1 2 Jürgen Chmielek und Elke Rüdiger Haltern am See - die Seestadt (er)lebt die Demokratie? Erinnerungen und Ausblicke zur Demokratieentwicklung unserer Stadt Eine Zusammenfassung von Erhebungen, Interviews, Erlebnissen und Erfahrungen sowie Aufbereitung statistischen Materials Herausgegeben vom 3 Dieses Buch ist entstanden durch den Projektaufruf des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend im Rahmen der Partnerschaft für Demokratie des Kreises Recklinghausen 4 Inhalt: Seite Grußworte 7 Die Seestadt (er)lebt die Demokratie? 16 Was bedeutet Demokratie? 18 Demokratieentwicklung in Haltern 28 Fragebogenaktion 48 Seniorenpolitik 57 Jugendpolitik 62 Kritisches zu Haltern 68 Der informierte Bürger 87 Der Halterner und die Wahlen 89 Frauenpower 96 Hat die Demokratie in Haltern eine Zukunft? 103 Ausgewählte Interviews 111 Anhang: Auszug aus der Chronik 137 5 1 Zitat „Demokratie ist die Herrschaft des Volkes durch das Volk und für das Volk“ Platon (427 v. Chr. bis 347 v.Chr.) 1 Laut Prof. Dr. Sage (Demokratie-Theorien, FernUni Hagen) und andere, nur eine von vielen möglichen Definitionen des Begriffs Demokratie‘, aber die am weitläufigsten bekannte. 6 Grußwort des Schirmherrn Bodo Klimpel Liebe Bürgerinnen und Bürger, den Anstoß für das aus meiner Sicht sehr interessante Projekt „Demokratie (er)leben“ gab das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend. Nun engagieren sich Halterner, allen voran die Mitglieder des Seniorenbeirats, um dieses Projekt hier vor Ort mit Leben zu füllen. Damit ist für mich schon ein großer Teil des Namens in die Tat umgesetzt, denn hier beweisen wir sofort, dass wir die Demokratie ernst nehmen und wirklich leben. So soll es auch sein. Wir alle wissen, dass die Demokratie – also die Herrschaft des Volkes – die beste Regierungsform ist. Das bleibt sie selbstverständlich, auch wenn sie manchmal Mühe und Geld kostet und auch hier und da viel Zeit in Anspruch nimmt. Deshalb mag ich 7 gern den Satz von Johann Wolfgang von Goethe. Er sagte schon vor fast 200 Jahren: „Die Demokratie rennt nicht, aber sie kommt sicherer zum Ziel.“ Diese Erfahrung machen wir alle einmal, damit können (und müssen) wir leben. Wir tun gut daran. Denn spätestens seit Mitte des letzten Jahrhunderts wissen wir Deutschen, was es bedeutet, diktatorische, menschenverachtende Politik zu betreiben. Die Väter unseres Grundgesetzes haben daraus die richtigen Konsequenzen gezogen. Die meisten Deutschen sind inzwischen in festen demokratischen Strukturen aufgewachsen, haben diese verinnerlicht. Und deshalb wissen wir auch, wie wichtig es ist, für diese demokratischen Grundsätze einzutreten, diese gegen Andersdenkende zu verteidigen. Ich begrüße es sehr, dass sich die Initiatoren nun auch konkret in unserer Stadt bemühen, in allen Teilen der Bevölkerung nachzuhaken, wie es um die Demokratie bestellt ist. So stellen sie zum Beispiel die Frage, was gut und was schlecht ist in unserem Miteinander. Als Schirmherr dieses Projekts freue ich mich, dass sich so viele Bürgerinnen und Bürger zu Wort meldeten. Dazu gehören freilich auch kritische Stimmen. Wir alle sollten keine Scheu haben vor diesem offenen Dialog haben, wir 8 sollten offen sein für Antworten, die uns nicht so gut gefallen. Ich bin jedenfalls gespannt auf die Ergebnisse, die in diesem Buch zu lesen sein werden. Ihr Bodo Klimpel (Bürgermeister) 9 Grußwort des Seniorenbeirates der Stadt Haltern am See als Träger des Projektes Liebe Leserinnen und Leser, wenn man heute Menschen fragt, was sie sich für die Zukunft am meisten wünschen, stehen „Frieden“ und „Freiheit“ oft vorne an! Dann folgen „Gesundheit, Familie, Beruf“ und viele andere Dinge. Als nach dem Ende des 2. Weltkriegs 1945 mit Millionen Toten Deutschland in Schutt und Asche lag, konnte sich kaum jemand vorstellen, dass es irgendwann wieder aufwärts gehen könnte! Die alliierten Westmächte, Amerika, Frankreich und England, verordneten Deutschland nach eigenen Vorbildern eine demokratische Verfassung. Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz in Kraft, wurde mehrfach überarbeitet und den Erfordernissen angepasst. 10 Langsam, sehr langsam erholte sich das geschundene Land. Durch den Willen und den Fleiß der Bürger und nicht zuletzt durch die Hilfe der Westmächte kam es zum Wiederaufbau, ja sogar zum Wirtschaftswunder. Deutschland kam in der Welt wieder zu Ansehen, aus ehemaligen Feinden wurden sogar Freunde! Argwöhnisch wurden die politischen Entscheidungen beobachtet, mehr als einmal stand die demokratische Entwicklung auf dem Prüfstand. Demokratie ist die schwierigste Staatsform, sie verlangt jedem einzelnen Bürger viel ab: stete Information aus unabhängigen Medien, das Miteinander und Füreinander in politischen und sozialen Vereinigungen, Achtung von Recht und Ordnung durch unabhängige Gerichte Aber es bescherte unserem Land und seinen Menschen auch fast 70 Jahre Frieden in Freiheit. Einige Mitglieder des Seniorenbeirates der Stadt Haltern am See haben diese Entwicklung noch selbst miterlebt, Eindrücke, die nie vergessen werden. Als das Ministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend anregte, eine große Befragung zu dem Thema „Demokratie (er-)leben“ durchzuführen, war die Zustimmung im SBR groß, unser Mitglied Jürgen Chmielek in Zusammenarbeit mit der kompetenten und erfahrenen Redakteurin Elke Rüdiger mit dieser Aufgabe zu betrauen. 11 Viele Bürgerinnen und Bürger aller Altersgruppen standen Rede und Antwort und zeigen so ein Bild unserer Gesellschaft mit allen Ecken und Kanten. Mit Sicherheit ist ein wichtiges Ziel dieser Aktion bereits erreicht: das Bewusstsein zu schärfen für die Zeit, in der wir leben (wollen)! Ihre Sigrid Geipel (Erste Vorsitzende) 12 Vorwort der Autoren Jürgen Chmielek und Elke Rüdiger Liebe Leserinnen und Leser, gerne sind wir dem Aufruf des Halterner Seniorenbeirats gefolgt, das Demokratieprojekt zu planen und durchzuführen. Wir beide kannten uns aus mehreren gemeinsamen Projekten und wussten daher, dass wir uns in der Arbeit ergänzen. „Demokratie und Demokratieentwicklung in Haltern am See“ ist ein hoch aktuelles Thema. Allein deshalb hat es uns schon gereizt: Ist die Demokratie am Ende, nachdem in der deutschen Bevölkerung ein immer stärkerer Rechtsdruck erkennbar wird? Gibt es überhaupt Alternativen zur Demokratie, die 13 unser Land seit mehr als 70 Jahren zu dem gemacht hat, was es ist? Ist es noch einer der stärksten sozialen und wirtschaftlichen Standorte in der Welt? Wir haben uns gefragt: Wie empfinden es wohl die Halterner Bürger, die älteren Menschen, die die Demokratieentwicklung seit Ende des Nationalsozialismus’ hautnah erlebten, die Menschen der Nachkriegszeit, aber auch die Jugendlichen, die irgendwann diese Art des gesellschaftlichen Zusammenlebens fördern oder verändern? Es war spannend, Zeitungsrecherchen über die politische Entwicklung in Haltern durchzuführen, die vielen ausgefüllten Fragebögen auszuwerten, Interviews mit interessanten Menschen zu führen und die Ergebnisse mit der Politik und dem Bürgermeister zu erörtern. Wir waren erstaunt, wie offen und ehrlich die angesprochenen Bürger Kritik und Anregungen vortrugen und erfreut, dass sich Halterns Politiker aller im Stadtrat vertretenen Parteien dieser Hinweise annehmen wollen. Aus Zeit- und Platzgründen haben wir uns entschlossen, bei diesem Projekt unsere Heimatstadt in den Mittelpunkt zu rücken. Wir betonen, dass wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit einer wissenschaftlichen Analyse erheben. Zur besseren Lesbarkeit nennen wir 14 in der Regel nur die männliche Form, die jedoch die weibliche Form stets mit einschließt. Wir hoffen, dass unser Projekt zum Verständnis zwischen Politikern und Wählern beiträgt, und dass die Menschen verstehen, wie wichtig es ist, ihre Stimme abzugeben. Nur so kann unsere Demokratie fortbestehen. Wir danken allen Bürgen, Politikern und den Medien – allen voran der Halterner Zeitung -, die uns bei diesem Projekt unterstützt haben. Wir danken Bürgermeister Bodo Klimpel, dass er sofort bereit war, die Schirmherrschaft zu übernehmen. Die Ergebnisse des Projektes fassen wir in diesem Buch zusammen. Wir hoffen, dass es den Halterner Vereinen und vor allem den Schulen im Unterricht im Rahmen der politischen Bildung als Diskussionsgrundlage dient. Darüber freuen sich Jürgen Chmielek und Elke Rüdiger 15 Haltern am See - die Seestadt (er)lebt die Demokratie? Das Projekt Das Projekt basiert auf der Ausschreibung des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend unter dem Themenfeld „Demokratie leben“ in Zusammenarbeit mit dem Kreis Recklinghausen und soll öffentlichkeitswirksam umgesetzt werden. Die drei Ziele waren vereinbart: 16 Öffentliche Erarbeitung der Themenfelder zur Entwicklung der Demokratie in Haltern am See; Erhebungen, Interviews, Sammeln von Erlebnissen und Erfahrungen, Aufbereitung statistischen Materials. Dokumentation der Ergebnisse (Begleitung durch die Halterner Zeitung) und Zusammenfassung in einem Buch. Fazit-Diskussion in Form eines Forums einschließlich Buchvorstellung; Erreichen einer Nachhaltigkeit durch die Vergabe von Buchexemplaren an die örtlichen Schulen (Sekundarstufen I und II) zur politischen Bildung. Kurz-Beschreibung des Projekts Auf Basis der Projektausschreibung durch das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend wollen Jürgen Chmielek und Elke Rüdiger als Projektleiter gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Haltern am See den Fragen nachgehen: Wie hat die Stadt Haltern die Entwicklung in eine Demokratie nach dem Ende der Nazi-Diktatur erlebt? Gibt es Zeitzeugen? Welche Störungen, zum Beispiel durch Alt-Nationalsozialisten und heute durch Neo-Nationalsozialisten, gab oder gibt es? Wie unterscheiden sich die Erfahrungen mit denen der heutigen Jugend? Statistiken und Definitionen sollen die Geschichten und Erlebnisse unterstützen oder kritisch hinterfragen. Die Ergebnisse werden in einem Buch verarbeitet und anschließend zur Ergänzung der politischen Bildung den Mitwirkenden, Organisationen und vor allem den Schulen zur Verfügung gestellt. Der finanzielle Zusatzbedarf errechnet sich im Wesentlichen durch die Produktionskosten des Buches. 17 Was bedeutet Demokratie? Demokratie = Demokratie? Um das Wort „Demokratie“ definieren und verstehen zu können, müssten wir eine lange Reise in die Vergangenheit, in die Antike, in den Stadtstaat Griechenland, antreten. Sie würde uns durch die Geschichte der französischen, der englischen und amerikanischen Revolutionen, die Weltkriege und die Nachkriegszeiten in die moderne Zeit führen. Es wurde und wird viel über diese Entwicklung geforscht und geschrieben. Wer sich mit diesen wichtigen Zeitepochen beschäftigt, bekommt ein Gefühl dafür, wie wertvoll unsere heute in Deutschland verankerte Demokratieform ist. „Deutschland hat einen langen Weg zur Demokratie hinter sich“, so der renommierte Politologe Prof. Dr. Dr. Manfred G. Schmidt / Heidelberg. Dabei stellt er die auch in Deutschland oft diskutierten Formen der repräsentativen, der direkten und einer streitbaren Demokratie gegenüber. 2 Die Form der parlamentarischen Demokratie, also eher einer repräsentativen Demokratie, stellt die indirekte 2 Manfred G. Schmidt: Demokratietheorien (5. Auflage 2010) 18 Beteiligung des Volkes an der Politik durch die Wahlmöglichkeit unserer Vertreter sicher. Ist diese Form noch zukunftsfähig? Löst die von den „Vätern unseres Grundgesetzes“ festgelegte Regierungsform unsere heutigen Probleme? Schätzen wir und unsere politischen Vertreter, die Abgeordneten in Bund, Land und der Europäischen Union wie auch die Ratsmitglieder unserer Stadt Haltern am See noch die Freiheit der Gedanken, der Wahlen und das Für- und Miteinander in der Gesellschaft, dass uns die „Erfinder“ der Demokratie versprochen haben? Wollen wir mehr oder weniger „Führung“ bei politischen Entscheidungen haben? Oder fühlen wir uns gut beteiligt an Entscheidungen, die unser Leben beispielsweise in der Renten-, Steuer-, Familien- oder Schulpolitik beeinflussen? Bürger kommen in von uns ausgearbeiteten Fragenbögen, in Diskussionsrunden und in Interviews zu Wort – und wir stellen die Ergebnisse hier vor. Zitate zur Demokratie aus den Fragebögen und Interviews „Demokratie bedeutet für mich, dass jeder Mensch die gleichen, angeborenen Menschenrechte hat, und das ist in Deutschland so.“ 19 „Demokratie bedeutet für mich freie Meinungsäußerung auch über Grenzen hinweg, ein möglichst friedvolles Zusammenleben nach den Prinzipien des Grundgesetzes“. Hans Kirschbaum *** „Demokratie bedeutet für mich, sich bei Notwendigkeit dort ehrenamtlich einzubringen, wo Hilfe, die ich leisten kann, angebracht ist.“ *** „Demokratie ist für mich, dass jeder Bürger das gleiche Recht hat zu wählen und es bei jedem gleich gewertet wird. Jeder sollte das wählen, was er wählen möchte und sollte nicht zu irgendwas gezwungen werden.“ *** „Demokratie ist für mich die Möglichkeit, sich in alle beruflichen Richtungen auszuleben, da uns Freiheit und Gleichheit gesichert sind.“ (Anna, 16) *** „Demokratie ist eine Staatsform, in der Menschen gleich behandelt werden und aktiv in die Politik eingreifen können, wenn sie wollen.“ (Nikita, 16). *** 20 „Demokratie bedeutet für mich, alle Freiheiten in Anspruch nehmen zu können, ohne die Freiheit anderer einzuschränken.“ (Albert Slaski, 76) *** „Demokratie bedeutet für mich, dass man wählen und seine eigene Meinung frei äußern darf, dass man wahlberechtigt ist, und dass man an wichtigen Entscheidungen teilnehmen kann.“ „Demokratie bedeutet für mich, nicht nur die Grundrechte zu sichern und zu stärken, sondern auch die Bestie im Menschen zu zähmen.