23 Kurzfassung Abstract Key words Der Klimawandel und mögliche

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Mainzer naturwiss. Archiv
50
S. 23–47
8 Abb.
Mainz 2013
Der Klimawandel
und mögliche Auswirkungen auf den Weinbau in Rheinhessen
Lisa Eisenbach, Hans-Joachim Fuchs & Ulrich Matthes
Kurzfassung
„Die natürlichen Gegebenheiten eines Standortes haben Einfluss auf die Bildung von Inhaltsstoffen und prägen somit auch die Weinqualität“ (Hoppmann 2010). Dies charakterisiert das hoch aktuelle, auf Wahrnehmungen im sensorischen Bereich referierende Terroir-Konzept. Die ganzheitliche Kombination der vier Terroir-Komponenten Klima,
Boden, Geologie und Topographie prägen in ihrem komplexen Zusammenwirken den individuellen Charakter einer
einzelnen Weinbergslage, aber auch einer ganzen Region. Modifiziert wird diese Ausprägung auch durch das Einwirken des Menschen. Was passiert aber, wenn sich eine Komponente ungewöhnlich schnell verändert? Worin bestehen
Spielräume zur Intervention? Können die Winzer die Möglichkeiten des Eingreifens adäquat nutzen? Solche und
noch viele andere Fragen stellen sich im Hinblick auf die aktuellen klimageographischen Entwicklungen und deren
Auswirkungen auf den Weinbau. Rheinhessen, mit 26.000 ha Rebfläche das größte Weinanbaugebiet Deutschlands,
ist von dieser Problematik direkt betroffen. Die beiden Schwerpunkte der Untersuchung liegen auf der theoretischen
Analyse der bereits eingetretenen und zukünftig auf der Basis von Klimasimulationsmodellen noch zu erwartenden
klimatischen Veränderungen sowie der Auswertung von Wahrnehmungen und Einschätzungen zu den weinbaulichen Auswirkungen des Klimawandels auf der Grundlage von Leitfadeninterviews.
Abstract
Global climate change and its potential impact on viniculture in Rheinhessen
“The natural conditions of a location have an influence on the formation of ingredients and shape the quality of
wine” (Hoppmann 2010). This characterizes the highly topical concept of terroir, based on apperceptions in the
sensory sphere. The holistic combination of the four components of terroir, namely climate, soil, geology, and topography, influence the individual character of one vineyard, but also of a whole region through their complex concurrence. This peculiarity is also modified by the impact of humans. But what happens if one component changes
unusually fast? Where is room to intervene? What possibilities are there for the winemakers to react? The study deals
with such kinds of questions and many more, especially with regard to the current climate-geographic developments
and their influence on the viniculture. Rheinhessen, with 26.000 ha acreage the biggest wine-producing area in
Germany, is directly confronted with these difficulties. The two main points of this study are the theoretic analysis
of those climate changes which have already taken and those which are to be expected on the base of future climate
simulation as well as the evaluation of the perceptions and the assessments of vinicultural impacts of the climate
change which are analyzed based on semi-structured interviews.
Key words
Adaptation strategy, expert interviews, climate change, Rheinhessen, stakeholder, viniculture
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Lisa Eisenbach, Hans-Joachim Fuchs & Ulrich Matthes
1. Hintergrund und Zielsetzung
16 °C am Heiligen Abend 2012, über 25 °C
am 2. April 2011 oder fast 40 °C während der
Hitzewelle im August 2003 und viele weitere
Hitzerekorde zu allen Jahreszeiten verdeutlichen eine zunehmende Erwärmung, die von
vielen Forschern im Zusammenhang mit dem
Klimawandel gesehen wird. Dies gilt nicht nur
für Mitteleuropa, sondern zeigt sich weltweit.
Aufgrund der vielfältigen Rückkopplungseffekte der verschiedenen klimasensitiven Sphären (Atmosphäre, Hydrosphäre, Kryosphäre,
Lithosphäre und Biosphäre), die die Komplexität des Klimasystems bedingen, ist das
reale Ausmaß der Folgen noch schwer überschaubar und abschätzbar. Das Abschmelzen
der Fest- und Inlandeismassen, die lange anhaltende Wärmespeicherkapazität der Ozeane oder das Auftauen des Permafrostbodens
beispielsweise könnten für die Zukunft klimabestimmend werden. Die natürliche Klimadynamik hat in der Vergangenheit bereits zu
relativ raschen und auch starken Erwärmungen und Abkühlungen der Erde geführt. Es
ist eine deutlich ausgeprägte Variabilität in
Zeit und Raum zu verzeichnen. Neben den
natürlichen Ursachen des Klimawandels, wie
beispielsweise den Milanković-Zyklen (periodische Veränderungen der Erdbahnparameter), Sonnenfleckenzyklen, Kontinentaldrift,
Vulkanausbrüche sowie die Eis-Albedo-Rückkopplung, existieren laut Schönwiese (2003)
anthropogene Ursachen, u. a. der Anstieg des
Kohlenstoffdioxidgehalts in der Atmosphäre
seit 1980 um 60 %. Langlebige Treibhausgase,
wie Kohlenstoffdioxid, Methan und Distickstoffmonoxid, sind durch die Verwendung
fossiler Brennstoffe und durch die landwirtschaftliche Produktion in die Atmosphäre gelangt. Aber auch das troposphärische Ozon
und der stratosphärische Wasserdampf tragen
nach Schellnhuber & Rahmstorf (2007) zu
einem veränderten Strahlungshaushalt bei.
Neben den globalen gibt es auch sehr markante regionale Dimensionen und Auswirkungen des Klimawandels, die am Beispiel
des Weinbaus in Rheinhessen näher betrachtet werden sollen. Nach Vorstellung der regionalgeographischen Kennzeichen und den
24
theoretischen Grundlagen des Weinbaus wird
auf mögliche zukünftige Veränderungen der
für den Weinbau wichtigsten Klimaparameter
an der Station Alzey auf der Grundlage von
Klimasimulationen eingegangen. Vor dem
Hintergrund theoretischer und modellbasierter Berechnungen dürfen jedoch auch die
Meinungen der Praktiker nicht vernachlässigt
werden, da die komplexen Zusammenhänge
und Ausprägungen der Natur nur unzureichend anhand von Computerkalkulationen
dargestellt werden können. Die theoretischen
Analysen werden daher durch die praktischen
Wahrnehmungen und Einschätzungen von
16 Experten in Form von Interviewauswertungen ergänzt. Neben den klimatischen Veränderungen und den weinbaulichen Auswirkungen als solche soll außerdem der Aspekt
der Wahrnehmung untersucht werden. Es ist
interessant zu analysieren, wie die Winzer
am Beispiel der sehr klimaabhängigen Rebe
die klimatischen und folglich auch weinbaulichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte
beurteilen, mit ihnen umgehen und sie bewerten, wie sie die Zukunft einschätzen und
welche Anpassungsstrategien sie für sinnvoll
erachten.
2. Analyse der Standortansprüche der Rebe
und Einfluss des Klimawandels
2.1. Das Untersuchungsgebiet Rheinhessen
Rheinhessen, die größte der insgesamt sechs
rheinland-pfälzischen Weinregionen, ist aufgrund der mächtigen eiszeitlichen Lössdecke
ein sehr altes und bereits seit der Römerzeit
intensiv landwirtschaftlich und weinbaulich
genutztes Kulturland. Das Gebiet befindet
sich im Rheinknie zwischen den Städten
Mainz, Bingen, Alzey und Worms. Die Beckenlage im nördlichen Teil des Oberrheingrabens zwischen Hunsrück und Taunus im
Norden und Westen sowie dem Nordpfälzer
Bergland im Südwesten führt zu einer klimageographisch markanten Leelage, bezogen
auf die Regen bringenden atlantischen Luftmassen aus überwiegend westlichen Richtungen. Rheinhessen wird dadurch zur viertgröß-
Der Klimawandel und mögliche Auswirkungen auf den Weinbau in Rheinhessen
ten Trockeninsel Deutschlands mit Jahresniederschlagssummen von durchschnittlich
500-600 mm, wobei diese in manchen Jahren
noch geringer sind. An der Station Alzey des
Deutschen Wetterdienstes (DWD) wurden im
Zeitraum zwischen 1971 und 2000 eine durchschnittliche Julitemperatur von knapp 19 °C
und eine Wintertemperatur von mindestens
+1 °C ermittelt. Im Hinblick auf die regionale Niederschlagsverteilung ist in Rheinhessen eine deutliche Zunahme von West nach
Ost zu verzeichnen. Dies wird nur durch die
Gebiete unterbrochen, die sich aufgrund einer nach Osten exponierten Hanglage im Bereich der Plateauränder in einer sogenannten
„doppelten Leelage“ befinden. Hier ist insbesondere das Untere Nahetal zu nennen. Dass
das Mainzer Becken orographisch bedingt ein
Winterminimum des Niederschlags aufweist,
begründet sich in der Leelage, wodurch winterlich advektiv ausgeprägte Luftmassentransporte zumeist nur den umliegenden Höhenlagen Niederschlag bescheren. Im Sommer
stellt sich die Situation aufgrund der Konvektionstätigkeit, vor allem hinsichtlich Gewitterniederschlägen, umgekehrt dar. Insgesamt
ergibt sich daraus nach Kandler (1977) eine,
vor allem für die Landwirtschaft vorteilhafte
Klimagunst mit warmen Sommern, milden
Wintern, zwar vergleichsweise geringen aber
jahreszeitlich gut verteilten Niederschlägen
sowie einem geringen Bewölkungsgrad bei
beachtlichen 1605 Sonnenscheinstunden pro
Jahr.
Neben der klimageographischen Ausstattung sind für den Weinbau das Relief und
der Boden von Relevanz. Im Zuge der tertiären Oberrheingrabenbildung kam es auf
der Randscholle zu mächtigen Mergel- und
Kalkablagerungen, welche später gehoben
wurden und den geomorphologischen Namen Rheinhessisches Tafel- und Hügelland
begründen. Das Relief wurde nach Brüning
(1976) während des Pleistozäns weiter ausgeformt. In dieser Zeit entstanden unter anderem Trockentäler, asymmetrische Täler und
Zeugenberge. Periglaziale Wanderschuttdecken, Löss und Flugsande wurden abgelagert
und durch die Folge des wiederholten Wechsels von Aufschotterungsphasen bildeten sich
Terrassen aus. Basierend auf der vorhandenen
Lössdecke sind es, wie Ludwig (1977) darlegt,
in erster Linie Steppenböden, vorzugsweise
der so genannte „Rheintaltschernosem“, die
das Gebiet prägen. Im Bereich der Hänge sind
vermehrt Pararendzinen oder Parabraunerden
anzutreffen, während in den Flussbereichen
Auenböden dominieren. Insgesamt jedoch
gibt es in Rheinhessen ein Mosaik von verschiedenen Bodentypen, wie die Reliktböden
Terra rossa und Terra fusca, Ranker und Ferrallit, die für die verschiedenartigsten Weine
sehr prägend sind.
2.2 Rebsorten und Betriebsstrukturen
Das Potenzial der physisch-geographischen
Gunstfaktoren machen sich die rheinhessischen Winzer zunutze. Dies wird daran deutlich, dass der Weinbau in Rheinhessen auf
25 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche
(im Vergleich Rheinland-Pfalz: 9 %) als Bewirtschaftungsform vorkommt. Lange Zeit
wurde das Land der „1000 Hügel“ (Dohm
2004), welches, nach Currle (1981) im Mittelalter noch als die „Weinkelter Europas“
galt, aufgrund der vielen Neuzüchtungen als
Gebiet der Allerweltssorten bezeichnet. Weinanbau sollte dem Gebiet nach dem Krieg zu
Wohlstand verhelfen, weshalb, laut Dohm
(2004), der Rentabilitätsgedanke dominierte.
