Europäische Zentralbank Finanzielle Integration

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Europäische Zentralbank
Finanzielle Integration und Stabilität: Wege zu einem widerstandsfähigeren,
einheitlichen EU-Finanzmarkt Konferenz am 26 April 2012
„Auswirkungen des makroökonomischen Ungleichgewichts und der StaatsanleihenKrise auf die Integration der Finanzmärkte im Euroraum“
Es ist mir ein Vergnügen und eine besondere Ehre, hier und an diesem Nachmittag
über das wichtige Thema der Auswirkungen des makroökonomischen
Ungleichgewichts und der Staatsanleihen-Krise auf die Integration der Finanzmärkte
im Euroraum zu debattieren.
Wir kennen die makroökonomischen Umstände der aktuellen Staatsschuldenkrise,
deren Bestandteile die Defizite der Staatshaushalte und die Zahlungsbilanzdefizite
mehrerer Staaten der Eurozone sind.
Ich möchte meine Betrachtung heute auf den Transmissionsmechanismus zwischen
diesen makroökonomischen Ungleichgewichten und den Finanzmärkten mit den sich
daraus ergebenden Auswirkungen auf die Integration des Finanzsektors für den
Euroraum richten.
Zwei Hauptfaktoren der Übertragung der makroökonomischen Ungleichwichte auf
die Finanzmärkte waren in den vergangenen paar Jahren (und sind leider noch):
1. Die Tatsache, dass die Eurostaaten infolge der Einführung des Euros auf ihr
eigenes Recht der Geldschöpfung verzichtet haben, dass die EU fiskalisch nicht
eingebunden ist und dass es der Europäischen Zentralbank nicht erlaubt ist, die
Schulden der europäischen Staaten direkt zu finanzieren. Diese Kombination von
Faktoren hat zur Folge, dass es so etwas wie risikofreie Zinssätze im Euroraum nicht
gibt.
2. Die Tatsache, dass leichtfertiges Verhalten, d.h. dass man weiß, bei Kopf gewinnt
man selbst und bei Zahl verliert der andere, überall im unserem Finanzsystem
stattfindet, ob auf der Mikroebene zwischen einem einfachen, freien Makler und der
Bank, die den Makler beauftragt, oder auf einer mittleren Ebene zwischen Banken
und der Gesellschaft (das bekannte „Too-big-to-fail“-Phänomen) oder auf der
Makroebene zwischen den Euro-Mitgliedsstaaten und der „Euroraum-Gemeinde“,
wenn ich diesen unkonventionellen Begriff benutzen darf.
Die Staatsschuldenkrise in der Eurozone hat in den vergangenen paar Jahren eine
ebenso bekannte Tatsache zu Tage gefördert: Wenn eine Währung unvollendet ist,
gibt es keine risikofreien Zinssätze, und wenn es die nicht gibt, verläuft die
Integration der Finanzmärkte allenfalls schwach, weil verschiedene Märkte von sich
aus immer darauf aus sind, dass ihre Zinsen sich auseinanderentwickeln, sobald
makroökonomische Ungleichgewichte auftauchen. In der Eurozone hat dies mit
extrem unterschiedlichen Zinssätzen an den diversen Staatsanleihe-Märkten
konkrete Formen angenommen.
Als Folge der unterschiedlichen Zinssätze an den Staatsanleihe-Märkten des
Euroraum und der Tatsache, dass die Staaten bei der Bankenrettung im Euroraum
nach wie vor national denken, können wir heute bei den europäischen Banken eine
klare Tendenz beobachten, sich wieder mehr auf ihre Heimatmärkte zu
konzentrieren. Dieses Phänomen ist einer Integration der Finanzmärkte in dem
Währungsraum naturgemäß abträglich.
Die größte Gefahr für die finanzielle Stabilität Europas geht heute von der Tatsache
aus, dass die Euro-Mitgliedsstaaten von Banken finanziert werden, die von eben
jenen Staaten abhängen, die sie mit Finanzmitteln ausstatten, um im Fall eines
Bankrotts überleben zu können (mögliche Bankenrettung). In der Welt der „Spread
Sheets“ bezeichnet man das als Zirkelbezug, und wir alle wissen, dass Zirkelbezüge
einfach nicht funktionieren können.
Eine der Paradoxien dieser Situation, die die EZB mit ihrer jüngsten dreijährigen
Refinanzierungslinie (long term refinancing operation = LTRO) geschaffen hat, ist,
dass - trotz aller Notwendigkeit, ein hinreichendes Niveau an Liquidität im
Bankensektor zu gewährleiten - dieser Zirkelbezug damit befördert wird. Und zwar
darum, weil die implizite Botschaft, die von der LTRO und einer an den KapitalBedürfnissen orientierten Politik ausgeht, - einer Politik, die die Annahme beinhaltet,
dass die Anleihen der Staaten der Eurozone risikofrei sind - ist, dass die Banken
massenhaft Staatsanleihen kaufen können, ohne mögliche negative Folgen fürchten
zu müssen: Sie wissen, dass sie von den Staaten, die sie finanzieren, gerettet
werden, wenn die Sache schiefgeht. Wir sehen außerdem die Widersprüchlichkeit
einer Banken-Politik, die vorbehaltlos auf die Annahme setzt, dass Staatsanleihen
von Natur aus risikofrei sind, und das in einer Eurozone, in der es keine risikofreien
Zinssätze mehr gibt. Auf mittlere Sicht hin kann das einer Integration der
Finanzmärkte nur abträglich sein. Letzten Endes entsteht durch die LTROMaßnahme wieder leichtfertiges Verhalten, indem Banken private Gewinne
erwirtschaften, die nur mithilfe des öffentlichen Geldes zustande gekommen sind,
das man ihnen zur Verfügung gestellt hat.