“ Manuel Gurzny (35) *** „Meiner Meinung nach ist Demokratie die Gleichheit für alle, dass es keinen Alleinherrscher gibt, der alles entscheidet.“ *** „Demokratie ist für mich eine Staatsform, in der alle Bürger eines Landes mitwirken dürfen. Das heißt, dass alle, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben und 16 bzw. 18 Jahre alt sind, wählen gehen können. Jeder kann jeder seine Meinung frei äußern und Kritik oder Anregungen geben (z.B. an den Bundestag).“ 21 „Demokratie bedeutet für mich die politische Fokussierung auf den Bürger und die Möglichkeit, sich als Wähler aktiv in den Prozess der Politikgestaltung einzubringen“. Sara Deitermann (20) *** „Demokratie ist eine Staatsform, die theoretisch mein persönliches Eingreifen ermöglichen würde, worauf ich auch nicht verzichten wollen würde.“ *** „Demokratie ist wichtig für die Welt.“ *** „Demokratie bedeutet für mich das Substanzielle, das die Gesellschaft zusammenhält, denn ohne Demokratie ist alles nichts!“ Erwin Kirschenbaum Altbürgermeister (1994 – 1999) *** „Demokratie bedeutet für mich, dass jeder seine eigene Meinung haben und vertreten darf, solange sie nicht in Gewalt oder Extremismus endet. Sie steht für mich auch 22 für „einer für alle, alle für einen"! Sie gilt nicht nur in Verbindung mit politischen Fragen, sondern wird auch in der Schule oder in der Kirche praktiziert.“ *** „Alle reden von Demokratie, leben sie aber nicht, Demokratie muss gelebt werden. Wählen sollte man die Menschen, nicht die Parteien. Mich ärgert das Desinteresse der Menschen an der Politik, an den Wahlen und damit an der Demokratie.“ Christian Rüdiger (87) *** „Demokratie ist gut – aber noch nicht vollendet.“ *** „Demokratie ist Mitbestimmung bei (politischen) Entscheidungen, ist das Gefühl, dass jede Stimme etwas wert ist. Ich lebe in einer Welt lebe, die von jedem einzelnen mitgestaltet/-bestimmt werden kann. Selbst 1000mal zu diskutieren ist möglich. Es herrscht Gleichberechtigung.“ 23 Demokratie (er)leben und bewahren! Otto K. Rohde ist stellvertretender Vorsitzender des Seniorenbeirats Haltern am See und Vorstandsmitglied der Landesseniorenvertretung NRW „Niemand behauptet, dass Demokratie perfekt ist oder der Weisheit letzter Schluss. In der Tat wurde gesagt, dass Demokratie die schlechteste Regierungsform ist, mit Ausnahme all der anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden."3 Im Nachkriegs-Deutschland gibt es seit dem 23. Mai 1949 eine demokratische Verfassung, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG). Für uns heute selbstverständliche Rahmenbedingungen wurden darin manifestiert. Einige besonders wichtige demokratische Errungenschaften sollen hier erwähnt werden: In Artikel 1 werden die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte ganz an den Anfang gestellt. Es 3 Winston Churchill (1874-1965), Politiker und zweimaliger britischer Premierminister, am 11. November 1947 in einer Rede im britischen Unterhaus Quelle: http://www.bpb.de/lernen/grafstat/grafstat-bundestagswahl-2013/145190/mw-01-01-demokratie-als-regierungsform-zitat [2016-11-14] 24 folgen die Grundrechte (Artikel 2 bis 19 GG), an die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung (Gewaltenteilung) als unmittelbar geltendes Recht gebunden sind. Freiheit und Gleichheit sind hier die großen Überschriften. Geschützt werden u. a. die freie Entfaltung der Persönlichkeit, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Meinungsäußerungs-, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit neben der garantierten Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet und der Unverletzlichkeit der Wohnung. Das Asylrecht für politisch Verfolgte muss in diesen Tagen besonders hervorgehoben werden. Auch an eine Wesensgehaltsperre für die Grundrechte (Artikel 19) hat der Verfassungsgeber gedacht. Die Gestalt der Bundesrepublik Deutschland wird in Artikel 20 manifestiert: Sie ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat, in dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Diese Macht wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. Und es ist auch an das Recht zum Widerstand gegen jeden gedacht, der diese Ordnung beseitigen will. Als eine Lehre aus den Schwächen der Weimarer Reichsverfassung von 1919 hat der Verfassungsgeber verfügt, dass das Grundgesetz nur durch ein Gesetz verändert werden kann, das die Zustimmung von zwei 25 Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates erlangt hat. Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch die die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig. Die Anlagen für eine wehrhafte Demokratie sind also vorhanden. Doch reicht das aus? Nein, bei weitem nicht! Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich immer wieder bewusstmachen, dass es eigener Anstrengungen bedarf, damit dieses Gemeinwesen sich in Frieden und guter Nachbarschaft stabilisieren und weiterentwickeln kann. Auch und gerade in einer parlamentarischen Demokratie sind die Menschen aufgerufen, die demokratischen Errungenschaften zu erhalten und zu verteidigen. Ein „die da oben werden es schon richten“ ist nicht genug. Fremdenfeindlichkeit und geringe Wahlbeteiligung haben die Parteienlandschaft und die Stimmungen in den Ländern, in Deutschland, Europa und der Welt verändert. Der Trend zur Wahl von Alternativen zu den etablierten Parteien ist klar erkennbar. Diese besorgniserregende Entwicklung kann der „schweigenden demokratischen Mehrheit“ nicht egal sein. Nutzen wir die Instrumente unseres demokratischen und sozialen Rechtsstaats. 26 Die Beteiligung an Wahlen muss uns allen wichtig sein. Nur wenn sich möglichst viele Bürger beteiligen, kann sichergestellt werden, dass extreme Gruppierungen keine Mehrheiten in unseren Parlamenten erlangen. Auch wenn die demokratischen Parteien in den Augen nicht weniger Wahlbürger deutliche Luft nach oben haben bei der Umsetzung des Bürgerwillens – dem Churchill-Zitat folgend –, sind suboptimal aufgestellte demokratische Parteien immer noch besser als die Alternativen an den Rändern des politischen Spektrums. Doch der verantwortliche Umgang mit dem Wahlrecht setzt einiges voraus. So bleibt es den Bürgern nicht erspart, die aktuellen politischen Entwicklungen aufmerksam zu verfolgen und die Stimme zu erheben, wenn es notwendig erscheint. Die gewählten Politiker auf kommunaler ebenso wie auf Landes- und Bundesebene kritisch zu begleiten und zu beraten, ist wichtig. Auch das Petitionsrecht und die Demonstrationsfreiheit sind dazu da, dem Einzelnen und Gruppen eine Stimme zu verleihen. Nur wenn die Wähler nach der Abgabe ihrer Stimme nicht für vier oder fünf Jahre stumm in den Sessel zurückfallen, sondern im möglichen Rahmen an der Politikgestaltung teilhaben, werden sie ihrer Verantwortung gerecht. Demokratie verlangt jedem Einzelnen viel ab. Aber sie beschert unserem Land und seinen Menschen seit über 70 Jahren Frieden in Freiheit. 27 Demokratieentwicklung in Haltern Besonderheiten in den Legislaturperioden Spricht man heute Zeitzeugen an, erlebt man unterschiedliche Reaktionen, von „früher war alles besser“ bis „schon früher war alles korrupt“. Die einen sind stolz darauf, dass sie zu den ersten Wählern der jungen Bundesrepublik gehörten und auch heute keine Wahl – egal, ob Bund, Land oder Kommune – auslassen. Weit verbreitet ist die Aussage: „Wir müssen doch wählen gehen, das ist unsere Bürgerpflicht.“ Doch es gibt auch die anderen, die „späten Nichtwähler“, die enttäuscht sind von der politischen Entwicklung „ihres Landes“ und/oder ihrer Stadt: „Ich gehe nicht mehr wählen, warum auch – ändert sich doch eh nichts.“ Andere kritisieren „die leeren Versprechungen“ und das „fehlende Rückgrat bei Entscheidungen für die Sache und im Ernstfall gegen die Partei“. Diesen Menschen merkt man den politischen Frust an. Viele wollen „nichts mehr mit Politik zu tun haben“ und das, obwohl einige früher sogar sehr aktiv waren und die eine oder andere Funktion in Partei oder Gesellschaft ausgeübt hatten. Was war denn früher anders, wie hat denn die Politik funktioniert hier in Haltern? 28 Wir sind der Frage insofern nachgegangen, dass wir im Archiv der Stadt Haltern alle Zeitungen rund um die Zeiten jeweiliger Kommunalwahlen der Legislaturperioden von 1949 bis 2014 gesichtet und ausgewertet haben. Bedauerlicherweise liegen dem Archiv Zeugnisse aus 1946 nicht vor. An dieser Stelle gebührt dem Archivar der Stadt Haltern am See, Gregor Husmann, ein großes Lob und Dank. Er hat uns unermüdlich mit Zeitungskopien der jeweiligen Jahrgänge versorgt. So werteten wir hunderte Zeitungsartikel aus. Aus Platzmangel haben wir uns entschieden, hier nur die wesentlichen Ereignisse im Sinne der Demokratieentwicklung der Seestadt vorzulegen. Die Halterner Parteien: CDU (Christliche Demokratische Union) SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschland) Grüne (1979 als Wählergemeinschaft Grüne; 1984 WGH FDP UBP DZP BHE bis 1989 Grüne; ab 1979 Bündnis 90 / Grün) (Wählergemeinschaft Haltern) Freie Demokraten Deutschland) (Unabhängige-Bürger-Partei) (Deutsche Zentrumspartei) (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) Wichtig zu wissen bei den Wahlanalysen ist, dass bis Mitte 1996 die Bürgermeister von den Mitgliedern des Stadtrates gewählt wurden; ab Juni 1996 wurden aus den nebenberuflichen Bürgermeistern hauptberufliche. 29 Unser erster hauptberuflicher Bürgermeister war Erwin Kirschenbaum (SPD). Auch sollte man wissen, dass es vor 1952 schwierig war, exakte, vergleichbare, Wahlergebnisse darzustellen. Haltern war bis dato wahltechnisch aufgeteilt in verschiedene mehr oder weniger selbstständige Bezirke wie Haltern-Kirchspiel, Lippramsdorf, Hullern und Haltern-Amt. Leider lagen uns Wahlergebnisse zu den Legislaturperioden 1946 und 1949 sowie 1960 und 1964 bis zum Redaktionsschluss des Buches nicht vor. Für 1960 und 1964 fehlten im Archiv außerdem Zeitungsexemplare. Was die nachfolgenden Wahljahre angeht, so haben wir uns aus Gründen der Übersichtlichkeit nur auf einzelne Zeitungssplitter (Besonderheiten zur jeweiligen Wahl) beschränkt. 1946 Bürgermeister: Clemens Sebbel (CDU) Wie erwähnt liegen uns aus dieser Zeit keine Zeitungsartikel vor. Das ist schade, wurde doch zum ersten Mal nach Kriegsende und dem Verbot der NSDAP eine quasi freie Kommunalwahl durchgeführt. Sicher kann man diese nicht mit den heute geltenden demokratischen Maßstäben messen, aber die Menschen konnten sich erstmalig durch ihr Votum in die Politik einbringen. Es erinnern sich: 30 Hedwig Himmelmann (80): „Politik war bei uns zuhause immer ein Thema. Ich bin damit groß geworden. Als mein Vater 1946 Bürgermeister wurde, war das fast Alltag. Aber ich war stolz, als ich mit 21 Jahren wählen durfte.“ Sigrid Geipel (78): „An die ersten freien Wahlen 1946 kann ich mich nicht erinnern. Sicher war das ein besonderes Ereignis, aber damals standen das Überleben und der Wiederaufbau im Vordergrund. Und als ich das erste Mal wählen durfte, sah ich das als Pflicht an, aber meine Gedanken kreisten um Heirat, Gründung einer Familie und Haus. Christian Rüdiger (87): Ich kann mich an diese Zeit und die ersten Schritte in die Demokratie gut erinnern. Trotz meiner jungen Jahre war ich politisch sehr aktiv. 1946 war zwar die erste offizielle freie Wahl, aber man fühlte sich schon noch sehr beobachtet. Außerdem kämpften wir ums Überleben. Schulabschlüsse wurden zum Problem, der Wiederaufbau begann. Ich war damals zu jung zum Wählen, erst 1950 wurde ich 21 Jahre alt. Und dann auch erstmals zum Wahlhelfer berufen. Das war schon etwas Besonderes. Alles per Hand auszählen, mehrfach gegenrechnen, Computer gab es nicht. Einige Stimmzettel waren ungültig. Die einen mussten lachen, die anderen waren schockiert. Auf einem stand unter den zu wählenden Kandidaten: „Von Euch doch keinen…“. 1949 Bürgermeister: Gerhard Ribbeheger (DZP) 31 Der „altgediente Bürgermeister Clemens Sebbel (CDU verliert die Wahl gegen seinen Kontrahenten Gerhard Ribbeheger (DZP). Die Wahl verlief anders als erwartet. Sebbel galt als der Experte in Politik und Verwaltung, so dass die Bevölkerung davon ausging, dass er erneut in das Amt des Bürgermeisters gewählt würde. Doch der Rat wählte anders. Möglich durch die politische Konstellation im Rat. „Zentrum und SPD stürzten Altbürgermeister Sebbel. Das Christliche Zentrum praktiziert mit der Sozialdemokratie.“ 4 Die Koalition machte es möglich. Es folgte ein Aufschrei der Bevölkerung, auf Basis ihrer mehrheitlich abgegebenen Stimmen5 hatte sie ein anderes Ergebnis erwartet. Im Anschluss an die Wahl mussten sich Parteienvertreter rechtfertigen, hielten sich aber in der Öffentlichkeit mit ihren Aussagen zurück. „Zur sichtbaren Enttäuschung der 200 Zuhörer zog die SPD ihren Antrag auf Stellungnahme zur Bürgermeisterwahl ohne jegliche Begründung zurück. Die Tagesordnung unter dem Vorsitz des neuen Bürgermeisters Ribbeheger versprach – auch nach dem Publikumsbesuch zu rechnen – manche Sensation. Der Saal des Josefshauses war derartig überfüllt, dass die Türen geöffnet bleiben mussten, damit auch die Zuhörer 4 Ruhr Nachrichten am 15.11.1949: Überschrift zum Artikel Anmerkung: Bis Mai 1996 konnten die Bürgermeister nicht direkt von den Bürgern gewählt werden, so wie es heute ist. 5 32 auf dem Flur der Verhandlung folgen konnten. Doch die Sensationen blieben aber aus, als die SPD ihren Antrag auf Stellungnahme zur Bürgermeisterwahl ohne Angabe von Gründen zurückzog.“ 6 Damit zeigte die repräsentative oder parlamentarische Demokratie erstmalig deutlich auf, dass Fraktionen nicht unbedingt der mehrheitlichen Meinung der Bevölkerung folgen müssen. 