Swiss Medical Forum 11/2015

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SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero
Swiss
Medical Forum
11 11. 3. 15
251 Chronische Niereninsuffi­
zienz: Welche Therapien
können die Progression
wirksam verlangsamen?
A. D. Kistler, R. P. Wüthrich
257 Seltene Differentialdia­
gnose einer symptomatischen
Splenomegalie
M. Zürcher, L. Klippgen,
M. M. Bühler, et al.
260 Fettemulsion als Antidot
bei einer Mischintoxikation:
Fett für einmal gesund
C. Degrandi, A. Winter,
A. Dullenkopf, C. Reichert
With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly”
242 Auf der Suche nach
dem Wurm: Parasiten des
Gastrointestinaltraktes
S. Majer, A. Neumayr
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Organe officiel de la FMH pour la formation continue www.medicalforum.ch
Bollettino ufficiale per la formazione della FMH www.medicalforum.ch
INHALTSVERZEICHNIS
239
Redak tion
Beratende Redaktoren
Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Bern (Chefredaktor); Dr. Nadja Pecinska,
Prof. Dr. Reto Krapf, Luzern; Prof. Dr. Ludwig T. Heuss, Zollikerberg;
Basel (Managing editor); Prof. Dr. Martin Krause, Münsterlingen;
Dr. Pierre Périat, Basel
Prof. Dr. Klaus Neftel, Bern; Prof. Dr. Rolf A. Streuli, Langenthal;
Prof. Dr. Antoine de Torrenté, La Chaux-de-Fonds; Prof. Dr. Gérard
Waeber, Lausanne
Advisory Board
Dr. Sebastian Carballo, Genève; Dr. Daniel Franzen, Zürich;
Dr. Francine Glassey Perrenoud, La Chaux-de-Fonds;
Dr. Markus Gnädinger, Steinach; Dr. Matteo Monti, Lausanne,
Dr. Ryan Tandjung, Zürich
Und anderswo …?
A. de Torrenté
241
Nichtsteroidale Antirheumatika und Antikoagulation bei Vorhofflimmern: Gefahr?
Übersichtsartikel
S. Majer, A. Neumayr
242
Auf der Suche nach dem Wurm: Parasiten des Gastrointestinaltraktes Dieser Artikel ist als
Hilfestellung im praktischen Alltag gedacht. Wann ist es sinnvoll, nach einer intestinalen Parasitose zu
suchen? Welche anamnestischen Angaben sind dabei hilfreich und welche Unter suchungsmethoden
führen am ehesten ans Ziel?
A. D. Kistler, R. P. Wüthrich
251
Chronische Niereninsuffizienz: Welche Therapien können die Progression wirksam
verlangsamen? Es existieren nur sehr wenige Therapieansätze zur Progressionshemmung chronischer
Nierenerkrankungen, die gut evidenzbasiert sind. Das am besten belegte Mittel zur Progressionshemmung bei Patienten mit Albuminurie besteht in einer antiproteinurischen Therapie mit ACE-Hemmern
oder Angiotensinrezeptorblockern.
Das kompakte Nephrologie-Handbuch
Patricia Hirt-Minkowski
Handbuch Nephrologie
Ein Leitfaden
147 Seiten mit 7 Abbildungen,
5 Tabellen, 15 Grafiken. Broschiert.
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EMH Schweizerischer Ärzteverlag
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Weitere Informationen finden Sie unter
www.emh.ch in der Rubrik «Bücher».
Die Betreuung von nierenkranken Patienten bedeutet im klinischen Alltag oft eine Herausforderung.
Dies hat die Autorin angespornt, im Rahmen ihrer damaligen Tätigkeit am Regionalspital in Burgdorf im
Jahre 2004 ein Nephrologie-Handbuch zu schreiben, das sich an die im Spital tätigen Assistenzärzte in der internistischen
Ausbildung richtete. Aufgrund des grossen Interesses ist 2007 bereits die zweite, überarbeitete Auflage erschienen.
Die vorliegende dritte Auflage wurde umfassend inhaltlich aktualisiert, um den neuen Erkenntnissen und Behandlungsfortschritten
in der Nephrologie gerecht zu werden. Alle Kapitel wurden überarbeitet und durch neue Tabellen, Abbildungen und Algorithmen
ergänzt. Das Nephrologie-Handbuch bietet eine kompakte und praxisorientierte Hilfestellung bei der Behandlung von Patienten
mit Nierenkrankheiten.
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www.emh.ch, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, CH-4132 Muttenz
INHALTSVERZEICHNIS
240
Fallberichte
M. Zürcher, L. Klippgen, M. M. Bühler, E. Bächli, G. A. Melcher
Linksseitige Oberbauchschmerzen und Milzzysten: Seltene Differentialdiagnose einer
symptomatischen Splenomegalie Das zystische Lymphangiom (ZL) ist eine gutartige Missbildung
257
der lymphatischen Gefässe. In der überwiegenden Anzahl der Fälle ist es im Haut- und Subkutangewebe
der Kopf- oder Halsregion bzw. der Achselhöhlen lokalisiert.
C. Degrandi, A. Winter, A. Dullenkopf, C. Reichert
Fettemulsion als Antidot bei einer Mischintoxikation: Fett für einmal gesund Die intra-
260
venöse Lipidemulsion als Rescue-Therapie hat sich bei lebensbedrohlicher Kardiotoxizität durch Lokalanästhetika etabliert.
Extended abstracts from SMW
New articles from the online journal “Swiss Medical Weekly” are presented after page 262.
Neurowissenschaftliche Bestätigung empirischer Evidenz sowie wachsende Bedeutung von Epigenetik
Die modernen Neurowissenschaften beeindrucken durch ihre neuen Erkenntnisse über das Hirn,
über das neurobiologische Geschehen, welches Denken, Fühlen, Tun begleitet. Strukturen und
Funktionen der Hirnzellen und ihrer Verknüpfungen (Konnektivität) sind wandelbar.
Ernst Gemsenjäger
Neurowissenschaften und Chirurgie
Über das Hirn des Chirurgen und sein Wachstum
Mit einem Vorwort von Gottfried Schatz
2014. 68 Seiten. Mit zahlreichen farbigen
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EMH Schweizerischer Ärzteverlag
Lernen, Erleben, Erfahrung erweitern die messbare Ausstattung mit Neuronen, Synapsen, Vernetzungen, Schaltkreisen;
man spricht von Plastizität, Formbarkeit, adaptiver Wachstumsfähigkeit der Strukturen und Funktionen des Hirns. Das muss
den Chirurgen, homo sapiens et faber, interessieren: Klinisches Können, Wissen, wie auch manuelle, operative Fertigkeit
sind Leistungen des Hirns. In Analogie zu anderen, neurophysiologisch untersuchten Akteuren muss der Chirurg sehr viel üben,
zuschauen, mittels seiner Spiegelneuronen virtuell mitoperieren, um operative Kompetenz zu erlangen.
Weitere Informationen finden Sie unter
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ten Medikamente verglichen werden.
Herstellung: Schwabe AG, Muttenz,
www.schwabe.ch
Titelbild:
© Otis Historical Archives of “National
Museum of Health & Medicine” (OTIS
Archive 1)
UND ANDERSWO …?
241
Und anderswo …?
Antoine de Torrenté
Nichtsteroidale Antirheumatika und
Antikoagulation bei Vorhofflimmern:
Gefahr?
Fragestellung
Antikoagulation ist der Goldstandard zur Prävention bei Patienten mit Vorhofflimmern
(VHF) nach einer Beurteilung ihres thromboembolischen Risikos. Der Preis dafür ist ein
erhöhtes Blutungsrisiko, welches anhand des
HAS-BLED-Score beurteilt wird. Ein Kriterium
ist u.a. die Einnahme von Nichtsteroidalen
Antirheumatika (NSAR). Wie hoch ist das Blutungsrisiko von Patienten mit VHF, die neben
der Antikoagulation NSAR erhalten, welche
grossflächig verschrieben und eingenommen
werden?
Methode
In Dänemark erhält jeder Einwohner bei seiner Geburt eine persönliche Identifikationsnummer, die er sein Leben lang behält. So erhält man auf einfachem Wege Informationen
über Spitaleinweisungen und Medikamentenverschreibungen (Art, Dosierung, Einnahmedauer). Auch die primären oder sekundären Todesursachen sind abrufbar. In die
Studie wurden alle Patienten älter als 30 Jahre
eingeschlossen, die von 1997 bis 2011 erstmalig mit der Diagnose VHF ins Spital eingewiesen worden waren. Zusätzlich wurden die
Medikamentenfreisetzende Stents:
12- oder 30-monatige Thrombozytenaggregationshemmung?
Nach der Implantation eines medikamentenfreisetzenden Stents wird eine duale Thrombozytenaggregationshemmung zur Verhinderung einer Stent-Thrombose verordnet. Im
Allgemeinen wird diese ein Jahr lang fortgesetzt. Nach einjähriger Behandlung mit Azetylsalizylsäure plus Clopidogrel oder Prasugrel wurde bei fast 10 000 Patienten entweder
die duale Medikation oder ausschliesslich die
Azetylsalizylsäure -Einnahme fortgesetzt.
Nach 30 Monaten waren in der Kombinationsbehandlungsgruppe 0,4% Stent-Thrombosen
gegenüber 1,4% in der Gruppe mit alleiniger
Azetylsalizylsäure-Einnahme aufgetreten.
Der Preis: mässige bis schwere Blutungen bei
2,5% der Patienten unter Kombinationsbehandlung gegenüber 1,6% unter Azetylsalizylsäure allein. Eine schwierige Wahl …
Mauri L, et al. N Engl J Med. 2014;371:2155.
Verschreibungen von Azetylsalizylsäure, Clopidogrel, Vitamin-K-Antagonisten und NSAR
analysiert. Dabei wurde zwischen COX2-Hemmern und anderen NSAR unterschieden. Eine hohe NSAR-Dosis war wie folgt definiert: Ibuprofen (1200 mg/Tag), Diclofenac
(100 mg/Tag), Naproxen (500 mg/Tag), Rofecoxib (25 mg/Tag) und Celecoxib (200 mg/
Tag). Es wurde eine mindestens 30-tägige
gleichzeitige Medikation mit NSAR und Antikoagulantien berücksichtigt. Primärer Endpunkt war eine schwere Blutung, die eine Spitaleinweisung erforderte, oder der Tod. Sekundärer Endpunkt war eine Spitaleinweisung
oder Tod infolge eines thromboembolischen
Ereignisses.
Resultate
Es wurden 150 900 Patienten mit VHF und einem Durchschnittsalter von 75 Jahren eingeschlossen, 47% waren Frauen. 53 700 erhielten
während eines medianen Follow-up von
6,2 Jahren ein NSAR. Bei 11,4% trat eine
schwere Blutung auf und bei 13% ein
thromboembolisches Ereignis. Nach einem
dreimonatigen Follow-up betrug das absolute
Risiko für eine schwere Blutung nach 14-tägiger NSAR-Einnahme für alle NSAR-Arten
3,5/1000 gegenüber 1,5/1000 Patienten ohne
NSAR-Einnahme (Risikoverhältnis HR 2,27).
Eine NSAR-Einnahme über der Mindestdosierung war selbst bei einer Kurzzeitanwendung
Ebola und Sex
Männer, die eine Ebola-Infektion überlebt
haben, sollten laut WHO-Bericht drei Monate
lang keinen ungeschützten Geschlechtsverkehr ausüben. Denn trotz klinischer Heilung
ist das Virus noch 82 Tage lang im Sperma zu
finden. Äusserst merkwürdig, da es im Blut
nicht nachweisbar ist …
Physician’s First Watch. 2014; December 1.
Adipositas und Lebenserwartung:
unerfreulich
Eine validierte in «Lancet Diabetes and Endocrinology» erschienene Modellrechnung hat
ergeben, dass übergewichtige Menschen im
Vergleich zu Personen mit normalem BMI
durchschnittlich eine um 2,7 Jahre, adipöse
Menschen eine um 5,9 und stark adipöse
Menschen eine um 8,4 Jahre geringere Lebenserwartung haben. In Bezug auf die verlorenen gesunden Lebensjahre waren die
Zahlen noch erschreckender. Sie wurden
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(11):241
von 14 Tagen mit einem deutlich höheren Risiko assoziiert. Auch das Risikoverhältnis für
thromboembolische Ereignisse war mit 1,36
signifikant erhöht.
Probleme
Es handelt sich um eine Beobachtungsstudie,
weshalb kein kausaler Zusammenhang nachweisbar ist.
Kommentar
Am häufigsten traten mit einem Risikoverhältnis von 3,54 gastrointestinale und mit einem
Risikoverhältnis von 1,22 intrakranielle Blutungen auf. Folglich kam es bei einem von 400 bis
500 Patienten nach 14-tägiger NSAR-Einnahme
zu einer schweren Blutung mit erhöhtem Risiko bei Diclofenac (Voltaren®) und Naproxen
(Apranax®). Die Verschreibung von NSAR plus
Antikoagulans hatte zudem ein erhöhtes
thromboembolisches Risiko, insbesondere bei
Patienten mit hohem CHA2DS2-VASC-Score, zur
Folge. Es ist wirklich bemerkenswert, welche
interessanten epidemiologischen Daten das
dänische Gesundheitssystem seit einigen Jahren dank seines Bürgerregistrierungssystems
zur Verfügung stellt. Fazit: Die Verschreibung
von NSAR für Patienten unter Antikoagulantien sollte aufgrund der obigen Daten mit äusserster Vorsicht erfolgen …
Lamberts M, et al. Ann Intern Med. 2014:161:690.
anhand eines Patientenkollektivs bestehend
aus 4000 Personen, ohne Diabetes oder kardiovaskuläre Erkrankungen bei Studieneinschluss, berechnet.
