Nachhaltigkeitspolitik nach Johannesburg! Dr. Volker Hauff, Bundesminister a.D., Vorsitzender des Rates für Nachhaltige Entwicklung After Dinner Speech beim Perspektivforum des Deutschen Bauernverbandes und der Andreas Hermes Akademie „Zukunft von Landwirtschaft und Gewässerschutz – Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in Deutschland“ am 18.11.02, Berlin In meinem politischen Leben hatte ich schon mit vielerlei Verbänden zu tun, nicht nie aber mit dem Deutschen Bauernverband. Ich freue mich daher sehr, nun das erste Mal als Vorsitzender des Rates für Nachhaltige Entwicklung Gelegenheit zu einem direkten Meinungsaustausch mit dem Deutschen Bauernverband zu haben. Meine Erinnerung an die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg – ich bin Jahrgang 1940 – sind geprägt durch das Sammeln von Bucheckern und die Nachlese auf den Kartoffeläckern, mit denen meine Geschwister und ich unser mühevolles Durchkommen sicherten. Dadurch ist bei mir ein großer Respekt vor Menschen gewachsen, die wie die Bauern mit ihrer Arbeit dabei helfen, andere Menschen zu ernähren. Ich habe Ihre Einladung gerne angenommen. Eine After-Dinner-Speech signalisiert immer ein Thema, das etwas aus dem Tagesgeschäft herausgehoben ist. Gleichzeitig werden aber Perspektiven und Orientierungen erwartet, die wir dringend brauchen in einer Zeit, die geradezu danach ruft, und wo viele Menschen gar nicht mehr so recht wissen, wohin es wirtschaftlich und gesellschaftlich gehen soll. 2 Sie haben mich nach der Nachhaltigkeitspolitik nach dem UN - Weltgipfel in Johannesburg gefragt. Und Sie haben mich nicht einfach nur so um meine Meinung gefragt. Sie haben vielmehr hinter die drei Worte ein Ausrufezeichen gesetzt. Wie um deutlich zu machen, dass es richtig um etwas geht, und zwar jetzt. Das Ausrufezeichen signalisiert auch eine gewisse Ungeduld und Entschlossenheit, jetzt etwas zu tun. Und in der Tat: Dieses Signal ist so falsch nicht. Ich will es noch bestärken. Was brachte der Weltgipfel zur Nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg? Nun, ein 80seitiger Aktionsplan wurde beschlossen und dabei gab es reichlich diplomatischen Zündstoff. Der Gipfel stand – salopp formuliert – mehrfach auf der Kippe. Seine Ergebnisse sind ein Mosaik aus Erfolgen und Misserfolgen, Fortschritten und Fehlstellen. Aber bevor ich auf einige Ergebnisse eingehe, ist es wichtig, die Maßstäbe anzusprechen, an denen Johannesburg gemessen werden kann. Schon lange vor Johannesburg wusste man, dass dies kein Gipfel der weit tragenden Erklärungen, Visionen und der einfachen Rezepte werden würde. In Rio, zehn Jahre zuvor, lag es nahe, im Zeichen der damals nach dem Ende der Block-Konfrontation so greifbar nahe scheinenden Friedensdividende an die Herzen der Menschen zu appellieren. Aber eben weil Johannesburg nicht an der Aura des Rio-Gipfels zu messen ist, halte ich es für leichtfertig, heute vom Scheitern des Gipfels, von einem Gipfel der Enttäuschung, oder gar dem Ende der UN-Weltgipfel zu sprechen, wie es in der deutschen Presse und bei einigen NGOs der Fall war. Das geht an der Sache vorbei. Die Bedeutung von Johannesburg zu erfassen, erfordert einen Blick in die Historie. • 1972 legte die UN – Umweltkonferenz in Stockholm grundlegende Prinzipien des Umweltschutzes fest, die uns heute selbstverständlich erscheinen, die damals jedoch höchst umstritten waren wie z.B. das Verursacherprinzip und das Vorsorgeprinzip. 