1952 Wahl-beteiligung 80,1 % CDU SPD BHE FDP DZP 7 Sitze 3 Sitze 2 Sitze 1 Sitz 12 Sitze Bürgermeister: Gerhard Ribbeheger (DZP) Zeitungssplitter: Wie 1949 war auch 1952 die Wahlbeteiligung mit 80 Prozent aus unserer heutigen Sicht sehr hoch. Bereits im Vorfeld der Wahl wurde die Bevölkerung darauf hingewiesen, dass diese 80 % nicht akzeptabel seien. So finden wir in der Halterner Zeitung einen Aufruf: „Jeder fünfte Halterner uninteressiert? Die Beteiligung an der letzten Kommunalwahl in Haltern war 80,1 %. Ein Fünftel der wahlberechtigten Bevölkerung ist also der Wahl ferngeblieben. Bei den Kommunalwahlen am 6 Ruhr Nachrichten am 29.11.1949 33 9.11. wird jeder von Ihnen sein Gewissen fragen müssen, ob er es verantworten kann, auch diesmal der Wahl fernzubleiben und mit einem volkstümlichen Ausdruck zu sprechen, den Karren einfach laufen zu lassen, wohin er will!“ 7 1956 Wahlbeteiligung8 + 80 % CDU SPD BHE 10 Sitze 5 Sitze 1 Sitz FDP DZP - 8 Sitze Bürgermeister: Gerhard Ribbeheger (CDU) Besonderheiten und Zeitungssplitter: Zu dieser Zeit wurde nicht nur ein Bürgermeister für die Stadt Haltern, sondern auch für die einzelnen Ortsbezirke Bürgermeister gewählt. Hier und auch für die späteren Wahljahre werden wir uns im Wesentlichen auf die Kommunalwahl und damit auf die Bürgermeisterwahl der Stadt Haltern konzentrieren. Auch in diesem Jahr erhoffte man sich eine recht hohe Wahlbeteiligung. Leser der Halterner Zeitung schlugen daher den verantwortlichen Parteien die eine oder andere Idee vor, wie man Nichtwähler an die Wahlurne holen könnte. Die kuriose Antwort eines Lesers: 7 Halterner Zeitung am 16.10.1952 In unserer Zeitungsrecherche konnte die exakte Zahl nicht abgelesen werden. 8 34 „Nichtwähler mit Zigaretten locken“.9 Trotz der gedanklich mehrheitlichen Sitzverteilung von CDU (10), Zentrum (8), SPD (5) und BHE (1) erhielt der von der CDU-Kandidat nicht die Mehrheit, da sich die Zentrumspartei gemeinsam mit der SPD anders verhielt als angenommen. „Nach der Wahl: Erklärung der CDU (…): Die CDUFraktion ist zutiefst enttäuscht vom Ergebnis der Bürgermeisterwahl, weil diese erstens gegen die allgemein gültige demokratische Spielregel verstößt, wonach der stärksten Fraktion der Vorsitz im Rat zusteht und zweitens den eindeutigen Willen der Wähler völlig missachtet und ins Gegenteil verkehrt hat. Ratsherr Schmale gab im Namen der SPD eine Erklärung ab. Er stellte dabei fest, dass er sich ohne Rechenkünstler zu sein, ausmalen könne, wie die SPD sich verhalten habe. Die SPD habe für Ribbeheger gestimmt.“ 10 Da aber in der ersten Ratssitzung die Wahl des Bürgermeisters nicht entschieden werden konnte, wurde diese am 16.11.1956 wiederholt. Hier erhielt dann der bisherige Amtsinhaber Möllers von der CDU die bereits vorher erwartete Mehrheit. 1960 und 1964 Zu diesen beiden Wahljahren lagen uns keine Zeitungsartikel im Archiv vor. 9 Halterner Zeitung am 28.10.1956 Halterner Zeitung am 7.11.1956 10 35 1969 Wahlbeteiligung CDU SPD WGH FDP DZP 80,5 % ohne Angabe o. A. o. A. o. A. o. A. Bürgermeister: Josef Paris (CDU) Besonderheiten und Zeitungssplitter: Auch in dieser Legislaturperiode konnte die CDU als stärkste Fraktion in den Rat einziehen. Diesmal war die Wahlbeteiligung zum Teil sehr gering.11 „Offenbar hielt das regnerische und stürmische Wetter viele von der Wahl ab. Hinzu kommt auch ein gewisses Maß an Wahlmüdigkeit fünf Wochen nach der 12 Bundestagswahl.“ Eine Besonderheit aus 1969 sei noch erwähnt: Erstmalig in der Stadt wurde eine Ratsfrau direkt gewählt (Frau Tochtrop). Dazu kommt, dass in dieser Legislaturperiode 33 statt der bisher 25 Mitglieder des Rates vertreten sein werden. 1975 Gebietsreform: Die Gebiete des Amtes Haltern und die Gemeinden Flaesheim und Hamm-Bossendorf (bis dahin Teil der Gemeinde Hamm) werden durch eine 11 12 Anmerkung der Autoren: aus damaliger Sicht! Halterner Zeitung am 10.9.1069 36 kommunale Gebietsreform mit dem Gebiet der Stadt Haltern zur neuen Stadt Haltern vereinigt. Wahlbeteiligung CDU SPD WGH FDP DZP o. A. 51,7 % 32,9 % 6,3 % 3,4 % 5,8 % Bürgermeister: Josef Paris (CDU) Besonderheiten und Zeitungssplitter: Das Ergebnis der Kommunalwahl 1975 zeigt auf, dass die CDU die absolute Mehrheit im Rat hatte. 1979 Wahlbeteiligung CDU SPD Bündnis 90/Grüne WGH FDP DZP 75,2 % 47,1 31,6 4,9 10,3 3,0 3,1 Bürgermeister: Josef Paris (CDU) Besonderheiten und Zeitungssplitter: Trotz Verluste von fast 10 % (4,6 %-Punkte) behielt die CDU die absolute Mehrheit im Stadtrat. Als Gewinner der Wahl sah sich die WGH, die ihren Stimmanteil von 6,2 auf 10,3 % steigern konnte. Die Zentrumspartei, die vorher mit 5,8 % im alten Rat vertreten war, wurde mit 3,06 % abgestraft. Enttäuschend war das Ergebnis für 37 die FDP, die mit knappen 4,9 % an der Fünf-ProzentHürde scheiterte. 1979 war das Interesse an der Kommunalwahl sehr groß: „Noch nie bei einer Wahl gab es im Rathaussaal so einen Andrang (…) Dicht gedrängt standen Zivilisten und Politiker nebeneinander, um das spannende Rennen um Stimmen und Prozente zu verfolgen.“ 13 Wahlbeteiligung CDU 1984 Bündnis SPD 90/Grüne 75,2 % 47,8 27,6 WGH FDP 12,3 1,7 10,6 Bürgermeister: Hermann Wessel (CDU) Besonderheiten und Zeitungssplitter: Der Stadtrat wird bunter: „Grüne brachten Farbe in den dunkel gekleideten Rat. Ludwig Zahn (WGH) (…) blickte auf die Uhr. Es war genau 16.55 Uhr, als die neue Fraktion ‚Die Grünen‘ mit Sonnenblumen in der Hand den längst gefüllten Rathaussaal betreten: Bunt und leger gekleidet suchten die drei ‚grünen Frauen und zwei Männer‘ ihren Platz zwischen den in feierlich schwarz gekleideten Mitgliedern des Rates.“ Kuriose Ratssitzung: „Jürgen Huth (Grüne) sorgte zu 13 Halterner Zeitung am 2.10.1979 38 Beginn der Sitzung für einen Paukenschlag, als er forderte, das Rauchen im Sitzungssaal zu unterlassen. Die Hinweise auf die Geschäftsordnung fruchteten nicht, denn Huth meinte, es handele sich um ein Grundrecht, dazu brauche man keinen Antrag zu stellen‘. Die allgemeine Erregung löste sich auf, als Günther Ufermann (SPD) salomonisch den Vorschlag machte, ‚alle sollten nicht rauchen‘. Darüber soll man sich einigen. Da gingen die meisten Glimmstängel aus. Doch einige glühten munter weiter.“ 14 1989 Wahlbeteiligung CDU 75,5 % 41,9 SPD Bündnis 90/Grüne WGH 29,3 10,2 18,5 Bürgermeister: Hermann Wessel (CDU) Besonderheiten und Zeitungssplitter: Interesse an Senioren- und Jugendpolitik: „Halterner Parteien wenden sich dem Interesse an Senioren zu. Die Arbeit nicht nur auf Fürsorge beschränken. Die Parteien haben die Zeichen der Zeit erkannt: Generation des dritten Lebensabschnittes ist anspruchsvoller geworden. Sie gibt sich mit bloßer Betreuung nicht mehr zufrieden. Dieser Aufforderung stellen sich CDU, SPD, WGH und Grüne 14 Halterner Zeitung am 19.10.1984 39 gleichermaßen. Bleibt zu hoffen, dass die Parteien formulierte Absichten unabhängig vom Ausgang der Kommunalwahlen in die Tat umsetzen. Engagement von politischer Seite allein jedoch genügt nicht. Die bestehenden Gemeinschaften müssen umdenken, und auch die neuen Alten sollten sich verpflichtet fühlen, neue Impulse zu geben. Die Einrichtung eines Seniorenbeirats könnte Kräfte wecken.“ 15 „Junge Union lädt ein: Politiker stellen sich den Jugendlichen. Zu einer Polit-Talkshow für Jugendliche lädt der Stadtverband der Jungen Union ein (Old Daddy). … Vor allem sollen die Themen Jugend, Jugendfreizeitmöglichkeiten, Jugendarbeitslosigkeit, Jugend und Politik (warum haben so viele Jugendliche keinen Bock auf Politik?) zur Sprache kommen.16 Ein Forum mit Vertretern aller Ratsparteien zeigt gelebte Demokratie. „Bürger konnten die Vertreter der Ratsparteien zu ihren Vorstellungen zu aktuellen Problemen der Kommunalpolitik befragen. Eingeladen hatte das Evangelische Sozialseminar. Herbert Tykwer (WGH), Gottfried Lemloh (CDU), Annette Fleuster (Grüne) und Erwin Kirschenbaum (SPD) stellten ihre Parteiprogramme vor. Verkehr und Verkehrsberuhigung waren die Stichworte, um die es sich in der anschließenden Diskussion drehte.17 „Bürgermeister Wessel fordert Jugend auf, Politik aktiv 15 Halterner Zeitung am 16.9.1989 Halterner Zeitung am 18.9.1989 17 Halterner Zeitung am 25.9.1989 16 40 mitzugestalten. Junge Union hatte Politiker ins Old Daddy eingeladen. (…) Anwesend waren Hermann Wessel, der Vorsitzende des Jugendwohlfahrtsausschusses Peter Bücker und der Kreistagsabgeordnete Paul Chruscz. Wessel betonte, nur der könne mitbestimmen, der Politik mache. Viele junge Menschen ließen sich von der Langatmigkeit politischer Entscheidungen abschrecken und verließen nach ihrem Abitur Haltern. Er forderte die Jugendlichen auf, frühzeitig aktiv zu werden, egal in welcher Partei. Zum Thema „rechtsradikale Tendenzen in Deutschland, verstärkt durch die überwiegend polemische Argumentation der Republikaner im Wahlkreis“ waren alle der Meinung, dass die Linie dieser Partei strikt abzulehnen wäre (…).18 Wahlbeteiligung CDU 1994 Bündnis SPD 90/Grüne 86.0 % 44,0 35,3 10,8 WGH FDP 7,2 2,7 Bürgermeister: Erwin Kirschenbaum (SPD) Besonderheiten und Zeitungssplitter: Ein SPD-Kandidat den Bürgermeisterposten. Auch fällt die Entscheidung zugunsten eines hauptamtlichen Bürgermeisters. Ab 1.6.1996 ist Erwin Kirschenbaum hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt Haltern. 18 Halterner Zeitung am 27.9.1989 41 1999 Wahlbeteiligung CDU SPD 66,0 % 54,6 31,9 Bündnis 90/Grüne WGH 7,3 4,4 FDP 1,7 Bürgermeister: Josef Schmergal (CDU) Besonderheiten und Zeitungssplitter: „CDU für mehr Bürgerrechte: Der CDU-Landtagsabgeordnete Jürgen Hovenjürgen will sich mit seiner Fraktion für den Abbau von formalen Hürden im Land bei Bürgerbegehren und -entscheiden einsetzen.“ 19 Mit Ursula Kelders (CDU) wird erstmals eine Frau als erste stellvertretende Bürgermeisterin gewählt. Wahlbeteiligung CDU 2004 Bündnis SPD 90/Grüne 63,8 % 45,4 23,7 12,3 WGH FDP 15,7 3,0 Bürgermeister: Bodo Klimpel (CDU) Besonderheiten und Zeitungssplitter: Im Wahlkampf 2014 steht das Thema Jugend im 19 Halterner Zeitung am 21.9.1999 42 Vordergrund. „Politik, die machen andere. Auch unter Halterner Erstwählern scheint diese Ansicht verbreitet. Nur wenige Jugendliche fühlen sich kurz vor der Kommunalwahl am 26.9. von den Wahlplakaten und Werbeaktionen der ansässigen Parteien angesprochen. Kommunalpolitik und Wahlhergang sind für sie zudem nicht selten ein ‚Buch mit sieben Siegeln‘. Das soll sich ändern. Eine ‚Jugendinitiative für Haltern‘, neun Erstwähler zwischen 16 und 18 Jahren, will aufklären und Politikverdrossenheit entgegenwirken. Und sie will sich für ein Jugendparlament einsetzen. Treffen finden regelmäßig statt. Themen sind zum Beispiel Mobilität, Freizeit, Rechtsradikalismus, Sicherheit, Drogen oder auch Schule. Neben der Formulierung eigener Ziele haben sie einen Flyer mit der Losung „Du hast eine Meinung – gehe wählen“ entworfen, der die Erstwähler zur Wahl aufrufen und informieren soll. Was sind die Aufgaben des Bürgermeisters oder des Stadtrates. Die Antworten haben die Jugendlichen gemeinsam mit Stefan Danigel, Mitinitiator der Jugendinitiative, erarbeitet. Sie initiierten auch eine „Probewahl“ in Halterner Schulen, befragten die Parteien zu Themen, die sie bewegten. (…) 20 „Jugendinitiative macht die Politik nervös: .Die ‚Jugendinitiative für Haltern‘ ist gefragt. Noch vor Wochen waren die Jungwähler gedanklich in der Defensive. Keine Ahnung vom Wahlrecht, wenig Interesse an der Kommunalwahl, geschweige denn am 20 Halterner Zeitung am 18.09.2004 43 Gang zur Wahlurne. Das wollen sie ändern. CDUBürgermeister-Kandidat Bodo Klimpel habe versprochen, eine Initiative gegen Politikverdrossenheit zu gründen. In der Jugendinitiative sieht sich Stefan Danigel (30) als Moderator. Er biete den Jugendlichen den Organisationsrahmen für ihren Einsatz. ‚Die Jugendlichen legen eine unheimliche Initiative an den Tag, und die will ich unterstützen.‘ (…) Dass die Initiative vor der Kommunalwahl Wellen schlage, habe er an unterschiedlichen Reaktionen festgestellt. So sagte ihm ein Kommunalpolitiker: ‚Was die Jugendlichen machen, passt nicht ins Konzept.‘“ 21 Erstmals tritt ein PDS-Kandidat aus Haltern am See bei Landtags- und Kreistagswahl an. 22 „Die Nichtwähler waren die stärkste ‚Partei‘ in Haltern. Von 30.752 Wahlberechtigten gingen nur 19.595 zur Wahl. 11.137 blieben den Wahlurnen fern. (…)“ 375 Wahlzettel (fast 2 %) wurden durch einen schriftlichen Zusatz ungültig gemacht.23 2009 Wahlbeteiligung CDU SPD Bündnis 90/ Grüne WGH FDP Linke 62,1 % 44,7 17,8 15,4 14,5 4,7 2,9 21 Halterner Zeitung vom 18.9.2004 Information aus der Halterner Zeitung am 24.9.2004 23 Halterner Zeitung am 2.10.2004 22 44 Bürgermeister: Bodo Klimpel (CDU) Besonderheiten und Zeitungssplitter: „Trotz Erdbeere ein bitterer Nachgeschmack. Kandidat mit Kondomen auf Tour. Harte Zeiten für den SPDKandidaten Harry Meyer: Erst vermieste ihm ausgerechnet Christoph Metzelder seine politischen Kommentare in der Internetgemeinde Facebook, und jetzt tappt er auch noch bei Straßen- oder besser gesagt Kneipenwahl ins Fettnäpfchen. Zusammen mit einem Mitglied der Jusos zog er an einem Augustwochenende abends durch die Halterner Gaststätten, um für sich und die SPD zu werben. ‚Harry Meyer verschenkte Kondome, Marke ‚Condomi‘ mit Erdbeergeschmack. Dazu gab es einen roten Flyer ‚Lieber Rot wählen als Rot werden‘ vom Juso-Stadtverband mit Fragen und Informationen zu Aids und HIV: Wie wahrscheinlich ist es, dass Du Dich in Haltern mit HIV infizierst? Wie viele Menschen wären in Haltern mit Aids infiziert, wenn Haltern in Afrika liegen würde. Zwar unkten Jugendliche, dass die Kondome doch wohl nicht dazu ermuntern sollten, am Wahltag im Bett zu bleiben, doch ein gewisses rebellisches Image sei dem Kandidaten nicht abzuerkennen. Ja, wenn das Verfallsdatum auf den kleinen roten Tütchen nicht um vier Monate überschritten gewesen wäre. Das Wahlmaterial bekomme er von der Parteizentrale zur Verfügung gestellt, so der Bürgermeisterkandidat lapidar auf die Frage der Jugendlichen nach den abgelaufenen Kondomen. Wie heißt es doch in dem 45 Juso-Flyer: ‚Nicht kneifen, rot werden.