteigt [BZMM00].
Auch die mittlere Energie von Atomen bei Normalbedingungen, also einer Temperatur
von rund 300 K und einem Druck von etwa 1 bar, übersteigt die Bindungsenergie des
Dimers bereits bei weitem. Die mittlere Energie beträgt etwa E = kb T = 26 meV und
ist damit etwa fünf Größenordnungen höher als die bindenden Van-der-Waals Kräfte.
Deshalb ist die Bildung von Heliumdimeren ohne äußere Einwirkungen höchst unwahrscheinlich und die Lebensdauer äußerst begrenzt. Um Heliumdimere für das Experiment zu erzeugen und sie anschließend zu untersuchen müssen spezielle Bedingungen in
der Targetkammer herbeigeführt werden, die die Entstehungswahrscheinlichkeit erhöhen.
Darauf wird in Abschnitt 3.1 explizit eingegangen.
2.2.2 Das Heliumtrimer
Drei Heliumatome können eine Verbindung zu einem Heliumtrimer eingehen, dessen
Grundzustand eine Bindungsenergie von 126 mK hat. Der mittlere internukleare Abstand2 beträgt im Grundzustand 7,88 Å [LSA+ 99]. Neben dem symmetrischen 4 He3 Trimer existiert auch das asymmetrische Trimer 4 He32 He. Es ist mit einer Bindungsenergie von 11,4 mK etwa zehnmal schwächer gebunden und seine Wellenfunktion ist doppelt
soweit ausgedehnt wie die des symmetrischen Trimers. Trimere aus leichteren Isotopen
4 He3 He
2
und 3 He3 sind nicht gebunden [SYLE07, LB07]. Wie im Heliumdimer gibt es
auch im Trimer keine gebundenen rotationsangeregten Zustände [LEGL01].
Zusätzlich zum Grundzustand des 4 He3 -Trimers folgt aus theoretischen Berechnungen
ein erster angeregter Vibrationszustand [LDD77] mit einer Bindungsenergie von nur
2,3 mK [BKK+ 05]. Für diesen schwach gebundenen Zustand wird ein Efimov-Charakter
vorhergesagt. Die Grundlage der Klasse von Efimov-Zuständen ist ein Effekt, der für
Dreikörper-Systeme mit kurzreichweitiger Wechselwirkung auftreten kann, in denen die
Zweikörper-Untersysteme keinen, oder einen nur extrem schwach gebundenen Zustand
2
Der mittlere internukleare Abstand entspricht bei einem Trimer der mittleren Seitenlänge des durch
die Zentren aufgespannten Dreiecks
KAPITEL 2. PHYSIKALISCHE GRUNDLAGEN
17
besitzen. Das Heliumdimer, dessen Grundzustand eine Bindungsenergie von nur 95 neV
aufweist, erfüllt als Zweikörper-Untersystem des Trimers gerade diese Voraussetzung.
Efimov zeigte, dass unter derartigen Bedingungen eine unendliche Anzahl schwach gebundener Zustände auftreten kann [Efi70]. Diese Zustände sind theoretischen Berechnungen zufolge aufgrund der Wesensart der Bindung extrem flexibel und können alle
erdenklichen Dreiecksformen und sogar lineare Konfigurationen annehmen. Die Anzahl
der resultierenden Efimov-Zustände ist dabei sehr sensitiv auf die Bindungsstärke der
Zweikörper-Untersysteme. Nach aktuellen Rechnungen folgt aus dem Potential des Heliumdimers genau ein Efimov-Zustand des Trimers [ELG96].
2.3 Ionisation
Die Ionisation der Heliumdimere und -trimere erfolgt in Stoßprozessen mit langsamen
hochgeladenen Argonionen. Bei ausreichend kleiner Projektilgeschwindigkeit können Elektronen aus dem Target von den Projektilionen eingefangen werden. Ein solcher Elektroneneinfang kann durch das klassische Over-Barrier Modell beschrieben werden, das im
nächsten Abschnitt erläutert wird. Innerhalb dieses Modells sind unterschiedliche Prozesse vorstellbar, die nachfolgend aufgeführt werden.
2.3.1 Das Over-Barrier Modell
Die Wechselwirkung von Projektil und Target wird in elastische oder inelastische Streuprozesse sowie Reaktionen unterteilt. Bei elastischer Streuung behalten beide Streupartner ihren Quantenzustand bei, lediglich ihre Geschwindigkeitsvektoren werden verändert.
Bei inelastischer Streuung wird die interne Struktur von mindestens einem der beiden
Stoßpartner verändert, was beispielsweise einer elektronischen Anregung entspricht. Entstehen bei der Wechselwirkung durch Ladungsaustausch oder Ionisation neue Teilchen,
so spricht man von einer Reaktion.
Die unterschiedlichen theoretischen Modelle, mit denen inelastische Streuungen und Reaktionen beschrieben werden können, unterscheiden sich in ihrem Gültigkeitsbereich,
der von der Stoßenergie im Schwerpunktsystem abhängt. Hierfür ist das Verhältnis von
Stoßgeschwindigkeit v zur Geschwindigkeit der Elektronen im Target v0 relevant. Bei
niedrigen Energien, also kleinen Stoßgeschwindigkeiten v < v0 können sich die Targetelektronen auf den sich adiabatisch ändernden Zustand der Kernpotentiale des Targets
und des Projektils einstellen. Dies ist die Voraussetzung für die Beschreibung des Stoßprozesses nach dem klassischen Over-Barrier Modell. Während der dadurch gegebenen,
ausreichend langen Stoßzeit kann sich aus Target und Projektil kurzfristig ein sogenann-
18
2.3. IONISATION
tes Quasimolekül bilden. Bei der anschließenden Vergrößerung des Abstandes beider
Stoßpartner wird das Quasimolekül zerrissen. Dabei verbleibt ein Elektron, dessen Energie sich oberhalb der kurzzeitig abgesenkten Potentialbarriere zwischen den Stoßpartnern
befindet, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit entweder beim Target oder beim Projektil. Diese Art von Ladungsaustausch wird Elektroneneinfang genannt, und ist dadurch
charakterisiert, dass das Elektron beim Transfer nicht ins Kontinuum übergeht. Bei kleinen Stoßgeschwindigkeiten ist der Elektroneneinfang ein dominanter Prozess mit hohen
Wirkungsquerschnitten im Bereich 10−16 cm2 [BJ03].
Abbildung 2.4: Schematischer Verlauf des Elektroneneinfangs im klassischen Over-BarrierModell. Von oben nach unten ist der zeitliche Verlauf der Annäherung der Potentiale, deren Überlapp und das Verbleiben des Elektrons im tieferen Potential
skizziert. Modifizierte Darstellung nach [Neu10].
Der Vorgang des Elektroneneinfangs nach dem Over-Barrier Modell wird in Abbildung
2.4 schematisch dargestellt. Nähert sich das in diesem Beispiel hochgeladene Projektil
dem neutralen Target an, so überlappen beide Potentialkurven, was in einer Absenkung der Potentialbarriere zwischen beiden Stoßpartnern resultiert. Ab einem kritischen
Abstand Rc ist die Potentialbarriere soweit abgesunken, dass ihr Energielevel die Bindungsenergie des Elektrons im Target unterschreitet. Diese Überlagerung beider Potentiale kann in sämtlichen Ion-Atom Stößen angenommen werden, doch nur bei hinreichend
langen Interaktionszeiten kann sich das Elektron auf das veränderte Potential einstellen. Sein Aufenthaltswahrscheinlichkeitsraum erstreckt sich für den kurzen Zeitraum des
Vorbeifluges über das entstandene Quasimolekül. Mit dem anschließenden Entfernen
KAPITEL 2. PHYSIKALISCHE GRUNDLAGEN
19
der beiden Stoßpartner voneinander steigt auch die Potentialbarriere wieder an, und das
Elektron verbleibt gemäß der Aufenthaltswahrscheinlichkeit entweder beim Target oder
wird vom Projektil eingefangen. Beim Stoß eines hochgeladenen Projektilions mit einem
neutralen Target ist die Einfangwahrscheinlichkeit nach Unterschreitung von Rc extrem
hoch. Die kritischen Radien Rcm,q ab denen die Potentialbarriere weit genug abgesenkt
wurde damit ein Elektroneneinfang des m-ten Targetelektrons stattfindet, berechnen sich
nach [BAC+ 85] mit
p
Rcm
2 (q − m + 1)m + m
=
,
Im
(2.6)
wobei q die Ladung des Projektilions und Im die Ionisationsenergie des m-ten Elektrons
ist. Bei der Ionisation von Heliumdimeren handelt es sich nicht um Ion-Atom Stöße,
sondern streng genommen um Ion-Molekül Stöße. Das Potential eines Dimer- oder Trimerpartners ist im Rahmen des Stoßprozesses allerdings nahezu identisch mit dem eines
freien Heliumatoms, womit Modelle für den Ion-Atom Stoß problemlos übernommen
werden können.
Für die Einfachionisation von Helium beträgt die Ionisationsenergie I2 = 24, 59 eV,
während das zweite, stärker gebundene Targetelektron eine Ionisationsenergie von I1 =
54, 42 eV besitzt [Nat11]. Mit diesen Energiewerten können die Einfangradien für verschiedene Ladungszustände des Projektils bestimmt werden. In Tabelle 2.1 sind die für
die im nächsten Abschnitt beschriebenen Ionisationsprozesse relevanten Einfangradien
aufgelistet.
Rcm,n+
m=2
m=1
Ar8+
10,49
3,33
Ar7+
9,88
3,16
Ar6+
9,21
2,95
Ar5+
8,47
2,74
Ar4+
7,63
2,5
Tabelle 2.1: Einfangradien für die Ionisation von Helium mit n-fach geladenen Argonionen in
[a.u.]. Die erste Zeile beinhaltet die Radien Rc2,n+ für die Einfachionisation (m = 2),
die zweite Zeile die Radien Rc1,n+ für die Zweifachionisation (m = 1). Der Index
„n+“ steht hierbei für den Ladungszustand des ionisierenden Ions.
2.3.2 Ionisationsprozesse
Innerhalb des Over-Barrier Modells sind unterschiedliche Prozesse denkbar, nach denen
ein langsames hochgeladenes Projektilion mit kleinsten Heliumclustern wechselwirken
kann. Auf seinem Weg durch die Reaktionszone spannt jedes Projektilion einen zylinderförmigen Bereich um seine Trajektorie auf, in dem der Elektroneneinfang möglich
ist. Der Radius dieses Zylinders entspricht dem Einfangradius Rc , der nach Formel 2.6
20
2.3. IONISATION
abhängig vom Ladungszustand des Projektils ist. Das Projektil kann an jedem Zentrum
des Clusters null, ein oder zwei Elektronen einfangen. Qualitativ entstehen dadurch drei
mögliche Reaktionsprozesse die im Folgenden erläutert werden.
Abbildung 2.5: Schematische Darstellung des Einstufenprozesses. Eines der Dimerzentren liegt
innerhalb des Einfangradius Rc1 für zweifachen Elektroneneinfang und wird entsprechend durch das Ar8+ Projektil ionisiert. Das zweite Zentrum ist außerhalb
des Einfangradius Rc2 (links). Aufgrund des nun bestehenden Dipolmomentes
zwischen dem zweifach geladenen Heliumion und dem neutralen Heliumatom nähern sie sich einander an (mitte). Unterschreiten sie einen kritischen Abstand
erfolgt ein Ladungstransfer. Dadurch entstehen zwei einfach geladene Heliumionen, die sich aufgrund der Coulombkraft voneinander abstoßen (rechts).
Einstufenprozess
Bei Einstufenprozessen interagiert das Projektil nur mit einem Zentrum des Clusters.
Dies geschieht, wenn nur ein Atomkern des Targets den kritischen Abstand Rc während der Interaktion mit dem Projektil unterschreitet, während sich alle weiteren Kerne
außerhalb des Einfangradius befinden. In Abhängigkeit des Abstands der nächsten Annäherung von Projektil und Atomkern wird das Target nun ein- oder zweifach ionisiert.
In Abbildung 2.5 ist der Einstufenprozess am Beispiel der Zweifachionisation eines Zentrums im Heliumdimer schematisch dargestellt. Fängt das Projektil zwei Targetelektronen eines Zentrums ein, so erfährt das zweite Zentrum eine attraktive Kraft aufgrund
des entstandenen elektrischen Dipolmomentes. Folglich nähern sich die Zentren einander
an bis bei einem internuklearen Abstand von etwa 1,5 Å ein Ladungstransfer stattfindet,
also ein Elektron vom neutralen zum zweifach positiv geladenen Zentrum übergeht. Die
KAPITEL 2. PHYSIKALISCHE GRUNDLAGEN
21
überschüssige Energie wird in Form eines Photons emittiert. Im Endkanal dieser Reaktion stehen zwei einfach geladene Heliumionen, die sich gemäß der Coulombkraft abstoßen.
Zweistufenprozess
Als Zweistufenprozess sollen solche Prozesse bezeichnet werden, bei denen ein Heliumcluster nacheinander erst an einem und dann an einem zweiten Zentrum ionisiert wird.
In Abbildung 2.6 ist dieser Vorgang schematisch dargestellt. Passiert das Projektilion
einen Kern des Targets unterhalb des kritischen Abstandes Rc so fängt es ein oder zwei
Targetelektronen ein. Nach einer Flugzeit ∆t kann das Projektil in Abhängigkeit der
Lage des Moleküls zu dessen Flugbahn auch den zweiten Kern des Targets mit einem
Stoßparameter b < Rc passieren, und ebenfalls ein oder zwei Elektronen einfangen. Für
die Ionisation eines Heliumdimers ergeben sich damit drei mögliche Kanäle innerhalb
des Zweistufenprozesses:
Ar8+ + He2 −→ He1+ + He1+ + Ar6+
(2.7)
Ar8+ + He2 −→ He2+ + He1+ + Ar5+
(2.8)
Ar8+ + He2 −→ He2+ + He2+ + Ar4+
(2.9)
Die Ionisation beider Dimerzentren ist also nur möglich, wenn sich das Dimer innerhalb
des zylinderförmigen Bereichs mit Radius Rcm,n+ um die Projektilflugbahn befindet. Dabei ist zu beachten, dass sich der Einfangradius nach der Ionisation des ersten Zentrums
gemäß der in Tabelle 2.1 aufgeführten Werte etwas verkleinert, da sich die Projektilladung verringert. Für die Ionisation des zweiten Zentrums ist der Bereich entsprechend
reduziert.
Unter der Annahme statistisch verteilter Ausrichtungen von Dimerachse zu Strahlachse
korreliert der Anteil der Dimere, die vollständig innerhalb des Bereichs des Elektroneneinfangs liegen, mit dessen Radius. Je geringer der Einfangradius Rc ist, also je höher der
Ionisationsgrad und je niedriger der Ladungszustand des Projektils (siehe Tabelle 2.1),
desto geringer ist der Anteil der Dimere die vollständig im Ionisationsbereich liegen. Der
maximale Winkel zwischen Projektil- und Molekülachse, bis zu dem eine Ionisation beider Zentren möglich wäre, ist mit sin φmax = 2Rc /r abhängig vom Einfangradius Rc und
dem internuklearen Abstand r. Entsprechend ist die Wahrscheinlichkeit für eine Zweifachionisation eines oder beider Dimerzentren geringer als die der Einfachionisation, da
die Ausrichtung der Dimerachse hier stärker eingeschränkt ist.
Die Zeit ∆t, die zwischen der ersten und der zweiten Interaktion vergeht, ist abhängig
22
2.3. IONISATION
von der Projektilgeschwindigkeit vP , dem internuklearen Abstand r des Dimers und dem
Streuwinkel θ zwischen Dimer und Flugrichtung des Projektils.
r cos θ v
∆t = (2.10)
P
Bei dieser Abschätzung wird angenommen, dass der Elektroneneinfang an der Stelle
der nächsten Annäherung von Projektil zu Dimerzentrum eintritt. Bei einer Projektilgeschwindigkeit von vP = 0, 37 a.u. ergibt sich eine Zeit von ∆t = 0, 065 fs · r[a.u.] cos θ.
Selbst bei sehr großen Heliumdimeren mit r = 200 Å liegt sie unter 25 fs. Aufgrund
der Trägheit der 4 · 1836 a.u. schweren Heliumatome kann der Effekt eines attraktiven
Dipolmomentes während dieser Zeit vernachlässigt werden.
Nach der Ionisation verbleiben im Zweistufenprozess zwei im Abstand r voneinander
entfernte Heliumionen, die sich gemäß der Coulombkraft abstoßen. Da ausschließlich die
geladenen ionischen Fragmente detektiert werden, ist die Ionisation des Heliumdimers
in zwei Stufen jedoch ununterscheidbar von der Ionisation eines Trimers an zwei seiner
drei Zentren.
Abbildung 2.6: Schematische Darstellung des Zweistufenprozesses. Das Ar8+ Projektil ionisiert
das Dimer an beiden Zentren, wobei sich jeweils der Einfangradius Rc leicht
verringert (links). Die zwei verbleibenden Heliumionen stoßen sich gemäß der
Coulombkraft voneinander ab (rechts).
Dreistufenprozess
Als Dreistufenprozess soll der Prozess bezeichnet werden, bei dem ein Heliumtrimer an
jedem Zentrum ionisiert wird. Dies geschieht, wenn sich das Trimer vollständig innerhalb
des zylinderförmigen Bereichs um die Projektilflugbahn befindet, dessen Radius durch
den Einfangradius Rc des Projektils gegeben ist. Abbildung 2.7 skizziert den Prozess,
KAPITEL 2. PHYSIKALISCHE GRUNDLAGEN
23
der durch folgende Reaktionsgleichung beschrieben wird:
Ar8+ + He3 −→ He1+ + He1+ + He1+ + Ar5+
(2.11)
Darüber hinaus sind auch Reaktionen denkbar, bei denen ein oder mehrere Trimerzentren zweifach statt einfach ionisiert werden. Im Folgenden wird aber nur auf den
wahrscheinlichsten Fall des Dreistufenprozesses, nämlich der Einfachionisation jedes Zentrums, näher eingegangen. Nach der Ionisation des ersten Targetkerns verringert sich der
Ladungszustand des Projektils, und der Einfangradius nimmt gemäß der Werte in Tabelle 2.1 ab. Ebenso wird er nach der Ionisation des zweiten Kerns etwas kleiner. Für die
Ionisation des zweiten und dritten Zentrums gelten also die etwas kleineren Einfangradien von sieben- beziehungsweise sechsfach geladenem Argon.
Die mittlere Länge der Dreiecksseiten des Trimers beträgt im Grundzustand hRi0 =
7, 88 Å [LSA+ 99]. Damit ist rein geometrisch die Möglichkeit gegeben, dass ein Projektil
jeden Kern eines im Grundzustand befindlichen Trimers einfach ionisiert. Im theoretisch
vorhergesagten, ersten angeregten Zustand des Trimers ist die mittlere Länge dessen
Dreiecksseiten hRi1 weitaus größer als der doppelte Einfangradius eines Ar8+ -Ions. Damit ist ausgeschlossen, dass alle drei Zentren eines gleichseitigen Trimers im ersten angeregten Zustand per Elektroneneinfang durch die verwendeten Projektile ionisiert werden.
Im Endkanal des erläuterten Dreistufenprozesses stehen drei einfach geladene Heliumionen. Ihre Abstände zueinander entsprechen zu Beginn der Coulombabstoßung denen der
Kerne im gebundenen Trimer.
Abbildung 2.7: Schematische Darstellung des Dreistufenprozesses. Das Ar8+ Projektil ionisiert
das Trimer an jedem Zentrum. Bei jeder Ionisation verringert sich der Einfangradius Rc leicht (links). Die drei verbleibenden Heliumionen stoßen sich gemäß der
Coulombkraft voneinander ab (rechts).
24
2.3. IONISATION
2.3.3 Coulomb-Explosion
Im Endkanal der verschiedenen Prozesse stehen zwei oder drei Heliumionen, die einoder zweifach positiv geladen sind. Für zwei Ionen ist die Höhe des Coulombpotentials
VC =
1 q1 q2
q1 q2
=
a.u.,
4π0 r
r
(2.12)
auf dem sich die beiden Ionen zum Zeitpunkt der Ionisation befinden, abhängig von
ihrem Abstand r und der Größe ihrer Ladungen q1 und q2 , mit 0 =
1
4π
a.u. als elektri-
scher Feldkonstante. Während der Abstoßung durch die wirkende Coulombkraft wird die
potentielle Energie in kinetische Energie beider Ionen umgewandelt. Da die Abstoßung
unter Einhaltung der Erhaltungssätze abläuft, werden sich die ionischen Fragmente in
einem sogenannten „back-to-back“ Aufbruch, also unter einem Winkel von 180◦ , voneinander trennen. Für die freiwerdende kinetische Energie KER3 gilt
KER = VC =
q1 q2
a.u..
r
(2.13)
Für drei geladene Ionen ergibt sich das Coulombpotential aus der Superposition der drei
Zweiteilchen-Coulombpotentiale
1
VC =
4π0
q1 q2 q1 q3 q2 q3
+
+
,
r12
r13
r23
(2.14)
wobei q1,2,3 die Ladungen der drei Teilchen, und r12 , r13 und r23 die Abstände zwischen
ihnen sind. In atomaren Einheiten, und für q1 = q2 = q3 = 1 vereinfacht sich dies zu
VC =
1
1
1
+
+
a.u..
r12 r13 r23
(2.15)
Bei drei Teilchen ist der Winkel unter dem sie sich abstoßen nicht fest, sondern von
ihrer anfänglichen räumlichen Konfiguration abhängig. Bei der Abstoßung erhalten die
Ionen eine hohe Geschwindigkeit, weshalb bei dieser Fragmentierung von einer CoulombExplosion gesprochen wird.
Der KER kann über die Messgrößen des Experimentes ermittelt werden. Mit Gleichung 2.13 folgt also aus jeder gemessenen Reaktion, bei der genau zwei Targetatome ionisiert werden, eine Momentaufnahme des internuklearen Abstandes der Moleküle
zum Zeitpunkt der Ionisation. Der Ladungstransfer im Einstufenprozess (2.3.2) findet
stets bei Unterschreitung des kritischen Radius Rc von 1,5 Å statt, ihm lässt sich also über Gleichung 2.13 ein KER von 9,6 eV zuordnen. Unter der Annahme, dass sich
3
von englisch: Kinetic Energy Release - freiwerdende kinetische Energie
KAPITEL 2. PHYSIKALISCHE GRUNDLAGEN
25
der internukleare Abstand im Zeitraum ∆t zwischen der ersten und zweiten Ionisation des Zweistufenprozesses nur unwesentlich ändert, kann aus der Betrachtung der
KER-Verteilung dieses Prozesses die Verteilung der internuklearen Abstände des Heliumdimers im Grundzustand rekonstruiert werden. Dieses in der Literatur als Reflection
Approximation bekannte Verfahren konnten bereits in verschiedenen Gebieten der Physik erfolgreich angewandt werden um die Grundzustandswellenfunktion kleiner Moleküle
oder Dimere zu vermessen [VNK89, ERF+ 05]. Durch quantenmechanische Phänomene
wie der Unschärferelation kann dieses klassische Verfahren jedoch zu fehlerhaften Berechnungen führen, was bereits 1928 von Condon erkannt wurde [Con28]. Dass Unterschiede
zwischen der Reflection Approximation und einer exakt quantenmechanischen Rechnung auftreten, konnte bereits in einigen Systemen gezeigt werden. Diese, wenn auch
geringen, Unterschiede sind beispielsweise in Systemen wie N2 , Xe2 und Br2 vorhanden
[Gis73, Krü79, Lee85]. Auch im System des Heliumdimers He2 treten diese Unterschiede
auf [Hav10].
Für eine quantenmechanische Beschreibung des Übergangs vom Potential des Grundzustandes auf das repulsive Coulombpotential muss die Überlagerung des Ausgangswellenfunktion Ψi mit der Endzustandswellenfunktion Ψf betrachtet werden. Bei der
Reflection Approximation kann jedem Abstand r ein fester KER zugeordnet werden. In
quantenmechanischer Betrachtung muss stattdessen über alle Beiträge des Überlapps
Ψi (r)Ψf (r) integriert werden, was zu einer KER Verteilung P (KER) führt:
Z
2
P (KER) = Ψi (r)Ψf (r)
(2.16)
Folglich existiert stets eine Verteilung von Abständen r, die zu einem bestimmten KER
beitragen. Der klassisch zugeordnete internukleare Abstand, der in der Reflection Approximation den einzigen Beitrag bildet, stellt auch in der quantenmechanischen Betrachtung den Hauptbeitrag.
3 Aufbau des Experimentes
Die Messung kleinster Heliumcluster wird mit einem crossed-beam-Experiment realisiert.
Hierbei wird ein Gasstrahl, der aus den zu untersuchenden Teilchen besteht, mit einem
Ionenstrahl gekreuzt. Im Kreuzungspunkt, oder besser im Kreuzungsvolumen, finden
Ionisationsreaktionen statt, die mittels Impulsspektroskopie untersucht werden. In diesem Kapitel werden die Eigenschaften des Gasstrahls und des Ionenstrahls vorgestellt.
Anschließend wird das Messprinzip und die Funktionsweise des Impulsspektrometers
beschrieben.
3.1 Targetpräparation
Edelgascluster können nur dann entstehen, wenn die relative kinetische Energie der sich
