1. EH, 14.10.2010

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Denkweisen
WS 2010/11
1. EH, 14.10.2010
Grundlagen der Vorlesung
Politische Theorien
Was versteht man unter SoWi Denkweisen?
Versch. theoretische Versuche das Zusammenspiel von gesellschaftlichen Akteuren/innen
und deren Handeln, gesellschaftliche Prozesse und Strukturen zu verstehen/analysieren/erklären.
Sozialwissenschaften
beschäftigen sich mit gesellschaftlichen Verhältnissen (Form von Gesellschaft, Zusammenleben) und ihren handelnden Individuen und Gruppen
Ziel: „wahre und relevante Erkenntnisse“ zu produzieren (auch wenn SozialwissenschaftlerInnen selbst Teil der Gesellschaft sind ‡ Selbstreflexion erforderlich)
Um Gesellschaft zu verstehen/um Erkenntnisse zu produzieren benötigen wir Theorien –
dabei auf Denkversuche anderer stützen, diese überarbeiten etc.
Politische Theorien
Sind in allen soziwissenschaftlichen und politischen Äußerungen enthalten (Demirovic, 1995)
- ohne kritische Überprüfung dieser Theorien ‡ Gefahr hegemoniale, unreflektierte und
common-sense Vorstellungen als selbstverständlich hinzunehmen
•
Theorien = notwendige Vorraussetzung jeder Analyse
(Hay 2006, ch.2)
• Theoretische Fragen sind immer offen und umkämpft
Grund: unterschiedliche Interessen, deshalb Begriffe ständig umkämpft und diskutiert
• Theorie hilft zur dialogischen/polylogischen Selbstreflexion
Hilfe Ansätze beurteilen zu können ‡ Reflexion der WissenschaftlerInnen auf eigene Positionierung (durch Lesen und Diskutieren)
Was ist Theorie?
Theorie bezieht sich auf wissenschaftliche Erkenntnis (im Unterschied z.B. zu religiösen Glauben, Propaganda, Literatur,…)
Jedoch: Theorie ≠ Wissenschaft (Kombination von Theorie und Empirie)
3 Formen von Theorie
• Gesellschaftstheorie
• Wissenschaftstheorie
• Summe der „Geschichte der politischen Ideen“ z.B. Konzepte v. Staat, Macht, etc.
Für „Theorie“ gibt es keine endgültige Definition vorhanden, sondern versch. Ansätze:
= System von Aussagen, welche widerspruchsfrei und innovativ sind
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= Analyse und Erklärung der wesentlichen Charakteristika/Ursachen eines best. gesellschaftlichen Phänomens in einem best. Kontext (z.B. Arbeitslosigkeit, Globalisierung, …)
= Theorien in ordnender Absicht als Versuch unübersichtliche Realitäten zu systematisieren
= Theorie umfasst die „permanenten Werte der Wissenschaften“: Genauigkeit, Fruchtbarkeit (Erklärungskraft), Konsistenz (Widerspruchsfreiheit) und Einfachheit (Kuhn)
Theorien werden in Debatten weiterentwickelt, korrigiert, verworfen, verhandelt;
(unterschiedliche Theorien können kompatibel sein oder sich völlig widersprechen)
Sie sind widerspruchsfrei, logisch konsistent, verständlich und informativ,
Theorien sind auf andere Theorien bezogen, als auch auf nicht-theoretische
gesellschaftliche Realität (z.B. kann eine Theorie durch gesellsch. Veränderung nicht
mehr aktuell sein)
Das Zusammenwirken von theoretischen und politischen Praxisformen
und gesellschaftlichem Kontext
Theoretische Reflexion/Praxis
Gesellschaftliche/Soziale Entwicklung
Politische Praxis
Soziale Entwicklungen provozieren theoretische Reflexion (Analysen, Erklärungen, etc.)
Theoretische Reflexion verändern Formen Politischer Praxis
Politische Praxis bewirken gesellschaftliche Veränderungen
Forschungsansatz: Wissenschaftstheorie und Gesellschaftstheorie
Forschungsansatz ist die Kombination von Annahmen aus
• Gesellschaftstheorie
• Wissenschaftstheorie
und
• Methodologie
Jede Theorie/Analyse geht von theoretischen Voraussetzungen aus, daher für jede WissenschaftlerIn notwendig, Überblick über Forschungsansätze zu verschaffen und zu reflektieren
und eigene Position finden
! Wissenschaftstheorie
auch als Metatheorie bezeichnet, = selbstreflexive Theorie über Theorien, interessiert sich
für grundsätzliche Bedingungen von Erkenntnisproduktion
bezieht sich auf die Ontologie („Lehre vom Sein“, Annahmen darüber wie Wirklichkeit gestaltet ist; allgemeine Grundcharakteristika der gesellschaftlichen Realität)
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und auf die Epistemologie (was wir, in welcher Weise über die Realität wissen können)
! Wissenschaftsgeschichte & Wissenschaftssoziologie
Interessieren sich für Funktion von Theorie; thematisieren die Zusammenhänge von Wissenschaften mit Macht-, Hegemonie- und Herrschaftsverhältnissen
! Gesellschaftstheorie
Beinhalten Thesen über Formen des Zusammenhangs und der Art der zentralen Elemente
einer Gesellschaft
•
•
•
•
•
•
z.B. Zusammenwirken von Klassen, Geschlechtern, anderen gesellsch. Gruppen
(Stadt, Land, MigrantInnen, Altersgruppen)
Verhältnis und bestimmenden Kräfte von Ökonomie, Politik, Ideologie,…
Stellenwert von AkteurInnen und deren Interessen, Identitäten,…
Thesen über Macht und Herrschaftsverhältnisse
Thesen über Gesamtprozess der gesellschaftlichen Entwicklung
Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit, Verhältnis zur Natur, Gemeinschaft, …
2. EH, 21.10.2010
Wozu Politische Theorie und Ideengeschichte?
Kritische Begriffsarbeit in SoWi
Mit Begriffen greift Denken in gesellschaftliche, politische Wirklichkeiten ein.
Begriffe (und ihre Bedeutungen)
• sind Grundlage für jede sozialwissenschaftliche Beschreibung/Analyse (wichtige Instrumente wissenschaftlicher Arbeit) daher wichtig
1) möglichst treffende Begriffe zu haben und
2) die Bedeutung und Zusammenhänge eines Begriffs herauszuarbeiten
z.B. Demokratie – Öffentlichkeit – Partizipation
•
sind nur in ihren historischen, politischen, sozialen und kulturellen Kontexten zu verstehen, stellen Ergebnisse gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und Konventionen dar (Hall)
•
sind veränderbar (haben keine fixe Bedeutung)
Begriffe vs. Theorien
Begriffe:
Sind Gebilde von Vorstellungen und Wertungen über zentrale Merkmale von Gegenständen/Phänomenen, sie benennen (mit anderen Begriffen) Realität/Verhältnisse/Dinge (z.B.:
Demokratie, Staat, Geschlechterverhältnisse)
Theorien:
Sind umfassende begriffliche Denkgebäude, mit deren Hilfe die Wirklichkeit (gesellschaftliche Vorgänge/Prozesse) analysiert und erklärt werden können; Kombination von Begriffen
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Wozu politische Theorie?
Text 1
Alex Demirovic, 1995: Aspekte der theoretischen und politischen Praxis politischer
Theorie
Kein dichotomes (strikt trennendes) Verständnis von Theorie und Praxis, denn
Theorie intervenieren (eingreifen, beeinflussen) in politischen Feldern
‡ Zusammenhang politische Theorie und politische Praxis
4 Nutzen der politischen Theorie
Gebraucht Begriff „theoretische Praxis“
(übernommen von Louis Althusser)
Keine politische Praxis ohne Aspekte der politischen
Theorie ‡ jede Praxis ist theoriedurchsetzt
Er stützt seine Argumentation auf Theodor W. Adorno.
Er spricht von 4 wesentlichen Aufgaben der politischen Theorie:
1) Politische Theorie thematisiert die historischen Wissensbestände, verfolgt die
Prozesse der Bildung und der Wirkung politischen Wissens
- zeigt, was historisch weshalb (weshalb nicht) zum Politischen gehörte
(Frage nach Definitionsmacht – wer legt das fest?)
Selektionsprozess/Entscheidung bei Theorien/Ideen (ja/nein)
ja: Werke von Hobbes’ = bedeutende Beiträge zur politischen Ideengeschichte
nein: Theorien von Olympe de Gouges, durch unbewusste Wertung, Ihre Theorie lange als nicht relevant betrachtet
Olympe de Gouges (1748 – 1793)
„Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ 1791, Engagement für
schwarze SklavInnen, Kritische Bezugnahme auf politische Theorien
von Jean-Jacques Rousseau
2) Politische Theorie analysiert die politischen Theorien der gesellschaftlichen
AkteurInnen, um ihre Perspektiven und die gesellschaftliche Konsequenzen
zu bestimmen
Politische Theorien in modernen Gesellschaften existieren, viele auf einmal
und sie sind weit verbreitet
ß Alltägliche politische Theorien
‡ viele gesellschaftliche Akteure haben alltägliche politische
Theorien
Beispiel: Medienuntersuchung zeigte dass in Zeitungen ständig
über politische Theorien nachgedacht und darüber publiziert
wird
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- den politischen AkteurInnen wird eine politische Theorie zuge
schrieben, die darauf überprüft welche Folgen sie für das Zu
sammenleben aller hat
- politisch-theoretische Überlegungen werden angestellt weil sie
helfen das eigene Handeln zu optimieren und das der anderen
zu bewerten
Beispiel: Praxis des zivilen Ungehorsams
- in liberalen Zeitungen angesehen als wichtiger Beitrag zur
Demokratisierung, positive Zuschreibungen
- in konservativeren Zeitungen wird Ungehorsam als Rechts
bruch dargestellt, der einen weiteren hervorruft (Contra-ProBewegungen), negative Zuschreibung
3) Politische Theorie gibt einen Begriff vom aktuellen Stand des Politischen
Behandelt welche politischen Verhältnisse existieren und wie sich dadurch die
Gesellschaft entwickelt.
‡ Politische Theorien sind allgegenwärtig und haben weit reichende
Konsequenzen für die politische Praxis.
ß Politische Theorie im engeren Sinne
Theoretische Überlegungen, Begriffe werden analysiert/durchdacht
Sie analysiert die Begriffe, mit denen wir unsere Gesellschaft und ihre
politischen Institutionen begreifbar machen/gedanklich aneignen
4) Politische Theorie reflektiert selbstkritisch über den Beitrag der politischen
Theorie zum politischen Prozess und zu Bildung politischer Institutionen
Politisches Handeln bedarf der theoretischen Analyse, keine Theoriebildung
kann auf Anspruch der Objektivität und der Vollständigkeit verzichten
Dadurch richtet sie sich gegen:
- Subjektivismus/Relativismus (durch rationale Kriterien zur
Beurteilung von Theorien)
- Dogmatismus (starres Festhalten an Glaubenssatz) (Bewusstsein das jede Theorie unabgeschlossen und endlich)
Dennoch: Politische Theorie nicht völlig objektiv, nicht neutral, sondern immer auch performativer Akt (Teilnahme an politischen Auseinandersetzungen)
Demirovic bezieht sich auf Hobbes:
Politische Theorien sind performative (zum Ausdruck gebracht) Handlungen und
daher Teil des politischen Prozesses
Politische Theorie = Akteurin
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3. EH, 28.10.2010
+ 4. EH, 4.11.2010
Theorien über Rassismus und Antisemitismus
+ Reflexionen über Antirassismus und Antisemitismus
Probleme der wissenschaftlichen Begriffsbildung
„Fremdenangst“ „Fremdenfeindlichkeit“ „Ausländerfeindlichkeit“ ‡ problematische Ausdrücke (u.a. weil Diskriminierung von inländischen Gruppen/Eingebürgerten nicht mit eingeschlossen, unreflektierte Annahme von klarem Unterschied in In- und Ausländer)
‡ keine wissenschaftlichen Begriffe
weil: sie das Spezifische rassistischer Diskriminierung nicht erklären können
Begriff „Rassismus“ umfasst hingegen alle wesentlichen Mechanismen der Diskriminierung,
Abwertung und Ausgrenzung
Rassismus
Stuart Halls (britischer Soziologe) Definition von Rassismus:
„Soziale Praxis bei der körperliche (und/oder
naturalisierte/imaginierte kulturelle) Merkmale zur Klassifizierung
bestimmter (willkürlicher) Bevölkerungsgruppen benutzt werden“
Diese Merkmale funktionieren als Bedeutungsträger in rassistischen
Diskursen der Differenz ‡ rassistisches Klassifikationssystem, das
dazu dient bestimmte soziale, politische und ökonomische (rassistische) Praxen zu begründen, die bestimmte Gruppen ausschließen (z.B. von Zugang zu materiellen oder symbolischen Ressourcen)
Rassismus und Staat
Rassismus ist ideologisch konstruiert und hat stets mit herrschaftsförmigen gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun und kann nicht auf ein individuelles Verhalten reduziert werden.