Physician’s First Watch. 2014; December 5.
Messung der fraktionellen Flussreserve
Die FDA hat eine neue Technologie zur Messung der Koronarflussreserve zugelassen. Dabei handelt es sich um eine Koronar-CT-Software. Mit der neuen Methode konnten 84%
der bei einer herkömmlichen Katheteruntersuchung sichtbaren Läsionen korrekt festgestellt werden, die eine Katheterbehandlung
erfordern, und 86%, die keine Katheterbehandlung erfordert hätten. Sollten sich diese
Resultate bestätigen, bleibt nur zu hoffen,
dass die Software schnell verfügbar ist …
Physician’s First Watch. 2014; December 1.
ÜBERSICHTSARTIKEL
242
Auf der Suche nach dem Wurm
Parasiten des
Gastrointestinaltraktes
Sabine Majer a , Andreas Neumayr b,c
a
Infektiologie Medizinische Klinik Kantonsspital Münsterlingen; b Schweizerisches Tropen- und Public Health Institut; c Universität Basel
Quintessenz
• Parasitosen des Darmes werden durch Protozoen und Helminthen ver© Otis Historical Archives of “National Museum of Health
& Medicine” (OTIS Archive 1)
ursacht; meist handelt es sich um Zoonosen.
• Im Gegensatz zu bakteriellen Zoonosen sind parasitäre Darmerkrankungen bei uns selten; in Entwicklungsländern dagegen verursachen Darmparasiten häufig gesundheitliche Probleme.
• Durch die grössere globale Mobilität werden auch in unseren Breitengraden gelegentlich exotische Parasiten gefunden.
• Chronisch-rezidivierende Stuhlunregelmässigkeiten können durch
Protozoen verursacht sein, meist Giardien und Cryptosporidien; nach
Auslandaufenthalt auch durch Amöben und Nematoden.
• Bei Eosinophilie nach Aufenthalt in einem Entwicklungsland sollte nach
Parasiten gesucht werden.
• Für den Nachweis einer parasitären Erkrankung braucht es korrekt abgenommenen Stuhl, genügend Material und eine Blutabnahme zum
richtigen Zeitpunkt.
• Die Therapie sollte sich auf einen Erregernachweis stützen.
• Eine routinemässige Therapie asymptomatischer Reiserückkehrer ist
nicht sinnvoll.
Einleitung
Angaben sind dabei hilfreich und welche Untersuchungsmethoden führen am ehesten ans Ziel? Auf
In unserem Medizinalltag haben wir es mehr und
vier der häufigsten Problemstellungen soll besonders
mehr mit parasitären Erkrankungen zu tun, die wir
eingegangen werden: Reiserückkehrer und Langzeit-
bis anhin weit weg in tropischen oder subtropischen
aufenthalter, Migranten, Immunsupprimierte und die
Ländern wähnten. Grund dafür sind häufigere Aus-
primäre Präsentation einer parasitären Erkrankung
landreisen, globale Migration, schnelle Transport-
als Eosinophilie.
wege für frische Nahrungsmittel und klimatische Veränderungen [1–3]. Nicht alle parasitären Erkrankungen
Sabine Majer
Andreas Neumayr
des Magen-Darm-Traktes aber sind importiert. Die
Häufigkeit parasitärer Erkrankungen
Nähe von Mensch und Tier macht es auch bei uns
Es ist schwierig, in unseren Breiten die Häufigkeit
möglich, dass sich Erreger in unseren Körper verirren,
sowohl importierter als auch lokal erworbener parasi-
die ihren Entwicklungszyklus eigentlich an einen an-
tärer Erkrankungen abzuschätzen, da Surveillance-
deren Wirt angepasst haben. Bei parasitären Infektio-
Datenbanken in der Regel auf akute Ausbrüche abzie-
nen des Menschen handelt es sich oft um sogenannte
len und nicht die wahre Prävalenz widerspiegeln. Die
Zoonosen, um Krankheiten also, die zwischen Mensch
meisten Parasitosen sind nicht meldepflichtig und
und Tier übertragen werden können. Verursacht wer-
werden auch durch Routineuntersuchungen im Labor
den sie durch Protozoen (Einzeller) oder Helminthen
nicht erfasst. Grundsätzlich aber sind Infektionen
(Nematoden, Cestoden, Trematoden).
durch Parasiten bei uns von geringer epidemiologi-
Dieser Artikel ist als Hilfestellung im praktischen
scher Relevanz, ganz im Gegensatz zu bakteriellen
Alltag gedacht. Wann ist es sinnvoll, nach einer intes-
Zoonosen. Sie gewinnen aber an Bedeutung in Aus-
tinalen Parasitose zu suchen? Welche anamnestischen
bruchsituationen und sind nicht zu vernachlässigen
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(11):242–250
ÜBERSICHTSARTIKEL
243
bei Risikopopulationen wie Immunsupprimierten,
Baden in Bergbächen, Weihern oder in öffentlichen
Kindern, Reiserückkehrern und Migranten.
Schwimmbädern kann die Quelle für eine Infektion
durch Lamblien oder Cryptosporidien sein.
Epidemiologie
Sind andere Familienmitglieder erkrankt, andere
Stellt sich die Frage nach einer Parasitose, ist detektivi-
Mitreisende oder vielleicht das Haustier? Lebt der
sches Gespür wichtig. Anamnestische Angaben können
Patient in engem Kontakt zu Tieren oder ist er beruflich
richtungsweisend sein und helfen, die Diagnostik auf
einem Risiko ausgesetzt?
ein ökonomisch vertretbares Minimum einzuschrän-
Mensch-zu-Mensch- und Tier-zu-Mensch-Übertragun-
ken. Es gilt insbesondere, parasitäre Infektionen von
gen sind häufig der Ursprung von Infektionen, insbe-
anderen Ursachen abzugrenzen, wie:
sondere bei Oxyuren, Cryptosporidien oder Giardien.
– bakteriellen Infektionen;
Und auch die Übertragung auf dem sexuellen Weg ist
– Antibiotika-assoziierter Diarrhoe;
möglich, insbesondere durch anale Praktiken.
– Nahrungsmittelunverträglichkeit;
– Laktoseintoleranz;
– Reizdarm nach durchgemachter Durchfallerkrankung;
Erregerspektrum und klinische
Präsentation
– Zöliakie;
Grundlegend für die Ausprägung der Symptomatik
– anderen entzündlichen Darmerkrankungen und
sind die Virulenz des Erregers, das Alter des Betroffenen und sein Immunstatus. Manche Parasiten sind
Malignomen.
Parasiten gelangen über kontaminierte Nahrungs-
typische Opportunisten, die beim Immungesunden
mittel, verschmutztes Trinkwasser oder direkt fäkal-
harmlos sind, für Abwehrschwache aber fatal sein
oral in den Magen-Darm-Trakt. Es ist deshalb wichtig,
können.
nach den Ernährungsgewohnheiten und kulinari-
Die Beschwerden, die ein Erreger verursacht, hängen
schen Vorlieben des Patienten zu fragen und seinen
davon ab, welchen Darmabschnitt er besiedelt, um-
sozioökonomischen Hintergrund zu kennen.
gekehrt lässt die Symptomatik auf den Verursacher
rückschliessen. Die Tabelle 2 trägt diesem Aspekt
Wurden Nahrungsmittel wie nicht oder ungenügend
Rechnung.
gekochtes Fleisch, Fisch, Schnecken, Krebse, Amphibien
oder Wasserpflanzen konsumiert (Tab. 1)?
Protozoen
Im asiatischen Raum beispielsweise ist es üblich,
Mehrere Erreger aus dieser Gruppe können zu akuter
rohen Fisch und frische Wasserpflanzen zu essen. Die
wässriger Diarrhoe führen und sind nicht selten für
Folge davon kann eine Infektion sein, ausgelöst
relevante Ausbrüche durch kontaminiertes Wasser
durch Anisakis, Gnathostoma, den Fischbandwurm
oder Nahrungsmittel verantwortlich. Die Sym-
Diphyllobothrium latum oder Darm- und Leberegel.
ptomatik ist nicht von bakteriellen Infektionen zu
Bei Konsum von Fleischprodukten aus privater
unterscheiden; sofern sie selbstlimitierend verläuft,
Schlachtung ohne Fleischbeschau oder Wildfleisch
ist kein Erregernachweis notwendig, es sei denn
besteht das Risiko einer Trichinellose oder Taeniasis.
aufgrund einer epidemiologischen Fragestellung.
Kontaminiertes Wasser auf Bergwanderungen, beim
Im Jahr 2012 waren 0,7% der in Europa registrierten
Ausbrüche durch Protozoen verursacht, meist Cryptosporidien und Lamblien [3–6]. Beide Erreger kön-
Tabelle 1: Risiken durch Wasser und Nahrungsmittel (roh oder ungenügend gekocht).
nen neben den selteneren Cyclospora und Microspori­
dia auch zu chronischen Darmbeschwerden führen,
Kontaminiertes, ungefiltertes Wasser
Cryptosporidia, Giardia, Cyclospora, Toxoplasma etc.
Süsswasserkontakt, Tropen
Schistosomiasis
Rohes Gemüse, Salat
Cryptosporidia, Giardia, Cyclospora, Ascaris,
Trichuris, Taenia
(s. Abschnitt Immunsupprimierte). Tritt die Symptomatik nach einer Reise auf, kommen zusätzlich Amö-
mit intermittierender Diarrhoe, Flatulenz, Appetitlosigkeit und Malabsorption über Wochen. Die Erkrankung kann bei Immunsuppression schwer verlaufen
Fleisch
Taenia, Trichinella
Süsswasserfisch
Fischbandwurm, Darm- und Leberegel
ben als Auslöser in Frage. Die Amöbe Entamoeba histo­
Salzwasserfisch
Anisakis, Fischbandwurm
lytica, die mikroskopisch nicht von der apathogenen
Schnecken
Kleine Trematoden
Entamoeba dispar zu unterscheiden ist, ist aus klini-
Flusskrebse
Lungenegel (Paragonimus)
Wasserpflanzen
Darm- und Leberegel, andere Trematoden
scher Sicht ein Tausendsassa. Sie kann den Darm
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(11):242–250
asymptomatisch besiedeln, zu milder Diarrhoe oder
ÜBERSICHTSARTIKEL
244
Tabelle 2: Parasiten, Symptomatik, Diagnostik und Therapie.
Protozoa/Einzeller
Darmabschnitt, Organ
Klinik
Betroffene, Vorkommen
Entamoeba histolytica,
Amöbe
Kolon, extraintestinal
asymptomatische Zystenausscheider
weltweit, vorwiegend Tropen, Subtropen,
Entwicklungsländer
leichte bis mässige Darmbeschwerden,
blutige Dysenterie, toxisches Megakolon,
Abszesse
Cryptosporidia sp.
Dünndarm, intrazellulär
akute wässrige Diarrhoe, Gastroenteritis,
evtl. Fieber, Gewichtsverlust, selbstlimitiert; prolongiert bei Immunsuppression
weltweit; Immungesunde, prolongiert
bei Immunsuppression und Kleinkindern
Cyclospora
cayatenensis
Dünndarm, anhaftend
explosionsartige Durchfälle, selbstlimitiert (1–3 Wo), Blähungen, Krämpfe,
Übelkeit, Appetit- und Gewichtsverlust,
grippale Symptomatik, Fieber
Tropen, Subtropen; Immungesunde,
prolongiert bei Immunsuppression
Giardia lamblia
oberer Dünndarm,
Gallenweg, Gallenblase
asymptomatische Zystenausscheidung,
akute Diarrhoe, chronische Stuhlunregelmässigkeiten mit Blähungen, übelriechendem Stuhl, Malabsorption
weltweit; Kinder schwerer betroffen
Cytoisopora belli
Dünndarm, intrazellulär
akute wässrige Diarrhoe, selbstlimitiert,
prolongiert bei Immunsuppression;
selten Eosinophilie, reaktive Arthritis
Tropen, Subtropen; Immungesunde,
schwerer bei Immunsuppression, Kindern,
älteren Patienten
Microsporidia
Dünndarm, intrazellulär
chronische Diarrhoe, Übelkeit, Gewichtsverlust, selten Cholangitis, Cholezystitis
weltweit; Immunsuppression, sehr selten
bei Immungesunden
Blastocystis hominis
Dünndarm, intrazellulär
fakultativ pathogen, asymptomatische
Zystenausscheidung häufig; selten
wässrige Diarrhoe, Gastroenteritis,
Blähungen, Urticara
Tropen, Subtropen, Entwicklungsländer;
Immungesunde, prolongiert bei Immunsuppression
Dientamoeba fragilis
Zökum,
Colon ascendens
fakultativ pathogen, asymptomatische
Zystenausscheidung häufig; selten
wässrige Diarrhoe, Gastroenteritis,
Reisediarrhoe, Eosinophilie
weltweit, v.a. Entwicklungsländer;
Reiserückkehrer
aber zu blutiger Dysenterie und durch Invasion zu Ab-
beschwerden und Malabsorption in Entwicklungs-
szessen, meist in der Leber, führen. Die beiden Einzel-
ländern. Ihr Einfluss auf die Entwicklung von Kindern
ler Blastocystis hominis und Dientamoeba fragilis gel-
in diesen Weltregionen ist riesig.
ten primär als apathogen, resp. fakultativ pathogen.
