SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero Swiss Medical Forum 11 11. 3. 15 251 Chronische Niereninsuffi­ zienz: Welche Therapien können die Progression wirksam verlangsamen? A. D. Kistler, R. P. Wüthrich 257 Seltene Differentialdia­ gnose einer symptomatischen Splenomegalie M. Zürcher, L. Klippgen, M. M. Bühler, et al. 260 Fettemulsion als Antidot bei einer Mischintoxikation: Fett für einmal gesund C. Degrandi, A. Winter, A. Dullenkopf, C. Reichert With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly” 242 Auf der Suche nach dem Wurm: Parasiten des Gastrointestinaltraktes S. Majer, A. Neumayr Offizielles Fortbildungsorgan der FMH www.medicalforum.ch Organe officiel de la FMH pour la formation continue www.medicalforum.ch Bollettino ufficiale per la formazione della FMH www.medicalforum.ch INHALTSVERZEICHNIS 239 Redak tion Beratende Redaktoren Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Bern (Chefredaktor); Dr. Nadja Pecinska, Prof. Dr. Reto Krapf, Luzern; Prof. Dr. Ludwig T. Heuss, Zollikerberg; Basel (Managing editor); Prof. Dr. Martin Krause, Münsterlingen; Dr. Pierre Périat, Basel Prof. Dr. Klaus Neftel, Bern; Prof. Dr. Rolf A. Streuli, Langenthal; Prof. Dr. Antoine de Torrenté, La Chaux-de-Fonds; Prof. Dr. Gérard Waeber, Lausanne Advisory Board Dr. Sebastian Carballo, Genève; Dr. Daniel Franzen, Zürich; Dr. Francine Glassey Perrenoud, La Chaux-de-Fonds; Dr. Markus Gnädinger, Steinach; Dr. Matteo Monti, Lausanne, Dr. Ryan Tandjung, Zürich Und anderswo …? A. de Torrenté 241 Nichtsteroidale Antirheumatika und Antikoagulation bei Vorhofflimmern: Gefahr? Übersichtsartikel S. Majer, A. Neumayr 242 Auf der Suche nach dem Wurm: Parasiten des Gastrointestinaltraktes Dieser Artikel ist als Hilfestellung im praktischen Alltag gedacht. Wann ist es sinnvoll, nach einer intestinalen Parasitose zu suchen? Welche anamnestischen Angaben sind dabei hilfreich und welche Unter suchungsmethoden führen am ehesten ans Ziel? A. D. Kistler, R. P. Wüthrich 251 Chronische Niereninsuffizienz: Welche Therapien können die Progression wirksam verlangsamen? Es existieren nur sehr wenige Therapieansätze zur Progressionshemmung chronischer Nierenerkrankungen, die gut evidenzbasiert sind. Das am besten belegte Mittel zur Progressionshemmung bei Patienten mit Albuminurie besteht in einer antiproteinurischen Therapie mit ACE-Hemmern oder Angiotensinrezeptorblockern. Das kompakte Nephrologie-Handbuch Patricia Hirt-Minkowski Handbuch Nephrologie Ein Leitfaden 147 Seiten mit 7 Abbildungen, 5 Tabellen, 15 Grafiken. Broschiert. sFr. 20.– / € (D) 17.– / € (A) 17.50 EMH Schweizerischer Ärzteverlag ISBN 978-3-03754-080-0 Weitere Informationen finden Sie unter www.emh.ch in der Rubrik «Bücher». Die Betreuung von nierenkranken Patienten bedeutet im klinischen Alltag oft eine Herausforderung. Dies hat die Autorin angespornt, im Rahmen ihrer damaligen Tätigkeit am Regionalspital in Burgdorf im Jahre 2004 ein Nephrologie-Handbuch zu schreiben, das sich an die im Spital tätigen Assistenzärzte in der internistischen Ausbildung richtete. Aufgrund des grossen Interesses ist 2007 bereits die zweite, überarbeitete Auflage erschienen. Die vorliegende dritte Auflage wurde umfassend inhaltlich aktualisiert, um den neuen Erkenntnissen und Behandlungsfortschritten in der Nephrologie gerecht zu werden. Alle Kapitel wurden überarbeitet und durch neue Tabellen, Abbildungen und Algorithmen ergänzt. Das Nephrologie-Handbuch bietet eine kompakte und praxisorientierte Hilfestellung bei der Behandlung von Patienten mit Nierenkrankheiten. Ihre Bestellmöglichkeiten: T +41 (0)61 467 85 55, F +41 (0)61 467 85 56, [email protected], www.emh.ch, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, CH-4132 Muttenz INHALTSVERZEICHNIS 240 Fallberichte M. Zürcher, L. Klippgen, M. M. Bühler, E. Bächli, G. A. Melcher Linksseitige Oberbauchschmerzen und Milzzysten: Seltene Differentialdiagnose einer symptomatischen Splenomegalie Das zystische Lymphangiom (ZL) ist eine gutartige Missbildung 257 der lymphatischen Gefässe. In der überwiegenden Anzahl der Fälle ist es im Haut- und Subkutangewebe der Kopf- oder Halsregion bzw. der Achselhöhlen lokalisiert. C. Degrandi, A. Winter, A. Dullenkopf, C. Reichert Fettemulsion als Antidot bei einer Mischintoxikation: Fett für einmal gesund Die intra- 260 venöse Lipidemulsion als Rescue-Therapie hat sich bei lebensbedrohlicher Kardiotoxizität durch Lokalanästhetika etabliert. Extended abstracts from SMW New articles from the online journal “Swiss Medical Weekly” are presented after page 262. Neurowissenschaftliche Bestätigung empirischer Evidenz sowie wachsende Bedeutung von Epigenetik Die modernen Neurowissenschaften beeindrucken durch ihre neuen Erkenntnisse über das Hirn, über das neurobiologische Geschehen, welches Denken, Fühlen, Tun begleitet. Strukturen und Funktionen der Hirnzellen und ihrer Verknüpfungen (Konnektivität) sind wandelbar. Ernst Gemsenjäger Neurowissenschaften und Chirurgie Über das Hirn des Chirurgen und sein Wachstum Mit einem Vorwort von Gottfried Schatz 2014. 68 Seiten. Mit zahlreichen farbigen Abbildungen. Broschiert. sFr. 19.50 / € (D) 16.50 / € (A) 17.– ISBN 978-3-03754-079-4 EMH Schweizerischer Ärzteverlag Lernen, Erleben, Erfahrung erweitern die messbare Ausstattung mit Neuronen, Synapsen, Vernetzungen, Schaltkreisen; man spricht von Plastizität, Formbarkeit, adaptiver Wachstumsfähigkeit der Strukturen und Funktionen des Hirns. Das muss den Chirurgen, homo sapiens et faber, interessieren: Klinisches Können, Wissen, wie auch manuelle, operative Fertigkeit sind Leistungen des Hirns. In Analogie zu anderen, neurophysiologisch untersuchten Akteuren muss der Chirurg sehr viel üben, zuschauen, mittels seiner Spiegelneuronen virtuell mitoperieren, um operative Kompetenz zu erlangen. Weitere Informationen finden Sie unter www.emh.ch in der Rubrik «Bücher». Ihre Bestellmöglichkeiten: T +41 (0)61 467 85 55, F +41 (0)61 467 85 56, [email protected], www.emh.ch, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, CH-4132 Muttenz Impressum Swiss Medical Forum – Schweizerisches Medizin-Forum Offizielles Fortbildungsorgan der FMH und der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin Marketing EMH / Inserate: Dr. phil. II Karin Würz, Leiterin Marketing und Kommunikation, Tel. +41 (0)61 467 85 49, Fax +41 (0)61 467 85 56, [email protected] Redak tionsadresse: Ruth Schindler, Redaktionsassistentin SMF, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 58, Fax +41 (0)61 467 85 56, [email protected], www.medicalforum.ch Abonnemente FMH-Mitglieder: FMH Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte, Elfenstrasse 18, 3000 Bern 15, Tel. +41 (0)31 359 11 11, Fax +41 (0)31 359 11 12, [email protected] Andere Abonnemente: EMH Schweize­ rischer Ärzteverlag AG, Abonnemente, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 75, Fax +41 (0)61 467 85 76, [email protected] Abonnementspreise: zusammen mit der Schweizerischen Ärzte­ zeitung 1 Jahr CHF 395.– / Studenten CHF 198.– zzgl. Porto; ohne Schweize­ rische Ärzte zeitung 1 Jahr CHF 175.– / Studenten CHF 88.– zzgl. 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Fragestellung Antikoagulation ist der Goldstandard zur Prävention bei Patienten mit Vorhofflimmern (VHF) nach einer Beurteilung ihres thromboembolischen Risikos. Der Preis dafür ist ein erhöhtes Blutungsrisiko, welches anhand des HAS-BLED-Score beurteilt wird. Ein Kriterium ist u.a. die Einnahme von Nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR). Wie hoch ist das Blutungsrisiko von Patienten mit VHF, die neben der Antikoagulation NSAR erhalten, welche grossflächig verschrieben und eingenommen werden? Methode In Dänemark erhält jeder Einwohner bei seiner Geburt eine persönliche Identifikationsnummer, die er sein Leben lang behält. So erhält man auf einfachem Wege Informationen über Spitaleinweisungen und Medikamentenverschreibungen (Art, Dosierung, Einnahmedauer). Auch die primären oder sekundären Todesursachen sind abrufbar. In die Studie wurden alle Patienten älter als 30 Jahre eingeschlossen, die von 1997 bis 2011 erstmalig mit der Diagnose VHF ins Spital eingewiesen worden waren. Zusätzlich wurden die Medikamentenfreisetzende Stents: 12- oder 30-monatige Thrombozytenaggregationshemmung? Nach der Implantation eines medikamentenfreisetzenden Stents wird eine duale Thrombozytenaggregationshemmung zur Verhinderung einer Stent-Thrombose verordnet. Im Allgemeinen wird diese ein Jahr lang fortgesetzt. Nach einjähriger Behandlung mit Azetylsalizylsäure plus Clopidogrel oder Prasugrel wurde bei fast 10 000 Patienten entweder die duale Medikation oder ausschliesslich die Azetylsalizylsäure -Einnahme fortgesetzt. Nach 30 Monaten waren in der Kombinationsbehandlungsgruppe 0,4% Stent-Thrombosen gegenüber 1,4% in der Gruppe mit alleiniger Azetylsalizylsäure-Einnahme aufgetreten. Der Preis: mässige bis schwere Blutungen bei 2,5% der Patienten unter Kombinationsbehandlung gegenüber 1,6% unter Azetylsalizylsäure allein. Eine schwierige Wahl … Mauri L, et al. N Engl J Med. 2014;371:2155. Verschreibungen von Azetylsalizylsäure, Clopidogrel, Vitamin-K-Antagonisten und NSAR analysiert. Dabei wurde zwischen COX2-Hemmern und anderen NSAR unterschieden. Eine hohe NSAR-Dosis war wie folgt definiert: Ibuprofen (1200 mg/Tag), Diclofenac (100 mg/Tag), Naproxen (500 mg/Tag), Rofecoxib (25 mg/Tag) und Celecoxib (200 mg/ Tag). Es wurde eine mindestens 30-tägige gleichzeitige Medikation mit NSAR und Antikoagulantien berücksichtigt. Primärer Endpunkt war eine schwere Blutung, die eine Spitaleinweisung erforderte, oder der Tod. Sekundärer Endpunkt war eine Spitaleinweisung oder Tod infolge eines thromboembolischen Ereignisses. Resultate Es wurden 150 900 Patienten mit VHF und einem Durchschnittsalter von 75 Jahren eingeschlossen, 47% waren Frauen. 53 700 erhielten während eines medianen Follow-up von 6,2 Jahren ein NSAR. Bei 11,4% trat eine schwere Blutung auf und bei 13% ein thromboembolisches Ereignis. Nach einem dreimonatigen Follow-up betrug das absolute Risiko für eine schwere Blutung nach 14-tägiger NSAR-Einnahme für alle NSAR-Arten 3,5/1000 gegenüber 1,5/1000 Patienten ohne NSAR-Einnahme (Risikoverhältnis HR 2,27). Eine NSAR-Einnahme über der Mindestdosierung war selbst bei einer Kurzzeitanwendung Ebola und Sex Männer, die eine Ebola-Infektion überlebt haben, sollten laut WHO-Bericht drei Monate lang keinen ungeschützten Geschlechtsverkehr ausüben. Denn trotz klinischer Heilung ist das Virus noch 82 Tage lang im Sperma zu finden. Äusserst merkwürdig, da es im Blut nicht nachweisbar ist … Physician’s First Watch. 2014; December 1. Adipositas und Lebenserwartung: unerfreulich Eine validierte in «Lancet Diabetes and Endocrinology» erschienene Modellrechnung hat ergeben, dass übergewichtige Menschen im Vergleich zu Personen mit normalem BMI durchschnittlich eine um 2,7 Jahre, adipöse Menschen eine um 5,9 und stark adipöse Menschen eine um 8,4 Jahre geringere Lebenserwartung haben. In Bezug auf die verlorenen gesunden Lebensjahre waren die Zahlen noch erschreckender. Sie wurden SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):241 von 14 Tagen mit einem deutlich höheren Risiko assoziiert. Auch das Risikoverhältnis für thromboembolische Ereignisse war mit 1,36 signifikant erhöht. Probleme Es handelt sich um eine Beobachtungsstudie, weshalb kein kausaler Zusammenhang nachweisbar ist. Kommentar Am häufigsten traten mit einem Risikoverhältnis von 3,54 gastrointestinale und mit einem Risikoverhältnis von 1,22 intrakranielle Blutungen auf. Folglich kam es bei einem von 400 bis 500 Patienten nach 14-tägiger NSAR-Einnahme zu einer schweren Blutung mit erhöhtem Risiko bei Diclofenac (Voltaren®) und Naproxen (Apranax®). Die Verschreibung von NSAR plus Antikoagulans hatte zudem ein erhöhtes thromboembolisches Risiko, insbesondere bei Patienten mit hohem CHA2DS2-VASC-Score, zur Folge. Es ist wirklich bemerkenswert, welche interessanten epidemiologischen Daten das dänische Gesundheitssystem seit einigen Jahren dank seines Bürgerregistrierungssystems zur Verfügung stellt. Fazit: Die Verschreibung von NSAR für Patienten unter Antikoagulantien sollte aufgrund der obigen Daten mit äusserster Vorsicht erfolgen … Lamberts M, et al. Ann Intern Med. 2014:161:690. anhand eines Patientenkollektivs bestehend aus 4000 Personen, ohne Diabetes oder kardiovaskuläre Erkrankungen bei Studieneinschluss, berechnet. Physician’s First Watch. 