In den letzten Jahrzehnten fanden jedoch
zahlreiche Entwicklungen sowohl im Hinblick auf das Rebgut als auch auf die Betriebsstruktur statt. Bezüglich der Rebsorten, vor allem im Weißweinsektor, wurde eine Rückbesinnung auf qualitativ hochwertige klassische
Sorten, wie Riesling, sichtbar. Im Rotweinbereich nehmen mittlerweile auch mediterrane
Sorten eine für das Sortenspektrum bedeutsame Position ein, wobei Neuzüchtungen,
wie unter anderem der Dornfelder, in diesem
Segment ebenfalls vergleichsweise wichtig
sind. Relativ betrachtet nimmt außerdem der
Anteil an Rotwein im Vergleich zum Weißwein immer mehr zu. Eine weitere Entwicklung ist im Hinblick auf die Betriebsstruktur
festzustellen, welche im Zuge der Interviews
häufig von den Winzern als äußerst proble25
Lisa Eisenbach, Hans-Joachim Fuchs & Ulrich Matthes
matisch gesehen wurde. Die Anzahl vor allem
kleiner Betriebe ist rückläufig, während große
Betriebe mit mehr als 10 ha Rebfläche zunahmen. Diesbezüglich sind Haupt- und Nebenerwerbswinzer in Rheinhessen gleichermaßen
betroffen. Seine Stellung halten und ausbauen konnte der ökologische Weinbau, der dem
verstärkt gewünschten Verbrauchertrend zu
biologisch-ökologisch angebauten Lebensmitteln entspricht und im Zuge des Klimawandels möglicherweise einige Vorteile besitzt.
Wenig geändert hat sich die Vermarktungsstrategie, die in Rheinhessen nach wie vor
vom Fassweinverkauf dominiert wird und,
was die Einkommensperspektive anbelangt,
von Boomgaarden et al. (2010) als „verhalten“ bezeichnet wird. Daher werden diesbezüglich strukturelle Neuerungen empfohlen.
2.3 Klimatische Ansprüche der Rebe
Bevor auf die konkreten klimatischen Gegebenheiten und mögliche zukünftig eintretende Veränderungen an der Station Alzey
eingegangen wird, sollen die für den Weinbau
notwendigen Klimabedingungen beleuchtet
werden. Makroklimatisch ist nach Vogt &
Götz (1987) zunächst festzuhalten, dass die
Rebe ihre günstigsten Lebensbedingungen
eigentlich in der warm-gemäßigten Zone,
beispielsweise im Mittelmeergebiet, vorfindet. Daher können, wie Hoppmann (2010)
ausführt, in Deutschland Weinstöcke nur in
klimatisch bevorzugten Gebieten erfolgreich
angebaut werden. Dies ist eine Folge des warmen, unser Makroklima maßgeblich beeinflussenden, Golfstromes, der den Weinbau in
unseren Breiten erst möglich macht. Obgleich
man keine genauen Grenzwerte festlegen
kann, reagiert die phänologische Entwicklung
hauptsächlich und die vegetative Entwicklung
ausschließlich auf die Temperatur, wobei für
erstere der Schwellenwert der Tagesdurchschnittstemperatur, ab der die Entwicklung
beginnt, bei 13 °C, für letztere bei 10 °C liegt.
Das Wachstum setzt ab einer durchschnittlichen Temperatur von 10 °C ein, welche von
Hoppmann (2010) auch als „biologisch effektive Temperatursumme“ bezeichnet wird und
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die insgesamt als Gradtage aufsummiert und
ausgewiesen wird. In der Spanne bis etwa
20 °C erreicht das Wachstum seine maximalen Raten, welche spätestens ab einer Durchschnittstemperatur von 30 °C wieder rückläufig sind. Während der Beerenreife liegen die
Optimaltemperaturen deutlich niedriger als
noch zuvor, da diese in Bezug zur Zuckereinlagerung, zum Säureabbau und zur Bildung
von Inhaltsstoffen in den Beeren steht, weshalb in dieser Zeit Temperaturen von etwa
15 °C optimal wären. Anhand des Jahres 2003
ist sichtbar, dass die Temperatursummen zwar
enorm und damit auch die Mostgewichte des
Weins extrem hoch waren; problematisch war
aber, dass durch den verstärkten Säureabbau
und den hohen Alkoholanteil kein Spitzenwein deutschen Anspruches ausgebaut werden konnte. Insgesamt kann aber die Temperatursumme (noch) als primär begrenzender
Anbaufaktor gelten. Neben der Temperatur ist
auch die Sonneneinstrahlung von großer Bedeutung, denn auch diese regelt die Photosyntheseleistung und daher das vegetative Wachstum der Trauben. Die Temperatursummen,
die Sonnenscheindauer und die Globalstrahlung sind die dominierenden Qualitätseinflüsse. Ebenso wie bei den vorherigen beiden
Parametern gibt es auch bezüglich der Wasserversorgung keine eindeutigen Grenzwerte. In
Abhängigkeit vom phänologischen Entwicklungsstadium sollte die richtige Dosierung erfolgen, wobei erwähnt werden muss, dass die
Unterschiede in der Wasserbilanz zwischen
den Regionen wesentlich deutlicher ausfallen,
als die Temperaturdifferenzen. Doch selbst
wenn die klimatische Wasserbilanz, also die
Differenz von Niederschlag und potenzieller
Verdunstung, negativ ist, ist dies nicht dramatisch für die Rebe, da diese die Photosyntheseleistung einschränken kann. Nach Hoppmann
(2010) kann sich „Luxuskonsum“ sogar nachteilig auf die Qualität auswirken. Problematisch wird erst ein zu extremes Wasserdefizit,
wovon, vor allem bei Weißweinsorten, neben
der erwähnten Störung des vegetativen und
generativen Wachstums und der Assimilationsleistung, auch eine Beeinflussung der Geschmackskomponenten aufgrund fehlender
Nährstoffe ausgeht.
Der Klimawandel und mögliche Auswirkungen auf den Weinbau in Rheinhessen
2.4 Standort und Erziehungssysteme der
Rebe
Obgleich das Klima bestimmt, in welchen Gebieten Deutschlands Weinanbau sinnvoll und
rentabel ist, können die Winzer durch mesound mikroklimatische Entscheidungen die
Standortbedingungen maßgeblich modifizieren. Die große Bedeutung des Mesoklimas bezieht sich laut Hoppmann (2010) sowohl auf
die Temperatur und die damit in Verbindung
stehenden Kaltluftmassen als auch auf die
Sonneneinstrahlung und die Windverhältnisse. Entsprechend den Gesetzen des Hangwindsystems, das Temperaturdifferenzen zwischen Tal und Hang von 5-10 °C erklärt, hat
der Winzer die Möglichkeit zu entscheiden,
ob die Reben in der Talregion stehen sollen,
mit dem Vorteil des verlangsamten Säureabbaus und den Nachteilen des Frostrisikos und
des erhöhten Befalls durch Schadpilze, oder
eher am Hang, wobei hier auch eine geschickte Bepflanzung von Nöten ist. Abgesehen von
der Lage im Hang ist die Hangneigung nach
dem Lambert‘schen Strahlungsgesetz besonders in der Reifezeit ab September, wenn die
Sonne nicht mehr so hoch über dem Horizont steht, relevant, da zu dieser Zeit Hänge
mit einer stärkeren Neigung bezüglich des
Strahlungsgenusses begünstigt sind. Dieser
positive Strahlungseffekt gilt vor allem für
nach Südwesten und Südosten exponierte
Hänge. Die unterschiedlichen Strahlungseffekte wirken sich auf die Qualitätsbildung
im Weinbau aus, denn die Entwicklung des
Mostgewichtes und des Säuregehaltes, beziehungsweise dessen Abbau, korreliert stark mit
der vorhandenen Strahlungsintensität und
der Temperatur. In strahlungsintensiven Jahren gleichen sich die thermischen Differenzen
zwischen den Höhenlagen durch eine starke
Einstrahlung aus. In Jahren mit einem hohen
Anteil an diffuser Streuung sind die Mostgewichte bei Reben im Talbereich aufgrund
der Höhendifferenz wesentlich höher, als im
Hangbereich. Da das Geländeklima auch im
Hinblick auf den Wind relevant wird, hat der
Winzer Spielraum zu entscheiden, ob er parallel zur Hauptwindrichtung Südwest seine
Rebfläche kauft oder bebaut, um von dem
positiven Effekt der raschen Abtrocknung der
Bestände zur Vermeidung von Pilzkrankheiten Gebrauch zu machen oder sich für eine
andere Hangausrichtung oder einen konkaven Hang entscheidet, um Schäden durch
Windbruch und ein gehemmtes Wachstum
der Trauben durch die windbedingte Reduktion der Bestandstemperaturen zu umgehen.
Sonneneinstrahlung, Kaltluft- und Windgefährdung, inklusive der Temperaturen am
Tag und in der Nacht, sind wesentliche geländeklimatische Einflussgrößen hinsichtlich
der Traubenqualität, die der Winzer berücksichtigen muss und die im Zuge des Klimawandels mit Blick auf mesoklimatische Entscheidungen relevant werden könnten. Dies
wird manifestiert durch den Ausdruck, ein
leistungsfähiger Weinbau basiere zunächst
auf der optimalen Kombination von Standort, Ertragssorte und Unterlagssorte, den auch
Hoppmann (2010) prägte. Was die Sortenwahl
anbelangt, müssen einige Wechselwirkungen
beachtet werden. Die verschiedenen Sorten
sollten zum jeweiligen Standort passen. Hierbei sind Ertragsfähigkeit, Qualität, Bodenansprüche, Anfälligkeit gegen Krankheiten und
Pilze, Frostfestigkeit und Wuchskraft der Rebsorten zu berücksichtigen. Sorten und Lage
müssen, um mit Müller et al. (2000) zu sprechen, gut zusammenpassen. Was für die Rebsorte gilt, gilt auch für die Unterlage in Bezug
auf die vorherrschenden Klima- und Bodenbedingungen, was Bauer (2008) näher ausführt. Eine wichtige, zum Positiven reichende
Eigenschaft der Unterlagen ist die Anpassung
der aufgepfropften Rebe an die vorherrschenden Klima- und Bodenbedingungen.
Zusätzlich können die Trockenresistenz und
die Wüchsigkeit, je nach Klimabedingungen,
durch die Verwendung bestimmter Unterlagen verbessert werden. Neben der reblausfesten Riparia-Unterlagssorte sind es vor allem
die amerikanische Wildrebe Berlandieri und
die mediterrane Rupestris, beziehungsweise
Kreuzungen der drei Sorten, die das Spektrum der Unterlagssorten bilden.
Von großer Bedeutung für die Rebstöcke ist
auch das Mikroklima. Bei zu hohen Temperaturen kann, im Hinblick auf die Inhaltsstoffe, besonders die Äpfelsäure zum Teil
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Lisa Eisenbach, Hans-Joachim Fuchs & Ulrich Matthes
stark abnehmen und somit die Weincharakteristik verändern. Außerdem können starke
Veratmungsraten bei der Photosynthese zu
schnellem Zuckerverlust führen und so die
Bildung von Farb- und Geschmacksstoffen
negativ beeinflussen. Auch der Feuchtigkeitsparameter, vor allem in Bezug auf die im
Bestand vorhandene Temperatur und das
damit verbundene Abtrocknen der angelagerten Nässe in Abhängigkeit zur Dichte
der Laubwand, zur Stärke des Windes und
zur Globalstrahlung, ist, nach Hoppmann
(2010), im Hinblick auf sich entwickelnde
Pilzkrankheiten von Bedeutung. Die Pilze der
Gattungen Oidium, Botrytis und Peronospora
– Auslöser der drei häufigsten Pilzinfektionen im Weinbau – bevorzugen feucht-warme
Witterung im Frühjahr, weshalb die Winzer
der Nässe in der Rebe vorbeugen müssen.
Weitere wichtige Krankheiten der Rebe gehen auf verschiedene Zikadenarten zurück,
die als saugende Insekten Verstopfungen in
den Stoffleitungsbahnen auslösen sowie auf
Traubenwickler (Tortricidae), welche ihre Eier
in den Gescheinen der Trauben ablegen. Die
Anzahl der sich entwickelnden Populationen
und deren Größe hängen, laut Bauer (2008)
und Vogt & Götz (1987), bei beiden Insektengruppen stark von der Temperatur ab.