einander annähernden Teilchen kleiner ist als die Bindungsenergie des resultierenden
Clusters. Heliumdimere besitzen, wie in Abschnitt 2.2.1 beschrieben, eine Bindungsenergie von nur 95 neV. Die Bindungsenergien der beiden Zustände des Heliumtrimers
betragen 126 mK und 2,3 mK. Die mittlere thermische Energie eines Atoms bei Zimmertemperatur beträgt Etherm = 3/2 kB T = 39 meV. Um also die Produktion von Heliumclustern in gasförmigem Helium zu ermöglichen, muss es abgekühlt werden. Durch
die Abkühlung des Targetgases verringert sich auch der Eigenimpuls der untersuchten Atome. So wird damit gleichzeitig die für impulsspektroskopische Untersuchungen
notwendige Bedingung erfüllt, dass der Eigenimpuls der untersuchten Atome vor der
Reaktion deutlich kleiner ist als die in der Reaktion entstehenden Impulse.
Die benötigte Abkühlung des Targetgases kann durch Ausnutzung einer adiabatischen
Überschall-Expansion realisiert werden. Dazu muss das Gas aus einem Bereich höheren
Druckes p0 bei einer Temperatur T0 durch eine kleine Öffnung in einen Bereich niedrigeren Druckes p1 expandieren. Hierbei entsteht hinter der Öffnung ein Bereich, in dem die
Enthalpie des Gases, die sich aus der thermischen Energie und der Kompressionsenergie zusammensetzt, in kinetische Energie einer gerichteten Bewegung umgewandelt wird.
Für ein ideales Gas aus Punktteilchen der Masse m, das in ein Volumen mit Druck p1 = 0
27
28
3.1. TARGETPRÄPARATION
Abbildung 3.1: (links) Schematische Darstellung eines Gasjets, der sich bei der ÜberschallExpansion eines Gases bildet. In der Zone of Silence ist die interne Temperatur
des Jets minimal, diese Eigenschaft soll für das Experiment genutzt werden. Das
Bild (rechts) zeigt die Aufnahme eines N2 /N0 Jets, der durch einen ArF-Eximer
Laser zum Leuchten angeregt wurde [Sch02].
strömt, gilt nach [Mil88]
3
1
mv 2 = kB T0 + kB T0 ,
2
2
(3.1)
wobei kB die Boltzmann-Konstante ist. Damit ergibt sich für die gerichtete Geschwindigkeit der Gasteilchen
s
vJet =
5kB T0
.
m
(3.2)
In diesem idealisierten Fall haben alle Gasteilchen die gleiche Geschwindigkeit. Ihre Relativgeschwindigkeit konvergiert damit gegen Null, wodurch der Jet in longitudinaler
Richtung unendlich kalt wird. Für ein reales Gas, das durch eine Düse strömt, gilt die
Betrachtung der Überschall-Expansion nur näherungsweise. Da in der Expansionskammer kein perfektes Vakuum vorliegt, sondern ein endlicher Druck herrscht, ist der Bereich
in dem sich die Gasteilchen nahezu ohne Stöße bewegen räumlich auf die sogenannte Zone of Silence begrenzt [Jah05]. In diesem Bereich, welcher in Abbildung 3.1 dargestellt
ist, beträgt die interne Temperatur nur einige mK, und erfüllt damit die gewünschte Voraussetzung für Impulsspektroskopie. Mit einem sogenannten Skimmer 1 wird ein dünner
Strahl aus der Zone of Silence herausgeschnitten, der mit dem Ionenstrahl zur Kreuzung
gebracht. Damit wird gleichzeitig gewährleistet, dass der Gasstrahl scharf begrenzt ist,
und somit ein wohldefiniertes Reaktionsvolumen entsteht.
In Abbildung 3.2 wird das Jetsystem schematisch dargestellt. Das Heliumgas wird über
1
eine sehr scharfkantige, trichterförmige Blende
KAPITEL 3. AUFBAU DES EXPERIMENTES
29
Abbildung 3.2: Schematische Darstellung des verwendeten Jetsystems. Gas expandiert unter hohem Druck aus der Düse in ein Vakuum. Der Skimmer schneidet aus der Zone of
Silence den im Experiment benutzten Strahl heraus. Der Ar8+ -Ionenstrahl kreuzt
den nach dem Skimmer scharf lokalisierten Gasstrahl. Der Anteil des Gasstrahls,
der nicht reagiert, gelangt in den zweistufigen Jetdump und wird dort abgepumpt.
Modifizierte Darstellung nach [Jah05].
ein Zuleitungssystem mit einem Druck von 3,8 bar zur Düse geleitet. Die Düse selbst wird
mit flüssigem Helium auf eine Temperatur von 12 K abgekühlt. Dazu wird ein Kühlsystem mit Gegenheizung genutzt, welches für die Dauer des gesamten Experimentes eine
konstante Temperatur gewährleistet. Das Targetgas expandiert durch eine 5 µm große
Düse in die Expansionskammer, in der ein Druck von 2·10−5 mbar herrscht. Im Abstand
von d ≈ 10 mm von der Düse befindet sich der Skimmer mit einem Durchmesser von
0,3 mm. Durch ihn gelangt das Gas in die Targetkammer und erreicht die D = 75 mm
vom Skimmer entfernte Reaktionszone. Bei dieser Strahlführungsgeometrie entsteht ein
Überlappvolumen des Gas- und Ionenstrahls von 0,5 mm x 0,5 mm x 3,0 mm. Durch
die Expansion erhält das Gas eine Geschwindigkeit von vJet = 353, 2 m/s. Der Großteil
der Teilchen passiert das Targetvolumen reaktionsfrei, und gelangt oberhalb des Spektrometers in den Jetdump. Um den Einfluss des Targetgases auf die Güte des Vakuums
30
3.1. TARGETPRÄPARATION
so gering wie möglich zu halten, wird ein separat gepumpter, zweistufiger Jetdump verwendet.
Abbildung 3.3: (links) Anteile verschiedener Clustergrößen im Gasjet einer 5 µm Düse bei 6 K,
12 K und 30 K als Funktion des Vordrucks p0 aus einer Messung von Bruch et
al. [BST02]. Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass die Messdaten der verschiedenen Temperaturen zusammengefasst werden können, indem der Dimer- bzw.
5/2
Trimeranteil gegen die Größe p0 /T0 aufgetragen wird (rechts). Vergleichend
mit diesen Daten sind für die Parametern der Messung (T0 = 12 K, p0 = 3, 8 bar,
5/2
p0 /T0 = 7, 6 mbar/K5/2 ) ein Dimeranteil von etwa 1,5% und ein Trimeranteil
von etwa 6% zu erwarten (grüne Linie).
Die Produktion von Heliumclustern gelingt nur bei geeigneten Düseneigenschaften. Der
Vordruck p0 und die Temperatur T0 an der Düse, sowie deren Durchmesser d0 müssen
gewährleisten, dass sich die He-Atome nah genug kommen um die Van-der-Waals Bindung einzugehen. Da anschließende Stöße die eingegangene Bindung wieder zerstören
würden, stellt auch die Menge des Restgases beziehungsweise die Güte des Vakuums
in der Expansionskammer einen maßgeblicher Faktor für den Clusteranteil im Gasjet
dar. Die Abhängigkeiten der Clusterbildung von den beschriebenen Faktoren sind in den
KAPITEL 3. AUFBAU DES EXPERIMENTES
31
Messdaten von Bruch et al. aufgezeigt, die in Abbildung 3.3 dargestellt sind [BST02].
Demnach sind bei den verwendeten Düseneigenschaften ein Dimeranteil von 1,5% und
ein Trimeranteil von 6% zu erwarten.
3.2 Ionenstrahlerzeugung
Die hochgeladenen Ionen werden für das Experiment mit einer Elektron-ZyklotronResonanz-Ionenquelle (kurz EZR-Ionenquelle) erzeugt. Durch Anlegen eines elektrischen
Feldes zwischen dem Plasma und einer Elektrode werden die Ionen aus der Quelle extrahiert und beschleunigt. Nachdem der gewünschte Ladungszustand der Ionen im Strahl
von einem Analysiermagneten separiert wurde, kollimieren Blenden den Strahl auf eine
geeignete Größe.
3.2.1 Funktionsweise der EZR-Ionenquelle
In EZR-Ionenquellen erfolgt die Ionenerzeugung durch Stöße von Gasatomen oder molekülen mit freien Elektronen. Um den Elektronen die benötigte Energie zur Ionisation
zu verleihen, werden sie mit Hochfrequenzfeldern nach dem Zyklotron-Resonanz-Prinzip
beschleunigt. Dabei absorbieren die durch Magnetfelder eingeschlossenen freien Elektronen resonant elektromagnetische Wellen und nehmen kinetische Energie auf. Aufgrund
des angelegten Magnetfeldes werden die Elektronen durch die Lorentzkraft auf Spiralbahnen gelenkt, und gyrieren demnach mit der Larmorfrequenz ωLarmor um die Magnetfeldlinien. Um eine resonante Absorption der Strahlung zu erhalten, wählt man für die
Frequenz der eingespeisten Mikrowelle gerade die Larmorfrequenz. Die so beschleunigten
Elektronen können nun über mehrere Stöße sukzessive höhergeladene Ionen erzeugen.
Um hochgeladene Ionen aus dem entstehenden Plasma zu extrahieren wird ein elektrisches Feld genutzt. Dazu wird zwischen einer mit einem Loch versehenen Elektrode,
der sogenannten Ziehelektrode, und der Plasmakammer eine Potentialdifferenz erzeugt,
wodurch einzelne Ionen aus dem Plasma entweichen können. Die Ziehelektrode liegt, gemeinsam mit der gesamten Strahlführung, auf Erdpotential und die Plasmakammer in
einem Hochspannungsterminal auf typischerweise 10-20 kV. Abbildung 3.4 zeigt schematisch einen Querschnitt durch die Plasmakammer mit Ziehelektrode. EZR-Ionenquellen
haben ein vergleichsweise großes Plasmavolumen, wodurch hohe Strahlströme mit bis zu
250 µA erzielt werden können [Neu10, Hoh99].
In der EZR-Ionenquelle des Frankfurter Instituts für Kernphysik wird das Plasma mit
einer Mikrowelle der Frequenz νHF = 14.5 GHz geheizt [RHS+ 98, SSS+ 96]. Die magnetische Induktion, die benötigt wird um die Elektronen im Plasma einzuschließen, ergibt
32
3.2. IONENSTRAHLERZEUGUNG
Abbildung 3.4: Schematischer Aufbau der EZR-Ionenquelle: Das Plasma wird durch das Magnetfeld der Helmholtzspulen und des Hexapolmagneten in der Quellkammer
eingeschlossen. Die eingestrahlte Mikrowelle der Frequenz νHF = 14, 5 GHz heizt
das Plasma. Die entstehenden hochgeladenen Ionen werden mit der Ziehelektrode
aus dem nach außen neutralen Plasma extrahiert [Neu10].
sich aus folgendem Zusammenhang zwischen Larmorfrequenz und Magnetfeld B:
ωHV = ωLarmor =
q
·B
m
(3.3)
Im speziellen Fall gyrierender Elektronen ist die Ladung q = e und die Masse m = me .
Um Elektronen im Plasma einzuschließen ist damit eine magnetische Induktion von
0,52 Tesla nötig. Der Plasmaeinschluss wird mit einem magnetischen Spiegel realisiert.
Er setzt sich aus einem Helmholtzspulenpaar für den axialen, und einem Hexapolmagneten für den radialen Einschluss zusammen. Für die Erzeugung und Aufrechterhaltung
hochgeladener Ionenstrahlen werden in EZR-Ionenquellen nur geringe Mengen des Arbeitsgases benötigt, dessen Einlass in die Quelle über ein spezielles Ventil dosierbar ist.
Deshalb eignet sich diese Art der Ionenquelle vor allem zur Erzeugung von Ionenstrahlen
aus seltenen, exotischen Elementen.
3.2.2 Strahlführung
Durch die Extraktion der Ionen aus dem Plasma mittels einer hohen Spannung besteht der Ionenstrahl vorerst aus einem Gemisch unterschiedlicher Ladungszustände und
Geschwindigkeiten. Zur Durchführung eines crossed-beam-Experimentes ist es jedoch
wichtig definierte Strahleigenschaften zu erzeugen. So soll der Ionenstrahl aus Ionen ge-
KAPITEL 3. AUFBAU DES EXPERIMENTES
33
nau eines Ladungszustandes und gleicher Geschwindigkeit bestehen, und zudem ein wohl
definiertes Profil besitzen.
Um die unterschiedlichen Ladungszustände zu trennen, wird der Ionenstrahl durch einen
~ wirAnalysiermagneten abgelenkt. Die Ablenkung erfolgt durch die im Magnetfeld B
kende Lorentzkraft F~L
~
F~L = q · ~v × B,
(3.4)
die stets senkrecht zur Richtung der Geschwindigkeit ~v eines Teilchens mit Ladung q
wirkt. Dieser Ablenkung wirkt die geschwindigkeitsabhängige Zentripetalkraft F~Z entgegen, wodurch der Radius r der Kreisbahn, auf dem die Teilchen der Masse m abgelenkt
werden, definiert wird.
m · v2
F~Z =
=q·v·B
r
(3.5)
Für diesen Bahnradius r gilt also
m v
r=
·
=
q B
s
2U m
,
B2 q
(3.6)
wobei die kinetische Energie Ekin = 12 mv 2 = q · U der Ionen, die durch die Spannung U
beschleunigt wurden, nach der Geschwindigkeit v aufgelöst und eingesetzt wurde. Der
Radius r der Kreisbahn eines Ions im Magnetfeld ist damit vom Verhältnis
p
m/q ab-
hängig. Die Ionen können also nach ihrem Masse-zu-Ladungs Verhältnis m/q separiert
werden. Auf diese Weise kann für das Experiment ein reiner Strahl aus achtfach positiv
geladenen Argonionen erzeugt werden. Sie erhalten von der Ziehelektrode eine Energie
von 3,2 keV/u, was einer Geschwindigkeit von 0,36 a.u. entspricht.
Aufgrund der gegenseitigen Abstoßung der positiv geladenen Ionen im Strahl weitet sich
dieser auf der 16 m langen Strecke von der Strahlextraktion bis zur Targetzone in radialer Richtung bezogen zur Strahlachse auf. Um dieser Divergenz entgegenzuwirken,
wird der Strahl durch mehrere Einzellinsen fokussiert. Für geladene Teilchen bilden drei
elektrisch voneinander isolierte Rohrsegmente, von denen das mittlere auf einem deutlich negativeren Potential liegt, eine solche Einzellinse. Ihre Wirkungsweise ist analog
zu einer optischen Einzellinse, wobei die Brennweite hier durch Variation des Potentials
des mittleren Rohrsegments variiert werden kann.
Um den Argon-Ionenstrahl auf die gewünschte Größe zu begrenzen wird eine Reihe von
Kollimatoren genutzt. Es befinden sich vier Sets von Kollimatoren in einem Abstand
von 614 cm, 346 cm, 99 cm und 77 cm vor der Targetzone. Mit ihnen wird der Strahl
auf einen möglichst kleinen Querschnitt begrenzt, da sich dessen Größe negativ auf die
Impulsauflösung auswirkt, wie in Abschnitt 3.3.4 beschrieben. Gleichzeitig muss aber
34
3.2. IONENSTRAHLERZEUGUNG
Abbildung 3.5: Schematische Darstellung der Strahlführung, modifiziert nach [Neu10]. Der Strahl
wird durch mehrere Kollimatoren beschnitten. Vor der Reaktionszone wird der
Projektilstrahl gereinigt, hinter der Reaktionszone werden Projektile mit unterschiedlichen Ladungszuständen separiert und gelangen auf den Projektildetektor. Der Ar8+ -Primärstrahl wird in einen Faradaycup unterhalb des Detektors
gelenkt.
ein ausreichend hoher Strahlstrom gewährleistet werden, um eine angemessene Reaktionsrate zu erzielen.
Direkt hinter dem Analysiermagneten besteht der Strahl ausschließlich aus achtfach positiv geladenen Argonionen. Um von dort zum Reaktionsvolumen zu gelangen durchqueren
die Ionen 14 m Strahlrohr, in dem ein Hochvakuum von 5 · 10−8 mbar herrscht. Durch
Stöße mit dem Restgas können die Argonionen während sie diese Strecke passieren umgeladen werden. Der Ionenstrahl wird deshalb unmittelbar vor dem Spektrometer durch
eine elektrostatische Ablenkeinheit gesäubert. Umgeladene Argonionen werden durch ein
horizontales elektrisches Feld von dem Ar8+ -Primärstrahl getrennt, so dass sie nicht an
der Reaktion teilnehmen.
Direkt hinter dem Spektrometer werden die Argonionen, die die Targetzone passiert
haben, ein durch ein zweites elektrostatisches Feld abgelenkt. Durch die Reaktion mit
Heliumclustern oder -atomen können die Projektilionen in niedrigere Ladungszustände
übergehen. Die unterschiedlichen Ladungszustände werden hier in vertikaler Richtung
aufgespalten und somit auf dem Detektor getrennt abgebildet. Der Großteil der Projektile passiert das Spektrometer jedoch reaktionsfrei und behält entsprechend seinen achtfach positiv geladenen Zustand bei. Das Feld der analysierenden zweiten Ablenkeinheit
wird nun gerade so eingestellt, dass der reaktionslose Teil des Strahls in einen FaradayBecher unterhalb des Projektildetektors abgelenkt wird, und Projektile mit niedrigeren
Ladungszuständen auf den Detektor gelangen. Ein Faraday-Becher ist ein Metallzylinder,
der auf konstanten Potential gehalten wird. Treffen Ionen in den Metallzylinder, wird
deren Ladung durch Elektronen, die über einen angeschlossenen hochohmigen Widerstand von typischerweise 109 bis 1011 Ω in den Faraday-Becher zufließen oder abfließen
KAPITEL 3. AUFBAU DES EXPERIMENTES
35
können, ausgeglichen. An dem Widerstand fällt dabei eine Spannung ab, die mit einem
Spannungsmessgerät gemessen werden kann und somit ein Maß für den Ionenstrom ist.
Weitere Faraday-Becher befinden sich an verschiedenen Stellen im Strahlrohr um die
Lage des Strahls bezüglich der Strahlrohrmitte zu überprüfen.
Die beschriebenen Elemente der Strahlführung sind in Abbildung 3.5 schematisch dargestellt.
3.3 Impulsspektroskopie
In einem COLTRIMS-Experiment werden die geladenen Produkte einzelner Ionisationsereignisse koinzident nachgewiesen und ihre Impulse vermessen. Für derartige Experimente hat sich die Bezeichnung COLTRIMS etabliert, die als Abkürzung für COLd Target Recoil Ion Momentum Spectroscopy steht. Durch ein Spektrometer wird in einem
definierten Raumbereich um das Targetvolumen herum ein homogenes, elektrisches Feld
angelegt. Die in einer Reaktion erzeugten Ionen werden vom elektrischen Feld auf einen
orts- und zeitauflösenden Detektor geführt. Aus den gemessenen Flugzeiten und den
Auftrefforten auf dem Detektor können die Trajektorien der Teilchen im E-Feld rekonstruiert werden. Damit ist der Startimpuls, den die Teilchen aus der Reaktion erhalten
haben, berechenbar. Ein großer Vorteil dieser Methode liegt darin, dass durch die Wahl
geeigneter Spektrometermaße und ausreichender Feldstärke eine Raumwinkelakzeptanz
von 4π erreicht werden kann. Das heißt alle in der Reaktion entstehenden Teilchen werden detektiert, unabhängig davon unter welchem Winkel sie im Laborsystem emittiert
werden.
Um ein optimales Messergebnis zu erhalten, kann dieses Messverfahren kann nun noch
an das jeweilige Experiment angepasst werden. Die Impulsauflösung ist unter anderem
durch die räumliche Ausdehnung des Reaktionsbereichs begrenzt. Um die hierdurch auftretende Unschärfe zu minimieren, kann der Bereich des Spektrometers über den das
homogene elektrische Feld anliegt durch eine feldfreie Driftregion erweitert werden. Eine
derartige Spektrometergeometrie ist erstmals im Zusammenhang mit einfachen Flugzeitexperimenten von Wiley und McLaren realisiert worden [WM55]. Durch die Wahl
eines Längenverhältnisses des feldfreien und des felderfüllten Bereichs von 2:1 führen
unterschiedliche Startorte entlang der Symmetrieachse des Spektrometers nicht mehr zu
unterschiedlichen Flugzeiten. Ein so aufgebautes Spektrometer besitzt eine flugzeitfokussierende Geometrie.
Die Ionisationswahrscheinlichkeit ist abhängig von den in Abschnitt 2.3.2 beschriebenen
Einfangradien Rc2,1 . Die Zentren eines Dimers oder Trimers werden nur dann ein- oder
36
3.3. IMPULSSPEKTROSKOPIE
zweifach ionisiert, wenn sie innerhalb einer durch Rc2,1 aufgespannten Röhre liegen. Vor
allem für Dimere mit großem internuklearen Abstand r ist eine Ionisation beider Dimerzentren also am wahrscheinlichsten, wenn das Dimer entlang der Strahlachse ausgerichtet
ist. Werden nun beide entstehenden Heliumionen von einem senkrecht zur Strahlachse
gerichtetem E-Feld beschleunigt, und befindet sich der Detektor parallel zur Strahlachse,
so landen beide Ionen gleichzeitig auf dem Detektor. Aufgrund der Totzeit des Detektors von etwa 20 ns können dann gerade diese häufigsten Ereignisse nicht nachgewiesen
werden. Deshalb wird im hier beschriebenen Experiment das Spektrometer, und damit
die Richtung des E-Feldes und des Recoildetektors, um 7◦ gegenüber der Strahlachse
gedreht. Drehachse bildet dabei die Richtung des Gasjets. Für einen Startimpuls der
Dimerzentren von p0 = 8, 64 a.u., der einem Aufbruch eines Dimers mit dem mittleren
internuklearen Abstand von 52 Å entspricht, ergibt sich durch die Drehung um 7◦ eine
Zeitdifferenz von 46 ns, sofern das Dimer exakt entlang der Strahlachse aufbricht. Selbst
bei einem zur Strahlachse parallelen Aufbruch eines Dimers mit internuklearem Abstand
von r = 200 Å, mit entsprechend geringerem Startimpuls, erreichen die Recoilionen den
gedrehten Detektor unter einer Zeitdifferenz, die mit 23 ns oberhalb der Totzeit liegt.
3.3.1 Trajektorien im Spektrometer
Das Spektrometer ist in zwei Abschnitte unterteilt. Im ersten Abschnitt befindet sich ein
homogenes elektrisches Feld, der zweite Abschnitt ist feldfrei. Die Abschnitte bestehen
aus einer Reihe paralleler Kupferplatten, die im konstanten Abstand zueinander stehen
und in der Mitte ein kreisrundes Loch besitzen. Im ersten Abschnitt befinden sich gleiche
Widerstände zwischen allen Platten, damit das Potential kontinuierlich abfällt und ein
homogenes Feld entsteht. Im zweiten Abschnitt befinden sich alle Platten auf gleichem
Potential.
Die Bewegung eines geladenen Teilchens, das sich durch das Spektrometer bewegt, ist
also aus einer gleichmäßig beschleunigten Bewegung und einer gleichförmigen Bewegung
~ auf das
zusammengesetzt. Im ersten Abschnitt wirkt die Coulombkraft F~C = q · E
~ das elektrische Feld ist. Es wirkt die
Teilchen, wobei q die Ladung des Teilchens und E
Beschleunigung
~a =
~
q·E
m
(3.7)
auf das Teilchen der Masse m. Die Berechnung der Trajektorie eines Teilchens wird in die
drei Komponenten des kartesischen Koordinatensystems zerlegt. Die Spektrometerachse
definiere hierzu die x-Achse, so dass die beschleunigende Kraft nur in x-Richtung wirkt.
KAPITEL 3. AUFBAU DES EXPERIMENTES
37
Abbildung 3.6: Abbildung des verwendeten Molekülspektrometers, modifizierte Version aus
[Cza04]. Im Spektrometer kreuzt der Ionenstrahl (a) den He-Jet (c) in der Reaktionszone. Im ersten Abschnitt sa = 27,3 mm werden die ionischen Fragmente
mit einem homogenen elektrischen Feld von 16,3 V/cm im Spektrometer (e) beschleunigt, driften anschließend durch eine feldfreie Strecke sd = 55,2 mm und
werden dann von einem elektrischen Feld zwischen Spektrometer und Detektor
von 3950 V/cm zum Detektor (d) beschleunigt. Das Spektrometer ist auf einer
Bodenplatte (b) in der Experimentierkammer montiert.
Damit gilt für die Bewegung entlang der Spektrometerachse
1
sa = at2a + v0x ta ,
2
(3.8)
wobei sa die Länge des Beschleunigungsabschnittes, ta die Zeit bis zum Erreichen der
Driftstrecke und v0x die Anfangsgeschwindigkeit in x-Richtung ist. Nach Umformen ergibt sich für die Zeit, in der sich das Teilchen im ersten Abschnitt befindet
v0
ta = − x ±
a
s
v02x + 2sa a
,
a2
(3.9)
wobei nur das positive Vorzeichen der Wurzel zu physikalisch möglichen Ergebnissen
führt. Bei Verlassen der Beschleunigungsstrecke und Übergang in die Driftstrecke hat
das Teilchen die Geschwindigkeit va erreicht, gegeben durch va = ata + v0x . Setzt man
38
3.3. IMPULSSPEKTROSKOPIE
die Zeit bis zum Erreichen der Driftstrecke ta ein, so erhält man