Er ist staatlich vermittelte (z.B. Staatsbürgerschaftsgesetz…) – aber nicht nur staatlich verursachte Praxis
Text 2
Robert Miles, 2000: Bedeutungskonstitution und der Begriff des Rassismus
Ähnliches Ergebnis wie Hall, bei beiden theoretische Reflexionen verbunden mit
historisch-spezifischen Analysen
Miles betont Bedeutung des Begriffs „Rassismus“ neu zu bestimmen
Rassismus von Begriff „Rasse“ abgeleitet worden, dennoch verweist Rassismus nicht
nur auf Theorie über „Rasse“
Begriff „Rasse“
In drei verschiedenen Zusammenhängen genutzt:
1) Innerhalb der Naturwissenschaften - Biologie – Genforschung
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2) Sozialwissenschaften
3) Umgangssprache – Schlüsselelementen des Alltagsverstandes (um Welt zu
verstehen)
Vorstellung: Menschheit besteht aus unterschiedlichen Kollektivgruppen ‡ naturgegebene Einheiten und jedes Individuum gehört einer dieser Gruppen dauerhaft
und unveränderbar an
Laut Miles: „Rasse“ = Alltagsbegriff, kein wissenschaftlicher Begriff = unnütz, sollte
endgültig verworfen werden
Es existieren keine „Rassen“ (S. 19)
‡ Bedeutungskonstitution „signification“
Dabei werden biologische (real oder imaginär) unveränderliche Eigenschaften
(Hautfarbe, Form der Nase,…) mit Bedeutung versehen, was zur Gruppen bzw. Rasseneinteilung dient
‡ konstruierte Gruppen z.B. erfundene Gene
= zentrales Element im Prozess der Repräsentation (= wie Dinge wahrgenommen
werden, Bild der sozialen Welt)
Die Bedeutungskonstitution verläuft auf 2 Ebenen der Selektion:
Zuerst biologische/somatische Merkmale zur Klassifizierung/Kategorisierung ausgewählt, dann diejenigen herausgesucht, die eine Differenz zwischen Menschen bezeichnen sollen
Es werden also nur bestimmte Merkmale ausgewählt (z.B. Hautfarbe, anstatt Länger der Arme)
Bestimmte somatische Merkmale werden bedeutungsvoll aufgeladen und so zum
Einteilungskriterium von „Rassen“ gemacht
An die körperlichen Eigenschaften heften sich weitere (wahre oder imaginäre) kulturelle, soziale Merkmale
„Rasse“ = sozial imaginierte, keine biologische Realität
= kein wissenschaftlicher Begriff
Neue Begriffe benötigt:
Rassenkonstruktion „racialisation“
Ende 1950er von Fanon entwickelter Begriff
‡ Konstruktion von „Rasse“ ‡ Bedeutungskonstitution
Begriff benutzt, wenn soziale Beziehungen dadurch strukturiert werden, dass biologische (behauptete oder wirkliche somatische) Merkmale mit Bedeutung versehen
werden um soziale Gruppen zu konstruieren ‡ Repräsentation und Kategorisierung
(die für natürlich gehalten wird)
ß Dialektischer Charakter der rassistischen Ideologie
bei Konstruktion von „Rassen“
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„In der Repräsentation des Anderen spiegelt sich zugleich das Bild des Selbst.“ = negative Merkmale des anderen werden als positive Merkmale des Selbst zurückgeworfen (muss nicht mit dem realen Selbst übereinstimmen z.B. Menschen aus Orient
irrational, Europäer rational)
Ideologie/Dialektik der Ein- und Ausschließung
das Selbst
das Andere
Phantasien über bedrohte Reinheit und Vermischung/drohenden Untergangs eines
„Volkes“
Rassismus
Viele Bedeutungen und Gebrauchsweisen
‡ Ideologie
ß Ausschließungspraxis
Bestimmte Gruppe wird bei Verteilung von Ressourcen/Dienstleistungen
benachteiligt oder ist unter- bzw. überrepräsentiert (besonders in negativen
Kategorien z.B. Polizeikontrollen, vermehrt MigrantInnen)
1) Begriff meint nur konkrete Handlungen/Prozesse ohne etwas über deren
Ursache auszusagen
(bis zum Beweis des Gegenteils muss man davon ausgehen, das Ausschließungspraxen verschiedene Ursachen haben und nicht gleich Ergebnis von
Rassenkonstruktionen sind)
2) Es kann sich dabei um vorsätzliche Handlungen als auch um ungewollte
Folgen handeln, die Ungleichheit schaffen
3) Außerdem existiert ein dialektisches Verhältnis von Ausschließung und
Einschließung z.B. Ausschließungsprozesse die Zugang zum Arbeitsmarkt
für eine bestimmte Gruppe unmöglich machen, ermöglichen eine andere
Gruppe das Gegenteil
Rassismus als Ideologie
bestimmt durch:
* Prozess der Rassenkonstruktion
gewissen biologischen Merkmalen wird eine Bedeutung zugeschrieben
– als Erkennungs-Zeichen der jeweiligen Gruppe verwendet
– als natürlich und unveränderbar angesehen werden
* Zusätzliche Zuschreibung von negativen (biologischen und kulturellen)
Merkmalen
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* Dialektischen Charakter
In der Repräsentation des Anderen spiegelt sich zugleich das Bild des Selbst
Negative Merkmale ‡ als positive Merkmale zurückgeworfen
* „Sinngebungsinstanz“ für die AnhängerInnen der Ideologie
Ideologie kann der Welt erfolgreich, wenn auch falschen, Sinn geben
z.B. England gleichzeitiger Niedergang der kapitalistischen Produktion und Ankunft von MigrantInnen – wurde als kausaler Zusammenhang wahrgenommen
* Keine einmalige, statische, Ideologie sondern viele Rassismen (jeder unterschiedlich mit jeweiliger Gesellschaft verbunden)
Unterschiede bezüglich: Gruppe, die Objekt des Rassismus ist, der Bedeutungsträger (negative Eigenschaften)
Institutioneller Rassismus
Der rassistische Diskurs bleibt dabei unausgesprochen, aber in den Ausschließungspraxen und in neuen (scheinbar nicht rassistischen) Diskursen ist er enthalten. Der
Einfluss des Rassismus muss erst nachgewiesen werden.
z.B. Britische Einwanderungsgesetze nach 1945 – Begriff „Einwanderer“ anstelle
„farbige Einwanderer“ – obwohl Bedeutung gleich blieb
Ideologische Artikulation/Verknüpfung
= Rassismus triff immer in Verbindung mit anderen diskriminierenden Ideologien
und Praxisformen z.B. Sexismus, Homophobie und Nationalismus auf, und teilt sich
mit ihnen gemeinsame Merkmale z.B. die falsche (=ideologische) Behauptung der
natürlichen (zeitlose, unveränderbare) Aufteilung der Menschen in Gruppen
Alle diese Ideologien basieren auf Prozess der Bedeutungskonstitution und werden
zur Begründung von Aus- und Einschließungspraxen benutzt.
Sexismus
Geschlechtsunterschied als Basis für soziales Geschlecht
Wirkliche biologische Merkmale mit zusätzlichen (wirklichen oder behaupteten) kultureller Merkmale verbunden
Basis für Verbindung von Rassismus und Sexismus = Fähigkeit der Frau Kinder zu
bekommen ‡ Verhinderung von Rassenverfall
Nationalismus
Aufteilung der Weltbevölkerung in Nationen, strikt voneinander getrennt, sich selbst
reproduzierend (Verbindung zu Geschlechterverhältnis - Sexismus)
Nationalismus so wie Rassismus – Formen der Kategorisierung, dazu aber keine biologische Grundlage sonder imaginiert
Aspekte von Sklaverei und Kolonialismus
Verschleppung und Versklavung – Sklavenhandel
Rassismus = Rechtfertigungsideologie zur Ausbeutung der Arbeitskräfte in Kolonien
Verschieden Ideologien der Kolonialzeit können als Vorgänger der faschistischen Herrenmenschen-Ideologie verstanden werden
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Moderne und Rassismus
Paradoxon: Ausschluss durch Einbeziehung
z.B. Prozesse der Versklavung, Kolonialisierung, Arbeitsmigration
Menschen „fremder Länder“ werden in beherrschtes System einbezogen und ausgebeutet,
der Zugang zu wesentlichen Rechten und Ressourcen bleibt ihnen verweigert
Dieser Ausschluss wird durch die Annahme eines Wesens der „Andersartigkeit“ legitimiert,
die Gruppe wird als Objektivierte (nicht als Subjekte) konstruiert
Rassistische Ideologie der „zivilisatorischen Mission“
In GB, britische herrschende Klasse definierte sich als Spitze der menschlichen Rasse – selbst
gesetzter Auftrag: Zivilisierung unterentwickelter Rassen (Kolonien) – „Bürde des weißen
Mannes“ = ideologisch rassistische Vorstellung (auch heute noch aktuell: Integrationsmissionen)
Naturalisierung von produzierter Differenz
Moderne Überwindung des feudalen Systems (der persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse)
‡ Freiheit, Gleichheit aller Menschen, gleichzeitig neue Formen von Ungleichheit z.B. kapitalistische Arbeitsteilung, daher Lösung:
Unterworfenen Gruppen (Proletarier, Kolonisierte, Versklavte, Frauen) wurde eine (veränderbare) Natur zugeschrieben, die deren Position rechtfertigte z.B. mangelndes Vernunftbewusstsein, Disziplin, Zivilisation, …
Ambivalenz der Aufklärungsphilosophie
Ende 18 Jhdt.
Einerseits: emanzipatorische Revolutionierung des Denkens (z.B. alle Menschen Vernunftwesen, verallgemeinerbare Ethik,…)
Gleichzeitig: Legitimation der Plünderung außereuropäischer Gesellschaften
z.B. Kant und Hegel ‡ rassistische Hierarchie zwischen „den Völkern“
Kulturalistischer Rassismus
In den letzten Jahrzehnten eine neue spezifische Form des Rassismus entwickelt
(u.a. weil Argument der Überlegenheit der eigenen Rasse in Verruf gerate ist und außerdem
Nachweiß gefunden, das „Rassen“ nicht existieren)
NEO-RASSISMUS ‡ „Rassismus ohne Rassen“, beherrschendes Thema nicht mehr biologische Bedeutungskonstruktionen, sondern naturalisierende kulturelle Differenzen (und deren Unaufhebbarkeit) und die Schädlichkeit der Vermischung und der Unvereinbarkeit von
Kulturen („Kulturkreisen“), Ideologie der „Toleranzschwelle“ (wenn beliebiger Prozentsatz
überschritten wird, kommt es zu Ausschreitungen)
‡ differentialistischer Rassismus
Fragestellungen um Rassismen zu verstehen/analysieren
Wer
konstruiert
aus welcher Position
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mit welchen Interessen und Motiven
und mit welchen ideologischen Mechanismen (Stereotypisierung, Abwertung, Entpersonalisierung…)
wen
wie?