3 • Den nächsten Schritt markiert der Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, der Brundtland-Bericht, aus dem Jahre 1987. Er stellte erstmals einen konzeptionell tragfähigen Zusammenhang zwischen Wirtschaftsentwicklung und Umwelt her. Als roter Faden zog sich durch diesen Bericht die Vorstellung von einem „sustainable development“, ein Begriff, dessen Widergabe im Deutschen als „nachhaltige Entwicklung“ ungenügend und abgehoben erscheint. Oft wird er in der deutschen Diskussion auch abgehoben und überfrachtet verwendet. Er trifft nicht die Alltagsbedeutung von Sustainability, die diese im Englischen als etwas sehr Unmittelbares und Konkretes hat. Aber immerhin können wir in der deutschen Sprache historisch an die Forst- und Landwirtschaft des 17. und 18. Jahrhunderts anknüpfen. Damals drohte die Industrialisierung zu einem unwiederbringlicher Verlust der Wälder zu führen. Mit dem Grundsatz, nur die Menge an Holz zu ernten, die natürlicherweise nachwächst – und das jedes Jahr, über Jahre und Jahrzehnte hinweg -, legte die Forstreform den Grundstein für das Verständnis der Nachhaltigkeit. • Die Brundtland – Kommission sah die zentrale Herausforderung der Umwelt- und Entwicklungspolitik darin, einen neuen Typ von Management herauszubilden. Nicht mehr allein das staatliche Ordnungsrecht sollte im Mittelpunkt stehen; vielmehr sollte es zu Gunsten eines mehr operativen Managements entlang von Zielen und Maßnahmen relativiert werden. Wie sich erst später herausstellte war aber die wichtigste Empfehlung der BrundtlandKommission schließlich der Vorschlag, eine Weltkonferenz zu Umwelt und Entwicklung durchzuführen. Diese fand 1992 in Rio de Janeiro statt. Rio stand für Aufbruch, Begeisterung und Vision. Es ist nach wie vor ein Faszinosum der Rio-Konferenz, dass mit der Agenda 21 ein Politikweg beschritten wurde, der eine andere Entwicklung der Welt als möglich erscheinen ließ. In Rio wurde der Startschuss für den globalen Klimaschutz und die Maßnahmen gegen 4 die Wüstenbildung und zum Erhalt der Biodiversität gegeben. In Rio wurde auch beschlossen, nach zehn Jahren eine Bilanz der Umsetzung der Rio - Agenda 21 zu ziehen und neue Herausforderungen aufzugreifen. • Seit Rio haben sich die Rahmenbedingungen für die globale Entwicklung wesentlich verändert. Die „Globalisierung“ setzt für die nationale Politik einen der maßgeblichen Bezugspunkt und eine Rahmenbedingung für die Nachhaltigkeitspolitik. Nachhaltigkeit auf globaler Ebene: Das ist vor allem die nach wie vor offene Agenda der Armutsbekämpfung, der Öffnung von Märkten und der Kopplung von Umweltschutz mit den unmittelbaren Lebensbedürfnissen der Menschen. Dafür steht Johannesburg 2002. Erst aus dieser Sicht wird die Rolle des Weltgipfels von Johannesburg deutlich. In Johannesburg waren nicht neue weittragende Visionen, Konzepte und Politikentwürfe gefragt, sondern Maßnahmen, Aktionen und Umsetzung – ein Vorankommen im Konkreten. Insofern war die größte Erwartung, die man an Johannesburg haben durfte, diejenige, dass der Gipfel in einer Atmosphäre der Ernsthaftigkeit stattfindet und verschont bleibt von politisch vordergründigen Banalitäten. Tatsächlich brachte Johannesburg aus Sicht des Rates weniger als erhofft, aber mehr als befürchtet. Immerhin konnten einige quantifizierte