Außerdem schädigen, neben dem Sonnenbrand, auch neue Krankheiten, wie Esca und
flavescence dorée (Goldgelbe Vergilbung), die
Blätter beziehungsweise den Stamm der Rebe
maßgeblich. Einigen dieser Krankheiten kann
man mit Hilfe gezielter Eingriffe flexibel und
angemessen entgegenwirken. Durch Maßnahmen, wie der Wahl des Erziehungssystems,
der Entblätterung und des Begrünungsmanagements, können die Winzer den Grad
der Sonneneinstrahlung lenken und somit
die kleinräumigen Temperaturen ansteigen
und absinken lassen. Dieser Gratwanderung
zwischen zu starker Besonnung mit ihren
negativen Auswirkungen auf die Beeren und
Sonnenbrand sowie zu schwacher Besonnung mit der Folge der Pilzanfälligkeit begegnet der Winzer durch die bewusste Wahl
des Erziehungssystems. Die am häufigsten
verbreitete Spaliererziehung in Form von
Flach- und Halbbogenerziehung eignet sich
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aufgrund der geringen Anzahl von Trieben
und der guten Beschattung des Bodens nach
Müller et al. (2000) vor allem auf trockenen
und wuchsschwachen Standorten, wobei die
Frostgefährdung und die Reife verfrühende
Wirkung aufgrund der relativen Bodennähe
eher negativ zu bewerten sind. Diese Nachteile erweisen sich bei der hohen Umkehrerziehung als Vorteile, wobei vor allem die später
entstehende Laubglocke den Pilzbefall fördert
und die Sonneneinstrahlung hemmt, was in
Bezug auf die Ertragsbeeinflussung negativ zu
bewerten ist und intensiven Laubschnitt nötig
macht. Das aktuell am häufigsten diskutierte
Erziehungssystem, der Minimalschnitt, weist
eine mächtige Laubwand mit vielen eher kleinen Blättern auf, welche bereits im Frühjahr
eine hohe Photosyntheseleistung garantiert.
Es entwickeln sich kleine, lockerbeerige und
daher wenig pilzanfällige Trauben intensiven Geschmacks. Aufgrund der großen Gesamtblattfläche und des buschigen Wuchses
sind Reben im Minimalschnitt anfälliger für
Trockenstress und die Lichtinterzeption wird
beeinflusst. Aber laut Müller et al. (2000)
„könnte er den Weinbau revolutionieren.“
Die Wahl eines sinnvollen Erziehungssystems wird, wie Müller et al. (2000) darlegen,
unterstützt durch die verschiedenen Laubarbeiten. Hierbei ist es vor allem die Entblätterung, durch die der Winzer auf längerfristige
klimatische Veränderungen und kurzfristige
Zustandsänderungen eingehen kann, da sich
diese flexibel gestaltet. Dennoch wird aufgrund der unvorhersehbaren Witterung im
Jahresverlauf empfohlen, nach dem Grundsatz von Müller et al. (2000) „So viel wie
nötig, so wenig wie möglich“ zu entblättern.
Positive Effekte sind der reduzierte Pilzbefall
aufgrund besserer Belüftung, höhere Beerentemperaturen, die das Mostgewicht fördern
und den Abbau der ungewünschten Äpfelsäure vorantreiben sowie eine reduzierte Sonnenbrandgefahr, da sich die Traubenhaut frühzeitig an die Sonne gewöhnen kann. Trotzdem
kann vermehrter Sonnenbrand auch eine
Folge zu starker Entblätterung sein, einhergehend mit einem zu starken Abbau von Säure, was sich ebenso negativ auf die Sensorik
auswirken kann, wie die, aufgrund eines zu
Der Klimawandel und mögliche Auswirkungen auf den Weinbau in Rheinhessen
geringen Blatt-Frucht-Verhältnisses, reduzierte Photosyntheseleistung mit der Folge einer
negativen Assimilatproduktion.
Bei der Bodenbearbeitung ist es vor allem die
Begrünung, durch welche der Winzer flexibel
auf die jeweils vorherrschende mikroklimatische Situation eingehen kann. Die Möglichkeiten des optimalen Erosionsschutzes, der
Wasserhaltekraft, der Förderung der Bodenfruchtbarkeit, des Bodenlebens und dessen
Artenvielfalt sowie einer reduzierten Bodenauswaschung müssen mit dem Nachteil einer adäquaten Wasserversorgung vereinbart
werden. Nach Müller et al. (2000) kann der
Winzer hierzu, je nach Standort, zwischen
verschiedenen Formen der Begrünung wählen, nämlich zwischen dauerhafter und temporärer, teilflächiger und ganzflächiger sowie
angesäter und spontaner Begrünung und der
Sonderform der Bodenabdeckung mit Stroh,
Gras- und Rindenmulch. Problematisch sind
die Wasser- und Nährstoffkonkurrenz zwischen Begrünung und Reben, welche in Extremfällen bis hin zur Entstehung von wenig
qualitätsfördernden untypischen Alterungstonen im Wein und eine eventuell nachlassende Wuchsleistung der Reben bei Unterversorgung führen kann, was sich auch auf
die Ertragsmenge und –qualität auswirkt. Bei
steileren Südlagen, welche per se eine höhere
Wasserverdunstungsrate aufweisen, und bei
Niederschlagsmengen unter 530 mm pro Jahr
sollten die Winzer daher von einer Dauerbegrünung zugunsten der Wasserverfügbarkeit
Abstand nehmen.
2.5 Mögliche Klimaveränderungen bis 2100
Im Folgenden soll auf bereits eingetretene
und mögliche zukünftige Veränderungen der
für den Weinbau wichtigsten Klimaparameter an der Klimastation Alzey des Deutschen
Wetterdienstes (DWD) auf der Grundlage
von Klimasimulationen eingegangen werden. Diese Simulationen wurden durch das
IPCC, das Intergovernmental Panel on Climate Change, initiiert und stützen sich auf
Klimamodelle. Für den Bericht des Jahres
2007 wurden, laut Paeth (2009), mit 21 Kli-
mamodellen rund 150 Einzelsimulationen
durchgeführt, die auf den SRES-Szenarien
(Special Report on Emissions Scenarios) und
somit auf der Emission von Treibhausgasen
basieren. Hierbei wird, wie Latif (2009) darstellt, zwischen einer ökologisch oder ökonomisch beziehungsweise einer nationalstaatlich oder global orientierten Gesellschaft unterschieden, was mit einem unterschiedlichen
Ausstoß von Treibhausgasen verbunden ist.
Mit Hilfe von Downscaling-Methoden wird
eine Regionalisierung dieser globalen Modelle erreicht, wobei zwischen dynamischen
und statistischen Modellen gewählt werden
kann. Aufgrund der geringen Abweichungen
zwischen den Kontrollläufen der Modelle
und den gemessenen Werten der Station Alzey zwischen 1971 und 2000, wurde für die
folgende Untersuchung das dynamische Modell WETTREG2006 mit den als am wahrscheinlichsten geltenden Läufen A1B-normal,
A1B-trocken, A2-normal und A2-trocken als
Grundlage herangezogen.
Im Hinblick auf den Wärmehaushalt ist die
Entwicklung der Jahresdurchschnittstemperatur von Bedeutung. Bereits die Messdaten
zwischen 1971 und 2000 zeigen einen Trend
an, der sich laut WETTREG2006 bis 2100
fortsetzen könnte: Dem recht schnellen Anstieg der Jahresdurchschnittstemperatur um
fast 1 °C von 9,2 auf 10,1 °C könnte ein weiterer folgen, der an der Station Alzey bis 2100
zu Temperaturen zwischen 11,2 und 11,8 °C
führen könnte. Wird WETTREG2010 als regionales Klimamodell zu Rate gezogen, ist sogar ein noch stärkerer Anstieg auf bis zu 13 °C
möglich. Gemäß dem Lauf A1B-trocken von
WETTREG2006 würde Rheinhessen weiterhin, auch in der fernen Zukunft zwischen
2071 und 2100, mit mindestens 11,8 °C im
Vergleich zum rheinland-pfälzischen Durchschnitt von 11,3 °C eine der höchsten Jahresdurchschnittstemperaturen im gesamten
Bundesland aufweisen. Dies verdeutlicht
auch Abbildung 1 zur potenziellen Jahresmitteltemperatur in Rheinland-Pfalz zwischen
2071 und 2100.
Vor allem die Temperaturen während der Vegetationsperiode sind für den Weinbau sehr
wichtig. Diese haben sich in den gemessenen
29
Lisa Eisenbach, Hans-Joachim Fuchs & Ulrich Matthes
Abb. 1: Projektion der Jahresmitteltemperatur in Rheinland-Pfalz im Zeitraum 2071-2100, regionales Klimamodell
WETTREG2006, Szenario A1B trocken (Quelle: IDP, Datenquelle: Meteo-Research / CEC Potsdam GmbH i.A.
des Umweltbundesamtes 2006).
30 Jahren bereits konstant um etwas mehr als
1 °C von 13,6 auf 14,7 °C erhöht. Bis zum
Jahr 2100 könnte die Temperatur während
der Vegetationsphase nach WETTREG2006
auf einen Wert von bis zu 16 °C steigen, was
einem weiteren Temperaturanstieg von 1,0
bis 1,5°C bis 2100 entspräche. Etwas anders
könnten sich die Temperaturen des meteorologischen Winters von Dezember bis einschließlich Februar gestalten. Obwohl man
anhand der Messdaten noch keinen genauen
Trend erkennen kann, könnte sich die mögliche zukünftige Entwicklung dennoch als sehr
extrem herausstellen. Laut WETTREG2006
ist es möglich, dass sich die Wintertemperaturen im Simulationszeitraum von 2001 bis
2100 um 2,5 bis 4 °C erhöhen – ein deutlich
stärkerer Effekt im Vergleich zur Vegetations30
phase und dem gesamten Jahr. Bei WETTREG2010, dessen Kontrollläufe die Wintertemperaturen besser abbildeten, beträgt die
simulierte winterliche Durchschnittserwärmung im Mittel sogar knapp 5 °C innerhalb
der betrachteten 100 Simulationsjahre.
Da sich der Klimawandel nicht nur in Form
langfristiger Trends zeigt, sondern nach
Schönwiese (2008) auch anhand von Veränderungen in der Häufigkeit und Intensität
von Extremereignissen zur Geltung kommt,
ist es wichtig, neben den durchschnittlichen
Werten für die Vegetations- und für die Winterperiode auch die Kenntage miteinzubeziehen, anhand derer die Extreme der beiden
Jahresabschnitte dargestellt werden können.
Hierzu werden die Sommertage mit Maximaltemperaturen von 25 °C und mehr, die
Der Klimawandel und mögliche Auswirkungen auf den Weinbau in Rheinhessen
heißen Tage mit Maximalwerten ab 30 °C sowie die Frosttage mit Minimumtemperaturen
von unter 0 °C betrachtet.
Bereits in der Referenzperiode zwischen 1971
und 2000 ist die Zahl der Sommertage um 13
Tage pro Jahr angestiegen. Die heißen Tage
folgten keinem eindeutigen Trend. Dass sich
der Anstieg der Kenntage aufgrund des durchschnittlichen Anstiegs der Sommertemperaturen weiter fortsetzt, ist aber zu erwarten und
wird durch die Klimamodelle manifestiert.
Die Anzahl der Sommertage könnte, nach der
Simulation von WETTREG2006, bis 2100
auf jährlich 60 bis 70 ansteigen und auch
die Zahl der heißen Tage könnte sich laut
diesem Modell auf etwa 14 bis 16 erhöhen,
was einer Steigerung von etwa fünf Tagen
im Vergleich zur letzten gemessenen Dekade
entspricht. Laut WETTREG 2010 ist es sogar
denkbar, dass sich die Zahl der Sommertage
von 45 auf etwa 93 mehr als verdoppelt und
sich die Zahl der heißen Tage sogar auf rund
40 verdreifacht. Je nach Modell können die
Projektionen bei gleicher Tendenz also sehr
unterschiedlich sein.
Die Anzahl der Frosttage hat sich bereits innerhalb des 30-jährigen Messzeitraumes um
12 Tage verringert. Laut WETTREG2006
ist eine weitere Abnahme um etwa 20 Tage
möglich, was bei einem Ausgangswert von
rund 60 Tagen einer Abnahme von einem
Drittel entspricht. Um Unsicherheiten und
Ungenauigkeiten vorzubeugen, werden nun
wiederum die Ergebnisse des Modells WETTREG2010 in die Betrachtung mit einbezogen,
welches die Wintertemperaturen unter allen
Modellen für die Vergangenheit am besten
wiedergibt. Hierbei wird bis 2100 eine mögliche Reduktion der Frosttage um rund 35 Tage
simuliert, was mehr als der Hälfte aller Frosttage entspräche. Dennoch bleibt das Ausmaß
aufgrund der unterschiedlichen Modellaussagen vage. Für den Weinbau von größerer
Relevanz ist jedoch nicht die Zahl der Frosttage an sich, sondern der ungefähre Termin
des ersten und letzten Frostereignisses. Nach
WETTREG2006 ist an der Station Alzey mit
einer zu vernachlässigenden Verspätung des
ersten und einer zu vernachlässigenden Verfrühung des letzten Frosttages zu rechnen,
während WETTREG2010 ein um rund einen
Monat verspätetes Eintreten des ersten Frosttages und ein um rund vier Wochen früheres
Eintreten des letzten Frosttags verzeichnet.