Wie wird diese Konstruktion
innerhalb von institutionellen und historisch-geographischen Kontext
gegen welchen und wessen Widerstand
materialisiert? (Zugangsbehinderungen zu Ressourcen, Gesten, Unterlassungen…)
Antisemitismus
= Feindschaft, die sich gegen Juden/Jüdinnen richtet
als Objekte des Hasses werden sie unabhängig von ihren realen Taten/Eigenschaften verfolgt
Begriff aus 1870er Jahren
Moderner Antisemitismus (20Jhdt.) gestützt auf Rassenlehre der NS Zeit, nicht mehr nur
Religionsgemeinschaft sondern betitelt als „jüdische Rasse“
„Antivolk“ zur „Arierrasse“
Unterschiedliche Formen des Antisemitismus
* Religiöser christlicher Judenhass
Im europäischen Mittelalter konstituiert, vorurteilsbehaftete Darstellungen z.B. des ewigen Juden der rachsüchtig, geldgierig und heimatlos durch die Welt wandert
* Moderner Antisemitismus
Ab Mitte de 19 Jhdt.
Juden als Ursache der abgelehnten Moderne
* „Sekundärer“ Antisemitismus nach 1945
Abwehr von Schuld und Erinnerung (Adorno), aus Abwehr heraus – Aufleben der traditionellen Bilder des Antisemitismus, Verleugnen oder Relativieren der NS-Verbrechen (Holocaustleugnung), durch abstrakte Feindbilder ausgeglichen (z.B. Israel)
Bsp. Jörg Haiders Aschermittwochsrede 2001 gegen Ariel Muzicant, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde
* Antizionismus
Ohne offen und bewusst antisemitisch zu sein in antisemitischen Diskursen verstrickt,
z.B. gegen die Existenz oder die nationale Souveränität Israels oder Produzieren von Bildern des sekundären Antisemitismus
* Neuer Antisemitismus
Richtet sich v.a. gegen Israel ‡ islamitische Antisemitismus
Diese Formen sind weder zeitlich, räumlich, oder ideologisch voneinander zu trennen.
Übernehmen sowohl Elemente voneinander als auch aus rassistischen und sexistischen
Diskursen.
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Konzeptionen von Rassismen und Antirassismen
Modelle von Rassismus
Antirassistische Ansätze beziehen sich auf bestimmte Konzeptionen und Verständnisse von
Rassismus und auf die historischen Formen des Rassismus.
Sollte jedoch nicht auf reine Gegenreaktionen auf rassistische Verhältnisse reduziert werden.
Drei Haupttendenzen (nach John Solomos)
! Modell der absoluten Autonomie von Rassismus
Rassismus = Phänomen für sich/in sich geschlossen das als solches bekämpft werden könnte
z.B. Pädagogik, Therapie, Aufklärung/Information ... Problem: fehlinformierte Individuen
Die systematische Verknüpfung mit Kolonialismus wird dabei beispielsweise verdrängt.
! Modell des Rassismus als von der Ökonomie abgeleitetes Phänomen
Organisationsweise der Ökonomie = Ursache für Rassismus
Begriff der „Modernisierungsverlierer“ die verstärkt zu Rassismus neigen (Abstiegsängste
transformiert in Hass auf bestimmte Gruppen)
Dialektik von Fremd und Selbst!
Rassismen bei gut situierten Gruppen werden hier beispielsweise verleugnet.
! Modell der relativen Autonomie von Rassismus
1) keine unmittelbare Verbindung von Rassismus und Ökonomie laut dem zweiten Modell
2) es existieren immer mehrere Rassismen
3) Ideologien wie Rassismus, Sexismus, Homophobie kann nicht durch strikt isolierte
Analyseverfahren verstanden werden
‡ Zusammenhang verstehen + gemeinsam bekämpfen – nur so möglich
Konzepte von Antirassismus
Grobe Typisierung der Antirassismus-Konzeptionen
•
Reaktiver Antirassismus (nicht reaktionär! )
Antwort auf/Gegenmaßnahme zu rassistischen Praxen
= moralistischer und humanistischer Antirassismus
Begnügt sich Rassismus als „böse“ zu denunzieren, tiefe Verankerungen von Rassismus
werden dabei ignoriert oder geleugnet, kaum politische Forderungen
Paternalistische Entmündigung der „Opfer“
•
Technisch-ökonomischer bzw. technisch-kulturalistischer bzw. technischlegalistischer Antirassismus
Rein auf ökonomische, legalistische, kulturalistische Verhältnisse zurückzuführen
Veränderung nur durch diesen Bereich machbar z.B. Vollbeschäftigung, Antidiskriminierungsgesetze ‡ Rassismus wird zur technischen Angelegenheit
• Emanzipatorischer Antirassismus
Kombination von politischen Diskursen und Praktiken in einer alternativen, nichtrassistischen Gesellschaft (die auf soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Demokratie beruhen
sollte) ‡ AR als umfassendes Gesellschaftsprojekt
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WS 2010/11
5. EH, 11.11.10
+ 6. EH, 12.11.10
Ideologie – Ideologietheorie- Ideologiekritik I + II
Ideologiebegriff: wie alle sozialwissenschaftliche Begriffe immer umkämpft, nicht eindeutig
definierbar – unterschiedliche, oft unvereinbare Bedeutungen
Vorläufige Definition:
Set von Aussagen welche ein gesellschaftliches Phänomen/Prozess/Struktur verzerrt, einseitig, naturalisierend, enthistorisierend (unter Missachtung der historischen Entstehung) oder essentialisierend (Zuschreibung eines gleich bleibenden/unveränderbaren Wesens) darstellen und
herrschaftliche Interessen vertreten (gewollt oder ungewollt).
•
Ideologien meist genutzt um problematisch gewordene Herrschaftsverhältnisse zu
rechtfertigen.
•
Herrschende Ideologien sind nie allumfassend – immer auch eigene Vorstellungen
von Unterdrückten (von gerechteren Verhältnissen) – immer umstritten
•
Ideologien sind materiell = keine bloßen Gedankengebilde, sondern stets in staatliche Apparate und Institution, auch Praxisformen etc. eingebettet
•
Ideologien werden oft auch als „Weltanschauungen“ oder politisch motiviert verstanden
Philosophie der Aufklärung - IdeologieKRITIK
Idee des „falschen Bewusstseins“ – Ideologie: Ursache des Irrtums, von Mechanismen die
die Erkenntnis von Wahrheit verhindern
FRANCIS BACON
Wichtiger Vordenker für die Ideologiekritik, die sich gegen den
blinden Autoritätsglauben und die feudalen Verhältnisse (besonders Kirche)
richtete (‡ Emanzipationsbestrebungen des europäischen Bürgertums)
„Idolenlehre“
Idole = falsche Vorstellungen/Ideen über Natur = Götzenbilder, die die Wahrheit/ein
klares Urteil abhalten (Vorurteile)
Skepsis wurde zum zentralen Begriff. Durch Zweifel alle bisherigen Erkenntnisse in
Frage stellen. Forderung nach vorurteilsfreier, auf Erfahrung begründeter Wissenschaft.
4 Klassen von Götzenbildern
1) Idole des Stammes
Disposition der menschlichen Gattung, anthropologische Konstante, die das Erfassen
der Gegenstände erschwert (z.B. Sinnesorgane, die Neigung alles so zu interpretieren
als würde es wie Mensch funktionieren beispielsweise Gott)
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WS 2010/11
2) Idole der Höhle
Individualpsychologische Faktoren: psychische Struktur, Erziehung, Umfeld, Bildungsstand etc.
3) Idole des Marktes
Verzerrung durch Kommunikation, Verselbstständigung der Sprache = es existieren
bereits Begriffe „Zeichen“ für Dinge, welche wir annehmen, ohne zuvor selbst Erfahrungen gemacht zu haben (kein vorteilsloses Urteil möglich!)
4) Idole des Theaters/der Bühne
Falsche Erklärungsversuche der Welt, die so tun als vertreten sie die Wahrheit obwohl sie bloßer Erdichtungen sind
Ideologenschule „les idéologues“
18 Jhdt.
Französische Theoretiker (Condillac, Cabanis, De Tracy), „Materialisten“
Interessierten sich besonders für soziale, politische und staatliche Institutionen und ihrer
Wirkung auf das Verhalten von Individuen
Kritik an herrschenden Ideensystemen (Religion) – These von verdeckten Machtinteressen
‡ Priestertrugsthese = von den Priestern würden religiöse Vorstellungen erfunden, zum
Zweck der Erhaltung der Macht der Herrschenden (z.B. gottgegebene Ordnung, Drohungen)
Gesellschaftstheoretischer Ideologiebegriff im Marxismus
19 Jhdt.
KARL MARX und FRIEDRICH ENGELS
Erstmals gesellschaftstheoretische Diskussion über Ideologiebegriff
- Ideologie nicht mehr als eine Fehlfunktion von
Individuen/Gruppen begriffen, sondern als herrschaftsförmige
Organisiertheit einer ganzen Gesellschaft (z.B. Klassen)
•
Wechselseitigen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Verhältnissen und
dem Denken von Individuen/Gruppen/Klassen ‡ daher ideologisches Denken nur
zu verändern, wenn politische Verhältnisse verändert werden (nicht bloß durch Aufklärung des Bewusstseins)
•
Konzept von Ideologie als „falsches Bewusstsein“ d.h. die „verkehrte, entfremdete“
Realität bewirkt verkehrte Bewusstseinsformen – Individuen werden bezüglich ihrer
Lebensverhältnisse getäuscht
•
Produktion von Ideen/Vorstellungen ist unmittelbar verflochten mit materiellen Verkehr (Produktionsverhältnisse) der Menschen – bewirken Ideologien
Wirkung der ökonomischen Verhältnisse auf Bewusstsein der Menschen
•
Herrschende materielle Macht = herrschende geistige Macht
(Kritik: zu geschlossenes Bild, Eindruck als ob Herrschaft alles steuern kann,
Ignorieren von Gegenbewegungen z.B.)
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Denkweisen
•
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Herrschende Macht muss ihre Gedanken als natürlich und unveränderbar mystifizieren – individuelles Interesse als das allgemeine darstellen
‡ politische Ideen werden also bezüglich den gesellschaftlichen Produktions- und Herrschaftsverhältnissen gelesen, analysiert und kritisiert (besonders beachtet wird dabei die
Verzerrung von ökonomischen und die Verschleierung der politischen Verhältnisse)
IdeologieKRITIK im 20 Jhdt.
ANTONIO GRAMSCI
Italienischer Philosoph und Theoretiker, knüpfte in den Theorien seiner
„Gefängnisshefte“ an die politiktheoretischen Schriften Marx an
• erweiterte Ideologietheorie zu Hegemonietheorie
(im Handeln der ideologisch Herrschenden müssen immer auch
Interessen der beherrschten Klasse berücksichtigt werden)
• zählte auch Bräuche, Rituale, Symbole, Organisationsformen zu den
ideologischen Formen
Gramsci ging von dem menschlichen Alltagsverstand (senso commune) aus ‡ Menschen grundsätzlich widersprüchlich strukturiert, nicht passive Empfänger manipulierter
Ideologien
„Buon senso“, einen weiterern Begriff, nennt er das kritisch-historische Bewusstsein/Ideen, das/die sich auf der Basis von Erfahrungen von Unterdrückung und Solidarität entwickelt
Positivistische IdeologieKRITIK
Positivistische TheoretikerInnen reduzieren den Ideologiebegriff auf eine erkenntnistheoretischen Begriff = setzen Ideologie Realitätsverkennung gleich, diese Verkennung liegt im
Mix aus Tatsachenaussagen (beweisbar) und Werturteilen (nicht beweisbar)
‡ Ideologie nicht objektiv, sondern parteilich
Strikte Trennung zwischen Fakten und Werten.
„Wertfreie Objektivität“
WissenschaftlerInnen sollten gegenüber ihren Objekten und ihrer eigenen Subjektivität eine
absolute Distanz einnehmen um Objektivität zu ermöglichen.
Jede maßgebende Aussage gilt als ideologisch, weil sie keinen Gegenstand betrifft, der mit
unseren Sinnen wahrgenommen werden kann.