Umweltziele z.B. zur Fischerei, zur Chemikalienpolitik, der Abwasserbehandlung und der Versorgung mit sauberen Trinkwasser festgelegt werden. Dabei, finde ich, legt der Blick auf die weltweiten Probleme von Umwelt und Armut übrigens sehr eindrucksvoll nahe, die eigenen materiellen Maßstäbe an die Umwelt zu überprüfen. Wichtig sind auch die Anforderungen an die Unternehmensverantwortung und die Produkthaftung, die – wie ich meine – einen Anfang für ein in Zukunft auch auf globaler Ebene wichtiger werdendes Handlungsfeld darstellen. In der Energiepolitik konnte keine perspektivische Zielsetzung 5 zum Einsatz erneuerbarer Energien festgelegt werden. Man scheiterte am Widerstand der OPEC, der USA und Japans. Hier blieb nur eine vage Formulierung zu Gunsten des Ausbaus der erneuerbaren Energien. Ebenfalls kam man z.B. bei der Öffnung der Märkte in Johannesburg nicht weiter. Ich bedaure es außerordentlich, dass man sich in Johannesburg nicht zu einem neuen Ansatz gekommen ist, um die Wirksamkeit des UNUmweltprogramms unter Klaus Töpfer zu verbessern. Klaus Töpfer führt die globale Umweltpolitik und die Notwendigkeit zur wirtschaftlichen Entwicklung in einer ganz hervorragenden Weise zusammen. Hier wäre eine institutionelle Unterstützung der weiteren Arbeit durchaus richtig und wichtig. Soviel zu dem Mosaik der Johannesburger Ergebnisses. Man könnte das sicher noch länger ausführen. Der genauere Blick in die Verhandlungsergebnisse lohnt sich. An dieser Stelle will ich aber auf einige übergreifende Ergebnisse von Johannesburg aufmerksam machen: - Johannesburg macht deutlich: Die Angriffe gegen multilaterale Umweltvereinbarungen wurden abgewehrt. Die Angriffe wurden massiv vorgetragenen, getragen hauptsächlich durch die Abneigung des Kyoto-Regimes zur Weltklimapolitik. Aber diese Angriffe hatten auch ein Gutes. Denn sie leisteten der Einsicht Vorschub, dass die bisherige Idee der globalen Meinungsbildung zur Umweltpolitik aus meiner Sicht keinen Bestand mehr hat. Die Rücksicht auf den Langsamsten im internationalen Geleitzug führt zu langwierigen und schwachen multilateralen Vereinbarungen. Hier stellt sich die Frage, ob es nicht Alternativen zu dieser Vorgehensweise gibt. Das Signal von Johannesburg war, dass in Zukunft durchaus ein „Multilateralismus der verschiedenen Geschwindigkeiten“ denkbar ist. Es sollten sich Führungsgruppen von Staaten – in Johannesburg wurde der schöne Ausdruck „like-minded countries“ geprägt herausbilden, die schneller voran gehen und sich damit auch 6 Zukunftsmärkte erschließen. Die Erneuerbaren Energien sind vielleicht das erste Thema, das in dieser Form voran getrieben wird. - Johannesburg hat deutlich gemacht, dass eine überzeugende nationale Vorreiterpolitik ein erfolgreiches Mittel ist, um in der Staatengemeinschaft insgesamt voran zu kommen. Hierzu haben verschiedene Länder eindrucksvolle Beispiele vorgestellt. - Johannesburg hat deutlich gemacht, dass die Arbeitsteilung zwischen Staaten und Zivilgesellschaft überdacht gehört. Der Politikstil von Rio ist zu schwach: Mit runden Tischen, Kooperation, Expertise und dem Appell an die aufgeklärten Eigeninteressen in Wirtschaft und Politik erzeugt man eben nicht wirklich den Impetus, der nötig wäre, um voran zu kommen. Im Gegenteil: das harte Verhandlungsgeschäft der Regierung drängt die zivilgesellschaftlichen Akteure darauf ab, für