die gazette Das politische KulturmagaziN Nummer 29 / Frühjahr 2011 Der Niedergang des Amerikanischen Imperiums D, AU: 9 Euro, CH: 14 Fr AbbAu eINer MIlItärMAschINe Chalmers Johnson Die christliche rechte IN GoD we trust Manfred Brocker Monsantos samen-Monopol DIe welt Ist NIcht GeNuG Ananth Sayanan unsichtbares Komitee Der KoMMeNDe AufstAND dazu ein Interview mit Stéphane Hessel und Jean Lacouture Die usA am scheideweg Abbau einer Militärmaschine Die Militärmacht der usA ist in jedem wortsinn unvergleichlich. Allein die us-Marine ist größer als die Kombination der 17 nächstgrößeren flotten weltweit. für dieses Jahr verlangt Präsident obama ein Verteidigungsbudget, das größer ist als der deutsche bundeshaushalt. Andererseits will die regierung bis 2015 fast 80 Milliarden Dollar einsparen. Aber müsste der rückbau nicht sehr viel weitergehen, um die krisenanfällige Nation lebensfähig zu halten? Von Chalmers Johnson P räsident obamas Pläne sind ehrgeizig. Aber sie haben ein bisher unausgesprochenes Problem, das alle Planungen über den haufen werfen kann. Man muss sich das wie einen riesigen Gorilla vorstellen, der mit uns am tisch sitzt, von dem aber alle so tun, als wäre er gar nicht da. Ich spreche von unserem jahrzehntelangen, blinden Vertrauen in einen militärischen Imperialismus, wenn es um die beziehungen zu anderen ländern geht, und das weltumspannende, potenziell ruinöse weltreich aus stützpunkten. wir sind unfähig zu einem kritischen umgang mit diesem aufgeblähten Militär-establishment und seinen bedenkenlosen „Missionen” und einsätzen, für die es hoffnungslos ungeeignet ist. Diese blindheit wird die usA eher früher als später vor drei vernichtende Konsequenzen stellen: die imperiale Überdehnung, einen ewigen Krieg und schließlich den Konkurs. es wird ein Zusammenbruch sein, wie ihn die frühere sowjetunion erlebt hat. l aut der offiziellen Pentagon-liste unserer Militärbasen (2008) besteht unser Imperium aus 855 einrichtungen in 46 ländern und usÜberseegebieten. wir halten dort mehr als 190 000 soldaten unter waffen. In einem einzigen land, in Japan, hatten wir im März 2008 eine fast 100 000 Personen starke Militärpräsenz: 49364 soldaten und soldatinnen, 45753 familienangehörige und 4178 Zivil-Angestellte. 13975 Personen befinden sich allein auf der Insel okinawa, die höchste Dichte an Militärpersonal auf japanischem Gebiet. eine so massierte Präsenz amerikanischer Militärmacht außerhalb des us-staatsgebiets brauchen wir gar nicht zu unserer Verteidigung. Die dort stationierten truppen sind die hauptursache für unsere Konflikte chalmers Johnson ist der Autor u.a. von Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie (2004) und Dismantling the Empire (Macmillan, 2010). Übersetzung dieses GAZette-essays aus dem englischen: Philipp reuter. Die englische originalversion erschien zuerst bei tomDispatch (http://www.tomdispatch.com). DIe GAZette 29, frühjahr 2011 12 emen mit anderen ländern. Außerdem kosten sie unvorstellbar viel Geld. Anita Dancis, eine Analystin für die website „foreign Policy in focus”, hat ausgerechnet, das die Vereinigten staaten jedes Jahr annähernd 250 Milliarden Dollar für ihre globale Militärpräsenz ausgeben. Der einzige Zweck ist die erhaltung einer hegemonie über möglichst viele Nationen auf diesem Planeten. wir Amerikaner befinden uns in derselben lage wie die briten am ende des Zweiten weltkriegs: wir bemühen uns, ein weltreich abzustützen, das wir nicht brauchen (nie gebraucht haben) und nicht mehr bezahlen können. wir tun das mit Methoden, die oft an untergegangene reiche erinnern, nicht zuletzt an die Achsenmächte im Zweiten weltkrieg oder die frühere sowjetunion. Dabei könnten wir einiges lernen