25. Entgrenzungen und die Konstitution von Zugehörigkeiten im

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25. Entgrenzungen und die Konstitution von Zugehörigkeiten im Feld
der Migrationspolitik: Herausforderungen für die Angewandte
Ethnologie
Werner Schiffauer, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder)
Sabine Klocke-Daffa, Wilhelms-Universität Münster
Nora Braun, Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Discussant: Thomas Bierschenk, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Durch die „Flüchtlingskrise“ des Jahres 2015 sind die vielschichtigen Probleme und
Facetten transnationaler Migrationsbewegungen stärker in den Brennpunkt gerückt.
Flucht bedeutet immer Verlust und Ent-Grenzung, bietet aber auch die Chance auf
individuelle Neuorientierung und soziale Dynamik, die der Kontinuität von
Zugehörigkeit, Identität und Eingebundenheit nicht entgegenstehen. Menschen auf
der Flucht sind einerseits Opfer politischer, ökonomischer oder ökologischer
Ereignisse, zugleich aber selbstbestimmende Akteure, die nach neuen
Lebensentwürfen in einem neuen Umfeld suchen. Damit rücken auch die sozialen
und politischen Prozesse der Aufnahmegesellschaften in den Blick. Ein wichtiger
Akteur hierbei ist der Staat. Staatliche Klassifikationen von Migranten als
"Flüchtlinge mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit" oder "Flüchtlinge aus sicheren
Herkunftsstaaten" sollen bürokratische Entscheidungsprozesse beschleunigen,
beeinflussen jedoch auch die gesellschaftlichen Beziehungen untereinander.
Für die Bewältigung der anstehenden sozialpolitischen Aufgaben ist ethnologische
Expertise derzeit so gefragt wie selten zuvor. Das stellt jedoch die Ethnologie vor
die Herausforderung, anwendungsorientierte Wissenschaft zu sein und an
Lösungsoptionen mitzuwirken, ohne dabei ihre originäre Aufgabe der
Wissensproduktion aufzugeben.
Im Workshop sollen folgende Fragenkomplexe erörtert werden:
1. Wie beeinflussen bürokratische Verortungen das Selbstverständnis und die
Handlungsmöglichkeiten gesellschaftlicher Akteure? Welche Auswirkungen
haben Kategorisierungen „qua Amt“ auf die Konstruktion neuer Identitäten
und Zugehörigkeiten? Wie gehen Individuen und Kollektive mit derartigen
Verortungen um, und wie können wir diese komplexen Zusammenhänge
theoretisch fassen?
2. Wie kann ethnologische Expertise in die Arbeit mit Flüchtlingen methodisch
und/oder theoretisch eingebracht werden? Welchen Input kann die Praxis für
eine Ethnologie der Flucht und der Migrationspolitik liefern?)
Relevante Ethnologie
Geflüchteter
im
institutionell
gerahmten
Interaktionsfeld
Simone Christ, Bonn International Center for Conversion (BICC)
Der
Vortrag
diskutiert
die
Herausforderungen,
denen wir
in
einem
anwendungsorientierten Forschungsprojekt zu Konflikten zwischen BewohnerInnen
in Flüchtlingsunterkünften begegnen.
Diese betreffen etwa den Umgang mit unterschiedlichsten Akteuren und deren
Interessen (etwa Kommunalpolitiker, kommunale Verwaltung, Ehrenamtliche,
geflüchtete Menschen) und ethische Herausforderungen durch ungleiche
Machtverhältnisse über die Forschungssubjekte. Eine zentrale Rolle spielen
Kategorisierungen durch bürokratische Verordnungen (z.B. Bleibeperspektive), die
nicht nur Hierarchisierungen innerhalb geflüchteter Menschen und im Zugang zu
Ressourcen (Sprachkurse, Wohnungen) schaffen, sondern auch unterschiedliche
Erwartungen an die Forscher generieren.
Gerade die Ethnologie mit ihrem Blick auf kulturelle und soziale Differenz und ihrem
methodischem Zugang auf die Mikroperspektive hat das Potential, den divergenten
Perspektiven geflüchteter Menschen, deren Leben durch Migrationsregime
strengstens kanalisiert wird, Raum zu geben. Durch dichte Beschreibung und
methodischen Kulturrelativismus kann sie Alltagsrealitäten geflüchteter Menschen
abseits dominierender Diskurse aufzeigen. sondern auch unterschiedliche
Erwartungen an die Forscher generieren.