Kritik: Hermeneutik, Kritische Theorie, Cultural Studies…
Cultural Studies: Anti-positivistische Auffassung von Ideologie und Wissenschaft
Einer der zentralen Autoren: Stuart Hall
Kritik am positivistischen Verständnis von Objektivität ‡ Wissenschaft von konkreten Subjekten produziert, die sozial/kulturell/ökonomisch situiert sind – daher auch wissenschaftliches Wissen situiert zu verstehen ‡ „situiertes Wissen“ (Sandra Harding)
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Objektivität und Interesse
(Jürgen Ritsert)
Bacons Lehrsatz:
K Interesse bewirkt notwendigerweise Verkehrung
‡ Förderung von falschen/subjektiven Ideen
Horkheimers Lehrsatz:
J bestimmte Interessen können die Objektivität eher fördern
(als sie von vornherein zu untergraben)
‡ Förderung der Objektivität
(z.B. Personen aus gesellschaftlich-benachteiligenten Situationen)
Louis Althussers IdeologieTHEORIE (1960/70er)
Althusser: französischer Philosoph (1918 -1990)
Verknüpfung von Theorien von u.a. Marx, Freud, Gramsci (letzterer besonders) – Entwicklung von einflussreicher, neuer Ideologietheorie
•
verbindet
- gesellschafts- und staatstheoretische Aspekte
(Ideologie nicht isoliert, sondern Teil der
gesellschaftlichen Praxis)
- mit subjekttheoretischen Aspekten
(Individuen sind ideologisch geformt)
- und epistemologischen (erkenntnistheoretischen) Aspekten
bei der Produktion und Funktion von Ideologien
(Althussers Theorie analysiert also welchen Beitrag Ideologien zur Produktion von
Gesellschaften, sowie zur Herausbildung von Subjekten leisten, als auch stellt sie die
Frage nach der Wahrheit/Falschheit von Wissen ‡ ] Text Eagleton)
•
ungleiche Verhältnisse beruhen auf
1) repressiven Staatsapparate z.B. Polizei, Militär, Justiz,…
2) ideologischen Staatsapparate z.B. Schule, Kirche, politisches System, Medien,
Familie, Sport, …
(beruhend auf Gramscis Theorie)
Althusser kritisiert Vorstellungen von ursprünglich „an sich“ unschuldigen Klassen“ und
Individuen (z.B. Klasse der ArbeiterInnen) als Wesen deren Bewusstsein manipuliert
wurde (tritt damit gegen Avantgarde-Parteien auf – Kommunistische Partei)
Weiters kritisiert er rationalistische Konzeptionen des „homo oeconomicus, juridicus et
rationalis“ (zentrale Rolle in Wirtschafts- und Rechtswissenschaften).
4 Aspekte von Ideologie
1) Ideologie im Allgemeinen
bezieht sich auf formale Struktur = Mechanismen jeder Ideologie
16
Denkweisen
WS 2010/11
• Subjektivierung von Individuen
Ideologie = aktiver, produktiver Vorgang durch den Subjekte überhaupt erst gebildet
werden (Eagleton Anlehnung an Althusser)
Ideologien geben den Menschen ein Verständnis von sich selbst und der Wirklichkeit/gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie verstehen ihr Handeln als „frei“ und „autonom“,
obwohl es gesellschaftlicher Determination unterliegt und von unbewussten Mechanismen bestimmt ist. ‡ Doppelte Bedeutung von Subjekt (einerseits bestimmt, unterworfen
und andererseits autonom, rational, frei)
• Interpellation (Funktionsmechanismus I)
= Wirkungsweise von Ideologie ‡ Bildung von Subjektivität durch die „Anrufung“ von
Individuen durch imaginäre „große Subjekte“ (z.B. Gott, Rasse, Partei, Nation)
(Ideologie wird als frei und spontan erlebt, obwohl „für uns“ gesprochen wird)
Interpellation erfolgt durch die ideologischen Staatsapparate – Ideologien sind daher nie
privat.
2) Ideologie = das gelebte imaginäre Verhältnis der Individuen/gesellschaftlichen Gruppen zu ihren Existenzbedingungen
• Materielle Existenz (Funktionsmechanismus II)
Ideologie existiert immer im Habitus, in Praxisformen, in Ritualen sowie in Apparaten
und deren Praxis
- Ideologien sind also keine bloßen Illusionen, sondern haben eigenständige Wirksamkeit
in Realität
3) Relativ autonome „ideologische Staatsapparate“
tragen durch Interpellation der Individuen zur Reproduktion einer Gesellschaftsformation bei z.B. Geschlecht (Staat, Religion, Gesellschaft, Familie,…)
4) Unterschied der Funktionsweise von Wissenschaft und Ideologie
Wissenschaftliche („wahre“) Erkenntnisse sind ein ständig produzierter/dynamischer und
permanent bedrohter epistemologischer (=erkenntnistheoretischer) Bruch mit theoretischen
Ideologien.
(nicht alle wissenschaftlichen Aussagen gleich gute Qualität - beste Erkenntnis ist die, die
erklärt wie gesellschaftliches Ereignis wirklich funktioniert)
Terry Eagleton
Text 3
1993: Was ist Ideologie?
Eagleton kritisiert zu expandorische Verwendungen vom
Ideologiebegriff – Begriff zu weit ausgeweitet – führt zu
Sinnentleerung daher wichtig:
• Unterscheidung zwischen
- für Gesellschaft zentralen Machtkämpfe und solche
die es nicht sind
- gesellschaftlichen und „rein individuellen“ Interesse
17
Denkweisen
WS 2010/11
• Kontextualisierung von Äußerungen
Ideologie = nicht nur Sprachphänomen sonder auch Diskursphänomen ‡ ohne
Kenntnis des diskursiven/gesellschaftlichen Kontextes kann man nicht feststellen, ob eine sprachliche Äußerung ideologisch ist oder nicht
• Verbindung von Wertsystemen mit Herrschaftsfragen
z.B. Ideologie als Legitimation von herrschenden Gesellschaftsklassen
• „Imaginäre Lösung realer Konflikte“
z.B. Rassismus, Sexismus
Eagleton zeigt 2 Haupttraditionslinien der Ideologietheorie/Ideologiekritik auf:
1) Erkenntnistheoretisch
Ideologiekritisch
„Vorstellung von wahrer und falscher Erkenntnis“ und „Konzept von Ideologie
als Illusion, Verzerrung und Mystifikation“ (S. 9)
Bacon, Marx, Frankfurter Schule (zwei letzteren verbinden diese Position mit der
Frage wie diese Ideologien mit den ökonomischen Verhältnissen verbunden sind)
Eagleton beurteilt die Definition von Ideologie als „falsches Bewusstsein“ als wenig überzeugend, da er die Meinung von einem rationell denkenden Menschen vertritt
(egal wie falsch sie sind, sie drücken immer echte Bedürfnisse und Wünsche aus)
S. 19ff
2) Soziologisch
Ideologietheoretisch
Konzentration auf gesellschaftliche Funktionen von Ideologie, das „gelebte, materielle Verhältnis“ (welche Interessen werden vertreten)
Ziel: beide verknüpfen
Eagleton kritisiert TheoretikerInnen, die Politik mit Ideologie gleichsetzen oder
den erkenntnistheoretischen Aspekt komplett fallen lassen.
‡ Materialität der gesellschaftlichen Verhältnisse, bedeutet laut Eagleton nicht,
Ideologie auf rein „Subjektives“ zu reduzieren. Gelebte Verhältnisse umfassen
viele Überzeugungen und Annahmen – welche wahr und falsch sein können. (S.
30) (und damit erkenntnistheoretisch sein können)
Althusser (S. 27)
Seine Ideologieauffassung liegt quer zu den zwei Hauptlinien ‡ ]
Eagleton stimmt Althussers Auffassung zu
6/7 Arten Ideologie zu definieren (S. 39 - 41)
1) Allgemeine, materielle Produktion von Ideen/Überzeugungen/Werten des gesellschaftlichen Lebens (politisch und epistemologisch neutral)
18
Denkweisen
WS 2010/11
2) Ideen und Überzeugungen (falsch oder wahr - epistemologisch), die Lebensbedingungen und Erfahrungen einer gesellschaftlich relevanten Klasse/Gruppe symbolisieren
3) Propagierung und Legitimierung der Interessen relevanter, sozialer Gruppen angesichts oppositioneller Interessen
4) Propagierung und Legitimierung der Interessen einer herrschenden, gesellschaftlichen Macht (wie 3, führt zur Vereinheitlichung der Gesellschaftsentwicklung)
5) Legitimierung der Interessen einer herrschenden Gruppe durch Verzerrung der
Wirklichkeit
6) Der Ursprung falscher Ideen liegt in der materiellen Struktur einer Gesellschaft,
nicht in der herrschenden Klasse
7) „gelebte Verhältnisse“ ‡ politische Konsequenzen – Änderung nicht durch
Aufklärung der einzelnen Individuen
IDEOLOGIEKRITIK
-
begreift Ideologie als gesellschaftlich notwendiges (abhängig von
sozialen Verhältnissen) und objektiv falsches Bewusstsein (Verkehrung/Verschleierung des Bewusstseins – falsches Bewusstsein
reproduziert von Herrschaft)
-
richtet sich gegen Vorstellungen, die davon ausgehen, dass Ideologie durch Niederhaltung/Verblendung der Beherrschten hervorgehen (z.B. Priestertrugsthese) – betonen stattdessen, dass Ideologie
von sozialen Verhältnissen hervorgebracht wird
‡ enger Ideologiebegriff (im Gegensatz zu IdeologieTHEORIE) –
Beschränkung nur auf Bewusstsein
Ideologiekritik hat Ausgangspunkte in der Religionskritik (gegen feudale Verhältnisse)
LUDWIG FEUERBACH, 19. Jhdt.
-
Fetischismuskonzept - Ideologien der Naturalisierung und Enthistorisierung ökonomischer
Kategorien, als Fetischismus kritisierte
KARL MARX, 20 Jhdt.
Der Tauschwert der Ware, haftet der Ware quasi-natürlich an – ideologische Bewusstseinsform z.B. Warenfetisch, Geldfetisch, Lohnfetisch
‡ gesellschaftlich notwendiges (Handeln mit Tauschwert ein Muss in der Gesellschaft) und
objektiv falsches Bewusstsein (Individuen erkennen nicht die tatsächlichen Verhältnisse hinter ihren Handlungen)
Kritische Theorie und die Kritik der Kulturindustrie
Kritische Theorie mit neomarxistischem Ansatz entwickelt im 20 Jhdt. Von THEODOR W. ADORNO und MAX HORKHEIMER
- soziale Phänomene immer im Rahmen gesellschaftlicher Zusammenhänge betrachten
19
Denkweisen
WS 2010/11
- Ideologie durchdringt alle Lebensbereiche im „Spätkapitalismus“
Nicht mehr nur Ökonomie und Arbeit auch Freizeit ‡ nimmt die Form der Kulturindustrie an
Kulturindustrie: Instanz unter der Kulturwaren und geistige Produkte produziert werden
- nicht Gebrauchswert steht im Vordergrund sondern der
Tauschwert (Anlehnung an Fetischismuskonzept von Marx)
IDEOLOGIETHEORIE
-
-
Analyse und Überwindung der ideologischen Prozesse
Unterschiede jedoch in der Auffassung von Ideologie
Materialität von Ideologie wird beachtet (im Gegensatz zur IdeologieKRITIK, welche Fragen nach der gesellschaftlichen Funktionsweise, sozialen Kräfteverhältnissen von Ideologien vernachlässigt)
‡ weiter Ideologiebegriff
Im Gegensatz zur KRITIK (basiert nur auf kritischer Beurteilung) versucht die THEORIE die Strukturen/Mechanismen hinter der Ideologie offen zu legen (Determination, Bedingungen, etc.)
IdeologieKRITIK
Begriff
Ideologie = gesellschaftlich
notwendig und objektiv falsches Bewusstsein über die
Realität
Enger Ideologiebegriff
Theoretische Praxis
Rekonstruktion falschen Bewusstseins
Verhältnis
Philosophie - Wissenschaft
Kritik als Haltung (Gegenüberstellung von Ideologie
und wahrer Erkenntnis)
Philosophie wichtig zur Analyse, Wissenschaft nur für
empirische Belege
IdeologieTHEORIE
Ideologie = Verhältnis der
Subjekte zu ihren Existenzbedingungen, Materialität
(verankert in Apparaten,
Praktiken, etc.)