aus der entscheidung der briten 1945, ihr weltreich relativ freiwillig aufzugeben, statt entweder – wie Deutschland und Japan – durch einen verlorenen Krieg dazu gezwungen zu sein oder – wie holland oder frankreich – durch zermürbende Kolonialkonflikte. wir sollten dem britischen beispiel folgen. (Aber leider machen die briten es derzeit uns nach und ziehen mit uns in den Afghanistan-Krieg.) eINe so MAssIVe MIlItärPräseNZ brAucheN wIr NIcht Zu uNserer VerteIDuNG. es gibt drei gute Gründe, warum wir unser weltreich abschreiben sollten, bevor es uns abschreibt. e rstens: wir können uns diese expansionistische Politik nicht mehr leisten. Kurz nach seiner wahl zum Präsidenten bezeichnete es barack obama bei der Vorstellung seines neuen Kabinetts als tatsache, das „wir die stärkste Militärmacht auf dem Planeten aufrechterhalten müssen”. einige wochen später, am 12. März 2009, bestand er in einer rede vor der National Defense university in washington darauf: „Damit hier kein Missverständnis aufkommt: unsere Nation wird ihre militärische Vorherrschaft aufrechterhalten. wir werden über die stärkste streitmacht der weltgeschichte verfügen.” und in einer Ansprache zur Abschlussfeier der http://op-for.com, richard s. lowry 23. März 2003: US-Truppen vor Nasiriya, Süd-Irak DIe GAZette 29, frühjahr 2011 13 us Marine, sgt. brian Kestner emen Auf unsicherem Boden Marine-Akademie betonte er (am 22. Mai 2009), dass „wir Amerikas militärisches Übergewicht und sie als die beste kämpfende truppe erhalten, die die welt je gesehen hat”. Dabei vergaß er hinzuzufügen, dass die Vereinigten staaten längst nicht mehr das Potenzial zur globalen Vormacht haben und dass etwas anderes zu behaupten sehenden Auges in die Katastrophe führt. unter Ökonomen und Politikwissenschaftlern entwickelt sich die übereinstimmende Meinung, dass die usA – wie immer klarer erkennbar wird – als wirtschaftlich angeschlagene Nation diese Vormachtstellung nicht mehr behaupten kann. robert Pape, universität von chicago, schreibt dazu: „Amerika ist in einem noch nie dagewesenen Niedergang. Mit den selbstverstümmelungen durch den Irak-Krieg, durch wachsende staatsschulden, steigende Außenhandelsdefizite und andere ökonomische schwächen haben die Vereinigten staaten tatsächliche Macht verloren in einer welt, in der sich wissen und technologie immer schneller verbreiten. wenn sich die derzeitigen trends fortsetzen, dann werden wir auf George w. bush zurückschauen als den totengräber der hegemonie Amerikas.” u nser militärisches empire ist absurd, kafkaesk. Jay barr, ein schuldenberater, hat dazu eine erhellende Analogie: „ein schuldner, der Insolvenz beantragt, muss – egal, ob er seine Aktiva liquidiert oder reorganisiert – in jedem fall eine liste seiner Ausgaben im Vergleich zu seinen einnahmen aufstellen, um damit nachzuweisen, dass zur bezahlung der Gläubiger nur noch begrenzte Mittel verfügbar sind. Jetzt stelle man sich einen Menschen vor, der Insolvenz beantragt mit dem Argument, er könne seine schulden nicht mehr bezahlen, weil er astronomische Ausgaben für mindestens 737 ausländische Militärbasen aufbringen müsse, die ihm auf das für deren unterhalt eingesetzte Kapital einen ertrag von genau null Prozent einbringen. ein solches Argument wäre völlig untauglich in einem Insolvenzverfahren: Der schuldner müsste unbedingt mehrere seiner Vermögensbestandteile zugunsten der Gläubiger übergeben, darunter vor allem den wertvollen Grund und boden im Ausland, auf dem die Militärbasen stehen.” Mit anderen worten: Die Vereinigten staaten verschließen die Augen vor ihrem wirtschaftlichen Niedergang und dem eigenen Konkurs. stattdessen beruhigen sie sich mit der Idee einer geordneten