‘“ 24 Bodo Klimpel, alter und neuer Bürgermeister: „(…) Fast 75 % der Stimmen – das ist ein Ergebnis, das auch dem politischen Gegner Respekt und Beifall abverlangt. (…) Klimpel begann seine kleine Ansprache mit einem Zitat seiner Mutter: Selbstbewusst verlieren, in Demut gewinnen.“ 25 Die Stimme der Jugend: „Ich will politische Entscheidungen beeinflussen und damit über die Zukunft meines Landes mitbestimmen.“ Das ist eine der Antworten, die die Halterner Zeitung während der Umfrage bekommen hat. So eine Antwort von einem Erstwähler hat wohl niemand erwartet, der etwas von der viel zitierten „Politikverdrossenheit“ und Jugendlichen gehört hat. (…) Die Umfrage unter Schülern der Jahrgangsstufe 13 am Joseph-KönigGymnasium ergab, dass den Schülern Politik alles andere als egal ist. Von 15 befragten Schülern wollen 14 an der Bundestagswahl teilnehmen. Die häufigsten Gründe für die Wahlteilnahme waren, dass durch das Nichtwählen nur die radikalen Parteien unterstützt würden, und dass man aktiv Einfluss nehmen will auf die Zukunft des Landes.“ 26 24 Halterner Zeitung am 25.8.2009 Halterner Zeitung am 31. 8.2009 26 Halterner Zeitung am 24.9.2009 25 46 2014 bis heute Wahlbeteiligung CDU 60,1 % 39,5 SPD Bündnis 90/ Grüne WGH FDP UBP 29,3 15,2 9,1 3,9 3,1 Bürgermeister: Bodo Klimpel (CDU) Besonderheiten und Zeitungssplitter: Bodo Klimpel bleibt Bürgermeister. Aber: SPDKandidatin Beate Pliete: „Wir haben den Bürgermeister ins Schwitzen gebracht.“ 27 27 Halterner Zeitung am 26.5.2014 47 Fragebogenaktion Wie sehen die Halterner die heutige politische Konstellation? Wie zufrieden oder unzufrieden sind sie? Dabei war es uns wichtig, das Wahlverhalten der Bürger zu analysieren. Um einen möglichst repräsentativen Überblick zur Situation zu erhalten, haben wir einen Fragebogen entwickelt, Interviews durchgeführt und öffentliche Diskussionen geführt. Wir stellten das Projekt in den weiterführenden Schulen, Parteien/ Fraktionen, Vereinen, persönlich, über das Internet und die Halterner Medienlandschaft vor. Wir besuchten Schulklassen (ab 15 Jahren), kirchliche und weltliche Vereine, diskutierten mit Jung und Alt, informierten Menschen auf der Straße. Redaktionsschluss für das Buch war Ende November. Bis dahin werteten wir mehr als 500 Fragebögen aus. Abgegeben wurden die Bögen in den Halterner Apotheken, der Sparkasse, der Volksbank und bei der Halterner Zeitung. Großen Erfolg hatten wir bei unseren Aktionstagen am 20. September und 7. Oktober auf dem Markt. Diese nutzten die Halterner Bürger sehr rege für Gespräche zum Demokratiegedanken. 48 49 Wichtig war es uns, die jungen Menschen in die Diskussionen miteinzubeziehen. Schulleiter und Fachlehrer des Joseph-König-Gymnasiums, der Joseph-Hennewig-Schule und der Alexander-Lebenstein-Realschule ermöglichten uns die direkte Ansprache der Schüler der Sekundarstufen I und II. Wer hat an der Fragebogenaktion teilgenommen? Zunächst einmal in Kürze: junge Leute ab 15, ältere Mitbürger bis 90, Männer und Frauen, in und ohne Arbeit, mit und ohne Parteibuch. Wichtig erschien uns für die spätere Analyse zu unterscheiden nach Altersgruppen 50 Berufsgruppen Parteimitgliedschaft politischem Interesse Kenntnissen in und über Halterns Kommunalpolitik und ihrer Vertreter Lokalpolitik im Fokus (siehe Seite 68) Wünschen und Anregungen (siehe Seite 55) Wahlverhalten (siehe Seite 89). Altersgruppen 300 255 250 200 150 116 100 42 50 62 25 1 0 15-20 Jahre 21-40 Jahre 41-60 Jahre 61-80 Jahre über 80 keine Jahre Angabe Altersgruppen: 501 Halterner haben unseren Fragebogen ausgefüllt zurückgegeben. Die größte Gruppe bilden die 255 Jugendlichen und jungen Erwachsenen (51 Prozent) im Alter von 15 bis 20 Jahren. Es folgen die 61bis 80-Jährigen mit 23 Prozent (115 Befragte). 12 Prozent, das sind 62 Teilnehmer, sind zwischen 41 und 60 Jahre alt, 8 Prozent (42) 21 bis 40 Jahre. 25 Halterner 51 (5 Prozent) sind 81 Jahre und älter. Eine Person gab ihr Alter nicht an. Geschlecht: Männer und Frauen halten sich die Waage: 51 Prozent Männer, 48 Prozent Frauen, 1 Prozent machte keine Angabe. Berufsgruppen: Parallel zu den Altersangaben bilden die 256 Schüler und Studenten (51 Prozent) und die 133 Rentner/Pensionäre (27 Prozent) die stärksten Gruppen. Eine Person machte keine Angaben. Neben 13 Arbeitsuchenden (3 Prozent) beteiligten sich 98 (20 Prozent) Halterner „in Arbeit“ an der Fragebogenaktion. Parteim itglied 600 501 500 400 300 249 176 200 100 76 0 Mitglied kein Mitglied keine Antw ort Gesamt Parteimitglied: Bei unserer Umfrage gaben 76 Personen (15 Prozent) an, Mitglied einer Partei zu sein. Während 249 (50 Prozent) ohne Parteibuch sind, machten 52 176 Teilnehmer (35 Prozent) keine Angaben. 30 Parteimitglieder sind 61 bis 80 Jahre alt, 22 kommen aus der Gruppe der 21- bis 40-Jährigen, je fünf Personen sind bis 20 bzw. über 80 Jahre alt. Bei den 41- bis 60-Jährigen wirken 14 aktiv in einer Partei mit. Parteienlandschaft bekannt 300 250 241 191 200 150 100 69 50 0 gut schlecht ohne Angabe Wir wollten auch wissen, wer sich in der Halterner Parteienlandschaft auskennt, wer schon mal Kontakt zu Ratsmitgliedern hatte, und wer sich über die Rats- und Ausschussarbeit in und für Haltern interessiert. Fast die Hälfte der Befragten (241, 48 Prozent) fühlt sich in der Parteienlandschaft zuhause, 191 (35 Prozent) sagen „nein“, während 69 (14 Prozent) die Frage gar nicht beantworteten. Ähnlich fallen die Antworten zu „Ich 53 kenne einige Ratsmitglieder“ aus: 313 (62 Prozent) sagen ja und 144 (29 Prozent) nein, 44 (9 Prozent) machten keine Angabe. Nicht einmal die Hälfte der Befragten interessieren sich für die Rats- und Ausschussarbeit: Nur 26 Prozent (132 der Befragten) machen sich mit den Ergebnissen der politischen Gremien vertraut, 211 (42 Prozent) kümmert es gar nicht, während 80 Personen zumindest informieren, wenn sie selbst von Entscheidungen des Rates oder der Ausschüsse betroffen sind. 78 machten hierzu keine Angabe. Rats-Ausschussarbeit 250 211 200 150 132 100 80 78 nur , wenn es mich bet r if f t keine Angabe 50 0 inf or mier e mich inf or mier e mich nicht Politikinteresse: Politisch interessiert zeigen sich 383 (76 Prozent) der 501 Befragten, während nur 75 von ihnen ein Parteibuch besitzen. 93 (19 Prozent) gaben 54 an, kein Interesse (mehr) an Politik zu haben. 25 (5 Prozent) beantworteten die Frage erst gar nicht. Was interessiert den Halterner? Blickt er über den geographischen Tellerrand, oder kümmert sich lieber um seine kleine Welt? Inwieweit weckt das politische Geschehen weltweit, Europa, Deutschland oder NRW betreffend das Interesse des Halterners? Hier waren Mehrfachnennungen möglich. Der Halterner will an erster Stelle wissen, was in seinem nahen Umfeld geschieht: 417 Nennungen. Je 378 Personen interessieren sich für die Politik in Europa und Deutschland, 346 sind auch NRW-Themen wichtig, 317 sind ebenfalls offen, für alles, was weltweit Konsequenzen Bürgerbeteiligung 400 363 350 300 250 200 150 117 100 50 21 0 mehr Bürgerbeteiligung erwünscht kann so bleiben keine Angaben Bürgerbeteiligung ist offensichtlich ein zweischneidiges Messer. Sie sei nicht unbedingt nur gut, sie könne 55 auch viel kaputt machen. 21 (4%) wollen keine Veränderungen, „kann so bleiben“. Während 363 Teilnehmer der Fragebogenaktion diese Frage gar nicht berücksichtigt haben, wünschen sich 117 Halterner (23%), vor allem bei großen Projekten/Baumaßnahmen mitentscheiden zu dürfen. „Unter Experten ist ein Bürgerentscheid ohnehin umstritten. Denn schon 20 % Bürgerstimmen reichen aus, um ein Projekt zu kippen“, erläuterte Thomas Gerlach (Bürgermeisterbüro) auf Anfrage der Halterner Zeitung im Juni 2014. Da ging es um einen Bürgerentscheid zum Thema „Regionale 2016“. Die Durchführung sei in jedem Fall teuer. 25.000 Euro hat er ausgerechnet: Denn jeder Bürger ab 16 Jahren muss angeschrieben werden“. 56 Senioren Politisch weise oder bereits verwaist? Spätestens, seitdem der demografische Wandel durch die Wissenschaft publiziert wurde, wissen wir, dass Wirtschaft und Politik sich auf das neue Phänomen einstellen müssten. Müssten! Tun sie es auch? Unsere Auswertungen haben zumindest ergeben, dass die Menschen in Haltern sich eine „seniorengerechtere“ Politik wünschen, die darüber hinaus idealerweise eine „generationenübergreifende“ sein sollte. Hier ein Blick auf die ‚Altersentwicklung‘ unserer Halterner Bürger bis 2040: Altersentwicklung 2016 bis 2040 Haltern am See 60 50 40 30 20 10 0 2016 2040 60+ weiblich 26,2 41,8 60+ männlich 30,2 48,3 60+ gesamt 28,3 45,2 Betrachtet man die ältere Generation (60 Jahre +), sieht man eine Steigerung von 63 Prozent innerhalb von 57 knapp 20 Jahren. Würde man die für Haltern geltende Zuzugspraxis von jungen Familien neutralisieren, kämen wir fast auf eine Verdoppelung der Zahlen. Bei unseren umfangreichen Zeitungsrecherchen zu den einzelnen Wahlzeiträumen verdichtete sich unser Gefühl, dass Senioren zumindest in den vergangenen Jahren (Ausnahme 1989, siehe unten im Text), nicht unbedingt im politischen Fokus der Parteien standen. Wahlversprechen gab es dagegen häufiger zum Thema Jugendpolitik. Oft wurde und wird – leider immer noch – Seniorenpolitik als „Fürsorge für Alte“ gesehen. Selbstverständlich vermehren sich mit dem Älterwerden gesundheitliche Probleme, von körperlichen Gebrechen bis zu Demenzerkrankungen. Aber darüber darf man nicht die „jungen Alten“, die immer noch aktiven Senioren, vergessen. Deren Erfahrungen und „neu entdeckter Forschergeist“ gilt es, aufzunehmen und zu nutzen. Bereits in den 90ern wurden die Politiker hellhörig und erweiterten ihre Programme entsprechend (Beispiel: Halterner Zeitung, 16. September 1989): „Halterner Parteien wenden sich den Interessen der Senioren zu: Nicht auf Fürsorge beschränken. Die Parteien haben die Zeichen der Zeit erkannt: Die Generation des dritten Lebensabschnittes ist anspruchsvoller geworden. Sie gibt sich mit bloßer Betreuung nicht mehr zufrieden. Dieser Aufforderung stellen sich CDU, SPD, WGH und Grüne gleichermaßen. Bleibt zu hoffen, dass die Parteien ihre Absichten unabhängig 58 vom Ausgang der Kommunalwahlen28 in die Tat umsetzen. Engagement von politischer Seite allein jedoch nützt nicht. Die bestehenden Gemeinschaften müssen ebenso umdenken, und auch die „neuen Alten“ sollten sich verpflichtet fühlen, neue Impulse zu geben. Die Einrichtung eines Seniorenbeirats29 könnte Kräfte wecken.“ Vorstand des SBR (v.l.) Marlies Stevermür, Sigrid Geipel, Otto Rohde. Siehe Kritik: „Politiker kümmern sich nur zur Wahlzeit um die Bürger.“ 29 Der Seniorenbeirat der Stadt Haltern am See wurde im Mai 1992 gegründet und kümmert sich seitdem überparteilich um die Belange der älter werdenden Menschen. 28 59 Der Seniorenberat (SBR) besteht zurzeit aus zwölf stimmberechtigten Seniorinnen und Senioren und einem Vertreter, die per Urwahl von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Haltern am See (ab 60) im November 2014 für die Dauer der kommunalen Legislaturperiode (2020) gewählt wurden. Er nimmt unter Berücksichtigung der generationenübergreifenden Aspekte die besonderen Belange und Interessen der älteren Menschen in Haltern am See wahr. Der SBR berät darüber hinaus die Stadt Haltern am See, den Rat und vier seiner Ausschüsse in seniorenrelevanten Fragen und gibt Anregungen, die das Lebensinteresse der älteren Bevölkerung betreffen. In den Ausschüssen ist er nicht stimmberechtigt. Dass aber die Vertretung von älteren Menschen in den Gemeinden nicht genügend durch die Politik – so auch nicht durch die „älteren Abgeordneten“ – sichergestellt wird, fokussiert die Landesseniorenvertretung (LSV) NRW seit langem30. Der stellvertretende Vorsitzende der LSV, Jürgen Jentsch, bezweifelt, dass die oft zitierten ‚lebenserfahrenen‘ Politiker sich um die spezifischen Probleme der älter werdenden Menschen kümmern: „Ist es nicht eigentlich so, dass man eher bemüht ist, sich vom Alter abzugrenzen?“31 Die LSV und alle ihre angeschlossenen Seniorenbeiräte legen daher bei der Landesregierung und bei den Gemeinden den Finger in die Wunden fehlender Seniorenpolitik. 30 Pressemitteilung der LSV vom 15.6.2016 (nachzulesen unter www.lsv-nrw.de). 31 Wie unter 5; eine Aussage, die wir Autoren oft in Interviews mit ‚jungen Alten‘ (60 +) hörten. 60 Seniorenarbeit kann aber auch andere Plattformen nutzen: Seniorenvereine wie die Senioren Union der CDU, die SPD-nahestehende AWO-Gruppe 55+ sowie kirchliche und caritative Organisationen bieten neben Freizeitangeboten auch eine Plattform für Diskussionen gesellschaftspolitischer Themen (zum Beispiel durch Fachreferate). Hervorzuheben sind in Haltern am See die Aktivitäten der kfd (Katholische Frauengemeinschaft Deutschland), die einen enormen Zulauf zu verzeichnen hat. Sie bietet den Frauen ein vielfältiges Programm und setzt sich für alle Frauen relevanten Themen ein (Kinder, Familie, Elterngeld, Senioren, Pflege, Rente, …).32 32 Siehe auch unter „Frauenpolitik“ 61 Die Jugend Null-Bock-Stimmung oder politische Zukunft? Demokratie wird nach der Familie im Kindergarten und in der Schule weitergeführt. Gruppen- oder Klassensprecher werden gewählt, Schulsprecher und Elternpflegschaft übernehmen Mitverantwortung bei schulischen Entscheidungen. Schüler füllen den Fragebogen aus. „Kommunale Jugendpolitik“ wird häufig durch die Verpflichtung, ein Jugendamt (oft angebunden ans Sozialamt) und einen städtischen Jugendausschuss, vorweisen zu können, definiert. Jugendarbeit wird dabei aber gerne den Vereinen überlassen. In beispielsweise kirchlichen Vereinen, BDKJ, Evangelische Jugend, bei der Jugendfeuerwehr, den Pfadfindern oder in Sportvereinen wird die Jugend an ein Leben im Alltag vorbereitet. Zuständige Vertreter der Vereine – selten sind es die 62 betroffenen Jugendlichen selber – vertreten die Belange ihres „Klientel“ in politischen Gremien, wenn diese es zulassen. In Haltern am See ist der Stadtsportverband als ständiges Mitglied im Ausschuss für Schule, Sport und Kultur vertreten. Auch die Halterner Schulen sind durch ihre Schulleiter vertreten. Wir haben die Jugendlichen (15 Jahre aufwärts) in unseren Halterner Schulen, Joseph-König-Gymnasium, Alexander-Lebenstein-Realschule und Joseph-Hennewig-Schule dazu befragt. Das Thema Jugendpolitik beschäftigt die Kommune Haltern schon lange. Immer wieder wird der Ruf der Jugendlich nach einem Jugendparlament laut; die Jugendlichen wollen ihre Probleme und Anregungen zu gesellschaftlichen Veränderungen vorbringen und Verantwortung mittragen, wenn es um sie selber geht. Schüler erörtern den Fragebogen. 