die „Stimmung“ zuständig zu sein. So war Johannesburg. Diese Arbeitsteilung ist nicht zukunftsfähig. Wir brauchen eine neue Dynamik der Zusammenarbeit in der Zivilgesellschaft. Dabei werden Partnerschaften und Allianzen eine ernstzunehmende Rolle spielen, wenn – endlich – aus Betroffenen Beteiligte werden. Ich glaube, dass wir diese drei Botschaften von Johannesburg auch eine Perspektive für die Nachhaltigkeit in Deutschland bieten. Und zwar auf allen Ebenen, für den Staat und ganz besonders die Kommunen, für die Wirtschaft und schließlich auch für die Verbände. II Die Bundesregierung hat im April diese Jahres die nationale Nachhaltigkeitsstrategie „Perspektiven für Deutschland“ beschlossen. Im Vorfeld hatte sie den Rat für Nachhaltige Entwicklung zu ihrer Beratung 7 einberufen. Der Nachhaltigkeitsrat hat die Aufgaben, die Bundesregierung zur Nachhaltigkeitspolitik zu beraten, Ziele, Indikatoren und Projekte vorzuschlagen und zur öffentlichen Kommunikation des Nachhaltigkeitsgedankens beizutragen. Wir haben diese Aufgabe sehr ernst genommen und versucht, ihr mit Erfolg nachzukommen. Das Thema Nachhaltigkeit ist nunmehr in der Regierungspolitik verankert. Die Bekanntheit des Begriffes in der Öffentlichkeit von 13 auf 28 % gestiegen. Dass die Politik die Nachhaltigkeit aufgreift, heißt aber nicht, dass nun alles getan ist. Im Gegenteil, wer Nachhaltigkeit will, muss mehr tun als in der Vergangenheit. Er muss die Wegmarken seiner Politik durch quantifizierte Ziele und Zeitpläne abstecken. Das soll die Nachhaltigkeitspolitik aus der unverbindlichen Programmatik und den belanglosen Zwischenbilanzen heraus führen und die Übernahme von Verantwortung für die Umwelt und den Menschen deutlich machen. Ich halte das für sehr wichtig. So gibt es jetzt 21 Indikatoren, an denen Nachhaltigkeit fest gemacht wird, und den Beschluss, alle zwei Jahre über die erreichten Fortschritte zu berichten. Damit setzt sich die Auffassung durch: Was ich nicht messen kann, kann ich nicht managen. Dabei mag und muss man über die Richtigkeit des einen oder anderen Indikators streiten. Letzte Sicherheit über die Feinjustierung bestimmter Indikatoren mag auch noch ausstehen. Die Tatsache, dass man sich irren kann, darf nicht an der RichtungsEntscheidung zu Gunsten der Nachhaltigkeit hindern. Der Rat hatte diese grundsätzliche Empfehlung zur Nachhaltigkeitspolitik der Bundesregierung an Hand einiger Sachthemen konkretisiert, darunter auch die Landwirtschaftspolitik. Mit Phillip Freiherr von dem Bussche hatten wir dabei die Perspektive eines praktizierenden Landwirtes im Rat, dessen Familie seit über 600 Jahren die Kulturlandschaft nutzt und bewahrt. Ich bedaure sehr, dass Phillip Freiherr von dem Bussche auf Grund eines Konfliktes mit der Regierung, nicht mit dem Rat wohlgemerkt, seine Aufgabe als Ratsmitglied nicht hat weiterführen wollen. Von ihm 8 habe ich viel gelernt. Er hat die Perspektive der europäischen Landwirtschaft deutlich gemacht: Exporte werden eines Tages nur noch ohne Subventionen möglich sein, die Importschranken werden nach und nach fallen. Den berechtigten Ansprüchen an Produktvielfalt, Produktsicherheit und -qualität, an Umwelt- und Tierschutz muss die Landwirtschaft dabei folgen. Der Rat hat sich in einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der Umwelt-, Verbraucher-, Entwicklungs- und Landwirtschaftspolitik