Das Besondere am Zwergfadenwurm Strongyloides ist
Eine asymptomatische intestinale Kolonisierung wird
seine Fähigkeit der Autoinfektion. Ohne notwendiges
häufig nach Auslandsaufenthalten gesehen.
Entwicklungsstadium ausserhalb des Wirtes durchbrechen Larven des Erregers aufs Neue die Darm-
Helminthen
wand und unterhalten eine chronische, potentiell
lebenslange Infektion. Der Wirt spürt meist nichts
Nematoden (Fadenwürmer)
davon. Durch eine erworbene Abwehrschwäche aber
Eine Infektion durch Nematoden verläuft entweder
kann es noch Jahre nach der Emigration zu einer
asymptomatisch, führt zu chronischen Darmbe-
gefährlichen Reaktivierung kommen (s. Abschnitt
schwerden mit Malabsorption und Gewichtsverlust,
Immunsupprimierte).
einer Anämie oder aber, wie bei Amöben, zu einer
Die erwähnten Nematoden werden durch Reisende
blutigen Dysenterie. Für letztere typisch ist der Peit-
oder Langzeitaufenthalter selten einmal importiert
schenwurm Trichuris trichuria, der seinen Kopf in die
und können chronische Darmbeschwerden verursa-
Wand von Ileum und Zökum bohrt. Trichuris und die
chen. Auch ein Löffler-Syndrom oder Katayama-Fie-
Hakenwürmer Ancylostoma duodenale und Necator
ber durch die frühe Migration von Larven wird gele-
americanus (engl. hookworm) sind oft ursächlich für
gentlich beobachtet (s. Abschnitt Eosinophilie).
eine Anämie bei Migranten. Zusammen mit Strongy­
Der kleine bei uns heimische Nematode Enterobius
loides stercoralis und Ascaris lumbricoides sind sie
vermicularis, verantwortlich für die Oxyuriasis, führt
verantwortlich für eine Vielzahl chronischer Darm-
nächtlich zu perianalem Juckreiz, selten zu einer Ap-
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Diagnose
Therapie
Bemerkungen
Stuhl nativ, max. 36 h alt: PCR oder
Antigen-Nachweis, Serologie bei
V. a. Abszess
Paromomycin 3× 500 mg/d à 7–10 d oder
Diloxanide furoate 3× 500 mg/d à 10 d
mikroskopisch nicht zu unterscheiden von apathogener
E. dispar und E. moshkovskii
Metronidazol 3× 750 mg/d à 7–10 d,
danach Paromomycin 3× 500 mg/d à 7–10 d
Abszessdrainage selten not wendig, indiziert bei NichtAnsprechen auf medikamentöse Therapie, Gefahr einer
Ruptur oder Perforation in andere Organe
Stuhl nativ: PCR oder AntigenNachweis, SAF: Mikroskopie mit
Spezialfärbung
Paromomycin 3× 500 mg à 7 d, alternativ Nitazoxanid 2× 500 mg/d à 3 d, längere Therapiedauer
und höhere Dosierungen bei HIV
Therapie bei Immunsuppression schwierig, wirklich
effizient ist nur HAART. Oozyten sind Chlor-resistent,
schwierig zu filtern
SAF: Mikroskopie mit Spezialfärbung
TMP/SMX 160/800 mg 2× 1/d à 7–10 d, alternativ:
Ciproxin 2× 500 mg/d à 7 d; Immunsupprimierte:
4× 1/d à 14 d, dann Suppression mit 3× 1/Wo +
HAART
kommt nur beim Menschen vor, Import mit Nahrungsmitteln
Stuhl nativ, Duodenalsaft, Galle:
Antigen-Nachweis, SAF: Mikroskopie
Metronidazol 3× 500 mg/d à 7 d, alternativ:
Tinidazol 2 g ED, Ornidazol 500 mg 2× 1/d à 5 d
SAF: Mikroskopie mit Spezialfärbung
TMP/SMX 160/800 mg 2× 1/d à 7–10 d, alternativ:
Ciprofloxacin 2× 500 mg/d à 7 d; Immunsupprimierte: 4× 1/d à 14 d, dann Suppression mit
3× 1/Wo + HAART
Stuhl nativ, Biopsie, Punktat: PCR
oder Mikroskopie mit Spezialfärbung,
Serologie
Albendazol 2× 400 mg/d à 21 d, HIV:
2× 400 mg/d bis CD4 >200
Stuhl nativ: Mikroskopie
TMP/SMX 160/800 mg 2× 1/d à 7 d, alternativ:
Metronidazol 3× 500 mg/d à 7 d, Nitazoxanid
2× 500 mg/d à 3 d
Stuhl nativ: Mikroskopie
Ornidazol 2 g ED, alternativ: Paromomycin
3× 500 mg/d à 7–10 d, Metronidazol
3× 500–750 mg/d à 10 d, Iodoquinol
3× 650 mg/d à 20 d
pendizitis. Bei Kindern kann er durch Appetitlosig-
kommt nur beim Menschen vor, hohe Rezidiv-Rate
Ziel der Therapie: Beschwerdefreiheit, Eradikation
schwierig
merken. Auch der bei uns sporadisch zu Infektionen
keit zu einer Wachstumsretardierung führen. Der
führende Fischbandwurm Diphyllobotrium latum ist
Mensch ist einziger Wirt, und nicht selten wird der
kaum symptomatisch. Zysten von Taenia solium
kleine Wurm innerhalb von Familien oder Institutio-
können aber zu einer Entzündung im umgebenden
nen weitergegeben.
Gewebe führen, besonders im ZNS (Epilepsie, Hirn-
Die Trichinellose wird ebenfalls, wenn auch selten,
druck). Diese sogenannte Zystizerkose kommt durch
in unseren Breitengraden gesehen, insbesondere
die orale Aufnahme von Eiern zustande und nicht
nach Verzehr von Wildfleisch (Tab. 1). Die Invasion
über infiziertes Fleisch. Meist ist aber auch diese
der Muskulatur durch die Larven des Parasiten (Tri-
Form der Infektion asymptomatisch.
chinen) führt zu einer akuten inflammatorischen Reaktion mit Eosinophilie, Fieber, periorbitalem Ödem
Trematoden (Saugwürmer, Egel, engl. flukes)
und Muskelschmerzen. Durch die obligatorische
Den grossen Leberegel Fasciola hepatica findet man in
Fleischuntersuchung wird die Trichinellose in der
unseren Breitengraden in der Leber von Schafen und
Schweiz allerdings kaum mehr beobachtet; der Haus-
Rindern. Der adulte Saugwurm wird bis zu 3 cm gross
schweinebestand gilt als Trichinen-frei (BAG).
und besiedelt vorzugsweise die Gallenwege. Innerhalb Europas gelten vor allem Spanien, Portugal und
Cestoden (Bandwürmer)
Frankreich als Endemiegebiete. Autochthone Fälle
Die Bandwürmer Taenia solium und Taenia saginata
werden aber sporadisch in fast allen europäischen
sind weltweit verbreitet und führen trotz ihrer
Staaten inklusive der Schweiz gemeldet. Die Infek-
Grösse nur selten oder gar nicht zu Symptomen. Be-
tion des Menschen erfolgt durch kontaminiertes
troffene suchen meist erst dann den Arzt auf, wenn
Trinkwasser oder typischerweise durch den Verzehr
sie Segmente (Proglottiden) des Wurms im Stuhl be-
von Wasserpflanzen. Die invasive Frühphase der In-
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fektion (Leberparenchympassage) ist durch die Trias
Herkunftsort und auf dem Weg nach Europa: deso-
aus Fieber, rechtsseitigen Oberbauchschmerzen und
lates Gesundheitssystem in der Heimat, lange Reise
ausgeprägter Eosinophilie charakterisiert. Einmal
unter schwierigen Bedingungen, Mangelernährung
ausgewachsen und in den Gallengängen eingenistet,
und Anämie sowie Koinfektionen, welche die Abwehr
verursacht der Wurm kaum Symptome, kann aber
schwächen. Häufigste Erreger sind Trichuris, Ascaris,
durch Obstruktion und Entzündung der Gallenwege
Giardia lamblia und Blastocystis hominis, Entamoeba
zu Problemen führen.
histolytica/dispar sowie Hakenwürmer. Bei Migranten
Die Pärchenegel Schistosoma mansoni und Schisto­
aus tropischen und subtropischen Regionen finden
soma japonicum/mekongi können in der Phase der Ei-
sich zudem oft Strongyloides stercoralis, und viele
ablage bei Nicht-Immunen, also auch bei Reisenden,
Menschen aus Subsahara-Afrika sind mit Schistoso-
zu einer akuten Entzündungsreaktion mit Eosino-
men infiziert.
philie führen (Katayama-Fieber, s. Abschnitt Eosino­
Trotz der hohen Prävalenz leiden die Betroffenen oft
philie). Die adulten Würmer nisten sich in den Venen
kaum unter Symptomen, und ein flächendeckendes
von Dünn- und Dickdarm ein, führen dort zu Granu-
Screening bei Ankunft im Bestimmungsland wird
lomen und als Folge davon zu prolongierter Diar-
nicht grundsätzlich empfohlen. Die USA sind bislang
rhoe, Dysenterie und Malabsorption.
als einziges Land dazu übergegangen, Flüchtlinge,
die aus Risikogebieten stammen, bereits vor ihrer Ab-
Reiserückkehrer, Langzeitaufenthalter
reise (z.B. noch im Flüchtlingscamp) routinemässig
antiparasitär zu behandeln [10].
Die Häufigkeit parasitärer Erkrankungen bei Reisen-
Bei Anämie, chronischen Darmbeschwerden oder ei-
den und Langzeitaufenthaltern wird überschätzt,
ner Eosinophilie sollte nach Darmparasiten gesucht
und eine routinemässige Entwurmung asymptoma-
werden. Eine unklare Leberfibrose und Zeichen der
tischer Rückkehrer wird nicht empfohlen [15, 16]. Eine
portalen Hypertonie können durch eine chronische
akute Durchfallerkrankung auf Reisen ist zwar häu-
intestinale Schistosomiasis verursacht sein. In diesem
fig, sie wird aber nur selten durch Parasiten ausgelöst
Kontext darf auch die Suche nach einer Hämaturie
und ist fast immer bakteriellen oder unspezifischen
als wichtiges Symptom einer urogenitalen Schistoso-
Ursprungs [7]. Eine Abklärung ist dann angezeigt,
miasis nicht fehlen.
wenn Stuhlunregelmässigkeiten nach Reiserückkehr
Vor immunsuppressiver Therapie sollten auch asym-
über mehr als drei Wochen anhalten. Gardien, Crypto-
ptomatische Migranten auf Strongyloides stercoralis
sporidien und Amöben (seltener Cyclospora sowie Mi­
gescreent werden. Wie die Schistosomen können
crosporidia) können chronisch-rezidivierende Durch-
Strongyloides unbemerkt im Körper verweilen und
fälle verursachen. Je länger die Aufenthaltsdauer und
erst Jahre nach der Emigration zu Morbidität und
je schlechter die Hygienestandards im Gastland sind,
Mortalität führen – zu einem Zeitpunkt also, zu dem
umso grösser ist das Risiko für eine Infektion [7, 8].
kaum mehr an eine schlummernde Parasitose ge-
Die Rolle von Dientamoeba fragilis und Blastocystis
dacht wird (s. Abschnitt Immunsupprimierte).
hominis als Ursache einer akuten Reisediarrhoe oder
eines Reizdarmsyndroms ist nach wie vor umstritten. In grossen Mengen mögen diese sonst apatho-
Immunsupprimierte
genen Erreger zu Symptomen führen. Eine probatori-
Manche Parasitosen entwickeln ihr pathogenes Po-
sche Therapie sollte auf Personen mit prolongierten
tential erst bei Abwehrschwäche des Wirtes (AIDS,
Beschwerden beschränkt bleiben, bei denen keine
Chemotherapie, Immunsuppression nach Transplan-
andere Ursache gefunden werden kann [5, 8].
tation, Autoimmunerkrankungen). Beispiele hiefür
sind die Protozoen Cryptosporidia, Microspora, Cyto­
isospora belli und seltener Cyclospora cayetanensis, die
Migranten
zu schweren, prolongierten Durchfallerkrankungen
Im Gegensatz zur Schweizer Bevölkerung leiden Mi-
führen können. Bei HIV-Patienten hat die Inzidenz die-
granten aus Entwicklungsländern häufig an parasitä-
ser opportunistischer Infektionen mit Einführung
ren Erkrankungen. In bis zu 60% der Fälle können in
der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART)
Stuhlproben Parasiten nachgewiesen werden [9]. Da-
Mitte der neunziger Jahre deutlich abgenommen.
bei tragen Asylsuchende aus Subsahara-Afrika sowie
Eine asymptomatische Infektion durch Strongyloides
Südostasien die grösste Parasitenlast. Ihr Einfluss auf
stercoralis kann bei Immunsuppression zu einer
den Gesundheitszustand der Betroffenen steigt pro-
schweren systemischen Entzündungsreaktion führen.