Vor allem für die Landwirtschaft sehr relevant
ist auch die Sonnenscheindauer. Obgleich
an der Station Alzey kein eindeutiger Trend
zu einer erhöhten oder verminderten Anzahl von Sonnenstunden zwischen 1971 und
2000 zu verzeichnen war, wird von WETTREG2006 ein relativ starker Anstieg simuliert.
Lag die Anzahl in der letzten gemessenen Dekade noch bei 1642 Sonnenstunden, könnte
sie sich, laut allen vier Läufen des Modells,
bis zum Jahr 2100 auf 1800-1900 Stunden erhöhen. WETTREG2010, welches die Temperaturen verglichen mit WETTREG2006 eher
etwas zu hoch ansetzt, rechnet sogar mit einer
Erhöhung der jährlichen Sonnenscheinstunden auf 2000 bis zum Ende des Jahrhunderts.
Im Hinblick auf den Niederschlag kann man
zunächst festhalten, dass sich während der
Referenzperiode keine nennenswerten Veränderungen in der Jahressumme eingestellt
haben. Auch bis 2100 könnte an der Klimastation Alzey, basierend auf den Simulationen
von WETTREG2006, in etwa mit der momentanen jährlichen Niederschlagssumme
von rund 500 bis 600 mm gerechnet werden.
Rheinhessen bliebe von daher eine der Trockeninseln von Rheinland-Pfalz. Die Aussagen bezüglich der Jahresniederschlagssumme
müssen jedoch differenzierter betrachtet werden, und werden daher für die Vegetationsphase und den meteorologischen Winter anhand der Abbildungen 2 und 3 zur bisherigen
und möglichen zukünftigen Entwicklung des
Niederschlags während der Vegetationsperiode und während des Winters noch einmal
separat dargestellt.
Im Hinblick auf die Sommerniederschläge ist
laut der Simulation von WETTREG2006 bis
2100 bei allen vier Modellläufen eine kontinuierlich verlaufende, rückläufige Tendenz
von 50-80 mm möglich. Weniger eindeutig
scheinen die Größenordnungen der Simulationen der zukünftigen winterlichen Gesamtniederschläge bei dem Modell WETTREG2006 zu sein. Die vier Läufe weisen dau31
Lisa Eisenbach, Hans-Joachim Fuchs & Ulrich Matthes
Abb. 2: Bisherige und mögliche zukünftige Entwicklung des Niederschlags während der Vegetationsperiode in
Abhängigkeit von unterschiedlichen Emissionsszenarien, regionales Klimamodell WETTREG2006 (eigene Darstellung, Datenquelle: Meteo-Research / CEC Potsdam GmbH i.A. des Umweltbundesamtes 2006).
erhaft große Differenzen, häufig von rund
50 mm und mehr, auf, was davon zeugt, dass
sogar innerhalb eines Modells eine mögliche
zukünftige Richtung schwer zu bestimmen
ist. Diese Tatsache legitimiert das Aufstellen
eines Korridors, da bei der Betrachtung von
nur einer Realisation die mögliche Bandbreite
an Zukunftsaussagen nicht abgebildet würde.
Laut dem Modell WETTREG2006 könnten
die Winterniederschläge bis 2060 abnehmen,
gleich bleiben oder sich erhöhen. Innerhalb
der letzten 40 Jahre bis 2100 zeigt sich ein
deutlicher Sprung und die Niederschlagssumme könnte um 50-100 mm ansteigen. Auch
das Hinzuziehen der Ergebnisse aus WETTREG2010 bringt keine eindeutige Tendenz.
Dieses Modell simuliert nämlich eine deutliche Reduktion der Gesamtniederschläge,
die aus einer Niederschlagsabnahme über
das ganze Jahr hinweg resultiert, weshalb die
Prognosen beider Modelle zu den Winterniederschlägen noch nicht einmal in der Grobrichtung übereinstimmen. Die großen Differenzen bei der Gesamtniederschlagssumme
Abb. 3: Bisherige und mögliche zukünftige Entwicklung des Niederschlags während des Winters in Abhängigkeit
von unterschiedlichen Emissionsszenarien, regionales Klimamodell WETTREG2006 (eigene Darstellung, Datenquelle: Meteo-Research / CEC Potsdam GmbH i.A. des Umweltbundesamtes 2006).
32
Der Klimawandel und mögliche Auswirkungen auf den Weinbau in Rheinhessen
und auch beim Winterniederschlag, zeigen
die Unsicherheitsspanne zukünftiger Niederschlagsereignisse und –verteilungen.
Ebenfalls von großer Bedeutung für die Landwirtschaft ist die Zahl der Trockentage, aber
auch der Starkniederschläge, wobei dies vor
allem während der Vegetationsphase, von April bis September, von großem Interesse ist.
Obwohl die Modelle Extremereignisse nicht
immer angemessen simulieren können, soll
die Entwicklung dieser beiden Parameter angesprochen werden. Starkniederschläge sind
als Niederschläge mit einer Menge von mehr
als 10 mm pro Tag definiert. Die Zahl der
Tage mit Starkniederschlägen hat bereits im
30-jährigen Referenzzeitraum von 9,6 auf 8,1
leicht um 1,5 Tage abgenommen. Laut den
Simulationen von WETTREG2006 setzt sich
der Rückgang in geringem Maße fort, sodass
bis 2100 der Starkniederschlag an weiteren
ein bis zwei Tagen während der Vegetationsperiode ausbleiben würde. Diesen Trend
bestätigen auch Gerstengarbe & Werner
(2009), die sich anhand des Modells Star2 mit
zukünftigen Klimaextremen für die Zeit bis
2050 beschäftigten.
Sehr eindeutig ist die zukünftige Entwicklung
der Trockentage während der Vegetationsperiode. Die Trockentage, welche vom PotsdamInstitut für Klimafolgenforschung (PIK) als
die Summe der Tage definiert werden, die
über eine Dauer von mindestens zwei Tagen
eine Niederschlagshöhe von 0 mm aufweisen, haben in der Referenzperiode bereits um
knapp 20 %, von 82 auf 97 Tage, zugenommen. Bis 2100 könnte sich deren Zahl, gemäß
der Simulation des Modells WETTREG2006,
auf etwa 105-110 Tage erhöhen. Innerhalb des
100-jährigen Zeitraumes ist der mögliche Anstieg der Zahl der Trockentage um 7 bis 11 bei
WETTREG2006 jedoch nicht so groß, wie
die bereits eingetretenen messbaren Veränderungen zwischen 1971-2000 mit 15 Tagen. Für
den Wind zeigen die 30 Referenzjahre, dass
sich die durchschnittliche Windgeschwindigkeit um rund 30 % erhöhte und womöglich
in diesem Zusammenhang auch Starkwindereignisse in diesem Zeitraum zugenommen haben könnten. Aber sowohl WETTREG2006
als auch WETTREG2010 geben teilweise Ent-
warnung, da man von einer künftigen Abnahme der Starkwinde und von einer Zunahme
der Schwachwinde ausgeht.
2.6 Zwischenergebnis der theoretischen Erkenntnisse: Weinanbau und Klimawandel
Bevor im Folgenden die Ergebnisse der durchgeführten Experteninterviews, also die praktischen Erfahrungen und Wahrnehmungen,
dargestellt und bewertet werden, kann man
anhand der theoretischen Analyse eindeutig festhalten: Der Klimawandel ist auch in
Rheinland-Pfalz spürbar. Dies konnte anhand
der bereits eingetretenen Veränderungen an
der Station Alzey des DWD im südlichen
Rheinhessen nachgewiesen werden. Für einzelne Parameter und Kenntage zeigt sich bis
zum Jahr 2100 ein recht eindeutiger Trend.
Die klimatischen Veränderungen waren für
den Weinbau in Rheinhessen bislang eher
positiv. Es waren zumeist betriebswirtschaftliche Aspekte, die negative Veränderungen mit
sich brachten. Der Weinbau am 50. Breitengrad stellt, wie Hoppmann (2010) und Vogt
& Götz (1987) ausführen, vor allem an die
Temperatur hohe Anforderungen. Die Vegetationsperiode muss mindestens 180 Tage lang
sein, erst ab bestimmten Schwellenwerten beginnt die phänologische und vegetative Entwicklung der Beeren und eine positive Photosyntheserate ist bei höheren Temperaturen
ebenfalls eher gegeben. Da diese und andere
Faktoren, die mit dem Rebwachstum und
der –entwicklung einhergehen, in Deutschland nicht immer gegeben sind, findet die
Rebe ihre günstigsten Lebensbedingungen in
der warm-gemäßigten Zone, wie am Mittelmeer oder in Kalifornien. Einzig dem Golfstrom verdanken wir es, dass der Weinbau in
Deutschland in klimatisch begünstigten Regionen überhaupt möglich ist. In nördlichen
Weinbaugebieten können außerdem spezielle witterungsbedingte Ereignisse, wie Fröste
oder Hagel, dem Weinbau stark zusetzen und
Singularitäten, wie die „Eisheiligen“, sind
gefürchtet. Aus all diesen klimabezogenen
Gründen versuchen die Winzer in unseren
Breiten der Rebe ein optimales Meso- und
33
Lisa Eisenbach, Hans-Joachim Fuchs & Ulrich Matthes
Mikroklima zu bieten. Frostlagen werden vermieden, die Hangrichtung und –neigung wird
so gewählt, dass die Sonne den Reben einen
möglichst großen Strahlungs- und Wärmegenuss bietet; Lagen ab einer bestimmten Höhe
über dem Meeresspiegel eignen sich aufgrund ihrer zunehmenden Kühle prinzipiell
weniger. Die Wasserverfügbarkeit ist für den
Weinbau in den höheren Breiten eher nebensächlich, da die Rebe sehr lange Wurzeln hat
und sich aus großen Tiefen Wasser beschaffen kann. Außerdem wirkt sich Trockenstress
zum Teil sogar positiv auf die Beeren aus.
Entsprechend den wichtigsten klimatischen
Faktoren und Zusammenhängen kann man
die Weinberge nach Müller et al. (2000) anhand ihrer Hangrichtung und –neigung, der
Höhe über dem Meeresspiegel und der Bodenart mit einfachsten Messungen klassifizieren
und bewerten.
Was die Hangrichtung und –neigung anbelangt, sind vor allem Südlagen mit 58°
Neigung aufgrund des Sonnengenusses klimatisch am besten zu beurteilen. Außerdem
sind Westlagen im Gegensatz zu Ostlagen
bevorzugt, da die Wärmeentwicklung in den
Nachmittagsstunden besser ist als vormittags. Bei der Höhe über dem Meeresspiegel
werden die Bewertungen mit zunehmender
Höhe schlechter, weil, wie bereits erwähnt,
die Temperaturen sinken. Bezüglich der Böden sind vor allem die Wasserverfügbarkeit
und die Erwärmbarkeit, das so genannte Absorptionsvermögen, von großer Bedeutung,
weshalb die Böden jeweils nach diesen beiden
Kriterien bewertet werden. Anhand der drei
Kriterien Hanglage, Höhe über Normalnull
und Wasserverfügbarkeit beziehungsweise Erwärmung der Böden, lassen sich nach Müller
et al. (2000) gute, mittlere und kleine Lagen
unterscheiden.
Der Weinbau in Deutschland und speziell
auch in Rheinhessen hat gute Voraussetzungen. Probleme wie eine ungenügende Reife und ein geringes Mostgewicht scheinen
der Vergangenheit anzugehören. Dass es so
einfach dennoch nicht ist, machte das Jahr
2003 mehr als deutlich. Aus den enormen
Temperatursummen resultierten zwar sehr
hohe Mostgewichte, bei jedoch gleichzeitig
34
auftretender Qualitätsminderung. Der Säureabbau war so extrem, dass die entstandenen
alkoholreichen Weine kaum mehr vermarktbar waren. Des Weiteren verändern vor allem
Weißweine ihre Geschmackskomponenten
zum negativen, wenn das vegetative und generative Wachstum durch zu hohe Temperaturen eingeschränkt wird. Es entstehen außerdem untypische Alterungstone, so genannte
UTAs, die die Haltbarkeit des Weines stark
einschränken. Sollten sich zukünftig Extremjahre, wie 2003, aufgrund des Klimawandels
mehren, hätte dies negative Auswirkungen
auf den deutschen cool-climate-Weinbau, für
den das Land bekannt ist und geschätzt wird.
Ebenfalls mit einer höheren Sommer- und
Wintertemperatur verbunden sind virulent
auftretende Schädlinge und Pilzkrankheiten
sowie direkte witterungsbedingte Sonnenbrandprobleme.
