Genetisch diverse Populationen trotzen dem Klimawandel

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Jahrbuch 2004/2005 | Reusch, Thorsten | Genetisch diverse Populationen trotzen dem Klimaw andel –
experimentelle Erkenntnisse aus Seegrasw iesen
Genetisch diverse Populationen trotzen dem Klimawandel –
experimentelle Erkenntnisse aus Seegraswiesen
Genetically diverse populations resist global warming –
experimental studies in seagrass beds
Reusch, Thorsten
Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie, Plön
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
W ährend eine positive Rolle von Artendiversität auf Ökosystemleistungen gut belegt ist, ist die Funktion
genetischer Vielfalt einzelner Arten experimentell w eitgehend ungeklärt. Viele hochproduktive aquatische
Pflanzengemeinschaften bestehen natürlicherw eise aus w enigen oder nur einer Art. Um dieses Paradox zu
klären, manipulierten W issenschaftler des MPI für Limnologie in einem Freilandexperiment die genotypische
Vielfalt des Großen Seegrases Zostera marina. Das Experiment fand im Jahr 2003 in der Ostsee statt. W ährend
einer langen Hitzew elle erreichten die Wassertemperaturen über 25°C und führten zu erheblicher HitzestressMortalität
bei
Flachw asseroganismen.
Solche
Bedingungen
können
als
Modell
für
vorhergesagte
Klimaänderungen (‚global change’) dienen. Nach der Hitzew elle erholten sich genetisch diverse Seegrasflächen
schneller und w iesen am Ende der Wachstumssaison eine höhere Biomasse sow ie höhere Häufigkeiten von
seegrasbew ohnenden Invertebraten auf als genetische Monokulturen. Die positiven Effekte genetischer
Diversität w aren dabei auf echte Diversitätseffekte (Komplementarität) und nicht auf die Dominanz einzelner
besonders w iderstandsfähiger Genotypen zurückzuführen. Diese Erkenntnisse unterstützen nachdrücklich,
dass nicht nur Artenvielfalt, sondern auch genetische Vielfalt innerhalb von Arten geschützt w erden sollte. Für
genotypische Diversität konnte eine analoge Rolle zur Arten-Diversität nachgew iesen w erden. Damit kann die
Funktion genetischer Diversität in bestehende ökologische Theorien zur Funktion von Artenvielfalt eingebettet
w erden.
Summary
W hile there is ample experimental evidence for a role of species diversity in ecosystem performance, the
functional significance of genetic diversity is less clear. In fact, many aquatic plant communities are highly
productive although they consist of only a few or a single dominant species. In order to shed light on this
apparent contradiction, scientists at the MPI of Limnology manipulated the genotypic diversity in the field in
the seagrass species Zostera marina. The experiment took place in the Baltic Sea in 2003. During that year, a
heat w ave caused surface w ater temperatures to rise above 25°C, leading to w idespread heat stress related
mortality among shallow w ater animals and plants. Such conditions may serve as a model for predicted
increases in climatic extremes. After the heat w ave, genotypically diverse seagrass areas recovered faster,
had more shoots and biomass and harboured more associated invertebrates at the end of the experimental
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period. Positive effects of genotypic diversity w ere due to true biodiversity effects (complementarity) and not
due to the dominance of particularly resistant genotypes. These results provide experimental evidence that
not only species diversity but also genetic diversity should be preserved. Genotypic diversity had a similar
function as species diversity. This w ay, the level of genetic diversity can be incorporated into existing
ecological theory on biodiversity at the level of species.
Die
überw iegend
positiven
Ausw irkungen
von
lokaler
Experimenten gut belegt [1]. Lebensgemeinschaften
Artenvielfalt
mit vielen
sind
Arten
mittlerw eile
sind
in
zahlreichen
stabiler, w eisen
höhere
Ökosystemleistungen w ie Produktivität oder Nährstoffaufnahme auf und erholen sich nach Störungen schneller
als artenarme Systeme. Allerdings sind viele Pflanzenbestände von Natur aus Monokulturen. Dies gilt zum
Beispiel für Schilfbestände, Salzmarschen und Wasserpflanzenbestände in Seen und im Meer. Solche
aquatischen
Makrophyten
gehören
gleichzeitig
zu
den
produktivsten
Pflanzenbeständen
überhaupt.
Forschungen am Max-Planck-Institut für Limnologie, Plön, und dem Leibniz-Institut für Meeresw issenschaften
in Kiel hatten zum Ziel, diesen scheinbaren W iderspruch an Seegrasw iesen der w estlichen Ostsee aufzuklären
[2]. Solche W iesen bestehen ebenfalls meist nur aus einer so genannten Gründerart, von der, ganz ähnlich
den W äldern an Land, ein ganzes Ökosystem abhängt. In Ost- und Nordsee ist dies das Große Seegras
(Zostera marina), eine marine Blütenpflanze, w elche in Küstenzonen der gemäßigten Breiten die einzige Art ist,
die unterseeische W iesen ausbildet. Auf der Ebene von Arten besteht also keinerlei Redundanz im Falle eines
Verlustes von Z. marina-Populationen. Ganz im Gegensatz zur einartlichen Pflanzengemeinschaft ist die in den
W iesen lebende Fauna sehr vielgestaltig und besteht aus Kleinkrebsen, Jungfischen, Muscheln und Schnecken
(Abb. 1).