v0
va = a · − x +
a
s

q
v02x + 2sa a
 + v0x = v 2 + 2sa a.
0x
a2
(3.10)
Mit dieser Geschwindigkeit wird die Driftstrecke sd in einer Zeit von
td =
sd
sd
=q
va
v02x + 2sa a
(3.11)
durchquert. Zusammen ergeben die Flugzeit in der Beschleunigungsstrecke ta und die
Flugzeit in der Driftstrecke td die Gesamtflugzeit tges = ta + td . Somit gilt:
tges
v0
=− x +
a
s
v02x + 2sa a
sd
+q
2
a
v02x + 2sa a
(3.12)
Mit der Näherung, dass die Anfangsgeschwindigkeit des Recoilions in Flugzeitrichtung
v0x klein gegenüber der durch das beschleunigende E-Feld erzeugten Geschwindigkeit va
ist, kann dieser Term vereinfacht werden zu
tges
v0
=− x +
a
r
2sa
sd
.
+√
a
2sa a
(3.13)
Unter Verwendung einer Flugzeitfokussierung, also einer 2:1-Geometrie mit einer Driftstrecke, die doppelt so lang ist wie die Beschleunigungsstrecke sd = 2sa , vereinfacht sich
die Beziehung zu
tges
v0
=− x +2
a
r
2sa
.
a
(3.14)
Transversal zum elektrischen Feld wirkt keine Kraft auf das Recoilion. Während der
Flugzeit tges ist dessen Bewegung in y- und z-Richtung also gleichförmig und nur durch
die aus der Reaktion erhaltene Anfangsgeschwindigkeit v0y,z bestimmt. Innerhalb der
Flugzeit werden die Ortskomponenten yf = v0y tges und zf = v0z tges erreicht.
Das elektrische Feld wird nun so gewählt, dass die bei der Reaktion entstehenden Impulse beziehungsweise Anfangsgeschwindigkeiten auf dem Recoildetektor abgebildet werden
können. Der Detektor hat einen Durchmesser von 80 mm und ist so positioniert, dass sein
Mittelpunkt auf der Spektrometerachse liegt. Das verwendete Spektrometer besitzt eine
Beschleunigungsstrecke sa von 27,3 mm und eine Driftstrecke sd von 55,2 mm. Die in
Kapitel 2.3 erläuterten Prozesse, die bei der Interaktion langsamer, hochgeladener Pro-
KAPITEL 3. AUFBAU DES EXPERIMENTES
39
jektile erwartet werden, besitzen freiwerdende kinetische Energien von unter 10 eV, die
unter beiden Recoilionen aufgeteilt werden. Ein Heliumion mit einer kinetischen Energie
von 5 eV besitzt einen Impuls von 51,95 a.u..
Aus den Auftrefforten beziehungsweise der Flugzeit können die Startgeschwindigkeitskomponenten ermittelt werden:

v0x
 √

2 2sa a − atges

yf
tges
zf
tges



  
 v0  = 
 y 
v0z
(3.15)
Folglich sind die Impulskomponenten der Recoilionen zum Zeitpunkt der Reaktion:

p0x


√
m 2 2sa a − atges

  
p0  = 
 y 
p0z
y
f
m tges
zf
m tges



(3.16)
Mit Gleichung 3.7 ergibt sich:

p0x

 q

~
~
2 2sa q Em − q Etges 
  
 p0  = 
 y 
p0z
y
f
m tges
zf
m tges



(3.17)
Die größte Auslenkung auf dem Detektor entsteht näherungsweise dann, wenn die Richtung der Startgeschwindigkeit beziehungsweise des Startimpulses des Recoilions parallel
zur Detektorebene ist, v0x also Null ist. Damit kann die Mindestgröße für das elektrische
Feld bestimmt werden, die einzustellen ist um alle Impulse bis zu einer maximalen Größe
auf dem Recoildetektor abbilden zu können. Mit v0x = 0 gilt für das elektrische Feld
E=8
sa p20
· 2,
mq rD
(3.18)
wobei rD der Radius bezogen auf den Detektormittelpunkt ist, auf dem Teilchen mit
einem zur Detektorebene parallelen Startimpuls von p0 landen. Um Recoilionen mit einem Startimpuls von p0 = 51, 95 a.u. auf dem im nächsten Abschnitt 3.3.2 beschriebenen
Detektor der Größe rD = 40 mm abzubilden, wird ein elektrisches Feld von mindestens
E = 13, 73 V/cm benötigt. Für die Messung wurde ein Feld von E = 16, 3 V/cm eingestellt.
40
3.3. IMPULSSPEKTROSKOPIE
In Tabelle 3.1 ist eine Auswahl wichtiger Kenngrößen des verwendeten Aufbaus aufgeführt.
Driftstrecke sd
Beschleunigungsstrecke sa
Feldstärke E
Flugzeit von He+
Zuordnung: Impuls / Auslenkung
Zuordnung: Impuls / Flugzeit
4π Raumwinkel detektierbar bis zu KER von
Ekin,Recoil = 1 eV entspricht Auslenkung ∆x von
Ekin,Recoil = 1 eV entspricht Flugzeitdifferenz ∆t von
55,2 mm
27,3 mm
16,3 V/cm
2380 ns
1,41 a.u./mm
0,13 a.u./ns
11,4 eV
16,5 mm
177,5 ns
Tabelle 3.1: Kenngrößen des verwendeten Aufbaus.
3.3.2 Teilchendetektion
Die im vorigen Abschnitt beschriebene Messmethode stellt an die Detektoren die Anforderung sowohl den Auftreffort als auch die Flugzeit einzelner Ionen messen zu können.
Damit ein einzelnes auf dem Detektor auftreffendes geladenes Teilchen überhaupt ein
messbares Signal erzeugt, muss sein Impuls verstärkt werden. Dazu werden Vielkanalplatten (MCP 2 ) genutzt, die die vordere Schicht des Detektors bilden. Ein MCP besteht
aus einer etwa 1 mm dünnen Glasplatte, die von vielen feinen Kanälen durchsetzt ist.
Die Kanäle haben einen Durchmesser von 5 bis 25 µm, und durchziehen die Glasplatte
nicht senkrecht, sondern unter einem leichten Winkel. Die offene Fläche des MCP liegt
bei etwa 50%.
Trifft ein Teilchen auf das MCP, beziehungsweise an die Wand eines Kanals im MCP,
so werden Sekundärelektronen ausgelöst. Dazu ist das MCP mit einem Material beschichtet, das eine sehr niedrige Auslösearbeit für Elektronen besitzt. Zwischen Vorderund Rückseite liegt eine Spannung an, die dafür sorgt, dass die ausgelösten Elektronen
zur Rückseite des MCP hin beschleunigt werden. Stoßen sie dabei an die Kanalwand
werden erneut Sekundärelektronen ausgelöst und es entsteht eine Elektronenlawine, die
das MCP auf der Rückseite verlässt (siehe Abbildung 3.7). Der Verstärkungsfaktor eines
MCP liegt bei etwa 103 . Durch Einsatz von zwei oder drei MCP können Verstärkungsfaktoren von mehr als 106 erreicht werden. Dabei werden die MCP in der Weise plan
aufeinander gelegt, dass die Kanäle der zweiten Platte nicht in die gleiche Richtung wie
die der ersten Platte geneigt sind. Dadurch wird verhindert, dass geladene Teilchen stoß2
MCP steht als Abkürzung für „multi channel plate“
KAPITEL 3. AUFBAU DES EXPERIMENTES
41
Abbildung 3.7: Schematische Darstellung eines MCP [Ach99]. In den Kanälen (Channels) wird
durch Anlegen einer Spannung zwischen Vorder- und Rückseite der Platte ein
elektrisches Feld aufgebaut. Trifft ein Teilchen auf die Oberfläche eines Kanals,
kann es dort Sekundärelektronen auslösen. Durch weitere Stöße mit der Innenwand des Kanals entsteht so eine Elektronenlawine auf der Rückseite des MCP.
frei aus der Vorderseite des MCP austreten, was bei längeren geraden Kanälen möglich
wäre. Aufgrund der Anordnung der Kanäle zueinander wird bei Verwendung von zwei
MCP von der Chevron-Anordnung, und bei drei MCP vom Z-Stack gesprochen.
Hinter den Vielkanalplatten befindet sich die Delayline-Anode, wie in Abbildung 3.8
dargestellt. Die Delayline-Anode wird von zwei oder drei Drahtebenen gebildet, die berührungsfrei übereinander liegen. Besteht sie aus zwei Ebenen so werden diese in einem
Winkel von 90◦ zueinander montiert und aufgrund der quadratischen Form Quad-Anode
genannt. Werden drei Drahtebenen verwendet so wird ein Winkel von jeweils 60◦ gewählt.
Das führt zu einer sechseckigen Form, weswegen diese Ausführung des Detektors hexagonale Anode oder kurz Hex-Anode genannt wird. Jede Drahtebene wird durch einen
Kupferdraht gebildet, der auf einen Keramikrahmen aufgewickelt ist.
Die Elektronenlawine aus dem MCP-Stack trifft nun auf die Anode und induziert in den
Wicklungsdrähten einen elektrischen Puls, der sich in beide Richtungen jedes getroffenen
Drahtes ausbreitet. In Abhängigkeit des Auftreffortes benötigt der Puls unterschiedlich
viel Zeit zum Erreichen des einen und des anderen Drahtendes. Aus der Laufzeitdifferenz
kann somit der Auftreffort des Elementarteilchens bestimmt werden. Bei Verwendung
einer Quad-Anode kann aus jeder Drahtebene je eine Auftreff-Koordinate des Teilchens
berechnet werden. Durch die drei Ebenen der Hex-Anode ist der Auftreffort überbestimmt. Nachdem die drei Drahtebenen aufeinander geeicht wurden, besteht hier der
Vorteil fehlende Pulse kompensieren zu können. Des Weiteren ist die Nachweisfähigkeit
42
3.3. IMPULSSPEKTROSKOPIE
Abbildung 3.8: (links) Darstellung des MCP, montiert auf die Delayline-Anode. (rechts) Schematische Darstellung einer Elektronenwolke, die vom MCP ausgehend auf die
Drähte der Anode auftrifft [Cza04]. Aus der Laufzeit der dadurch ausgelösten
Pulse kann der Auftreffort rekonstruiert werden.
für zwei kurz nacheinander auftreffende Teilchen verbessert.
Ein Puls, der auf einem Draht entlangläuft, wird aufgrund von Dispersion schnell unbrauchbar. Deshalb wird statt einem Einzeldraht ein Drahtpaar auf den Rahmen gewickelt, das eine Lecherleitung bildet [San09]. Die Übertragungseigenschaft für den Puls
auf der Delayline wird damit entscheidend verbessert. Des Weiteren können Störsignale
unterdrückt werden, indem einer der beiden Drähte im Bezug auf das MCP auf ein etwas niedrigeres Potential gesetzt wird als der andere. Die Elektronenlawine induziert den
Puls dann bevorzugt auf diesem Draht. Die meisten externen Störungen induzieren in
beiden Drähten gleichermaßen einen Puls. Durch Bilden der Signaldifferenz der beiden
Drähte können Störungen herausgefiltert werden, ohne die Signalpulse der gemessenen
Teilchen zu verlieren.
Ein Puls, der durch eine Elektronenlawine vom MCP erzeugt wird besitzt nach der Verarbeitungselektronik eine Breite von etwa 10 ns. Am gleichen Ort kann also frühestens
nach 10 ns ein weiterer Hit3 nachgewiesen werden, ohne dass dessen Puls mit dem des
vorangegangenen verschmilzt. Somit entsteht eine vom Auftreffort des ersten Recoils
abhängige Totzeit für das zweite Recoil. Bedingung für den Nachweis eines zweiten Teilchens ist, dass das erste Teilchen auf mindestens zwei Anodendrähten nicht innerhalb der
Totzeit der Aufnahmeelektronik aufgetroffen ist. Diese Abhängigkeit ist in Darstellung
3.9 unten gezeigt, wobei vergleichend der Unterschied der Mehrteilchennachweiseffizienz
einer Hex-Anode und einer Quad-Anode zu erkennen ist. Das erste Teilchen trifft in der
Mitte des Bildes auf. Ein weiteres Teilchen kann nur im grünen Bereich nachgewiesen
3
Hit: von engl. „Treffer“, steht für das Auftreffen eines Teilchens auf einem Detektor
KAPITEL 3. AUFBAU DES EXPERIMENTES
43
Abbildung 3.9: Nachweisfähigkeit eines hexagonalen (oben) und eines quadratischen (oben) Delaylinedetektors für zwei kurz nacheinander auftreffende Teilchen. Das erste Teilchen trifft in der Mitte des Bildes auf. Die Farbkodierung zeigt die Nachweiseffizienz für ein zweites Teilchen, das nach einer Zeit von ∆t = 0 ns (links) und
∆t = 8 ns (rechts) auftrifft [Jah05].
werden [Jah05]. Bei einem hexagonalen Detektor kann ein zweites Teilchen nur dann
nicht nachgewiesen werden, wenn es sowohl zur gleichen Zeit als auch am gleichen Ort
wie das erste Teilchen auftrifft.
Diese Art von Detektoren erfüllt die vom Experiment gestellten Anforderungen sehr
schnell aufeinander folgende Ereignisse nachweisen zu können. Hierbei sind Detektortotzeiten von unter 20 ns realisierbar. Für ausreichende Differenzen im Auftreffort der
Recoilionen können selbst simultane Ereignisse nachgewiesen werden. Die Detektoren erreichen eine Ortsauflösung von weniger als 0,3 mm und eine Zeitauflösung von etwa 1 ns.
Da es wie bereits beschrieben erforderlich ist, auch mehrere Recoilionen in sehr geringem
zeitlichen Abstand messen zu können, wird für den Nachweis der Recoilionen im Experiment eine Hex-Anode eingesetzt. Um die Mehrteilchennachweiseffizienz im kritischen
Bereich noch weiter zu erhöhen, wird zusätzlich die in Abschnitt 3.3 erläuterte Drehung
des Recoildetektors vorgenommen. Da je Ereignis nur ein Projektilion zu erwarten ist,
wird für deren Nachweis eine Quad-Anode verwendet.
44
3.3. IMPULSSPEKTROSKOPIE
3.3.3 Datenerfassung
Um eine exakte Zeitmessung zu gewährleisten werden die analogen Signale von MCP
und Delayline-Anode digitalisiert. Ein Fast Amplifier (FA) verstärkt die vom Detektor
kommenden Signale, ohne dabei ihre Form und Breite zu verändern. Da die Signale unterschiedlich hoch sind und damit ihre Flanken unterschiedlich stark ansteigen, gibt das
Überschreiten einer gewissen Schwelle keinen vergleichbaren Zeitpunkt um ein analoges in ein digitales Signal umzuwandeln (siehe Abbildung 3.10). Stattdessen kann unter
der Annahme gleich breiter Signale ein Constant Fraction Diskriminator (CFD) zur Digitalisierung verwendet werden. Der CFD erzeugt ein zum Ausgangssignal invertiertes
Signal, welches dem ursprünglichen Signal nachgestellt wird. Das Digitalsignal kann nun
beim Nulldurchgang zwischen beiden Signalen erzeugt werden, der unabhängig von der
Signalhöhe immer die gleiche Lage hat. Eine genaue Beschreibung der Funktionsweise
eines CFD findet sich auf [Gmb]. Ein Time-to-Digital-Converter (TDC) registriert die
Zeitpunkte, zu denen die Signale eintreffen. Die Zeitpunkte werden dabei relativ zum
Eintreffen eines Triggersignals gemessen. Als Trigger wird während der Datenaufnahme das MCP-Signal jedes Recoilions verwendet. Erzeugt ein Recoilion ein Signal, wird
ein 12 µs langes Zeitfenster geöffnet. Alle weiteren Signale die innerhalb dieses Fensters auf dem Recoil- oder Projektildetektor erzeugt werden, werden zu einem Ereignis
zusammengefasst. Da das zu einer Reaktion gehörende Projektil den Projektildetektor
schneller erreichen kann, als das triggernde Recoilion den Recoildetektor, wird das Projektilsignal um etwa 7 µs verzögert. Damit wird auch das Projektilsignal in das geöffnete
Zeitfenster verschoben, jeder Reaktion also das richtige Projektilsignal zugeordnet.
Abbildung 3.10: Schematische Darstellung des Constant Fraction Prinzips aus [Wik11]. Vergleich
von Schwellwertauslösung (links) und Constant-Fraction-Auslösung (rechts).
KAPITEL 3. AUFBAU DES EXPERIMENTES
45
3.3.4 Auflösung
Die Auflösung ist die Fähigkeit eines Messgeräts, physikalische Größen gleicher Dimension von einander getrennt darstellen zu können. Die Auflösung gibt also den kleinsten
darstellbaren Unterschied an. Über die Messung von Zeiten oder Orten werden die Impulskomponenten einzelner Teilchen bestimmt. Wie detailliert Impulsunterschiede gemessen werden können, hängt also von der Orts- und der Flugzeitunschärfe des Experimentes ab.
Für die Messung der Recoilionen ist das Auflösevermögen in y- und z-Richtung des
Messsystems abhängig von der Ortsunschärfe, und das der x-Richtung abhängig von der
Flugzeitunschärfe. Die Auflösung des Ortes ist durch die Größe der Maschen des Metallgitters im Spektrometer ∆yGitter = 0, 14 mm und die Nicht-Linearität des HEX-Anoden
Detektors ∆yAnode = 0, 3 mm limitiert [Neu10]. Außerdem muss die Unschärfe des Startortes in der Reaktionszone ∆yT arget = 0, 5 mm berücksichtigt werden. Damit ergibt sich
die Ortsunschärfe in y-Richtung von:
∆yRecoil =
q
2
2
∆yT2 arget + ∆yAnode
+ ∆yGitter
= 0, 6 mm
(3.19)
Maschenweite und Nicht-Linearität haben in z-Richtung die gleichen Werte. Hier ist die
Größe der Reaktionszone jedoch durch die Aufweitung des Gasstrahls von Skimmer bis
zur Targetzone begrenzt und beträgt ∆zT arget ≈ 3 mm:
∆zRecoil =
q
2
2
∆zT2 arget + ∆zAnode
+ ∆zGitter
= 3, 02 mm
(3.20)
Die Ablenkung in einer Richtung ist näherungsweise linear vom Startimpuls in dieser Richtung abhängig, mit py0 = 1, 41 [a.u./mm]·y [mm]. Eine Ortsunschärfe von
∆yRecoil = 0, 6 mm entspricht damit einer Impulsunschärfe von ∆py,Recoil = 0, 85 a.u..
In z-Richtung ergibt sich eine Impulsunschärfe von ∆pz,Recoil = 4, 26 a.u..
Die zeitliche Auflösung des MCPs ∆tM CP von 0,2 ns und die Durchflugszeit des Projektils durch die Reaktionszone ∆tT arget = 3, 84 ns limitieren die Auflösung in Flugzeitrich~
~ ist a = q|E | .
tung. Die Beschleunigung der ionischen Fragmente im elektrischen Feld E
m
Damit folgt für die Impulse in Flugzeitrichtung
~
pt = tges · q E
,
(3.21)
und für die Impulsauflösung in Flugzeitrichtung ergibt sich
∆pt =
q
~
∆t2T arget + ∆t2M CP · q E
= 0, 5 a.u.
(3.22)
46
3.3. IMPULSSPEKTROSKOPIE
Diese Auflösungen beziehen sich auf das in Abschnitt 4.1 beschriebene Messsystem, dessen x- und z-Achse durch die Lage des Detektors bestimmt ist. Da der Detektor und
damit das Messsystem um α = 7◦ gegenüber dem Analysesystem gedreht ist, berechnen sich die x- und z-Impulskomponenten des Analysesystems durch Anwendung einer
Drehmatrix auf die Impulskomponenten im Messsystem (Siehe dazu Formel 4.3). Angemerkt sei jedoch, dass aufgrund des kleinen Winkels α für die x-Impulskomponente die
Flugzeit und für die z-Komponente der Auftreffort in z-Richtung maßgeblich sind. Die
y-Impulskomponente der Recoilionen wird über den Auftreffort in y-Richtung auf dem
Recoildetektor bestimmt. Sie ist in beiden Systemen identisch.
Für die Impulsauflösung in x- und z-Richtung wird nun die Auflösung in Flugzeitrichtung
und in z 0 -Richtung berücksichtigt:
∆px,Recoil =
q
(cos(7◦ ) · pt )2 + (sin(7◦ ) · pz 0 ,Recoil )2 = 0, 72 a.u.
(3.23)
∆pz,Recoil =
q
(sin(7◦ ) · pt )2 + (cos(7◦ ) · pz 0 ,Recoil )2 = 4, 23 a.u.
(3.24)
Die Impulsauflösung der Projektile in x- und y-Richtung wird von der Unsicherheit im
Ort bestimmt. Hier trägt zum einen die Ortsauflösung der Anode xAnode von 0,3 mm
und zum anderen die Divergenz des Ionenstrahls bei [Neu10]. Diese beträgt nach der
letzten Kollimierung auf ca. 0,3 x 0,3 mm etwa 0,8 mrad. Über den Strahlensatz führt
diese Divergenz auf dem 2,77 m entfernten Schirm zu einer Abbildung der Größe 2,4 x
2,4 mm und liefert damit den Hauptbeitrag zum Auflösevermögen. Die Ortsauflösung in
x- und y-Richtung beträgt damit:
∆xP rojektil = ∆yP rojektil =
q
∆x2Divergenz + ∆x2Anode = 2, 45 mm
(3.25)
Auch hier kann über die Abhängigkeit des berechneten Impulses von Auftreffort des
Projektils die Ortsauflösung in eine Impulsauflösung übersetzt werden. Aus einfachen
geometrischen Überlegungen ergibt sich als Umrechnungskonstante
Ca.u./mm =
pz
1 a.u.
4156 a.u.
a.u.
px
=
=
=
= 1, 5
,
x
z
x
2770 mm
mm
(3.26)
wobei px und pz die Impulskomponenten des Projektils in x- und z-Richtung, z der Abstand von Reaktionsort zum Detektor und x die zu einem px -Impuls von 1 a.u. zugehörige
Auslenkung sind. Eine Ortsauflösung von 2,45 mm entspricht damit einer Impulsauflö-
KAPITEL 3. AUFBAU DES EXPERIMENTES
47
sung von 3,67 a.u., sowohl in x- als auch in y-Richtung.
Da für die nachfolgende Auswertung der Relativimpuls von Bedeutung ist, soll die Fehlerfortpflanzung von den Impulsen auf den Relativimpuls betrachtet werden. Für den
Relativimpuls zweier Teilchen, der unabhängig von deren Schwerpunktsimpuls ist, gilt
p~rel =
p~2 − p~1
,
2
(3.27)
wobei p~1,2 der Impulsvektor des ersten beziehungsweise zweiten Teilchens ist. Zur Fehlerfortpflanzung werden die bestehenden Fehler in zwei Kategorien eingeteilt. Bei der Maschengröße ∆yGitter = 0, 14 mm, der Nicht-Linearität des Detektors ∆yAnode = 0, 3 mm
und der zeitlichen Auflösung des MCPs ∆tM CP = 0, 2 ns handelt es sich um Unsicherheiten, die mit Hilfe der Gaußschen Fehlerfortpflanzung behandelt werden können. Damit
folgt eine Unschärfe der x-Komponente des Relativimpulses ∆prelx von 0,02 a.u. und
eine Unschärfe der y- und z-Komponenten von ∆prely = ∆prelz = 0, 34 a.u..
Dagegen verfälschen die Ungenauigkeiten in Startort und Startflugzeit, die aus der Ausdehnung der Targetzone resultieren, beide in die Berechnung eingehenden Impulse mit
gleichem Vorzeichen. Der Fehler im Startort hebt sich also durch die Differenzbildung bei
der Berechnung des Relativimpulses teilweise auf, der Fehler in der Startflugzeit kompensiert sich sogar vollständig. Während die Ausdehnung der Targetzone den größten
Beitrag zu dem Fehler der Einzelimpulskomponenten verursacht, folgt durch deren Einfluss ein relativer Fehler des Relativimpulses von nur ∆prel /prel = 0, 71 %. Da der KER
von der 2. Potenz der Relativimpulse abhängt, ergibt sich aus der Startortungenauigkeit
ein relativer Fehler des KERs von ∆KER/KER = 1, 41 %.
4 Auswertung und Interpretation
Die Ionisationsereignisse wurden im Experiment durch die Aufzeichnung der Flugzeitdifferenzen zwischen den detektierten Teilchen und der Laufzeitdifferenzen der Anodensignale festgehalten. Aus diesen im Listmode-Format gespeicherten Zeitdifferenzen können
die absoluten Flugzeiten und die Auftrefforte der Teilchen auf dem Detektor berechnet
werden. Wie in Abschnitt 3.3.1 beschrieben, werden daraus die Impulsvektoren jedes
detektierten Teilchens bestimmt. In diesem Kapitel soll die Auswertung und die Interpretation der Rohdaten beschrieben werden. Zuvor wird auf die Kalibrierung des
Messsystems eingegangen.
4.1 Koordinatensystem
Das für die Auswertung verwendete kartesische Koordinatensystem unterscheidet sich
vom Messsystem, das in Abschnitt 3.3.1 für die Erläuterung der Teilchentrajektorien
genutzt wurde (siehe Abbildung 4.1). Im Messsystem war die x-Achse durch die Symmetrieachse des Spektrometers, und damit des elektrischen Feldes, definiert, wobei diese
Komponente allein durch die Flugzeit bestimmt ist. Die dazu senkrecht liegende Detektorebene spannt die yz-Ebene auf, wobei die y-Achse durch die Richtung des Heliumjets
definiert ist. Die Komponenten dieser Richtungen werden im Experiment allein durch
den Auftreffort bestimmt.
Es ist zu erwarten, dass die Ionisationswahrscheinlichkeiten der unterschiedlichen Prozesse auf Grundlage des Over-Barrier-Modells (siehe Abschnitt 2.3.1) rotationssymmetrisch
um die Strahlachse sind, sofern die Jet-Geschwindigkeit vernachlässigt wird. Deshalb soll
in der Offlineanalyse nun ein System verwendet werden, bei dem die Richtung des Ionenstrahls die z-Achse definiert. Die Richtung des Gasjets bestimmt weiterhin die y-Achse.
Die Umrechnung der Impulse vom Messsystem ins Analysesystem besteht in einer einfachen Koordinatentransformation, die einer Drehung um den Winkel α um die y-Achse
49
50
4.2. KALIBRIERUNG
entspricht.
x = x0 cos(α) − z 0 sin(α)
y=y
0
0
(4.1)
(4.2)
0
z = z cos(α) + x sin(α)
(4.3)
Der Winkel α ist hierbei gerade der Winkel, um den der Detektor zur Verringerung des
Totzeitproblems gegen die Strahlachse verdreht wurde.
Abbildung 4.1: Die x’- und die z’-Achse kennzeichnen das Messsystem. Zur Auswertung der Impulse wird ein um 7◦ gedrehtes System genutzt, dessen z-Achse durch die Projektilachse bestimmt ist.
4.2 Kalibrierung
Um die Impulse aller detektierten Ionen exakt bestimmen zu können, müssen alle in
die Berechnung eingehenden Größen möglichst genau bekannt sein. Der erste Schritt
ist hierbei die Umrechnung der Flugzeitdifferenzen und Laufzeitdifferenzen in absolute
Flugzeiten und Auftrefforte. Dazu muss der Nullpunkt der Flugzeit t0 , sowie die Umrech-
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
51
nungsfaktoren zwischen Signallaufzeit und Auftreffort für jeden Anodenlayer1 bestimmt
werden. Nachdem sichergestellt ist, dass der Detektormittelpunkt genau auf der durch
den Reaktionsort definierten x-Achse liegt, werden das elektrische Feld und die Spektrometerabmessungen kalibriert.
Der Auftreffort auf dem Detektor wird, wie in Abschnitt 3.3.2 beschrieben, aus der
Laufzeitdifferenz t2 − t1 der Anodensignale bestimmt.
x = cx · (tx2 − tx1 ) und
y = cy · (ty2 − ty1 )
(4.4)
Die Umrechnungsfaktoren von Nanosekunden in Millimeter cx und cy werden bestimmt,
indem die bekannte Größe des voll ausgeleuchteten Detektors von 80 mm durch die
maximale Laufzeitdifferenz eines Layers geteilt wird. Für die Quadanode des Projektildetektors folgen Werte von cx = 0, 534 mm/ns und cy = 0, 474 mm/ns. Der Auftreffort
der Rückstoßionen wird von einer HEX-Anode mit drei Anodenlayern bestimmt, die
mit u, v und w bezeichnet werden. Damit ist der Auftreffort überbestimmt, und es ist
möglich, dass die Orte die mit zwei der Drahtlagen bestimmt werden nicht mit dem Ort
auf der dritten Drahtlage übereinstimmt. Durch Addition eines Offsets w0 auf die dritte
Drahtlage kann die Übereinstimmung aller drei Lagen erreicht werden.
u = cu · (tu2 − tu1 )
(4.5)
v = cv · (tv2 − tv1 )
(4.6)
w = cw · (tw2 − tw1 + w0 )
(4.7)
Zur Bestimmung der Umrechnungsfaktoren einer HEX-Anode gibt es eine weitere Methode, die in [JWO+ 04] genau beschrieben wird. Hierbei wird der Umrechnungsfaktor des uLayers auf einen Erfahrungswert gesetzt, und dann die beiden verbleibenden Faktoren so
variiert, dass die jeweils aus zwei Layern berechneten Detektororte für alle drei möglichen
Kombinationen uv, uw und vw am besten übereinstimmen. Hiernach werden die Umrechnungsfaktoren zu cu = 0, 34 mm/ns, cv = 0, 32325 mm/ns und cw = 0, 317 mm/ns
bestimmt, und das Offset w0 beträgt 9,705 ns.
Der Flugzeitnullpunkt t0 wird in der Messung durch einen Photonenpeak definiert. Photonen entstehen instantan durch Abregungsmechanismen während der Ionisation, und
erreichen den Recoildetektor in unter 500 Pikosekunden, was der Zeitauflösung des ver1
englisch: layer - Schicht, Lage
52
4.2. KALIBRIERUNG
Abbildung 4.2: Flugzeitspektrum von erstem (schwarz) und zweitem (grau) Recoilhit. Der Photonenpeak definiert den Flugzeitnullpunkt. Deutlich sind die Peaks von He2+ und He+ -Ionen zu sehen. Darüber hinaus ist ein He+
2 -Peak zu erkennen.
wendeten Multihit-TDCs entspricht. Sie führen damit zu einem scharfen Peak, der im
dargestellten Flugzeitspektrum 4.2 mit γ gekennzeichnet ist. Durch ein zeitliches Offset
von t0 = 2556 ns wird das Flugzeitspektrum so verschoben, dass der Photonenpeak auf
Null liegt. Da die Flugzeit vom Masse-zu-Ladungs-Verhältnis m/q der Recoilionen abhängt, können die im Spektrum sichtbaren Peaks nach Formel 3.14 den entsprechenden
Ionen zugeordnet werden. Ohne Startimpuls beträgt die Flugzeit eines zweifach geladenen Teilchens der Masse m = 4 amu bei dem verwendeten Aufbau 1683 ns. Der an
dieser Stelle befindliche Peak im Flugzeitspektrum kann damit der zweifachen Ionisation von Heliumatomen des Jets zugeordnet werden. Ein zweifacher Elektroneneinfang
findet nur bei sehr kleinen Stoßparametern statt (siehe Tabelle 2.1). Dabei entsteht ein
hauptsächlich transversaler Impulsübertrag vom Projektil auf das Target. Die doppelte
Peakstruktur ist Folge des transversalen Startimpulses der He2+ -Ionen.
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
53
Analog zur He2+ -Zuordnung kann der höchste Peak um 2380 ns einfach geladenen Heliumatomen zugeordnet werden. Der schwache Peak um 3366 ns entspricht der Flugzeit
von He+
2 -Ionen.
In die Rekonstruktion der Teilchentrajektorien gehen die Abmessungen des Spektrometers und die Stärke des elektrischen Feldes ein, wie in Formel 3.17 gezeigt. Die Spektrometerabmessungen sa und sd können möglichst genau vermessen werden. Die elektrische
Feldstärke E kann durch die eingestellte Spannung bestimmt werden. Um diese Werte
noch genauer zu bestimmen, wird die gemessene Flugzeitabhängigkeit von erstem und
zweitem Recoil mit der theoretisch bestimmten Flugzeitabhängigkeit verglichen. Unter
der Annahme, dass die Impulssumme
t2 (t1 ) =
P
pi Null ist, ergibt sich
q
p
2 p
1
q1 Em1 sd + q2 Em2 sd − t1 .
q2 E
q2
(4.8)
Diese Abhängigkeit wird im sogenannten Photoion-Photoion-Coincidence-Spektrum (PIPICO) graphisch dargestellt, indem die Flugzeit des ersten Recoils gegen die des zweiten
aufgetragen wird, wie in Abbildung 4.3 zu sehen. Stammen zwei Recoils aus einer Coulombexplosion, so sind ihre Flugzeiten über Formel 4.8 miteinander verknüpft. Daraus
resultiert eine diagonale Linie im PIPICO-Spektrum, deren Position von Masse und Ladung der Recoils sowie vom elektrischen Feld und der Spektrometergeometrie abhängt.
Die Diagonale im abgebildeten Spektrum entspricht dem Aufbruch zweier einfach geladenen Heliumatome. Formel 4.8 wird nun als Funktion im PIPICO-Spektrum dargestellt,
wobei das elektrische Feld E und die Driftstrecke sd so variiert werden, dass die berechnete Linie mit der gemessenen Linie übereinstimmt. Für die elektrische Feldstärke von
E = 16.3 V/cm und eine Driftstrecke von sd = 55.203 mm ergibt sich die beste Deckung.
Nachdem die Flugzeitkomponente durch Anpassung des Flugzeitnullpunktes, des beschleunigenden Feldes und der durchquerten Beschleunigungs- und Driftstrecke kalibriert
ist, wird die korrekte Position der beiden Ortskomponenten y’ und z’ des Detektors
überprüft. Aufgrund der Impulserhaltung muss der Gesamtimpuls aller Rückstoßionen
einer Coulombexplosion in jeder Komponente Null ergeben. In Flugzeitrichtung wird die
Impulserhaltung mit den ermittelten Werten für t0 , E, sa und sd erfüllt. Ist die Impulssumme in y’- und z’-Richtung nicht Null bedeutet das, dass der Detektormittelpunkt
nicht exakt auf der x’-Achse liegt. Durch Addition eines Versatzes von y00 = −0.620 in
y’- und z00 = −2.469 in z’-Richtung wird erreicht, dass die Impulssummen der entsprechenden Komponenten zweier coulombexplodierender Recoilionen auf Null geschoben
54
4.2. KALIBRIERUNG
Abbildung 4.3: (links) Im PIPICO-Spektrum ist die Flugzeit des ersten Recoils gegen die des
zweiten aufgetragen. (rechts) Die Detailansicht zeigt eine diagonale Linie, die dem
Aufbruch in zwei einfach geladene Heliumionen entspricht. Der Funktionsgraph
der Flugzeitkorrelation 4.8 (schwarze Linie) stimmt für E = 16.3 V/cm und
sd = 55.203 mm mit den Messdaten überein.
werden. Damit ist sichergestellt, dass der Reaktionsort auf dem Mittelpunkt des Detektors abgebildet wird.
Schließlich wird noch der Betrag des Gesamtimpulses kalibriert. Zu diesem Zweck wird
während der Strahlzeit eine Vergleichsmessung mit Stickstoffgas durchgeführt. Diese
Messung fand bei Raumtemperatur und einem Druck von 15 bar statt. Aus vorausgegangenen Messungen ist die Verteilung der freiwerdenden kinetischen Energie (KER)
zweier coulombexplodierender Stickstoffionen sehr genau bekannt [WJH+ 01]. Stickstoff
besitzt eine Reihe von elektronischen Anregungszuständen. Bei der Dissoziation des Moleküls entsteht dadurch eine charakteristische KER Verteilung, die durch zwei ausgeprägte Peaks dominiert wird. Deren Positionen können als Referenz für die Kalibrierung
verwendet werden. In der Kalibrierungsmessung mit Stickstoffgas wird der KER aus dem
Relativimpuls der zweier Recoilionen bestimmt. Der Relativimpuls zweier Teilchen ist
p~rel =
p~2 − p~1
,
2
(4.9)
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
55
mit dem Gesamtimpuls p~1,2 des ersten beziehungsweise zweiten Recoilions. Der Gesamtimpuls wird aus den nach Formel 3.17 rekonstruierten Impulskomponenten bestimmt:


p0x



p~1 = 
p0y 
p0z
(4.10)
Für die Bestimmung der KER-Verteilung hat der Relativimpuls den Vorteil frei von
einem etwaigen Schwerpunktimpuls zu sein, dessen Energie die KER-Verteilung der
Coulombexplosion verfälschen würde. Für die bei einer Coulombexplosion freiwerdende kinetische Energie gilt damit
KER =
p~rel 2
,
2µ
(4.11)
wobei µ die reduzierte Masse beider Recoilionen ist. Diese gemessene KER-Verteilung
wird mit den Literaturdaten verglichen. Die Impulskomponenten werden nun durch einen
Streckungsfaktor pstretch so angepasst, dass die Positionen der charakteristischen Linien
der gemessenen KER-Verteilung mit denen der Literaturmessung übereinstimmen. Für
einen Faktor von pstretch = 1, 11 kann die in Abbildung 4.4 gezeigte Übereinstimmung
erreicht werden.
Abbildung 4.4: Vergleich der KER-Verteilung von N22+ aus [WJH+ 01] (blau) mit der gemessenen
KER-Verteilung von N22+ (schwarz) nach Anwendung eines Streckungsfaktors
pstretch .
56
4.3. ANALYSE DER ROHDATEN
4.3 Analyse der Rohdaten
Bevor mit der Auswertung der Daten begonnen werden kann, müssen die Ereignisse
der zu untersuchenden Aufbrüche von Heliumdimeren und -trimeren von allen für deren Auswertung unrelevanten Ereignissen getrennt werden. Durch das Vorsortieren der
entsprechenden Ereignisse lässt sich bei gegebener Rechenleistung viel Zeit während der
Analyse einsparen. Das Vorsortieren geschieht in zwei Schritten.
Bei der Coulombexplosion eines Heliumdimers entstehen zwei Heliumionen, die mit dem
Recoildetektor nachgewiesen werden. Bei der Ionisation eines Trimers entstehen bis zu
drei geladene Fragmente. Aus den Rohdaten werden im ersten Schritt nur solche Ereignisse in einen vorsortierten Datensatz eingetragen, die zwei oder drei Hits auf dem
Recoildetektor und einen Hit auf dem Projektildetektor enthalten. Damit werden all diejenigen Ereignisse aussortiert, bei denen nur ein Hit auf dem Recoildetektor registriert
wurde. Diese Ereignisse entstehen hauptsächlich durch die Ionisation atomaren Heliums
aus dem Heliumjet. Da der Anteil von Heliumclustern im Jet nur etwa 0,5% beträgt,
dokumentiert ein Großteil der Ereignisse die Ionisation atomaren Heliums, der somit
aussortiert wird. Durch diesen Schritt wird das Datenvolumen der durchgeführten Messung von 117 GB auf 7 GB reduziert. Neben dem Aussortieren werden in diesem Schritt
mit einem von A. Czasch entwickelten Algorithmus unvollständige Signale rekonstruiert
[Cza01]. Hierbei wird die Redundanz der gemessenen Signallaufzeiten eines Ereignisses
genutzt, um fehlende Pulse wiederherzustellen.
Der Impuls der Heliumionen, die sich nach der Ionisation voneinander abstoßen, ist erhalten. Im zweiten Schritt werden alle Ereignisse aussortiert, bei denen die detektierten
Recoilionen die Impulserhaltung nicht erfüllen. Solche Ereignisse entstehen, wenn zufällig
mehrere Signale durch Auftreffen von Restgasionen, ionisiertem atomaren Helium oder
Störsignale des Detektors innerhalb des Zeitfensters eines Ereignisses auf dem Detektor
erzeugt werden. Um die Impulserhaltung zu überprüfen, wird die Impulssumme
psum =
q
p2sumx + p2sumy + p2sumz
aller Recoilionen eines Ereignisses betrachtet, wobei psumx,y,z =
(4.12)
P
pix,y,z ist. Im Idealfall
wäre psum gleich Null für alle aus einer Reaktion stammenden Recoilionen. Da die Impulsauflösung begrenzt ist, und ein Impulsübertrag von Projektil auf Target möglich ist,
wird eine Obergrenze des Summenimpulses festgelegt, bis zu der der Impuls als erhalten
betrachtet wird. Durch Aussortieren aller Ereignisse mit einem Summenimpuls größer
20 a.u. bei Ereignissen mit zwei Recoilhits, und größer 25 a.u. bei Ereignissen mit drei
Recoilhits werden aus den verbliebenen 7 GB Daten 130 MB herausgefiltert. In der an-
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
57
schließenden Analyse kann diese Grenze noch feiner angepasst werden.
Wie bereits in Abschnitt 4.2 erwähnt, entstehen durch die Korrelation der Flugzeiten
der aus einer Reaktion stammenden Recoilionen diagonale Linien im PIPICO-Spektrum.
Durch Fordern der Erfüllung der Impulserhaltung für zwei Teilchen der Masse m = 4 amu
und Ladung q = 1 a.u. wird gerade diese Diagonale im Zwei-Teilchen-PIPICO-Spektrum
herausgefiltert.
Wird die Summe der Flugzeiten des ersten und zweiten Teilchens tsum = t1 +t2 gegen die
Flugzeit des dritten Teilchens t3 aufgetragen, ergibt sich ein sogenanntes Drei-TeilchenPIPICO-Spektrum. Die Flugzeit des dritten Ions t3 einer Reaktion ist mit
q
p
p
2 p
q2
1
t3 =
t1 + t2
q1 Em1 sd + q2 Em2 sd + q3 Em3 sd −
q3 E
q3
q3
(4.13)
von der Flugzeitsumme des ersten und zweiten Ions t1 + t2 abhängig, sofern q1 = q2
gilt. Entsprechende Ereignisse liegen wiederum auf einer Diagonalen, die durch Fordern
der Impulserhaltung dreier Teilchen mit Masse m = 4 amu und Ladung q = 1 a.u.
herausgefiltert werden. Abbildung 4.5 zeigt beide PIPICO-Spektren mit der Bedingung
der Impulserhaltung. Mit einem derart präparierten Datensatz kann nun eine detaillierte
Analyse der Ionisationsmechanismen vorgenommen werden.
Abbildung 4.5: (links) PIPICO-Spektrum mit der Bedingung eines niedrigen Summenimpulses
psum < 20 a.u. zweier Teilchen mit Masse m = 4 amu und Ladung q = 1 a.u..
(rechts) Drei-Teilchen-PIPICO-Spektrum für drei Teilchen deren Summenimpuls
psum kleiner als 25 a.u. ist. In der linken unteren Ecke ist jeweils das bedingungsfreie Zwei- beziehungsweise Drei-Teilchen-PIPICO-Spektrum dargestellt.
58
4.4. AUSWERTUNG DER HELIUMDIMERE
Abbildung 4.6: Im PIPICO-Spektrum sind zwei Reaktionskanäle zu erkennen. Es handelt sich
um den Aufbruch in zwei einfach geladene Heliumionen, sowie in ein zweifach
und ein einfach geladenes Heliumion. Die schwarzen Kurven ergeben sich aus der
theoretisch bestimmten Flugzeitkorrelation 4.8 zweier Teilchen einer Reaktion.
4.4 Auswertung der Heliumdimere
Nach der in Abschnitt 4.3 beschriebenen Vorsortierung beträgt der Anteil der Ereignisse mit zwei Hits auf den Recoildetektor 84%, der Anteil mit drei Hits entsprechend
16%. Unter den Ereignissen mit zwei Recoilhits sind lassen sich im PIPICO-Spektrum
zwei Aufbruchkanäle identifizieren, die in Abbildung 4.6 gekennzeichnet sind. Mithilfe
der Flugzeitabhängigkeit 4.8 zweier Recoilionen aus einer Coulombexplosion lässt sich
aus der Position einer Linie im PIPICO-Spektrum die Ladung und die Masse der am
Aufbruch beteiligten Recoilionen bestimmen. Die stärkste Linie ist hierbei der Coulombexplosion zweier einfach geladener Heliumionen zuzuordnen. Die Linie, die dem Aufbruch
in ein einfach und ein zweifach geladenes Heliumion entspricht, ist gemäß der geringeren
Wahrscheinlichkeit für die Doppelionisation eines Heliumatoms deutlich schwächer. An
der Position, die dem Aufbruch in zwei zweifach geladene Heliumionen entspricht, ist
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
59
keine erhöhte Ereignisdichte zu verzeichnen. Die nachfolgende Auswertung konzentriert
sich auf den stärksten Kanal, dem Aufbruch in zwei einfach geladene Recoilionen.
Abbildung 4.7: (links) Ortsbild des Recoildetektors für den ersten Hit, mit Bedingung der Impulserhaltung wie sie in Abschnitt 4.4.1 beschrieben ist. Der in der Mitte befindliche
Jetfleck dominiert das Spektrum. (rechts) Durch Aussortieren von Ereignissen
die im Jetfleck liegen kann ein Großteil des Untergrundes entfernt werden.
4.4.1 Identifizierung der Ionisationsmechanismen
Um den Reaktionskanal der Coulombexplosion zweier einfach geladener Heliumionen detailliert untersuchen zu können, müssen die entsprechenden Ereignisse bestmöglich vom
Untergrund befreit werden.
Bei Betrachtung des PIPICO-Spektrums 4.6 fallen senkrechte und waagrechte Linien
auf. Sie entstehen durch zufällige Koinzidenzen, erzeugt von einem Teilchen mit fester
Flugzeit, beispielsweise einem einfach geladenen Heliumion ohne Startimpuls, und einem
zufälligen weiteren Puls. Zufällige Koinzidenzen mit einem einfach geladenen Heliumion
überlagern den Beginn der Diagonalen entlang der sich die „echten“ Ereignisse befinden.
Der erste Schritt den Untergrund zu reduzieren ist nun eine strengere Bedingung auf die
Impulserhaltung zu fordern. Während bei der Vorsortierung alle Ereignisse mit einem
Summenimpuls größer als 20 a.u. aussortiert wurden, wird nun die Grenze auf 14 a.u.
gesetzt. Bestehen bleiben folglich nur solche Untergrundereignisse, die zufälligerweise
die Impulserhaltung im Rahmen der Berechnung des Summenimpulses zweier einfach
geladener Heliumionen erfüllen. Größtenteils sind dies solche Ereignisse, bei denen zwei
Teilchen aus dem Jet ionisiert werden und aufgrund eines fehlenden Startimpulses in der
Mitte des Recoildetektors landen. Die Anhäufung dieser Ereignisse in der Detektormitte,
60
4.4. AUSWERTUNG DER HELIUMDIMERE
Abbildung 4.8: Berechneter Summenimpuls der Recoilionen aufgetragen gegen deren KER. Die
linke Abbildung zeigt sämtliche detektierten Ereignisse, während rechts nur solche
eingetragen sind, deren Summenimpuls weniger als 14 a.u. beträgt und deren
Recoilionen außerhalb des Jetflecks nachgewiesen wurden.
im Folgenden „Jetfleck“ genannt, ist im Ortsbild des Recoildetektors 4.7 zu erkennen.
Durch Entfernen aller Ereignisse bei denen der erste oder der zweite Hit innerhalb des
Jetflecks auf dem Recoildetektor nachgewiesen wird, kann dieser Teil des Untergrundes,
der die Impulserhaltung nur aufgrund der trivialen Anfangsbedingung p01 = p02 = 0
erfüllt, aussortiert werden. Zu beachten ist, dass hierbei auch „echte“ Ereignisse verworfen werden, und zwar solche bei denen die Startimpulse aus der Coulombexplosion
nicht ausreichen, um jenseits der Detektormitte zu landen, sei es durch einen sehr geringen Startimpuls, oder durch die Ausrichtung der Startimpulse direkt in Richtung der
Detektormitte. Zur Übersicht der ausgewählten Ereignisse zeigt Abbildung 4.8 den Summenimpuls aufgetragen gegen den KER nach Gleichung 4.11.
Unter diesen beiden Bedingungen, nämlich dem Erfüllen der Impulserhaltung im Rahmen eines Summenimpulses kleiner 14 a.u. und der Lage des Auftreffortes außerhalb des
Jetflecks, soll nun die kinetische Energie betrachtet werde, die bei der Coulombexplosion der Heliumionen frei wird. Diese Energie wird nach Formel 4.11 bestimmt und ihre
Verteilung ist in Abbildung 4.9 dargestellt. In der gezeigten KER-Verteilung sind zwei
Maxima zu erkennen. Des Weiteren ist hier die KER-Verteilung ohne die Bedingung auf
den Jetfleck dargestellt. Der Jetfleck entsteht, wie bereits beschrieben, hauptsächlich aus
zufällig koinzident ionisierten Monomeren. Sie haben einen sehr geringen Startimpuls,
und so führen diese Ereignisse zu dem in Abbildung 4.9 (rechts) sichtbaren Anstieg der
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
61
Abbildung 4.9: (links) KER-Verteilung des Reaktionskanals zweier einfach geladener Heliumionen. (rechts) Ohne die Bedingung den Jetfleck als Untergrund zu behandeln,
bleiben Ereignisse zweier nahezu gleichzeitig ionisierter Heliumatome aus dem
Jet mit entsprechend niedrigem KER bestehen (schwarz). Die blaue Kurve zeigt
die KER-Verteilung des Zweifach-Elektroneneinfangs bei der Interaktion von Alphateilchen mit Heliumdimeren [TSK+ 11].
Rate bei kleinem KER. Im Vergleich soll gezeigt werden, dass durch das Entfernen des
Jetflecks nicht die Form des breiten Maximums verändert wird. Die KER-Verteilung der
„echten“ Ereignisse wird durch diese Bedingung demnach quasi nicht belangt.
Das Maximum des breiten Peaks liegt bei E1 = 2, 76 eV. Das Maximum erstreckt
sich über einen Bereich von etwa 1-6 eV. Dies ist die Signatur des in Abschnitt 2.3.2
beschriebenen Zweistufenprozesses. Die Abstandsverteilung des Heliumdimers führt zu
unterschiedlich starken abstoßenden Kräften zum Zeitpunkt der Ionisation beider Dimerzentren und damit zu der breiten Verteilung kinetischer Energien, die die beiden
Heliumionen während des Abstoßens erhalten.
Der zweite Peak liegt bei E2 = 9, 72 eV, und ist mit einer Halbwertsbreite von 0,96 eV
relativ schmal. Dieser scharfe Peak am oberen Ende der KER-Verteilung wird als Einstufenprozess identifiziert, so wie er in Abschnitt 2.3.2 beschrieben ist. Da der Elektronentransfer vom doppelt geladenen Heliumion auf das ungeladene Heliumatom stets
bei der Unterschreitung eines gewissen Abstandes stattfindet, erhalten die entstehenden
Recoilionen immer nahezu die gleiche Energie.
Vergleichend wird die KER-Verteilung einer ähnlichen Messung von J. Titze betrachtet
[TSK+ 11]. Bei der hier untersuchten Interaktion von Alphateilchen mit Heliumdimeren
62
4.4. AUSWERTUNG DER HELIUMDIMERE
kann ebenfalls ein Einstufen- und ein Zweistufenprozess des doppelten Elektroneneinfangs nachgewiesen werden. Die Energiebereiche der Prozesse liegen bei beiden Messungen in guter Übereinstimmung, jedoch weichen die Reaktionswahrscheinlichkeiten der
Prozesse stark ab, wie die blaue Kurve in Abbildung 4.9 (rechts) zeigt. Eine Erklärung
hierfür ist der viel geringere Einfangradius von Alphateilchen gegenüber achtfach geladenen Argonionen.
Abbildung 4.10: (links) Abstandsverteilung des Reaktionskanals zweier einfach geladener Heliumionen. Zum Vergleich ist in blau das Produkt aus radialer Wahrscheinlichkeitsdichte r2 Ψ2 und dem Anteil X(r) (siehe Abbildung 4.11) eingezeichnet.
(rechts) Werden Ereignisse aus dem Jetfleck nicht aussortiert erhöht sich der
Untergrund, qualitativ verändert sich die Verteilung nicht.
4.4.2 Abstandsverteilung
Im Rahmen der Reflection Approximation ist es möglich einem gegebenen KER einer
Coulombexplosion den Abstand zuzuordnen, den beide Fragmente zum Zeitpunkt ihrer
Ionisation voneinander hatten (siehe Abschnitt 2.3.3). Mithilfe von Formel 2.13 kann die
zuvor gewonnene KER-Verteilung in eine Abstandsverteilung übersetzt werden. Diese ist
in Abbildung 4.10 dargestellt.
Der scharfe Peak bei r2 = 1, 5 Å ist dem Maximum E2 der KER-Verteilung und damit
dem Einstufenprozess zuzuordnen. Bei diesem in Abschnitt 2.3.2 beschriebenen Vorgang nähert sich ein neutrales Heliumatom einem zweifach geladenen Heliumion bis auf
1,5 Å an. Dabei steigt die Wahrscheinlichkeit für den Ladungstransfer stark an, worauf-
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
63
Abbildung 4.11: Anteil X(r) einer Kugelkappe mit Radius Rc aus einer Kugel mit Radius rK an
der halben Gesamtoberfläche dieser Kugel. Für die Darstellung wurde ein Einfangradius von Rc2,7+ = 5, 23 Å gewählt. Zusätzlich ist die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte r2 Ψ2 des Heliumdimergrundzustandes (gefittet nach [LKM+ 93])
und deren Produkt mit dem Anteil X(r) eingezeichnet.
hin ein Elektron vom doppelt geladenen auf das neutrale Heliumatom übergeht.
Das breite Maximum um r1 = 4, 5 Å korrespondiert zu dem breiten Peak des Zweistufenprozesses der KER-Verteilung. Die Startabstände zwischen zwei Heliumatomen
eines Clusters betrugen demnach zwischen 2 Å und 16 Å. Aufgrund vorangegangener
Messungen, in denen der mittlere Abstand des Heliumdimers zu 52 Å bestimmt wurde
[GST+ 00], wären auch hier Beiträge größerer Abstände zu erwarten. Ein Grund, warum
Beiträge größerer Abstände unterdrückt sind, soll im Folgenden erläutert werden.
Wie in Abschnitt 2.3.2 beschrieben, können die Zentren eines Heliumclusters nur dann
ionisiert werden, wenn sie sich innerhalb eines zylindrischen Bereichs mit Radius Rc um
die Projektiltrajektorie befinden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich beispielsweise beide Zentren eines Dimers ausreichend nah zur Projektiltrajektorie befinden um ionisiert
zu werden, nimmt bei statistisch verteilter Ausrichtung des Dimers mit zunehmendem
internuklearen Abstand ab. Aus der Ionisationsgeometrie ergibt sich also ein abstandsabhängiger Faktor, von dem die Ionisationswahrscheinlichkeit abhängt. Er soll nun für
große Abstände r abgeschätzt werden: Für diesen Fall ist der Faktor näherungsweise
durch den Anteil der Oberfläche zweier Kugelkappen mit Radius Rc aus einer Kugel mit
64
4.4. AUSWERTUNG DER HELIUMDIMERE
Radius rK = r/2 an der Gesamtoberfläche dieser Kugel gegeben.
q
2 − R2
rK − rK
2 · 2πrK h
c
=
X(r) =
2
rK
4πrK
(4.14)
Die Abhängigkeit dieses Anteils vom internuklearen Abstand r ist in Abbildung 4.11
dargestellt. Für r < Rc ist der Anteil X = 1, in diesem vereinfachten Bild werden
Dimere hier unabhängig von ihrer Ausrichtung zur Strahlachse ionisiert. Bei einem Abstand von 2rK = 52 Å, was dem mittleren internuklearen Abstand hri im Heliumdimer
entspricht, beträgt dieser Anteil nur noch X = 2%. Damit ist prinzipiell zu erklären,
dass Anteile der Abstandsverteilung mit großem r unterdrückt sind. Des Weiteren ist
die Ionisationswahrscheinlichkeit bei einem bestimmten Abstand r abhängig von der radialen Wahrscheinlichkeitsdichte r2 Ψ2 . Ihr Maximum liegt bei etwa 13 a.u., für größere
internukleare Abstände nimmt die Dichte stetig ab (siehe Abbildung 4.11).
Dreidimensionale Abstandsverteilung
Der vorangehend diskutierte Einfluss der Reaktionsgeometrie auf die Ionisationswahrscheinlichkeit kann durch die Erstellung einer dreidimensionalen Abstandsverteilung
sichtbar gemacht werden. Sie bietet ein sehr anschauliches Bild der Abhängigkeit des
Elektroneneinfangs von der gegenseitigen Lage der Dimer- und Strahlachse. Im Folgenden wird erläutert wie eine dreidimensionale Abstandsverteilung mit Hilfe der gemessenen Impulsvektoren erzeugt werden kann.