Der Klimawandel wird für den Weinbau in
Rheinland-Pfalz große Veränderungen mit
sich bringen. Ob diese sich insgesamt eher
positiv oder negativ auswirken, kann anhand
der theoretischen Darstellung nicht abschließend festgehalten werden. Die durchgeführte
sozialempirische Analyse soll Erkenntnisse
aus handlungspraktischer Sicht liefern und
die theoretischen Ausführungen zugunsten
der Ganzheitlichkeit ergänzen.
3. Empirische Analyse: Weinanbau und Klimawandel
3.1 Interviewpartner und Struktur des Fragebogens
Anhand von Leitfadeninterviews, die sich
auf einen teilstrukturierten Fragebogen stützen, wurden die Meinungen und Ansichten
von elf Winzern, einem Kellermeister, drei
Weinbauwissenschaftlern und einem Vertreter einer Behörde eingeholt. Als Vertreter der Agrarbehörde zum Thema Weinbau
im Klimawandel wurde ein Mitarbeiter der
Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz befragt, bei den Experten handelte es sich um
einen Wissenschaftler des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum Rheinhessen-
Der Klimawandel und mögliche Auswirkungen auf den Weinbau in Rheinhessen
Nahe-Hunsrück, um einen Wissenschaftler
des Dienstleistungszentrums Ländlicher
Raum Rheinpfalz und um einen Vertreter
der weinbaulichen Forschungsanstalt Geisenheim. Bei der Auswahl der elf befragten
Winzer und des Kellermeisters wurde darauf
geachtet, das gesamte Anbaugebiet Rheinhessens abzudecken, weshalb Weinbauern aus
Ingelheim, Stadecken-Elsheim, Hahnheim,
Nierstein, Albig, Bermersheim von der Höhe,
Mauchenheim, Flörsheim-Dalsheim und
Mörstadt als Interviewpartner gewählt wurden. Des Weiteren erfolgte die Wahl unter
Berücksichtigung der Betriebsstruktur, sodass
sowohl acht konventionelle, als auch drei biologisch orientierte Winzer Rede und Antwort
standen. Mit zwei Nebenerwerbswinzern und
einem Kellermeister konnten auch Vertreter
der genossenschaftlichen und nebenerwerblichen Vertriebsweise ihre Meinungen äußern.
Hierbei muss betont werden, dass mit der
Auswahl der Interviewpartner zwar versucht
wurde, ein räumlich und betriebswirtschaftlich großes Spektrum abzudecken, was jedoch
aufgrund der kleinen Anzahl an Winzer nur
eine begrenzte Aussagekraft besitzt. Die Ergebnisse liefern somit keinen repräsentativen
Gesamtüberblick für Rheinhessen, zeigen
aber markante Tendenzen bezüglich der potenziellen Chancen und Probleme im Weinbau durch den Klimawandel auf.
Entsprechend der bei Przyborski & Wohlrab-Sahr (2008) ausgeführten Intention von
Leitfadeninterviews von offenen, den Redefluss anregenden, Fragestellungen zu geschlossenen und konkreten Betrachtungen
zu leiten, lautete die erste grundsätzliche
Frage: Gibt es überhaupt einen Klimawandel?
Während von den zwölf Praktikern fünf einen vorhandenen Klimawandel, mit Verweis
auf periodische Schwankungen und die kalten Winter der letzten Jahre, abstritten, waren sich erwartungsgemäß die vier Experten
und sieben der zwölf Winzer einig, dass es
daran nichts zu leugnen gibt. Vor allem die
Verschiebung der phänologischen Phasen
und die Temperaturerhöhung während der
Vegetationsperiode wurden als Indikatoren
genannt. Da die Weinrebe eine sehr klimasensitive Pflanze ist und man diesbezüglich
feinfühlig und vorausschauend agieren muss,
wirkt es überraschend, dass fast die Hälfte der
Praktiker die klimatischen Veränderungen
nicht auf einen Klimawandel bezieht. Obgleich auch die Experten und die vom Klimawandel überzeugten Winzer die Klimasimulationen nicht in allen Belangen für absolut
eindeutig und aussagekräftig halten, wurden
die möglichen Veränderungen in der Zukunft
von Skeptikern vielfach durch Aussagen, wie
„Kaffeesatzleserei“ des Hahnheimer Winzers,
„Schreibtischtaten“ des Mörstadter Winzers
und „unrealistische Horrorszenarien“ eines
Albiger Winzers, verurteilt. Diese Verdrängungsstrategie ist umso unverständlicher vor
dem Hintergrund, dass die nächste Frage zur
Relevanz der klimatischen Veränderungen
auf den Weinbau von allen Winzern erkannt
und für wichtig befunden wurde. Beobachtet
wurden nämlich, mit Ausnahme von zwei
Winzern, von fast allen gleichermaßen eine
Temperaturzunahme während der Vegetationsperiode sowie eine Verschärfung der Wetterextreme im Hinblick auf Stürme, Starkniederschläge, Hagel, Trockenheit und die Diskrepanz zwischen starker Hitze und extremer
Kälte. Die Experten beurteilten die bisherigen
Veränderungen als positiv. Der Weinbau ist,
laut dem Experten des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum Rheinpfalz, der klare
Nettoprofiteur des Klimawandels. Der zukünftigen Entwicklung jedoch wird von einigen Befragten eher kritisch entgegen gesehen.
3.2 Fragenkomplex: Klimatische und weinbauliche Veränderungen in Bezug auf den
Wärmehaushalt in der Vegetationszeit
Wie bereits erwähnt, wurde die Temperaturerhöhung während der Vegetationsperiode
von fast allen Praktikern erkannt, weshalb
die meisten auch die nach vorne gerichtete
Verschiebung der phänologischen Phasen
bemerkten. Deren Bewertung fiel hingegen
von positiv über skeptisch bis hin zu negativ
sehr ambivalent aus. Als förderlich wurde die
durch die Verfrühung verlängerte Reifezeit
und die daraus folgende höhere Qualität des
Weins genannt, wobei vor allem das erhöhte
35
Lisa Eisenbach, Hans-Joachim Fuchs & Ulrich Matthes
Abb. 4: Bisherige und mögliche zukünftige Entwicklung des zeitlichen Ablaufes der phänologischen Phasen an der
Klimastation Alzey bis Ende des 21. Jahrhunderts (in Anlehnung an Stock et al. 2007), regionales Klimamodell
WETTREG2006, Szenario A1B trocken (eigene Darstellung, Datenquelle: Meteo-Research / CEC Potsdam GmbH
i.A. des Umweltbundesamtes 2006).
Fäulnisrisiko durch verfrühungsbedingt höhere Temperaturen und vermehrte Niederschläge kurz vor der Lese, zunehmende Probleme
mit Insekten und die verstärkte Kühlung des
Mostes problematisiert wurden. Die Experten
nannten dieselben positiven und negativen
Aspekte, bewerteten diesbezüglich die Zukunft jedoch positiver als die Winzer und der
Kellermeister. Es ist somit, wie Abbildung 4
zur Entwicklung des zeitlichen Ablaufs der
phänologischen Phasen in Alzey (WETTREG2006 A1B trocken) zeigt, mit einer weiteren Verfrühung zu rechnen, was auch Folgen
mit sich bringt.
Was die Mostgewichtserhöhung anbelangt,
die von fast allen Befragten erkannt wurde,
waren sich Experten, Winzer und Kellermeister weitestgehend einig: Dieser von den Temperaturen während der Vegetationsperiode
abhängige Faktor erhöhte sich in den letzten
Jahren erkennbar und wurde als nahezu perfekt beschrieben. Klimawandelskeptiker führten die Erhöhung zum Teil auf neue Klone
und Züchtungen oder auf periodische Klimaschwankungen zurück. Wurde das Mostgewicht, trotz verschiedener Aussagen zu den
Gründen der Erhöhung, von allen Befragten
36
als positiv wahrgenommen, brachte der nächste mikrobiologische Aspekt, das AlkoholSäure-Verhältnis, konträre Ansichten zutage.
Deutlich wurde vor allem, dass die Hälfte der
Praktiker die Veränderungen im Alkohol-Säure-Verhältnis nicht wahrgenommen hat und
auch keine Verbindung zwischen diesem Aspekt und den erhöhten Temperaturen ziehen
konnte. Sollten aber Jahre wie 2003 zur Regel
werden, könnten die Weißweine ihre Spritzigkeit und ihre besondere Aromatik verlieren,
die ihnen ihren einzigartigen Charakter verleiht und es könnte dann bald, mit den Worten des Experten des Dienstleistungszentrums
Ländlicher Raum Rheinhessen-Nahe-Hunsrück, „Gute Nacht Müller Thurgau“ heißen.
Auch die Aromaausprägung, die eng mit dem
Säure-Zucker-Verhältnis gekoppelt ist, rief einige Fragezeichen bei den Winzern hervor.
Die Hälfte der befragten Weinbauer sowie der
Kellermeister empfanden die aromatischen
Veränderungen sowohl bei Weiß- als auch bei
Rotweinen als positiv, während ein Drittel
der Winzer bereits nachteilige Auswirkungen
auf das Aroma der Weißweine bemerkt haben
will. Die beiden genossenschaftlichen Winzer
konnten, wie bereits zuvor, diesbezüglich als
einzige keine Aussage tätigen.
Der Klimawandel und mögliche Auswirkungen auf den Weinbau in Rheinhessen
In Bezug auf Krankheiten, die in hohem
Maße witterungsabhängig sind, gehen die
Meinungen insbesondere bei den tierischen
Schädlingen weit auseinander. Es wurden
vor allem neue Insekten, wie Rebzikaden,
verschiedene Milbenarten und der Asiatische
Marienkäfer, wahrgenommen. Aber auch ein
häufigeres Auftreten einheimischer Schädlinge wurde verzeichnet, welche, speziell im Hinblick auf die dritte Traubenwicklergeneration,
in stärkerer Intensität vorkommen, wobei die
Pheromonfallen die Situation bezüglich des
zuletzt genannten Schädlings beherrschbar
machen. Außerdem gab es einige Winzer, die
Probleme mit vormaligen Nützlingen, wie
dem Ohrwurm, benannten, die sich mittlerweile aufgrund der großen Populationszahlen
zu Schädlingen entwickelten. Andere Befragte nahmen indes keine Veränderungen im
Hinblick auf tierische Schädlinge wahr. Die
Experten warnten vor allem vor zukünftig
neuen und virulenter auftretenden einheimischen Schädlingen. Und dennoch sind es
eher die Pilz- und Fäulniskrankheiten, die,
laut Experten, drastische Auswirkungen auf
die Gesundheit der Reben haben könnten.
Neue Arten, wie Esca, die Schwarzholzkrankheit und Mauke, wurden von den Befragten
vermehrt wahrgenommen, aber auch einhei-
mische Pilz- und Fäulniskrankheiten, die bereits jetzt schneller eintreten und unberechenbarer sind, werden die Gesunderhaltung der
Reben auch in Zukunft verstärkt beeinträchtigen. Außerdem wurde der Sonnenbrand
als immer größeres Problem von acht Winzern angesprochen und der Zusammenhang
zwischen Entblätterung wegen Fäulnis und
dem daraus möglicherweise resultierenden
Sonnenbrand wurden benannt. Auch die Experten beobachten das Problem in der letzten
Zeit verstärkt.
3.3 Fragenkomplex: Klimatische und weinbauliche Veränderungen in Bezug auf den
Wärmehaushalt im Winter
Im Gegensatz zu den Themen, die die Vegetationszeit betreffen, stellen sich weinbauliche
Aspekte im Winter, möglicherweise aufgrund
der geringeren Bedeutung für den Weinbau,
generell wesentlich uneinheitlicher dar. Bezüglich der Temperaturentwicklung war die
Übereinstimmung zwischen den tatsächlich
eingetretenen Veränderungen und den Einschätzungen der Winzer und des Kellermeisters nur bei knapp der Hälfte korrekt, die
andere Hälfte empfand keine Veränderung
Abb. 5: Bisherige und zukünftige mögliche Entwicklung der Häufigkeit des Auftretens von Spätfrösten an der
Klimastation Alzey bis Ende des 21. Jahrhunderts (in Anlehnung an Stock et al. 2007), regionales Klimamodell
WETTREG2006, Szenario A1B trocken (eigene Darstellung, Datenquelle: Meteo-Research / CEC Potsdam GmbH
i.A. des Umweltbundesamtes 2006).