portional zu zusätzlichen Gesundheitsrisiken am
Gefürchtet ist insbesondere das lebensbedrohliche
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Hyperinfektionssyndrom, bei dem es zu einer Über-
Suche nach Darmparasiten nicht, und das Kreuz auf
schwemmung des gesamten Organismus mit filarifor-
dem Laborblatt aus Verzweiflung kommt einem
men Larven kommt. Es ist deshalb ratsam, Patienten
Blindflug gleich. Der Aufwand dafür ist gross und der
mit Herkunft aus einem Risikogebiet vor Therapie-
Nutzen zu klein [13, 14]. Um ein optimales Resultat zu
start serologisch zu screenen.
erhalten, braucht es korrekt gewonnenen Stuhl, genügend Material und zum richtigen Zeitpunkt abgenommenes Blut. Eine Stuhluntersuchung auf Eier
Eosinophilie
macht zum Beispiel erst dann Sinn, wenn der adulte
Weltweit die häufigste Ursache für eine Eosinophilie
Parasit herangereift ist und die Eiablage begonnen
sind Infektionen durch Helminthen [11]. Dies trifft
hat (Präpatenzzeit). Besser, der Patient kommt ein
vor allem für die Bewohner ländlicher Gebiete in Ent-
zweites Mal, erhält dafür aber eine klare Anleitung.
wicklungsländern zu. Im Gegensatz dazu ist in unse-
Eine Rücksprache mit einem Spezialisten oder mit
ren Breitengraden eine Eosinophilie meist Ausdruck
dem Auftragslabor kann dabei hilfreich sein, und
einer Allergie, oder aber durch Medikamente verur-
detaillierte Anleitungen der Laboratorien stehen in
sacht [11, 12]. Differentialdiagnostisch muss auch an
der Regel im Internet zur Verfügung.
nicht-infektiöse systemische Entzündungskrankhei-
Für viele parasitäre Infektionen des Darmes ist der
ten oder eine Neoplasie gedacht werden. Eine erhöhte
Goldstandard der Diagnostik noch immer die Mikro-
Eosinophilenzahl bei Migranten, Langzeitaufenthal-
skopie in frischem (nativ) oder SAF-fixiertem Stuhl.
tern oder Reiserückkehrern aus einem Entwicklungs-
Medium der Wahl für Wurmeier ist der native Stuhl,
land ist aber verdächtig für eine parasitäre Erkran-
für Protozoen das SAF-Medium. Manche Erreger
kung. Die sorgfältige Anamnese in Zusammenschau
müssen aber speziell erfragt werden, da ihr Nachweis
mit der klinischen Symptomatik kann richtungswei-
eine Spezialfärbung (Cryptosporidia, Microsporidia),
send sein.
spezielle Techniken (PCR, Antigen-Nachweis) oder
Eine akute, ausgeprägte Eosinophilie (>3,0 × 109/l) mit
mehr Material erfordern (Strongyloides). Der Stuhl
Begleitsymptomen wie Husten, Fieber, Diarrhoe oder
muss trocken asserviert werden (nicht aus der Toi-
Hautreaktionen sollte an eine frühe Gewebspassage
lette, nicht mit Urin kontaminiert), und die Ein-
infektiöser Larven von Nematoden (z.B. Ascaris, Ancy­
nahme von Antibiotika, Anthelminthika, Malaria-
lostoma, Strongyloides, Toxocara, Trichinella) oder Tre-
medikamenten, Laxativa und Eisen oder eine
matoden (Schistosoma, Fasciola) denken lassen [11].
Röntgenkontrast-Untersuchung sollte möglichst drei
Husten und wechselnde pulmonale Infiltrate weisen
Wochen zurückliegen [13]. Für Oxyuren ist die simple
auf eine Lungenpassage hin; man spricht vom Löffler-
Scotch-tape-Methode Mittel der Wahl.
Syndrom (ähnliche Symptomatik auch bei lympha-
Serologien sind optimal für Parasiten, die durch
tischer Filariose).
Invasion der Darmwand und Gewebspassage eine
Typisch für eine akute Schistosomiasis (Katayama-
systemische Antikörperreaktion provozieren (z.B.
Fieber) ist eine febrile Eosinophilie mit grippalen
Screening auf Strongyloides stercoralis). Allerdings
Symptomen, vier bis acht Wochen nach Kontakt mit
sind bei der Interpretation serologischer Tests so-
Süsswasser in einem Endemiegebiet.
wohl deren Sensitivität und Spezifität, als auch
Bei vielen Parasiten, deren Lebenszyklus sich durch
Kreuzreaktionen zu berücksichtigen. Auch kann die
eine invasive Gewebspassage auszeichnet, geht die
Serologie in der Akutphase einer Erkrankung noch
Eosinophilenzahl mit Eintreffen der Larven an ihrem
negativ sein und sollte nach zwei bis vier Wochen wie-
Zielort (Darmlumen, Gallenwege etc.) zurück oder
derholt werden, bei vermuteter Schistosomiasis am
verschwindet ganz; meist nach drei bis sechs Mona-
besten erst nach drei Monaten [11, 15]. Neben der Eosi-
ten mit oder ohne Therapie [11]. Die akute Phase dau-
nophilie kann eine Erhöhung des Gesamt-IgE eben-
ert in der Regel ein bis sechs Wochen. Nichtinvasive
falls hinweisend sein auf verschiedene Wurm-
Helminthen und Protozoen verursachen bis auf we-
erkrankungen [11–13].
nige Ausnahmen keine Eosinophilie.
Therapie
Diagnostik
Grundsätzlich ist eine Therapie nur dann sinnvoll,
Vor der Sammlung von Stuhl oder Serum sollte reka-
wenn ein Erreger nachgewiesen wurde und die Klinik
pituliert werden, um welches Szenario es sich han-
auch dazu passt. Und längst nicht jeder Erreger, der
delt und welches Medium für die Diagnostik geeig-
im Stuhl nachgewiesen wird, muss verantwortlich
net ist. Fehlt eine klare Fragestellung, lohnt sich die
sein für Magen-Darm-Beschwerden [15, 16]. Dies gilt
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248
Tabelle 2, Fortsetzung: Parasiten, Symptomatik, Diagnostik und Therapie.
Helminthen
Nematoden/Fadenwürmer
Ancylostoma duodenalis,
Necator americanus
(Hakenwurm, engl. hookworm)
Dünndarm,
anhaftend
leichte Abdominalbeschwerden, Anämie,
Wachstumsretardierung bei Kindern,
Löffler-Syndrom
Migranten aus den Tropen, Subtropen
Anisakis simplex
(Heringsbandwurm)
Magen, Dünndarm,
extraintestinal
Magenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen,
Abdominalschmerzen, Diarrhoe, Fieber,
extraintestinal: Larva migrans visceralis,
Eosinophilie, allergische Reaktion
meiste Fälle in Japan,
Küstenregionen in Europa
und Südamerika
Ascaris lumbricoides
Dünndarm,
luminal
asymptomatisch, leichte Abdominalbeschwerden, Malabsorption, selten Ileus,
Löffler-Syndrom
Migranten aus den Tropen, Subtropen,
selten Reiserückkehrer
Enterobius
vemicularis, Oxyuren
Kolon, Appendix,
perianal
Juckreiz perianal, selten Appendizitis, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust bei Kindern
weltweit; meist Kinder, ganze Familien,
Heime
Strongyloides
stercoralis
(Zwergfadenwurm)
Dünndarm, Wand
asymptomatisch, Abdominalbeschwerden,
Diarrhoe, Blähungen; Löffler-Syndrom oder
Larva currens mit Eosinophilie (früh), Hyperinfektion bei Immunsuppression
Migranten aus den Tropen, v.a. Südostasien, Afrika der Subsahara
Trichinella spiralis
Darmwand,
Zysten in glatter
Muskulatur
akute Entzündung mit Eosinophilie, Muskelschmerzen, periorbitalem Ödem
weltweit nach Verzehr von Wildfleisch
(Wildschwein, Bär)
Trichuris trichuria
(Peitschenwurm)
Terminales Ileum,
Zökum
Abdominalbeschwerden, blutige Dysenterie,
Anämie, selten Ileus, Rektumprolaps
Migranten aus den Tropen, Subtropen
Fasciola hepatica
(grosser Leberegel)
Gallenwege
Cholestase, Cholangitis, Hepatome galie,
evtl. Eosinophilie
weltweit
Schistosoma japonicum,
Bilharziose
Dünndarm, Venen
Migranten aus Südostasien, China,
Philippinen, Reiserückkehrer
Schistosoma mansoni,
Bilharziose
Dickdarm, Venen
Dermatitis (swimmer’s itch), Katayama-Fieber
mit Eosinophilie, chron. Diarrhoe, Dysenterie,
Hepatomegalie, Leberzirrhose, HCC, Pseudopolypen, selten: extraintestinal, ZNS
Trematoden/Saugwürmer
Migranten aus Afrika, dem Mittleren Osten,
Südamerika, Karibik, Reiserückkehrer
Cestoden/Bandwürmer
Diphylobotrium
latum
(Fischbandwurm)
Dünndarm,
luminal
asymptomatisch, leichte Abdominalbeschwerden, Vit.-B12-Mangel, Anämie
weltweit, v.a. Osteuropa, Russland
Teania saginata
(Rinderbandwurm)
Dünndarm,
luminal
meist asymptomatisch, leichte Abdominalbeschwerden, Proglottiden im Stuhl
weltweit
Taenia solium
(Schweinebandwurm)
Dünndarm,
luminal
meist asymptomatisch, leichte Abdominalbeschwerden, Proglottiden im Stuhl
weltweit
Zystizerkose
(Zysten von T. solium
im Gewebe)
Gewebezysten,
ZNS
meist asymptomatisch, Epilepsie, Hirndruck
weltweit
Abkürzungen: CT: Computertomogramm, ED: Einmaldosis, ERCP: endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie, HAART: hochaktive antiretrovirale Therapie,
HCC: hepatozelluläres Karzinom (hepatocellular carcinoma), MRT: Magnetresonanztomographie, PCR: polymerase chain reaction, SAF: sodium acetate, acetic acid, formalin
TMP/SMX: Trimethoprim/Sulfamethoxazol, ZNS: zentrales Nervensystem.
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Eosinophilie (früh), Stuhl nativ:
Mikroskopie
Albendazol 1× 400 mg ED
Präpatenz 5−9 Wo
Klinik, Endoskopie, Serologie
Endoskopische (oder chirurgische)
Larvenentfernung; ggf. Albendazol 2× 400 mg/d à 5–21 d
bei Dünndarmbefall oder extraintestinaler Form
Inkubationszeit: Minuten bis Tage
Eosinophilie (früh), Stuhl nativ:
Mikroskopie
Albendazol 400 mg ED, alternativ:
Mebendazol 2× 100 mg ED, Ivermectin 1× 200 μg/kg/d ED
Präpatenz 1,5−2 Mt.
Scotch-tape-Methode, Abklatsch
perianal morgens vor dem Waschen:
Mikroskopie
Albendazol 400 mg ED oder Mebendazol 100 mg ED,
Wiederholung nach 10–14 d
Präpatenz 10–14 d
Stuhl nativ, Baermann: Mikroskopie,
Serologie
Ivermectin 200 μg/kg/d à 3 d, alternativ:
Albendazol 2 × 400 mg/d à 7–14 d
Screening von Personen aus Endemiegebiet (auch
Jahre nach Emigration!), Gefahr der Hyperinfektion
unter immunsuppressiver Therapie
Serologie
Albendazol 2 × 400 mg à 10–14 d ± Prednison,
alternativ: Mebendazol 3× 500 mg/d à 10–14 d
Stuhl nativ
Mebendazol 1× 500 mg/d à 3 d, alternativ:
Albendazol 1× 400 mg/d à 3 d
Präpatenz bis 3 Monate
Stuhl nativ, Galle:
Mikroskopie, Serologie
Triclabendazole 10–12 mg/kg/d à 2 d, Nitazoxanide
2× 500 mg/d à 7 d, evtl. ERCP
Präpatenz 3–4 Monate
Stuhl nativ: Mikroskopie, Serologie
Praziquantel 1× 75 mg/kg ED, aufgeteilt in 2–3 Dosen,
evtl. nach 2 Mt. wiederholen, ± Prednison 20 mg
bei Katayama-Fieber
Dermatitis 48 h, Katayama- Fieber 4–8 Wo
nach Exposition. Präpatenz S. mansoni 4−7 Wo,
S. japonicum 4−5 Wo
Stuhl nativ: Mikroskopie, Serologie
Praziquantel 1× 60 mg/kg/d ED, evtl. nach 2 Mt. wiederholen, ± Prednison 20 mg bei Katayama-Fieber
Stuhl nativ: Mikroskopie, SAF:
Eier, Proglottiden
Praziquantel 1× 10 mg/kg ED, alternativ: Niclosamid
1× 2 g ED
Stuhl nativ: Mikroskopie, SAF:
Eier, Proglottiden
Praziquantel 1× 10–20 mg/kg ED, alternativ:
Niclosamid 1× 2 g ED
Präpatenz 5−12 Wochen
Stuhl nativ: Mikroskopie, SAF:
Eier, Proglottiden
Praziquantel 1× 10–20 mg/kg ED, alternativ:
Niclosamid 1× 2 g ED
Präpatenz 5−12 Wochen
Serologie (Liquor, Serum), CT, MRT
Albendazole 15 mg/kg/d in 2 Dosen plus Praziquantel
50 mg/kg/d in 2 Dosen für à 10 d plus Dexamethasone
0,1 mg/kg/d (Streoide 1 d vor Start Antiparasitika)
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vor allem für die fakultativ pathogenen Erreger wie
Blastocystis hominis und Dientamoeba fragilis. Asymptomatische Ausscheider von Giardia lamblia oder En­
tamoeba histolytica dagegen sollten therapiert werden, zum einen wegen der hohen Infektiosität der
ausgeschiedenen Giardiazysten, zum anderen wegen
4
5
6
des Potentials invasiver Infektionen durch Ent­
amoeba histolytica. Eine empirische Therapie bei typischer Klinik und suggestiver Anamnese für einen be-
7
stimmten Parasiten kann bei symptomatischen
Reiserückkehrern oder Migranten gerechtfertigt sein
8
[11, 15].