Weiter Ideologiebegriff
Analyse gesellschaftlicher
Verhältnisse und theoretischer und praktischer Ideologien
Theorie als Erklärung
Offenlegung von gesellschaftlichen Strukturen und
Mechanismen hinter Ideologien
Philosophie zur Abgrenzung,
Wissenschaft zur Analyse
7. EH , 25.11.10
Forschungsansätze und Wissenschaftstheorien I
Positivismus (Behavioralismus, Rational-Choice Theorie und Kritischer Rationalismus)
Jede empirische Forschung geht von spezifischen
wissenschaftstheoretischen
gesellschaftstheoretischen
und methodologischen
Voraussetzungen/Grundannahmen aus.
20
Denkweisen
WS 2010/11
Wichtig ist, sich Überblick über unterschiedliche Forschungsansätze zu verschaffen, deren
Argumente zu reflektieren.
Wird ein best. Ansatz verwendet, muss man es argumentativ begründen können.
POSITIVISMUS
Dieser Forschungsansatz
• orientiert sich an den Naturwissenschaften
‡ Verfahren und Erklärungsmodelle (Messen und Vorhersagen)
•
setzt voraus, dass es keinen Unterschied gibt zwischen gesellschaftlichen und natürlichen Phänomenen
‡ alles messbar und quantifizierbar (= mathematisierbar), daher bestehe die Möglichkeit allgemeingültige, zeitunabhängige Gesetze zu erstellen
•
wissenschaftstheoretische Grundannahme der meisten Meinungsumfragen
2 (3) Varianten des Positivismus
Behavioralismus (Induktion), Rational-Choice Theorie (Deduktion), Kritischer Rationalismus
(v. Karl POPPER)
1
•
•
•
•
•
BEHAVIORALISMUS (Behaviorismus in PoWi)
Vorgehen: Induktion
Verallgemeinern von beobachtbaren empirischen Regelmäßigkeiten (z.B. ein
Schwan ist weiß – alle Schwäne sind weiß)
behauptet eine Wissenschaft zu sein, die zu Vorhersagen fähig ist (durch vorhergegangene Ereignisse Vorhersagen treffen)
Techniken und Methoden stehen im Zentrum
Beobachtbares (keine Spekulationen, metaphysische Annahmen etc. )und leicht
Quantifizierbares (z.B. standardisierte Fragebögen)
begrenzt auf das Verhalten – nicht auf das Handeln von Individuen
Ziel
• Durch quantitative Analyse menschlichen Verhaltens sollen durch induktives Schließen (Verallgemeinerung) vorhersagefähige Hypothesen entwickelt werden.
Grundannahmen
• Allgemeine Gesetze können aus empirischen Beobachtungen induktiv gefolgert werden
• Politisches Verhalten zeigt Regelmäßigkeiten, die „Gesetze“ (Verallgemeinerungen)
zulassen
z.B. A ‡ B
• Eine neutrale und unbeteiligte Analyse von politischen Daten sei möglich
Hauptthemen
• Es sind keine a priori theoretischen Annahmen
und auch keine ethischen Urteile bei der Sammlung und Analyse erlaubt
‡ Verzerrung politische Analyse
21
Denkweisen
•
•
WS 2010/11
Alle theoretischen Annahmen müssen systematischen, rigorosen Tests unterzogen
werden
Theoretische Hypothesen haben die Form von Wahrscheinlichkeitsaussagen
Probleme und Grenzen
• Unterscheidung zwischen Kausalität und Korrelation
z.B. A ‡ B oder A --- B (heißeres Klima – mehr Bürgerkriege? Ursache oder nur gleichzeitiges Auftauchen der beiden Dinge)
• Beschränkung auf sichtbare und einfach quantifizierbare Variablen
• Begrenzte Fähigkeit über politischen/gesellschaftlichen Wandel etwas aussagen zu
können
• Fehlen eines Handlungsbegriffs (stets immer nur von „Verhalten“ gesprochen)
• Politik wird mit Macht (decision-making) gleichgesetzt
Kritik
• wenn Erstellen von Gesetzmäßigkeiten nicht gelingt – Erläuterung „wir sind noch
nicht so weit, aber prinzipiell sind unsere Voraussetzungen richtig“
• von Hermeneutik, Diskurstheorien, Kritische Theorie, Critical Realism ‡ Voraussetzungen des Positivismus nicht angemessen für sozialwissenschaftliche Analyse (nicht
möglich allgemein (überall und jederzeit) gültige Gesetze zu entwickeln)
Zentrale Begriffe
Kausalität und Korrelation, Statistik
Induktion
1) Empirische
Beobachtungen
2) Verallgemeinerung
3) Theoretische Aussagen
(Hypothesen, „Gesetze“)
Bsp.: Schwäne
Behavioralismus = empirisch-nomothetischer (gesetzgebend) Ansatz
2
Rational-Choice Theorie
• Vorgehen: Deduktiv
auf der Basis vereinfachter Annahmen
• Übertragung der Strenge und Vorhersagekraft der neoklassischen Ökonomie (mathematische Modelle, Prinzip des Homo Oeconomicus) auf PoWi
• Im Unterschied zu Behavioralismus nicht begrenzt auf Verhalten sondern: Handeln
Grundannahmen
• Individuelle AkteurInnen
- sind Grundeinheiten der Analyse („methodologischer Individualismus“)
22
Denkweisen
WS 2010/11
- seien rationale NutzenmaximiererInnen, die ihre persönlichen Vorteile
maximieren wollen
- haben klare Hierarchie ihrer Präferenzen – immer nur eine optimale
Handlungsvariante zur Verfügung
Hauptthemen
• Aggregation (= Sammlung) von individuell rationalem Handeln ‡ kollektiv irrationale Ergebnisse z.B. Umweltzerstörung aufgrund von Wettbewerbsinteresse und
Profitmaximierung
• „free-riding“: gefährdet soziale Wohlfahrt, beeinträchtigt das kollektive Handeln (solange Anreize fehlen)
• Verhalten von politischen Parteien in liberal-systematischen System ist vorhersagbar
Probleme und Grenzen
• Verständnis von Rationalität beschränkt auf Berechnen von Kosten und Nutzen eines Verhaltens
• Institutionelle Kontexte werden wenig beachtet
• Neigt zu post-hoc (= im Nachhinein getroffen) Rationalisierung, obwohl sie auf Vorhersagbarkeit abzielt
• zu begrenztes Verständnis des menschlichen Individuums (Fragen der Identität ausgeblendet)
• kann Formen kollektiven Handelns kaum begreifen (z.B. solidarisches Handeln)
• kann Teilnahme an Wahlen nicht erklären (Nutzen und Kosten auf Materielles beschränkt, vage Erklärung: Sozialisation zwingt sie dazu etc.)
• kann Prozesse des Wandels nur schwer begreifbar machen
Grundbegriffe
Rationalität, free-riding, Probleme kollektiven Handelns
Deduktion
1) Theorie
(theoretische Annahmen,
feststehende Fakten)
2) vorhersagende Hypothese (testbare Behauptungen)
3) Empirische
Beobachtung
Spiegelbild der Induktion, die empirische Beobachtung führt zur Widerlegung oder Bestätigung der Hypothese, Bsp. Anthony DOWNS: Wahlverhalten, These das Parteien sich in der
politischen Mitte annähern
3
Kritischer Rationalismus Karl POPPERs positivistische Kritik am Positivismus
• kritisiert das Prinzip der Induktion
(dadurch allein könnten niemals Gesetzesaussagen endgültig bewiesen
werden)
23
Denkweisen
WS 2010/11
• zentrales Kriterium für Wissenschaftlichkeit von Aussagen: Falsifizierbarkeit
‡ Wissenschaft sollte auf das Eliminieren von falschen Hypothesen zielen, denn Falsifizierungen seien endgültig
Kritik
Von u.a. Colin HAY an den zentralen wissenschaftlichen Annahmen des
„Kritischen Rationalismus“: die Untersuchungsgegenstände der SoWi sind
qualitativ verschieden von den Untersuchungsgegenständen der NaWi – sie
benötigen daher andere empirische Methoden und Erklärungsmodelle (es
gibt in den SoWi keine raum- und zeitunabhängigen Gesetze)
Forschungsstrategien der SoWi
INDUKTION
‡ Behavioralismus
DEDUKTION
‡ Rational Choice, Kritischer Rationalismus
ABDUKTION
‡ Hermeneutik + Verstehende Soziologie; Pragmatismus
RETRODUKTION
‡ Critical Realism + Poststrukturalismus
Text 4
2006: Analytical Perspectives, Analytical Controversies, S. 7-13 und 30-31
(‡ prüfungsrelevanter Text schon beinhaltet in Nachlese)
8. EH , 02.12.10
Forschungsansätze und Wissenschaftstheorien II
Hermeneutik
‡ NICHT PRÜFUNGSRELEVANT
9. EH , 25.11.10
Forschungsansätze und Wissenschaftstheorien III
Poststrukturalismus
‡ AUSGELASSEN
10. EH , 2.12.10
Forschungsansätze und Wissenschaftstheorien VI
Critical Realism
= neuer wissenschaftstheoretischer Ansatz, herausgebildet aus Kritik an Positivismus und
durch Auseinandersetzung mit poststrukturalistischen und hermeneutischen Theorien
Wesentliche VertreterInnen: Roy Bhaskar, Chis Norris, Colin Hay…
Roy Bhaskar
Britisch-indischer Philosoph und Ökonom (*1944), Begründer des CR
Bezieht sich auf verschiedene AutorInnen (u.a. Louis Althusser), die
ähnliche Argumente publiziert hatten, an die er dann anknüpfte und
zu eigenen Theorien verband
24
Denkweisen
WS 2010/11
Critical Realism
fragt danach, wie wissenschaftliche Erkenntnisproduktionsprozesse wirklich funktionieren
(analysiert der realen Prozesse von Produktion v. wissenschaftlichen Erkenntnissen)
Thema des CR sind alle philosophischen Fragen, welche die wissenschaftliche Erkenntnis
betreffen ‡ alle wissenschaftstheoretischen Fragen. Diese Überlegungen werden immer im
Kontext und in Auseinandersetzung mit konkurrierenden Wissenschaftstheorien gestellt
(Vergleiche, Kritik etc.).
Wissenschaft (die Produktion von wissenschaftlichen Erkenntnis)…
•
ist kein individuelles Phänomen – sondern wird meist institutionalisiert als gesellschaftliche Aktivität ausgeübt
•
fängt nie bei Null an – bezieht sich immer auf vorangehendes Wissen ‡ sie erschafft
nicht, sondern transformiert
• geht mit spezifischen Mitteln (Theorien, gesellschaftlich produzierte Instrumente,
Datenaushebung etc.) an Wissen heran
‡ ist also die Veränderung von (früher erzeugtem) Rohmaterial mittels
Produktionsmittel in einem bestimmten wissenschaftlichen und gesellschaftlichen
Kontext
•
produzieren (stets korrigierbare) Erkenntnisse über die Realität, welche die WissenschafterInnen nicht selber durch ihre Forschung hergestellt haben
•
hat immer beide Aspekte:
a) Erkenntnis ist stets ein vorläufiges Ergebnis
b) Erkenntnis ist immer Erkenntnis von etwas
ist ein nie abschließbarer Prozess in Bewegung
ist kein kontinuierlicher Prozess – es gibt stets Brüche und Diskontinuität (zB Hermeneutik – Poststrukturalismus, Malestream – feministische Theorien…)
•
•
Grundbegriffe des Critical Realism
Soziale Struktur
= ein historisch und sozial-räumlich spezifisches System von Verhältnissen zwischen sozialen Positionen (z.B. Lehrende - Studierende)
Die Konstellation von gesellschaftlichen Positionen bewirkt die Tendenzen von Strukturen
und gesellschaftlichen Verhältnissen.
Generative Mechanismen
Wissenschaften beschäftigen sich primär mit den generativen (erzeugende) Mechanismen
(„kausale Kräfte/Potentiale“ = Fähigkeit Veränderung zu bewirken) der untersuchten Objekte, welche zu beobachtbaren Ereignissen führen. Z.B. Staat hat Potential Krieg zu führen –
eventuell beobachtbares Ereignis: Krieg
Von wissenschaftlichen Interesse sind also die Strukturen und Prozesse (= Mechanismen)
welche zu den beobachtbaren Ereignissen führen.