im vorigen Jahr der Aufgabe gestellt, Eckpunkte für die Zukunft der gesamten Landwirtschaft Deutschland und des ländlichen Raumes zu entwickeln. Im Kern wird es darum gehen, ob es gelingt, der Landwirtschaft als „Markenführer“ der Wertschöpfung im ländlichen Raum eine Chance aufzubauen. Die Nähe zum Konsumenten ist das Zukunftskapital. Aber auch andere Themen sind in diesem Zusammenhang wichtig. So muss der noch immer steigende Verbrauch von landwirtschaftlicher Nutzfläche für Siedlungsflächen begrenzt werden, um der Landwirtschaft vor allem im Umkreis der Städte, also in der Nähe zum Konsumenten, eine Chance für neue Vermarktungsstrategien zu erhalten. Wir haben diese Eckpunkte – mit einigem Erfolg – in die Nachhaltigkeitsstrategie eingebracht. Unsere Kernidee beschreibt eine unternehmerische, nachhaltige Landwirtschaft, die Lebensmittel aus erster Hand bietet und auch künftig maßgeblich von bäuerlichen Familien getragen wird. Die Agrarwirtschaft steht mitten in der Neuorientierung. Ein ökologische, soziale und wirtschaftliche Perspektive muss für die gesamte Landwirtschaft, also die Ökobranche und eine sich ändernde, unglücklicherweise oft als konventionell titulierte Landbewirtschaftung Gültigkeit haben. Die Marktorientierung der Landwirtschaft muss erhalten bleiben. Wir haben deshalb der Regierung widersprochen, als sie eine nachhaltige Landwirtschaft allein mit dem Indikator „Anteil des Öko-Landbaus“ beschreiben wollte. Nach unserer Auffassung muss sich eine Messgröße 9 zur Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft an die gesamte Landwirtschaft richten. Wir hatten damals den Indikator Stickstoffeintrag in Böden vorgeschlagen. Dem ist die Bundesregierung in der Nachhaltigkeitsstrategie nur partiell gefolgt. Sie hat allerdings einige der wesentlichen Gedanken des Rates zur Integration der Wertschöpfungskette im ländlichen Raum aufgegriffen, ebenso wie unser Pilotprojekt „Nachhaltiger Warenkorb“. Uns geht es darum, aufzuwerfen, oftmals unbequeme Fragen: Ist Nachhaltigkeit nur etwas für Besserverdienende? Wie finde ich im Warenangebot denn überhaupt die „mit Nachhaltigkeit erzeugten“ Lebensmittel ? Und wer bestimmt, was nachhaltig überhaupt ist? Wenn man so will: Wie organisiert die Zivilgesellschaft eine geschlossene Informationskette entlang der Wertschöpfungskette vom Acker zur Ladentheke? III Nachhaltigkeitspolitik nach Johannesburg! Das Ausrufezeichen ist vor allem an uns selbst, an die Zivilgesellschaft gerichtet. Es ist ein Signal gegen die allzu große Staatsgläubigkeit in der Nachhaltigkeitspolitik. Es fragt nach neuen Partnerschaften und neuen Initiativen. Gute Beispiele liefern hier die Unternehmen, die mit Nachhaltigkeitsberichten, mit corporate social responsibility, mit ihren Beiträgen zum UN-Global Compact und anderen Initiativen wie zum Beispiel B.A.U.M. und der Agenda 21 ihre Vorreiterrolle ausdrücken. Der Trend geht hin zu einer transparenten Zivilgesellschaft. Ich erlebe selbst jetzt mitten in der wirtschaftlichen Talfahrt, dass wichtige Großunternehmen – und nicht nur sie – sich sehr kluge und weit reichende Gedanken um die Legitimation für das eigene wirtschaftliche Tun machen. Legitimität und Glaubwürdigkeit wollen in einer aktiven und dynamischen Zivilgesellschaft stets aufs Neue erworben und behauptet 10 werden. Transparenz der Interessen, auch die Mühe der Begründung