37
Lisa Eisenbach, Hans-Joachim Fuchs & Ulrich Matthes
in den Temperaturen. Im Hinblick auf die
Entwicklung der Fröste gibt es ein geteiltes
Meinungsbild, nämlich zum einen die Verfechter der reduzierten Frosthäufigkeit, zum
anderen jene, die keine Veränderungen wahrgenommen haben. Das Spätfrostrisiko wird
von einem Drittel der Winzer aufgrund der
verschobenen Phänologie höher eingeschätzt,
während die Hälfte der Praktiker, dabei vor
allem ein Winzer der agrargeographischen Region der so genannten Rheinfront, es ganz vehement eher für gesunken hält. Die Experten
weisen, wie die Simulationen des PotsdamInstituts für Klimafolgenforschung in Abbildung 5 zur Entwicklung der Häufigkeit von
Spätfrösten zeigt, aufgrund der phänologischen Verschiebung auf eine gleich bleibende
oder sogar erhöhte Zahl von Spätfrösten hin.
Entsprechend den beiden vorherigen Aspekten gestaltete sich auch die Einschätzung zur
Eisweinentwicklung, wobei diejenigen, die
das Auftreten der Fröste als gleichbleibend
vermuteten, auch dem Eiswein zukünftig
eine Chance einräumten und umgekehrt.
Die Experten mutmaßten, dass es zukünftig
in jedem Jahr möglich sein wird, Eiswein herzustellen, wobei eine Temperatur von -7 °C
vonnöten ist. Da dies aber eventuell immer
später im Jahr möglich sein wird, könnte
Fäulnis das Ernteergebnis und die Qualität
des Eisweins verstärkt negativ beeinflussen.
Auch hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen den Wintertemperaturen und der Entwicklung der Schädlinge sind die Aussagen
kontrovers. Die Mehrheit der Praktiker, sowie
zwei Wissenschaftler vermuteten eine Reduktion der Zahl an Schädlingen, wie Mäusen
und Unkraut, bei sehr kalten Wintertemperaturen, während nur ein Viertel der befragten
Praktiker und zwei Experten mit Verweis auf
die Anpassungsmechanismen der Schädlinge
von Populationszahlen ausgingen, die sich
unabhängig von den Temperaturen im Winter entwickeln. Trotz der kontroversen Antworten der Befragten hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen den Wintertemperaturen
und weinbaulichen Parametern sind sich die
Interviewpartner im Hinblick auf die generelle Bedeutung der Winterfröste in der Zukunft
dennoch relativ einig (Abb. 6).
3.4 Fragenkomplex: Klimatische und weinbauliche Veränderungen in Bezug auf den
Wasserhaushalt
Auch hinsichtlich des Wasserhaushalts wurde anhand der Antworten der Befragten
erkennbar, dass in den letzten Jahren zwei
große Tendenzen zu verzeichnen sind. Trotz
verschiedenster Aussagen zur momentanen
Situation der Wasserverfügbarkeit wurde von
der Mehrheit der Praktiker eine zunehmende
Reduktion der Niederschläge während der
Vegetationsperiode festgestellt, weshalb zeitweise Trockenstress die Folge war. Dennoch
herrschte diesbezüglich bei den Befragten Gelassenheit. Sie vertrauten auf die Anpassungsfähigkeit der Rebe und führten ein flexibles
Begrünungsmanagement als Strategie an, um
die Situation in den Griff zu bekommen. Auf
Abb. 6: Statementlistenfrage: Zukünftige Rolle der Winterfröste im rheinhessischen Weinbau (eigene Darstellung).
38
Der Klimawandel und mögliche Auswirkungen auf den Weinbau in Rheinhessen
Rotwein habe Trockenstress sogar eher positive Folgen hinsichtlich des Aromas und der
Farbe. Einzig für die Rheinfront mit ihren
Steillagen und den sandigen Böden könnte
das Thema ein echtes Problem werden. Für
die Zukunft rechnen drei der vier Experten
mit einem möglicherweise verstärkten Auftreten von Trockenphasen, wobei auch sie den
Trockenstress generell als unproblematisch
ansehen. Dennoch wurde das Thema „Bewässerung“ trotz aller finanziellen, ökologischen
und technischen Schwierigkeiten zumindest
für einzelne Parzellen von dem Großteil der
Winzer, dem Kellermeister und den Experten
als zukünftig sinnvoll erachtet (Abb. 7).
Viel eher macht den Befragten jedoch die Tendenz zu einem stärkeren Auftreten von Extremereignissen Sorgen. Von sieben Winzern
wurde die Diskrepanz zwischen Phasen mit
ungewöhnlich starken Niederschlägen und
extremer Trockenheit genannt, während drei
Weinbauern vor allem gegen Ende des Sommers, in der Lesezeit, lang anhaltende Niederschläge verzeichneten, was mit einem bereits
angesprochenen verstärkten Fäulnis- und Pilzbefall einhergeht. Auch die Experten sahen
diese Tendenz und rechneten, im Gegensatz
zu den simulierten Veränderungen der Klimamodelle, mit einem Anstieg der Starkniederschläge. Dies zeigt die theoretische Komplexität, aber auch die praxisbezogene Unberechenbarkeit des Themas Wasserhaushalt.
Im Zusammenhang mit der Entwicklung der
Niederschläge wurde von allen Befragten gleichermaßen die außerordentliche Bedeutung
des Bodens konkretisiert, vor allem hinsichtlich der Wasser- und Nährstoffspeicherung,
dem Nährstofftransport, dem Humusgehalt,
der Sortenwahl, des Weinaromas und der
-qualität. Was die zukünftige Entwicklung
des Wasserhaushalts anbelangt, befanden sich
die Experten jedoch in dem Dilemma nicht
zu wissen, welche Böden bevorzugt bebaut
werden sollten: Tonige Böden begünstigen
bei Starkniederschlägen die Ausbildung von
Chlorose (Mangelerscheinungen), und Trockenstress wird auf sandigen Böden verschärft.
Das Problem der Erosion ist für Rheinhessen,
laut Meinung der Praktiker und einiger Experten, momentan nicht besonders relevant,
da es wenige Steillagen gibt und durch ein
zielführendes Bodenmanagement der Erosion vorgebeugt werden kann. Der Experte des
Dienstleistungszentrums Rheinhessen-NaheHunsrück betonte jedoch, dass Erosion auch
in Flachlagen vorkommen kann und es daher
ein gesamtrheinhessisches Problem ist, zumal
die Intensität einer Begrünung in Konflikt
mit der verstärkten Trockenheit steht.
3.5 Fragenkomplex: Klimatische und weinbauliche Veränderungen in Bezug auf Hagel und Sonnenscheindauer
Ein weiteres Thema von hoher weinbaulicher
Relevanz bei gleichzeitig schlechter Vorhersagbarkeit ist der Hagel. Sah die eine Hälfte
der befragten Winzer und der Kellermeister
das Auftreten dieser lokalen Ereignisse als
gleichgeblieben, will die andere Hälfte in
Abb. 7: Statementlistenfrage: Tröpfchenbewässerung im rheinhessischen Weinbau im Rahmen des Klimawandels
(eigene Darstellung).
39
Lisa Eisenbach, Hans-Joachim Fuchs & Ulrich Matthes
Abb. 8: Statementlistenfrage: Zukünftige Rolle des Hagels in Rheinhessen (eigene Darstellung).
den letzten Jahren einen Anstieg erkannt haben. Diese Diskrepanz zeigt, dass sich auch
das Auftreten von Hagelereignissen als sehr
schwer mess- und wahrnehmbar gestaltet, was
sich ebenfalls aus den ambivalenten Antworten der befragten Experten entnehmen lässt.
Trotz der Annahme, dass die Bedeutung von
Hagelschäden in Rheinhessen in Zukunft zunehmen wird (vgl. Abb. 8), haben weniger als
die Hälfte der Winzer ihre Parzellen gegen
solche Schäden versichert.
Die im theoretischen Teil bereits angesprochene erhöhte Sonnenscheindauer und –intensität wurde, abgesehen von einem Genossenschaftswinzer, von allen Befragten gleichermaßen wahrgenommen. Doch die Frage,
ob man diese Entwicklung als positiv oder
negativ beurteilt, teilt die Meinungen der Interviewpartner wieder, auch innerhalb der Expertenschaft. Der Möglichkeit einer besseren
Reife, einer höheren Qualität und dem Anbau neuer Sorten stehen das vermehrte Auftreten von Sonnenbrand und eine verstärkte
Trockenheit entgegen.
3.6 Möglichkeiten und Bereitschaft für zukünftige Anpassungsstrategien im Weinanbau
Welche Möglichkeiten der Anpassung an den
Klimawandel gibt es? Zunächst stellte sich
heraus, dass alle Befragten, außer die beiden
genossenschaftlich organisierten Winzer, einen konkreten Anpassungsbedarf sehen, wobei vor allem das flexible Reagieren auf sich
40
kurzfristig ändernde Wetterbedingungen als
wichtig erachtet wird. Die Experten fordern,
neben konkreten Maßnahmen, auch ein vorausschauendes Denken und keine Entscheidungen für den Moment. Dementsprechend
kann man die zur Verfügung stehenden Anpassungsstrategien in langfristige und kurzfristige unterteilen, wobei bei der folgenden
Betrachtung auf das Rebsortenspektrum, die
Lagenwahl, das Erziehungssystem und die
Pflanzdichte als Schwerpunkte für langfristige und auf die Laubwandhöhe, die Entblätterung, die Begrünung der Rebzeilen und
die Bewässerung als Schwerpunkte für kurzfristige Maßnahmen Bezug genommen wird.
Modifikationen bei der Unterlagswahl und
Zeilenausrichtung sind aufgrund politischer
und topographischer beziehungsweise arbeitstechnischer Einschränkungen als Maßnahmen
größtenteils nicht umsetzbar.
Aufgrund potenzieller Anpassungsmöglichkeiten ist in Fachzeitschriften, aber auch im
Gespräch mit Betroffenen, die Wahl der Rebsorte ein häufig diskutiertes Thema. Immer
wieder stellt sich die Frage, ob man an dem
einheimischen Sortenspektrum festhalten
oder eine Umstellung auf mittlerweile immer
besser mögliche südländische Sorten vollziehen sollte, welche unter Klimawandelbedingungen zukünftig in Deutschland günstigere
Bedingungen finden könnten. Ein Großteil
der Befragten, nämlich 14 von 16, favorisieren auch zukünftig den Anbau einheimischer
Sorten. Das vorhandene Rebsortenspektrum
der Befragten verdeutlicht dies eindrücklich.
Vor allem traditionelle Sorten, wie Riesling,
Müller-Thurgau, Silvaner, Dornfelder und
Der Klimawandel und mögliche Auswirkungen auf den Weinbau in Rheinhessen
Portugieser, prägen deren Anbauflächen. Vereinzelt wurden auch pilzresistente Sorten,
Neuzüchtungen und sehr alte Sorten, wie die
Faberrebe, aber auch, vor allem in den letzten
Jahren, kleinere Zugaben mediterraner Sorten,
insbesondere Rotweine, genannt. Abgesehen
von der fassweinorientierten Vermarktungsstruktur, welche traditionelle Sorten fordert,
ist die sortenbedingte Einzigartigkeit der deutschen Weinbaugebiete ausschlaggebend, wobei die traditionellen Sorten den cool-climateCharakter der deutschen Weinregionen repräsentieren, die dafür geschätzt werden. Laut
dem Experten des Dienstleistungszentrums
Ländlicher Raum Rheinpfalz wäre es nicht
ratsam, diese Nische aufzugeben, selbst wenn
es klimatisch möglich wäre. Eine flächenhafte
Umstellung der Rebsorten erweist sich somit
als nicht sinnvoll und daher wenig zukunftsträchtig.
Ob sich im Hinblick auf die Erhaltung der
traditionellen Rebsorten die im theoretischen
Zwischenfazit genannte beste Weinlage, eine
Südlage mit 58 Grad Neigung, in Zukunft immer noch als die günstigste herausstellt oder
ob ein Lagenwechsel denkbar wäre, schließt
sich als nächste logische Frage an die der Rebsorte an. Die Hälfte der befragten Winzer und
der Kellermeister zeigten sich nicht bereit,
bisherige Ungunstlagen zu bewirtschaften,
während sich die andere Hälfte, je nach Sorte und Boden, einen Lagenwechsel vorstellen
könnte. Dass die Experten, die ebenfalls einen
Lagenwechsel als möglichen Anpassungsmechanismus nicht ausschließen, mit solchen
Winzerantworten rechneten, zeigt sich deutlich darin, dass sie Bedenken gegenüber den
festgefahrenen Strukturen äußern und Ansichten hinsichtlich vermeintlicher Toplagen bemängeln. Bezüglich der Wahl der Lage besteht
somit Anpassungspotenzial, welches vielen
Winzern aufgrund ihres Festhaltens an alten
Strukturen noch verwehrt bleibt.