25
Denkweisen
WS 2010/11
Versuch: positivistische Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge zu überwinden
Generative Mechanismen operieren immer mit anderen generativen Mechanismen, sie sind
historisch entwickelt, kulturell/gesellschaftlich spezifisch und somit durch individuelles Handeln veränderbar. ‡ Daher Aufgabe der Wissenschaft: Analyse und Erklärung der Mechanismen (Ursachen) eines bestimmten gesellschaftlichen Phänomens in einem bestimmten
Kontext! Nicht bloß Beschreibung des Bestehenden, sondern Analyse der wirkenden Mechanismen.
Für CR notwendig – neue Begriffe von Realität, Wissenschaftlichkeit, Objektivität, Struktur
und Kausalität zu bestimmen!
Kritik des Critical Realism am Positivismus
Positivismus geht einerseits davon aus dass nur das wissenschaftlich relevant ist, was empiristisch beobachtbar ist, andererseits, dass eine unabhängig von uns existierende äußere
Realität wesentlichen Einfluss auf unsere Erkenntnis hat. ‡ Kombination aus der Behauptung und unmittelbaren Beobachtbarkeit der Wirklichkeit und der Annahme einer von uns
unabhängigen Realität kann als „naiver Realismus“ bezeichnet werden.
Kritik daran vom CR:
~ CR hat viel komplexeren Realitätsbegriff als der Positivismus:
Er argumentiert, dass das, was wir beobachten, das Resultat des komplexen Zusammenspiels der Mechanismen gesellschaftlicher Strukturen und Akteure ist. (z.B. patriarchale
Geschlechterverhältnisse, neoliberale Produktionsverhältnisse) Diese Strukturen sind meist
nicht direkt beobachtbar. (Beobachtbar sind nur einzelne Ereignisse und Handlungen, auch
Intentionen, Wünsche der Handelnden sind nicht beobachtbar ‡ daher Notwendigkeit von
Gesprächen, Befragungen, Interpretationen, Diskursanalysen)
~ CR verweist darauf, das Erkennen nicht unvermittelt passiert:
Erkennen ist immer auch sprachlich vermittelt und die Erkenntnismittel (z.B. Instrumente,
Theorien) als auch die Erkennenden sind gesellschaftlich-kulturell geformt
Verhältnis des Critical Realism zu Hermeneutik und Post-Strukturalismus:
Gemeinsamkeiten und Kritik
CR integriert die positiven Aspekte von Hermeneutik und Poststrukturalismus in seinem Ansatz (und überwindet dabei theoretische Probleme dieser)
Gemeinsam mit Hermeneutik und Poststrukturalismus argumentiert der CR,
dass gesellschaftliche Strukturen uns nicht direkt zugänglich sind, das wir sie v.a.
vermittelt über Sprache wahrnehmen und die Kategorien mit denen wir das tun, sind
gesellschaftlich-kulturell geformt (vgl. cultural studies).
‡ alle drei Ansätze argumentieren gemeinsam gegen den Positivismus, unterscheiden sich
jedoch darin welchen Stellenwert und Realitätsgehalt sie Strukturen beimessen
Gegen Hermeneutik und Poststrukturalismus (und Konstruktivismus) argumentiert der CR,
dass diese Strukturen real und prinzipiell wissenschaftlich erkennbar und
26
Denkweisen
WS 2010/11
analysierbar sind. (Nicht wie Hermeneutik und Poststrukturalismus, die darunter nur
Sinnverhältnisse bzw. diskursive Strukturen verstehen.) Diese Strukturen werden
nicht von Forschenden geschaffen, jedoch sind sie durch sie durch politische Akteure
veränderbar.
Ontologie und Epistemologie
Grundgedanke des CR: wissenschaftstheoretische Grundannahmen sollten explizit gemacht
werden (offen legen, reflektieren und begründen)
Ontologie
= die Gesamtheit der Grundannahmen über die gesellschaftliche Realität, die wir treffen
wenn wir etwas analysieren, d.h. jedeR WissenschaftlerIn hat eine best. Vorstellung davon,
wie die Welt aussieht
z.B.: in welchem Verhältnis stehen Individuen und Strukturen? welche Fähigkeiten „powers“
haben diese?
6
6
Relationale Ontologie
vertreten von CR
= Annahme, das gesellschaftliche Phänomene nur begriffen werden können, wenn man untersucht in welchen Verhältnis sie zu den anderen gesellschaftlichen Phänomenen stehen
‡ Gegenstand der SoWi also immer Verhältnisse von Verhältnissen
(z.B. Ensemble der Verhältnisse: Mieterin – Vermieterin – Organisationen)
Epistemologie
Welche Erkenntnishindernisse gibt es? Was können wir (nicht) erkennen?
Epistemische Relativität
Es gibt keine unmittelbare (Unterschied zum „naiven Realismus“ des Positivismus!!) und
unhistorische Erkenntnis – wir erkennen stets mit historischen und kulturell spezifischen
sprachlichen Mitteln
Sowohl Gegenstände der Erkenntnis (zB Staat, Geschlechterverhältnisse) als auch die Erkennenden, die Erkenntnismittel sind historisch produziert und daher veränderbar.
Begründungsrationalität
~ Kritik des CR am Beurteilungsrelativismus
welcher behauptet, dass „alle Annahmen und Aussagen gleich gültig sind, es keine rationalen Gründe gibt, eine Aussage einer anderen zu bevorzugen.“ ‡ jedeR argumentiert aus
seiner/ihrer eigenen – mit anderen nicht vergleichbaren – Perspektive
Roy Bhaskar spricht von Begründungsrationalität
‡ es ist möglich (auf der Basis von theoretischer Reflexion und empirischer Forschung) zwischen besseren und schlechteren wissenschaftlichen Erklärungen zu unterscheiden (auch
wenn es selbstverständlich keine Garantie für endgültige Wahrheit gibt)
(Poststrukturalismus und Konstruktivismus bestreiten diese These, obwohl sie ihre Thesen
als besser als andere darstellen)
27
Denkweisen
WS 2010/11
Kritik an wissenschaftstheoretischen Fehlschlüssen („Fallacies“)
Fehlschluss, dass
wissenschaftliche Aussagen keinen (vorläufigen) Gültigkeitsanspruch haben, weil wir die gesellschaftliche Realität sprachlich vermittelt und positioniert wahrnehmen und uns das daran
hindern
CR argumentiert hingegen, dass wir die Realität prinzipiell erkennen können, denn Sprache,
Erkenntnismittel und unsere Positionierung können auch förderlich Mittel des Erkennens
sein. Es gibt keinen sinnvollen Grund, von vornherein anzunehmen sprachlich vermittelte
Erkenntnis sei prinzipiell verzerrt. Wir können wenn wir alle Regeln (der theoretischen Reflexion und empirischen Analyse…) einhalten, vorläufig, wahre Erkenntnis produzieren.
Kritik am Critical Realism
• Oft verkürzte Kritik am poststrukturalistischen Ansätzen (insbesondere verkürztes
Sprach- und Diskursverständnis)
•
Tendenzen zur übertriebenen, „optimistischen“ Sichtweisen der wissenschaftlichen
Praxis (fehlende wissenschaftshistorische und wissenschaftssoziologische Analyse)
11. EH , 9.12.10
Kulturbegriffe. Cultural Studies.
Alle politischen Phänomene und (u.a. Macht-) Prozesse enthalten kulturelle Aspekte und
umgekehrt haben alle kulturellen Phänomene auch politische Aspekte.
Lange Zeit wurde der Kultur eine untergeordnete Rolle zugemessen. Kulturelle Prozesse,
wurden im Gegensatz zu politischen und ökonomischen Phänomenen, nicht als materielle
Bedingungen der „realen“ Welt verstanden, als „hartes“ Wissen, sondern als Oberflächenphänomene.
VertreterInnen der CS (und auch Gramsci und Adorno) plädierten dafür die „relative Autonomie“ der Kultur zu sehen und Kultur nicht bloß als „passive Widerspiegelung“ der ökonomischen und politischen Verhältnisse. Jedoch können Gesellschaften ebenso wenig nur mit
Begriffen der Kultur analysiert werden (reduktionistischer Kulturalismus).
Wichtig ist, Kultur auch nicht als isolierten Bereich zu behandeln ‡ Kulturanalysen müssen
daher immer transdisziplinär sein (Beziehungen zw. Kulturellen, Politischen, Ökonomischen).
Rolf Lindner
Text 6
2002: Konjunktur und Krise des Kulturkonzepts.
Kulturbegriff = Indikator für soziale, ökonomische und politische Veränderungen
Lindner bezieht sich in seiner Argumentation auf Raymond Williams (einer der
wichtigsten Vertreter der CS)
28
Denkweisen
WS 2010/11
5 Unterschiedliche Kulturbegriffe
r Kultur als „verfeinerte Lebensweise/Lebensart“
In der Geschichte des Kulturbegriffs zwischen 1970 und 2000 – Paradigmenwechsel in den
1970er von einem hegemonialen Verständnis von „Kultur als verfeinerte Lebensweise“
(zum Zweck der Unterscheidung von anderen/ Hierarchie) zum weiten Kulturbegriff „Kultur
im weitesten Sinne“
- Überwindung der Hierarchie/Dichotomie „Hochkultur vs. Massenkultur“
- Blick auf Machtprozesse in den Kulturellen Prozessen
(kulturelle Prozesse sind auch politisch)
- Ablehnung eines national verstandenen Kulturbegriff
In den vergangen 20 Jahren hat Kulturbegriff eine Verschiebung von der sozialen und politischen auf die (betriebs-)wirtschaftliche Ebene, die an zentral verwendeten Begriffen ablesbar ist. (z.B. Früher: „Arbeiterkultur“ „Alternativkultur“ vs. Heute: „Unternehmenskultur“…)
r Culture as a whole way of life
“Culture is ordinary” 1958 Aufsatz von Raymond Williams (selbst der Arbeiterklasse entstammend, Erforschung der working-class)
Unterschiedliche Vorstellungen gesellschaftlicher Verhältnisse
Bürgerliche bzw. Arbeiterkultur
• Charakteristisch für bürgerliche Kultur: Individualismus,
egoistische Interessen, orientiert an Menschenbild der
Rational-Choice-Theorie
• Charakteristisch für Arbeiterkultur: Solidarität z.B.
organisatorische Leistungen wie Gewerkschaften
Williams vertritt eine erfahrungsnahe Kulturkonzeption. Vorstellungen über quasiangeborene, elitäre Fähigkeiten angegriffen. (- persönliche Erfahrung als Student)
Williams’ Buch „Culture and Society“: Entwicklung des Kulturbegriffs von der industriellen
Revolution bis Mitte des 20 Jhdt. mit Bezug auf politische/ökonomische Prozessen.
- Kultur als eine ganze Lebensweise/Gesamtheit kultureller Praktiken
und Erfahrungen
- Kultur als Prozess verstanden
- Alle sozialen Praktiken = kulturelle Praktiken
- Kulturelle Praktiken müssen in Kontext gesetzt werden ‡ als Ausdruck einer bestimmten Lebensweise begriffen werden
Williams’ Buch „The Long Revolution“:
Definition von Kultur in 3 Kategorien einzuordnen
• Ideale Bestimmung - Zustand menschlicher Perfektion
• Dokumentarische Bestimmung - Sammlung absoluter/universeller Werte, in der
menschliches Denken aufgezeichnet ist
• Gesellschaftliche Bestimmung - Beschreibung einer Lebensweise (Institutionen, Verhaltensweisen)
29
Denkweisen
WS 2010/11
‡ wichtig, Beziehung zwischen den 3 zu analysieren: Modell der Kulturanalyse
r Kultur als Gestalt
Geht von Gestaltförmigkeit von Kultur aus d.h. Kultur als komplexes Ganzes, als ein Ensemble von Mustern, und der Vielfalt von mehreren Kulturen nebeneinander (aber nicht
hierarchisch)
Dieses Verständnis von Kultur geht auf US-amerikanische Anthropology zurück.
Franz BOAS
Deutschstämmiger, jüdischer Anthropologe
Transformation vom biologisch-evolutionistischen zum kulturellrelativistischen Paradigma
In der Ethnologie (= Wechsel von einer einzigen evolutionären Sequenz von
Kulturstufen zur Idee der Vielfalt von Kulturen die historisch bedingt sind)
Seine Schülerin Ruth Benedict, entwickelte seine Idee weiter.