63 Das schrieb die Halterner Zeitung in ihrer Ausgabe vom 17.9.2004: Lobby für Halterner Jugend Neue Initiative bietet Wahlinfos Politik, die machen andere. Auch unter Halterner Erstwählern scheint diese Ansicht verbreitet. Nur wenige Jugendliche fühlen sich kurz vor der Kommunalwahl am 26.9. von den Wahlplakaten und Werbeaktionen der ansässigen Parteien angesprochen. Kommunalpolitik und Wahlhergang sind für sie zudem nicht selten ein „Buch mit sieben Siegeln“. Das soll sich ändern, denn seit einigen Wochen gibt es die „Jugendinitiative für Haltern“. Das sind neun junge Erstwähler zwischen 16 und 18 Jahren, die sich für die Belange Jugendlicher einsetzen, aufklären und Politikverdrossenheit entgegenwirken möchten. „Halterner Jugendliche hatten bisher keine Lobby“, erklärt Burkhard Tornau, Mitbegründer der Initiative. „Wir bilden nun eine Lobby von der Jugend für die Jugend.“ Sie wollen sich beispielsweise für ein Jugendparlament für Gleichaltrige einsetzen. Die Halterner Zeitung dazu am 18.9.2004: „Jugendinitiative macht die Politiker nervös. Kritik: Das passt nicht ins Konzept (...) Dass die Jugendinitiative vor der Kommunalwahl Wellen schlägt, hat er an unterschiedlichen Reaktionen festgestellt. So sagt ihm ein Kommunalpolitiker: „Was die Jugendlichen machen, passt nicht ins Konzept.“ 64 Splitter aus unseren Besuchen der Fraktionen: Es gab seitens der CDU-Fraktion viele Ansätze, auch Schüler für Politik im Allgemeinen und für den kommunalen Bereich zu begeistern. Doch: „Es gibt nicht nur eine Informations-Bringschuld, sondern auch eine Holschuld.“ Bürgermeister Bodo Klimpel berichtete von vielen seiner Besuche in den Schulen. Danach gibt es viele Fragen der Schüler, die aber „sehr eingeübt wirkten“.33 Fraktionsvorsitzender Franz Schrief und Bodo Klimpel wiesen darauf hin, dass in der CDU Haltern immer wieder junge Menschen die Mitgliedschaft beantragten. Paradebeispiel sei der junge Stadtverbandsvorsitzende, Hendrik Griesbach. Die Junge Union versuche seit vielen Jahren, mit ihren Aktionen, die Bedürfnisse der jungen Menschen vor Ort zu befriedigen. Die SPD-Fraktion unterstreicht zwar die Notwendigkeit, mit den Jugendlichen in den Schulen ins Gespräch zu kommen, doch weist sie auch daraufhin, dass es für die Parteien schwierig bis unmöglich sei, dieses Vorhaben 33 Gespräch in der Fraktionssitzung der CDU am 24.10.2016 65 umzusetzen. Beate Pliete: „Wir scheitern daran, dass die Schulen auf ihrer Neutralitätspflicht zur Parteienpolitik bestehen. Das müssen wir akzeptieren.“ 34 Heinrich Wiengarten, selbst pensionierter Lehrer, weiß aus Erfahrung, dass sich Jugendliche und vor allem Schüler selbst einbringen sollten. Oft seien ihnen aber „andere Interessen“ wichtiger. Noch im November solle sich die Jugendorganisation Jusos neu gründen und das Programm parteiübergreifend gestaltet werden. Die Grünen betonen, dass sie verhältnismäßig viele junge Mitglieder in ihren Reihen haben. Außerdem seien es „Junge Grüne“ gewesen, die in der Vergangenheit die Idee des Jugendparlamentes erneut angestoßen hätten. Daraus hat sich die „AG 78“ entwickelt. Gerne würden die Grünen der Anfrage der Schüler nach einem stärkeren Dialog zwischen Schule und Politik folgen. Sie sehen ebenso wie alle anderen Fraktionen das Problem bei den Schulleitern, die ihrer Neutralitätspflicht nachkommen müssten. Eine Lösung sehen sie in 34 Gespräch in der Fraktionssitzung der SPD am 17.10.2016 66 der Einladung an alle Parteien zu einer Podiumsdiskussion oder ähnlichem. Die Wählergemeinschaft befürwortet die Einrichtung eines Jugendgremiums analog zum Seniorenbeirat. Allerdings müsse man die jungen Menschen zumindest anfangs „an die Hand nehmen“. Jugendpolitik steht auch bei der Halterner FDP im Fokus ihrer Politik. Sie bedauert, dass man nicht mit Schülern im Unterricht ins Gespräch kommen kann bzw. darf (Neutralitätspflicht der Schulen Parteien gegenüber). Die Fraktionsmitglieder halten es für sinnvoll, im Politikoder Geschichtsunterricht die im Stadtrat vertretenen Parteien zu interviewen. Was die direkte Jugendarbeit angeht, so verweist man auf die „intensive Zusammenarbeit mit den Jung-Liberalen im Kreis Recklinghausen“.35 35 Gespräch in der Fraktionssitzung der FDP am 28.10.2106 67 Kritisches zu Haltern Wie sehen die Bürger ihre Heimatstadt? Sehr zufrieden zeigt sich die Mehrheit der Befragten mit Halterns Lokalpolitik. Auch das Bild von der Demokratie in Haltern ist grundsätzlich positiv. Wird sie denn in Haltern großgeschrieben? Ja, das meinen 263 der Befragten (52%), „teils-teils“ sagen 45 Personen (9%). 122 (24%) machten keine Angabe, während sich 71 Menschen (14%) mehr Demokratie wünschen. Demokratie groß geschrieben 300 263 250 200 150 122 100 71 45 50 0 groß geschrieben zu wenig Demokratie teils, teils keine Angabe Außerdem können wir festhalten, dass das, was die einen in den höchsten Tönen loben (beispielsweise Stadtmühlenbucht) von anderen verbal zerrissen wird. Zu einzelnen Punkten gibt es wiederholt kritische Anmer- 68 kungen (oft im Bereich der Halterner Bautechnik). Einige Bürger fühlen sich von der Verwaltung bevormundet, klagen über fehlende Transparenz bzw. mangelnde Informationen zu den Vorhaben. Zufriedenheit keine Angabe 32% gut 47% teils-teils 13% schlecht 8% Gleichzeitig zeigt sich ein starkes Desinteresse an der heimischen Parteienlandschaft, Ausschussarbeit und an den Ratsmitgliedern. Das steht im Gegensatz zur Zufriedenheit mit der Lokalpolitik. Die überwiegende Mehrheit, das sind 235 der Befragten (47% beurteilen diese mit „gut“. „Teils-teils“ sagen weitere 66 Halterner (13 %. Nur 42 Personen geben ein schlechtes Urteil über die Lokalpolitik ab. 158 (32%) beantworteten die Frage nicht. Eine Zusammenfassung von Lob, Tadel und Anregungen ist nachzulesen auf Seite 68. Bürgermeister Bodo Klimpel ist ein häufig angegebener Grund für dieses positive Ergebnis. Gelobt werden vor allem seine Präsenz und Menschennähe, Sparsamkeit und sein Engagement. 69 Zusammenfassung der Bürgermeinungen Positiv: Bürgermeister: Viele Bürger sind insbesondere mit der Arbeit von Bürgermeister Bodo Klimpel einverstanden. Ihm werden Kompetenz, die notwendige Sparsamkeit und ein fleißiger Arbeitsstil bescheinigt. Auch seine Präsenz bei vielen öffentlichen Veranstaltungen, seine Bürgernähe wird gelobt. Sehr gut kommen auch die Bürgermeister-Sprechstunden bei den Befragten an. Bürgerbeteiligung: Entgegen vieler kritischer Meinungen zu Bürgerbeteiligungen gibt es unter den Befragten viele Menschen, die die Politik in Haltern als sehr bürgernah empfinden. Sie fühlen sich in vielen städtischen Objekten eingebunden. Die Belange der Bürger werden berücksichtigt. Dass es im Rat zu kontroversen Meinungen kommt, letztlich aber eine demokratische Entscheidung fällt, begrüßen einige der Befragten. Soziale Stadt: Das soziale Engagement von Bürgermeister und Politikern aller Fraktionen, insbesondere die Flüchtlingsarbeit betreffend, wird positiv gewertet. Man fühlt sich wohl in Haltern. Miteinander von Politik und Verwaltung: Viele Bürger sehen vor allem durch Bürgermeister Bodo Klimpel eine positive Verflechtung von Politik und Verwaltung als gegeben. Es herrscht dadurch eine Vertrauensstimmung, die es nicht immer im Halterner Stadtparlament gab. 70 Hier werden erneut die Themen Flüchtlings- und Baupolitik fokussiert. Finanzsektor: Trotz Haushaltssicherungsgesetz schafft es Haltern, Flüchtlinge zu integrieren, Tourismus und öffentlich Veranstaltungen nicht aufzugeben. Unsere Befragungen ergaben, dass viele Bürger Verständnis haben für städtische Sparmaßnahmen. Baumaßnahmen: Trotz der Bedenken vieler Bürger, gibt es einige positive Beispiele für notwendige Baumaßnahmen in Haltern; lobend erwähnt werden der „See schlägt Wellen“ und der Ausbau der Radtouristik. Die Steigerung der Attraktivität der Halterner Innenstadt wird besonders positiv hervorgehoben. Haltern ist demokratisch: Der Rat der Stadt Haltern ist ein Spiegel der Demokratie, Themen werden kontrovers aber fair in den Ausschüssen besprochen und zur Entscheidung im Rat vorbereitet. Die Gruppierungen im Rat sorgen für eine differenzierte Interessenvertretung und eine starke Opposition. Bürgerversammlungen und Bürgermeister-Sprechstunden bezeugen ebenfalls den 71 Demokratiegedanken Halterns. Die Bürger empfinden die Politik als transparent. Zusammenfassung: Als besonders positiv wird parteiübergreifend die Arbeit von Bürgermeister Bodo Klimpel herausgehoben. Gute Noten gab es ebenfalls für die Zusammenarbeit von Politik und Verwaltung. Viele Menschen fühlen sich durch gute Informationspolitik genügend an Entscheidungen beteiligt. Danach wird in Haltern die Demokratie hochgehalten. Kritische Anmerkungen: Vernachlässigung der Dörfer: Einige Bürger bemängeln, dass sich die „führenden Köpfe“ nur um die Stadtmitte kümmern und darüber die Dörfer vergäßen. Die Infrastruktur der Außenbereiche ginge verloren. Jugendpolitik: Es wird zu wenig für die Jugendlichen getan (Kritik kommt nicht selten von älteren Bürgern). Seniorenpolitik: Es wird zu wenig für die älteren Menschen in Haltern getan (Kritik kommt hier nicht selten von jungen Bürgern). Es mangelt an sozialen Wohnungen. Altengerechte Wohnungen meist für sozial schwächere Menschen sind nicht bezahlbar. Baupolitik: Leider hört man insbesondere hier deftige Worte wie „Klüngel- und Vetternwirtschaft“. Nach einer Restrukturierung des Baubereiches erwarten viele eine 72 Verbesserung der Außenwirkung nach dem Motto „neue Besen kehren gut“. Vielfach werden eine „Geldund Ressourcen-Verschwendung“ deklariert mit Hinweisen auf die Stadtmühlenbucht oder der „See schlägt Wellen“, man gäbe „Unsummen für Tourismus aus, aber nichts für die Bürger Bauplan Stadtmühlenbucht (Quelle: Halterner Zeitung Häufig werden die mangelnde Schulrenovierung und der fehlende soziale Wohnungsbau kritisiert. Klüngelwirtschaft: Auch in anderen politischen Bereichen vermuten einige Bürger eine Vettern- und Klüngelwirtschaft, die es zu bekämpfen gelte. Windräder: Windräder stören einige Bürger. 73 Unkundige Politiker: Einige Befragte halten einige Politiker für fachlich und sozial nicht kompetent. Das machen sie fest an folgenden Beispielen: „Solange sie nicht selber im Rollstuhl sitzen, wird nichts für Rollstuhlfahrer getan“, die „Abwahl“ des Ersten Beigeordneten ist bei vielen Bürgern sehr schlecht angekommen (Vetternwirtschaft). Finanzpolitik: Was für die einen sparsam ist, bedeutet für die anderen „Abbau von sozialen Leistungen“ (Reduzierung von Kinderspielplätzen und beim Trigon). „Die Grundsteuer für das eigene Haus ist für eine Witwe, die nur 60 % Rente bekommt fast nicht aufzubringen. Greift man da nicht das Privateigentum an und zerstört es? Die Privatsphäre wird für die Sozialhilfeempfänger oft als Entschuldigung angeführt. Wie steht es damit bei uns als Steuer und Abgaben zahlenden Bürgern? Mit aller Kraft verschönert man den Stausee. Landschaftsschutzgebiete erleben einen Bauboom. Schutzhütten werden erweitert. Viel Unrat lagert dort. An Wochenenden werden dort Feten gefeiert. Wo ist da mal die Kontrolle? Gemeinderatsmitglieder sollten nach etwa drei Perioden abgelöst werden. So entsteht bei den Bürgern auch nicht das Gefühl der Vetternwirtschaft. Neue Besen kehren gut.“36 Häufig genannte Stichworte: unnötige – oft unverständliche - Geldverschwendung, überhöhte Kosten für 36 Zitat aus einem Fragebogen einer Halternerin (Rentnerin, 61 bis 80 Jahre). 74 Stadtmühlenbucht (statt das Geld für Flüchtlinge zu verwenden), die Abwahl von Hans-Josef Boeing und immer wieder der Hinweis auf die Schuldenpolitik der Verwaltung. Bürgerinteresse/Bürgerbeteiligung: Junge Menschen erwägen häufig, Haltern den Rücken zu kehren, da sie „hier nichts mehr zu erwarten haben“. Sie fühlen sich nicht ernst genommen. Viele fühlen sich bei anderen politischen Themen ebenfalls nicht gefragt, nicht eingebunden (bei der Bau- und Straßenplanung, Verkehrsführung, in der Finanzpolitik, Angebote für Jung und Alt). Marode Bauten und Straßen: Dieses Themenfeld wurde von mehreren Bürgern separat aufgenommen. Man bemängelt verschiedene Straßenzustände, renovierungsbedürftige Schulgebäude, die Gestaltung der Innenstadt, aber auch die Entwicklung der Außenstadtteile. Tourismus: Zusammenfassend wird die „Geldverschwendung“ (See schlägt Wellen, Stadtmühlenbucht u.a.) angeklagt. „Haltern wirbt mit Tourismus, dafür muss man aber auch etwas tun.“ 75 Parteienzwang: Viele der von uns Befragten erkennen bei verschiedenen Entscheidungen einen „Parteibuchzwang“. Danach zählt nicht die „Qualität der politischen Idee, sondern vielmehr das Parteibuch“. Man glaubt, dass „früher die Ratsmitglieder mehr Rückgrat gehabt haben als die heutigen“. Und auch hier kommt der Hinweis auf Boeings Abwahl, die viele Halterner nicht nachvollziehen können. Zusammenfassung: Bei allen kritischen Themen schwingt bei den Befragten immer ein großes Misstrauen gegenüber der Politik und den Politikern mit. Man fühlt sich nicht genügend eingebunden und hält die politischen Entscheidungen für nicht ausgewogen. Das Misstrauen vieler Bürger geht sogar so weit, dass sie glauben, dass Politiker nicht das Allgemeinwohl im Auge haben, sondern eher sich und die entsprechende Partei. *** Wir Autoren erfuhren in vielen Gesprächen sachliche Kritik aber auch das ein oder andere Mal Gemecker! 