2014; December 5. Messung der fraktionellen Flussreserve Die FDA hat eine neue Technologie zur Messung der Koronarflussreserve zugelassen. Dabei handelt es sich um eine Koronar-CT-Software. Mit der neuen Methode konnten 84% der bei einer herkömmlichen Katheteruntersuchung sichtbaren Läsionen korrekt festgestellt werden, die eine Katheterbehandlung erfordern, und 86%, die keine Katheterbehandlung erfordert hätten. Sollten sich diese Resultate bestätigen, bleibt nur zu hoffen, dass die Software schnell verfügbar ist … Physician’s First Watch. 2014; December 1. ÜBERSICHTSARTIKEL 242 Auf der Suche nach dem Wurm Parasiten des Gastrointestinaltraktes Sabine Majer a , Andreas Neumayr b,c a Infektiologie Medizinische Klinik Kantonsspital Münsterlingen; b Schweizerisches Tropen- und Public Health Institut; c Universität Basel Quintessenz • Parasitosen des Darmes werden durch Protozoen und Helminthen ver© Otis Historical Archives of “National Museum of Health & Medicine” (OTIS Archive 1) ursacht; meist handelt es sich um Zoonosen. • Im Gegensatz zu bakteriellen Zoonosen sind parasitäre Darmerkrankungen bei uns selten; in Entwicklungsländern dagegen verursachen Darmparasiten häufig gesundheitliche Probleme. • Durch die grössere globale Mobilität werden auch in unseren Breitengraden gelegentlich exotische Parasiten gefunden. • Chronisch-rezidivierende Stuhlunregelmässigkeiten können durch Protozoen verursacht sein, meist Giardien und Cryptosporidien; nach Auslandaufenthalt auch durch Amöben und Nematoden. • Bei Eosinophilie nach Aufenthalt in einem Entwicklungsland sollte nach Parasiten gesucht werden. • Für den Nachweis einer parasitären Erkrankung braucht es korrekt abgenommenen Stuhl, genügend Material und eine Blutabnahme zum richtigen Zeitpunkt. • Die Therapie sollte sich auf einen Erregernachweis stützen. • Eine routinemässige Therapie asymptomatischer Reiserückkehrer ist nicht sinnvoll. Einleitung Angaben sind dabei hilfreich und welche Untersuchungsmethoden führen am ehesten ans Ziel? Auf In unserem Medizinalltag haben wir es mehr und vier der häufigsten Problemstellungen soll besonders mehr mit parasitären Erkrankungen zu tun, die wir eingegangen werden: Reiserückkehrer und Langzeit- bis anhin weit weg in tropischen oder subtropischen aufenthalter, Migranten, Immunsupprimierte und die Ländern wähnten. Grund dafür sind häufigere Aus- primäre Präsentation einer parasitären Erkrankung landreisen, globale Migration, schnelle Transport- als Eosinophilie. wege für frische Nahrungsmittel und klimatische Veränderungen [1–3]. Nicht alle parasitären Erkrankungen Sabine Majer Andreas Neumayr des Magen-Darm-Traktes aber sind importiert. Die Häufigkeit parasitärer Erkrankungen Nähe von Mensch und Tier macht es auch bei uns Es ist schwierig, in unseren Breiten die Häufigkeit möglich, dass sich Erreger in unseren Körper verirren, sowohl importierter als auch lokal erworbener parasi- die ihren Entwicklungszyklus eigentlich an einen an- tärer Erkrankungen abzuschätzen, da Surveillance- deren Wirt angepasst haben. Bei parasitären Infektio- Datenbanken in der Regel auf akute Ausbrüche abzie- nen des Menschen handelt es sich oft um sogenannte len und nicht die wahre Prävalenz widerspiegeln. Die Zoonosen, um Krankheiten also, die zwischen Mensch meisten Parasitosen sind nicht meldepflichtig und und Tier übertragen werden können. Verursacht wer- werden auch durch Routineuntersuchungen im Labor den sie durch Protozoen (Einzeller) oder Helminthen nicht erfasst. Grundsätzlich aber sind Infektionen (Nematoden, Cestoden, Trematoden). durch Parasiten bei uns von geringer epidemiologi- Dieser Artikel ist als Hilfestellung im praktischen scher Relevanz, ganz im Gegensatz zu bakteriellen Alltag gedacht. Wann ist es sinnvoll, nach einer intes- Zoonosen. Sie gewinnen aber an Bedeutung in Aus- tinalen Parasitose zu suchen? Welche anamnestischen bruchsituationen und sind nicht zu vernachlässigen SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):242–250 ÜBERSICHTSARTIKEL 243 bei Risikopopulationen wie Immunsupprimierten, Baden in Bergbächen, Weihern oder in öffentlichen Kindern, Reiserückkehrern und Migranten. Schwimmbädern kann die Quelle für eine Infektion durch Lamblien oder Cryptosporidien sein. Epidemiologie Sind andere Familienmitglieder erkrankt, andere Stellt sich die Frage nach einer Parasitose, ist detektivi- Mitreisende oder vielleicht das Haustier? Lebt der sches Gespür wichtig. Anamnestische Angaben können Patient in engem Kontakt zu Tieren oder ist er beruflich richtungsweisend sein und helfen, die Diagnostik auf einem Risiko ausgesetzt? ein ökonomisch vertretbares Minimum einzuschrän- Mensch-zu-Mensch- und Tier-zu-Mensch-Übertragun- ken. Es gilt insbesondere, parasitäre Infektionen von gen sind häufig der Ursprung von Infektionen, insbe- anderen Ursachen abzugrenzen, wie: sondere bei Oxyuren, Cryptosporidien oder Giardien. – bakteriellen Infektionen; Und auch die Übertragung auf dem sexuellen Weg ist – Antibiotika-assoziierter Diarrhoe; möglich, insbesondere durch anale Praktiken. – Nahrungsmittelunverträglichkeit; – Laktoseintoleranz; – Reizdarm nach durchgemachter Durchfallerkrankung; Erregerspektrum und klinische Präsentation – Zöliakie; Grundlegend für die Ausprägung der Symptomatik – anderen entzündlichen Darmerkrankungen und sind die Virulenz des Erregers, das Alter des Betroffenen und sein Immunstatus. Manche Parasiten sind Malignomen. Parasiten gelangen über kontaminierte Nahrungs- typische Opportunisten, die beim Immungesunden mittel, verschmutztes Trinkwasser oder direkt fäkal- harmlos sind, für Abwehrschwache aber fatal sein oral in den Magen-Darm-Trakt. Es ist deshalb wichtig, können. nach den Ernährungsgewohnheiten und kulinari- Die Beschwerden, die ein Erreger verursacht, hängen schen Vorlieben des Patienten zu fragen und seinen davon ab, welchen Darmabschnitt er besiedelt, um- sozioökonomischen Hintergrund zu kennen. gekehrt lässt die Symptomatik auf den Verursacher rückschliessen. Die Tabelle 2 trägt diesem Aspekt Wurden Nahrungsmittel wie nicht oder ungenügend Rechnung. gekochtes Fleisch, Fisch, Schnecken, Krebse, Amphibien oder Wasserpflanzen konsumiert (Tab. 1)? Protozoen Im asiatischen Raum beispielsweise ist es üblich, Mehrere Erreger aus dieser Gruppe können zu akuter rohen Fisch und frische Wasserpflanzen zu essen. Die wässriger Diarrhoe führen und sind nicht selten für Folge davon kann eine Infektion sein, ausgelöst relevante Ausbrüche durch kontaminiertes Wasser durch Anisakis, Gnathostoma, den Fischbandwurm oder Nahrungsmittel verantwortlich. Die Sym- Diphyllobothrium latum oder Darm- und Leberegel. ptomatik ist nicht von bakteriellen Infektionen zu Bei Konsum von Fleischprodukten aus privater unterscheiden; sofern sie selbstlimitierend verläuft, Schlachtung ohne Fleischbeschau oder Wildfleisch ist kein Erregernachweis notwendig, es sei denn besteht das Risiko einer Trichinellose oder Taeniasis. aufgrund einer epidemiologischen Fragestellung. Kontaminiertes Wasser auf Bergwanderungen, beim Im Jahr 2012 waren 0,7% der in Europa registrierten Ausbrüche durch Protozoen verursacht, meist Cryptosporidien und Lamblien [3–6]. Beide Erreger kön- Tabelle 1: Risiken durch Wasser und Nahrungsmittel (roh oder ungenügend gekocht). nen neben den selteneren Cyclospora und Microspori­ dia auch zu chronischen Darmbeschwerden führen, Kontaminiertes, ungefiltertes Wasser Cryptosporidia, Giardia, Cyclospora, Toxoplasma etc. Süsswasserkontakt, Tropen Schistosomiasis Rohes Gemüse, Salat Cryptosporidia, Giardia, Cyclospora, Ascaris, Trichuris, Taenia (s. Abschnitt Immunsupprimierte). Tritt die Symptomatik nach einer Reise auf, kommen zusätzlich Amö- mit intermittierender Diarrhoe, Flatulenz, Appetitlosigkeit und Malabsorption über Wochen. Die Erkrankung kann bei Immunsuppression schwer verlaufen Fleisch Taenia, Trichinella Süsswasserfisch Fischbandwurm, Darm- und Leberegel ben als Auslöser in Frage. Die Amöbe Entamoeba histo­ Salzwasserfisch Anisakis, Fischbandwurm lytica, die mikroskopisch nicht von der apathogenen Schnecken Kleine Trematoden Entamoeba dispar zu unterscheiden ist, ist aus klini- Flusskrebse Lungenegel (Paragonimus) Wasserpflanzen Darm- und Leberegel, andere Trematoden scher Sicht ein Tausendsassa. Sie kann den Darm SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):242–250 asymptomatisch besiedeln, zu milder Diarrhoe oder ÜBERSICHTSARTIKEL 244 Tabelle 2: Parasiten, Symptomatik, Diagnostik und Therapie. Protozoa/Einzeller Darmabschnitt, Organ Klinik Betroffene, Vorkommen Entamoeba histolytica, Amöbe Kolon, extraintestinal asymptomatische Zystenausscheider weltweit, vorwiegend Tropen, Subtropen, Entwicklungsländer leichte bis mässige Darmbeschwerden, blutige Dysenterie, toxisches Megakolon, Abszesse Cryptosporidia sp. Dünndarm, intrazellulär akute wässrige Diarrhoe, Gastroenteritis, evtl. Fieber, Gewichtsverlust, selbstlimitiert; prolongiert bei Immunsuppression weltweit; Immungesunde, prolongiert bei Immunsuppression und Kleinkindern Cyclospora cayatenensis Dünndarm, anhaftend explosionsartige Durchfälle, selbstlimitiert (1–3 Wo), Blähungen, Krämpfe, Übelkeit, Appetit- und Gewichtsverlust, grippale Symptomatik, Fieber Tropen, Subtropen; Immungesunde, prolongiert bei Immunsuppression Giardia lamblia oberer Dünndarm, Gallenweg, Gallenblase asymptomatische Zystenausscheidung, akute Diarrhoe, chronische Stuhlunregelmässigkeiten mit Blähungen, übelriechendem Stuhl, Malabsorption weltweit; Kinder schwerer betroffen Cytoisopora belli Dünndarm, intrazellulär akute wässrige Diarrhoe, selbstlimitiert, prolongiert bei Immunsuppression; selten Eosinophilie, reaktive Arthritis Tropen, Subtropen; Immungesunde, schwerer bei Immunsuppression, Kindern, älteren Patienten Microsporidia Dünndarm, intrazellulär chronische Diarrhoe, Übelkeit, Gewichtsverlust, selten Cholangitis, Cholezystitis weltweit; Immunsuppression, sehr selten bei Immungesunden Blastocystis hominis Dünndarm, intrazellulär fakultativ pathogen, asymptomatische Zystenausscheidung häufig; selten wässrige Diarrhoe, Gastroenteritis, Blähungen, Urticara Tropen, Subtropen, Entwicklungsländer; Immungesunde, prolongiert bei Immunsuppression Dientamoeba fragilis Zökum, Colon ascendens fakultativ pathogen, asymptomatische Zystenausscheidung häufig; selten wässrige Diarrhoe, Gastroenteritis, Reisediarrhoe, Eosinophilie weltweit, v.a. Entwicklungsländer; Reiserückkehrer aber zu blutiger Dysenterie und durch Invasion zu Ab- beschwerden und Malabsorption in Entwicklungs- szessen, meist in der Leber, führen. Die beiden Einzel- ländern. Ihr Einfluss auf die Entwicklung von Kindern ler Blastocystis hominis und Dientamoeba fragilis gel- in diesen Weltregionen ist riesig. ten primär als apathogen, resp. fakultativ pathogen. Das Besondere am Zwergfadenwurm Strongyloides ist Eine asymptomatische intestinale Kolonisierung wird seine Fähigkeit der Autoinfektion. Ohne notwendiges häufig nach Auslandsaufenthalten gesehen. Entwicklungsstadium ausserhalb des Wirtes durchbrechen Larven des Erregers aufs Neue die Darm- Helminthen wand und unterhalten eine chronische, potentiell lebenslange Infektion. Der Wirt spürt meist nichts Nematoden (Fadenwürmer) davon. Durch eine erworbene Abwehrschwäche aber Eine Infektion durch Nematoden verläuft entweder kann es noch Jahre nach der Emigration zu einer asymptomatisch, führt zu chronischen Darmbe- gefährlichen Reaktivierung kommen (s. Abschnitt schwerden mit