„Culture as a complex whole“ (einzelne Züge einer Kultur bilden ein komplexes/sinnvolles
Ganzes/Muster)‡ Williams leitete davon sein „culture as a whole way of life“ ab
Boas hat den Kulturbegriff ausdrücklich als antirassistischen Begriff eingeführt, er versuchte
zu zeigen, dass die vermeintlich oder tatsächlichen Unterschiede der Angehörigen unterschiedlicher Ethnien, ihren Ursprung in der Kultur hatten ‡ Unterschiede zwischen den
Ethnien verloren ihren naturalisierenden/unveränderlichen/unveränderbaren Charakter
r Kultur als Text
Text = Gewebe von sprachlichen und anderen Symbolen
Kultur als Ensemble von Texten
Betonung der Intertextualität: Text ist nur im Rahmen eine Textuniversums und niemals
isoliert aufzufassen
Vielfältige Bedeutungen und Lesearten möglich beim Analysieren/Interpretieren von kulturellen Texten
Kritikpunkte:
• Kultur als Text zu begreifen, tendiert stark zur Abwehr von der Feldforschung und zur
alleinigen Zuwendung zur Theorie/Bibliothek (daher auch Spekulation – da keine Kontrolle von empirischen Daten möglich)
• Perspektive von AkteurInnen verschwindet
• Wirksamkeit/Wirkmächtigkeit von gesellschaftlichen Strukturen wird ignoriert
r Kultur als eiserner Käfig
Dieses Konzept bedeutet eine essentialistische bzw. naturalisierende Form von Kultur zu
vertreten. Es wird durch folgendes charakterisiert:
• einzelne Elemente von Kultur seien einem vereinheitlichenden Prinzip unterworfen
30
Denkweisen
•
•
•
WS 2010/11
alle Angehörigen einer Kultur gleich imaginiert und intrakulturelle (innerhalb einer
Kultur) Unterschiede ignoriert werden
Kulturen seien traditionalistisch, konservativ und dauerhaft
Kulturen seien territorial definiert (in Gebiete eingeteilt)
Etienne BALIBAR argumentierte, dass diese Art von Kulturbegriff zu einer neuen Form des
Rassismus werden ließe und so politisch instrumentalisierbar mache. (Sarrazin-Thesen 2010,
französischen „nouvelle droite“…
…
‡ Samuel HUNTINGTON
These über den Zusammenprall der Kulturen, 1996
„Clash of civilisations and the Remaking of the World Order“
Huntington spricht vom neuen Zeitalter der Konflikte
zwischen den Zivilisationen/Kulturen
Zivilisationen = die größten, kulturellen Einheiten, die sich
identifizieren lassen ‡ 7/8 solcher Zivilisationen: die japanische, sinische, hinduistische,
westliche, lateinamerikanische, afrikanische und die christlich-orthodoxe.
Die Beziehungen zwischen diesen „Kulturen“ seien „never close, usually cool and often hostile“.
Huntingtons These: Kräftegleichgewicht verschiebe sich zu Ungunsten des Westens
‡ „Untergang des Abendlands“
Zwei Ursachen: ökonomische und militärische Aufstieg Ostasiens und Bevölkerungsexplosion in den islamischen Ländern (Feindbild Islam)
Gegenmaßnahmen:
-
Westen muss weltweit Pluralität der Kulturen anerkennen (keine
Intervention z.B. Export von Demokratie und Menschenrechte etc.)
Westen muss sich wieder auf eigenen Werte zurückziehen d.h. v.a.
Multikulturalismus absagen
Westen muss sich die militärische Vormachtstellung sichern
Huntingtons These ist mit Verständnis von Identität verknüpft
z.B. Abgrenzung von Wir- und Sie-Gruppen. (Kriterien für diese Gruppen: Abstammung, Religion, Sprache, Geschichte, Werte, Sitten, Institutionen)
‡ kultureller Rassismus!!
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Denkweisen
WS 2010/11
r Kultur als Praxis
Rolf LINDNER:
Kultur als Ensemble von Praktiken, mit dessen Hilfe Subjekte/soziale Gruppen mit den gegebenen Verhältnissen/Existenzbedinungen umgehen
(Ähnlichkeit zu Althusser „Ideologie = das gelebte Verhältnis von Individuen/Gruppen zu ihren Existenzbedingungen)
Unabdingbar: auch eine kulturelle Perspektive auf die historischen, sozialen und materiellen
Verhältnisse einzunehmen
Stuart HALL:
Cultural Studies als (kritische) Weiterentwicklung der Ideologietheorie von Louis Althusser
Version einer kritischen Weiterentwicklung von der Ideologietheorie Louis Althussers
Kultur wird als
- als Feld der Auseinandersetzung um Produktion von Bedeutungen
- als Ort der Bildung von Differenzen (Inklusion und Exklusion)
Dichotomien: schwarz-weiß, weiblich-männlich, etc.
verstanden.
Bedeutungsproduktion ist immer mit Macht- und Herrschaftsstrategien verknüpft. (Welche
sozialen Kräfte produzieren welche Bedeutungen?)
Eine zentrale politisch-ideologietheoretische Fragestellung der CS: Regimen der Repräsentationen (Mit welchen ideologischen Mitteln und mit welcher politischen Wirkung werden
bestimmte Gruppen wie konstruiert?)
Cultural Studies
Zentrale Begriffe sind: „Popularkultur“ „Massenmedien“ „Identität“ „Gender und Sexualität“
„Ethnizität“ „Antirassismus“
Die Analyse von ideologischen Funktionen von Texten, Symbolen, Medien etc ist dominierend.
Kontext
Entstanden aus de Arbeiterbildungsbewegung in GB – daher stammen anti-elitäre Vorstellungen von Kultur und das Ansetzen bei wirklicher Lebenspraxis
Initiatoren: Richard HOGGART, Raymond WILLIAMS, Edward P. THOMPSON
“culture is ordinary” – gegen die Entrückung von Kultur in rein geistige Sphäre
„culture as a whole way of life“ – gesellschaftliche/s Handeln/Praktiken
Verarbeitung nicht nur von Schriften, sondern auch von Erfahrungen (zB Diskriminierung als
Studenten etc.)
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Denkweisen
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12. EH , 13.01.11
Theorien über Geschlechterverhältnisse
Ina Kerner
Text 7
2006: Geschlecht.
Jeder gesellschaftliche Bereich ist vergeschlechtlicht. Daher ist es stets notwenig die Bedeutung von gender-spezifischen Mechanismen, die zu einem best. Phänomen führen, zu erforschen. Bislang wurde das trotzdem von den Großteil der SoWi eher ent-thematisiert als analysiert.
Geschlechterverhältnisse und Politik(wissenschaft)
Das Bestehen von ungerechten Geschlechterverhältnissen verweist auf
a) einen engen Zusammenhang zwischen herrschender Politik und Geschlechterverhältnissen
b) politische Projekte mit dem Ziel, ungerechte Geschlechterverhältnisse zu verändern
„Geschlecht“ = zentraler Gegenstand feministischer Wissenschaft und Theorie
Wesentlich für feministische Forschung = Frauen als Akteurinnen und nicht (nur) als Opfer
betrachten, Erforschung aller (aktiven) Beiträge von Frauen am geschichtlichen Prozess
Legitimation ungerechter Geschlechterverhältnisse
Politische und gesellschaftliche Ungleichbehandlung werden seit jeher mit angeblich grundlegenden Geschlechterdifferenzen gerechtfertigt: Männer und Frauen seien prinzipiell verschieden ‡ in Gesellschaft unterschiedliche Möglichkeiten, Positionen
Das politische Denken der Moderne betont zwar stets die Gleichheit aller Menschen („Universalismus“). Zugleich werden Frauen politisch und gesellschaftlich ausgeschlossen z.B.
vom „allgemeinen Wahlrecht“
Olympe de Gouges (Geschlechterhierarchie sollte grundlegend umstrukturiert werden)
Mary Wollstonecraft (Werk „Ein Pädoyer für die Rechte der Frau“)
18. Jhdt. ‡ „weibliche Sonderanthropologie“ zur Legitimation hervorgebracht:
Aus Besonderheiten des weiblichen Körpers wurden Charaktereigenschaften abgeleitet und
damit Geschlechterdifferenzen naturalisiert.
Frauen, wurden Eigenschaften abgesprochen, die für ein Leben in der Öffentlichkeit (Politik)
erforderlich waren. Zugeschrieben wurden ihnen Eigenschaften, die mit dem Privaten, Haushalt, Reproduktion, Familie harmonierten.
Dadurch wurde ein dichotomes, dualistisches Modell geschlechtlicher Differenzen etabliert:
Weiblichkeit = Reproduktion, Privatheit, Natur, Emotionalität
(Außerdem Zuschreibungen wie: Anfälligkeit für Hysterie, Unreife, Vernunft
losigkeit)
Männlichkeit = Produktion, Öffentlichkeit, Kultur, Rationalität (höher bewertete Aspekte)
Schlussfolgerung: weibliche Teilnahme am politischen Geschehen sei „naturwidrig“
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Weiblichkeit wurde als nachrangig und minderwertig angesehen
Phasen („Wellen“) der Frauenbewegung/Feminismus
1
Erste Frauenbewegung
19./frühen 20. Jhdt.
Bürgerliche, sozialistische, anarchistische Feministinnen z.B. Clara Zetkin
Angriffspunkte/Thema
ü dualistisch-hierarchisches Modell
ü Ausgrenzung und Benachteiligung
Forderungen
ü politische und theoretische Geschlechtergerechtigkeit
ü rechtliche Gleichstellung und Ausweitung der grundlegenden
Bürgerrechte auf Frauen
2
Zweite Frauenbewegung
ab den 1960ern
Die rechtliche Gleichstellung bestand noch nicht in allen gesellschaftlichen Bereichen und es
gab noch bei weitem keine gesellschaftliche Gleichstellung. Frauen- und Geschlechterforschung formierte sich als akademischer Zweig. Nicht nur Analyse sondern Veränderungsmaßnahmen.
Angriffspunkte/Thema
ü Weiblichkeits- und Männlichkeitsnormen und deren
Verhältnis zu Ungleichheiten (zB geschlechtliche Arbeitsteilung)
ü männlich geprägte Geschlechtsstereotypen
Forderungen
ü Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen
ü Jenseits der Erwerbstätigkeit erbrachte Leistungen
anzuerkennen ( „Haushaltsdebatte“ 1970er)
3
Dritte Frauenbewegung
Ab den 90ern
Angriffspunkte/Thema
ü Betonung der Unterschiede zwischen Frauen untereinander
es sei zB zentral das Verhältnis zwischen Geschlechter-,
Klassen- und rassistischen Verhältnissen zu analysieren
ü kritische Männer- bzw. Männlichkeitsforschung
ü Entwicklung der Queer-Theory ( Thema: Heteronormativität
und ihre Auswirkung)
Die Entbiologisierung von Geschlecht
Trennung von Sex und Gender
Lange Zeit: Verknüpfung von physischen Merkmalen mit psychischen
Eigenschaften ‡ hierarchische Geschlechterordnung abgeleitet
Feministische Theorie: Hinterfragung dieser Verknüpfung
Wegbereiterin:
Simone de Beauvoir
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Denkweisen
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Werk 1949 „Das andere Geschlecht“
Sie analysierte darin diese ideologische Verknüpfung und Herrschaftslegitimation
‡ Weiblichkeit ist nicht biologisch fundiert sondern gesellschaftlich produziert und daher
veränderbar
Sie unterschied zwischen dem biologischen Geschlecht (Körper) und dem sozialen Geschlecht (gesellschaftliche Rolle) und kritisierte die Behauptung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen den beiden. ‡ Sex & Gender (Begriffe eingeführt in den 70ern von Ann
Oakley eingeführt)
Debatte um Gleichheit und Differenz
Feministinnen zwar einig darüber, dass Dualismus von Femininität und Maskulinität falsch,
Veränderungsstrategien unterschiedlich:
• Gleichheitsfeministinnen
Kritisiert dualistische Gesellschaftsteilung (zB Lohnungleichheiten etc.)
Gefordert wird eine reale Gleichheit in allen gesellschaftlichen Bereichen.