Se e gra swie se (Zoste ra m a rina ) in de r süd-we stliche n O stse e
(A) sowie typische Ve rtre te r wirbe llose r Tie re , die zwische n de n
Blä tte rn le be n: (B) Stra ndk ra bbe C a rcinus m a e na s (C )
Schwe bga rne le n Mysis spp. im Hinte rgrund, Me e re sa sse l
Idote a ba lthica frisst Aufwuchs de r Se e gra sblä tte r (P fe il).
© Ma x -P la nck -Institut für Lim nologie
Versteckte Vielfalt auf genetischer Ebene
Doch ist ein Seegrasbestand tatsächlich so uniform, w enn die Erbinformationen mit berücksichtigt w erden?
Molekulargenetische Marker ermöglichen es, durch einen ‚genetischen Fingerabdruck’ die Vielgestaltigkeit von
Individuen und Populationen auf DNA-Ebene zu messen. Durch das Vergrößerungsglas molekulargenetischer
Marker
ändert
sich
das
Bild
scheinbarer
Uniformität
drastisch.
Dann
sind
scheinbar
monotone
Seegrasbestände voller komplexer Diversität. Es lassen sich Bereiche mit zahlreichen einzigartigen Genotypen
(Klonen) von solchen unterscheiden, bei denen sich bestimmte, sehr erfolgreiche
Genotypen durch
natürlicherw eise ablaufende Klonierung über Rhizome (Erdsprosse) in der Fläche ausgedehnt haben (farbige
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natürlicherw eise ablaufende Klonierung über Rhizome (Erdsprosse) in der Fläche ausgedehnt haben (farbige
Bereiche in Abb. 2).
Das ursprüngliche Ziel eines Experimentes w ar es, im Freiland erstmalig die Ausw irkungen genotypischer
Dive rs itä t auf verschiedene Populationsparameter w ie Dichte und Biomasse zu ermitteln. Dazu stellten
Thorsten Reusch und seine Mitarbeiter kontrollierte Mischungen aus einem (Monokulturen), drei oder sechs
Genotypen zusammen und pflanzten sie im flachen Wasser einer geschützten Meeresbucht bei Maasholm
(süd-w estliche Ostsee) aus. Basis für die Experimente w ar eine große Klonkarte mit 30 x 30 (=900)
Probennahmepunkten in einem Raster direkt neben den geplanten Experimentalflächen (Abb. 2). Die
verbindenden Rhizome zw ischen Blattsprossen verrotten nach w enigen Monaten, Seegrasklone w erden
jedoch über 100 Jahre alt. Desw egen erfolgte die Identifizierung von Genotypen mit Hilfe von MikrosatellitenMarkern, die über die Polymerase-Kettenreaktion variable Bereiche im Erbgut sichtbar machen können.
Hocha uflöse nde Klonk a rte m it 31x 29 Gitte rpunk te n für da s
Große Se e gra s (Zoste ra m a rina ) in Ma a sholm , süd-we stliche
O stse e . Bla ttprobe n zur DNA-Ana lyse wurde n im Absta nd von
33,3 cm ge nom m e n. Ge notype n ode r Klone wurde n m ithilfe
de s P olym orphism us von ne un Mik rosa te llite n-Ma rk e rn
be stim m t. Gle iche Za hle n ge be n gle iche Multilok us-Ge notype n
a n. Die a cht größte n Ge notype n ink lusive de r im Ex pe rim e nt
ve rwa ndte n Klone (A-F) sind fa rbig e inge ze ichne t.
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Experimentelle Effekte genotypischer Diversität im Hitzejahr 2003
Das Experiment fiel jedoch in den extrem w armen Sommer 2003, der als Modelljahr für die vorhergesagte
Zunahme von klimatischen Extremereignissen im Rahmen von ‚global change’ dienen kann [3]. Im Flachw asser
der Ostsee
w urden Wassertemperaturen von über 25°C
gemessen, die
für viele
w interkalte
und
kaltgemäßigte Organismen an der Grenze der Temperaturtoleranz sind, so auch für Z. marina. Somit ergab sich
die einzigartige, ungeplante Möglichkeit, die Antw ort von Populationen auf die vorhergesagten klimatischen
Extremereignisse im Experiment zu verfolgen. Etw a die Hälfte der Seegraspflanzen starben ab. Erst im
Spätsommer erholten sich die Bestände, w obei sich die genotypisch diversen Experimentalflächen signifikant
schneller erholten [2], Abbildung 3. Auf die schnellere Erholung der Seegrasflächen reagierte auch die
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assoziierte Fauna von Krebsen, Schnecken und juvenilen Muscheln mit höheren Dichten, jedoch nicht mit einer
größeren Diversität. Auch sie zeigte deutlich höhere Dichten auf den genetisch vielfältigen Experimentalflächen
mit sechs Genotypen.