9
Details zur Therapie sind der Tabelle 2 zu entnehmen. Zu beachten ist, dass einige der Medikamente
nicht bei Swissmedic registriert sind und somit im-
10
portiert werden müssen. Dabei ist die Kostenübernahme durch die Krankenkassen nicht immer gewährleistet [16]. Bei teureren Therapien lohnt sich
deshalb eine vorangehende Kostengutsprache.
11
Finanzierung / Interessenkonflikte
12
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Literatur
1
Korrespondenz:
Dr. med. Sabine Majer
2
Kantonsspital Münsterlingen
Spitalcampus 1
CH-8596 Münsterlingen
sabine.majer[at]stgag.ch
3
14
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ÜBERSICHTSARTIKEL
251
Chronische Niereninsuffizienz
Welche Therapien können die Progression wirksam verlangsamen?
Andreas D. Kistler a und Rudolf P. Wüthrich b
a
Medizinische Klinik, Nephrologie und Dialyse, Kantonsspital Frauenfeld; b Klinik für Nephrologie, UniversitätsSpital Zürich
Quintessenz
• Die zunehmende Inzidenz und Prävalenz chronischer Nierenerkrankungen
stellen ein grosses volksgesundheitliches Problem dar.
• Es existieren nur sehr wenige Therapieansätze zur Progressionshemmung chronischer Nierenerkrankungen, die gut evidenzbasiert sind. Dies
liegt unter anderem am langsamen Verlauf chronischer Nierenerkrankungen, weshalb grosse Interventionsstudien mit harten Endpunkten
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nur schwer durchführbar sind.
• Das am besten belegte Mittel zur Progressionshemmung bei Patienten
mit Albuminurie besteht in einer antiproteinurischen Therapie mit ACEHemmern oder Angiotensinrezeptorblockern.
• Weitere Massnahmen sind eine gute Blutdruckkontrolle, Alkalitherapie,
Vermeiden eines übermässigen Eiweiss- und Salzkonsums sowie
Rauchstopp.
• Als zentrale Massnahme sollten bei chronisch nierenkranken Patienten
«second hits» wie nephrotoxische Medikamente vermieden werden
(insbesondere NSAR und iodhaltige Röntgenkontrastmittel).
Einleitung
stellen, die zur Progression einer CKD beitragen, und
diskutieren, inwieweit deren therapeutische Beein­
Die Inzidenz und Prävalenz chronischer Nieren­
flussung die CKD­Progression verzögern kann.
erkrankungen (Chronic Kidney Disease, CKD) sind in
den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen.
Unter einer CKD versteht man jede gesundheitsrele­
vante Einschränkung der glomerulären Filtrationsrate
Andreas D. Kistler
Krankheitsspezifische
Progressionsfaktoren
(GFR) bzw. eine strukturelle oder funktionelle Stö­
Eine Vielzahl ätiologisch unterschiedlicher Nieren­
rung der Nieren auch bei normaler GFR, die für
erkrankungen kann zu einer CKD führen. Um eine
>3 Monate persistiert [1]. Ätiologisch können einer
kausale Therapie zu ermöglichen, ist – wenn immer
CKD verschiedenste Nierenerkrankungen zugrunde­
möglich – eine Diagnose der Grunderkrankung anzu­
liegen. Am häufigsten − und auch wesentlich verant­
streben. Sofern die Ätiologie der chronischen Nieren­
wortlich für die steigende CKD­Prävalenz − sind aber
erkrankung nicht aus Anamnese und Laborbefunden
die diabetische und hypertensive Nephropathie.
klar ersichtlich ist (z.B. diabetische oder hyperten­
Neben dem Risiko, in ein terminales Nierenversagen
sive Nephropathie), und nachdem sonographisch
zu münden, führt eine CKD zu einer deutlich erhöhten
zum Beispiel eine postrenale Ursache oder eine poly­
kardiovaskulären Morbidität und Mortalität [2]. Die
zystische Nierenerkrankung ausgeschlossen wurde,
chronische Nierenerkrankung stellt daher eine rele­
ist hierfür oft eine Nierenbiopsie erforderlich. Patien­
vante Belastung für das Gesundheitswesen dar, und
ten mit relevanter Proteinurie (Tab. 1), einem patho­
entsprechend wichtig ist es, die Entstehung und Pro­
logischen Urinsediment oder mit einer sich relativ
gression chronischer Nierenerkrankungen zu redu­
rasch verschlechternden Nierenfunktion sollten daher
zieren. Im Folgenden werden wir die Faktoren dar­
einem Nephrologen zugewiesen werden. Die kausale
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Tabelle 1: Stadieneinteilung der Proteinurie bzw. Albuminurie. Die Proteinurie bezeichnet die Menge sämtlicher Proteine, die täglich über den Urin
ausgeschieden werden, die Albuminurie die Menge an im Urin ausgeschiedenem Albumin. Die Albuminurie ist sowohl sensitiver als auch spezifischer
für eine glomeruläre Schädigung als die Gesamtproteinurie, da eine pathologisch erhöhte Albuminausscheidung sich hinter einer normalen Gesamtproteinausscheidung «verbergen» kann und da andererseits tubuläre Schädigungen wie auch postrenale Prozesse zu einer erhöhten Ausscheidung von
Nicht-Albumin-Eiweiss im Urin führen können. Proteinurie und Albuminurie können entweder durch eine 24-h-Urinsammlung quantifiziert oder – im
klinischen Alltag einfacher – näherungsweise durch die Bestimmung des Protein-Kreatinin- bzw. Albumin-Kreatinin-Quotienten in einer beliebigen Urinprobe
geschätzt werden. Die Begriffe Mikro- und Makroalbuminurie werden in den neuen KDIGO-Richtlinien nicht mehr verwendet, aber hier der Einfachheit
halber noch aufgeführt. Eine «Mikroalbuminurie» findet sich häufig bei arterieller Hypertonie oder früher diabetischer Nierenschädigung; eine «Makroalbuminurie» oder eine Gesamtproteinurie >1 g/d ist Hinweis auf eine relevante glomeruläre Erkrankung und sollte in der Regel eine nephrologische
Abklärung nach sich ziehen, sofern die Ursache nicht eindeutig ersichtlich ist (z.B. bei einem langjährigen Diabetiker mit anderen mikrovaskulären Komplikationen).
Proteinurie
Albuminurie
<0,15 g/d
<0,015 g/mmol Krea
Normale Eiweissausscheidung im Urin
(grösstenteils Uromodulin)
<30 mg/d
<3 mg/mmol Krea
Normale bis leicht erhöhte Albuminausscheidung
im Urin
0,15–1 g/d
0,015–0,1 g/mmol Krea
(Low grade-)Proteinurie; kann glomerulären,
tubulären oder postrenalen Ursprungs sein
30–300 mg/d
3–30 mg/mmol Krea
Moderat erhöhte Albuminausscheidung im Urin
(«Mikroalbuminurie»)
1–3,5 g/d
0,1–0,35 g/mmol Krea
Abklärungsbedürftige subnephrotische
Proteinurie; meist glomerulären Ursprungs
>300 mg/d
>30 mg/mmol Krea
Schwer erhöhte Albuminausscheidung im Urin
(«Makroalbuminurie»)
>3,5 g/d
>0,35 g/mmol Krea
Nephrotische Proteinurie; Zeichen einer schweren
glomerulären Störung
Therapie einzelner Nierenerkrankungen sollte durch
ten glomerulären Permeabilität (zur Definition und
einen erfahrenen Nephrologen festgelegt werden und
Quantifizierung der Proteinurie bzw. Albuminurie
deren Diskussion würde den Rahmen dieser Arbeit
siehe Tab. 1). Zahlreiche Beobachtungsstudien zeigen
sprengen. Im Folgenden beschränken wir uns daher
eine starke Korrelation zwischen dem Ausmass der
auf Progressionsmechanismen, die den meisten chro­
Albuminurie und dem Voranschreiten einer Nieren­
nischen Nierenerkrankungen gemeinsam sind.
insuffizienz (Abb. 2) [3]. Interventionen, welche die
Proteinurie bzw. Albuminurie zu reduzieren vermö­
Unspezifische Progressionsfaktoren
und deren Behandlung
Ist es einmal zu einer relevanten Nierenschädigung
gen, führen auch zu einer Verlangsamung der CKD­
Progression. ACE­(Angiotensin Converting Enzyme­)
Hemmer und Angiotensinrezeptor­Blocker (ARB) re­
duzieren den intraglomerulären Druck und vermin­
gekommen, so trägt – unabhängig von der Grunder­
dern so die glomeruläre Hyperfiltration und die Albu­
krankung – eine Reihe von maladaptiven Mechanis­
minurie. Die Wirksamkeit von ACE­Hemmern und
men zur weiteren Verschlechterung der Nierenfunk­
ARB zur Progressionsminderung bei albuminurischen
tion bei (Abb. 1). Eine Hyperfiltration der noch
CKD­Patienten wurde in zahlreichen randomisiert
verbleibenden Nephrone ermöglicht kurzfristig eine
kontrollierten Studien (RCT) sowohl für Diabetiker
Teilkompensation der eingeschränkten Filtrations­
[4] als auch Nichtdiabetiker [5] gezeigt. Die Dosierung
leistung, verursacht durch erhöhten intraglomerulä­
dieser Medikamente sollte gesteigert werden, bis die
ren Druck langfristig aber eine progrediente Schädi­
Proteinurie in den Zielbereich gesenkt wurde (welcher
gung der verbleibenden Glomeruli. Ähnlich kann die
je nach renaler Grunderkrankung variiert) oder die
Bewältigung der täglichen Säurebelastung durch eine
Dosis durch inakzeptable Nebenwirkungen limitiert
reduzierte Anzahl funktionierender Nierentubuli zu
wird (z.B. Hypotonie/orthostatischen Schwindel)
deren chronischen Schädigung führen. Diese und an­
oder die maximal zulässige Medikamentendosierung
dere Mechanismen (z.B. profibrotische Stimuli) führen
erreicht wurde. Von einer vormals propagierten Kom­
zu einem Voranschreiten einer CKD, selbst wenn die
binationstherapie von ACE­Hemmern und ARB ist
ursprüngliche Noxe wegfällt. Im Folgenden werden
man aufgrund von neueren Studiendaten, die ein er­
wir die wichtigsten Progressionsfaktoren und die
höhtes Nebenwirkungsrisiko (Hyperkaliämie, akute
Möglichkeiten zu deren therapeutischen Beeinflus­
Niereninsuffizienz) und keinen klaren Nutzen gezeigt
sung diskutieren.
haben, weitgehend abgekommen.
Proteinurie / Albuminurie
Hypertonie
Beim Nierengesunden werden im Urin nur sehr ge­
Eine arterielle Hypertonie kann zu einer hypertensi­
ringe Mengen Eiweiss ausgeschieden; eine patho­
ven Nephropathie führen. Überdies sind chronisch
logisch erhöhte renale Ausscheidung von Proteinen,
vorgeschädigte Nieren gegenüber erhöhten Blut­
insbesondere Albumin, ist meist Folge einer gestör­
druckwerten besonders empfindlich. Einer adäquaten
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Krankheitsspezifische
Faktoren
– Hyperglykämie
– autoimmune Mechanismen
– Hypertonie
– etc.
Normale
Nierenfunktion
Unspezifische
Progressionsfaktoren
Second hits
– Hyperfiltration
– profibrotische Stimuli
– Nephrotoxine
– AKI
Verlust funktionaler Nephrone
Verlust der glomerulären
Permselektivität
Terminale
Niereninsuffizienz
Erhöhte kardiovaskuläre
Mortalität
Abbildung 1: Schematische Darstellung krankheitsspezifischer und unspezifischer CKD-Progressionsfaktoren. Nach einer
initialen Schädigung der Nieren durch krankheitsspezifische Faktoren führen verschiedene maladaptive Mechanismen zu einer
voranschreitenden Nierenschädigung, selbst wenn die initiale Noxe nicht mehr aktiv ist. Zudem begünstigt eine erhöhte
Anfälligkeit chronisch geschädigter Nieren auf zusätzliche akute Noxen die Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz.
Mit zunehmender Niereninsuffizienz steigt auch das kardiovaskuläre Risiko massiv an.
Blutdruckkontrolle kommt daher bei CKD­Patienten
im Verlauf eine metabolische Azidose ein, die ver­
eine grosse Bedeutung zu. Über die Intensität der Blut­
schiedene negative Auswirkungen auf den Körper hat,
druckkontrolle bzw. die Blutdruck­Zielwerte bei CKD
unter anderem auf den Knochenstoffwechsel und die
wurde in den letzten Jahren viel disputiert. Neuere
Muskulatur.