• Differenztheoretikerinnen
Beziehen sich auf bestimmte weibliche Eigenschaften, die den männlichen gleichwertig
bzw. überlegen seien (z.B. Fürsorglichkeit, Gewaltfreiheit etc.). Diese Werte sollen verstärkt gesellschaftlich bedeutsam und wirksam werden (u.a. mittels Quoten in legislativen Ämtern).
Befürchtung von Gleichheitsfeministinnen: Differenztheoretikerinnen fallen hinter die
Sex-Gender-Trennung zurück (Eigenschaften werden als originär weiblich bezeichnet –
biologischer Ursprung)
Pluralisierung von Gender
Lange Zeit, Annahme: weitgehend, einheitliche Geschlechtsidentität und ähnliche Position
der Benachteiligung und Unterdrückung
1970er: Infragestellen dieser verallgemeinernden Grundtheorie von lesbischen und afroamerikanischen und nicht-weiße Feministinnen
Kritik:
• Weiße Mittelschichtsposition als „normal“ vorausgesetzt, ihre eigenen Lebenserfahrungen würden nicht mitreflektiert
• Notwendigkeit: Zusammenwirken von Geschlecht, Klasse (soz. Position), Ethnizität,
und der Position im globalen Gefüge (Nord-Süd) zu analysieren
Die Entnaturalisierung von Sex
Alle Ansätze: Modell der Zweigeschlechtlichkeit
(zwei konstante biologische Positionen (Sex) und unterschiedliche soziale Positionen (Gender))
Judith Butler
1990 Buch „Gender Trouble“
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Ausschließungen, Machtprozesse etc. mit diesem eindeutigen und unhistorischen Modell
von biologischem Geschlecht verbunden sind
‡ Entbiologisierung von „Sex“
Im Zentrum ihrer Analyse: Phallogozentrismus (=Weiblichkeitsentwürfe aus der Perspektive des
Mannes betrachtet und formuliert) und Zwangsheterosexualität.
Heterosexualität: nicht natürlicher, ursprünglicher Ausdruck menschlichen, sexuellen Begehrens, sondern Effekt institutioneller Arrangements, die eine heterosexuelle Lebensweise
privilegieren. Folglich: Diskriminierung von Homo-, Bi- und Transsexualität als abnormal,
widernatürlich.
Es gibt keine Einstimmigkeit, wie „Sex“ bestimmt werden sollte. (anatomisch, chromosomal,
hormonal)
Die 3. Welle und die Aporien (= Ausweglosigkeit) der Geschlechterpolitik
Drei Infragestellungen bzw. Weiterentwicklungen der bisherigen Geschlechterpolitik
1) Entnormalisierung von Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität
z.B. Hijras in Indien (3. Geschlecht, „Intersexuelle“, eigene Kaste),
Geschlechtswechsel im Lauf des Lebens z.B. Berdache im indigenen Nordamerika
2) Erweiterung des Themenfelds: Geschlechterkategorien selbst geraten ins Bild
3) Anprangerung der Kategorie „Frau“ als homogene Gruppe (Essentialisierung)
Kritik: Kategorien unerlässlich (um zentral Probleme, wie materielle Ungleichheit,
nicht aus den Augen zu verlieren)
Feministische Theorien über Geschlechterverhältnisse
(Armin Puller)
Feministische Theorien sind insbesondere ab Ende der 1960er entstanden und sind v.a. in
SoWi verankert.
Feministische Theorien behandeln die Beschaffenheit von Geschlechterverhältnissen und
richten sich gegen die Vorstellung einer angeblichen Natürlichkeit/Unveränderlichkeit von
Geschlechtsverhältnissen. ‡ gemeinsames Band aller feministischen Theorien
Raewyn Connell: Geschlechterverhältnisse und Geschlecht
Australische Soziologin und ihre Konzeptionen über Geschlechterverhältnisse
und Gender
Geschlechtsidentität (Femininität bzw. Maskulinität) = Prozesse und Verhältnisse in denen Subjekte zu Frauen/Männern werden ‡ soziale Produziertheit von Geschlecht („Als Frau wird man nicht geboren, zur Frau wird man
gemacht!“ Beauvoir)
Häufig: Geschlecht = kulturelle, biologische Unterscheidungen, in diesen Vorstellungen meist
von einheitlichen sozialen Geschlechtsidentitäten ausgegangen ‡ existieren nicht!
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Beauvoir und andere Feministinnen beziehen sich mit ihren Theorien über das soziale Geschlecht auf die ersten wissenschaftlichen Theorien über Geschlechtsidentitäten im Zuge
der Psychoanalyse. Sigmund Freud zeigte, dass Männlichkeit und Weiblichkeit nicht durch
die Natur festgelegt sind, sondern durch einen spannungsvollen Entwicklungsweg produziert
werden. Freud entwickelte den Gedanken von einer eigenständigen weiblichen Sexualentwicklung (von der männlich zu unterscheiden) und sprach damit Frauen erstmals eine eigenständige sexuelle Subjektivität zu. Darüber hinaus analysierte er Heterosexualität als einen
nicht automatischen Entwicklungsweg neben anderen möglichen.
Geschlechterverhältnisse, Genderordnung und Genderregime
Geschlechterverhältnisse:
soziale Verhältnisse durch die
ü Subjekten ein Geschlecht zugeordnet wird
ü Geschlechter in ein bestimmtes Verhältnis zueinander
gesetzt werden (zB Dichotomie, Hierarchien, etc.)
ü bestimmte soziale Praxen und Strukturen zu
Geschlechterarrangements formiert werden.
Raewyn Connell schlägt vor, Geschlechterverhältnisse als komplexe, multiple Strukturen
involvierende Verhältnisse zu sehen.
Solche Strukturen umfassen: 1) Machtverhältnisse (zB Hierarchien) 2) Produktionsverhältnisse (zB Arbeitsteilung) 3) emotionale Verhältnisse (Bindungen & Sexualität) 4) symbolische Verhältnisse (Diskurse).
Für die Analyse von Geschlechterverhältnissen entwickelte Connell die Begriffe der „Genderordnung“ und des institutionellen „Genderregimes“.
Genderordnung = Gesamtheit der Geschlechterverhältnisse einer Gesellschaft.
Genderregime = Verteilung von Macht und Arbeit und die gesellschaftsspezifischen sozialen
Praxen in einer Institution (zB Universität, Staatsapparat, Parteien,…)
Gender, Körper und Social Embodiment
Faktoren für Geschlechtsidentität
1) Passiver Anteil: Sozialisation (Einfluss von Familie, Schule, Erziehung, Medien)
2) Aktiver Anteil: (Lust, Kreativität und Enthusiasmus am Erlernen von Identität)
‡ vielschichtige Konstruktion von nicht-einheitlichen Identitäten
‡ Genderprojekte (Connell)
Die Rolle des Staates in den Geschlechtsverhältnissen
Staat und Geschlechterverhältnisse (nach Connell)
a) Staat ist ein Knotenpunkt in den Machtbeziehungen der Genderordnung und organisiert geschlechtliche Machtverhältnisse (zB Gesetze, Familienförderung…)
b) Das Genderregime des Staates ist stark männlich dominiert
c) Staat besitzt die Fähigkeit, die Machtbeziehungen zu regulieren
Geschlechterpolitik, patriarchale Dividende und hegemoniale Männlichkeit
Politik = meist Männerpolitik d.h. Politik von Männern die Dominanz von Männlichkeit in
den Verhältnissen verteidigen. Patriarchale Macht funktioniert über die ideologischen Funk-
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tionsweisen von Institutionen, in denen die Dominanz von Männern eingebettet ist (Firmen,
Medien, Regierungen, Parteien, Familien, Kirchen etc.)
Diejenigen die von ungleichen, patriarchalen Verhältnissen profitieren, haben ein großes
Interesse an ihrer Aufrechterhaltung (zB ungleiche Einkommen, Arbeits-, Machtaufteilung…)
Männer ziehen Vorteile aus der Unterordnung, Ausbeutung und Diskriminierung von Frauen.
Connell spricht von diesen männlichen Vorteilen als der patriarchalen Dividende. (sinkt sobald Geschlechtergerechtigkeit steigt)
4 Formen der Maskulinität
ü Hegemoniale Maskulinität (die legitime, akzeptierte Form patriarchaler Herrschaft)
ü Untergeordnete Maskulinität (homosexuelle, transsexuelle Männlichkeit – steht am Boden
der Hierarchie)
ü Komplizenhafte Maskulinität (realisieren eine patriarchale Dividende ohne an der Front des
Patriarchats zu stehen)
ü Marginalisierte Maskulinität (Schwarze Männlichkeit oder Männlichkeit von Einwanderern)
Postkoloniale feministische Ansätze
3. Phase des Feminismus
Postkoloniale Theorie bezieht sich auf Geschichte und Nachwirkungen des Kolonialismus.
zB: Edward SAID, Gayatri Chakravorty SPIVAK, Frantz Fanon, sowie aus CS Stuart HALL etc.
Black Feminism und postkoloniale Feminismen haben dazu beigetragen, feministische Theorien zu erweitern: beachten von Klassenverhältnisse, rassistische Verhältnisse, Ethnizität,
Position im globalen Gefüge!
Kritik: Vorstellung, dass Sexismus die alleinige Ursache von Unterdrückung aller Frauen sei
Patricia Hill Collins
Kritik: am westlichen feministische Theorien, die einen universellen Vertretungsanspruch für alle Frauen stellen, und eigentlich nur auf weiße Mittelschicht-Frauen bezogen sind und über Rassismus und Klassenverhältnisse
kaum etwas aussagen.
Auslassung von Schwarzen Frauen bzw. „Women of Colour“.
Gayatri Chakravorty Spivak
Aufsatz 1988 „Can the Subaltern (= Untergeordnete/Beherrschte) Speak?“
Unterdrückte können im kolonialen Diskurs grundsätzlich nicht
sprechen, da ihre Rede mangels einer Sprechposition nicht gehört
werden kann. Es wird immer nur für und über sie gesprochen.
Spivak kritisiert: Ermutigungen kritischer Intellektueller des Westens,
die Subalternen mögen doch für sich selbst sprechen. Fordert die Beseitigung des kolonialen Diskurses, in dem die Subjektivität der Frauen
geleugnet wird (zB Vorstellung von der indischen Frau als „passives Opfer“)
Beispiel: Witwenverbrennung der Hindus
Hindugesetz: Präsentation als guter, freier Akt
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Britisches Empire: sieht es als ideologisches Kampffeld, zivilisatorische Mission
‡ Zwischen Hindu- und Kolonialgesetz verschwindet die Subjektivität indischer Frauen, sie
werden sprachlos gemacht
Chandra Talpade Mohanty
Aufsatz 1986 „Under Western Eyes“
Untersuchung über die Darstellung der Frauen in der „Dritten Welt“ ‡ Homogenisierung der Lebensverhältnisse von nicht-westlichen Frauen (die
Komplexität der Lebensverhältnisse wird unterdrückt dargestellt)
‡ Annahmen des ethnozentrischen, eurozentristischen Universalismus:
• Vorstellung von Frauen als fertig konstituierten, kohärenten Gruppe
mit gleichen Interesse und gleichem Begehren
• Generalisierungen (zB „Die Frauen in Indien…“)
• Annahmen über Macht, die eine einheitliche Unterdrückung von Frauen behauptet
‡ produziert dabei das Bild der „durchschnittlichen Third World women“ und spricht von
der „Third World difference“
Third World Women
Sexuell unterdrückt, einfach, arm, ungebildet, traditionell, familienorientiert,
Opfer männlicher Unterdrückung
Westliche Frauen
Selbstbestimmt, entscheidungsfrei, modern
Gebildet, politische Subjekte
Mohanty fordert: Aufgabe des Begriffs „Sisterhood“ (= Idee einer globalen Schwesternschaft) zugunsten von „transnationaler Solidarität“, da dieser Begriff darauf aufmerksam
macht, dass die Einheit der Frauen nicht auf Grund einer einheitlichen Unterdrückung besteht, sondern jeweils nur in spezifischen Kontexten hergestellt werden kann.
Das kann erreicht werden, in dem Studien über „Dritte Welt“ Frauen jenseits eines „Wir-sieBlicks“, also nicht kulturrelativistisch und eurozentristisch argumentiert wird. Forschende
(nicht als TouristInnen und AbenteuerInnen) als solidarisch und vergleichend die unterschiedlichen Kontexte untersuchen.
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