Malabsorption und Gewichtsverlust, Immunsupprimierte). einer Anämie oder aber, wie bei Amöben, zu einer Die erwähnten Nematoden werden durch Reisende blutigen Dysenterie. Für letztere typisch ist der Peit- oder Langzeitaufenthalter selten einmal importiert schenwurm Trichuris trichuria, der seinen Kopf in die und können chronische Darmbeschwerden verursa- Wand von Ileum und Zökum bohrt. Trichuris und die chen. Auch ein Löffler-Syndrom oder Katayama-Fie- Hakenwürmer Ancylostoma duodenale und Necator ber durch die frühe Migration von Larven wird gele- americanus (engl. hookworm) sind oft ursächlich für gentlich beobachtet (s. Abschnitt Eosinophilie). eine Anämie bei Migranten. Zusammen mit Strongy­ Der kleine bei uns heimische Nematode Enterobius loides stercoralis und Ascaris lumbricoides sind sie vermicularis, verantwortlich für die Oxyuriasis, führt verantwortlich für eine Vielzahl chronischer Darm- nächtlich zu perianalem Juckreiz, selten zu einer Ap- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):242–250 ÜBERSICHTSARTIKEL 245 Diagnose Therapie Bemerkungen Stuhl nativ, max. 36 h alt: PCR oder Antigen-Nachweis, Serologie bei V. a. Abszess Paromomycin 3× 500 mg/d à 7–10 d oder Diloxanide furoate 3× 500 mg/d à 10 d mikroskopisch nicht zu unterscheiden von apathogener E. dispar und E. moshkovskii Metronidazol 3× 750 mg/d à 7–10 d, danach Paromomycin 3× 500 mg/d à 7–10 d Abszessdrainage selten not wendig, indiziert bei NichtAnsprechen auf medikamentöse Therapie, Gefahr einer Ruptur oder Perforation in andere Organe Stuhl nativ: PCR oder AntigenNachweis, SAF: Mikroskopie mit Spezialfärbung Paromomycin 3× 500 mg à 7 d, alternativ Nitazoxanid 2× 500 mg/d à 3 d, längere Therapiedauer und höhere Dosierungen bei HIV Therapie bei Immunsuppression schwierig, wirklich effizient ist nur HAART. Oozyten sind Chlor-resistent, schwierig zu filtern SAF: Mikroskopie mit Spezialfärbung TMP/SMX 160/800 mg 2× 1/d à 7–10 d, alternativ: Ciproxin 2× 500 mg/d à 7 d; Immunsupprimierte: 4× 1/d à 14 d, dann Suppression mit 3× 1/Wo + HAART kommt nur beim Menschen vor, Import mit Nahrungsmitteln Stuhl nativ, Duodenalsaft, Galle: Antigen-Nachweis, SAF: Mikroskopie Metronidazol 3× 500 mg/d à 7 d, alternativ: Tinidazol 2 g ED, Ornidazol 500 mg 2× 1/d à 5 d SAF: Mikroskopie mit Spezialfärbung TMP/SMX 160/800 mg 2× 1/d à 7–10 d, alternativ: Ciprofloxacin 2× 500 mg/d à 7 d; Immunsupprimierte: 4× 1/d à 14 d, dann Suppression mit 3× 1/Wo + HAART Stuhl nativ, Biopsie, Punktat: PCR oder Mikroskopie mit Spezialfärbung, Serologie Albendazol 2× 400 mg/d à 21 d, HIV: 2× 400 mg/d bis CD4 >200 Stuhl nativ: Mikroskopie TMP/SMX 160/800 mg 2× 1/d à 7 d, alternativ: Metronidazol 3× 500 mg/d à 7 d, Nitazoxanid 2× 500 mg/d à 3 d Stuhl nativ: Mikroskopie Ornidazol 2 g ED, alternativ: Paromomycin 3× 500 mg/d à 7–10 d, Metronidazol 3× 500–750 mg/d à 10 d, Iodoquinol 3× 650 mg/d à 20 d pendizitis. Bei Kindern kann er durch Appetitlosig- kommt nur beim Menschen vor, hohe Rezidiv-Rate Ziel der Therapie: Beschwerdefreiheit, Eradikation schwierig merken. Auch der bei uns sporadisch zu Infektionen keit zu einer Wachstumsretardierung führen. Der führende Fischbandwurm Diphyllobotrium latum ist Mensch ist einziger Wirt, und nicht selten wird der kaum symptomatisch. Zysten von Taenia solium kleine Wurm innerhalb von Familien oder Institutio- können aber zu einer Entzündung im umgebenden nen weitergegeben. Gewebe führen, besonders im ZNS (Epilepsie, Hirn- Die Trichinellose wird ebenfalls, wenn auch selten, druck). Diese sogenannte Zystizerkose kommt durch in unseren Breitengraden gesehen, insbesondere die orale Aufnahme von Eiern zustande und nicht nach Verzehr von Wildfleisch (Tab. 1). Die Invasion über infiziertes Fleisch. Meist ist aber auch diese der Muskulatur durch die Larven des Parasiten (Tri- Form der Infektion asymptomatisch. chinen) führt zu einer akuten inflammatorischen Reaktion mit Eosinophilie, Fieber, periorbitalem Ödem Trematoden (Saugwürmer, Egel, engl. flukes) und Muskelschmerzen. Durch die obligatorische Den grossen Leberegel Fasciola hepatica findet man in Fleischuntersuchung wird die Trichinellose in der unseren Breitengraden in der Leber von Schafen und Schweiz allerdings kaum mehr beobachtet; der Haus- Rindern. Der adulte Saugwurm wird bis zu 3 cm gross schweinebestand gilt als Trichinen-frei (BAG). und besiedelt vorzugsweise die Gallenwege. Innerhalb Europas gelten vor allem Spanien, Portugal und Cestoden (Bandwürmer) Frankreich als Endemiegebiete. Autochthone Fälle Die Bandwürmer Taenia solium und Taenia saginata werden aber sporadisch in fast allen europäischen sind weltweit verbreitet und führen trotz ihrer Staaten inklusive der Schweiz gemeldet. Die Infek- Grösse nur selten oder gar nicht zu Symptomen. Be- tion des Menschen erfolgt durch kontaminiertes troffene suchen meist erst dann den Arzt auf, wenn Trinkwasser oder typischerweise durch den Verzehr sie Segmente (Proglottiden) des Wurms im Stuhl be- von Wasserpflanzen. Die invasive Frühphase der In- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):242–250 ÜBERSICHTSARTIKEL 246 fektion (Leberparenchympassage) ist durch die Trias Herkunftsort und auf dem Weg nach Europa: deso- aus Fieber, rechtsseitigen Oberbauchschmerzen und lates Gesundheitssystem in der Heimat, lange Reise ausgeprägter Eosinophilie charakterisiert. Einmal unter schwierigen Bedingungen, Mangelernährung ausgewachsen und in den Gallengängen eingenistet, und Anämie sowie Koinfektionen, welche die Abwehr verursacht der Wurm kaum Symptome, kann aber schwächen. Häufigste Erreger sind Trichuris, Ascaris, durch Obstruktion und Entzündung der Gallenwege Giardia lamblia und Blastocystis hominis, Entamoeba zu Problemen führen. histolytica/dispar sowie Hakenwürmer. Bei Migranten Die Pärchenegel Schistosoma mansoni und Schisto­ aus tropischen und subtropischen Regionen finden soma japonicum/mekongi können in der Phase der Ei- sich zudem oft Strongyloides stercoralis, und viele ablage bei Nicht-Immunen, also auch bei Reisenden, Menschen aus Subsahara-Afrika sind mit Schistoso- zu einer akuten Entzündungsreaktion mit Eosino- men infiziert. philie führen (Katayama-Fieber, s. Abschnitt Eosino­ Trotz der hohen Prävalenz leiden die Betroffenen oft philie). Die adulten Würmer nisten sich in den Venen kaum unter Symptomen, und ein flächendeckendes von Dünn- und Dickdarm ein, führen dort zu Granu- Screening bei Ankunft im Bestimmungsland wird lomen und als Folge davon zu prolongierter Diar- nicht grundsätzlich empfohlen. Die USA sind bislang rhoe, Dysenterie und Malabsorption. als einziges Land dazu übergegangen, Flüchtlinge, die aus Risikogebieten stammen, bereits vor ihrer Ab- Reiserückkehrer, Langzeitaufenthalter reise (z.B. noch im Flüchtlingscamp) routinemässig antiparasitär zu behandeln [10]. Die Häufigkeit parasitärer Erkrankungen bei Reisen- Bei Anämie, chronischen Darmbeschwerden oder ei- den und Langzeitaufenthaltern wird überschätzt, ner Eosinophilie sollte nach Darmparasiten gesucht und eine routinemässige Entwurmung asymptoma- werden. Eine unklare Leberfibrose und Zeichen der tischer Rückkehrer wird nicht empfohlen [15, 16]. Eine portalen Hypertonie können durch eine chronische akute Durchfallerkrankung auf Reisen ist zwar häu- intestinale Schistosomiasis verursacht sein. In diesem fig, sie wird aber nur selten durch Parasiten ausgelöst Kontext darf auch die Suche nach einer Hämaturie und ist fast immer bakteriellen oder unspezifischen als wichtiges Symptom einer urogenitalen Schistoso- Ursprungs [7]. Eine Abklärung ist dann angezeigt, miasis nicht fehlen. wenn Stuhlunregelmässigkeiten nach Reiserückkehr Vor immunsuppressiver Therapie sollten auch asym- über mehr als drei Wochen anhalten. Gardien, Crypto- ptomatische Migranten auf Strongyloides stercoralis sporidien und Amöben (seltener Cyclospora sowie Mi­ gescreent werden. Wie die Schistosomen können crosporidia) können chronisch-rezidivierende Durch- Strongyloides unbemerkt im Körper verweilen und fälle verursachen. Je länger die Aufenthaltsdauer und erst Jahre nach der Emigration zu Morbidität und je schlechter die Hygienestandards im Gastland sind, Mortalität führen – zu einem Zeitpunkt also, zu dem umso grösser ist das Risiko für eine Infektion [7, 8]. kaum mehr an eine schlummernde Parasitose ge- Die Rolle von Dientamoeba fragilis und Blastocystis dacht wird (s. Abschnitt Immunsupprimierte). hominis als Ursache einer akuten Reisediarrhoe oder eines Reizdarmsyndroms ist nach wie vor umstritten. In grossen Mengen mögen diese sonst apatho- Immunsupprimierte genen Erreger zu Symptomen führen. Eine probatori- Manche Parasitosen entwickeln ihr pathogenes Po- sche Therapie sollte auf Personen mit prolongierten tential erst bei Abwehrschwäche des Wirtes (AIDS, Beschwerden beschränkt bleiben, bei denen keine Chemotherapie, Immunsuppression nach Transplan- andere Ursache gefunden werden kann [5, 8]. tation, Autoimmunerkrankungen). Beispiele hiefür sind die Protozoen Cryptosporidia, Microspora, Cyto­ isospora belli und seltener Cyclospora cayetanensis, die Migranten zu schweren, prolongierten Durchfallerkrankungen Im Gegensatz zur Schweizer Bevölkerung leiden Mi- führen können. Bei HIV-Patienten hat die Inzidenz die- granten aus Entwicklungsländern häufig an parasitä- ser opportunistischer Infektionen mit Einführung ren Erkrankungen. In bis zu 60% der Fälle können in der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) Stuhlproben Parasiten nachgewiesen werden [9]. Da- Mitte der neunziger Jahre deutlich abgenommen. bei tragen Asylsuchende aus Subsahara-Afrika sowie Eine asymptomatische Infektion durch Strongyloides Südostasien die grösste Parasitenlast. Ihr Einfluss auf stercoralis kann bei Immunsuppression zu einer den Gesundheitszustand der Betroffenen steigt pro- schweren systemischen Entzündungsreaktion führen. portional zu zusätzlichen Gesundheitsrisiken am Gefürchtet ist insbesondere das lebensbedrohliche SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):242–250 ÜBERSICHTSARTIKEL 247 Hyperinfektionssyndrom, bei dem es zu einer Über- Suche nach Darmparasiten nicht, und das Kreuz auf schwemmung des gesamten Organismus mit filarifor- dem Laborblatt aus Verzweiflung kommt einem men Larven kommt. Es ist deshalb ratsam, Patienten Blindflug gleich. Der Aufwand dafür ist gross und der mit Herkunft aus einem Risikogebiet vor Therapie- Nutzen zu klein [13, 14]. Um ein optimales Resultat zu start serologisch zu screenen. erhalten, braucht es korrekt gewonnenen Stuhl, genügend Material und zum richtigen Zeitpunkt abgenommenes Blut. Eine Stuhluntersuchung auf Eier Eosinophilie macht zum Beispiel erst dann Sinn, wenn der adulte Weltweit die häufigste Ursache für eine Eosinophilie Parasit herangereift ist und die Eiablage begonnen sind Infektionen durch Helminthen [11]. Dies trifft hat (Präpatenzzeit). Besser, der Patient kommt ein vor allem für die Bewohner ländlicher Gebiete in Ent- zweites Mal, erhält dafür aber eine klare Anleitung. wicklungsländern zu. Im Gegensatz dazu ist in unse- Eine Rücksprache mit einem Spezialisten oder mit ren Breitengraden eine Eosinophilie meist Ausdruck dem Auftragslabor kann dabei hilfreich sein, und einer Allergie, oder aber durch Medikamente verur- detaillierte Anleitungen der Laboratorien stehen in sacht [11, 12]. Differentialdiagnostisch muss auch an der Regel im Internet zur Verfügung. nicht-infektiöse systemische Entzündungskrankhei- Für viele parasitäre Infektionen des Darmes ist der ten oder eine Neoplasie gedacht werden. Eine erhöhte Goldstandard der Diagnostik noch immer die Mikro- Eosinophilenzahl bei Migranten, Langzeitaufenthal- skopie in frischem (nativ) oder SAF-fixiertem Stuhl. tern oder Reiserückkehrern aus einem Entwicklungs- Medium der Wahl für Wurmeier ist der native Stuhl, land ist aber verdächtig für eine parasitäre Erkran- für Protozoen das SAF-Medium. Manche Erreger kung. Die sorgfältige Anamnese in Zusammenschau müssen aber speziell