Daten haben gezeigt, dass eine strikte Blutdruckkon­
Über diese extrarenalen Effekte hinaus scheint aber
trolle die CKD­Progression vor allem bei protein­
die Säurebelastung auch die Nieren selber zu schädi­
urischen/albuminurischen Patienten verlangsamt. In
gen [6]. Mit einer Abnahme der Nierenfunktion müs­
den neuen KDIGO­(Kidney Disease | Improving Global
sen die täglich auszuscheidenden Säureäquivalente
Outcomes­)Guidelines [1] wird daher ein Blutdruck­
durch weniger funktionierende Nephrone bewältigt
Zielwert von <140/90 mm Hg bei CKD­Patienten mit
werden. Eine Steigerung der Urinansäuerung in den
normaler Albuminausscheidung im Urin (<30 mg/Tag)
einzelnen Nephronen wird unter anderem über En­
und von <130/80 mm Hg bei CKD­Patienten mit Mikro­
dothelin, Angiotensin II und Aldosteron mediiert,
oder Makroalbuminurie empfohlen. Bei letzterer
die langfristig jedoch profibrotisch wirken. Aus Beob­
Gruppe sind ACE­Hemmer oder ARB die Antihyper­
achtungsstudien ist bekannt, dass bei CKD­Patienten
tensiva der Wahl. Meist lässt sich jedoch der Ziel­
das Bikarbonat im Serum invers mit der Progression
blutdruck nicht mit einer Monotherapie erreichen,
der Erkrankung korreliert.
und es ist eine Kombination von mehreren Substanz­
Therapeutisch lässt sich entweder eine Reduktion der
klassen nötig. Bei den meisten Patienten mit deutlich
Säurezufuhr über die Nahrung anstreben oder die
eingeschränkter Nierenfunktion lässt sich eine ad­
zugeführte Säure durch orale Therapie mit Natrium­
äquate Blutduckkontrolle nur unter Beizug eines
bicarbonat neutralisieren. Einige kleine RCT konnten
Schleifendiuretikums erreichen.
für diese einfache und kostengünstige Intervention
einen eindrücklichen progressionsmindernden Effekt
Metabolische Azidose und deren Korrektur
zeigen [6]. Die aktuellen KDIGO­Guidelines empfeh­
Eine wichtige Aufgabe der Nieren besteht in der Aus­
len eine Bikarbonatsubstitution bei einem Serumbi­
scheidung der Säureäquivalente, die durch Stoff­
karbonat von <22 mmol/l [1]; ob eine Bikarbonatthe­
wechsel und Ernähurng anfallen. Insbesondere die
rapie bereits bei noch normalem Serumbikarbonat
an tierischem Eiweiss reiche «westliche Diät» führt
einen Stellenwert hat, wird sich noch weisen müssen.
zu einer hohen Säurebelastung des Körpers. Mit zu­
Nachteile einer Bikarbonattherapie sind die hohe
nehmender Niereninsuffizienz nimmt die Säure­
«pill burden» (für eine ausreichende Wirkung sind in
exkretionskapazität der Nieren ab, und es stellt sich
der Regel 3 bis 6 Kapseln à 500 mg Natriumbicarbonat
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Abbildung 2: Korrelation zwischen der Albuminurie und dem Risiko für eine terminale Niereninsuffizienz. HR: hazard ratio;
ACR: albumin-creatinine-ratio (Albumin-Kreatinin-Quotient im Spoturin); ESRD: end stage renal disease (terminales Nierenversagen); GP cohorts: general population (Allgemeinbevölkerung); HR cohorts: high risk (chronische Niereninsuffizienzpatienten).
Wiedergabe aus Referenz [3] mit Erlaubnis des Verlegers.
notwendig) und die damit verbundene Natriumzu­
men aus der Zeit vor dem verbreiteten Einsatz von
fuhr. Eine interessante Alternative zu einer Bikarbo­
ACE­Hemmern und ARB. Da überdies bei einer starken
nattherapie scheint eine Ernährung reich an Gemüse
Eiweisseinschränkung eine Mangelernährung droht,
und Obst darzustellen, wobei hier bei fortgeschritte­
die bei Dialysepatienten prognostisch ungünstig ist,
ner Niereninsuffizienz Vorsicht bezüglich der damit
wird heute eine starke Proteinrestriktion von den
verbundenen Kaliumzufuhr geboten ist.
meisten Nephrologen nicht mehr propagiert. Eine
übermässige Eiweisszufuhr (z.B. in Form von Protein­
Ernährung
supplementen zum Krafttraining) ist jedoch bei Pa­
Zwischen der Ernährung und der Nierenfunktion be­
tienten mit CKD sicher zu vermeiden. Die KDIGO­Gui­
stehen viele wechselseitige Abhängigkeiten: So kann
delines empfehlen, bei eGFR (estimated Glomerular
Übergewicht über die Entwicklung eines Diabetes
Filtration Rate) <30 ml/min/1,73 m2 eine Eiweisszufuhr
mellitus und über andere Mechanismen zu einer Nie­
von ca. 0,8 g/kgKG/Tag anzustreben, und bei allen
reninsuffizienz führen. Eine fortgeschrittene Nieren­
CKD­Patienten mit Progressionsrisiko eine übermäs­
insuffizienz ihrerseits hat wichtige Auswirkungen auf
sige Eiweisszufuhr (>1,3 g/kgKG/Tag) zu vermeiden [1].
die Ernährung, da oft verschiedene Diätrestriktionen
Eine Reduktion des Salzkonsums ist gegenwärtig das
notwendig sind, um den Folgen der eingeschränkten
Ziel einer nationalen Strategie des Bundesamtes für
Exkretionsleistung zu begegnen (Hyperkaliämie, Hy­
Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Die Aus­
perphosphatämie, Hypervolämie). In der folgenden
wirkungen des Salzkonsums sowohl auf den Blut­
Diskussion beschränken wir uns aber auf Einflüsse
druck als auch auf die Nierenfunktion wurden kürz­
der Ernährung auf die CKD­Progression. Diesbezüg­
lich in dieser Zeitschrift in mehreren Artikeln
lich wurden neben der oben erwähnten Frage der
ausführlich diskutiert [7, 8]. Aus epidemiologischen
Säurezufuhr insbesondere zwei Aspekte untersucht:
Studien besteht ein weitgehend gesicherter Zusam­
die Eiweisszufuhr und der Salzkonsum.
menhang zwischen einem übermässigen Salzkonsum
Nach einer eiweissreichen Mahlzeit steigt die glome­
und einer Erhöhung des Blutdrucks [8, 9], einer Zu­
ruläre Filtrationsrate passager an. Eine eiweissreiche
nahme der Proteinurie und einer rascheren Abnahme
Diät führt daher zu einer chronischen Hyperfiltration.
der GFR bei Nierenkranken [7]. Überdies schmälert
Entsprechend wurde eine eiweissarme Ernährung
ein hoher Salzkonsum die antiproteinurische und die
lange als Massnahme zur Reduktion einer Hyperfil­
positive prognostische Wirkung von ACE­Hemmern
tration propagiert. Die Datenlage zur Wirksamkeit
und ARB stark [11]. Ob eine zu starke Einschränkung
einer Proteinrestriktion bei CKD ist jedoch nicht
des Salzkonsums auch zu einer erhöhten kardiovas­
ganz eindeutig, und die vorhandenen Studien stam­
kulären Mortalität führen könnte, wird kontrovers
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ÜBERSICHTSARTIKEL
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diskutiert [10]; eine anzustrebende Einschränkung
bei CKD­Patienten. Statine zeigten in verschiedenen
der Salzzufuhr auf 5 bis 6 g NaCl/Tag ist jedoch bei
Post­hoc­Analysen mögliche positive Effekte auf die
praktisch allen Patienten mit einer chronischen Nie­
Nierenfunktion. Eine eben publizierte Auswertung
reninsuffizienz sinnvoll.
der SHARP­Studie, der grössten Studie zur Lipidsen­
kung bei CKD­Patienten, konnte jedoch keinen posi­
Andere Lifestyle-Interventionen
tiven Effekt von Simvastatin und Ezetimib auf die
Auch wenn ein positiver Einfluss von physischer Akti­
CKD­Progression nachweisen [14]. Statine scheinen
vität und Anstreben eines «gesunden» Körpergewichts
somit keinen relevanten Effekt auf die CKD­Progres­
(BMI 20 bis 25 kg/m2) auf die Progression einer Nieren­
sion zu haben, sind aber zur Reduktion des kardio­
insuffizienz formal nicht in kontrollierten Studien
vaskulären Risikos bei vielen CKD­Patienten sinnvoll.
nachgewiesen wurde, vermögen diese Interventionen
verschiedene kardiovaskuläre Risikofaktoren wie auch
Erythropoietin
die Proteinurie günstig zu beeinflussen und sollten da­
Rekombinantes humanes Erythropoietin (rhEpo) wird
her Patienten mit Nierenerkrankungen empfohlen
seit drei Jahrzehnten zur Behandlung der renalen
werden. Rauchen wurde in etlichen Populations­
Anämie eingesetzt, und es wurde initial spekuliert,
studien nicht nur mit kardiovaskulären Ereignissen,
dass rhEpo aufgrund seiner pleiotropen (nicht die Blut­
sondern auch mit Albuminurie und Niereninsuffizi­
bildung betreffenden) Wirkungen auch die Progre­
enz assoziiert [12]. Auch bezüglich des Einflusses eines
dienz einer Niereninsuffizienz verlangsamen könnte.
Nikotinstopps auf den Verlauf einer CKD wurden nur
Dies konnte aber in randomisierten Studien nicht ge­
wenige Interventionsstudien durchgeführt, diese
zeigt werden, und eine Normalisierung des Hämo­
waren jedoch alle positiv. Eine Beratung bzw. Unter­
globinwertes mit rhEpo bei CKD­Patienten war nicht
stützung zum Rauchstopp sollte daher bei allen Rau­
nur ohne belegten Nutzen, sondern gar mit dem Risiko
chern mit CKD erfolgen.
thromboembolischer Komplikationen verbunden
[15, 16].
Therapieansätze mit ungesicherter
bzw. ohne nachgewiesene Wirkung
Vitamin D
Aktive Vitamin­D­Analoga scheinen einen positiven
Eine Reihe weiterer metabolischer Störungen wurde
Effekt auf die Proteinurie und Hypertonie zu haben,
mit der Progression einer Niereninsuffizienz asso­
ein Effekt auf die Progression einer Niereninsuffizienz
ziiert, die Wirksamkeit diesbezüglicher therapeuti­
bleibt aber noch nachzuweisen [17].
scher Interventionen ist aber noch nicht ausreichend
Weitere getestete Substanzen
belegt bzw. wurde widerlegt.
In den letzten Jahren wurden verschiedene Substan­
Hyperurikämie
zen getestet, welche auf profibrotische und andere
Zahlreiche epidemiologische Studien zeigen einen
spezifische Signalkaskaden einwirken sollen, wie
Zusammenhang zwischen einer Hyperurikämie und
Endothelinrezeptor­Antagonisten, TGF­(Transforming
Niereninsuffizienz sowie kardiovaskulärem Risiko,
Growth Factor­)Beta­Antagonisten, das antioxidativ
wobei die Kausalität jedoch noch nicht vollständig
und anti­inflammatorisch wirkende Bardoxolon, der
geklärt ist [13]. Einzelne kleine Studien haben einen
Phosphodiesterase­Hemmer Pentoxyphyllin oder MCP­
günstigen Effekt einer urikostatischen Therapie mit
1­Inhibitoren [18]. Leider ist die Bilanz an klinischen
Allopurinol auf den Verlauf einer chronischen Nieren­
Studien mit diesen Substanzen bisher ernüchternd:
insuffizienz gezeigt. Da aber Allopurinol gerade bei
Während für die meisten Substanzen erst kleine
eingeschränkter Nierenfunktion nicht ohne Risiken
Studien verfügbar sind, mussten zwei grosse Studien
bezüglich Nebenwirkungen ist, bedarf es grösserer
mit Bardoxolon bzw. dem Endothelinrezeptor­
Studien, um einen Einsatz von Allopurinol bei CKD­
Antagonisten Avosentan bei diabetischer Nephro­
Patienten grundsätzlich zu empfehlen und um allen­
pathie wegen erhöhter Mortalität vorzeitig gestoppt
falls sinnvolle Harnsäure­Zielspiegel zu definieren.
werden.
Hyperlipidämie
Eine Hyperlipidämie findet sich bei vielen nierenin­
«Second hits» und deren Prävention
suffizienten Patienten, und experimentelle wie auch
Eine einfache, aber häufig vernachlässigte Regel ist
epidemiologische Daten sprechen für einen negativen
jene, dass vorgeschädigte Nieren gegenüber akuten
Einfluss einer Hyperlipidämie auf die Nierenfunktion
Noxen wesentlich empfindlicher sind als gesunde.