Das Messen der vollständigen Impulsvektoren zweier Recoilionen eines Aufbruchs ermöglicht die Bestimmung der Lage ihrer Verbindungslinie im Raum, die bei der Ionisation
eines Dimers dessen Achse entspricht. Zur Bestimmung der Ausrichtung des Dimers wird
der Vektor des Relativimpulses 4.9 genutzt, er zeigt gerade entlang der Dimerachse. Die
Lage der Dimerachse ist durch den Polarwinkel beziehungsweise Streuwinkel θ und den
Azimutwinkel φ definiert, die sich aus dem Relativimpuls p~rel ableiten lassen.
prelz
prel
prely
tan φ =
prelx
cos θ =
(4.15)
(4.16)
Hierbei sind prelx,y,z die entsprechenden Komponenten des Relativimpulsvektors p~rel . Damit sind die Orte der Dimerzentren zum Zeitpunkt der Ionisation in Polarkoordinaten
bestimmt, und können nun in kartesische Koordinaten überführt und in ein entsprechen-
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
65
des Koordinatensystem eingetragen werden. Es gilt
x = r · sin θ · cos φ
(4.17)
y = r · sin θ · sin φ
(4.18)
z = r · cos θ.
(4.19)
In Abbildung 4.12 werden die Projektionen der räumlichen Verteilung in die xy-, die xzund die yz-Ebene dargestellt. Der im Zentrum aller Darstellungsebenen befindliche Ring
besteht aus den Ereignissen des Einstufenprozesses. Sie sind auf einer Kugeloberfläche
einer Kugel mit einem Durchmesser von 1,5 Å angeordnet. Die isotrope Verteilung zeigt,
dass der Einstufenprozess unabhängig von der Ausrichtung der Dimerachse ist.
Es ist kein Ionisationsprozess zu erwarten, bei dem die Annäherung zweier Clusterkerne zum Zeitpunkt ihrer Ionisation weniger als 1,5 Å beträgt, da bei diesem Abstand die
Wahrscheinlichkeit für einen Ladungsaustausch stark ansteigt. Somit ist die freiwerdende
Energie bei der anschließenden Coulombexplosion stets kleiner als KER ≈ 10 eV. Deshalb werden Ereignisse mit zwei Recoilhits, deren KER 12 eV übersteigt, als Untergrund
betrachtet. Für eine übersichtlichere Darstellung der räumlichen Verteilung werden solche Ereignisse aussortiert.
Der außen liegende, diffusere Ring ist dem Zweistufenprozess zuzuordnen. In Strahlrichtung z sind größere internukleare Abstände zu beobachten als in der dazu orthogonalen
Ebene. Die Beiträge zur Abstandsverteilung von r > 8 Å resultieren also hauptsächlich
aus Aufbrüchen von Heliumdimeren deren Achse entlang der Strahlachse orientiert war.
Dieses Ergebnis liegt in guter Übereinstimmung mit dem in Abschnitt 2.3.1 erläuterten Over-Barrier Modell. Der Durchmesser des zylindrischen Bereiches innerhalb dem
sich zwei Clusterkerne befinden müssen damit der Zweistufenprozess stattfinden kann
beträgt 2Rc ≈ 20 a.u.. Die Projektion der räumlichen Verteilung in die xy-Ebene bildet
eine gute Ansicht, um zu erkennen bis zu welchem Abstand um die Projektiltrajektorie
Cluster an zwei Zentren ionisiert wurden. Dieser Abstand liegt mit 8 Å(etwa 15 a.u.)
innerhalb der durch 2Rc gegebenen Obergrenze.
Für den Elektroneneinfang ist im Rahmen des Over-Barrier Modells eine rotationssymmetrische Verteilung entlang der z-Achse zu erwarten, die Projektionen in xz- und yzRichtung sollten also eine identische Form aufweisen. Dies ist unter Einschränkung zweier „Eindellungen“ in der xz-Projektion auch erfüllt. Die „Eindellungen“ entstehen durch
die untergrund-minimierende Bedingung auf den Jetfleck, die zum Vergleich in Abbildung 4.12 (links unten) nicht gefordert wurde.
66
4.4. AUSWERTUNG DER HELIUMDIMERE
Abbildung 4.12: Projektion der räumlichen Abstands-Verteilung in die xy-Ebene (links oben),
yz-Ebene (rechts oben) und in die xz-Ebene (rechts unten). Die Abbildung links
unten zeigt vergleichend die xz-Projektion ohne Bedingung auf den Jetfleck.
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
67
Entlang der Projektiltrajektorie besteht jedoch im Gegensatz zur orthogonalen Richtung
keine einschränkende Grenze, hier können hypothetisch Clusterkerne mit beliebigen internuklearen Abstand ionisiert werden. Jedoch ist der Anteil X(r) (siehe Gleichung 4.14)
der Dimere, die innerhalb des ionisierbaren Bereichs liegen, kleiner, je größer ihr internuklearer Abstand r ist. Zusätzlich gibt die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte r2 Ψ2 vor,
in welchem Häufigkeitsverhältnis Dimere mit unterschiedlichem internuklearen Abstand
vorliegen.
Eindeutigkeit des Messergebnisses
Neben den Dimeren konnten auch im Heliumjet vorhandene Trimere nachgewiesen werden. Der Nachweis von Trimeren steht jedoch im Konflikt zur Eindeutigkeit der Auswertung von Dimer-Ereignissen. Dieser Sachverhalt soll nun kurz beschrieben werden:
Ein Ereignis zweier Recoilhits kann von einem Heliumdimer stammen, dessen Zentren
durch die Reaktion mit dem Projektil ionisiert wurden. Es ist aber auch möglich, dass
zwei Zentren eines Trimers ionisiert werden. Dies geschieht beispielsweise, wenn sich nur
zwei der drei Trimerkerne innerhalb des Einfangradius Rc des Projektils befinden, wie
in Abbildung 2.6 angedeutet. Die beiden ionisierten Zentren stoßen sich gemäß der Coulombkraft voneinander ab, werden durch das elektrische Feld im Spektrometer auf den
Detektor geführt und dort nachgewiesen. Es entsteht ein Ereignis mit zwei Recoilhits,
das verbleibende neutrale Heliumatom des Trimers kann nicht nachgewiesen werden.
Nach der Vorsortierung der Rohdaten beträgt der Anteil von Dreifach-Hits am Gesamtdatenvolumen 16%, der abgesehen von Untergrundereignissen eindeutig der Ionisation
von Trimeren zugeordnet werden kann. Damit einher gehen folglich auch Zweifach-Hits,
die von Trimeren stammen. Die 84% der Zweifach-Hits setzen sich also aus einem von
Dimeren und einem von Trimeren erzeugten Anteil zusammen. Die Verteilungen, die in
der Auswertung berechnet werden, müssen also als eine Überlagerung einer Dimer- und
einer Trimer-Verteilung verstanden werden. Da die quantitative Zusammensetzung der
Zweifach-Hits unbekannt ist, ist eine eindeutige Auswertung unmöglich.
Zusammenfassung der Dimerauswertung
Die Auswertung der Heliumdimere zeigt die Existenz zweier Ionisationsprozesse, nach
denen ein Dimer innerhalb des Over-Barrier-Modells ionisiert werden kann. Mithilfe der
Reflection Approximation kann die gewonnene KER-Verteilung in eine Verteilung internuklearer Abstände zum Zeitpunkt der Ionisation beider Dimerzentren umgerechnet
werden. Unter Verwendung des vollständigen Impulsvektors kann auch eine dreidimen-
68
4.5. AUSWERTUNG DER HELIUMTRIMERE
sionale Abstandsverteilung bestimmt werden. Das Stattfinden des Einstufenprozesses
bei 1,5 Å und dessen Unabhängigkeit von der Lage des Dimers im Raum stehen in guter
Übereinstimmung zur Vorhersage und vorangegangenen Experimenten. Der Zweistufenprozess konnte bei Dimeren mit geringem internuklearer Abstand zwischen 2 Å und
16 Å nachgewiesen werden. Während der mittlere internukleare Abstand hri des Dimers
vorangegangenen Experimenten zufolge 52 Å beträgt, konnten hier keine Dimere mit
großem Abstand gemessen werden, was prinzipiell mit der Unterdrückung ihres Nachweises aufgrund der Reaktionsgeometrie erklärt werden kann.
4.5 Auswertung der Heliumtrimere
Um Coulombaufbrüche von Heliumtrimeren in drei geladene Heliumionen zu identifizieren wird die Impulserhaltung der Ereignisse mit drei Recoilhits betrachtet. Da bei
einer Coulombexplosion der Summenimpuls aller beteiligten Teilchen erhalten ist, sind
Coulombaufbrüche dreier Teilchen, wie bereits in Abschnitt 4.3 erläutert, auf diagonalen Linien im Drei-Teilchen-PIPICO Spektrum angeordnet. Durch die Forderung eines
geringen Summenimpulses dreier Recoilionen eines Ereignisses konnten bereits in der
Vorsortierung mögliche Trimer-Ionisationen von sonstigen Ereignissen separiert werden.
Die Grundlage zur Auswertung der Heliumtrimere bildet also der 16%ige Anteil von
Dreifach-Hits. Um „echte“ Ereignisse vom Untergrund zu trennen wird eine zur Dimerauswertung analoge Vorgehensweise gewählt. Für die Obergrenze des Summenimpulses
dreier Teilchen, bis zu der die Impulserhaltung im Rahmen der Impulsauflösung als erfüllt gelten soll, wird auch hier psum = 14 a.u. gewählt. Ebenso werden Ereignisse, bei
denen mindestens ein Recoilion innerhalb des beschriebenen Jetflecks detektiert wird,
aussortiert. Allerdings geschieht dies bei der Auswertung der Trimere mit einer Modifikation, deren Grund im Folgenden erläutert werden soll.
Zusätzlich zu einer dreieckigen Geometrie des Heliumtrimers wird ein deutlicher Anteil
einer nahezu linearen Geometrie des Trimers theoretisch vorhergesagt [Lew97] [LSA+ 99].
Werden alle drei Kerne eines Trimers in linearer Konfiguration gemäß des Dreistufenprozesses 2.3.2 jeweils einfach ionisiert, so heben sich die auf den mittleren Kern wirkenden
Kräfte gerade auf. Während die beiden äußeren Zentren einen voneinander entgegengesetzten Impuls erhalten, ist der Startimpuls des mittleren Zentrums pm = 0. Folglich
wird es nach Beschleunigung durch das Spektrometerfeld in der Mitte des Detektors
nachgewiesen, eben dort wo ein massiver Untergrund aus ionisierten Jetteilchen zu beobachten ist, und der Bereich deshalb aussortiert werden soll. Qualitativ lässt sich über
Dreistufenprozesse an Trimeren mit linearer Konfiguration also sagen, dass zwei der Re-
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
69
coilionen einen ähnlich großen, entgegengesetzten Startimpuls, und das dritte Ion einen
sehr kleinen Startimpuls haben. Damit mögliche Ionisationen einer linearen Konfiguration nicht durch die Bedingung auf den Jetfleck entfernt werden, wird die Bedingung
dahingehend modifiziert, dass ein Ereignis, bei dem ein Teilchen im Bereich des Jetflecks
nachgewiesen wird, nur aussortiert wird, solange dieses Teilchen nicht einen sehr kleinen
Impuls aufweist. Als Grenze für die Energie eines Recoilions wird hier EiCM < 0, 2 eV
gewählt, was einem Startimpuls von maximal 10,4 a.u. entspricht. Der logische Ausdruck
für diese Bedingung lautet:
Ereignis wird aussortiert, wenn
(OrtRecoil1 innerhalb Jetfleck ∧ E1CM > 0, 2 eV ) ∨
(OrtRecoil2 innerhalb Jetfleck ∧ E2CM > 0, 2 eV ) ∨
(OrtRecoil3 innerhalb Jetfleck ∧ E3CM > 0, 2 eV )
Um die Schwerpunktsenergie eines Recoilions in einem Ereignis mit drei Hits zu bestimmen, werden die Impulse der Ionen im Schwerpunktsystem berechnet. Dazu wird die
Geschwindigkeit des Schwerpunktes VCM komponentenweise aus den gemessenen Einzelimpulsen der Ionen ermittelt.
Vx,y,zCM =
p1x,y,z + p2x,y,z + p3x,y,z
3mHe
(4.20)
Um aus den gemessenen Impulskomponenten die entsprechenden Komponenten im Schwerpunktsystem zu bestimmen, muss der Schwerpunktsimpuls subtrahiert werden.
pi(x,y,z)CM = pix,y,z − mHe · Vx,y,zCM
(4.21)
Für den Gesamtimpuls des i-ten Recoilions gilt damit:
piCM =
q
p2ix + p2iy + p2iz
(4.22)
Aus dem Schwerpunktsimpuls kann schließlich die Schwerpunktsenergie eines Recoilions
bestimmt werden:
EiCM =
p2iCM
2mHe
(4.23)
Der KER der Coulombexplosion entspricht der Summe der drei Einzelenergien:
KER =
P 2
p
iCM
2mHe
(4.24)
70
4.5. AUSWERTUNG DER HELIUMTRIMERE
Abbildung 4.13: KER-Verteilung der Trimer-Ereignisse. Ereignisse außerhalb der blauen Linien
werden als Untergrund betrachtet.
Das Coulombpotential ist abhängig von den internuklearen Abständen des Trimers
zum Zeitpunkt der Ionisation, und damit in klassischer Näherung auch der KER (siehe Formel 2.15). Unter der Annahme, dass ein nach dem Dreistufenprozess ionisiertes
Trimer die Konfiguration eines gleichseitigen Dreiecks besaß, kann die Länge r der Dreiecksseiten des Trimers bestimmt werden zu
r=
3
.
KER
(4.25)
Wird eine lineare Konfiguration mit 2r12 = 2r23 = r13 angenommen, gilt für den Abstand
r13 =
5
.
KER
(4.26)
Abbildung 4.13 (links) zeigt das KER-Spektrum der Trimer-Ereignisse unter der Bedingung der Impulserhaltung und Entfernen des Jetflecks. Es zeigt ein breites Maximum bei
7,1 eV mit einer Halbwertsbreite (FWHM) von 4,2 eV. Zusätzlich ist ein Peak nahe 0 eV
zu sehen. Er entsteht durch die modifizierte Jetfleck-Bedingung. Durch die Modifikation
bleiben nicht nur Ereignisse bestehen, bei denen genau ein Recoilion einen sehr kleinen
Startimpuls besitzt, sondern auch Ereignisse bei denen alle drei Ionen eine geringe Ener-
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
71
gie haben. Dieser Untergrund wird entfernt, indem Ereignisse mit einem KER kleiner
als 1 eV aussortiert werden. Der internukleare Abstand von Trimeren unterhalb dieser
Grenze betrüge für dreieckige Trimere über 43 Å, für lineare über 72 Å. Unter Betrachtung der Ionisationsgeometrie ist ein Dreistufenprozess für dreieckige Trimere bei diesem
Abstand nicht möglich und für lineare Trimere sehr unwahrscheinlich. Darüber hinaus
werden auch Ereignisse mit KER größer als 12 eV aussortiert.
4.5.1 Impulskonfiguration
Die Konfiguration eines Zwei-Teilchen-Systems im Raum wird durch den Abstand beider
Zentren r vollständig bestimmt. Dieser kann durch die in Abschnitt 2.3.3 beschriebene
Reflection Approximation aus den gemessenen Impulsen beziehungsweise dem KER der
beiden Teilchen bestimmt werden. Die Konfiguration der Impulse dreier Teilchen nach
der Coulombexplosion kann mit Hilfe des Dalitz- oder des Newton-Diagramms dargestellt werden, welche im Folgenden erläutert werden sollen.
4.5.2 Dalitz-Diagramm
R. H. Dalitz entwickelte 1953 eine Form der Darstellung, um die kinematischen Variablen eines Zerfalls dreier Teilchen abzubilden. Diese ursprünglich für den Zerfall von
K-Mesonen entwickelte Darstellungsweise kann gut auf die Fragmentation von molekularen Drei-Teilchen-Systemen angewendet werden. Zur Erläuterung des Dalitz-Diagramms
soll sich auf das Drei-Teilchen-System eines Helium-Trimers bezogen werden, dessen Zentren gleichzeitig ionisiert werden.
Aufgrund der drei positiven Ladungen besitzt das System anfänglich eine potentielle
Energie W, die während der Abstoßung in kinetische Energie der ionischen Fragmente
umgewandelt wird. Da die Energie erhalten ist, gilt
W = 1 + 2 + 3 ,
(4.27)
wobei 1 , 2 und 3 die Schwerpunktsenergien der drei Teilchen sind. Bei der Abstoßung zweier Teilchen ergibt sich aufgrund der Impulserhaltung nur eine Lösung für die
Schwerpunktsenergien 1 und 2 , in Abhängigkeit ihrer Masse, ihrer Ladung und ihres
Abstandes. Bei drei Teilchen gibt es jedoch mehrere Möglichkeiten für die Verteilung
der Energie, bei denen sowohl Energie- als auch Impulserhaltung erfüllt werden. Wie
die Energie verteilt wird, hängt dabei von der räumlichen Startkonfiguration der drei
geladenen Teilchen ab, wobei jedoch keine lineare Transformation von Orts- zu Energie-
72
4.5. AUSWERTUNG DER HELIUMTRIMERE
Abbildung 4.14: (links) Dalitz-Diagramm nach [Dal53]: Die kinematischen Größen werden in einem gleichseitigen Dreieck LMN der Seitenlänge 2W/3 aufgetragen. Innerhalb
des Dreiecks gilt Energie- und innerhalb des eingezeichneten Kreises Impulserhaltung. (rechts) Jeder Punkt F im Diagramm kann einer Teilchenkonfiguration
zugeordnet werden, wobei der Abstand des Punktes F zu einer Seite A, B und C
des Dreiecks einer Teilchenenergie 1,2,3 entspricht. Die x- und y-Achse sind in
kartesischen Koordinaten als reduzierte
Energien der drei Teilchen dargestellt:
√
x = 1 - 1/3 und y = (2 − 3 )/ 3.
konfiguration zu erwarten ist. Die Energien 1 , 2 und 3 werden nun in ein Streudiagramm eingetragen, das im Fall des Dalitz-Diagramms ein gleichseitiges Dreieck LM N
2W
3
ist. Nach dem „Satz von Viviani“ ist für jeden Punkt F die Summe
¯ , BF
¯ und CF
¯ konstant.
seiner Abstände zu den drei Seiten des Dreiecks AF
mit Seitenlänge
¯ + BF
¯ + CF
¯ = const.
AF
(4.28)
Da bei der Impulsspektroskopie die vollständigen Impulse aller ionischen Fragmente
einer Reaktion gemessen werden, kann auch die kinetische Energie jedes Teilchens im
Schwerpunktsystem bestimmt werden. Für jedes gemessene Ereignis können kartesische
Koordinaten des Punktes F bestimmt werden, die von den Einzelenergien abhängen.
2 − 3
xDalitz = √
3W
1
yDalitz = 1 −
3W
(4.29)
(4.30)
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
73
Zur Normierung werden die Koordinaten jeweils durch die Gesamtenergie W geteilt.
Der Abstand des Punktes F zu einer Seite des Dreiecks ist nun jeweils proportional zum
Betrag einer Teilchenenergie.
¯
1 = AF
(4.31)
¯
2 = BF
(4.32)
¯
3 = CF
(4.33)
Durch die Wahl der Koordinaten befindet sich ein Ereignis, bei dem alle Teilchen die
gleiche Energie besitzen im Ursprung des Koordinatensystems, also in der Mitte des
Diagramms. Wird die Gesamtenergie allein zwischen zwei der drei Teilchen aufgeteilt,
so beträgt der Abstand des dritten Teilchens zur entsprechenden Kante des Dreiecks
Null. Auf diese Weise lässt sich eine allgemeine Karte entwickeln, die jedem Punkt im
Dalitz-Diagramm ein zugehöriges Verhältnis der Impulsvektoren und ihre Ausrichtung
zueinander zuordnet. Eine solche Karte ist in Abbildung 4.14 gezeigt, und kann mit
den experimentellen Daten verglichen werden um Aufschluss über die Konfiguration der
Impulse nach der Coulombexplosion des Heliumtrimers zu gewinnen.
Daten im Dalitz-Diagramm
Über die Schwerpunktsenergien der Teilchen werden ihre kartesischen Koordinaten nach
Formel 4.30 bestimmt. Ereignisse, die die Bedingung der Impulserhaltung erfüllen und
nicht als Jetfleck identifiziert werden sowie einen KER zwischen 1 eV und 12 eV aufweisen, werden in das Dalitz-Diagramm eingetragen. Abbildung 4.15 zeigt das entstehende
Diagramm. Im Vergleich mit der in gleicher Abbildung rechts dargestellten Karte können den verschiedenen Bereichen des Diagramms unterschiedliche Impulskonfigurationen zugeordnet werden, in denen die Trimerkerne nach der Coulombexplosion vorlagen.