Im Hinblick auf das Erziehungssystem kann
man festhalten, dass die Winzer sich auch
diesbezüglich traditionell verhalten. Zehn von
elf Winzern und der Kellermeister bevorzugen das Bewirtschaften in Spaliererziehung,
größtenteils mit Flach-, teilweise auch mit
Halbbögen, ein Winzer setzt auf die Um-
kehrerziehung. Das mögliche Potenzial des
Minimalschnitts wurde von den wenigsten
Weinbauern bislang wahrgenommen. Sieben
Winzer lehnten den buschigen Rebenwuchs
mit der Begründung eines zu hohen Wasserverbrauchs, einer geringen Qualität und
persönlicher Aversionen kategorisch ab. Vier
andere Winzer und der Kellermeister könnten
sich, trotz der gleichen Bedenken, das neue
Erziehungssystem in bestimmten Lagen vorstellen, verwiesen aber darauf, mit reduziertem Arbeitsaufwand die Ansprüche des Fassweinmarktes zu erfüllen. Nur zwei der zwölf
Praktiker wussten von den theoretischen Möglichkeiten, mit diesem Erziehungssystem jede
mögliche Qualitätsstufe erreichen zu können
und zusätzlich eine gute Durchlüftung zu
realisieren, kleine, lockere und aromatische
Beeren zu erhalten und die Gefahr des Sonnenbrandes zu reduzieren. Dennoch waren
auch sie bislang nicht bereit, dieses System
anzuwenden. Abgesehen von den Winzern
sind auch die Experten nicht vom Potenzial
des Minimalschnitts überzeugt. Jeweils zwei
halten ihn für sinnlos beziehungsweise für
eine interessante Alternative in Bezug auf
klimatische Veränderungen, wobei letztere davon ausgehen, dass ein umfangreiches Wissen
über die Physiologie der Weinpflanzen eine
wichtige Voraussetzung ist.
Hinsichtlich der Pflanzdichte, welche bei
engem Stand die Reben dazu zwingt, tiefer
zu wurzeln und Wasser aus tieferen Bodenschichten zu nutzen, waren den Winzern die
Zusammenhänge klar. Beispiele von Spitzenwinzern mit einem Rebabstand von 0,5 Metern oder sogar Doppelreben wurden genannt.
Dennoch wirtschaften die befragten Winzer,
aufgrund von EU-Zuschüssen, mit einem Abstand von 2 Metern, weshalb der für die Reben
beschriebene Effekt bei den Interviewpartnern
nicht greift. Dass die Maßnahme bei der prognostizierten unklaren Niederschlagssituation
Potenzial bietet, bestätigte die Aussage des
Experten vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinhessen-Nahe-Hunsrück.
Sowohl bei extremem Regen als auch extremer
Trockenheit eignet sich eine erhöhte Pflanzdichte, da Böden in der Tiefe weniger von
kurzfristigen Ereignissen beeinflusst werden.
41
Lisa Eisenbach, Hans-Joachim Fuchs & Ulrich Matthes
Die erste kurzfristige Maßnahme, die Möglichkeiten zur Anpassung an den Klimawandel bietet, ist die Höhe der Laubwand. Die
Winzer, der Kellermeister und die Experten
sind sich zum momentanen Zeitpunkt einig:
Die Laubwand soll zugunsten einer guten
Assimilation, welche auf einem optimalen
Blatt-Frucht-Verhältnis basiert, bei gleichzeitiger Entblätterung der Traubenzone, hoch gehalten werden. Da nur zwei Winzer und zwei
Experten eine reduzierte Laubwandhöhe aufgrund der kleineren Verdunstungsfläche und
des dadurch sinkenden Wasserverbrauchs, sowie wegen einer Reifeverzögerung aufgrund
verringerter Zuckereinlagerung als eine mögliche Strategie gegenüber erhöhter Trockenheit
sehen, scheint das Thema generell keine große Beachtung zu finden. Die gute Assimilation hat offenbar Vorrang.
Im Gegensatz dazu wird die Entblätterung
von allen Weinbauern in teilweise unterschiedlich starkem Maße eingesetzt. Hierbei waren auch fast allen Winzern und dem
Kellermeister die Zusammenhänge zwischen
Entblätterung und Fäulnisbekämpfung,
Mostgewichtsentwicklung, Sonnenbrand und
Säureabbau bekannt, weshalb sie ein flexibles
Vorgehen bescheinigten. Dass die Entblätterung eine aus dem Klimawandel resultierende
Maßnahme ist, zeigt sich daran, dass die meisten Winzer sie erst seit rund fünf Jahren praktizieren. Trotz der Kürze ihres Einsatzes stellt
sie sich als eine gut verstandene und sinnvoll
genutzte Maßnahme heraus. Dennoch bremsen die Experten die Entblätterungseuphorie,
indem sie die Winzer auffordern Risiken zu
streuen, weil bei starker Hitze direkt nach der
Entblätterung Sonnenbrandschäden möglich
sind.
Die Begrünung der Rebzeilen als eine dritte
kurzfristige Strategie stellt zwar nicht unbedingt eine aus dem Klimawandel heraus geborene Maßnahme dar, dennoch wird sie in
letzter Zeit immer wichtiger und wirkungsvoller. Wie bereits erläutert, besteht diesbezüglich einer der größten Unterschiede zwischen
dem konventionellen und dem ökologischen
Weinbau. Während der erstere nur bei Steillagen zumeist jede Zeile bewachsen lässt und
bei flacheren Gassen jede zweite Zeile niedrig
42
begrünt oder Stroh als Ersatzmaterial nutzt,
lassen die ökologischen Winzer in jeder Zeile
die Pflanzen, hierbei nicht nur Gras, wachsen. Bei trockenem Wetter findet lediglich
ein Umwalzen der Pflanzen statt, um eine
verdunstungshemmende Bodenabdeckung
zu erhalten, während die Pflanzen bei starken
Niederschlägen stehen bleiben, um Chlorosen vorzubeugen. Von den Experten wird die
schonende Bodenbearbeitung als wichtiges
Element gesehen, um mit dem Klimawandel
umzugehen. Dass auch die konventionellen
Winzer dies erkannt haben, zeigt sich daran,
dass einige diesbezüglich bereits Strategien
der ökologischen Winzer übernommen haben und darin Potenzial sehen.
Das Thema „Bewässerung“ wurde, trotz aller
finanziellen, ökologischen und technischen
Schwierigkeiten, zumindest für einzelne Parzellen, von einem Großteil der Winzer, dem
Kellermeister und der Experten als zukünftige
Maßnahme für sinnvoll erachtet. Als problematisch wurde von einem Winzer der Eingriff in den Selbstversorgungsmechanismus
der Rebe gesehen, wobei die Experten eher
die Wasserverfügbarkeit kritisch bewerten,
weshalb die Maßnahme vielleicht teilweise
zu Entlastung führt, sich aber im Zuge des
Klimawandels nicht zu einer ausschließlichen
und flächenübergreifenden Maßnahme entwickeln kann.
Hinsichtlich der Auswirkungen des Klimawandels für die Arbeit im Keller waren die
Einschätzungen sehr konträr. Der Kellermeister und die Hälfte der Befragten gaben an,
dass die Arbeiten im Keller, aufgrund einer
der erhöhten Fäulnis geschuldeten veränderten mikrobiellen Aktivität, eines gestiegenen
Alkoholanteils und des Arbeitens mit Extremen, einen wichtigen Beitrag zur Weinqualität im Zuge des Klimawandels liefert, während
die andere Hälfte der Befragten hauptsächlich
die Trauben als solche und damit gleichzeitig
die Maßnahmen im Wingert betonte. Die Experten schlossen sich der Meinung der ersten
Gruppe von Praktikern an. Da eine Flasche
Traubensaft zwei Euro, eine Flasche Wein
zwischen zwei und 200 Euro koste, müsse die
Kellerwirtschaft das Qualitätspotenzial entfalten und zur Blüte bringen, so die Meinung
Der Klimawandel und mögliche Auswirkungen auf den Weinbau in Rheinhessen
des Experten vom Dienstleistungszentrum
Ländlicher Raum Rheinpfalz. Um dies auch
in Zukunft zu gewährleisten, müssen neuartige klimawandelbedingte Aufgaben gemeistert
werden. Da die Weißweinernte wegen der
phänologischen Verfrühung immer weiter in
die warme Jahreszeit fällt, stellen insbesondere auch erhöhte Energiekosten durch eine
temperaturgesteuerte Gärung eine Herausforderung dar, weshalb vermehrt Nachternten
eingeführt wurden.
Nachdem die Zusammenhänge und Problemfelder erläutert wurden, hatten die Befragten
die Gelegenheit, ihre Meinung zum Thema
Forschung und Information kundzutun. Obgleich bei einigen Weinbauern klimatische
und weinbauliche Zusammenhänge, vor allem hinsichtlich des Klimawandels und der
Mikrobiologie, fehlten, mangelte es scheinbar, mit Ausnahme einer generellen sowie
einer Esca-bezogenen Gesundhaltung der
Reben, wenigen Winzern an Information.
Die vielfältige Kommunikation zwischen Forschung und Praktikern wurde als gut und die
Bereitschaft der Winzer sich zu informieren
als hoch angesehen. Dem gegenüber stehen
die Aussagen einiger Weinbauern, welche
klare Verhältnisse verlangten, wie die Aussage „weniger Spekulationen, mehr Tatsachen“
des Mörstadter Winzers bestätigt, wobei sie
sich, wie der Niersteiner Winzer, über „zwei
Anrufe, drei Meinungen“ ärgerten. Auch die
Experten erlebten nach eigenen Angaben die
vielfältigsten Reaktionen auf ihr Informationsangebot, was zum Teil auf fehlendem
Know-how basiere und somit gelegentlich
problematisch sein würde.
3.7 Auswertung verschiedener Fragenkomplexe auf der Metaebene
Bei einem Vergleich der Expertenantworten
konnte man feststellen, dass bei eindeutig
belegbaren Aspekten, wie beispielsweise den
erhöhten Temperaturen, der längeren und
intensiveren Sonnenscheindauer, dem Mostgewicht und dem Alkohol-Säure-Verhältnis,
volle Übereinstimmung vorlag. Hinsichtlich
nicht aufgezeichneter oder nicht eindeutig
aufzeichenbarer Themen, wie Hagel, Aromaveränderungen und Schädlingsentwicklung
bei niedrigen Temperaturen, sowie Aussagen
zu Frösten und der Zukunft des Eisweins, gab
es aber auch Abweichungen in den Äußerungen. Dass der Klimawandel teilweise auch
unvorhersehbare Veränderungen mit sich
bringt, beweist das Thema „Wasserhaushalt“.
Hinsichtlich der Starkniederschläge herrschte
unter den Experten Einigkeit, nicht jedoch
zu dem Aspekt der Trockenphasen. Auch die
Erosion als altes und die Vegetationszeit betreffendes Thema für Rheinhessen wurde als
ungleich problematisch dargestellt. Zwischen
dem Vertreter der Behörde und den wissenschaftlichen Experten herrschten große Diskrepanzen hinsichtlich der Ansichten zu den
Anpassungsstrategien vor. Ersterer ging davon aus, dass sich die Winzer gerne auf neue,
mediterrane Rebsorten umstellen wollen, was
von den Wissenschaftlern und den Praktikern
verneint wird. Auch seine Aussage, dass sich
die Winzer in Zukunft gerne in Ungunstlagen
einkaufen werden, wurde von den Experten
angezweifelt, was von den Weinbauern bestätigt wurde. Daher wird diesbezüglich deutlich: Es herrscht ein anderer Ausgangspunkt
des Verständnisses zwischen Theorie und
Praxis vor, was eventuell erkennen lässt, dass
die politisch motivierten Gesetze und Verordnungen zu den Rebunterlagen und der Gassenbreite die praktische Sicht des Weinbaus
womöglich vernachlässigt. Dass die Anpassungsstrategien auch für die Experten nicht
eindeutig zu bewerten sind, zeigt das Thema
Minimalschnitt, welcher sehr kontrovers betrachtet wird.