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Dies bedeutet, dass Patienten mit einer chronischen
Phosphathaltige Abführmittel
Niereninsuffizienz ein massiv erhöhtes Risiko haben,
Phosphathaltige Abführmittel kommen gelegentlich
eine akute Nierenschädigung (Acute Kidney Injury,
in der Koloskopie­Vorbereitung als Alternative zu
AKI) zu erleiden [1]. Während früher eine AKI als voll­
Polyethylenglycol­haltigen Abführmitteln zum Ein­
ständig reversibles Ereignis verstanden wurde, bele­
satz. Dabei wird eine beträchtliche Menge Phosphat
gen mehrere neuere Untersuchungen, dass sich nach
über den Darm resorbiert. Bei normaler Nierenfunk­
einer AKI die Nierenfunktion oft nicht vollständig er­
tion kann diese Phosphatbelastung relativ rasch über
holt, insbesondere bei Patienten mit vorbestehender
die Nieren ausgeschieden werden. Bei eingeschränkter
CKD [19]. Daher ist es entscheidend, bei Patienten mit
Nierenfunktion werden jedoch äusserst hohe Phos­
CKD nephrotoxische Einflüsse möglichst zu minimie­
phatspiegel im Blut erreicht. Die konsekutiv sehr hohe
ren und prophylaktische Massnahmen gegen eine
Phosphatkonzentration im Primärharn kann zu einer
AKI zu treffen. Zu den häufigsten vermeidbaren Aus­
akuten Calciumphosphat­Kristallnephropathie führen
lösern einer AKI bei CKD­Patienten gehören nichtste­
[22]. Phosphathaltige Abführmittel sind daher bei einer
roidale Antirheumatika (NSAR), iodhaltige Röntgen­
GFR <60 ml/min/1,73 m2 kontraindiziert; weitere
kontrastmittel, phosphathaltige Abführmittel und
Risi kofaktoren für eine akute Phosphat­Kristall ne­
gewisse Bisphosphonate.
phropathie sind Volumendepletion, Diuretika, ACE­
Hemmer und Alter [22].
NSAR
NSAR gehören weltweit zu den meistverschriebenen
Medikamenten, und ihre zeitlich begrenzte Anwen­
dung ist in vielen Fällen bedenkenlos. Bei Patienten
mit schwerer Herzinsuffizienz oder eingeschränkter
Zusammenfassung und
Schlussfolgerungen
Die chronische Niereninsuffizienz stellt ein grosses
Nierenfunktion kann die Hemmung der intrarenalen
und weiter zunehmendes volksgesundheitliches Pro­
Prostaglandinsynthese jedoch zu einer kritischen
blem dar. Faktoren, die zur Progression der chroni­
Reduktion der glomerulären Perfusion führen und
schen Niereninsuffizienz beitragen, werden erst un­
eine AKI auslösen [20]. NSAR sind daher bei Patienten
vollständig verstanden, und die Bilanz bezüglich neu
mit stark eingeschränkter Nierenfunktion kontrain­
entwickelter Substanzen, welche die CKD­Progression
diziert und sollten bei Patienten mit leicht reduzierter
spezifisch verlangsamen oder gar aufhalten könnten,
Nierenfunktion nur zurückhaltend und kurzfristig
ist eher ernüchternd. Es steht jedoch eine Reihe von
zum Einsatz kommen [1].
mehr oder minder gut etablierten, einfachen und re­
Kontrastmittelnephropathie
mit denen die CKD­Progression massgeblich reduziert
lativ kostengünstigen Interventionen zur Verfügung,
Risikofaktoren für die Entwicklung einer Kontrast­
werden kann. Dies sind insbesondere eine antipro­
mittelnephropathie sind insbesondere eine vorbeste­
teinurische Therapie mit ACE­Hemmern oder ARB,
hend eingeschränkte Nierenfunktion, Dehydratation
adäquate Blutdruckeinstellung, Therapie der meta­
und dekompensierte Herzinsuffizienz. Die wichtigs­
bolischen Azidose, Lifestyle­Interventionen (v.a. Rauch­
ten Aspekte zur Prophylaxe einer Kontrastmittel­
stopp) und das Vermeiden nephrotoxischer Substan­
nephropathie bei CKD­Patienten sind: (a) kritisches
zen. Während wir auf die Entwicklung spezifischer
Hinterfragen der Indikation und der therapeutischen
pharmakologischer Interventionen hoffen, sollten wir
Konsequenz einer Untersuchung, (b) Erwägen von
versuchen, die vorhandenen, einfachen Massnahmen
alternativen Untersuchungsmethoden je nach Frage­
zur Progressionsminderung bei Patienten mit CKD
stellung (z.B. Ultraschall, Szintigraphie), (c) falls eine
konsequent umzusetzen.
Korrespondenz:
Untersuchung mit Röntgenkontrastmittel unumgäng­
Dr. med. Andreas D. Kistler
lich ist: Vorhydrieren und Diuretika pausieren (sofern
Medizinische Klinik
Nephrologie und Dialyse
Kantonsspital Frauenfeld
Postfach
CH­8501 Frauenfeld
andreas.kistler[at]stgag.ch
Volumenstatus und kardiale Funktion dies erlauben),
sowie Minimieren der applizierten Kontrastmittel­
menge und Wahl eines isoosmolaren Röntgenkontrast­
mittels [1, 21].
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2015;15(11):251–256
Finanzierung / Interessenkonflikte
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen
Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Literatur
Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie als Anhang
des Online­Artikels unter www.medicalforum.ch.
LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix
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FALLBERICHTE
257
Linksseitige Oberbauchschmerzen und Milzzysten
Seltene Differentialdiagnose einer
symptomatischen Splenomegalie
Manuel Zürchera , Lea Klippgen a , Marco M. Bühlerb , Esther Bächli c , Gian Ar ar d Melchera
a
Klinik für Chirurgie, Spital Uster; b Institut für Klinische Pathologie, UniversitätsSpital Zürich; c Klinik für Innere Medizin, Spital Uster
Fallbeschreibung
nal kompensiert. Bei insgesamt weicher Bauchdecke
palpiert man im linken Ober- bis Mittelbauch eine
Anamnese
grosse, druckdolente Resistenz. Die übrige klinische
Eine 63-jährige Patientin leidet seit zwei Jahren an links-
Ganzkörperuntersuchung ist unauffällig.
seitigen Oberbauchschmerzen, bisweilen in die linke
Schulter ausstrahlend. Diese sind in den letzten sechs
Befunde
Monaten zunehmend, dies mit jeweils postprandialen
In der anschliessend durchgeführten thorako-abdomi-
Exazerbationen. Begleitsymptome werden verneint,
nalen Computertomographie finden sich eine massive
auch zeigt sich eine unauffällige Stuhlpassage. Es sind
Progredienz der bekannten zystischen Splenomegalie
bis auf eine leichtgradige chronisch venöse Insuffi-
(Zystengrösse bis 7 cm) sowie multiple Leberläsionen
zienz keine wesentlichen Nebendiagnosen bekannt.
(Abb. 1). Zur genaueren Spezifizierung derselben er-
Bereits vor über zehn Jahren diagnostizierte man
folgt komplettierend eine Kontrastmittel-gestützte
allerdings sonographisch als Zufallsbefund multiple
Sonographie. Übereinstimmend werden die teilweise
Milzzysten, die jedoch aufgrund des bildmorpholo-
septierten Zysten mit fehlender Kontrastmittelanrei-
gisch benignen Aspektes nicht weiter verfolgt wurden.
cherung im Bereiche der Zystenwand als benigne
Status
angiome.
Klinisch präsentiert sich eine schlanke Patientin in
Weiter wird aufgrund eines erhöhten CA-125-Wertes
gutem Allgemeinzustand, afebril und kardiopulmo-
von 211,7 U/ml (Normwert <30,2) eine gynäkologische
eingestuft, zusätzlich finden sich mehrere Leberhäm-
Beurteilung veranlasst. Der Verdacht auf ein Ovarialkarzinom lässt sich hierbei allerdings nicht erhärten.
Eine Echinokokkus-Serologie ist ebenfalls negativ.
Die übrigen Laboruntersuchungen inklusive Blutbild
sind soweit unauffällig.
Verlauf
Aufgrund des zunehmenden subjektiven Leidensdruckes sowie der weiterhin nicht gesicherten Dignität
des Milzbefundes wird die Indikation zur Splenektomie gestellt. Ein weiteres Kriterium zu diesem Therapieentscheid stellt die mutmassliche Beeinträchtigung
der Milzfunktion dar. Basierend auf dem kleinen Anteil bildmorphologisch normalen Milzparenchyms
wird dieses von internistischer Seite her als stark
kompromittiert beurteilt, obwohl sich im Blutausstrich keine Howell-Jolly-Körper nachweisen liessen. Unter dieser Prämisse wird anschliessend an
die inter nistischen Abklärungen eine Pneumokokken- und Meningokokkenimpfung durchgeführt.
Acht Wochen später erfolgt die offene Splenektomie
(Abb. 2). Die histologische Untersuchung ergibt die
Abbildung 1: CT-Befund mit einem maximalen Milzdurchmesser von 21 cm.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(11):257–259
Diagnose eines zystischen Lymphangiomes (Abb. 3).
FALLBERICHTE
258
Der perioperative Verlauf ist komplikationslos, und
die Patientin kann am achten postoperativen Tag
nach Hause entlassen werden. Zwei Wochen postoperativ erfolgt die notfallmässige Rehospitalisation
aufgrund steigender Entzündungsparameter bei an
sich beschwerdefreier Patientin. Computertomographisch lässt sich eine Thrombose der Vena lienalis
nachweisen. Konsekutiv wird eine orale Antikoagulation für sechs Monate initiiert. Anlässlich der zwischenzeitlichen klinischen Verlaufskontrollen zeigt
sich die Patientin wohlauf und beschwerdefrei.
Diskussion
Das zystische Lymphangiom (ZL) ist eine gutartige
Missbildung der lymphatischen Gefässe. In der überwiegenden Anzahl der Fälle ist es im Haut- und Subkutangewebe der Kopf- oder Halsregion bzw. der Achselhöhlen lokalisiert. Die Erkrankung stellt in diesen
Fällen primär ein kosmetisches Problem dar, wird in
Abbildung 2: Splenektomiepräparat vor Fixation (Massstablänge 30 cm). Fixiert 661 g
schweres Präparat, 21 × 9 × 10 cm. Das Restmilzparenchym macht insgesamt etwa 20%
des Gesamtpräparates aus.
den ersten Lebensjahren entdeckt und ist dementsprechend ein pädiatrisches Krankheitsbild [1]. Die
Prävalenz wird mit etwa 5 pro 10 000 Lebendgeburten angegeben. Eine intraabdominale Lokalisation
ist äusserst selten mit einem geschätzten Anteil von
weniger als 10% der insgesamt beobachteten Fälle [2].
Bei abdominaler Lokalisation zeigt sich das ZL vor allem mesenterial oder retroperitoneal, es wurden aber
auch Fälle in praktisch allen parenchymatösen Organen beschrieben. Das klinische Erscheinungsbild ist
abhängig von der Lokalisation und daher pleomorph,
meist jedoch bedingt durch den Masseneffekt. Es finden sich in der Literatur auch Berichte über Komplikationen wie intestinale Obstruktion, sekundäre
Infektion oder Zysteneinblutung [3].
Abgesehen von einzelnen Fallberichten finden sich
in der Literatur nur wenige systematische Arbeiten
über explizit splenische Lymphangiome. Diese beinhalten wiederum nur sehr kleine Fallzahlen und differenzieren meist nicht zwischen den histologischen
Subtypen (kapillär, kavernös, zystisch).
Diagnostisch spielen bildgebende Verfahren eine führende Rolle, wenn es darum geht, die Dignität abzuwägen. Dabei hält man sich an bildmorphologische
Kriterien, wie Enhancement der Zystenkapsel, Septierungen oder hyperechogenes intrazystisches Material, die zur Abgrenzung eines benignen Prozesses
zu einem Malignom dienen. In der Literatur zeichnet
Abbildung 3: Histologie: Milzparenchym mit zahlreichen verbundenen zystischen
Formationen. Diese sind durch eine flache einschichtige Zellschicht ausgekleidet.
Immunhistochemisch zeigt diese eine Positivität für D2-40 (spezifischer Antikörper
für lymphatisches Endothel) und CD31. CD34 wird nicht sicher koexprimiert.
Negativität für Calretinin.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(11):257–259
sich hierbei insbesondere bezüglich Spezifität eine gewisse Überlegenheit der Sonographie gegenüber der
Kontrastmittel-gestützten Computertomographie ab
[4]. Eine weitere wichtige Differentialdiagnose stellen
Hyatidenzysten dar, weshalb eine Echinokokkus-
FALLBERICHTE
259
Serologie ergänzend stets durchgeführt werden sollte.
man einen grossen und daher nicht resezierbaren
Dr. med. Manuel Zürcher
Spontane Remissionen sind beschrieben, weshalb bei
Befund durch Grössenreduktion operativ zugänglich
Kantonsspital Aarau
kleineren, kosmetisch wenig beeinträchtigenden
machen möchte [5].