Ze itliche r Ve rla uf de r W a sse rte m pe ra ture n a m
Ex pe rim e nta lsta ndort Ma a sholm (A) sowie die Entwick lung de r
m ittle re n Sprossza hle n (± e in Sta nda rdfe hle r) in Abhä ngigk e it
von de r ge notypische n Dive rsitä t (B). Die W a sse rte m pe ra ture n
wurde n te ilwe ise dire k t a m Ex pe rim e nta lsta ndort ge m e sse n
ode r a be r a us Te m pe ra turda te n in ca . 50 k m Entfe rnung
be re chne t.
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Echte und ‚unechte’ Effekte genetischer Vielfalt
Die positive W irkung von genotypischer Diversität kann mit zw ei Hauptmechanismen zusammenhängen:
Selektionseffekten
und
Komplementarität.
Selektionseffekte
kommen
zustande,
w enn
in
diverseren
Mischungen aus statistischen Gründen solche Genotypen die Populationsleistung dominieren, die unter genau
den lokalen Bedingungen am besten w achsen. Da dies eine unausw eichliche Konsequenz verschieden großer
Stichproben von Genotypen ist, kann man hier schw erlich von einem Effekt von Vielfalt per se sprechen.
Komplementarität dagegen w ird oft auch als echter Diversitätseffekt bezeichnet, w eil hier die Leistung von
schw achen Genotypen durch die Anw esenheit anderer Genotypen verbessert w ird. Das Versuchsdesign von
Reusch und seinen Kollegen erlaubte es, zw ischen Selektionseffekten und Komplementarität zu unterscheiden
[4], denn alle Genotypen, die in Mischungen getestet w urden, lagen auch in Monokulturen vor. Da am Ende
des Experimentes auch die gesamten Versuchsflächen erneut genotypisiert w urden, konnte für jeden Genotyp
die relative Leistung in Monokultur und Mischung berechnet w erden. Die Ausw ertung zeigte, dass die positive
W irkung der Diversität ausschließlich auf Komplementarität zurückzuführen w ar, w ährend Selektionseffekte
sogar negativ für die gesamten Netto-Biodiversitätseffekte zu Buche schlugen. Negative Selektionseffekte
bedeuten, dass die Genotypen, die in Monokultur besonders leistungsfähig sind, in den Mischungen eine
unterdurchschnittliche Entw icklung zeigten und sich deutlich langsamer von der Hitzew elle erholten.
Vereinheitlichung ökologischer Theorie
Die neuen Erkenntnisse vereinheitlichen ökologische Theorien. Die Experimente zeigen, dass genotypische
Diversität eine ähnliche Funktion übernehmen kann w ie Artendiversität in Lebensräumen, die mehrere
strukturbestimmende Arten haben. Damit löst sich das scheinbare Paradox von den stabilen und produktiven
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Monokulturen
von
Seegräsern,
Schilf
und
Salzmarschen
auf.
Ob
sich
Genotypen
innerhalb
von
monodominanten Arten genauso deutlich unterscheiden w ie Arten in artenreicheren Lebensgemeinschaften ist
eine sich logisch anschließende Frage, die gerade experimentell bearbeitet w ird. Die Erkenntnisse zur
positiven W irkung genetischer Diversität sollten auch eine zusätzliche Motivation sein, im angew andten Naturund Artenschutz nicht allein die Artenvielfalt zu erhalten, sondern gerade auch bei w ichtigen Gründerarten w ie
dem Seegras die genetische Ebene der Biodiversität zu schützen. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass
genetische Diversität natürlich auch für etw aige evolutive Veränderungen von Populationen als Antw ort auf
sich ändernde Umw eltbedingungen eine entscheidende Voraussetzung ist.
Originalveröffentlichungen
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[1] Loreau, M., S. Naeem and P. Inchausti, Eds.:
Biodiversity and ecosystem functioning: synthesis and perspective
Oxford University Press, Oxford, UK (2002).
[2] Reusch, T. B. H., A. Ehlers, A. Hämmerli and B. Worm:
Ecosystem recovery after climatic extremes enhanced by genotypic diversity.
Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 102, 2826-2831 (2005).
[3] Schär, C., P. L. Vidale, D. Lüthi, C. Frei, C. Häberli, M. A. Liniger and C. Appenzeller:
The role of increasing temperature variability in European summer heatwaves
Nature 427, 332-335 (2004).
[4] Loreau, M. and A. Hector:
Partitioning selection and complementarity in biodiversity experiments
Nature 412,72-76 (2001).
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