erfragt werden, da ihr Nachweis mit der klinischen Symptomatik kann richtungswei- eine Spezialfärbung (Cryptosporidia, Microsporidia), send sein. spezielle Techniken (PCR, Antigen-Nachweis) oder Eine akute, ausgeprägte Eosinophilie (>3,0 × 109/l) mit mehr Material erfordern (Strongyloides). Der Stuhl Begleitsymptomen wie Husten, Fieber, Diarrhoe oder muss trocken asserviert werden (nicht aus der Toi- Hautreaktionen sollte an eine frühe Gewebspassage lette, nicht mit Urin kontaminiert), und die Ein- infektiöser Larven von Nematoden (z.B. Ascaris, Ancy­ nahme von Antibiotika, Anthelminthika, Malaria- lostoma, Strongyloides, Toxocara, Trichinella) oder Tre- medikamenten, Laxativa und Eisen oder eine matoden (Schistosoma, Fasciola) denken lassen [11]. Röntgenkontrast-Untersuchung sollte möglichst drei Husten und wechselnde pulmonale Infiltrate weisen Wochen zurückliegen [13]. Für Oxyuren ist die simple auf eine Lungenpassage hin; man spricht vom Löffler- Scotch-tape-Methode Mittel der Wahl. Syndrom (ähnliche Symptomatik auch bei lympha- Serologien sind optimal für Parasiten, die durch tischer Filariose). Invasion der Darmwand und Gewebspassage eine Typisch für eine akute Schistosomiasis (Katayama- systemische Antikörperreaktion provozieren (z.B. Fieber) ist eine febrile Eosinophilie mit grippalen Screening auf Strongyloides stercoralis). Allerdings Symptomen, vier bis acht Wochen nach Kontakt mit sind bei der Interpretation serologischer Tests so- Süsswasser in einem Endemiegebiet. wohl deren Sensitivität und Spezifität, als auch Bei vielen Parasiten, deren Lebenszyklus sich durch Kreuzreaktionen zu berücksichtigen. Auch kann die eine invasive Gewebspassage auszeichnet, geht die Serologie in der Akutphase einer Erkrankung noch Eosinophilenzahl mit Eintreffen der Larven an ihrem negativ sein und sollte nach zwei bis vier Wochen wie- Zielort (Darmlumen, Gallenwege etc.) zurück oder derholt werden, bei vermuteter Schistosomiasis am verschwindet ganz; meist nach drei bis sechs Mona- besten erst nach drei Monaten [11, 15]. Neben der Eosi- ten mit oder ohne Therapie [11]. Die akute Phase dau- nophilie kann eine Erhöhung des Gesamt-IgE eben- ert in der Regel ein bis sechs Wochen. Nichtinvasive falls hinweisend sein auf verschiedene Wurm- Helminthen und Protozoen verursachen bis auf we- erkrankungen [11–13]. nige Ausnahmen keine Eosinophilie. Therapie Diagnostik Grundsätzlich ist eine Therapie nur dann sinnvoll, Vor der Sammlung von Stuhl oder Serum sollte reka- wenn ein Erreger nachgewiesen wurde und die Klinik pituliert werden, um welches Szenario es sich han- auch dazu passt. Und längst nicht jeder Erreger, der delt und welches Medium für die Diagnostik geeig- im Stuhl nachgewiesen wird, muss verantwortlich net ist. Fehlt eine klare Fragestellung, lohnt sich die sein für Magen-Darm-Beschwerden [15, 16]. Dies gilt SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):242–250 ÜBERSICHTSARTIKEL 248 Tabelle 2, Fortsetzung: Parasiten, Symptomatik, Diagnostik und Therapie. Helminthen Nematoden/Fadenwürmer Ancylostoma duodenalis, Necator americanus (Hakenwurm, engl. hookworm) Dünndarm, anhaftend leichte Abdominalbeschwerden, Anämie, Wachstumsretardierung bei Kindern, Löffler-Syndrom Migranten aus den Tropen, Subtropen Anisakis simplex (Heringsbandwurm) Magen, Dünndarm, extraintestinal Magenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Abdominalschmerzen, Diarrhoe, Fieber, extraintestinal: Larva migrans visceralis, Eosinophilie, allergische Reaktion meiste Fälle in Japan, Küstenregionen in Europa und Südamerika Ascaris lumbricoides Dünndarm, luminal asymptomatisch, leichte Abdominalbeschwerden, Malabsorption, selten Ileus, Löffler-Syndrom Migranten aus den Tropen, Subtropen, selten Reiserückkehrer Enterobius vemicularis, Oxyuren Kolon, Appendix, perianal Juckreiz perianal, selten Appendizitis, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust bei Kindern weltweit; meist Kinder, ganze Familien, Heime Strongyloides stercoralis (Zwergfadenwurm) Dünndarm, Wand asymptomatisch, Abdominalbeschwerden, Diarrhoe, Blähungen; Löffler-Syndrom oder Larva currens mit Eosinophilie (früh), Hyperinfektion bei Immunsuppression Migranten aus den Tropen, v.a. Südostasien, Afrika der Subsahara Trichinella spiralis Darmwand, Zysten in glatter Muskulatur akute Entzündung mit Eosinophilie, Muskelschmerzen, periorbitalem Ödem weltweit nach Verzehr von Wildfleisch (Wildschwein, Bär) Trichuris trichuria (Peitschenwurm) Terminales Ileum, Zökum Abdominalbeschwerden, blutige Dysenterie, Anämie, selten Ileus, Rektumprolaps Migranten aus den Tropen, Subtropen Fasciola hepatica (grosser Leberegel) Gallenwege Cholestase, Cholangitis, Hepatome galie, evtl. Eosinophilie weltweit Schistosoma japonicum, Bilharziose Dünndarm, Venen Migranten aus Südostasien, China, Philippinen, Reiserückkehrer Schistosoma mansoni, Bilharziose Dickdarm, Venen Dermatitis (swimmer’s itch), Katayama-Fieber mit Eosinophilie, chron. Diarrhoe, Dysenterie, Hepatomegalie, Leberzirrhose, HCC, Pseudopolypen, selten: extraintestinal, ZNS Trematoden/Saugwürmer Migranten aus Afrika, dem Mittleren Osten, Südamerika, Karibik, Reiserückkehrer Cestoden/Bandwürmer Diphylobotrium latum (Fischbandwurm) Dünndarm, luminal asymptomatisch, leichte Abdominalbeschwerden, Vit.-B12-Mangel, Anämie weltweit, v.a. Osteuropa, Russland Teania saginata (Rinderbandwurm) Dünndarm, luminal meist asymptomatisch, leichte Abdominalbeschwerden, Proglottiden im Stuhl weltweit Taenia solium (Schweinebandwurm) Dünndarm, luminal meist asymptomatisch, leichte Abdominalbeschwerden, Proglottiden im Stuhl weltweit Zystizerkose (Zysten von T. solium im Gewebe) Gewebezysten, ZNS meist asymptomatisch, Epilepsie, Hirndruck weltweit Abkürzungen: CT: Computertomogramm, ED: Einmaldosis, ERCP: endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie, HAART: hochaktive antiretrovirale Therapie, HCC: hepatozelluläres Karzinom (hepatocellular carcinoma), MRT: Magnetresonanztomographie, PCR: polymerase chain reaction, SAF: sodium acetate, acetic acid, formalin TMP/SMX: Trimethoprim/Sulfamethoxazol, ZNS: zentrales Nervensystem. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):242–250 ÜBERSICHTSARTIKEL 249 Eosinophilie (früh), Stuhl nativ: Mikroskopie Albendazol 1× 400 mg ED Präpatenz 5−9 Wo Klinik, Endoskopie, Serologie Endoskopische (oder chirurgische) Larvenentfernung; ggf. Albendazol 2× 400 mg/d à 5–21 d bei Dünndarmbefall oder extraintestinaler Form Inkubationszeit: Minuten bis Tage Eosinophilie (früh), Stuhl nativ: Mikroskopie Albendazol 400 mg ED, alternativ: Mebendazol 2× 100 mg ED, Ivermectin 1× 200 μg/kg/d ED Präpatenz 1,5−2 Mt. Scotch-tape-Methode, Abklatsch perianal morgens vor dem Waschen: Mikroskopie Albendazol 400 mg ED oder Mebendazol 100 mg ED, Wiederholung nach 10–14 d Präpatenz 10–14 d Stuhl nativ, Baermann: Mikroskopie, Serologie Ivermectin 200 μg/kg/d à 3 d, alternativ: Albendazol 2 × 400 mg/d à 7–14 d Screening von Personen aus Endemiegebiet (auch Jahre nach Emigration!), Gefahr der Hyperinfektion unter immunsuppressiver Therapie Serologie Albendazol 2 × 400 mg à 10–14 d ± Prednison, alternativ: Mebendazol 3× 500 mg/d à 10–14 d Stuhl nativ Mebendazol 1× 500 mg/d à 3 d, alternativ: Albendazol 1× 400 mg/d à 3 d Präpatenz bis 3 Monate Stuhl nativ, Galle: Mikroskopie, Serologie Triclabendazole 10–12 mg/kg/d à 2 d, Nitazoxanide 2× 500 mg/d à 7 d, evtl. ERCP Präpatenz 3–4 Monate Stuhl nativ: Mikroskopie, Serologie Praziquantel 1× 75 mg/kg ED, aufgeteilt in 2–3 Dosen, evtl. nach 2 Mt. wiederholen, ± Prednison 20 mg bei Katayama-Fieber Dermatitis 48 h, Katayama- Fieber 4–8 Wo nach Exposition. Präpatenz S. mansoni 4−7 Wo, S. japonicum 4−5 Wo Stuhl nativ: Mikroskopie, Serologie Praziquantel 1× 60 mg/kg/d ED, evtl. nach 2 Mt. wiederholen, ± Prednison 20 mg bei Katayama-Fieber Stuhl nativ: Mikroskopie, SAF: Eier, Proglottiden Praziquantel 1× 10 mg/kg ED, alternativ: Niclosamid 1× 2 g ED Stuhl nativ: Mikroskopie, SAF: Eier, Proglottiden Praziquantel 1× 10–20 mg/kg ED, alternativ: Niclosamid 1× 2 g ED Präpatenz 5−12 Wochen Stuhl nativ: Mikroskopie, SAF: Eier, Proglottiden Praziquantel 1× 10–20 mg/kg ED, alternativ: Niclosamid 1× 2 g ED Präpatenz 5−12 Wochen Serologie (Liquor, Serum), CT, MRT Albendazole 15 mg/kg/d in 2 Dosen plus Praziquantel 50 mg/kg/d in 2 Dosen für à 10 d plus Dexamethasone 0,1 mg/kg/d (Streoide 1 d vor Start Antiparasitika) SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):242–250 ÜBERSICHTSARTIKEL 250 vor allem für die fakultativ pathogenen Erreger wie Blastocystis hominis und Dientamoeba fragilis. Asymptomatische Ausscheider von Giardia lamblia oder En­ tamoeba histolytica dagegen sollten therapiert werden, zum einen wegen der hohen Infektiosität der ausgeschiedenen Giardiazysten, zum anderen wegen 4 5 6 des Potentials invasiver Infektionen durch Ent­ amoeba histolytica. Eine empirische Therapie bei typischer Klinik und suggestiver Anamnese für einen be- 7 stimmten Parasiten kann bei symptomatischen Reiserückkehrern oder Migranten gerechtfertigt sein 8 [11, 15]. 9 Details zur Therapie sind der Tabelle 2 zu entnehmen. Zu beachten ist, dass einige der Medikamente nicht bei Swissmedic registriert sind und somit im- 10 portiert werden müssen. Dabei ist die Kostenübernahme durch die Krankenkassen nicht immer gewährleistet [16]. Bei teureren Therapien lohnt sich deshalb eine vorangehende Kostengutsprache. 11 Finanzierung / Interessenkonflikte 12 Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Literatur 1 Korrespondenz: Dr. med. Sabine Majer 2 Kantonsspital Münsterlingen Spitalcampus 1 CH-8596 Münsterlingen sabine.majer[at]stgag.ch 3 14 Enteric protozoa in the developed world: a public health perspective. Fletcher SM, Stark D, Harkness J, Ellis J. Clin Microbiol Rev. 2012 Jul;25(3):420–49 Chan MS. The global burden of intestinal nematode infections – fifty years on. Trends in Parasitology 1997 Nov;13(11):438–44 The European Union Summary Report on Trends and Sources of Zoonoses, Zoonotic Agents and Foodborne Outbreaks in 2012, European Food Safety Authority (EFSA), European Centre for SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 13 2015;15(11):242–250 15 16 Disease Prevention and Control (ECDC), EFSA Journal 2014;12(2):3547 European Centre for Disease Prevention and Control. Annual Epidemiological Report 2013. Reporting on 2011 surveillance data and 2012 epidemic intelligence data. Stockholm: ECDC 2013 Practice Guidelines for the Management of Infectious Diarrhea. IDSA Guidelines. CID 2001;32:331–50 Frequency of Cryptosporidium spp. as cause of human gastrointestinal disease in Switzerland and possible sources of infection. Baumgartner A, Marder HP, Munzinger J, Siegrist HH. Schweiz Med Wochenschr. 2000 Sep 9;130(36):1252–8. Illnesses in travelers returning from the tropics: a prospective study of 622 patients. Ansart S et al. J Travel Med. 2005 Nov– Dec;12(6):312–8. Traveler’s Diarrhea Due to Intestinal Protozoa. Pablo C. Okhuysen, Clinical Infectious Diseases 2001;33:110–4 Intestinal parasitic infection among new refugees to Minnesota, 1996–2001. Varkey P et al. Travel Med Infect Dis. 2007 July;5(4):223–9 Guidelines for overseas presumptive treatment of Strongyloidiasis, Schistosomiasis, and soil-transmitted helminth infections for refugees resettling to the United States. 