76 Die wesentlichen kritischen Hinweise konnten wir mit den Fraktionen sehr konstruktiv erörtern. Anschließend stellten wir den im Rat vertretenen Fraktionen sechs Fragen: Frage 1: Viele der Befragten kennen weder die Halterner Politiker noch ihre Parteiprogramme. Sie fühlen sich nicht abgeholt und nicht informiert. Werden Sie dem entgegenwirken? Wenn ja, wie? CDU: Grundsätzlich sind Ausschuss- und Ratssitzungen öffentlich. Tagesordnungen, Vorlagen und Protokolle findet man auf der Internetseite unserer Stadt. Weitere Informationen gibt es auf der CDU-Homepage. CDU-Fraktionsmitglieder stehen zu Gesprächen zur Verfügung. Interessierte können als Gäste die CDUFraktionssitzung besuchen und konkrete Anliegen vorbringen. SPD: Zur Information nutzt die SPD u.a. diese Angebote: Bürgerdialog, Sprechstunden im SPD-Bürgerbüro, Hausbesuche, Veranstaltungen zu politischen Fragestellungen, offene Fraktionssitzungen, Dämmerschoppen, Karnevalsfrühstück oder Boule. Weitere Infos gibt es auf Facebook und der SPD-Website. Grüne: Das entspricht nicht unseren Erfahrungen. Grüne Politiker werden direkt angesprochen, per Mail oder Telefon kontaktiert, auch über die Fraktionsgeschäftsstelle. Unser Programm steht im Netz, Aktuelles 77 findet sich auf der Homepage und bei Facebook. Fraktionssitzungen sind öffentlich. FDP: Wir bemühen uns, unser Programm sehr offen zu kommunizieren, z.B. auf unserer Webseite. Einmal im Monat gibt es einen offenen FDP-Stammtisch, zudem wir alle Bürger herzlichst einladen. Wir haben jederzeit ein offenes Ohr für die Anliegen oder Fragen aus der Halterner Bevölkerung. WGH: Die WGH plant ein Angebot, Halterner Bürger/innen mit Interesse an aktuellen Themen zu AusschussSitzungen zu begleiten. Dazu werden wir Ansprechpartner mit Kontaktdaten auf unserer Homepage bekannt geben. Frage 2: Ein Vorwurf an die Lokalpolitiker lautet: „Sie lassen sich nur vor den Wahlen bei den Wählern sehen. Und dann gibt es nur leere Versprechungen.“ Den Wählern fehlt auch Transparenz – zum Beispiel bei großen Baumaßnahmen. Wie sehen Sie das? CDU: Die CDU verfügt in jedem Ortsteil über eine eigene Ortsunion. Große Bauvorhaben werden in öffentlichen Sitzungen diskutiert. Allein zur „Stadtmühlenbucht“ waren das über 20 Termine. Bürger konnten im direkten Gespräch mit den Fraktionsmitgliedern ihre Meinungen einfließen lassen. Bürgerversammlungen wurden in der Vergangenheit gut besucht. 78 SPD: Die SPD ist regelmäßig vor Ort. Gerne nehmen wir Anregungen der Bürger auf, um unsere Präsenz weiter zu verbessern. Transparenz bei der Umsetzung z. B. von großen Projekten fördert die Akzeptanz. Seit Jahren setzt sich die SPD für eine sehr frühe Beteiligung der Bürger ein. Grüne: Antwort siehe unter Frage 6 FDP: Naturgemäß ist im Wahlkampf die Präsenz der Lokalpolitiker höher, doch auch die Bürger sind in dieser Zeit besonders für politische Themen sensibilisiert. Das Interesse vieler Bürger nimmt allerdings aber leider ab, wenn sich die Themen nicht vor der eigenen Haustür abspielen. WGH: Die Verwaltung stellt größere Baumaßnahmen in Bürgergesprächen vor. Zum Thema Lippe-Umbau und LKW-Verkehr durch Flaesheim hat die WGH an zwei Infoabenden viele betroffene Anwohner erreichen und informieren können. Dabei wurde eine für den Ort optimale Alternativ-Route gefunden. 79 Frage 3: Viele sehen die jungen Menschen als die Entscheidungsträger von Morgen. Sie müssten mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Zum Beispiel durch einen Jugendbeirat. Hat der reelle Chancen? CDU: Interessierte junge Menschen können sich in der Jungen Union engagieren. In der CDU-Fraktion sind Mitglieder der JU vertreten. In allen Sitzungen des Ausschusses für Generationen und Soziales lautet der 2. Tagesordnungspunkt „Anträge und Anfragen junger Menschen". Diese Chance wird so gut wie nie genutzt. SPD: Die Teilhabe junger Menschen an demokratischen Prozessen wird von uns unterstützt. Es ist sinnvoll, alle Bestrebungen zur Gründung eines Jugendbeirates oder ähnlichem ideell und finanziell zu fördern, um die Beteiligung junger Menschen an politischen Entscheidungen zu stärken. Grüne: Es ist wichtig, jungen Menschen die Mitarbeit in demokratischen Parteien zu erleichtern. Von Jungen Grünen kam der Vorstoß für ein Jugendparlament; nach intensiver Diskussion waren die Initiatoren damit einverstanden, Jugendprojekte zunächst unter dem Dach der AG 78 durchzuführen. FDP: Wir befürworten mehr Beteiligung von Jugendlichen. Genauso wie der Seniorenbeirat die Interessen der älteren Generationen vertritt, ist aus unserer Sicht, der Einbezug von Jugendlichen sehr 80 wichtig, um politische Entscheidungen unter Abwägung aller Interessen treffen zu können. WGH: Wir schätzen die Mitarbeit junger Menschen in der Politik. Dabei ist uns wichtig, dass Jugendliche selbst die Initiative ergreifen und nicht nur von etablierten Parteien geführt werden. Hilfe zur Selbsthilfe ist hier gefragt. Nur dann hat ein Jugendbeirat eine echte Chance. Frage 4: Viele Schüler wünschen sich eine Politik-Info in der Schule. Können Sie sich vorstellen, gemeinsam mit den Schulleitern ein regelmäßiges Politikforum in den Schulen einzurichten? Zum Beispiel in Form einer Podiumsdiskussion mit Vertretern aller im Rat vertretenen Fraktionen oder eines PolitikProjekttages (Podiumsdiskussion, Infos der Parteien, Vorstellung des Wahlverfahrens, ...) CDU: Einladungen in die Schulen, um dort mit den jungen Menschen themenorientiert zu diskutieren, würde die CDU-Fraktion sehr begrüßen. SPD: Ja, unbedingt. Auch Schule hat den Auftrag, zur politischen Willensbildung unter Wahrung der Neutralitätspflicht beizutragen. Grüne: Die genannten Vorschläge begrüßen und unterstützen wir. Ein regelmäßiges Politikforum in Kooperation mit Schulen können wir uns gut vorstellen. 81 FDP: Ein Politikforum in den Schulen könnten wir uns sehr gut vorstellen und würden dieses auch gerne unterstützen wollen. WGH: Wir würden gerne bei einer jährlich stattfindenden Podiumsdiskussion/einem PolitikProjekttag in den weiterführenden Schulen mitwirken. Frage 5: Kritikpunkte gibt es auch rund um die Seniorenpolitik. Wo ist der soziale Wohnungsbau? Barrierefreies Leben in Haltern (Innenstadt/ Fußgängerzone)? Was ist generationsübergreifend geplant? CDU: Wir haben die vollständige Barrierefreiheit unserer Stadt stets im Blick. Beim Projekt "der See schlägt Wellen" wurde die Verbindung Innenstadt – See optimiert. Der Stausee kann von Rollstuhlfahrern umrundet werden. Wir befürworten alternative seniorengerechte Wohnformen wie zum Beispiel „LiNa – Leben in Nachbarschaft“. 82 SPD: Eine liebenswerte Stadt muss die Belange aller Menschen in ihrer Stadtentwicklung berücksichtigen. Es muss ausreichend bezahlbaren Wohnraum geben. Bei Veränderungen im Bestand müsste es für die Eigentümer ausreichend Beratungsangebote geben, um zum Beispiel Barrierefreiheit zu erreichen. Unser politisches Engagement für einen barrierefreien Bahnhof hat sich bezahlt gemacht. Die ersten Baumaßnahmen sind begonnen worden. Grüne: Beim Sozialen Wohnungsbau hat Haltern Nachholbedarf, dazu ist unsere Fraktion initiativ geworden. Zur Barrierefreiheit wünschen wir uns Anregungen von Betroffenen. Neben dem LiNa-Bau unterstützen wir die bedarfsorientierte Weiterentwicklung von Seniorenprojekten. Ansonsten sind das Lebensumfeld verbessernde Projekte (z.B. Bürgerbus, Stadtmühlenbucht, Steverradweg, See schlägt Wellen) für Alt und Jung gleich positiv. 83 FDP: In den letzten Jahren wurden viele Entscheidungen mit Blick auf Senioren-Interessen gefällt: Neubau von Seniorenheimen in Lippramsdorf und Sythen, Lavesum steht an, LINA, Bürgerbus, endlich der Umbau des Bahnhofes, etc. Im Bereich des sozialen Wohnungsbaus tut sich auch einiges. Die Perspektive von Senioren wird zurecht stark berücksichtigt, der Seniorenbeirat leistet dabei sehr gute Arbeit und ist antreibende Kraft. WGH: Wir unterstützen eine aktuelle Initiative ähnlich wie sie vor einigen Jahren bei „55plus“ durchgeführt wurde. Menschen mit und ohne Behinderung sollen Vorschläge machen können, um bestehende Mängel oder Barrieren in unserer Stadt zu erkennen und möglichst beseitigen zu können. Frage 6: Rechnerisch ist nachgewiesen: Sinkt die Wahlbeteiligung geht das zu Lasten der renommierten Parteien, es profitieren nur die (kleinen) Parteien mit radikalen Strukturen. Auch die Wahlbeteiligung in Haltern lässt Wünsche offen. Welche Ideen haben Sie, die Menschen zum Wählen zu motivieren? CDU: Wir gehen mit gutem Beispiel voran und leben bürgerschaftliches Engagement vor, um die Demokratie vor Ort zu stärken. 84 Gerade im Vergleich zu unseren Nachbarstädten sind wir mit der Wahlbeteiligung in Haltern am See und dem Interesse der Bürger an kommunaler Politik nicht unzufrieden. Im ständigen Dialog mit den Bürgern bemühen sich alle Aktiven darum, das Interesse am kommunalpolitischen Geschehen zu fördern. SPD: Eine hohe Wahlbeteiligung ist immer wünschenswert. Für die Teilhabe an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen ist das Recht zur Wahl einer Interessenvertretung ein wichtiger Baustein und Grundlage der repräsentativen Demokratie. Wir wollen außerdem mehr Mitwirkungsrechte der Menschen bei der politischen Willensbildung. Dazu gehören Volksinitiativen, Volks- oder Bürgerbegehren, Volksoder Bürgerentscheide Grüne: Der Vorwurf leerer Versprechungen ist ohne konkrete Beispiele für uns nicht nachvollziehbar. Menschen können zum Wählen und Mitgestalten motiviert werden, wenn sie den Eindruck haben, von Verwaltung 85 und Politik gut informiert und ernst genommen zu werden. Dabei ist es wichtig, die Bürger mit ihren Anregungen und Sorgen frühzeitig zu Wort kommen zu lassen (bei Bürgergesprächen, Sondersitzungen, Informationsveranstaltungen). Zur Transparenz gehört auch, gut zu erklären, weshalb manche Bürgeranregungen nicht umgesetzt werden können. Lokalpolitiker sollten öffentlich präsent sein, wir sind das z.B. bei regelmäßigen Fraktionssprechstunden, Grünen Stammtischen, Infoständen und Veranstaltungen. FDP: Der Großteil der Kommunalpolitiker arbeitet mit viel Engagement, Gutes für unsere Stadt zu erreichen. Das müssen wir den Bürgern besser vermitteln und ihnen immer wieder klarmachen, dass das Wahlrecht unsere Demokratie stärkt. Nur mit Kontinuität, Fleiß und Einsatz kann man die Menschen für sich begeistern und Vertrauen schaffen. Die Gefahren von radikalen Parteien dürfen nicht unterschätzt werden. WGH: Wir sind seit Jahrzehnten, neben diversen anderen Aktivitäten, mit Infoständen in der Stadtmitte und den Ortsteilen präsent und bemühen uns dabei, die Bürger zum Wählen zu bewegen. Auch wenn die PolitikVerdrossenheit immer weiter zunimmt, so bleibt doch festzustellen, dass gerade bei den Kommunalwahlen in Haltern am See regelmäßig eine gute Wahlbeteiligung erreicht wird. 86 Der informierte Bürger Wie informiert sich der Halterner? Die Frage „Wie informieren Sie sich?“ ließ vier Antworten zu: 80 Prozent nutzen vorrangig TV und Radio, immer noch 55 Prozent lesen die Zeitung, knapp gefolgt von „Gespräche führen“. Festzustellen war auch – und das war keine Überraschung –, dass sich die jüngeren Befragten eher über das Internet und im Fernsehen Informationen heraussuchen. So auch die Einschätzung von Hans Kirschbaum, Mitglied des Seniorenbeirats der Stadt Haltern am See: „Ältere Menschen informieren sich durch Zeitung, TV-Beiträge und Internet. Jüngere Menschen nutzen die Zeitung weniger, da geht die Information überwiegend über „neue Medien“; oft jedoch oberflächlich. Quer durch alle Altersgruppen gibt es mittlerweile auch viele Bürger, die Politik und Wahlen gleichgültig und desinteressiert gegenüberstehen.“ 37 Diskussionsrunden, Gespräche mit Gleichgesinnten, sind nicht zu vernachlässigen. Mehr als die Hälfte der Befragten holt sich danach Informationen bei Freunden, Kollegen und Verwandten. 37 Auszug aus dem Interview mit Hans Kirschbaum 87 Recht kritisch mit dem Informationsverhalten der Bürger geht Alt-Bürgermeister Erwin Kirschenbaum ins Gericht: „Ich denke, dass das Informationsverhalten der Menschen grundsätzlich zu wünschen übriglässt. Die Menschen informieren sich meist nur noch oberflächlich (Schlagzeilen-Informationen), sie interessieren sich nicht für die Hintergründe (auch Kommentare), warum etwas geschehen ist, und was man daraus schließen kann. Informationen aus dem Fernsehen werden selten abgerufen, glaube ich. Das Programm bietet durch die Vielfalt der Sender so viel buntes Seifenoper-Programm, dass die Informationen der Unterhaltung gewichen sind. Das war in Zeiten der 3-Programme anders. (…) Aber Gesprächsrunden, Stadtratsinformationen (Ratssitzungen) und andere Angebote, werden m.E. nur noch angenommen, wenn man selber direkt und unmittelbar betroffen ist.“ 38 38 Auszug aus dem Interview mit Erwin Kirschenbaum 88 Der Halterner und die Wahlen Wahlverhalten der Bürger Wahlverhalten In Haltern total 250 200 150 100 zu jung; 236 Wähler; 232 50 ab und zu; Nichtwähler; 13 13 keine Antwort; 7 0 Wähler ab und zu Nichtwähler zu jung keine Antwort Sind die 501 Teilnehmer der Fragebogenaktion Wähler? Regelmäßig? Ab und zu? Gar nicht? Sieben Befragte gaben keine Antwort (1 Prozent), je 13 (3 Prozent) wählen ab und zu oder gar nicht. 