Auch der Gegensatz zwischen rein genossenschaftlich ausgerichteten, häufig Nebenerwerbswinzern zu Haupterwerbswinzern,
welche auch selbst kleine Anteile ihrer Trauben keltern, war eindrücklich. Beide nebenerwerblichen Genossenschaftswinzer erkannten
die Temperaturerhöhung während der Vegetationsperiode nicht und einer der beiden
nahm außerdem die verstärkte Sonneneinstrahlung nicht wahr. Auch hinsichtlich der
weinbaulichen Auswirkungen, wie der phänologischen Veränderung und der Entwicklung
des Alkohol-Säure-Verhältnisses, konnten bei43
Lisa Eisenbach, Hans-Joachim Fuchs & Ulrich Matthes
de nur begrenzt Antwort geben, neue Schädlinge konnten nicht benannt werden und der
Sonnenbrand wurde von einem Winzer als
Folge der „neuen Mode“ des Entblätterns ausgelegt, wobei beide selbst entblättern. Beide
Weinbauern sahen noch keine Notwendigkeit
zur Anpassung, was im Widerspruch zu der
durchgeführten Entblätterung und teilweisen Begrünung steht. Als Begründung für
die angebaute Rebsorte führten die Winzer
ausschließlich an, dass sie das anbauen, was
die Genossenschaft vorgibt, was kein überzeugendes Argument darstellt. Dieser und
weitere bereits erwähnte Aspekte, wie die Zeilenausrichtung und der Minimalschnitt bescheinigen eventuelle Defizite im praktischen
Weinbau, welche sich unter Klimawandelbedingungen noch verschärfen könnten, was
auch der Kellermeister für die Nebenerwerbswinzer der Genossenschaft prognostizierte.
Vergleicht man außerdem den ökologischen
und den konventionellen Weinbau miteinander, müssen zunächst die großen Vorurteile,
die bei einigen Befragten hinsichtlich der
Traubengesundheit im ökologischen Weinbau
vorlagen, relativiert werden. Wie bereits erläutert, sind, abgesehen von den unterschiedlichen Spritz- und Düngegewohnheiten, vor
allem das optimal angepasste Bodenmanagement und eine geringere und schonendere
maschinelle Bearbeitung die Hauptunterscheidungskriterien. Der große Vorteil der
ökologischen Winzer besteht aber darin, dass
sie, aufgrund der Restriktionen beim Einsatz
chemischer Mittel, die Natur intensiver beobachten müssen, um angemessen eingreifen
und unterstützen zu können. Dieses sensible
und bewusstere Vorgehen könnte auch in Bezug auf die klimatischen Anforderungen der
Zukunft eine gute Strategie sein.
Will man eine räumliche Gesamtdarstellung
zur Entwicklung Rheinhessens während des
Klimawandels geben, muss man das Gebiet
in die Bereiche Rheinfront und Hinterland
untergliedern, denn die Rheinfront wird,
wie bereits deutlich wurde, in Zukunft der
benachteiligte Bereich Rheinhessens werden.
Sandige Böden mit einer geringen Wasserspeicherkapazität, die erhöhte Erosion bei den
Steillagen, verstärkt durch eine intensivere
44
Sonneneinstrahlung und vermehrte Starkniederschläge lassen die Relation zwischen Kosten und Mühen als nicht lohnend erscheinen.
Selbst wenn von den Befragten kein Identitätsverlust vermutet wird, ist die Rheinfront
aufgrund ihres hohen Wiedererkennungswertes für Rheinhessen ein wichtiges weinbauliches Vorzeigebeispiel. Dementsprechend fällt
die Beurteilung der Weinregion Rheinhessen
im Vergleich zu anderen Weinbaugebieten
positiv aus: Vor allem Winzer und Kellermeister im Hügelland sowie die Experten sehen
große Vorteile in ihrem Standort hinsichtlich eines persistenten Sortenspektrums, den
vielfältigen Böden, den unterschiedlichsten
Weinbergslagen und den optimalen Klimabedingungen. Und die Rheinfront soll anhand
geeigneter Maßnahmen erhalten werden.
4. Zusammenfassung
Das Fazit, das zu „Klimawandel und Weinbau“ gezogen werden kann, lautet letztlich
„Ambivalenz“! Dies zeigte sich von vorneherein darin, dass schon das Phänomen Klimawandel und die damit einhergehenden Konsequenzen nur von der Hälfte der Winzer
überhaupt adäquat wahrgenommen werden.
Was die bisherigen klimatischen Veränderungen anbelangt, entsprechen die Aussagen der
Interviewpartner in Bezug auf die Temperaturentwicklung und die Sonnenscheindauer
während der Vegetationsperiode tendenziell
den Messdaten des Deutschen Wetterdienstes. Die Einschätzungen zur Entwicklung der
Wintertemperaturen und der Fröste stellten
sich, vor allem bei den Winzern, als sehr uneinheitlich heraus. Hinsichtlich des Wasserhaushalts war es vor allem die unregelmäßige
Niederschlagsentwicklung, die den Befragten
mit dem Verweis auf die Selbstregulierung der
Rebe bislang noch recht wenig Sorgen bereitet. Dennoch wurde in großer Übereinstimmung, auch mit den Simulationsmodellen,
eine zukünftig angemessene Wasserverfügbarkeit als nicht gesichert angesehen und viele
der Befragten verwiesen auf die mögliche Notwendigkeit einer Bewässerung. Die Wasserverfügbarkeit scheint, vor dem Hintergrund
Der Klimawandel und mögliche Auswirkungen auf den Weinbau in Rheinhessen
der Zunahme der Extreme, einer der begrenzenden Faktoren der weinbaulichen Zukunft
darzustellen. Letztlich kann man insgesamt
festhalten, dass der Großteil der Befragten,
Winzer und Experten, für die Zukunft große
klimatische Veränderungen voraussehen, die
nicht unproblematisch erscheinen.
Im Zuge der klimatischen Veränderungen
hat der Weinbau diverse neuartige Herausforderungen zu bewältigen. Hierbei kann
zunächst gesagt werden, dass sichtbare Veränderungen, wie die Verfrühung der Phänologie
und die Krankheiten, recht eindeutig von
allen Befragten erkannt wurden. Was jedoch
die chemischen Zusammenhänge innerhalb
der Traube anbelangt, wie beispielsweise das
Mostgewicht, das Alkohol-Säure-Verhältnis
und die Aromatik, war es für einige Winzer
und zum Teil auch für die Experten schwieriger, eine Aussage zu treffen. Die Verfrühung
der Phänologie wurde aufgrund der längeren
Reife von den meisten der Befragten bislang
trotz des erhöhten Energiebedarfs bei der
Kühlung und des höheren Fäulnisrisikos als
eher positiv bewertet. Entgegen den Annahmen aus dem theoretischen Zwischenfazit
scheinen, was Krankheiten generell anbelangt, noch nicht die tierischen Schädlinge,
sondern vor allem Fäulnis und Sonnenbrand
große Probleme darzustellen, welche sich
nach Angaben aller Befragten auch noch verschärfen könnten. Während das Mostgewicht
von allen Beteiligten sehr positiv beurteilt
wurde und in diesem kein zukünftiges Risiko
gesehen wurde, war es vor allem das AlkoholSäure-Verhältnis, welches zum Teil als problematisch angesehen wurde. Die Weine, hierbei
in erster Linie die Weißweine, könnten im
Zuge einer weiteren Zunahme von Temperatur und Sonnenschein nämlich ihren typischen fruchtig-spritzigen Charakter verlieren,
wenn der Säureabbau voranschreitet und der
Alkoholanteil zu hoch wird. Auch das Aroma
des Weins würde, beispielsweise durch entstehende Petrolnoten oder untypische Alterungstone, die sich auch auf die Haltbarkeit
auswirken, aufgrund der Klimaveränderungen negativ beeinträchtigt werden.
Die teils nicht eindeutigen klimatischen und
weinbaulichen Zukunftsprognosen führen
letztlich zu der Frage, wie die Winzer mit
den Gegebenheiten umgehen und wie sie
sich anpassen sollen. Sicher scheint zu sein,
dass sie unbedingt das einheimische Rebsortenspektrum und damit ihre Nischenposition erhalten wollen. Dennoch sind einige
Weinbauern (noch) nicht bereit, zukünftig
auch Ungunstlagen zu bewirtschaften, wie es
die Experten vorschlagen und einige Winzer
auch schon praktizieren. Das Spektrum der
Unterlagssorten ist, aufgrund der deutschen
Gesetze, noch beschränkt und eine veränderte Zeilenrichtung ist topographisch selten
machbar. Ob ein neues Erziehungssystem,
wie der Minimalschnitt, klimawandeltauglich ist, scheint indes noch nicht geklärt und
Vorbehalte sowohl von Seiten der Winzer als
auch der Experten sind bislang noch groß.
Die kurzfristigen Maßnahmen, wie Entblätterung, Begrünung der Rebzeilen und
Laubwandhöhenanpassung, werden teilweise, gemäß den Aussagen der Experten, aber
bereits erfolgreich von den meisten Winzern
eingesetzt. Vor allem die Begrünung scheint
im Klimawandel eine nicht mehr wegzudenkende Strategie zu sein, die eine angemessene
Wasserversorgung der Rebe unterstützt und
dem möglicherweise durch Starkregen erhöhten Erosionsrisiko vorbeugt. Anhand der häufig kontroversen Aussagen kann man sehen,
dass die klimatische Übergangsphase, in der
wir uns heute befinden, die Bewertung der
Ereignisse erschwert, die Anpassungsstrategien immer wieder relativiert und diese jährlich
neu ausgelotet werden müssen.
Letztlich wird vor allem die agrargeographische Region der so genannten Rheinfront mit
großen Problemen zu kämpfen haben, die
sich auf die dort vorhandenen Böden und deren geringe nutzbare Feldkapazität, sowie auf
das erhöhte Erosionsproblem aufgrund der
Steillagen beziehen. Da das restliche Gebiet
Rheinhessens von diesen Problemen weniger betroffen sein wird, gilt es vor allem die
Rheinfront zu erhalten. Insgesamt gesehen
ist Rheinhessen, im Vergleich zu den anderen deutschen Weinbaugebieten, aufgrund
der Böden, des geringen Anteils an Steillagenweinbau und der Lagenvielfalt dennoch
begünstigt.
45
Lisa Eisenbach, Hans-Joachim Fuchs & Ulrich Matthes
Schlussendlich kann man sagen, dass der
Klimawandel den Weinbau revolutioniert.
Lehrbücher müssten umgeschrieben werden,
alte Prämissen und Strategien, wie im theoretischen Zwischenfazit beschrieben, werden in
Frage gestellt und neue Maßnahmen sind von
Nöten, wenn der deutsche Weinbau seinen
cool-climate-Charakter nicht verlieren will.
Lassen sich die Winzer auf die Gegebenheiten ein und überdenken sie ihre traditionelle
Bewirtschaftungsweise, können ihnen die mit
dem Klimawandel einhergehenden positiven
Aspekte, wie eine bessere Reife und eine höhere Qualität, auch weiterhin, vor allem in
Rheinhessen, zuträglich werden. Vor dem
Hintergrund, dass bereits in den Oslofjorden
Norwegens Weißweinanbau betrieben wird,
scheint in Deutschland die Zeit für ein Umdenken und für Veränderungen im Weinbau
definitiv reif zu sein.
5. Danksagung
Die Autoren bedanken sich ganz herzlich
bei den Interviewpartnern: Elf Winzern und
einem Kellermeister aus Rheinhessen, drei
Weinbauwissenschaftlern und einem Vertreter
einer Behörde, die sich sehr viel Zeit genommen haben, die komplexe Fragestellung zu
beleuchten. Somit konnten ihre wertvollen
praktischen Erfahrungen und Langzeit-Wahrnehmungen in die Auswertung einfließen.
Dies stellt neben den statistischen Datenauswertungen und Projektionen einen sehr wichtigen Teil des vorliegenden Aufsatzes dar.
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Anschriften der Verfasser:
Lisa Eisenbach
Wiesenstraße 20
D-67305 Ramsen
Prof. Dr. Hans-Joachim Fuchs
Geographisches Institut
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
D-55099 Mainz
E-Mail: [email protected]
Homepage: www.staff.uni-mainz.de/hjfuchs
Dr. Ulrich Matthes
Rheinland-Pfalz Kompetenzzentrum
für Klimawandelfolgen
bei der Forschungsanstalt
für Waldökologie und Forstwirschaft
Hauptstraße 16
D-67705 Trippstadt
E-mail: [email protected]
Homepage: www.klimawandel-rlp.de
Manuskript eingegangen: 13.02.2013
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