Insolvenz. Nick turse (der Autor eines buches über unsere Militärökonomie) hat berechnet, dass wir sofort 2,6 Milliarden Dollar einnehmen könnten, wenn wir unsere basis auf Diego Garcia im Indischen ozean verkaufen würden, und weitere 2,2 Milliarden Dollar mit dem Verkauf von Guantánamo auf Kuba. und das sind nur zwei der beinahe tausend überständigen Militär-enklaven im Ausland. Nicht einmal daran zu denken, sie abzubauen oder uns aus ihnen zurückzuziehen, ist ein historischer Mangel an Phantasie. bei seinem ersten china-besuch als finanzminister versicherte timothy Geithner den studenten der universität Peking: „Die chinesischen Investitionen (in den usA) sind sicher.” Die Presse berichtete, die studenten seien in Gelächter ausgebrochen. und zum lachen war das ja auch. 14 DIe GAZette 29, frühjahr 2011 emen Im Mai 2009 gab das budget-büro des weißen hauses seine Vorhersage ab: Die usA würden im Jahr 2010 ein haushaltsdefizit von mindestens 1,75 billionen Dollar zu schultern haben. Darin waren die für das Pentagon veranschlagten 640 Milliarden Dollar sowie die Kosten zweier bemerkenswert teurer Kriege noch nicht einmal enthalten. Diese summe ist so groß, dass später Generationen amerikanischer bürger dafür arbeiten müssen, die Ausgaben für George w. bushs imperiale Abenteuer zurückzuzahlen – sofern sie überhaupt Arbeit haben. Die summe entspricht etwa 13 Prozent unseres derzeitigen bruttoinlandsprodukts. Muss man daran erinnern, dass die entsprechende Zielgröße in der eurozone der europäischen union 3 Prozent ist? bis jetzt hat Präsident obama im Militärhaushalt Kürzungen von gerade einmal 8,8 Milliarden angekündigt (insbesondere bei unsinnigen beschaffungen, etwa beim Kampfflugzeug f-22, das nun nicht gebaut wird). Gleichwohl war das Militär-budget für 2010 nicht kleiner, sondern größer als im Vorjahr. In der nahen Zukunft werden erheblich höhere Kürzungen unserer Militärausgaben nötig sein, sofern wir wenigstens den Anschein eines soliden staatshaushalts bewahren möchten. fÜr DIe AbeNteuer Des IMPerIuMs ZAhleN sPätere GeNerAtIoNeN. Z weitens: wir werden den Krieg in Afghanistan verlieren, und er führt uns in den Konkurs. In Afghanistan haben wir einen groben fehler begangen: wir haben vergessen, dass sowohl Großbritannien als auch die sowjetunion das land James rattray, Afghanistan Erster Britisch-Afghanischer Krieg 1839 bis 1842: Lager der britischen Armee vor Kabul (im Hintergrund). DIe GAZette 29, frühjahr 2011 15 emen 1932 setZteN Auch DIe brIteN IN AfGhANIstAN GIftGAs eIN. mit demselben (militärischen) Vorgehen wie wir befrieden wollten und schmählich gescheitert sind. Aus der jüngeren Geschichte Afghanistans scheinen wir überhaupt nichts gelernt zu haben, ja wir kennen sie nicht einmal. Zwischen 1849 und 1947 schickte england ein expeditionskorps nach dem andern gegen die stämme der Paschtunen in die sogenannten „Nordwestlichen Grenzgebiete” (die Gebiete beiderseits der afghanischpakistanischen Demarkationslinie namens „Durand-linie”). weder Großbritannien noch Pakistan konnten jemals dieses Gebiet unter ihre herrschaft bringen. Der historiker louis Dupree schrieb in seiner Geschichte Afghanistans (2002): „Die stämme der Paschtunen, offenbar genetisch für den Guerilla-Krieg ausgestattet, nachdem sie jahrhundertelang allen eroberern widerstanden, die aber auch – wenn gerade keine eroberer kamen – untereinander Krieg führten, machten alle Versuche zunichte, in ihrer gebirgigen heimat die Pax britannica zu errichten.” beiderseits der Durand-linie leben in einem Gebiet ohne klare Grenzen ungefähr 41 Millionen Paschtunen, weder der afghanischen noch der pakistanischen Zentralregierung untertan. Die stammesgebiete unter pakistanischer