Korrespondenz:
Tellstrasse 21
CH-5001 Aarau
maenuda[at]bluewin.ch
kutanen Manifestationen der Verlauf oft abgewartet
Bei der chirurgischen Resektion ist eine R0-Resek-
werden kann. Ein zuwartendes Vorgehen wird von
tion von grundlegender Wichtigkeit, da ansonsten
gewissen Autoren auch bei asymptomatischen intra-
die Rezidivgefahr hoch ist. Eine kürzlich erschienene
abdominalen Befunden propagiert. Dieser Ansatz ist
Arbeit [6] propagiert ein laparoskopisches Vorgehen
allerdings umstritten, nicht zuletzt, da die Dignität
als Standard für die Splenektomie in dieser Situation.
schliesslich nur histologisch einwandfrei gesichert
Diese Empfehlung basiert jedoch auf der Erfahrung
werden kann. Eine blosse Zystenaspiration mit oder
mit lediglich sieben Patienten, deren mittlere Milz-
ohne zusätzliche Injektion sklerosierender Agentien
grösse mit 10,5 cm wiederum bedeutend kleiner war
birgt eine hohe Rezidivgefahr und hat daher höchs-
als in unserem Fall (21 cm).
tens einen gewissen Stellenwert in Situationen, wo
Finanzierung / Interessenkonflikte
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Schlussfolgerungen für die Praxis
Literatur
1
Die Palette möglicher Ursachen und folglich auch der entsprechenden Therapieansätze einer Splenomegalie ist breit. Um eine zielgerichtete Thera-
2
pie festlegen zu können, müssen die Differentialdiagnosen sorgfältig
gegeneinander abgewogen werden. Bei zystischen Raumforderungen der
3
Milz soll ein zystisches Lymphangiom in diese Überlegungen einbezogen
werden. Zur Beurteilung der Dignität dienen hier primär bildgebende Verfahren wie Sonographie oder Computertomographie. Bei fehlenden Hin-
4
weisen auf ein malignes Geschehen und Beschwerdefreiheit kann ein expektativer Ansatz vertreten werden, einzige Möglichkeit zur Sicherung der
5
Dignität ist jedoch die chirurgische Resektion. Das Vorgehen sollte stets
individuell unter Berücksichtigung von Symptomatik, Bildgebung und des
mutmasslichen Grades der Beeinträchtigung der Milzfunktion patientenangepasst evaluiert werden.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
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FALLBERICHTE
260
Fettemulsion als Antidot bei einer Mischintoxikation
Fett für einmal gesund
Colette Degrandi a , Andreas Winter b , Alexander Dullenkopf b , Cornelia Reichert a
a
Tox Info Suisse, Assoziiertes Institut der Universität Zürich; b Kantonsspital Frauenfeld
Einleitung
In Rücksprache mit Tox Info Suisse (vormals Schweizerisches Toxikologisches Informationszentrum) wird
Die intravenöse Lipidemulsion (ILE) als Rescue-The-
50 mmol Natriumbicarbonat (NaBic) i.v. verabreicht.
rapie hat sich bei lebensbedrohlicher Kardiotoxizität
Hierunter normalisieren sich pH und BE vorüberge-
durch Lokalanästhetika etabliert [1]. Auch bei Kardio-
hend. Unter hoher Flüssigkeitszufuhr und Verabrei-
toxizität durch andere fettlösliche Medikamente
chung von Noradrenalin bis zu 25 µg/min stabilisiert
wurde wiederholt über gutes Ansprechen berichtet.
sich der MAP mit Werten zwischen 60 und 85 mm Hg.
Bei der Therapie von Intoxikationen mit Lipidpräpa-
Die transthorakale Echokardiographie zeigt eine nor-
raten (Kasten 1) handelt es sich allerdings um einen
male linksventrikuläre Auswurffraktion.
«Off-Label-Use». Wir stellen den Fall einer Mischinto-
Elf Stunden nach Ankunft im Spital kommt es wieder-
xikation mit Trimipramin, Quetiapin und Fluraze-
holt zu hämodynamisch relevanten Breitkomplex-
pam vor, bei dem sich die Patientin nach ILE hämo-
arrhythmien mit MAP-Werten um 50 mm Hg. Die
dynamisch rasch stabilisierte.
QTc-Zeit beträgt 571 ms, und der QRS-Komplex ist auf
188 ms verbreitert. Nach erneuter Verabreichung von
NaBic 50 mmol i.v. steigt der MAP kurzzeitig leicht an
Fallbeschreibung
und sinkt dann wieder auf Werte um 40 mm Hg. Zu
Eine 43-jährige Schweizerin mit rezidivierender de-
diesem Zeitpunkt wird Noradrenalin kontinuierlich
pressiver Störung wird vom Lebenspartner kurz
(45 µg/min) und zusätzlich bolusweise benötigt.
vor 18 Uhr reaktionslos im Bett liegend aufgefunden.
Nach erneuter Rücksprache mit dem Tox Info Suisse
Leere Blister von Seroquel® (Quetiapin) und Dalma-
wird um 7:30 Uhr ein Bolus von 75 ml 20%-igem Lipo-
dorm® (Flurazepam) sowie eine leere Dose Surmontil®
fundin® verabreicht, anschliessend werden weitere
(Trimipramin) suggerieren die Einnahme dieser
175 ml infundiert. Ausserdem werden noch zwei Mal
Medikamente. Der aufgebotene Notarzt sieht eine ta-
NaBic 50 mmol i.v. verabreicht.
chypnoeische Patientin (Atemfrequenz 25/min) mit
Schon während der Infusion von Lipofundin® kommt
einer pulsoxymetrischen Sauerstoffsättigung von
es zu einer Stabilisierung des Blutdruckes. Nach
80%, GCS 3 und weiten, nicht lichtreagiblen Pupillen,
Beendigung der ILE-Therapie werden im EKG ein
worauf die Intubation erfolgt. Die Patientin ist nor-
schmalerer QRS-Komplex von 128 ms und eine kür-
mokard und hypoton mit einem mittleren arteriellen
zere QTc-Zeit von 534 ms gemessen.
Druck (MAP) von 40 mm Hg. Neben bolusweiser Gabe
Das Noradrenalin kann über die folgenden Stunden
von Ephedrin und Noradrenalin wird einmalig er-
ausgeschlichen und um 18:30 Uhr gestoppt werden.
folglos 0,5 mg Flumazenil i.v. verabreicht.
Bei einer Plusbilanz von 11 Litern wird die Eigendiu-
Nach Ankunft im Schockraum um 19:10 Uhr werden
rese mittels Furosemid i.v. unterstützt.
weiter bolusweise Noradrenalin und Adrenalin, jeweils
Am nächsten Morgen wird die Patientin extubiert.
in steigender Dosierung bis 40 resp. 50 µg i.v., verab-
Am Abend muss sie wegen respiratorischer Erschöp-
reicht, mit nur geringem Effekt. Eine computertomo-
fung erneut intubiert werden. Bei Verdacht auf eine
graphische Untersuchung des Schädels zeigt keine
Aspirationspneumonie wird für insgesamt neun
Pathologien. Das toxikologische Screening auf Barbi-
Tage antibiotisch behandelt. Nach der Reintubation
turate, Amphetamine, Cocain, Opiate und Methadon
ist die Patientin intermittierend agitiert und muss
ist negativ. Ein zentraler Venenkatheter und ein Arte-
sediert werden. Vier Tage später kann sie definitiv
rienkatheter werden installiert. Die arterielle Blut-
extubiert werden.
gasanalyse zeigt eine metabolische Azidose mit einem
pH von 7,24 und einem negativen Base Excess (BE)
von 11,7. Im Elektrokardiogramm (EKG) sieht man
einen normokarden Sinusrhythmus mit einem atrioventrikulären Block 1. Grades und eine Verlängerung
der QTc-Zeit auf 541 ms sowie eine Verbreiterung des
QRS-Komplexes auf 132 ms.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(11):260–262
Kasten 1: Geeignete in der Schweiz verfügbare Präparate.
SMOFlipid ®
Lipofundin® MCT/LCT 20%
ClinOleic ® 20%
FALLBERICHTE
261
Die initial deutlich erhöhten Leber-, Pankreas-, Cho-
einem logP >2 werden als geeignet für die antidotale
lestase-, und Nierenretentionsparameter sinken im
Therapie mit ILE angesehen [1].
Verlauf und sind bei der Verlegung noch leicht erhöht.
In der Literatur werden verschiedene Wirkmechanis-
Nach 14-tägiger Hospitalisation auf der Intensivsta-
men der ILE diskutiert. Im Blut kommt es zu einem
tion kann die Patientin in ordentlichem Allgemein-
«Lipid sink» mit Umverteilung lipidlöslicher Medika-
zustand in eine stationäre psychiatrische Weiterbehandlung entlassen werden.
Diskussion
Die ILE ist eine neue Therapieoption mit guten ersten
Erfolgen bei Kardiotoxizität durch fettlösliche Medikamente (Kasten 2) [1]. In Tierstudien wurde gezeigt, dass
die Gabe einer Lipidinfusion die Kardiotoxizität durch
Lokalanästhetika aufheben kann. Es folgten Fallberichte mit eindrücklicher Wirkung bei lebensbedrohlicher Kardiotoxizität durch Lokalanästhetika beim
Menschen. Aufgrund dieser guten Wirkung wurde die
Lipidinfusion auch bei kardiotoxischen Symptomen
durch weitere Medikamente angewendet, unter anderem bei Intoxikationen mit Calciumkanalblockern,
Betablockern, Trizyklika, Flecainid und Kokain. Angewendet wurde die ILE aber auch bei anderen schweren
Symptomen wie zum Beispiel Koma nach Überdosierungen mit Medikamenten wie Quetiapin, Sertralin
und Olanzapin (siehe auch www.lipidrescue.org).
Der Octanol-Wasser-Verteilungs-Koeffizient (logP) sagt
Trimipramin, ein trizyklisches Antidepressivum mit gros sem
Verteilungsvolumen (ca. 30 l/kg), ist lipophil (logP 2–4). Bei
der Trimipraminvergiftung kommt es zu ZNS-Depression,
Herzrhythmusstörungen und Krampfanfällen. Bradyarrhythmien mit breiten QRS-Komplexen und schwere Hypotonie
sind typische Symptome bei Trizyklika-Intoxikationen. Todesfälle aufgrund von therapierefraktären Herz rhythmusstörungen sind beschrieben [2]. Am Herzen führt Trimipramin
zu einer Konfigura tionsänderung der schnellen Na- Kanäle
mit negativ dromotroper und negativ inotroper Wirk ung. Es
ist schwach basisch und liegt in saurem Milieu vermehrt in
ionisierter Form vor, welche stark an die Na- Kanäle bindet.
Durch Alkalinisierung löst sich Trimipramin von den Na-Kanälen, und die nicht- ionisierte Form diffundiert ins Fettgewebe.
Quetiapin ist ein atypisches Neuroleptikum. Das Verteilungsvolumen liegt bei 6–14 l/kg und der logP bei 2,9. Bei einer
Quetiapinvergiftung kommt es zu leichter Hypotonie, Sinustachykardie und ZNS-Depression, oft alternierend mit Agitation. Rhythmusstörungen und Krampfanfälle wurden selten
und nur bei hohen Dosen beschrieben [3].
Flurazepam gehört zu den Benzodiazepinen. Bei Überdosierung
kommt es zu ZNS-Depression und einem leichten Blutdruckabfall, paradoxe Reaktionen sind möglich. Kardiotoxische Symptome sind nicht beschrieben. Der logP von Flurazepam ist 3,8.
© Serinus | Dreamstime.com
aus, wie lipophil eine Substanz ist. Substanzen mit
Kasten 2: Involvierte Wirkstoffe und ihre Toxizität.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(11):260–262
FALLBERICHTE
262
mente in die Lipidpartikel, intrazellulär wird die Auf-
nen mit Trizyklika im Mittel 19,3 Stunden an (Range
nahme von Fettsäuren in die Mitochondrien ver-
3–78 h) [4]. Wegen des ungenügenden Ansprechens
Tox Info Suisse
bessert, und gewisse zytoprotektive Mechanismen
auf die wiederholte Gabe von NaBic wurde eine Lipid-
Freiestrasse 16
werden aktiviert; zudem kommt es zu einer Modulie-
infusion verabreicht. Schon während der Infusion
rung der Natriumkanäle an den Membranen [1].
stabilisierte sich der MAP, und die Katecholamine
Unerwünschte Wirkungen nach Anwendung von ILE
konnten ausgeschlichen werden. Das prompte An-
sind bis jetzt nur wenige beschrieben worden. Bei
sprechen des systolischen Blutdrucks auf ILE ist
einigen Patienten trat eine transiente Pankreatitis
auch in der Literatur bei Trizyklika-Intoxikationen
auf. In einzelnen Fällen kam es bei Patienten, die
beschrieben [5].
allerdings bereits lebensbedrohliche Symptome auf-
Bei unserer Patientin lässt sich nicht abschliessend
Korrespondenz:
Dr. med. Colette Degrandi
CH-8032 Zürich
colette.degrandi[at]toxinfo.ch
wiesen, zu einer reanimationspflichtigen Asystolie
beurteilen, ob die Besserung auch ohne intravenöse
direkt nach Verabreichung der Lipidemulsion. Ande-
Lipidinfusion eingetreten wäre. Der zeitliche Zusam-
rerseits wurden auch Fälle mit massiver Überdosie-
menhang der hämodynamischen und rhythmoge-
rung von Lipiden beschrieben, ohne dass es zu un-
nen Stabilisierung und der Verabreichung der Lipid-
erwünschten Wirkungen kam.
emulsion spricht aber für die Wirkung der ILE.
Die schweren kardialen Symptome bei unserer Patientin wurden in erster Linie durch Trimipramin verursacht, während die ZNS-Depression durch Flurazepam und Quetiapin verstärkt worden sein dürfte.
Die erneute Verschlechterung der kardialen Situation elf Stunden nach Einweisung ist vereinbar mit
einer schweren Trimipraminvergiftung. In einer
Finanzierung / Interessenkonflikte
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen
Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Literatur
1
2
Studie hielt die QRS-Verbreiterung bei Intoxikatio3
Schlussfolgerungen für die Praxis
4
Dank des nebenwirkungsarmen Profils sollte die Verabreichung einer
Lipidemulsion bei Vergiftungen durch Trizyklika in Betracht gezogen werden,
auch wenn das Präparat nicht ausdrücklich für diese Indikation zugelassen ist
(«Off-Label-Use»), sofern die etablierten Therapien nicht ausreichen.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
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