232 Personen (46 Prozent) geben ihre Stimme ab. Die Zahl ist so gering, weil sich unter den Befragten 236 junge Menschen befinden, die noch nicht wählen durften. Zwei von ihnen sind sich nicht sicher, ob sie das Wahlrecht nutzen wollen, fünf lehnen es ab. 42 Wahlberechtigte sind in der 89 Gruppe der 21- bis 40-Jährigen, 37 von ihnen sind Wähler, zwei nicht. Drei wählen „ab und zu“. 61 Fragebogenteilnehmer sind 41 bis 60 Jahre alt. Zwei antworteten nicht, vier zählen zu den Nichtwählern, fünf machen es vom Wetter, der guten Laune, der Gesundheit abhängig. Für sie ist Briefwahl keine Alternative. 141 Personen sind über 60 Jahre alt: 135 Wähler, 2 Nichtwähler, 3 sporadische Wähler, einmal keine Angabe. Wahlverhalten in Haltern In Prozentzu jung; Wähler; 50 47,1 46,3 40 30 20 10 0 90 ab und Nichtwäh zu; 2,6 ler; 2,6 keine Antwort; 1,4 Wahlbeteiligung beeinflusst Wahlergebnis Eine Fiktion Die Diskussion mit den Bürgern um die Notwendigkeit von Wahlbeteiligungen hat uns dazu getrieben, eine fiktive Wahl zu projizieren. Dazu haben wir nachfolgende Randbedingungen gewählt: Wahlberechtigt: 20.000 Bürger Parteien zur Wahl: A, B, C, D (D = Radikale) Wahlverhalten: Wahlbeteiligung sinkt bei A, B, C Partei D/Radikale: kontinuierlich: 2000 Wähler Berechnung: Einfaches Divisorverfahren ohne Berücksichtigung der Direktmandate Beispiel 1: 100 Prozent nehmen das Wahlrecht wahr; alle 20.000 nutzen ihr Wahlrecht. Wahlergebnis bei 100 % Wahlbeteiligung Partei A 10% 20% 40% Partei B Partei C 30% Radikale 91 Nach dem Berechnungsverfahren (ohne Direktmandate) entfallen bei 100 prozentiger Wahlbeteiligung die 38 Sitze wie folgt: A 8000 Stimmen = 15 Sitze, B 6000 Stimmen = elf Sitze, C 4000 Stimmen = acht Sitze und D 2000 Stimmen = vier Sitze. Beispiel 2: 80 Prozent der Wahlberechtigten geben ihre Stimme ab. Wahlergebnis bei 80 % Wahlbeteiligung Partei A 13% 37% 22% Partei B Partei C 28% Radikale Während nun die Wahlmüdigkeit bei A, B und C eintritt, mobilisiert D auch weiterhin die 2000 Wähler. Das Ergebnis sieht so aus: A 6000 Stimmen = 14 Sitze, B 4500 Stimmen = elf Sitze, C 3500 Stimmen = acht Sitze und D 2000 Stimmen = fünf Sitze 92 Beispiel 3: Die Wahlbeteiligung liegt noch bei 50 Prozent (10.000 Personen). Wahlergebnis bei 50 % Wahlbeteiligung Partei A 20% 35% Partei B Partei C 20% 25% Radikale Und es geht mit der Wahlbeteiligung noch weiter bergab – nur Partei D bringt seine Wähler wieder an die Urne. Das Ergebnis: A 3500 Stimmen = 13 Sitze, B 2500 Stimmen = zehn Sitze, C 2000 Stimmen = acht Sitze und D 2000 Stimmen = acht Sitze. Beispiel 4: Die Wahlbeteiligung singt weiter auf 40 Prozent (8000 Wähler). Die Talfahrt geht weiter bis auf 40 Prozent, erschreckende Ausmaße für A, B und C. Alle 2000 D-Sympathisanten geben wieder ihre Stimme für D ab. Und so sieht dann die Sitzverteilung aus: A 3500 Stimmen = elf 93 Wahlergebnis bei 40 % Wahlbeteiligung 25% 31% Partei A Partei B 19% Oartei C 25% Radikale Sitze, B 2000 Stimmen = zehn Sitze, C 1500 Stimmen = sieben Sitze und D 2000 Stimmen = zehn Sitze. Bewertung: Wenn die Wahlbeteiligung grundsätzlich abnimmt, die Wählerzahl bei einer Partei – D – aber durchweg stagniert, und ihre Wähler gültige Stimmzettel abgeben, dann verbessert sich das Ergebnis dieser einen Partei. Jede Stimme für eine der renommierten Parteien zählt, um radikale Kräfte – egal ob links- oder rechtsradikal – in ihre Schranken zu weisen. Anders ausgedrückt, so betont auch Michael Schindler (Wahlamt): „Bei einer geringen Wahlbeteiligung lassen lediglich die renommierten Parteien Federn. Nur die kleinen Parteien profitieren.“ Während einige resignierte Alt-Wähler überlegen, nicht mehr wählen gehen zu wollen, rechnen die jungen Leute: Ich muss mir genau überlegen, was ich will. Nicht 94 wählen zu gehen oder den Stimmzettel ungültig zu machen, bedeutet letztlich nicht viel anderes, als die Partei zu stärken, die ich keinesfalls wählen würde. Es ist eher unwahrscheinlich, die perfekte Partei für mich zu finden. Es gibt immer Verbesserungsvorschläge. Aber ich kann der Partei meine Stimme geben, die mir am ehesten zusagt. Oder wie es eine ältere Dame auf den Punkt brachte: „Dann entscheide ich mich für das kleinere Übel.“ 95 Frauenpower Politik ist keine Männerdomäne mehr? Sicher kein Witz, zumindest nicht für die Frauen in den ersten Jahren der Demokratisierung. Hedwig Himmelmann erinnert sich an ein Sprichwort, das damals – wenn auch versteckt – Gültigkeit besaß: „Frett di satt, und drink di dick, und halt die Muhl von Politik.“ Dass es erst seit „neuestem“ Frauen in der Politik gibt, stimmt nur statistisch bedingt. Bei unserer Zeitungsrecherche zu den Kommunalwahlen 1949 ist im nachfolgenden Artikel der Ruhr Nachrichten (18.12.1949) zu lesen: 96 „Lippramsdorf wählte wieder eine Bürgermeisterin Frl. Ita Völker-Albrecht einstimmig gewählt Nach den Bürgermeisterwahlen im Amt und im Kirchspiel Haltern fand gestern Nachmittag auch in Lippramsdorf eine Sitzung der Gemeindevertretung mit der Wahl des Bürgermeisters als Hauptpunkt statt. Lippramsdorf hatte bisher39 als einzige Gemeinde des Landes eine Bürgermeisterin, die sich im Laufe des vergangenen Jahres so viel Vertrauen in der gesamten Bevölkerung erworben hatte, dass sie gestern einstimmig wiedergewählt wurde (…)“ Erst 1969 stießen wir wieder auf einen Hinweis, dass „eine Frau in den Rat der Stadt“ gewählt worden sei, wie es der Auszug aus der Halterner Zeitung aufzeigt: „(…) Besonders erwähnt wird die einzige gewählte Ratsfrau als direkt gewählt: Frau Tochtrop“. Dann aber in 1984 wurde es im Halterner Rathaus nicht nur bunt, sondern auch weiblich. In der konstituierenden Sitzung des Rates erschienen erstmalig zur Sitzung drei „grüne Frauen“.40 39 Anmerkung der Autoren: Leider lagen uns aus den Jahren vor 1949 keine Zeitungskopien für eine Recherche vor. 40 Halterner Zeitung am 8.10.1984 97 1989 waren es die CDU-Damen, die „genau wissen, was sie wollen“41. Sixta Lehmacher, Ursula Kelders und Hedwig Himmelmann waren die neuen Ratsfrauen, die sich nicht nur als Politikerinnen sahen, sondern stolz auch darüber berichteten, dass sie sich als „Mütter, Haus- und berufstätige Frauen sehen, die das in das po0litische Geschehen einbringen wollen, was sie in der 41 Halterner Zeitung am 13.9.1989 98 Familie kennengelernt haben: Zuhören, jeden zu Wort kommen lassen, Streit ausfechten, Streit schichten, Kompromisse schließen, neue Lösungen finden und dabei auf einen guten Umgangston achten.“ Die Damen im Halterner Rat machten schon damals ihre Sichtweisen zu aktuellen politischen Themen klar: „Ein entschiedenes Ja zum Kind, mit dem Versprechen, in Not geratenen Frauen jede Hilfe anzubieten. Ein Kindergartenplatz für jedes Kind ab drei Jahre, ein JugendCafé, Einbindung der älteren Generation in die Familien, solange es möglich ist, konsequente Umweltpolitik im Haushalt und die Pflege von Traditionen.“ 1994 waren es bereits zwölf Frauen, die in ihren Fraktionen den weiblichen Blick einbrachten: „12 x Frauenpower für die Halterner Kommunalpolitik“.42 Die Zeit, dass Frauen in der Politik und im Halterner Rathaus eine Ausnahme darstellten, ist längst Vergangenheit. Heute treten die Politikerinnen selbstbewusst als Fraktions- und Ausschussvorsitzende oder als Bürgermeisterkandidatinnen auf. Wie bereits bei der Seniorenpolitik vorgestellt, übernehmen immer mehr Vereine eine Art Lobbyarbeit für ihre Mitglieder, in diesem Fall für die Frauen. Eine der größten Organisationen für Frauen in Haltern am See ist die kfd (Katholische Frauengemeinschaft Deutschland), die in allen Kirchengemeinden vertreten ist. 42 Halterner Zeitung am 18.10.1994 99 Vor 156 Jahren als „Mütterverein“ gegründet, entwickelte sich die kfd zu einer Organisation, die sich für Frauen stark macht. In den vergangenen 30 Jahren erreichte sie oder wirkte mit bei: 1986 erstes Bundeserziehungsgeldgesetz, 1990 Leitfaden zur Gründung eines Frauenhauses, 1992 Anerkennung von Erziehungsleistungen in der Rente, 1995 Pflegeversicherung mit Leistungen für pflegende Angehörige, 1997 Vergewaltigung in der Ehe wird strafbar, 2001 aus Erziehungsurlaub wird Elternzeit, 2004 Rentenmodell der katholischen Verbände, 2009 Mütterkuren werden Pflichtleistungen der Krankenkassen, seit 2011 Aktionen zum Equal-PayDay (Gleichbezahlung von Männern und Frauen), 2013 Notrufnummer für von Gewalt betroffene Frauen, 2014 „Mütterrente“. Die Geselligkeit kommt nicht zu kurz, neben Vorträgen, Seminaren steht Alltägliches auf dem Programm: Singund Musizier-Tage, Krimi-Running-Dinner, Ausflüge, Radtouren, Spiele-Abende, Theaterbesuche, Märchennachmittage, „Fit von Kopf bis Fuß“, Karnevalsfeiern… Bei den größeren Parteien in Haltern haben sich – vergleichbar der Senioren Union – Frauenorganisationen herausgebildet, die sich im Rahmen ihrer jeweiligen 100 Parteiprogramme speziell um Fragen von Frauenförderung und die politische Bildung von Frauen kümmern. Angela Berkel von der CDU: „Wir brauchen Frauen in der Politik“ 43 in einem Interview mit der Halterner Zeitung. Das sieht ihre Kollegin, Anne Feldmann von der SPD, genauso.44 Marlies Breuer von der WGH beschreibt die Besonderheit der Politik von Frauen als „leiser, aber auch nachhaltiger“ 45. Sie erlebt dabei Männer, die meist „forscher an Themen herangehen als Frauen. Und, wenn es mal nicht klappt, wird die Sache beiseitegelegt (…) Das Klima im Halterner Stadtrat bezeichnet sie „im Allgemeinen als sehr gut“. Sie alle weisen darauf hin, dass immerhin 16 der 45 stimmberechtigten Sitze im Stadtrat Halterns an Frauen vergeben sind. Bürgermeister Bodo Klimpel in einer CDU-Fraktionssitzung: „Über junge Anwärter für unsere Parteiarbeit können wir uns nicht beklagen, aber über mehr weibliche Mitglieder würden wir uns auch freuen.“ 46 43 Interview mit Angela Berkel, Halterner Zeitung vom 12.7.2016 Interview mit Annegret Feldmann, Halterner Zeitung vom 10.8.2016 45 Interview mit Marlies Breuer, Halterner Zeitung vom 27.7.2016 46 Fraktionssitzung am 24.10.2016 44 101 102 Hat die Demokratie in Haltern eine Zukunft? Fragen an den Bürgermeister Sie waren spontan bereit, die Schirmherrschaft über das Projekt „Demokratie (er)leben“ zu übernehmen. Welche Erwartungen hatten Sie an das Projekt – und sehen Sie sie erfüllt? In erster Linie bin ich davon ausgegangen, dass sich möglichst viele Halterner Bürgerinnen und Bürger daran beteiligen, und dass sie sich darüber bewusst sind, in welch guter Demokratie wir in Deutschland seit 1945 leben. Dazu gehört auch, dass ich überzeugt war, dass viele Halterner ihre Meinung kundtun. Das ist aus meiner Sicht ein sehr positives Merkmal unserer Bevölkerung. Wir Halterner sind sehr diskussionsfreudig. Mich interessiert es schon, wie in unserer Stadt die Demokratie erlebt wird. Eine große Mehrheit aller befragten Bürger weist in ihren Antworten darauf hin, dass sie mit ihrem Bürgermeister, also Ihnen, sehr zufrieden sind. Man spart in den Interviews nicht mit Lob. Wie fühlen Sie 103 sich bei so viel Anerkennung in der Halterner Bevölkerung? Natürlich freue ich mich darüber. Aber ich weiß auch, dass dies kein Grund ist, sich auszuruhen. Mir ist bewusst, dass ich auch Entscheidungen treffen muss, für die nicht 100 Prozent der Menschen Beifall klatschen. Dazu gehören auch manch kritische Auseinandersetzungen, die wir fair austragen sollten. Ich jedenfalls werde meinen Beitrag dazu leisten. Auch wenn sich viele Befragte insgesamt positiv zur Politik in Haltern am See äußern, gibt es Kritiker zum Beispiel rund um die Baupolitik. Es hat sich ein Misstrauen gegenüber den verantwortlichen Politikern aufgebaut: für zu wenig Transparenz, zu späte Information. Können Sie diese Vorwürfe entkräften? Mir fällt spontan die teils heftige und ins Persönliche gehende Diskussion zum Thema Windkraft ein, in der die Gegner der Verwaltung und Politik Intransparenz und zu späte Informationen vorwerfen. Das teile ich nicht, denn das prall gefüllte 104 Zeitungsarchiv und auch unsere Akten belegen das Gegenteil. Viele Leute, die uns das vorwerfen, verwechseln etwas Grundlegendes: Sie wollen, dass nur ihre Vorstellungen realisiert werden, wenn nicht, haben andere nicht oder schlecht informiert und waren intransparent. An dieser Diskussion werden aber zwei entscheidende Punkte unseres gesellschaftlichen und politischen Lebens deutlich. Wir müssen uns erstens an Recht und Gesetz halten, zweitens nehmen wir die Demokratie und damit die Mehrheitsentscheidungen ernst und treten nicht nach. Bei den Bauprojekten zum Beispiel „Nordwall“ oder „Stadtmühlenbucht“ fühlen sich einige Kritiker nicht richtig eingebunden, nicht informiert. Selbst, wenn sie zur entsprechenden Ausschusssitzung eingeladen werden, denken sie, dass „alles bereits entschieden“ sei oder ihre Meinung nicht zähle. Wie kann die Politik der fehlenden Transparenz begegnen? Es fehlt keine Transparenz. Auch hier gilt das gerade Gesagte. Und: Wenn Sie die angedachte Bebauung am Nordwall/Rekumer Straße ansprechen, stelle ich fest, dass es eine öffentliche und gut besuchte Sitzung des Stadtentwicklungs- und Umweltausschusses gegeben hat. Hier sind Für und Wider möglicher Konzepte angesprochen worden, entschieden ist nichts. Wie können Sie hier von fehlender Transparenz reden? Für die Stadtmühlenbucht stelle ich fest, dass es klare Mehrheiten für das Projekt gibt. Auch hier greifen die Vorwürfe 105 nicht, wohl noch nie hat es zu einem anderen Projekt so viele Bürgerinformationen gegeben. Ein Vorwurf an die Politiker lautet, sie könnten sich als „Schreibtischtäter“ nicht in die Lage der Betroffenen hineinversetzen. Beispiele: Radwege, schöne, aber unwegsame Innenstadt, zu kurze Schaltzeiten an Ampeln. Wie gehen Sie vor? Unsere Politiker sind als Teil der Gesellschaft in die jeweiligen Parlamente gewählt worden, sind keine Schreibtischtäter. Natürlich weiß ich auch, dass bei uns nicht jeder Radweg in einwandfreiem