Verwaltung (die sogenannten federally Administered tribal Areas, fAtA) sind – genau wie in der britischen Kolonialzeit – in sieben Provinzen unterteilt mit je einem „leiter” an der spitze, der ebenso mächtig ist wie seine Vorgänger zu Zeiten der engländer. Damals wie heute ist ein teil dieser fAtA, nämlich wasiristan, der schauplatz des erbittertsten widerstands. „Auch wenn die bürokraten in washington” (schreiben Paul fitzgerald und elizabeth Gould in ihrer Geschichte Afghanistans) „die Geschichte der region vergessen haben: Die Afghanen haben ihre Geschichte nicht vergessen. Nach dem ersten weltkrieg bombardierten die engländer dieselben Paschtunen-Dörfer aus der luft, und sie wurden dafür international verurteilt. Als die sowjets in den 80er Jahren ihre MiGs und die gefürchteten Mi-24-hind-Kampfhubschrauber dort einsetzten, wurden sie als Kriminelle gebrandmarkt. Der rücksichtslose und willkürliche einsatz der überwältigenden feuerkraft der us-luftwaffe schlägt jeder Moral und Gerechtigkeit ins Gesicht und bringt gleichzeitig das afghanische Volk und die islamische welt immer mehr in wut gegen die Vereinigten staaten.” 1932, in einer serie Guernica-artiger Greueltaten, setzten die briten in wasiristan auch Giftgas ein. Die Abrüstungsvereinbarung versuchte damals ein Verbot für den Gas-einsatz aus der luft gegen die Zivilbevölkerung zu erreichen, aber lloyd George, der britische Premierminister im ersten weltkrieg, konnte danach triumphierend verkünden: „wir haben unser recht verteidigt, Nigger zu bombardieren.” D ie Vereinigten staaten handeln heute ähnlich, nur mit der neuartigen entschuldigung, die tötung von Nichtkombattanten sei eben ein „Kollateralschaden” (oder unvermeidliches menschliches Versagen). seit wir nun von Arizona und Nevada aus unbemannte Drohnen mit hoher Zielungenauigkeit einsetzen, haben wir in Pakistan und Afghanistan hunderte, womöglich tausende unbeteiligter und unbewaffneter Menschen getötet. Die regierungen beider länder haben uns bereits ge16 DIe GAZette 29, frühjahr 2011 caiorns Peace by Peace emen Abschuss einer Rakete aus einer unbemannten Drohne warnt: wir würden uns dieselben Menschen, die wir doch zur Demokratie befreien wollten, zu feinden machen. Im Mai 2009 wurde General stanley Mcchrystal zum oberbefehlshaber in Afghanistan ernannt. Kurz danach befahl er – außer zum schutz der eigenen truppen – die einschränkung der luftangriffe, auch der luftangriffe der cIA. Dummerweise, wie zum beweis der unfähigkeit unserer militärischen Dienstwege, wurde nur zwei tage später in Pakistan eine bewaffnete Drohne eingesetzt, die auf einen schlag mindestens 80 Menschen bei einer beerdigung tötete. In der amerikanischen Mainstream-Presse oder in fernsehnachrichten suchte man Nachrichten zu diesen neuartigen Angriffen naturgemäß vergeblich. Die Medien waren seinerzeit ausschließlich mit den sexuellen eskapaden eines us-Gouverneurs und dem Ableben von Michael Jackson beschäftigt. u nsere einsätze in Pakistan und Afghanistan werden schon seit langem durch ungenaue Geheimdienstinformationen behindert. Ideologische Vorurteile entscheiden darüber, welche Gruppen wir dort bekämpfen beziehungsweise unterstützen, und halb blind hoffen wir auf womöglich erreichbares. fitzgerald und Gould widersprechen der offiziellen linie der Geheimdienste, sich ausschließlich auf Afghanistan zu konzentrieren. „Das eigentliche Problem”, schreiben sie, „war immer schon Pakistan. Die Armee dieses landes und ihr Geheimdienst IsI (...) spielten von 1973 an eine schlüsselrolle bei der finanzierung und leitung der Mudschaheddin und später der taliban. Die pakistanische Armee hat die hand auf ihren Atomwaffen, behindert die entwicklung