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Schweiz Med Forum 2004;4:785–91 ÜBERSICHTSARTIKEL 251 Chronische Niereninsuffizienz Welche Therapien können die Progression wirksam verlangsamen? Andreas D. Kistler a und Rudolf P. Wüthrich b a Medizinische Klinik, Nephrologie und Dialyse, Kantonsspital Frauenfeld; b Klinik für Nephrologie, UniversitätsSpital Zürich Quintessenz • Die zunehmende Inzidenz und Prävalenz chronischer Nierenerkrankungen stellen ein grosses volksgesundheitliches Problem dar. • Es existieren nur sehr wenige Therapieansätze zur Progressionshemmung chronischer Nierenerkrankungen, die gut evidenzbasiert sind. Dies liegt unter anderem am langsamen Verlauf chronischer Nierenerkrankungen, weshalb grosse Interventionsstudien mit harten Endpunkten © Science Pics | Dreamstime.com nur schwer durchführbar sind. • Das am besten belegte Mittel zur Progressionshemmung bei Patienten mit Albuminurie besteht in einer antiproteinurischen Therapie mit ACEHemmern oder Angiotensinrezeptorblockern. • Weitere Massnahmen sind eine gute Blutdruckkontrolle, Alkalitherapie, Vermeiden eines übermässigen Eiweiss- und Salzkonsums sowie Rauchstopp. • Als zentrale Massnahme sollten bei chronisch nierenkranken Patienten «second hits» wie nephrotoxische Medikamente vermieden werden (insbesondere NSAR und iodhaltige Röntgenkontrastmittel). Einleitung stellen, die zur Progression einer CKD beitragen, und diskutieren, inwieweit deren therapeutische Beein­ Die Inzidenz und Prävalenz chronischer Nieren­ flussung die CKD­Progression verzögern kann. erkrankungen (Chronic Kidney Disease, CKD) sind in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Unter einer CKD versteht man jede gesundheitsrele­ vante Einschränkung der glomerulären Filtrationsrate Andreas D. Kistler Krankheitsspezifische Progressionsfaktoren (GFR) bzw. eine strukturelle oder funktionelle Stö­ Eine Vielzahl ätiologisch unterschiedlicher Nieren­ rung der Nieren auch bei normaler GFR, die für erkrankungen kann zu einer CKD führen. Um eine >3 Monate persistiert [1]. Ätiologisch können einer kausale Therapie zu ermöglichen, ist – wenn immer CKD verschiedenste Nierenerkrankungen zugrunde­ möglich – eine Diagnose der Grunderkrankung anzu­ liegen. Am häufigsten − und auch wesentlich verant­ streben. Sofern die Ätiologie der chronischen Nieren­ wortlich für die steigende CKD­Prävalenz − sind aber erkrankung nicht aus Anamnese und Laborbefunden die diabetische und hypertensive Nephropathie. klar ersichtlich ist (z.B. diabetische oder hyperten­ Neben dem Risiko, in ein terminales Nierenversagen sive Nephropathie), und nachdem sonographisch zu münden, führt eine CKD zu einer deutlich erhöhten zum Beispiel eine postrenale Ursache oder eine poly­ kardiovaskulären Morbidität und Mortalität [2]. Die zystische Nierenerkrankung ausgeschlossen wurde, chronische Nierenerkrankung stellt daher eine rele­ ist hierfür oft eine Nierenbiopsie erforderlich. Patien­ vante Belastung für das Gesundheitswesen dar, und ten mit relevanter Proteinurie (Tab. 1), einem patho­ entsprechend wichtig ist es, die Entstehung und Pro­ logischen Urinsediment oder mit einer sich relativ gression chronischer Nierenerkrankungen zu redu­ rasch verschlechternden Nierenfunktion sollten daher zieren. Im Folgenden werden wir die Faktoren dar­ einem Nephrologen zugewiesen werden. Die kausale SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):251–256 ÜBERSICHTSARTIKEL 252 Tabelle 1: Stadieneinteilung der Proteinurie bzw. Albuminurie. Die Proteinurie bezeichnet die Menge sämtlicher Proteine, die täglich über den Urin ausgeschieden werden, die Albuminurie die Menge an im Urin ausgeschiedenem Albumin. Die Albuminurie ist sowohl sensitiver als auch spezifischer für eine glomeruläre Schädigung als die Gesamtproteinurie, da eine pathologisch erhöhte Albuminausscheidung sich hinter einer normalen Gesamtproteinausscheidung «verbergen» kann und da andererseits tubuläre Schädigungen wie auch postrenale Prozesse zu einer erhöhten Ausscheidung von Nicht-Albumin-Eiweiss im Urin führen können. Proteinurie und Albuminurie können entweder durch eine 24-h-Urinsammlung quantifiziert oder – im klinischen Alltag einfacher – näherungsweise durch die Bestimmung des Protein-Kreatinin- bzw. Albumin-Kreatinin-Quotienten in einer beliebigen Urinprobe geschätzt werden. Die Begriffe Mikro- und Makroalbuminurie werden in den neuen KDIGO-Richtlinien nicht mehr verwendet, aber hier der Einfachheit halber noch aufgeführt. Eine «Mikroalbuminurie» findet sich häufig bei arterieller Hypertonie oder früher diabetischer Nierenschädigung; eine «Makroalbuminurie» oder eine Gesamtproteinurie >1 g/d ist Hinweis auf eine relevante glomeruläre Erkrankung und sollte in der Regel eine nephrologische Abklärung nach sich ziehen, sofern die Ursache nicht eindeutig ersichtlich ist (z.B. bei einem langjährigen Diabetiker mit anderen mikrovaskulären Komplikationen). Proteinurie Albuminurie <0,15 g/d <0,015 g/mmol Krea Normale Eiweissausscheidung im Urin (grösstenteils Uromodulin) <30 mg/d <3 mg/mmol Krea Normale bis leicht erhöhte Albuminausscheidung im Urin 0,15–1 g/d 0,015–0,1 g/mmol Krea (Low grade-)Proteinurie; kann glomerulären, tubulären oder postrenalen Ursprungs sein 30–300 mg/d 3–30 mg/mmol Krea Moderat erhöhte Albuminausscheidung im Urin («Mikroalbuminurie») 1–3,5 g/d 0,1–0,35 g/mmol Krea Abklärungsbedürftige subnephrotische Proteinurie; meist glomerulären Ursprungs >300 mg/d >30 mg/mmol Krea Schwer erhöhte Albuminausscheidung im Urin («Makroalbuminurie») >3,5 g/d >0,35 g/mmol Krea Nephrotische Proteinurie; Zeichen einer schweren glomerulären Störung Therapie einzelner Nierenerkrankungen sollte durch ten glomerulären Permeabilität (zur Definition und einen erfahrenen Nephrologen festgelegt werden und Quantifizierung der Proteinurie bzw. Albuminurie deren Diskussion würde den Rahmen dieser Arbeit siehe Tab. 1). Zahlreiche Beobachtungsstudien zeigen sprengen. Im Folgenden beschränken wir uns daher eine starke Korrelation zwischen dem Ausmass der auf Progressionsmechanismen, die den meisten chro­ Albuminurie und dem Voranschreiten einer Nieren­ nischen Nierenerkrankungen gemeinsam sind. insuffizienz (Abb. 2) [3]. Interventionen, welche die Proteinurie bzw. Albuminurie zu reduzieren vermö­ Unspezifische Progressionsfaktoren und deren Behandlung Ist es einmal zu einer relevanten Nierenschädigung gen, führen auch zu einer Verlangsamung der CKD­ Progression. ACE­(Angiotensin Converting Enzyme­) Hemmer und Angiotensinrezeptor­Blocker (ARB) re­ duzieren den intraglomerulären Druck und vermin­ gekommen, so trägt – unabhängig von der Grunder­ dern so die glomeruläre Hyperfiltration und die Albu­ krankung – eine Reihe von maladaptiven Mechanis­ minurie. Die Wirksamkeit von ACE­Hemmern und men zur weiteren Verschlechterung der Nierenfunk­ ARB zur Progressionsminderung bei albuminurischen tion bei (Abb. 1). Eine Hyperfiltration der noch CKD­Patienten wurde in zahlreichen randomisiert verbleibenden Nephrone ermöglicht kurzfristig eine kontrollierten Studien (RCT) sowohl für Diabetiker Teilkompensation der eingeschränkten Filtrations­ [4] als auch Nichtdiabetiker [5] gezeigt. Die Dosierung leistung, verursacht durch erhöhten intraglomerulä­ dieser Medikamente sollte gesteigert werden, bis die ren Druck langfristig aber eine progrediente Schädi­ Proteinurie in den Zielbereich gesenkt wurde (welcher gung der verbleibenden Glomeruli. Ähnlich kann die je nach renaler Grunderkrankung variiert) oder die Bewältigung der täglichen Säurebelastung durch eine Dosis durch inakzeptable Nebenwirkungen limitiert reduzierte Anzahl funktionierender Nierentubuli zu wird (z.B. Hypotonie/orthostatischen Schwindel) deren chronischen Schädigung führen. Diese und an­ oder die maximal zulässige Medikamentendosierung dere Mechanismen (z.B. profibrotische Stimuli) führen erreicht wurde. Von einer vormals propagierten Kom­ zu einem Voranschreiten einer CKD, selbst wenn die binationstherapie von ACE­Hemmern und ARB ist ursprüngliche Noxe wegfällt. Im Folgenden werden man aufgrund von neueren Studiendaten, die ein er­ wir die wichtigsten Progressionsfaktoren und die höhtes Nebenwirkungsrisiko (Hyperkaliämie, akute Möglichkeiten zu deren therapeutischen Beeinflus­ Niereninsuffizienz) und keinen klaren Nutzen gezeigt sung diskutieren. haben, weitgehend abgekommen. Proteinurie / Albuminurie Hypertonie Beim Nierengesunden werden im Urin nur sehr ge­ Eine arterielle Hypertonie kann zu einer hypertensi­ ringe Mengen Eiweiss ausgeschieden; eine patho­ ven Nephropathie führen. Überdies sind chronisch logisch erhöhte renale Ausscheidung von Proteinen, vorgeschädigte Nieren gegenüber erhöhten Blut­ insbesondere Albumin, ist meist Folge einer gestör­ druckwerten besonders empfindlich. Einer adäquaten SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):251–256 ÜBERSICHTSARTIKEL 253 Krankheitsspezifische Faktoren – Hyperglykämie – autoimmune Mechanismen – Hypertonie – etc. Normale Nierenfunktion Unspezifische Progressionsfaktoren Second hits – Hyperfiltration – profibrotische Stimuli – Nephrotoxine – AKI Verlust funktionaler Nephrone Verlust der glomerulären Permselektivität Terminale Niereninsuffizienz Erhöhte kardiovaskuläre Mortalität Abbildung 1: Schematische Darstellung krankheitsspezifischer und unspezifischer CKD-Progressionsfaktoren. Nach einer initialen Schädigung der Nieren durch krankheitsspezifische Faktoren führen verschiedene maladaptive Mechanismen zu einer voranschreitenden Nierenschädigung, selbst wenn die initiale Noxe nicht mehr aktiv ist. Zudem begünstigt eine erhöhte Anfälligkeit chronisch geschädigter Nieren auf zusätzliche akute Noxen die Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz. Mit zunehmender Niereninsuffizienz steigt auch das kardiovaskuläre Risiko massiv an. Blutdruckkontrolle kommt daher bei CKD­Patienten im Verlauf eine metabolische Azidose ein, die ver­ eine grosse Bedeutung zu. Über die Intensität der Blut­ schiedene negative Auswirkungen auf den Körper hat, druckkontrolle bzw. die Blutdruck­Zielwerte bei CKD unter anderem auf den Knochenstoffwechsel und die wurde in den letzten Jahren viel disputiert. Neuere Muskulatur. Daten haben gezeigt, dass eine strikte Blutdruckkon­ Über diese extrarenalen Effekte hinaus scheint aber trolle die CKD­Progression vor allem bei protein­ die Säurebelastung auch die Nieren selber zu schädi­ urischen/albuminurischen Patienten verlangsamt. In gen [6]. Mit einer Abnahme der Nierenfunktion müs­ den neuen KDIGO­(Kidney Disease | Improving Global sen die täglich auszuscheidenden Säureäquivalente Outcomes­)Guidelines [1] wird daher ein Blutdruck­ durch weniger funktionierende Nephrone bewältigt Zielwert von <140/90 mm Hg bei CKD­Patienten mit werden. Eine Steigerung der Urinansäuerung in den normaler Albuminausscheidung im Urin (<30 mg/Tag) einzelnen Nephronen wird unter anderem über En­ und von <130/80 mm Hg bei CKD­Patienten mit Mikro­ dothelin, Angiotensin II und Aldosteron mediiert, oder Makroalbuminurie empfohlen. Bei letzterer die langfristig jedoch profibrotisch wirken. Aus Beob­ Gruppe sind ACE­Hemmer oder ARB die Antihyper­ achtungsstudien ist bekannt, dass bei CKD­Patienten tensiva der Wahl. Meist lässt sich jedoch der Ziel­ das Bikarbonat im Serum invers mit der Progression blutdruck nicht mit einer Monotherapie erreichen, der Erkrankung korreliert. und es ist eine Kombination von mehreren Substanz­ Therapeutisch lässt sich entweder eine Reduktion der klassen nötig. Bei den meisten Patienten mit deutlich Säurezufuhr über die Nahrung anstreben oder die eingeschränkter Nierenfunktion lässt sich eine ad­ zugeführte Säure durch orale Therapie mit Natrium­ äquate Blutduckkontrolle nur unter Beizug eines bicarbonat neutralisieren. Einige kleine RCT konnten Schleifendiuretikums erreichen. für diese einfache und kostengünstige Intervention einen eindrücklichen progressionsmindernden Effekt Metabolische Azidose und deren Korrektur zeigen [6]. Die aktuellen KDIGO­Guidelines empfeh­ Eine wichtige Aufgabe der Nieren besteht in der Aus­ len eine Bikarbonatsubstitution bei einem Serumbi­ scheidung der Säureäquivalente, die durch Stoff­ karbonat von <22 mmol/l [1]; ob eine Bikarbonatthe­ wechsel und Ernähurng anfallen. Insbesondere die rapie bereits bei noch normalem Serumbikarbonat an tierischem Eiweiss reiche «westliche Diät» führt einen Stellenwert hat, wird sich noch weisen müssen. zu einer hohen Säurebelastung des Körpers. Mit zu­ Nachteile einer Bikarbonattherapie sind die hohe nehmender Niereninsuffizienz nimmt die Säure­ «pill burden» (für eine