Der zentrale Bereich des Dalitz-Diagramms (schwarzer Kreis) korrespondiert also zu einer gleichseitigen Dreiecks-Konfiguration. Hier sind die Energien aller drei Ionen gleich
groß. Im Punkt am unteren Rand des kreisförmigen Diagramms, sowie in den beiden
120◦ dazu versetzten Punkten (rot markiert), ist die Energie von genau einem der drei
Ionen nahezu Null. Unter der Annahme, dass beim Aufbruch linear angeordneter Kerne
der mittlere nur einen geringen Impuls erhält, könnten diese Ereignisse einer linearen
Trimerkonfiguration zugeordnet werden.
Der Großteil der Trimerdaten kann dem weiter gefassten Zentrum des Dalitz-Diagramms
zugeschrieben werden. Die einzelnen Schwerpunktsenergien dieser Daten lassen also darauf schließen, dass sich die Kerne des Trimers zum Zeitpunkt der Ionisation in der
74
4.5. AUSWERTUNG DER HELIUMTRIMERE
Abbildung 4.15: (links) Dalitz Diagramm der experimentell erfassten Daten. (rechts) Im zentralen, schwarz markierten Bereich werden Ereignisse dargestellt, bei denen die
Impulse der drei Recoilionen nach dem Aufbruch des Trimers von ähnlicher Größe sind. Bei Ereignissen in den rot markierten Randbereichen besitzt eines der
drei Recoilionen einen sehr geringen Impuls.
Konfiguration eines gleichseitigen oder zumindest gleichschenkligen Dreiecks befanden.
Etwa ein Achtel der 3677 Trimerereignisse wird aber in dem Randbereich des Diagramms
eingeordnet. Die Teilchenenergien dieser Ereignisse zeigen somit auf ihren Ursprung in
einer linearen Konfiguration des Trimers hin.
4.5.3 Newton-Diagramm
Eine weitere Form der Darstellung von Dreiteilchen-Aufbrüchen ist das Newton-Diagramm.
In ihm kann die Dynamik eines beispielsweise sequentiellen Zerfallsprozesses abgelesen
werden, wodurch es sich vom Dalitz-Diagramm unterscheidet. Brechen die Trimerbindungen gleichzeitig auf, so sind die Ergebnisse von Dalitz- und Newton-Diagramm qualitativ
identisch.
Aufgrund der Impulserhaltung brechen drei Fragmente einer Reaktion im Schwerpunktsystem immer in einer Ebene auf. Diese Aufbruchsebene definiert die Darstellungsebene
des zweidimensionalen Newton-Diagramms. In dieser Ebene werden die Impulsvektoren
eingetragen, so dass die relativen Geschwindigkeiten und Richtungen der drei aufbrechenden Teilchen ersichtlich ist. Dazu definiert die Richtung einer der drei Impulsvektoren
eines Ereignisses die x-Achse des Diagramms. Die Impulsvektoren der beiden verbleibenden Fragmente werden relativ zum ersten jeweils in der oberen und unteren Hälfte der
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
75
Darstellungsebene eingetragen.
Abbildung 4.16: (links) Newton-Diagramm der experimentell erfassten Daten. Für |y| > 20 a.u.
ist die dreieckige Impulskonfiguration der Trimerkerne zu erkennen, die zur Verdeutlichung im Teilbild (a) nachgezeichnet ist. Für |y| < 10 a.u. ist die lineare
Konfiguration der Impulse zu sehen, die in Teilbild (b) dargestellt ist.
Daten im Newton-Diagramm
Zur Darstellung der Trimerdaten in einem zweidimensionalen Newton-Diagramm wird
von jedem Ereignis stets der Impulsvektor des Ions mit dem größten Impuls zur Definition der x-Achse verwendet. Die verbleibenden zwei Impulsvektoren werden aufgrund
ihrer physikalischen Ununterscheidbarkeit jeweils sowohl in die obere als auch in die
untere Halbebene des Diagramms eingetragen. Zur Untergrundreduktion werden hier
die gleichen Bedingungen wie bei der Erstellung des Dalitz-Diagramms verwendet. Das
Newton-Diagramm der experimentellen Ergebnisse ist in Abbildung 4.16 (links) dargestellt.
Wird für jedes Ereignis ein dritter Impulsvektor entlang der x-Achse hinzugedacht, so
sind in diesem Diagramm sehr anschaulich die beiden verschiedenen Konfigurationen der
gegenseitigen Impulsvektorlage zu sehen. Zur Verdeutlichung sind diese auf der rechten Seite von Abbildung 4.16 nachgezeichnet. Die Ereignisse mit einer y-Komponente
|y| > 20 a.u. lassen auf die Konfiguration eines gleichseitigen oder zumindest gleich-
76
4.5. AUSWERTUNG DER HELIUMTRIMERE
schenkligen Dreiecks zurückschließen. Entlang der x-Achse mit |y| < 10 a.u. sind Ereignisse zu sehen, deren erster Impulsvektor sehr klein ist, und deren zweiter Impulsvektor
näherungsweise entlang der x-Achse ausgerichtet ist. Zieht man den dritten in x-Richtung
zeigenden Vektor hinzu, ist aus der Konfiguration der Impulsvektoren auf eine lineare
Trimerkonfiguration zu schließen.
Vergleichend ist eine Übereinstimmung der Ergebnisse von Newton- und Dalitz-Diagramm
festzustellen. Die Ereignisse die im Newton-Diagramm der dreieckigen Konfiguration
zugeordnet werden, entsprechen gerade den zentral gelegenen Ereignissen im DalitzDiagramm. Ebenso sind die Ereignisse im Randbereich des Dalitz-Diagramms genau
die Ereignisse, die im Newton-Diagramm die lineare Konfiguration bilden. Im NewtonDiagramm ist keine Dynamik des Aufbruchs zu erkennen, die über den Coulombzerfall
dreier nahezu gleichzeitig ionisierter Teilchen hinausgeht.
4.5.4 Internukleare Abstände und Innenwinkel
Die Verteilung der freiwerdenden kinetischen Energie kann nun durch die Erkenntnisse
aus Dalitz- und Newton-Diagramm für die beiden verschiedenen Aufbruchsgeometrien
separat betrachtet werden. Nachdem im vorangegangenen Abschnitt gezeigt wurde, dass
die Ergebnisse von beiden Diagrammen äquivalent sind, liefern sie beide gleichwertige
Kriterien zur Unterscheidung der Impulskonfigurationen. Aus pragmatischen Gründen
wird für die nachfolgende Auswertung anhand der y-Komponente im Newton-Diagramm
zwischen den Konfigurationen unterschieden. Zur Selektion der linearen Konfiguration
werden Ereignisse mit y-Komponente betragsmäßig kleiner als 10 a.u., und zur Selektion der dreieckigen Konfiguration Ereignisse mit y-Komponente betragsmäßig größer als
20 a.u. gewählt.
Abbildung 4.17 zeigt die KER-Verteilungen beider Konfigurationen, wobei die dreieckige Konfiguration durch die schwarze, und die lineare durch die rote Kurve dargestellt
wird. Die beiden Maxima der KER-Verteilung 4.13 sind demnach eindeutig den beiden
Impulskonfigurationen zuzuordnen. Während das Maximum um 7 eV hauptsächlich aus
Ereignissen der dreieckigen Konfiguration besteht, wird das Maximum bei 2 eV ausschließlich durch Ereignisse der linearen Konfiguration gebildet.
Die beiden Anteile der KER-Verteilung können nun separiert in Abstandsverteilungen
umgerechnet werden. Dies geschieht unter der vereinfachenden Annahme, dass es sich bei
den Ereignissen der dreieckigen Konfiguration um exakt gleichseitige Trimere, und bei
den Ereignissen der linearen Konfiguration um exakt lineare Trimere handelt. Mit diesen
Prämissen gilt für die Länge der Dreiecksseite des dreieckigen Trimers r = 3/KER, und
für die Gesamtlänge des linearen Trimers r13 = 5/KER (siehe Formel 4.25 und 4.26).
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
77
Abbildung 4.17: (links) Darstellung von Dalitz- und Newton-Diagramm, in denen die Auswahl
der dreieckigen Impulskonfiguration in schwarz, und die der linearen in rot hervorgehoben ist. (rechts) KER-Verteilung von dreieckiger (schwarz) und linearer
(rot) Konfiguration.
Beide Längenverteilungen sind in Abbildung 4.18 dargestellt. Für dreieckige Trimere
sind Abstände von 3,5 bis 10,5 Å zu beobachten, wobei der Schwerpunkt der Verteilung
bei 5,8 Å liegt. Die lineare Konfiguration zeigt eine weit gestreckte Abstandsverteilung
bei einem Mittelwert von 20 Å.
Die beschriebene Längenverteilung ist unter der Annahme erzeugt worden, es gäbe nur
Trimere, die eine genau gleichseitige Konfiguration mit drei 60◦ großen Innenwinkeln,
oder eine genau lineare Konfiguration mit einem 180◦ und zwei 0◦ großen Innenwinkeln besitzen. Die tatsächliche Verteilung der Innenwinkel kann im Impulsraum aus den
gemessenen Impulsvektoren der drei Recoilionen bestimmt werden. Die Ausrichtung einer Dreieckskante ist durch die Richtung des Relativimpulses zweier Impulsvektoren
prel
~ 12 = p~2 − p~1 gegeben. Die Innenwinkel der Trimere entsprechen damit den Winkeln
zwischen den Relativimpulsen je zweier Ionen. Für den Winkel zwischen zwei Vektoren
gilt
cos β =
prel
~ 12 · prel
~ 23
.
|prel
~ 12 | · |prel
~ 23 |
(4.34)
78
4.5. AUSWERTUNG DER HELIUMTRIMERE
Abbildung 4.18: Verteilung der internuklearen Abstände von Trimeren mit dreieckiger Konfiguration (schwarz) und linearer Konfiguration (rot).
Der Innenwinkel β wird für alle drei Impulskombinationen prel
~ 12 · prel
~ 23 , prel
~ 23 · prel
~ 13 und
prel
~ 12 · prel
~ 13 , also für alle drei Ecken, berechnet. Die so bestimmte Innenwinkel-Verteilung
der gemessenen Trimere im Impulsraum ist in Abbildung 4.19 (links) dargestellt. Es sind
drei lokale Maxima zu erkennen. Das stärkste befindet sich bei cos β ≈ 0, 5, also einem
Winkel von 60◦ , was der bereits in Dalitz- und Newton-Diagramm identifizierten gleichseitigen Dreiecks-Konfiguration entspricht. Die Maxima bei cos β = 1 beziehungsweise
−1 entsprächen der linearen Konfiguration. Da je zwei 0◦ Winkel und ein 180◦ Winkel
im linearen Trimer vorhanden sind, ist das Maximum bei cos β = 1 stärker ausgeprägt
als bei −1.
Im Vergleich zur Winkelverteilung der gemessenen Heliumtrimere ist in Abbildung 4.19
(rechts) eine analog erstellte Verteilung von Argontrimeren gezeigt, die bei deren Untersuchung durch Multiphoton-Ionisation gemessen wurde [Ulr11]. Die Argontrimere liegen
hier fast ausschließlich in der Konfiguration gleichseitiger Dreiecke vor, die größten Abweichungen zum 60◦ -Winkel überschreiten ±7◦ nicht. In der Verteilung der HeliumtrimerInnenwinkel sind weitaus größere Abweichungen zum Maximum bei gleichseitiger Konfiguration zu sehen. Es besteht also ein Anteil an gleichschenkligen oder unregelmäßigen
Dreiecks-Konfigurationen. Darüber hinaus scheint eine lineare Konfiguration zu existie-
KAPITEL 4. AUSWERTUNG UND INTERPRETATION
79
Abbildung 4.19: (links) Verteilung der Innenwinkel der gemessenen Heliumtrimere im Impulsraum. (rechts) Im Vergleich die Verteilung der Innenwinkel von Argontrimeren
[Ulr11].
ren, die bei Argontrimeren nicht zu beobachten ist.
Lineare Trimere oder Untergrund
Aus den Impulsvektoren der drei Recoilionen eines Ereignisses am Ende der Coulombexplosion kann die Konfiguration des Trimers im Ortsraum zum Zeitpunkt der Ionisation
rekonstruiert werden. Es ist zu erwarten, dass diese Transformation allerdings nur für
die beiden bereits erwähnten Fälle eines exakt gleichseitigen und eines exakt linearen
Trimers die Zwischenwinkel erhält. Für alle Ortskonfigurationen, in denen die Trimerkerne zum Zeitpunkt der Ionisation in gleichschenkligen oder ungleichseitigen Dreiecken
angeordnet sind, ist anzunehmen, dass sich die resultierende Impulskonfiguration von
dieser unterscheidet. So könnten Ortskonfigurationen, die nur leicht von einer exakt linearen Kernanordnung abweichen, zu dreieckigen Impulskonfigurationen führen. Neben
dem möglichen Ursprung des linearen Anteils der Impulskonfiguration in einem linearen
Anteil der Wellenfunktion soll deshalb auch eine alternative Ursache erläutert werden:
Sehr unwahrscheinlich, aber nicht prinzipiell unmöglich ist die koinzidente Ionisation eines Heliumdimers und eines Monomers. Der Aufbruch eines Dimers erfüllt die auch bei
der Identifizierung von Trimeren geforderte Impulserhaltung. Damit der Summenimpuls
aller drei Teilchen das Kriterium der Impulserhaltung erfüllt, muss ein Monomer zu nahezu dem gleichen Zeitpunkt ionisiert werden wie das Dimer. Die Flugzeit des Projektils
80
4.5. AUSWERTUNG DER HELIUMTRIMERE
Abbildung 4.20: Vergleich der Dimer KER-Verteilung mit der des linearen Anteils der Trimere.
durch die Targetzone erzeugt eine Impulsunschärfe pz,Recoil von 4,2 a.u. (vergleiche Abschnitt 3.3.4). Werden also Monomer und Dimer vom selben Projektil ionisiert, so erfüllt
dieses Ereignis alle zur Bestimmung der Trimere aufgestellten Bedingungen.
Von einem Ereignis, dass aus der koinzidenten Messung eines Dimers und eines Monomers besteht, ist zu erwarten, dass sein KER dem eines Dimer-Ereignisses gleicht, da ein
ionisiertes Monomer keinen oder nur einen sehr geringen Startimpuls erhält. Der Vergleich der KER-Verteilungen der Dimere und der linearen Trimere ist Indiz dafür, dass
die koinzidente Ionisation von Dimer und Monomer die Ursache für den Nachweis einer
linearen Konfiguration ist. Form und Lage der KER-Verteilung linearer Trimere stimmt
mit der der Dimere überein, wie in Abbildung 4.20 zu sehen ist. Durch die Anwesenheit
von Monomeren und Dimeren im Gasjet kann aus den vorhandenen Daten an dieser
Stelle kein Nachweis für einen linearen Anteil der Wellenfunktion des Heliumtrimers
erbracht werden.
5 Zusammenfassung und Ausblick
5.1 Zusammenfassung
Die Wechselwirkung von Argonionen mit Heliumdimeren und Heliumtrimeren wurde
mithilfe der Coltrimstechnik untersucht. Dazu wurde ein Ar8+ -Ionenstrahl mit einer
Energie von 3,2 keV/u mit einem 12 K kalten überschallexpandierenden Heliumjet zur
Kreuzung gebracht. Die bei diesen Temperaturen im Heliumjet enthaltenen kleinsten
Heliumcluster werden vom Ionenstrahl ionisiert. Die Ionisation besteht in einem Elektroneneinfang, der innerhalb des Over-Barrier Modells erklärt werden kann. Um den
Zerfall der verbleibenden, fragmentierenden Heliumionen kinematisch vollständig untersuchen zu können, werden alle ionischen Fragmente koinzident mit dem Projektilion
durch Impulsspektroskopie vermessen. Dazu leitet ein homogenes elektrisches Feld die
ionisierten Clusterfragmente auf einen orts- und zeitauflösenden Delayline-Detektor. Die
Projektilionen werden auf einen zweiten, ähnlichen Detektor gelenkt, vorher jedoch durch
elektrische Ablenkeinheiten anhand ihres Ladungszustandes separiert.
Die Untersuchung der Ereignisse mit zwei Rückstoßionen bestätigt die Existenz zweier Ionisationsprozesse, dem Ein- und Zweistufenprozess, nach denen das Heliumdimer
ionisiert werden kann. Aus den Auftrefforten und Flugzeiten der Teilchen konnte deren Impuls und damit ihre kinetische Energie (KER) bestimmt werden. Die gewonnene
KER-Verteilung wurde durch Anwendung der Reflection Approximation in eine ein- beziehungsweise dreidimensionale Abstandsverteilung überführt. Qualitativ ist das Ergebnis im Rahmen des Over-Barrier Modells und unter Berücksichtigung der Reaktionsgeometrie zu erklären. Die Grundzustandswellenfunktion gibt eine Abstandsverteilung vor,
deren Nachweis hin zu großen Abständen durch die Geometrie unterdrückt ist. Quantitativ ist die Verteilung der Dimere jedoch nicht auszuwerten, da sie durch ionisierte
Trimere ununterscheidbar überlagert wird.
Auch für die durch einen Dreistufenprozess ionisierten Trimere konnte der Impuls und
damit die Energie der drei jeweils koinzident gemessenen Rückstoßionen bestimmt wer-
81
82
5.2. AUSBLICK
den. Das ermöglicht die Bestimmung der Konfiguration der Trimerkerne im Impulsraum
nachdem sie durch die abstoßenden Coulombkräfte fragmentiert sind. Die Erstellung eines Dalitz- und Newton-Diagramms, sowie die Berechnung der Innenwinkel zeigt, dass
die Impulse sowohl in einer dreieckigen als auch in einer linearen Konfiguration vorliegen.
Der Ursprung einer linearen Konfiguration kann jedoch nicht nur durch die Ionisation
eines Trimers, sondern auch durch die koinzidente Ionisation eines Dimers und eines
Monomers beschrieben werden. Eine detaillierte Untersuchung war mit den vorhandenen Daten nicht möglich.
5.2 Ausblick
Da nur ein einziger gebundener Zustand im Heliumdimer existiert, und keine gebundenen
Zustände in Dimer-Isotopen vorkommen, bildet es ein hervorragendes Untersuchungsobjekt, welches eine eindeutige Zuordnung der Ergebnisse zu einem Zustand ermöglicht.
Dies gilt jedoch nur, solange es keine weiteren Targetkomponenten gibt, die bei der verwendeten Ionisationsmethode eine identische Signatur hervorrufen. Da im Experiment
aber keine neutralen Teilchen gemessen werden, sind die beiden Endkanäle
Ar8+ + He2 −→ He1+ + He1+ + Ar6+
(5.1)
Ar8+ + He3 −→ He1+ + He1+ + He + Ar6+
(5.2)
in der Auswertung der Detektorsignale identisch. So liegt das Ziel zukünftiger Messungen
auf der Hand. Um eindeutige Messergebnisse von Dimeren oder Trimeren zu erlangen,
muss ermöglicht werden, jeweils genau eine Clustergröße zu untersuchen. Dieses Ziel
kann durch zwei Herangehensweisen verfolgt werden.
Zum einen können die Jeteigenschaften derart modifiziert werden, dass die Erzeugung
von Trimeren unterdrückt wird, während Dimere weiterhin entstehen. Durch eine Erhöhung der Temperatur oder Verringerung des Vordrucks an der Düse, durch die das
Targetgas strömt, kann dies erreicht werden [BST02]. Der gesamte experimentelle Aufbau sowie die Offline-Analyse können dafür größtenteils unverändert verwendet werden.
Der andere Weg zur Separation der Clustergrößen besteht in der Interferometrie. Die
unterschiedlichen Komponenten eines Gasjets werden beim Passieren eines Beugungsgitters entsprechend ihrer De-Broglie-Wellenlänge gebeugt. Unter Voraussetzung einer
homogenen Geschwindigkeit im Jet ist die Materiewellenlänge eines Teilchen proportional zu dessen Masse, und so können Monomere, Dimere, Trimere und größere Cluster
voneinander getrennt werden. Ein gebeugter Strahl aus Heliumdimeren weist eine sehr
KAPITEL 5. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
83
geringe Teilchendichte auf, wodurch erforderlich wird durch den Projektilstrahl eine sehr