demokratischer Institutionen, bildet talibankämpfer für selbstmordattentate aus und setzt sie in Marsch gegen amerikanische und NAto-soldaten, die die afghanische regierung schützen sollen.” DIe GAZette 29, frühjahr 2011 17 emen DIe VerborGeNe schANDe uNserer stÜtZPuNKte: VerGewAltIGuNGeN. Das Personal der pakistanischen Armee und ihres Geheimdienstes besteht zum teil aus frommen Muslimen, die einst – mehr für ihre eigenen Pläne und Ziele als zur erklärung eines islamischen heiligen Krieges – die taliban in Afghanistan gefördert haben. solche Ziele waren immer schon: Afghanistan freizuhalten vom einfluss einer Großmacht (wie russland oder Indien), den radikalen Islam in Afghanistan einzudämmen (und ihn damit von Pakistan fernzuhalten) sowie ungeheure Geldsummen aus saudiarabien, den Golfstaaten und den usA herauszupressen, um damit in der ganzen islamischen welt „freiheitskämpfer” auszubilden und zu bezahlen. Pakistans Politik hat konsequent die geheimdienstlichen Pläne des IsI unterstützt und sich dem einfluss seines größten Gegners und Konkurrenten widersetzt: Indien. ex-oberst MacGregor fasst unser hoffnungsloses Projekt in südasien so zusammen: „wir können nichts tun, was 125 Millionen Muslime in Pakistan dazu bringen wird, mit den usA gemeinsame sache zu machen, solange wir mit zwei entschlossen anti-islamischen staaten verbündet sind: Israel und Indien.” obamas truppenverstärkung 2009 in süd-Afghanistan erinnert fatal an das fortwährende Verlangen General westmorelands nach mehr bodentruppen in Vietnam und an das Versprechen, wenn wir die Gewalt nur ein wenig hochdrehen und etwas höhere Verluste in Kauf nehmen, dann würde der widerstandswille der Vietnamesen bestimmt gebrochen. Das stellte sich als eine völlig falsche lageeinschätzung heraus. und in Afghanistan haben wir denselben fall. heute, 21 Jahre nach dem schmachvollen rückzug der russen aus Afghanistan, wagte boris Grimow, ihr letzter General, eine Vorhersage: Die Zehntausende, die obama ins land schickt, werden in einer Katastrophe enden, wie vor ihnen die truppen der sowjetunion, die ihrem eigenen Afghanistan-Krieg 15 000 soldaten geopfert hat. wir sollten zugeben, dass wir Zeit, Menschenleben und ressourcen verschleudern in einem Gebiet, dessen politische Dynamik wir nie verstanden haben und wo wir immer wieder die falschen entscheidungen treffen. D rittens: wir müssen die bis heute verborgene schande unserer stützpunkte beenden. Vor einem Jahr schrieb bob herbert, der Kolumnist der New York Times: „Vergewaltigung und andere sexualverbrechen gegen frauen sind der schlimmste schandfleck auf der us-Armee, und es gibt kein Anzeichen dafür, dass dieses grauenhafte Problem, das wir gern möglichst verbergen, verschwindet. Neue Zahlen aus dem Pentagon zeigen zuletzt sogar eine Zunahme solcher Übergriffe (inzwischen 2923; allein in Afghanistan im Jahr 2009 eine steigerung um 25 Prozent). Man stelle sich das einmal vor: frauen in amerikanischen uniformen, die die belastung durch ihre Kampfeinsätze aushalten müssen, sollen sich nun auch noch sorgen darüber machen, wie sie sich gegen Vergewaltiger in der gleichen uniform verteidigen.” Das Problem wird noch verschärft dadurch, dass unsere truppen in den Übersee-Garnisonen in enger Nachbarschaft mit der einheimischen bevölkerung leben und von dieser als eindringlinge und eroberer betrachtet 18 DIe GAZette 29, frühjahr 2011 emen werden. beispiel: okinawa, die Insel, die wir seit 65 Jahren ununterbrochen besetzt halten. In dieser ärmsten Provinz Japans sind sexuelle Übergriffe und Gewalt gegen frauen außer Kontrolle geraten. Die Insel war der schauplatz der größten antiamerikanischen Demonstration seit dem Zweiten weltkrieg, nachdem 1995 