Alles in allem, und hier noch einmal in Anerkennung des Nutzens, den eine
Linderung ihrer Liquiditätsklemme den europäischen Banken gebracht hat, waren
die Nebenwirkungen der LTRO-Maßnahme 1) ein Anwachsen des leichtfertigen
Verhaltens in der Eurozone und 2) der Impuls für die europäischen Banken, sich in
ihre Heimatländer zurückzuziehen und damit der Integration der Finanzmärkte zu
schaden.
Wir wissen, dass eine monetäre Lockerung angesichts des gesetzlichen Rahmens,
in dem die Europäische Zentralbank agiert, derzeit nicht möglich ist. Aber bitte
erlauben Sie mir trotzdem einen Vergleich zwischen den jeweiligen Wirkungen der
LTRO-Maßnahme und einer monetären Lockerung: Beide bewirken, dass der
Finanzierungsdruck von den Anleihe-gebenden Staaten genommen wird. Im Fall der
monetären Lockerung geschieht das, indem die Staatsschulden direkt von der
Zentralbank finanziert werden, mit allen unvermeidlichen Inflationsrisiken. Im Fall der
LTRO-Maßnahme hingegen geschieht dies auf Kosten wachsenden, leichtfertigen
Verhaltens und sinkender Integration der Finanzmärkte. Jede Lösung birgt ihre
eigenen Kosten. Eine mögliche, positive Dimension der LTRO-Maßnahme ist die
Versorgung des Bankensektors mit Liquidität, um die Finanzierung der
Realwirtschaft zu sichern. Aber aktuelle Daten scheinen den Schluss nahezulegen,
dass nur ein sehr begrenzter Anteil der eintausend Milliarden Euro, die das LTROProgramm zur Verfügung gestellt hat, bis jetzt in die Finanzierung der europäischen
Wirtschaft geflossen ist.
Obgleich das Thema, mit dem wir uns heute beschäftigen, „Die Auswirkungen des
makroökonomischen Ungleichgewichts und der Staatsanleihen-Krise auf die
Integration der Finanzmärkte im Euroraum“ lautet, ist es vielleicht interessant, die
Situation in Großbritannien und in Spanien zu vergleichen. Die Haushaltsdefizite
und die Niveaus der Staatsverschuldung beider Länder liegen in vergleichbarer
Größenordnung, die Anleihezinsen der Staaten tun dies allerdings schlichtweg nicht.
Der Grund für diesen Umstand ist der, dass es einerseits einen risikofreien Zinssatz
beim Pfund-Sterling, andererseits aber keinen solchen beim Euro gibt. Das ist, wie
wir wissen, seinerseits wieder der Tatsache geschuldet, dass die Bank von England
die Staatsschulden des Vereinigten Königreichs finanzieren kann, während die
Europäische Zentralbank im Euroraum nicht über diese Macht verfügt. Einen
ähnlichen Vergleich könnte man zwischen anderen Euroländern und, sagen wir, den
USA und Japan anstellen.
Bei der Integration der Finanzmärkte im Euroraum geht es darum, dass die privaten
Finanzakteure in den verschiedenen Euro-Mitgliedsstaaten zu ähnlichen Praktiken in
ähnlichen Situationen gelangen. Aber die Praktiken der privaten Finanzakteure und
die Finanzarchitektur sind offensichtlich von den makroökonomischen und den
allgemeinen Finanzmarkt-Bedingungen abhängig. Maßnahmen wie das
„Ungleichgewichtsverfahren“, das die EU vor Kurzem eingeführt hat, können insofern
sinnvolle Instrumente sein, als sie zur Regulierung extremer Ungleichgewichte, die
das ganze System kurzfristig gefährden, beitragen können. Solche Maßnahmen
können aber nur als zweitbeste Lösung erachtet werden: Solange der Euroraum
über keine risikofreien Zinssätze verfügt und sein Finanzsystem darauf aufbaut, und
solange er zulässt, dass es auf leichtfertigem Verhalten basiert, bleiben alle
Voraussetzungen für die nächste Finanzkrise und eine Desintegration der
Finanzmärkte erhalten, ungeachtet der Aufs und Abs in Sachen Haushaltsdisziplin
und Ausgleich der Zahlungsbilanz.
Ich danke Ihnen.
Thierry Philipponnat
Generalsekretär von Finance Watch
www.finance-watch.org
ENDE
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