ausreichende Wirkung sind in exkretionskapazität der Nieren ab, und es stellt sich der Regel 3 bis 6 Kapseln à 500 mg Natriumbicarbonat SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):251–256 ÜBERSICHTSARTIKEL 254 Abbildung 2: Korrelation zwischen der Albuminurie und dem Risiko für eine terminale Niereninsuffizienz. HR: hazard ratio; ACR: albumin-creatinine-ratio (Albumin-Kreatinin-Quotient im Spoturin); ESRD: end stage renal disease (terminales Nierenversagen); GP cohorts: general population (Allgemeinbevölkerung); HR cohorts: high risk (chronische Niereninsuffizienzpatienten). Wiedergabe aus Referenz [3] mit Erlaubnis des Verlegers. notwendig) und die damit verbundene Natriumzu­ men aus der Zeit vor dem verbreiteten Einsatz von fuhr. Eine interessante Alternative zu einer Bikarbo­ ACE­Hemmern und ARB. Da überdies bei einer starken nattherapie scheint eine Ernährung reich an Gemüse Eiweisseinschränkung eine Mangelernährung droht, und Obst darzustellen, wobei hier bei fortgeschritte­ die bei Dialysepatienten prognostisch ungünstig ist, ner Niereninsuffizienz Vorsicht bezüglich der damit wird heute eine starke Proteinrestriktion von den verbundenen Kaliumzufuhr geboten ist. meisten Nephrologen nicht mehr propagiert. Eine übermässige Eiweisszufuhr (z.B. in Form von Protein­ Ernährung supplementen zum Krafttraining) ist jedoch bei Pa­ Zwischen der Ernährung und der Nierenfunktion be­ tienten mit CKD sicher zu vermeiden. Die KDIGO­Gui­ stehen viele wechselseitige Abhängigkeiten: So kann delines empfehlen, bei eGFR (estimated Glomerular Übergewicht über die Entwicklung eines Diabetes Filtration Rate) <30 ml/min/1,73 m2 eine Eiweisszufuhr mellitus und über andere Mechanismen zu einer Nie­ von ca. 0,8 g/kgKG/Tag anzustreben, und bei allen reninsuffizienz führen. Eine fortgeschrittene Nieren­ CKD­Patienten mit Progressionsrisiko eine übermäs­ insuffizienz ihrerseits hat wichtige Auswirkungen auf sige Eiweisszufuhr (>1,3 g/kgKG/Tag) zu vermeiden [1]. die Ernährung, da oft verschiedene Diätrestriktionen Eine Reduktion des Salzkonsums ist gegenwärtig das notwendig sind, um den Folgen der eingeschränkten Ziel einer nationalen Strategie des Bundesamtes für Exkretionsleistung zu begegnen (Hyperkaliämie, Hy­ Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Die Aus­ perphosphatämie, Hypervolämie). In der folgenden wirkungen des Salzkonsums sowohl auf den Blut­ Diskussion beschränken wir uns aber auf Einflüsse druck als auch auf die Nierenfunktion wurden kürz­ der Ernährung auf die CKD­Progression. Diesbezüg­ lich in dieser Zeitschrift in mehreren Artikeln lich wurden neben der oben erwähnten Frage der ausführlich diskutiert [7, 8]. Aus epidemiologischen Säurezufuhr insbesondere zwei Aspekte untersucht: Studien besteht ein weitgehend gesicherter Zusam­ die Eiweisszufuhr und der Salzkonsum. menhang zwischen einem übermässigen Salzkonsum Nach einer eiweissreichen Mahlzeit steigt die glome­ und einer Erhöhung des Blutdrucks [8, 9], einer Zu­ ruläre Filtrationsrate passager an. Eine eiweissreiche nahme der Proteinurie und einer rascheren Abnahme Diät führt daher zu einer chronischen Hyperfiltration. der GFR bei Nierenkranken [7]. Überdies schmälert Entsprechend wurde eine eiweissarme Ernährung ein hoher Salzkonsum die antiproteinurische und die lange als Massnahme zur Reduktion einer Hyperfil­ positive prognostische Wirkung von ACE­Hemmern tration propagiert. Die Datenlage zur Wirksamkeit und ARB stark [11]. Ob eine zu starke Einschränkung einer Proteinrestriktion bei CKD ist jedoch nicht des Salzkonsums auch zu einer erhöhten kardiovas­ ganz eindeutig, und die vorhandenen Studien stam­ kulären Mortalität führen könnte, wird kontrovers SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):251–256 ÜBERSICHTSARTIKEL 255 diskutiert [10]; eine anzustrebende Einschränkung bei CKD­Patienten. Statine zeigten in verschiedenen der Salzzufuhr auf 5 bis 6 g NaCl/Tag ist jedoch bei Post­hoc­Analysen mögliche positive Effekte auf die praktisch allen Patienten mit einer chronischen Nie­ Nierenfunktion. Eine eben publizierte Auswertung reninsuffizienz sinnvoll. der SHARP­Studie, der grössten Studie zur Lipidsen­ kung bei CKD­Patienten, konnte jedoch keinen posi­ Andere Lifestyle-Interventionen tiven Effekt von Simvastatin und Ezetimib auf die Auch wenn ein positiver Einfluss von physischer Akti­ CKD­Progression nachweisen [14]. Statine scheinen vität und Anstreben eines «gesunden» Körpergewichts somit keinen relevanten Effekt auf die CKD­Progres­ (BMI 20 bis 25 kg/m2) auf die Progression einer Nieren­ sion zu haben, sind aber zur Reduktion des kardio­ insuffizienz formal nicht in kontrollierten Studien vaskulären Risikos bei vielen CKD­Patienten sinnvoll. nachgewiesen wurde, vermögen diese Interventionen verschiedene kardiovaskuläre Risikofaktoren wie auch Erythropoietin die Proteinurie günstig zu beeinflussen und sollten da­ Rekombinantes humanes Erythropoietin (rhEpo) wird her Patienten mit Nierenerkrankungen empfohlen seit drei Jahrzehnten zur Behandlung der renalen werden. Rauchen wurde in etlichen Populations­ Anämie eingesetzt, und es wurde initial spekuliert, studien nicht nur mit kardiovaskulären Ereignissen, dass rhEpo aufgrund seiner pleiotropen (nicht die Blut­ sondern auch mit Albuminurie und Niereninsuffizi­ bildung betreffenden) Wirkungen auch die Progre­ enz assoziiert [12]. Auch bezüglich des Einflusses eines dienz einer Niereninsuffizienz verlangsamen könnte. Nikotinstopps auf den Verlauf einer CKD wurden nur Dies konnte aber in randomisierten Studien nicht ge­ wenige Interventionsstudien durchgeführt, diese zeigt werden, und eine Normalisierung des Hämo­ waren jedoch alle positiv. Eine Beratung bzw. Unter­ globinwertes mit rhEpo bei CKD­Patienten war nicht stützung zum Rauchstopp sollte daher bei allen Rau­ nur ohne belegten Nutzen, sondern gar mit dem Risiko chern mit CKD erfolgen. thromboembolischer Komplikationen verbunden [15, 16]. Therapieansätze mit ungesicherter bzw. ohne nachgewiesene Wirkung Vitamin D Aktive Vitamin­D­Analoga scheinen einen positiven Eine Reihe weiterer metabolischer Störungen wurde Effekt auf die Proteinurie und Hypertonie zu haben, mit der Progression einer Niereninsuffizienz asso­ ein Effekt auf die Progression einer Niereninsuffizienz ziiert, die Wirksamkeit diesbezüglicher therapeuti­ bleibt aber noch nachzuweisen [17]. scher Interventionen ist aber noch nicht ausreichend Weitere getestete Substanzen belegt bzw. wurde widerlegt. In den letzten Jahren wurden verschiedene Substan­ Hyperurikämie zen getestet, welche auf profibrotische und andere Zahlreiche epidemiologische Studien zeigen einen spezifische Signalkaskaden einwirken sollen, wie Zusammenhang zwischen einer Hyperurikämie und Endothelinrezeptor­Antagonisten, TGF­(Transforming Niereninsuffizienz sowie kardiovaskulärem Risiko, Growth Factor­)Beta­Antagonisten, das antioxidativ wobei die Kausalität jedoch noch nicht vollständig und anti­inflammatorisch wirkende Bardoxolon, der geklärt ist [13]. Einzelne kleine Studien haben einen Phosphodiesterase­Hemmer Pentoxyphyllin oder MCP­ günstigen Effekt einer urikostatischen Therapie mit 1­Inhibitoren [18]. Leider ist die Bilanz an klinischen Allopurinol auf den Verlauf einer chronischen Nieren­ Studien mit diesen Substanzen bisher ernüchternd: insuffizienz gezeigt. Da aber Allopurinol gerade bei Während für die meisten Substanzen erst kleine eingeschränkter Nierenfunktion nicht ohne Risiken Studien verfügbar sind, mussten zwei grosse Studien bezüglich Nebenwirkungen ist, bedarf es grösserer mit Bardoxolon bzw. dem Endothelinrezeptor­ Studien, um einen Einsatz von Allopurinol bei CKD­ Antagonisten Avosentan bei diabetischer Nephro­ Patienten grundsätzlich zu empfehlen und um allen­ pathie wegen erhöhter Mortalität vorzeitig gestoppt falls sinnvolle Harnsäure­Zielspiegel zu definieren. werden. Hyperlipidämie Eine Hyperlipidämie findet sich bei vielen nierenin­ «Second hits» und deren Prävention suffizienten Patienten, und experimentelle wie auch Eine einfache, aber häufig vernachlässigte Regel ist epidemiologische Daten sprechen für einen negativen jene, dass vorgeschädigte Nieren gegenüber akuten Einfluss einer Hyperlipidämie auf die Nierenfunktion Noxen wesentlich empfindlicher sind als gesunde. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):251–256 ÜBERSICHTSARTIKEL 256 Dies bedeutet, dass Patienten mit einer chronischen Phosphathaltige Abführmittel Niereninsuffizienz ein massiv erhöhtes Risiko haben, Phosphathaltige Abführmittel kommen gelegentlich eine akute Nierenschädigung (Acute Kidney Injury, in der Koloskopie­Vorbereitung als Alternative zu AKI) zu erleiden [1]. Während früher eine AKI als voll­ Polyethylenglycol­haltigen Abführmitteln zum Ein­ ständig reversibles Ereignis verstanden wurde, bele­ satz. Dabei wird eine beträchtliche Menge Phosphat gen mehrere neuere Untersuchungen, dass sich nach über den Darm resorbiert. Bei normaler Nierenfunk­ einer AKI die Nierenfunktion oft nicht vollständig er­ tion kann diese Phosphatbelastung relativ rasch über holt, insbesondere bei Patienten mit vorbestehender die Nieren ausgeschieden werden. Bei eingeschränkter CKD [19]. Daher ist es entscheidend, bei Patienten mit Nierenfunktion werden jedoch äusserst hohe Phos­ CKD nephrotoxische Einflüsse möglichst zu minimie­ phatspiegel im Blut erreicht. Die konsekutiv sehr hohe ren und prophylaktische Massnahmen gegen eine Phosphatkonzentration im Primärharn kann zu einer AKI zu treffen. Zu den häufigsten vermeidbaren Aus­ akuten Calciumphosphat­Kristallnephropathie führen lösern einer AKI bei CKD­Patienten gehören nichtste­ [22]. Phosphathaltige Abführmittel sind daher bei einer roidale Antirheumatika (NSAR), iodhaltige Röntgen­ GFR <60 ml/min/1,73 m2 kontraindiziert; weitere kontrastmittel, phosphathaltige Abführmittel und Risi kofaktoren für eine akute Phosphat­Kristall ne­ gewisse Bisphosphonate. phropathie sind Volumendepletion, Diuretika, ACE­ Hemmer und Alter [22]. NSAR NSAR gehören weltweit zu den meistverschriebenen Medikamenten, und ihre zeitlich begrenzte Anwen­ dung ist in vielen Fällen bedenkenlos. Bei Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz oder eingeschränkter Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Die chronische Niereninsuffizienz stellt ein grosses Nierenfunktion kann die Hemmung der intrarenalen und weiter zunehmendes volksgesundheitliches Pro­ Prostaglandinsynthese jedoch zu einer kritischen blem dar. Faktoren, die zur Progression der chroni­ Reduktion der glomerulären Perfusion führen und schen Niereninsuffizienz beitragen, werden erst un­ eine AKI auslösen [20]. NSAR sind daher bei Patienten vollständig verstanden, und die Bilanz bezüglich neu mit stark eingeschränkter Nierenfunktion kontrain­ entwickelter Substanzen, welche die CKD­Progression diziert und sollten bei Patienten mit leicht reduzierter spezifisch verlangsamen oder gar aufhalten könnten, Nierenfunktion nur zurückhaltend und kurzfristig ist eher ernüchternd. Es steht jedoch eine Reihe von zum Einsatz kommen [1]. mehr oder minder gut etablierten, einfachen und re­ Kontrastmittelnephropathie mit denen die CKD­Progression massgeblich reduziert lativ kostengünstigen Interventionen zur Verfügung, Risikofaktoren für die Entwicklung einer Kontrast­ werden kann. Dies sind insbesondere eine antipro­ mittelnephropathie sind insbesondere eine vorbeste­ teinurische Therapie mit ACE­Hemmern oder ARB, hend eingeschränkte Nierenfunktion, Dehydratation adäquate Blutdruckeinstellung, Therapie der meta­ und dekompensierte Herzinsuffizienz. Die wichtigs­ bolischen Azidose, Lifestyle­Interventionen (v.a. Rauch­ ten Aspekte zur Prophylaxe einer Kontrastmittel­ stopp) und das Vermeiden nephrotoxischer Substan­ nephropathie bei CKD­Patienten sind: (a) kritisches zen. Während wir auf die Entwicklung spezifischer Hinterfragen der Indikation und der therapeutischen pharmakologischer Interventionen hoffen, sollten wir Konsequenz einer Untersuchung, (b) Erwägen von versuchen, die vorhandenen, einfachen Massnahmen alternativen Untersuchungsmethoden je nach Frage­ zur Progressionsminderung bei Patienten mit CKD stellung (z.B. Ultraschall, Szintigraphie), (c) falls eine konsequent umzusetzen. Korrespondenz: Untersuchung mit Röntgenkontrastmittel unumgäng­ Dr. med. Andreas D. Kistler lich ist: Vorhydrieren und Diuretika pausieren (sofern Medizinische Klinik Nephrologie und Dialyse Kantonsspital Frauenfeld Postfach CH­8501 Frauenfeld andreas.kistler[at]stgag.ch Volumenstatus und kardiale Funktion dies erlauben), sowie Minimieren der applizierten Kontrastmittel­ menge und Wahl eines isoosmolaren Röntgenkontrast­ mittels [1, 21]. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):251–256 Finanzierung / Interessenkonflikte Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Literatur Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie als Anhang des Online­Artikels unter www.medicalforum.ch. LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix Literatur / Références 1 2 KDIGO 2012 Clinical Practice Guideline for the Evaluation and Management of Chronic Kidney Disease. Kidney Int Suppl 2013;3(1). (www.kdigo.org/home/guidelines/). Matsushita K, van der Velde M, Astor BC, Woodward M, Levey AS, de Jong PE, et al. Association of estimated glomerular filtration rate and albuminuria with all-cause and cardiovascular mortality in general population cohorts: a collaborative metaanalysis. Lancet 2010; 375: 2073–2081. 3 Gansevoort RT, Matsushita K, van der Velde M, Astor BC, Woodward M, Levey AS, et al. Chronic Kidney Disease Prognosis ­Consortium. Lower estimated GFR and higher albuminuria are associated with adverse kidney outcomes. A collaborative meta-analysis of general and high-risk population cohorts. Kidney Int. 2011;80(1):93–104. 4 Kistler AD. Albuminurie beim Diabetiker: praktisches Management. Praxis (Bern 1994). 2013;102(20):1229–35. 5 Jafar TH, Schmid CH, Landa M, Giatras I, Toto R, Remuzzi G, et al. Angiotensin-converting enzyme inhibitors and progression of nondiabetic renal disease. A meta-analysis of patient-level data. Ann Intern Med. 2001;135(2):73–87. 6 Kovesdy CP. Metabolic acidosis and kidney disease: does bicarbonate therapy slow the progression of CKD? Nephrol Dial Transplant. 2012;27(8):3056–62. 7 Meier P, Vogt B. Salz und Niereninsuffizienz. Schweiz Med Forum 2014;14(04):50–53. 8 Bachmann M, Keller U. Salz und Bluthochdruck. Schweiz Med Forum 2008;08(50):968–972. 9 Mente A, O’Donnell MJ, Rangarajan S, McQueen MJ, Poirier P, Wielgosz A, et al. Association of urinary sodium and potassium excretion with blood pressure. N Engl J Med. 2014;371(7):601–11. 10 Oparil S. Low sodium intake--cardiovascular health benefit or risk? N Engl J Med. 2014;371(7):677–9. 11 Lambers Heerspink HJ, Holtkamp FA, Parving HH, Navis GJ, ­Lewis JB, Ritz E, de Graeff PA, de Zeeuw D. Moderation of dietary sodium potentiates the renal and cardiovascular protective ­effects of angiotensin receptor blockers. Kidney Int. 2012;82(3):330–7. SWISS MEDI CAL FO RUM 12 Orth SR, Hallan SI. Smoking: a risk factor for progression of chronic kidney disease and for cardiovascular morbidity and mortality in renal patients--absence of evidence or evidence of absence?Clin J Am Soc Nephrol. 2008;3(1):226–36. 13 Jalal DI, Chonchol M, Chen W, Targher G. Uric acid as a target of therapy in CKD. Am J Kidney Dis. 2013;61(1):134– 46. 14 Haynes R, Lewis D, Emberson J, Reith C, Agodoa L, Cass A, et al. for the SHARP Collaborative Group. 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Die übrige klinische Eine 63-jährige Patientin leidet seit zwei Jahren an links- Ganzkörperuntersuchung ist unauffällig. seitigen Oberbauchschmerzen, bisweilen in die linke Schulter ausstrahlend. Diese sind in den letzten sechs Befunde Monaten zunehmend, dies mit jeweils postprandialen In der anschliessend durchgeführten thorako-abdomi- Exazerbationen. Begleitsymptome werden verneint, nalen Computertomographie finden sich eine massive auch zeigt sich eine unauffällige Stuhlpassage. Es sind Progredienz der bekannten zystischen Splenomegalie bis auf eine leichtgradige chronisch venöse Insuffi- (Zystengrösse bis 7 cm) sowie multiple Leberläsionen zienz keine wesentlichen Nebendiagnosen bekannt. (Abb. 1). Zur genaueren Spezifizierung derselben er- Bereits vor über zehn Jahren diagnostizierte man folgt komplettierend eine Kontrastmittel-gestützte allerdings sonographisch als Zufallsbefund multiple Sonographie. Übereinstimmend werden die teilweise Milzzysten, die jedoch aufgrund des bildmorpholo- septierten Zysten mit fehlender Kontrastmittelanrei- gisch benignen Aspektes nicht weiter verfolgt wurden. cherung im Bereiche der Zystenwand als benigne Status angiome. Klinisch präsentiert sich eine schlanke Patientin in Weiter wird aufgrund eines erhöhten CA-125-Wertes gutem Allgemeinzustand, afebril und kardiopulmo- von 211,7 U/ml (Normwert <30,2) eine gynäkologische eingestuft, zusätzlich finden sich mehrere Leberhäm- Beurteilung veranlasst. Der Verdacht auf ein Ovarialkarzinom lässt sich hierbei allerdings nicht erhärten. Eine Echinokokkus-Serologie ist ebenfalls negativ. Die übrigen Laboruntersuchungen inklusive Blutbild sind soweit unauffällig. Verlauf Aufgrund des zunehmenden subjektiven Leidensdruckes sowie der weiterhin nicht gesicherten Dignität des Milzbefundes wird die Indikation zur Splenektomie gestellt. Ein weiteres Kriterium zu diesem Therapieentscheid stellt die mutmassliche Beeinträchtigung der Milzfunktion dar. Basierend auf dem kleinen Anteil bildmorphologisch normalen Milzparenchyms wird dieses von internistischer Seite her als stark kompromittiert beurteilt, obwohl sich im Blutausstrich keine Howell-Jolly-Körper nachweisen liessen. Unter dieser Prämisse wird anschliessend an die inter nistischen Abklärungen eine Pneumokokken- und Meningokokkenimpfung durchgeführt. Acht Wochen später erfolgt die offene Splenektomie (Abb. 2). Die histologische Untersuchung ergibt die Abbildung 1: CT-Befund mit einem maximalen Milzdurchmesser von 21 cm. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):257–259 Diagnose eines zystischen Lymphangiomes (Abb. 3). FALLBERICHTE 258 Der perioperative Verlauf ist komplikationslos, und die Patientin kann am achten postoperativen Tag nach Hause entlassen werden. Zwei Wochen postoperativ erfolgt die notfallmässige Rehospitalisation aufgrund steigender Entzündungsparameter bei an sich beschwerdefreier Patientin. Computertomographisch lässt sich eine Thrombose der Vena lienalis nachweisen. Konsekutiv wird eine orale Antikoagulation für sechs Monate initiiert. Anlässlich der zwischenzeitlichen klinischen Verlaufskontrollen zeigt sich die Patientin wohlauf und beschwerdefrei. Diskussion Das zystische Lymphangiom (ZL) ist eine gutartige Missbildung der lymphatischen Gefässe. In der überwiegenden Anzahl der Fälle ist es im Haut- und Subkutangewebe der Kopf- oder Halsregion bzw. der Achselhöhlen lokalisiert. Die Erkrankung stellt in diesen Fällen primär ein kosmetisches Problem dar, wird in Abbildung 2: Splenektomiepräparat vor Fixation (Massstablänge 30 cm). Fixiert 661 g schweres Präparat, 21 × 9 × 10 cm. Das Restmilzparenchym macht insgesamt etwa 20% des Gesamtpräparates aus. den ersten Lebensjahren entdeckt und ist dementsprechend ein pädiatrisches Krankheitsbild [1]. Die Prävalenz wird mit etwa 5 pro 10 000 Lebendgeburten angegeben. Eine intraabdominale Lokalisation ist äusserst selten mit einem geschätzten Anteil von weniger als 10% der insgesamt beobachteten Fälle [2]. Bei abdominaler Lokalisation zeigt sich das ZL vor allem mesenterial oder retroperitoneal, es wurden aber auch Fälle in praktisch allen parenchymatösen Organen beschrieben. Das klinische Erscheinungsbild ist abhängig von der Lokalisation und daher pleomorph, meist jedoch bedingt durch den Masseneffekt. Es finden sich in der Literatur auch Berichte über Komplikationen wie intestinale Obstruktion, sekundäre Infektion oder Zysteneinblutung [3]. Abgesehen von einzelnen Fallberichten finden sich in der Literatur nur wenige systematische Arbeiten über explizit splenische Lymphangiome. Diese beinhalten wiederum nur sehr kleine Fallzahlen und differenzieren meist nicht zwischen den histologischen Subtypen (kapillär, kavernös, zystisch). Diagnostisch spielen bildgebende Verfahren eine führende Rolle, wenn es darum geht, die Dignität abzuwägen. Dabei hält man sich an bildmorphologische Kriterien, wie Enhancement der Zystenkapsel, Septierungen oder hyperechogenes intrazystisches Material, die zur Abgrenzung eines benignen Prozesses zu einem Malignom dienen. In der Literatur zeichnet Abbildung 3: Histologie: Milzparenchym mit zahlreichen verbundenen zystischen Formationen. Diese sind durch eine flache einschichtige Zellschicht ausgekleidet. Immunhistochemisch zeigt diese eine Positivität für D2-40 (spezifischer Antikörper für lymphatisches Endothel) und CD31. CD34 wird nicht sicher koexprimiert. Negativität für Calretinin. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):257–259 sich hierbei insbesondere bezüglich Spezifität eine gewisse Überlegenheit der Sonographie gegenüber der Kontrastmittel-gestützten Computertomographie ab [4]. Eine weitere wichtige Differentialdiagnose stellen Hyatidenzysten dar, weshalb eine Echinokokkus- FALLBERICHTE 259 Serologie ergänzend stets durchgeführt werden sollte. man einen grossen und daher nicht resezierbaren Dr. med. Manuel Zürcher Spontane Remissionen sind beschrieben, weshalb bei Befund durch Grössenreduktion operativ zugänglich Kantonsspital Aarau kleineren, kosmetisch wenig beeinträchtigenden machen möchte [5]. Korrespondenz: Tellstrasse 21 CH-5001 Aarau maenuda[at]bluewin.ch kutanen Manifestationen der Verlauf oft abgewartet Bei der chirurgischen Resektion ist eine R0-Resek- werden kann. Ein zuwartendes Vorgehen wird von tion von grundlegender Wichtigkeit, da ansonsten gewissen Autoren auch bei asymptomatischen intra- die Rezidivgefahr hoch ist. Eine kürzlich erschienene abdominalen Befunden propagiert. Dieser Ansatz ist Arbeit [6] propagiert ein laparoskopisches Vorgehen allerdings umstritten, nicht zuletzt, da die Dignität als Standard für die Splenektomie in dieser Situation. schliesslich nur histologisch einwandfrei gesichert Diese Empfehlung basiert jedoch auf der Erfahrung werden kann. Eine blosse Zystenaspiration mit oder mit lediglich sieben Patienten, deren mittlere Milz- ohne zusätzliche Injektion sklerosierender Agentien grösse mit 10,5 cm wiederum bedeutend kleiner war birgt eine hohe Rezidivgefahr und hat daher höchs- als in unserem Fall (21 cm). tens einen gewissen Stellenwert in Situationen, wo Finanzierung / Interessenkonflikte Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Schlussfolgerungen für die Praxis Literatur 1 Die Palette möglicher Ursachen und folglich auch der entsprechenden Therapieansätze einer Splenomegalie ist breit. Um eine zielgerichtete Thera- 2 pie festlegen zu können, müssen die Differentialdiagnosen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Bei zystischen Raumforderungen der 3 Milz soll ein zystisches Lymphangiom in diese Überlegungen einbezogen werden. Zur Beurteilung der Dignität dienen hier primär bildgebende Verfahren wie Sonographie oder Computertomographie. Bei fehlenden Hin- 4 weisen auf ein malignes Geschehen und Beschwerdefreiheit kann ein expektativer Ansatz vertreten werden, einzige Möglichkeit zur Sicherung der 5 Dignität ist jedoch die chirurgische Resektion. Das Vorgehen sollte stets individuell unter Berücksichtigung von Symptomatik, Bildgebung und des mutmasslichen Grades der Beeinträchtigung der Milzfunktion patientenangepasst evaluiert werden. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):257–259 6 Rana A, Katzman PJ, Pegoli W, Qualia C (2013) An unusual cause of abdominal pain: duodenal cystic lymphangioma. Gastroenterol Hepatol (N Y) 9(3):192-5. Melcher GA, Ruedi T, Allemann J, Wuest W (1995) Das zystische Lymphangiom der Mesenterialwurzel als seltene Ursache des akuten Abdomens. Chirurg 66:229-231. Makni A, Chebbi F, Fetirich F, Ksantini R, Bedioui H, Jouini M, Kacem M, Ben Safta Z (2012) Surgical management of intraabdominal cystic lymphangioma. Report of 20 cases. World J Surg 36(5):1037-43. Vargas-Serrano B, Alegre-Bernal N, Cortina-Moreno B, Rodriguez-Romero R, Sanchez-Ortega F (1995) Abdominal cystic lymphangiomas: US and CT findings. Eur J Radiol 19(3):183-7. Martinot V, Descamps S, Février P, Patenotre P, Brevière JM, Piette F, Pellerin P (1997) Evaluation of the treatment of cystic lymphangioma by percutaneous injection of Ethibloc in 20 patients. Arch Pediatr 4(1):8-14. Zongguang Z, Jin Z, Zhong W, Bing P (2014) Laparoscopic Splenectomy for Adult Lymphangiomas oft the Spleen: Case Series and Review of Literature. Hepato-Gastroenterology 61:285-290. FALLBERICHTE 260 Fettemulsion als Antidot bei einer Mischintoxikation Fett für einmal gesund Colette Degrandi a , Andreas Winter b , Alexander Dullenkopf b , Cornelia Reichert a a Tox Info Suisse, Assoziiertes Institut der Universität Zürich; b Kantonsspital Frauenfeld Einleitung In Rücksprache mit Tox Info Suisse (vormals Schweizerisches Toxikologisches Informationszentrum) wird Die intravenöse Lipidemulsion (ILE) als Rescue-The- 50 mmol Natriumbicarbonat (NaBic) i.v. verabreicht. rapie hat sich bei lebensbedrohlicher Kardiotoxizität Hierunter normalisieren sich pH und BE vorüberge- durch Lokalanästhetika etabliert [1]. Auch bei Kardio- hend. Unter hoher Flüssigkeitszufuhr und Verabrei- toxizität durch andere fettlösliche Medikamente chung von Noradrenalin bis zu 25 µg/min stabilisiert wurde wiederholt über gutes Ansprechen berichtet. sich der MAP mit Werten zwischen 60 und 85 mm Hg. Bei der Therapie von Intoxikationen mit Lipidpräpa- Die transthorakale Echokardiographie zeigt eine nor- raten (Kasten 1) handelt es sich allerdings um einen male linksventrikuläre Auswurffraktion. «Off-Label-Use». Wir stellen den Fall einer Mischinto- Elf Stunden nach Ankunft im Spital kommt es wieder- xikation mit Trimipramin, Quetiapin und Fluraze- holt zu hämodynamisch relevanten Breitkomplex- pam vor, bei dem sich die Patientin nach ILE hämo- arrhythmien mit MAP-Werten um 50 mm Hg. Die dynamisch rasch stabilisierte. QTc-Zeit beträgt 571 ms, und der QRS-Komplex ist auf 188 ms verbreitert. Nach erneuter Verabreichung von NaBic 50 mmol i.v. steigt der MAP kurzzeitig leicht an Fallbeschreibung und sinkt dann wieder auf Werte um 40 mm Hg. Zu Eine 43-jährige Schweizerin mit rezidivierender de- diesem Zeitpunkt wird Noradrenalin kontinuierlich pressiver Störung wird vom Lebenspartner kurz (45 µg/min) und zusätzlich bolusweise benötigt. vor 18 Uhr reaktionslos im Bett liegend aufgefunden. Nach erneuter Rücksprache mit dem Tox Info Suisse Leere Blister von Seroquel® (Quetiapin) und Dalma- wird um 7:30 Uhr ein Bolus von 75 ml 20%-igem Lipo- dorm® (Flurazepam) sowie eine leere Dose Surmontil® fundin® verabreicht, anschliessend werden weitere (Trimipramin) suggerieren die Einnahme dieser 175 ml infundiert. Ausserdem werden noch zwei Mal Medikamente. Der aufgebotene Notarzt sieht eine ta- NaBic 50 mmol i.v. verabreicht. chypnoeische Patientin (Atemfrequenz 25/min) mit Schon während der Infusion von Lipofundin® kommt einer pulsoxymetrischen Sauerstoffsättigung von es zu einer Stabilisierung des Blutdruckes. Nach 80%, GCS 3 und weiten, nicht lichtreagiblen Pupillen, Beendigung der ILE-Therapie werden im EKG ein worauf die Intubation erfolgt. Die Patientin ist nor- schmalerer QRS-Komplex von 128 ms und eine kür- mokard und hypoton mit einem mittleren arteriellen zere QTc-Zeit von 534 ms gemessen. Druck (MAP) von 40 mm Hg. Neben bolusweiser Gabe Das Noradrenalin kann über die folgenden Stunden von Ephedrin und Noradrenalin wird einmalig er- ausgeschlichen und um 18:30 Uhr gestoppt werden. folglos 0,5 mg Flumazenil i.v. verabreicht. Bei einer Plusbilanz von 11 Litern wird die Eigendiu- Nach Ankunft im Schockraum um 19:10 Uhr werden rese mittels Furosemid i.v. unterstützt. weiter bolusweise Noradrenalin und Adrenalin, jeweils Am nächsten Morgen wird die Patientin extubiert. in steigender Dosierung bis 40 resp. 50 µg i.v., verab- Am Abend muss sie wegen respiratorischer Erschöp- reicht, mit nur geringem Effekt. Eine computertomo- fung erneut intubiert werden. Bei Verdacht auf eine graphische Untersuchung des Schädels zeigt keine Aspirationspneumonie wird für insgesamt neun Pathologien. Das toxikologische Screening auf Barbi- Tage antibiotisch behandelt. Nach der Reintubation turate, Amphetamine, Cocain, Opiate und Methadon ist die Patientin intermittierend agitiert und muss ist negativ. Ein zentraler Venenkatheter und ein Arte- sediert werden. Vier Tage später kann sie definitiv rienkatheter werden installiert. Die arterielle Blut- extubiert werden. gasanalyse zeigt eine metabolische Azidose mit einem pH von 7,24 und einem negativen Base Excess (BE) von 11,7. Im Elektrokardiogramm (EKG) sieht man einen normokarden Sinusrhythmus mit einem atrioventrikulären Block 1. Grades und eine Verlängerung der QTc-Zeit auf 541 ms sowie eine Verbreiterung des QRS-Komplexes auf 132 ms. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):260–262 Kasten 1: Geeignete in der Schweiz verfügbare Präparate. SMOFlipid ® Lipofundin® MCT/LCT 20% ClinOleic ® 20% FALLBERICHTE 261 Die initial deutlich erhöhten Leber-, Pankreas-, Cho- einem logP >2 werden als geeignet für die antidotale lestase-, und Nierenretentionsparameter sinken im Therapie mit ILE angesehen [1]. Verlauf und sind bei der Verlegung noch leicht erhöht. In der Literatur werden verschiedene Wirkmechanis- Nach 14-tägiger Hospitalisation auf der Intensivsta- men der ILE diskutiert. Im Blut kommt es zu einem tion kann die Patientin in ordentlichem Allgemein- «Lipid sink» mit Umverteilung lipidlöslicher Medika- zustand in eine stationäre psychiatrische Weiterbehandlung entlassen werden. Diskussion Die ILE ist eine neue Therapieoption mit guten ersten Erfolgen bei Kardiotoxizität durch fettlösliche Medikamente (Kasten 2) [1]. In Tierstudien wurde gezeigt, dass die Gabe einer Lipidinfusion die Kardiotoxizität durch Lokalanästhetika aufheben kann. Es folgten Fallberichte mit eindrücklicher Wirkung bei lebensbedrohlicher Kardiotoxizität durch Lokalanästhetika beim Menschen. Aufgrund dieser guten Wirkung wurde die Lipidinfusion auch bei kardiotoxischen Symptomen durch weitere Medikamente angewendet, unter anderem bei Intoxikationen mit Calciumkanalblockern, Betablockern, Trizyklika, Flecainid und Kokain. Angewendet wurde die ILE aber auch bei anderen schweren Symptomen wie zum Beispiel Koma nach Überdosierungen mit Medikamenten wie Quetiapin, Sertralin und Olanzapin (siehe auch www.lipidrescue.org). Der Octanol-Wasser-Verteilungs-Koeffizient (logP) sagt Trimipramin, ein trizyklisches Antidepressivum mit gros sem Verteilungsvolumen (ca. 30 l/kg), ist lipophil (logP 2–4). Bei der Trimipraminvergiftung kommt es zu ZNS-Depression, Herzrhythmusstörungen und Krampfanfällen. Bradyarrhythmien mit breiten QRS-Komplexen und schwere Hypotonie sind typische Symptome bei Trizyklika-Intoxikationen. Todesfälle aufgrund von therapierefraktären Herz rhythmusstörungen sind beschrieben [2]. Am Herzen führt Trimipramin zu einer Konfigura tionsänderung der schnellen Na- Kanäle mit negativ dromotroper und negativ inotroper Wirk ung. Es ist schwach basisch und liegt in saurem Milieu vermehrt in ionisierter Form vor, welche stark an die Na- Kanäle bindet. Durch Alkalinisierung löst sich Trimipramin von den Na-Kanälen, und die nicht- ionisierte Form diffundiert ins Fettgewebe. Quetiapin ist ein atypisches Neuroleptikum. Das Verteilungsvolumen liegt bei 6–14 l/kg und der logP bei 2,9. Bei einer Quetiapinvergiftung kommt es zu leichter Hypotonie, Sinustachykardie und ZNS-Depression, oft alternierend mit Agitation. Rhythmusstörungen und Krampfanfälle wurden selten und nur bei hohen Dosen beschrieben [3]. Flurazepam gehört zu den Benzodiazepinen. Bei Überdosierung kommt es zu ZNS-Depression und einem leichten Blutdruckabfall, paradoxe Reaktionen sind möglich. Kardiotoxische Symptome sind nicht beschrieben. Der logP von Flurazepam ist 3,8. © Serinus | Dreamstime.com aus, wie lipophil eine Substanz ist. Substanzen mit Kasten 2: Involvierte Wirkstoffe und ihre Toxizität. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):260–262 FALLBERICHTE 262 mente in die Lipidpartikel, intrazellulär wird die Auf- nen mit Trizyklika im Mittel 19,3 Stunden an (Range nahme von Fettsäuren in die Mitochondrien ver- 3–78 h) [4]. Wegen des ungenügenden Ansprechens Tox Info Suisse bessert, und gewisse zytoprotektive Mechanismen auf die wiederholte Gabe von NaBic wurde eine Lipid- Freiestrasse 16 werden aktiviert; zudem kommt es zu einer Modulie- infusion verabreicht. Schon während der Infusion rung der Natriumkanäle an den Membranen [1]. stabilisierte sich der MAP, und die Katecholamine Unerwünschte Wirkungen nach Anwendung von ILE konnten ausgeschlichen werden. Das prompte An- sind bis jetzt nur wenige beschrieben worden. Bei sprechen des systolischen Blutdrucks auf ILE ist einigen Patienten trat eine transiente Pankreatitis auch in der Literatur bei Trizyklika-Intoxikationen auf. In einzelnen Fällen kam es bei Patienten, die beschrieben [5]. allerdings bereits lebensbedrohliche Symptome auf- Bei unserer Patientin lässt sich nicht abschliessend Korrespondenz: Dr. med. Colette Degrandi CH-8032 Zürich colette.degrandi[at]toxinfo.ch wiesen, zu einer reanimationspflichtigen Asystolie beurteilen, ob die Besserung auch ohne intravenöse direkt nach Verabreichung der Lipidemulsion. Ande- Lipidinfusion eingetreten wäre. Der zeitliche Zusam- rerseits wurden auch Fälle mit massiver Überdosie- menhang der hämodynamischen und rhythmoge- rung von Lipiden beschrieben, ohne dass es zu un- nen Stabilisierung und der Verabreichung der Lipid- erwünschten Wirkungen kam. emulsion spricht aber für die Wirkung der ILE. Die schweren kardialen Symptome bei unserer Patientin wurden in erster Linie durch Trimipramin verursacht, während die ZNS-Depression durch Flurazepam und Quetiapin verstärkt worden sein dürfte. Die erneute Verschlechterung der kardialen Situation elf Stunden nach Einweisung ist vereinbar mit einer schweren Trimipraminvergiftung. In einer Finanzierung / Interessenkonflikte Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Literatur 1 2 Studie hielt die QRS-Verbreiterung bei Intoxikatio3 Schlussfolgerungen für die Praxis 4 Dank des nebenwirkungsarmen Profils sollte die Verabreichung einer Lipidemulsion bei Vergiftungen durch Trizyklika in Betracht gezogen werden, auch wenn das Präparat nicht ausdrücklich für diese Indikation zugelassen ist («Off-Label-Use»), sofern die etablierten Therapien nicht ausreichen. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(11):260–262 5 Ozcan MS, Weinberg G. Intravenous Lipid Emulsion for the Treatment of Drug Toxicity. J Intensive Care Med 2014;29(2):59–70. Gutscher K, Rauber-Lüthy C, Haller M, Braun M, Kupferschmidt H, Kullak-Ublick GA, Ceschi A. Patterns of toxicity and factors influencing severity in acute adult trimipramine poisoning. Br J Clin Pharmacol. 2013;75(1):227–35. Eyer F, Pfab R, Felgenhauer N, Strubel T, Saugel B, Zilker T. Clinical and analytical features of severe suicidal quetiapine overdoses – a retrospective cohort study. Clin Toxicol 2011;49(9):846–53. Shannon MW. Duration of QRS disturbances after severe tricyclic antidepressant intoxication. J. Toxicol. Clin. Toxicol 1992;30(3): 377–86. Cave G, Harvey M, Wilers J, Uncles D, Meek T, Picard J, Weinberg G.LIPAEMIC Report: Results of Clinical Use of Intravenous Lipid Emulsion in Drug Toxicity Reported to an Online Lipid Registry. J Med Toxicol 2014;10(2):133–42. LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix Literatur 1) Ozcan MS, Weinberg G. 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