Gerade die Ethnologie mit ihrem Blick auf kulturelle und soziale Differenz und ihrem
methodischem Zugang auf die Mikroperspektive hat das Potential, den divergenten
Perspektiven geflüchteter Menschen, deren Leben durch Migrationsregime
strengstens kanalisiert wird, Raum zu geben. Durch dichte Beschreibung und
methodischen Kulturrelativismus kann sie Alltagsrealitäten geflüchteter Menschen
abseits dominierender Diskurse aufzeigen.
Kinderalltag in entgrenzten und begrenzten Räumen. Ethnographische
Forschung in Gemeinschaftsunterkünften in Berlin
Sarah Fichtner und Hoa Mai Tran, Evang. Hochschule Berlin
Der Beitrag stützt sich auf Ergebnisse und methodologische Reflektionen einer
ethnographisch-explorativen Forschung zum „Alltagserleben geflüchteter Kinder bis
6 Jahren in Not- und Gemeinschaftsunterkünften in Berlin“ (März 2016-Oktober
2017).
Im Vortrag werden Ergebnisse aus dem Projekt in Bezug auf die Bewegungs-,
Beziehungsund
Handlungsräume
von
Vorschulkindern
in
Gemeinschaftsunterkünften zur Diskussion gestellt. Dabei wird ein Fokus auf die
Erfahrung entgrenzter und begrenzter Räume gelegt: zum einen durch die teils
öffentlich/private räumliche Struktur dieser Unterkünfte; zum anderen durch die
multiplen Rollen von Mitarbeitern für Kinder und Eltern und unterschiedliche
institutionelle Handlungsspielräume, welche die Alltagserfahrungen der Kinder
mitstrukturieren. Welche Räume er- und verschließen sich hier für die Kinder?
Bürokratische Klassifizierungen und Verordnungen, die beispielsweise den
Aufenthaltsstatus der Familien bedingen, prägen nicht nur ihr Selbstverständnis
und ihre Lebenslage, sondern setzen auch einer ethisch verantwortlichen Forschung
Grenzen.
Die
Forscherin
selbst
wird
zur
Grenzgängerin
zwischen
Erhebungsinteressen und Handlungserfordernissen des Feldes. So stellt sich nicht
nur die Frage, was eine engagierte Anthropologie praktisch in diesem Bereich zu
leisten vermag, sondern auch was die Forschung mit uns und unseren
Forschungspartnern macht und ermöglichen kann.
Zwischen der Beobachtung von und der Teilnahme an institutionellen
Praktiken: Ethnologische forschungsbasierte Beratung in der Sozialarbeit
für unbegleitete minderjährige Geflüchtete
Andreas Dürr, Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Für Jugendhilfeeinrichtungen, die im Auftrag des Jugendamtes elternlose
minderjährige Geflüchtete betreuen, ist interkulturelle Verständigung ein zentrales
Thema. Grundlage ihrer Arbeit ist die Klassifizierung von allein migrierten Kindern
und Jugendlichen als unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA), denen im
Gegensatz zu anderen Geflüchteten besonderen Schutz und Behandlung zusteht.
Um diesem Auftragt gerecht zu werden, setzen einige Jugendhilfeeinrichtungen auf
eine forschungsbasierte Beratung, die zur Verbesserung der Arbeitspraxis mit
Jugendlichen aus „fremden Kulturen“ führen soll.
Für viele Ethnologen bedeutet interkulturelle Beratung einen Bruch mit der
Wissenschaft, da sie schnelle Ergebnisse, vereinfachte Darstellungen und klare
Anweisungen erfordert. Das Beispiel der Kooperation
zwischen einer
südwestdeutschen Jugendhilfeeinrichtung und Tübinger EthnologInnen zeigt den
Versuch, eine Brücke zwischen wissenschaftlichem Elfenbeinturm und Praxis
herzustellen. Ebenso erweist sich dies als Balanceakt zwischen wissenschaftlicher
Beobachtung institutioneller Praktiken einerseits und Involvierung in institutionelle
Praktiken andererseits, welchen es methodologisch und ethisch zu meistern gilt.
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