des eigenen Verhaltens und die Übernahme von Verantwortung auch jenseits des unmittelbar eigenen Zuständigkeitsbereiches sind die wichtigen Wegmarken für ein erfolgreiches wirtschaftliches Handeln. Es ist unbestreitbar, dass ohne das stabilisierende, partnerschaftliche Politikmodell Deutschlands der Wohlstand, in dem wir heute leben, nicht möglich gewesen wäre. Das gilt auch für die Bauernschaft. In den letzten 50 Jahren haben die Bauern einen immensen Wohlfahrtsgewinn an die Verbraucher weitergegeben, wenn statt wie früher 40% nur noch 12% der Ausgaben für Nahrung benötigt werden und dafür auch noch eine Qualität und Vielfalt erhält, wie es sie noch nie gab. Dennoch: Veränderungen und ein tiefgreifender Wandel stehen bevor. Uns allen. In solchen Zeiten braucht man einen roten Faden, um Kurs zu halten und den Wandel nicht politischen Beliebigkeiten preis zu geben. Nachhaltigkeit liefert den Kompass für Zukunftsfähigkeit. Nachhaltigkeit fordert von den Akteuren eine Kompetenz, die das Verhältnis zwischen Wandel und Beharrung neu definiert. Die Gesellschaft wird ja letztendlich auch selbst in den sie tragenden Kräften fortwährend und immer wieder neu definiert. Der Erfolg hängt einerseits von soliden Grundlagen-Kenntnissen und andererseits von Beweglichkeit, Individualisierung und Flexibilisierung ab. Tatsächlich muss man ja nicht zu den Propheten der reinen Marktwirtschaft und der liberalisierten Märkte gehören, um mit Betroffenheit darauf zu reagieren, dass an jeder versuchten Bewegung bleischwer die Gewichte der großen Apparate der Besitzstandswahrung hängen. Es ist ein wirkliches Ärgernis, dass viele Interessengruppen auf Veränderungen in der Gesellschaft zunehmend mit Trotz und Abwehr reagieren – statt sie selbst gestaltend, jedenfalls mitgestaltend aufzugreifen. Um von unserem Land zu reden: Der absehbare demografische Wandel und die Knappheit der öffentlichen Kassen, in der 11 wir leben, sollte doch hinreichend Grund zur Überprüfung von Konzepten und Vorgehensweisen bieten. Wir alle müssen viel mehr zur Kenntnis nehmen, was sich an Um- und Einbrüchen in dieser Gesellschaft vollzieht und durch die demografischen Verschiebungen zukünftig noch stärker wird. Dabei haben Verbände in der Zivilgesellschaft eigentlich eine wichtige Rolle bei der nachhaltigen Entwicklung, möglicherweise ist sie sogar wichtiger als diejenige, die sie in der Vergangenheit innerhalb der wohlgeordneten Verbände - Demokratie inne hatten. Die Zivilgesellschaft bedarf Menschen, die handeln, bedarf der Akteure. Oft können Verbände eine wichtige Rolle in einem transparenten und durchaus konfliktgetragenen Prozess des Aushandelns von gemeinsamen Strategien bei unterschiedlichen Interessen übernehmen. Es mag sein, dass dabei für den einen oder anderen nur die undankbare Rolle des Minenhundes bleibt. Streit, Auseinandersetzung und Diskussion sind nötig – aber es muss ein Streit in der Sache sein, kein populistisches Scheingefecht. Das Aushandeln von gemeinsamen Strategien muss ergebnis-offen sein. Denn bevor man sich auf die ernsthafte Suche nach Lösungen macht, kann man nie wissen, welches Ergebnis man erzielen wird. Der eigene Schritt nach vorn, im eigenen Leben, im der Familie, im Beruf, auch in einem Verband, ist wichtig. Er könnte auch ein Schritt für alle bedeuten. Nachhaltigkeit ist und bleibt ein Wagnis, aber eines, das sich lohnt.