eine zwölfjährige schülerin von drei unserer soldaten entführt, vergewaltigt und ermordet worden war. Vergewaltigungen sind auf allen unseren stützpunkten ein schwerer Makel. er hat mindestens ebenso sehr wie die Politik der bushregierung oder unsere wirtschaftliche Ausbeutung der ärmsten länder, deren rohstoffe wir beanspruchen, dazu beigetragen, dass die usA heute so verachtet werden. DAs MIlItär hAt ZuM schutZ Der eIGeNeN solDAtINNeN NIchts GetAN. Das Militär selbst hat zum schutz der eigenen soldatinnen so gut wie nichts unternommen, auch nicht zum schutz der unbeteiligten Augenzeugen, die häufig in unmittelbarer Nachbarschaft mit der rücksichtslosigkeit und den rassistischen Vorurteilen unserer truppen leben müssen. „Die ermittlungen des Militärs in Vergewaltigungsfällen sind nicht bloß miserabel, sondern grauenhaft” (bob herbert). In allen Gebieten mit us-besatzung unternehmen das oberkommando und das Außenministerium alles, um die sogenannten „streitkräfte-Vereinbarungen” in Kraft zu setzen, die dem Gastland jedes recht nehmen, die straftaten unserer truppen zu verfolgen. Diese Vereinbarungen machen es unserem Militär leicht, straftäter vor den landesbehörden in sicherheit und heimlich außer landes zu bringen. ein typischer fall war eine australische lehrerin in Japan, die im April 2002 von einem Matrosen des flugzeugträgers Kitty hawk, damals in Yokosuka stationiert, vergewaltigt wurde. sie zeigte den Mann sowohl bei den japanischen als auch bei den amerikanischen behörden an. Der Matrose wurde jedoch weder verhaftet, noch wurde gegen ihn ermittelt. umgehend wurde er aus der Marine entlassen, erhielt aber die chance, den japanischen strafermittlern zu entkommen, indem man ihn in die usA zurückschickte, wo er noch heute unbehelligt lebt. Die australische lehrerin gab ihre suche nach Gerechtigkeit aber nicht auf. Dabei fand sie heraus, dass die regierungen Japans und der usA fast fünfzig Jahre vorher, im oktober 1953, ein geheimes „Übereinkommen” geschlossen hatten, in dem Japan seinen Verzicht auf jede rechtliche Zuständigkeit erklärte, sofern das begangene Verbrechen nicht „von nationaler bedeutung für Japan” war. Die usA legten großen wert auf diese Vereinbarung, denn sonst hätten sie möglicherweise befürchten müssen, dass jährlich etwa 350 Armeeangehörige wegen sexualverbrechen in japanischen Gefängnissen gelandet wären. seitdem haben die Vereinigten staaten weitere Vereinbarungen dieser Art getroffen, zuletzt mit Kanada, Irland, Italien und Dänemark. laut „handbuch für die rechte von stationierten truppen” (2001) wird die in Japan gehandhabte Praxis inzwischen weltweit angewandt. Die ergebnisse überraschen kaum noch. In Japan wurden zwischen 2001 und 2008 von amerikanischen soldaten 3184 Verbrechen begangen, aber 83 Prozent der fälle wurden nicht strafrechtlich verfolgt. Mit dem Irak wurde vor Kurzem ebenfalls eine ähnliche Vereinbarung unterzeichnet: beschulDIe GAZette 29, frühjahr 2011 19 Margo wright, usAf emen Sexuelle Übergriffe sind das bestgehütete Geheimnis der US-Armee. digte der streitkrafte und militärische Auftragnehmer bleiben in amerikanischem Gewahrsam, während die Irakis ermitteln. was natürlich wieder die wunderbare Gelegenheit schafft, die Gefährdeten heimlich außer landes zu bringen. es ist nicht übertrieben, festzustellen: Die usA haben ihrem Militärpersonal weltweit die Möglichkeit für sexualverbrechen geschaffen, ohne dass, in der Mehrzahl der fälle, die Übeltäter Konsequenzen ihrer taten zu befürchten haben. Inzwischen hat sich eine Gegenbewegung gebildet, die „service women’s Action Network”. Ihre botschaft ist einfach: frauen, geht nicht zum Militär! Ich halte jedoch eine andere lösung für besser: die radikale Verminderung unserer im Ausland stationierten truppen. Man sollte sie nach hause bringen aus allen ländern, deren Kultur sie nicht verstehen und deren einwohner sie als minderwertig zu betrachten gelernt haben. D er Abbau des Amerikanischen Imperiums ist natürlich nicht auf einen schlag zu schaffen. hier eine liste der ersten wesentlichen schritte: 1. wir müssen die beträchtlichen umweltschäden beenden, die weltweit durch unsere truppenstationierungen verursacht werden. ebenso müssen wir die Vereinbarungen aufkündigen, durch die unsere truppen in ihren Gastländern von jeder Verantwortung befreit werden. 20 DIe GAZette 29, frühjahr 2011 emen 2. Der Abbau des empires erleichtert uns um die finanzielle last der stützpunkte und öffnet ganz neue chancen für talente und ressourcen, die wir derzeit noch brachliegen lassen. 3. wir wissen (wir vergessen es nur immer wieder), dass der Imperialismus die Anwendung der folter hervorbringt. In den 80er und 90er Jahren haben wir in chile und brasilien gewählte regierungen gestürzt und folter-regime gefördert: eine Vorausschau auf das, was wir selbst später im Irak und in Afghanistan praktiziert haben. Der Abbau des empires könnte zur beendigung der amerikanischen folterpraxis im Ausland führen. 4. wir müssen den immer größeren tross hinter unseren truppen weltweit vermindern: windfall-Profiteure, zivile Angestellte und Geschäftemacher, ganz zu schweigen von den Kosten für deren medizinische Versorgung, für wohnungen, swimmingpools, Klubs und Golfplätze. 5. wir müssen den Mythos enttarnen, den der militärisch-industrielle Komplex aufrechtzuerhalten versucht: dass unser Militär unerlässlich sei für die schaffung von Arbeitsplätzen, für die forschung und unsere Verteidigung. Diese behauptungen sind von ernsthaften wirtschaftswissenschaftlern seit langem widerlegt. 6. Als Demokratie mit selbstachtung dürfen wir nicht länger der größte waffen-exporteur der welt sein. Auch dürfen wir nicht länger die stellvertreter für unseren Imperialismus in der Dritten welt in folterpraktiken oder auch der Inszenierung eines staatsstreichs ausbilden. Der erste Kandidat für eine sofortige schließung ist die sogenannte school of the Americas, die berüchtigte Militär-Akademie in fort worth (Georgia) für südamerikanische offiziere. 7. bei den gegenwärtigen Zwängen der öffentlichen haushalte sollten wir umgehend jede unterrichtstätigkeit von Armeeangehörigen in schulen beenden, um nicht weiterhin bei Kindern und Jugendlichen den Militarismus zu fördern. 8. wir müssen in unseren streitkräften Disziplin und Verantwortung wiederherstellen, indem wir neben der Armee nicht länger zivile subunternehmer, private sicherheitsdienste oder andere unternehmen außerhalb der militärischen Zuständigkeit und der Militärgerichtsbarkeit beschäftigen. 9. wir müssen in jedem fall die Größe unserer streitkräfte vermindern, nicht erhöhen. Gleichzeitig müssen wir uns besser um die kampfbedingten physischen und psychischen Verwundungen unserer soldaten kümmern. 10. hier wiederhole ich nur die wichtigste Absicht dieses essays: wir müssen die wenig hilfreiche Gewohnheit ablegen, die Durchsetzung unserer außenpolitischen Ziele immer wieder durch das Militär erreichen zu wollen. weNN wIr VoN eNGlAND NIchts lerNeN, Ist Der NIeDerGANG uNVerMeIDlIch. Zum schluss doch wohl ein düsterer Ausblick: In der Vergangenheit haben nur wenige Imperien ihre beherrschten Außengebiete zugunsten der eigenen unabhängigkeit freiwillig aufgegeben. Die beiden beispiele aus der jüngeren Geschichte sind Großbritannien und die sowjetunion. wenn wir von ihnen nichts lernen, sind unser Niedergang und unser fall unvermeidlich. DIe GAZette 29, frühjahr 2011 21