hohe Ionisationswahrscheinlichkeit zu erzielen. Dies kann durch den Einsatz hochenergetischer Laserpulse erreicht werden. Erwartete Vorteile einer derartigen Messung sind
eine vom internuklearen Abstand unabhängige Ionisationswahrscheinlichkeit sowie das
Fehlen eines Untergrundes aus zufälligen Koinzidenzen von Monomeren, der bei bisherigen Messungen vor allem im Bereich niedriger Energien die Messdaten überlagerte.
Darüber hinaus ist hier auch eine Messung an einem reinen Trimerstrahl möglich, bei
der eine ebenso untergrundsfreie Auswertung der Konfigurationsverteilung zu erzielen
wäre.
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Abbildungsverzeichnis
1.1
Interferenzbild eines Heliumstrahls, welcher bei verschiedenen Temperaturen und Drücken an einem 100 nm Gitter gebeugt wurde [BST02]. Zwischen dem Monomerpeak 0. und 1. Ordnung werden weitere Peaks gemessen, die anhand ihrer Position den Massen von Dimeren, Trimeren und
Tetrameren zugeordnet werden können. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1
9
(oben) Additive Überlagerung der Wellenfunktion und zugehörige schematische Darstellung eines bindenden Orbitals. (unten) Subtraktive Überlagerung der Wellenfunktion und Darstellung eines antibindenden Orbitals
[Wik11]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.2
Besetzung der Molekülorbitale von Wasserstoff (links) und Helium (rechts).
Nach dem Pauli-Prinzip können maximal zwei Elektronen (mit unterschiedlichem Spin) den gleichen Zustand besetzen. Daher müssten im He2
Molekül zwei der vier Elektronen in den antibindenden Zustand übergehen. Dieses System ist jedoch instabil. [Wik11]. . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.3
Berechnete Potentialkurve des Heliumdimers (schwarz) nach [TTY95] (aus
[Hav10]). Von der Wellenfunktion R2 Ψ2 des Grundzustandes (blau) ist
nur ein Teilausschnitt dargestellt. Sie erstreckt sich über einen weiten
Bereich mit einem Mittelwert von 52 Å, wobei selbst für Abstände von
r > 200 Å noch signifikante Beiträge existieren. . . . . . . . . . . . . . . . 15
2.4
Schematischer Verlauf des Elektroneneinfangs im klassischen Over-BarrierModell. Von oben nach unten ist der zeitliche Verlauf der Annäherung der
Potentiale, deren Überlapp und das Verbleiben des Elektrons im tieferen
Potential skizziert. Modifizierte Darstellung nach [Neu10]. . . . . . . . . . 18
91
92
Abbildungsverzeichnis
2.5
Schematische Darstellung des Einstufenprozesses. Eines der Dimerzentren
liegt innerhalb des Einfangradius Rc1 für zweifachen Elektroneneinfang
und wird entsprechend durch das Ar8+ Projektil ionisiert. Das zweite
Zentrum ist außerhalb des Einfangradius Rc2 (links). Aufgrund des nun
bestehenden Dipolmomentes zwischen dem zweifach geladenen Heliumion und dem neutralen Heliumatom nähern sie sich einander an (mitte).
Unterschreiten sie einen kritischen Abstand erfolgt ein Ladungstransfer.
Dadurch entstehen zwei einfach geladene Heliumionen, die sich aufgrund
der Coulombkraft voneinander abstoßen (rechts). . . . . . . . . . . . . . . 20
2.6
Schematische Darstellung des Zweistufenprozesses. Das Ar8+ Projektil ionisiert das Dimer an beiden Zentren, wobei sich jeweils der Einfangradius
Rc leicht verringert (links). Die zwei verbleibenden Heliumionen stoßen
sich gemäß der Coulombkraft voneinander ab (rechts). . . . . . . . . . . . 22
2.7
Schematische Darstellung des Dreistufenprozesses. Das Ar8+ Projektil ionisiert das Trimer an jedem Zentrum. Bei jeder Ionisation verringert sich
der Einfangradius Rc leicht (links). Die drei verbleibenden Heliumionen
stoßen sich gemäß der Coulombkraft voneinander ab (rechts). . . . . . . . 23
3.1
(links) Schematische Darstellung eines Gasjets, der sich bei der ÜberschallExpansion eines Gases bildet. In der Zone of Silence ist die interne Temperatur des Jets minimal, diese Eigenschaft soll für das Experiment genutzt
werden. Das Bild (rechts) zeigt die Aufnahme eines N2 /N0 Jets, der durch
einen ArF-Eximer Laser zum Leuchten angeregt wurde [Sch02]. . . . . . . 28
3.2
Schematische Darstellung des verwendeten Jetsystems. Gas expandiert
unter hohem Druck aus der Düse in ein Vakuum. Der Skimmer schneidet aus der Zone of Silence den im Experiment benutzten Strahl heraus.
Der Ar8+ -Ionenstrahl kreuzt den nach dem Skimmer scharf lokalisierten
Gasstrahl. Der Anteil des Gasstrahls, der nicht reagiert, gelangt in den
zweistufigen Jetdump und wird dort abgepumpt. Modifizierte Darstellung
nach [Jah05]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Abbildungsverzeichnis
3.3
93
(links) Anteile verschiedener Clustergrößen im Gasjet einer 5 µm Düse bei
6 K, 12 K und 30 K als Funktion des Vordrucks p0 aus einer Messung von
Bruch et al. [BST02]. Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass die Messdaten der verschiedenen Temperaturen zusammengefasst werden können,
5/2
indem der Dimer- bzw. Trimeranteil gegen die Größe p0 /T0
aufgetragen
wird (rechts). Vergleichend mit diesen Daten sind für die Parametern der
5/2
Messung (T0 = 12 K, p0 = 3, 8 bar, p0 /T0
= 7, 6 mbar/K5/2 ) ein Di-
meranteil von etwa 1,5% und ein Trimeranteil von etwa 6% zu erwarten
(grüne Linie). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3.4
Schematischer Aufbau der EZR-Ionenquelle: Das Plasma wird durch das
Magnetfeld der Helmholtzspulen und des Hexapolmagneten in der Quellkammer eingeschlossen. Die eingestrahlte Mikrowelle der Frequenz νHF =
14, 5 GHz heizt das Plasma. Die entstehenden hochgeladenen Ionen werden mit der Ziehelektrode aus dem nach außen neutralen Plasma extrahiert [Neu10]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3.5
Schematische Darstellung der Strahlführung, modifiziert nach [Neu10].
Der Strahl wird durch mehrere Kollimatoren beschnitten. Vor der Reaktionszone wird der Projektilstrahl gereinigt, hinter der Reaktionszone
werden Projektile mit unterschiedlichen Ladungszuständen separiert und
gelangen auf den Projektildetektor. Der Ar8+ -Primärstrahl wird in einen
Faradaycup unterhalb des Detektors gelenkt. . . . . . . . . . . . . . . . . 34
3.6
Abbildung des verwendeten Molekülspektrometers, modifizierte Version
aus [Cza04]. Im Spektrometer kreuzt der Ionenstrahl (a) den He-Jet (c)
in der Reaktionszone. Im ersten Abschnitt sa = 27,3 mm werden die ionischen Fragmente mit einem homogenen elektrischen Feld von 16,3 V/cm
im Spektrometer (e) beschleunigt, driften anschließend durch eine feldfreie Strecke sd = 55,2 mm und werden dann von einem elektrischen Feld
zwischen Spektrometer und Detektor von 3950 V/cm zum Detektor (d)
beschleunigt. Das Spektrometer ist auf einer Bodenplatte (b) in der Experimentierkammer montiert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
3.7
Schematische Darstellung eines MCP [Ach99]. In den Kanälen (Channels)
wird durch Anlegen einer Spannung zwischen Vorder- und Rückseite der
Platte ein elektrisches Feld aufgebaut. Trifft ein Teilchen auf die Oberfläche eines Kanals, kann es dort Sekundärelektronen auslösen. Durch weitere Stöße mit der Innenwand des Kanals entsteht so eine Elektronenlawine
auf der Rückseite des MCP. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
94
Abbildungsverzeichnis
3.8
(links) Darstellung des MCP, montiert auf die Delayline-Anode. (rechts)
Schematische Darstellung einer Elektronenwolke, die vom MCP ausgehend auf die Drähte der Anode auftrifft [Cza04]. Aus der Laufzeit der
dadurch ausgelösten Pulse kann der Auftreffort rekonstruiert werden. . . . 42
3.9
Nachweisfähigkeit eines hexagonalen (oben) und eines quadratischen (oben)
Delaylinedetektors für zwei kurz nacheinander auftreffende Teilchen. Das
erste Teilchen trifft in der Mitte des Bildes auf. Die Farbkodierung zeigt
die Nachweiseffizienz für ein zweites Teilchen, das nach einer Zeit von
∆t = 0 ns (links) und ∆t = 8 ns (rechts) auftrifft [Jah05]. . . . . . . . . . 43
3.10 Schematische Darstellung des Constant Fraction Prinzips aus [Wik11].
Vergleich von Schwellwertauslösung (links) und Constant-Fraction-Auslösung
(rechts). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
4.1
Die x’- und die z’-Achse kennzeichnen das Messsystem. Zur Auswertung
der Impulse wird ein um 7◦ gedrehtes System genutzt, dessen z-Achse
durch die Projektilachse bestimmt ist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
4.2
Flugzeitspektrum von erstem (schwarz) und zweitem (grau) Recoilhit. Der
Photonenpeak definiert den Flugzeitnullpunkt. Deutlich sind die Peaks
von He2+ - und He+ -Ionen zu sehen. Darüber hinaus ist ein He+
2 -Peak zu
erkennen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.3
(links) Im PIPICO-Spektrum ist die Flugzeit des ersten Recoils gegen die
des zweiten aufgetragen. (rechts) Die Detailansicht zeigt eine diagonale
Linie, die dem Aufbruch in zwei einfach geladene Heliumionen entspricht.
Der Funktionsgraph der Flugzeitkorrelation 4.8 (schwarze Linie) stimmt
für E = 16.3 V/cm und sd = 55.203 mm mit den Messdaten überein. . . . 54
4.4
Vergleich der KER-Verteilung von N22+ aus [WJH+ 01] (blau) mit der
gemessenen KER-Verteilung von N22+ (schwarz) nach Anwendung eines
Streckungsfaktors pstretch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
4.5
(links) PIPICO-Spektrum mit der Bedingung eines niedrigen Summenimpulses psum < 20 a.u. zweier Teilchen mit Masse m = 4 amu und Ladung
q = 1 a.u.. (rechts) Drei-Teilchen-PIPICO-Spektrum für drei Teilchen
deren Summenimpuls psum kleiner als 25 a.u. ist. In der linken unteren
Ecke ist jeweils das bedingungsfreie Zwei- beziehungsweise Drei-TeilchenPIPICO-Spektrum dargestellt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Abbildungsverzeichnis
4.6
95
Im PIPICO-Spektrum sind zwei Reaktionskanäle zu erkennen. Es handelt
sich um den Aufbruch in zwei einfach geladene Heliumionen, sowie in
ein zweifach und ein einfach geladenes Heliumion. Die schwarzen Kurven
ergeben sich aus der theoretisch bestimmten Flugzeitkorrelation 4.8 zweier
Teilchen einer Reaktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
4.7
(links) Ortsbild des Recoildetektors für den ersten Hit, mit Bedingung
der Impulserhaltung wie sie in Abschnitt 4.4.1 beschrieben ist. Der in
der Mitte befindliche Jetfleck dominiert das Spektrum. (rechts) Durch
Aussortieren von Ereignissen die im Jetfleck liegen kann ein Großteil des
Untergrundes entfernt werden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
4.8
Berechneter Summenimpuls der Recoilionen aufgetragen gegen deren KER.
Die linke Abbildung zeigt sämtliche detektierten Ereignisse, während rechts
nur solche eingetragen sind, deren Summenimpuls weniger als 14 a.u. beträgt und deren Recoilionen außerhalb des Jetflecks nachgewiesen wurden. 60
4.9
(links) KER-Verteilung des Reaktionskanals zweier einfach geladener Heliumionen. (rechts) Ohne die Bedingung den Jetfleck als Untergrund zu behandeln, bleiben Ereignisse zweier nahezu gleichzeitig ionisierter Heliumatome aus dem Jet mit entsprechend niedrigem KER bestehen (schwarz).
Die blaue Kurve zeigt die KER-Verteilung des Zweifach-Elektroneneinfangs
bei der Interaktion von Alphateilchen mit Heliumdimeren [TSK+ 11]. . . . 61
4.10 (links) Abstandsverteilung des Reaktionskanals zweier einfach geladener
Heliumionen. Zum Vergleich ist in blau das Produkt aus radialer Wahrscheinlichkeitsdichte r2 Ψ2 und dem Anteil X(r) (siehe Abbildung 4.11)
eingezeichnet. (rechts) Werden Ereignisse aus dem Jetfleck nicht aussortiert erhöht sich der Untergrund, qualitativ verändert sich die Verteilung
nicht.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
4.11 Anteil X(r) einer Kugelkappe mit Radius Rc aus einer Kugel mit Radius rK an der halben Gesamtoberfläche dieser Kugel. Für die Darstellung
wurde ein Einfangradius von Rc2,7+ = 5, 23 Å gewählt. Zusätzlich ist die
radiale Wahrscheinlichkeitsdichte r2 Ψ2 des Heliumdimergrundzustandes
(gefittet nach [LKM+ 93]) und deren Produkt mit dem Anteil X(r) eingezeichnet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
4.12 Projektion der räumlichen Abstands-Verteilung in die xy-Ebene (links
oben), yz-Ebene (rechts oben) und in die xz-Ebene (rechts unten). Die
Abbildung links unten zeigt vergleichend die xz-Projektion ohne Bedingung auf den Jetfleck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
96
Abbildungsverzeichnis
4.13 KER-Verteilung der Trimer-Ereignisse. Ereignisse außerhalb der blauen
Linien werden als Untergrund betrachtet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
4.14 (links) Dalitz-Diagramm nach [Dal53]: Die kinematischen Größen werden
in einem gleichseitigen Dreieck LMN der Seitenlänge 2W/3 aufgetragen.
Innerhalb des Dreiecks gilt Energie- und innerhalb des eingezeichneten
Kreises Impulserhaltung. (rechts) Jeder Punkt F im Diagramm kann einer
Teilchenkonfiguration zugeordnet werden, wobei der Abstand des Punktes F zu einer Seite A, B und C des Dreiecks einer Teilchenenergie 1,2,3
entspricht. Die x- und y-Achse sind in kartesischen Koordinaten als reduzierte Energien der drei Teilchen dargestellt: x = 1 - 1/3 und y =
√
(2 − 3 )/ 3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
4.15 (links) Dalitz Diagramm der experimentell erfassten Daten. (rechts) Im
zentralen, schwarz markierten Bereich werden Ereignisse dargestellt, bei
denen die Impulse der drei Recoilionen nach dem Aufbruch des Trimers
von ähnlicher Größe sind. Bei Ereignissen in den rot markierten Randbereichen besitzt eines der drei Recoilionen einen sehr geringen Impuls. . . . 74
4.16 (links) Newton-Diagramm der experimentell erfassten Daten. Für |y| >
20 a.u. ist die dreieckige Impulskonfiguration der Trimerkerne zu erkennen, die zur Verdeutlichung im Teilbild (a) nachgezeichnet ist. Für |y| <
10 a.u. ist die lineare Konfiguration der Impulse zu sehen, die in Teilbild
(b) dargestellt ist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
4.17 (links) Darstellung von Dalitz- und Newton-Diagramm, in denen die Auswahl der dreieckigen Impulskonfiguration in schwarz, und die der linearen in rot hervorgehoben ist. (rechts) KER-Verteilung von dreieckiger
(schwarz) und linearer (rot) Konfiguration. . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
4.18 Verteilung der internuklearen Abstände von Trimeren mit dreieckiger Konfiguration (schwarz) und linearer Konfiguration (rot). . . . . . . . . . . . . 78
4.19 (links) Verteilung der Innenwinkel der gemessenen Heliumtrimere im Impulsraum. (rechts) Im Vergleich die Verteilung der Innenwinkel von Argontrimeren [Ulr11]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
4.20 Vergleich der Dimer KER-Verteilung mit der des linearen Anteils der Trimere. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
Abbildungsverzeichnis
97
Danksagung
Ohne die Unterstützung und das riesige Know-How vieler Menschen wäre die Realisierung dieser Arbeit nicht möglich gewesen. Deshalb möchte ich mich bei allen bedanken,
die mir durch fachlichen Rat und tatkräftigen oder motivierenden Beistand beim Gelingen dieser Arbeit geholfen haben.
Dazu sei zuerst Reinhard Dörner genannt, der sich mit einer großen Selbstverständlichkeit stets Zeit für meine physikalischen und nichtphysikalischen Fragen genommen
hat, und in dessen Arbeitsgruppe ein Klima herrscht, in dem es Spaß macht zu forschen.
Großer Dank gilt auch Nadine Neumann, auf deren Unterstützung ich in sämtlichen
Phasen meiner Arbeit, vom Spannen der Spektrometergitter bis hin zu Fragen zur Datenauswertung, zählen durfte.
Der 24-Stunden-Betrieb während der Strahlzeit konnte nur durch ein Team an Helfern aufrecht erhalten werden. Danke an Arno Vredenborg, Hendrik Sann, Christoph
Goihl, Christian Stuck, Markus Waitz, Jörg Voigtsberger, Florian Trinter, Tilo Havermeier, Matthias Kühnel, Kevin Pahl, Birte Ulrich, Jasmin Titze und besonders Mayk
Hegewald, der mir außer während der Strahlzeit auch bei der Vorbereitung des Experimentes viel half. Für Hilfe bei Aufbau und der Inbetriebnahme des Experimentes möchte
ich zusätzlich Anton Kalinin für das Gewährleisten eines funktionierenden Jetsystems
und Lothar Schmidt für die Anleitung beim Strahlfädeln und Einstellen der Elektronik
danken. Bei der Durchführung des Experimentes darf natürlich auch die Beschleunigermannschaft nicht fehlen, für deren Einsatz ich mich bedanken möchte.
Bei Fragen zur experimentspezifischen Programmierung der Datenauswertung konnte
ich mich stets auf den Support von Achim Czasch, und zuweilen auch von Till Jahnke,
verlassen. Bedanken möchte ich mich auch bei allen, mit denen ich über die während
der Auswertung auftauchenden physikalischen Fragen diskutieren konnte. Sie wurden
größtenteils bereits genannt, zusätzlich möchte ich aber noch Robert Grisenti erwähnen,
der nach meinem Seminarvortrag die richtige Intuition zur Klärung suspekter Spektren
hatte, und Horst Schmidt-Böcking, der es versteht motivierende Denkanstöße zu geben.
Neben all den direkten Hilfestellungen hat auch die motivierende Atmosphäre meines
Arbeitsumfeldes einen nicht zu unterschätzenden Anteil zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Zusätzlich zu den vielen schon Erwähnten möchte ich an diesem Punkt Sven
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Abbildungsverzeichnis
Schössler, sowie dem „Grisenti-Büro“ mit Nikos Petridis und Rui Costa-Fraga danken.
Schließlich möchte ich meinen Eltern, meinem Bruder und natürlich Mara danken. Ihr
habt mich jederzeit uneingeschränkt unterstützt. Danke!
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