Zustand ist. Mir ist auch klar, dass nicht differenziert wird, ob Land, Kreis oder Stadt jeweils zuständig sind. Wir sollten aber auch hier den Ball flach halten, wir haben, wie uns die zahlreichen Touristen stets bescheinigen, eine sehr gute Infrastruktur in unserer Innenstadt und in der Umgebung. Nicht selten begründen befragte Bürger ihr Desinteresse an Politik und ihren Vertrauensverlust mit „Vettern- und Klüngelwirtschaft“ auf. Diese Vorwürfe gibt es bei der Diskussion um Baumaßnah- 106 men, aber auch rund um die Abwahl des Ersten Beigeordneten Hans-Josef Böing. Wie kann der negative Eindruck revidiert werden? Das ist zu kurz gegriffen. Vorhin hieß der Vorwurf, alles sei vorher schon entschieden. Nun hat die Ratsmehrheit sich gegen meinen Vorschlag und damit gegen eine weitere Amtszeit von Hans-Josef Böing entschieden. Eine Entscheidung, die ich bedauere, die eben nicht vorher klar war. Ansonsten empfehle ich allen, die gern von „Vettern- und Klüngelwirtschaft“ reden, sich aktiv einzubringen. Unsere demokratischen Parteien freuen sich alle, wenn sie mehr Menschen haben, die sich engagieren und aktiv mitgestalten möchten. Viele ältere Menschen wünschen sich eine intensivere Jugendpolitik, „Politiker machen zu wenig für die Jugendlichen“. Die jungen Leute selbst erwarten – schon in der Schule - von der Politik mehr Informationen, mehr Austausch Könnten Sie sich vorstellen, dass man gemeinsam mit den Schulleitern ein regelmäßiges Politikforum (mit allen im Rat vertretenen Fraktionen) in den Schulen einrichten könnte? Das höre ich gern, wenn sich Ältere für die Jugend stark machen. Mir ist allerdings der Vorwurf zu pauschal, denn wir machen eine Menge. Natürlich könnte es – bei einer besseren Finanzlage – gerne noch mehr sein, vergessen Sie aber nicht, dass sich alle Ratsfraktionen darüber einig sind, in unsere Jugend und gerade auch in unsere Sportvereine zu investieren, die eine breitgefächerte und sehr gute Jugendarbeit leisten. Hier freue ich 107 mich über diesen Konsens. Natürlich könnte ein Forum, wie Sie es ansprechen, durchaus belebend sein, um sich besser auszutauschen und sich kennenzulernen. Genau deshalb treffe ich mich regelmäßig mit den Schülersprechern der weiterführenden Schulen zum Gespräch. Glauben Sie, einen aktiven Jugendbeirat in Haltern installieren zu können? Ich denke, wir sind hier längst gut aufgestellt, denn wir haben im Rat einstimmig festgelegt, dass diesbezüglich alle Aktivitäten um Themen wie Jugendparlament oder Jugendforum bei der AG 78, der Arbeitsgemeinschaft Jugendarbeit, gebündelt werden. Die Wahlbeteiligung in Haltern am See ist verglichen mit anderen Gemeinden relativ hoch, wenn auch geringer als in früheren Wahlperioden. Denken Sie, dass wir rechtsradikale Einflüsse in Haltern verhindern oder begrenzen können? Für mich ist es positiv, dass unsere Wahlbeteiligung noch relativ hoch ist, natürlich würde ich mich über noch bessere Werte freuen. Und selbstverständlich wünsche ich mir, dass wir als Halterner Gesellschaft die rechtsradikalen Einflüsse auch weiterhin möglichst geringhalten 108 können. Hier stelle ich fest, dass ein Großteil unserer Bürgerinnen und Bürger sehr eindeutig für die Demokratie eintreten, sich gegen den Extremismus auflehnen. Ebenso positiv ist für mich, dass sich unsere Schulen hier sehr gut engagieren. Im Grußwort unseres Buches sagen Sie, wie wichtig für uns alle Demokratie ist. Glauben Sie, dass wir in Haltern am See nach diesen demokratischen Regeln leben und wirken? Ja, natürlich, das wird schon an den von Ihnen angesprochenen Themen deutlich, um die gestritten worden ist und auch noch wird. Wir stellen insgesamt fest, wie stark unsere repräsentative Demokratie ist, mit der wir seit über 70 Jahren leben. Erinnern wir uns an die Geschichte, um uns klar zu machen, dass andere Staatsformen nicht dazu taugen, die Grundrechte, auf die wir stolz sind, so zu achten. 109 Was halten Sie von einem Nachfolgeprojekt, um Nachhaltigkeit zu erzielen. Wie könnte dies Ihrer Meinung nach aussehen? Da bin ich noch ein wenig zurückhaltend, ob das zielführend ist. Natürlich will ich es nicht schlecht reden, wichtiger erscheint mir allerdings, dass wir weiterhin dafür eintreten müssen, unsere Demokratie und das Bewahren des Grundgesetzes zu schützen. 110 Ausgewählte Interviews Wir haben in der Zeit von Juni bis Oktober 2016 viele junge und ältere Mitbürger interviewt. Hier stellvertretend für alle einige Beispiele: Sara Deitermann (20 Jahre) Als Studentin der Sozialwissenschaften und wahlberechtigte Bürgerin Halterns werden Sie sich sicher mit dem Begriff der „Demokratie“ auseinandergesetzt haben. Was sind für Sie die wichtigsten drei Merkmale einer funktionierenden Demokratie? Ich finde, dass die Regierung und politische Wahlen durch das Volk bestimmt werden müssen. Dazu gehören eine Transparenz und Bürgernähe, so dass der Bürger und gleichzeitig Wähler einen Überblick über das politische Geschehen hat und sich aktiv einbringen kann. Dazu gehört aber auch eine Meinungsund Pressefreiheit. Was fällt Ihnen am Wahlverhalten Ihrer Mitmenschen auf? Ich bemerke ein größeres Interesse an Lokalpolitik, da Auswirkungen direkt spürbar sind, dafür aber weniger Interesse an beispielsweise EU- Wahlen, da diese Politik weiter weg erscheint und es (auf den ersten Blick) weniger Berührungspunkte gibt - zum Teil keine Identifikation mit EU- oder Bundestagwahlen und der Eindruck, dass die eigene Stimme bei großen Wahlen eher marginal ist. 111 Als Studentin fällt mir auf, dass es hier an der Uni größeres Politikinteresse und viele verschiedene Meinungen gibt als anderswo. Aber zum Teil werden hier auch extreme und kleinere Parteien unterstützt. Was mir bei den Menschen auch meiner Altersstufe auffällt, ist eine wachsende Politikverdrossenheit. Was wünschen Sie sich denn dazu? Ich wünsche mir Kampagnen zu mehr politischem Verständnis, z.B. Erklärung der Wahlprogramme oder Inhalten der Partei plus Auswirkungen für Bürger und generelle Erklärung des politischen Systems in der Bundesrepublik Deutschland. Ich wünsche mir aber auch mehr Bürgerentscheide auf Kommunalebene, sodass der Bürger sich seinem Einfluss bewusst wird. Wie sehen Sie das Informationsverhalten Ihrer Mitmenschen? Informieren sich die Menschen heute noch? Gibt es noch politische Gesprächsrunden? Zunächst erkenne ich, dass auf jeden Fall ein Interesse vorhanden ist, hauptsächlich für Informationen aus dem TV und der Zeitung. Bei spezifischen Interessen wird das Internet mit einbezogen. Hier an der Uni wird das Interesse eher geschürt durch politische Vorlesungen und eine politische Präsenz – ich denke da an Aufrufe gegen CETA und TTIP – gestärkt. So gibt es im Uni-Bereich eigene Parteien und politische Gruppierungen. 112 Was mir an meiner Heimatstadt Haltern imponiert, sind die Gesprächsveranstaltungen der Parteien und Gesprächsrunden zu umstrittenen Vorhaben, wie z.B. der Forensik. Man will das politische Interesse der Bürger – meist zu Wahlen – wiedererwecken. Was gefällt Ihnen an der Halterner Lokalpolitik, was weniger? Aus meiner Sicht wird viel Seniorenarbeit betrieben, dafür aber zu wenig für Kinder und Jugendliche getan. Ich vermisse eine deutlichere Abgrenzung der einzelnen Parteien untereinander, vor allem, weil klare Parteiprogramme und deren politischen Ziele für Haltern am See nicht bekannt sind. Dafür kann man aber einen guten Informationsfluss erkennen. Ich sehe dabei auch die Vorteile einer Kleinstadt. Unser Bürgermeister Klimpel ist sehr präsent und nicht wie in Großstädten unnahbar. Glauben Sie, dass Demokratie in Haltern großgeschrieben wird? Kennen Sie Beispiele demokratischen Handelns im privaten Umfeld? Was läuft für Sie undemokratisch in Haltern? Haltern ist für mich so demokratisch wie andere Städte auch, eben ans demokratische System angepasst. Es gibt keine großen Änderungsmöglichkeiten; Entscheidungen sind systembedingt, vieles wird auf höheren Ebenen entschieden. Zu unserem Projekt: Was erwarten Sie persönlich von unserem Projekt, dem Abschlussforum und dem Buch „Die Seestadt (er)lebt die Demokratie?“ 113 Welche Stichworte fallen Ihnen noch ein zum Thema „Demokratie (er)lebe in Haltern am See“? Ich hoffe, dass Sie eine Erklärung der Politik für die Bürger finden und die Einflussmöglichkeit der Bürger erläutern. Ich erwarte, dass Sie die Bürger zu allgemeinen Themen und Wünschen, die Stadt betreffend, befragen. *** Manuel Gurzny (33 Jahre) Sie decken ein sehr breites politisches Interessensgebiet ab und haben sich darüber hinaus intensiv mit dem Begriff „Demokratie“ auseinandergesetzt. Was sind für Sie die wichtigsten Charakteristika bei einer gelebten Demokratie? Demokratie fängt für mich bereits im Kleinen an. Ich denke dabei an unser Stadtbild. Es ärgert mich kolossal, das gewisse Altbauten wie z.B. in der Nähe des Siebenteufelsturms, ohne Wissen der Bevölkerung abgerissen werden. Wir würden uns für das alte Stadtbild entscheiden, das Haltern auch für Touristen so attraktiv macht. Demokratie im Kleinen bedeutet für mich auch, mehr Transparenz in die Tagespolitik zu bringen durch regelmäßige Bürgerforen mit unserem Bürgermeister und dem Stadtparlament. Ich denke dabei nicht an die Stadtratssitzungen, an denen wir teilnehmen dürfen. Vielmehr sollten Themen direkt und überparteilich mit den Bürgern diskutiert werden. Das wäre für mich eine echte, demokratische Bürgerbeteiligung. 114 Was fällt Ihnen am Wahlverhalten Ihrer Mitmenschen auf, und was würden Sie tun, damit sich mehr Menschen für Politik und Wahlen begeistern? Meine ersten Erfahrungen mit Politik und Wahlen hatte ich bereits in meiner Familie sammeln können. Dort war und ist es eine Selbstverständlichkeit, sich für Politik zu interessieren und zu allen Wahlen zu gehen. Stolz waren meine Eltern und ich dann auch, dass das Bundespräsidialamt die Patenschaft – wir sind zu sieben Kindern in der Familie – übernommen hat. Für mich ist es eine Pflicht, als Demokrat auch wählen zu gehen. Was meine Freunde und Bekannten angeht, glaube ich eher an ein verhaltenes Interesse an Wahlen. Viele denken, dass man eh nichts bewirken könne. Wie sehen Sie Ihr Informationsverhalten und das Ihrer Mitmenschen? Wenn ich mit mir selber anfange, und ich spreche sicher für die meisten jungen, politikinteressierten Menschen, favorisiere ich Informations-Apps (breaking news), die einen ständig über neueste Entwickelungen informieren. Andererseits bin ich noch richtig vernarrt in Papier. Ich brauche das Rascheln einer Zeitung beim Lesen. Das bevorzugen sicher die meisten älteren Bürger auch, vermute ich. Andere, meist jüngere Menschen, informieren sich angeblich über das Internet. Das glaube ich aber nicht immer. Für manche ist das auch nur ein Pseudo-Argument, um nicht dumm dazustehen. Was die Gesprächsrunden angeht, so vermisse ich die alten Elefanten-Runden, die es momentan höchstens 115 noch kurz vor den Wahlen gibt. Hier würde ich mich über mehr Kontinuität freuen. Was gefällt Ihnen – oder auch nicht – an der Halterner Lokalpolitik? Haben Sie Beispiele für demokratisches Handeln im privaten Umfeld? Für mich wird in Haltern Demokratie auch im Kleinen gelebt. Das kann man im Alltag beobachten, wenn Menschen anderen Menschen helfen, sei es beim Koffertragen am Bahnhof oder in der Nachbarschaft. Auch steht für mich Haltern vorbildlich da, was das Zusammenleben mit Flüchtlingen und Asylanten angeht. Das ist für ein Stückweit Demokratie. Ich finde, hier machen unser Bürgermeister, die Politik und die Verwaltung einen guten Job, denn sie schaffen den nötigen Spielraum dafür. Was das demokratische Verhalten im Stadtparlament angeht, so habe ich da nur wenig persönliche Erfahrungen. Beobachten kann man aber auf jeden Fall, dass alle Politiker zwar kritisch, aber immer fair miteinander umgehen. Zu unserem Projekt: Was erwarten Sie als Halterner von unserem Projekt, dem Abschlussforum und dem Buch „Die Seestadt (er)lebt die Demokratie“? Ich bin total gespannt auf alle Ergebnisse Ihres Projektes und glaube fest daran, dass es die Auseinandersetzung der Bürger, junge und alte, mit politischen Themen fördern wird. Sehr interessiert bin ich auch daran, zu erfahren, ob es unterschiedlich Meinungen zur Demokratie in Haltern zwischen Jung und Alt gibt. 116 Erwin Kirschenbaum (68 Jahre) Als ehemaliger Bürgermeister von Haltern haben Sie sich nicht nur mit den alltäglichen Politik-Belangen befasst. Sie haben sich intensiv mit dem Begriff „Demokratie“ auseinandergesetzt. Wenn Sie sich für drei Charakteristika entscheiden müssten, welche wären es? Gibt es Beispiele aus Ihrer aktiven Politikerzeit? Demokratie bedeutet für mich auch, dass man in der Politik und im Alltagsleben an der richtigen Stelle etwas sagt und nicht verschweigt. Die häufig angepriesene Transparenz in der Politik muss mit Leben gefüllt werden – das ist leider nicht immer so. Wenn ich mich in der Politik engagieren möchte, muss ich mir die Partei suchen, mit der ich mindestens zu 51 Prozent übereinstimme. 100 % Übereinstimmung mit allen Facetten einer Partei ist dagegen illusorisch. Selbstverständlich sind in einer Demokratie Koalitionen möglich, manchmal gewünscht und akzeptabel, doch sollten die einzelnen Parteien darüber nicht ihre eigene Identität aufgeben, nur um an der „Macht teilhaben zu können“. Ab und zu sollte man „Kante zeigen“. Was fällt Ihnen am Wahlverhalten Ihrer Mitmenschen auf? Wie würden Sie auf die Menschen einwirken, um sie mehr für Politik und die Wahlen zu begeistern? 117 Die Bereitschaft der Menschen zur Wahl zu gehen, ist bei einigen der letzten Wahlen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gesunken, was für mich als Demokraten sehr schwer nachzuvollziehen ist. Wer unzufrieden ist, sollte versuchen, Veränderungen herbeizuführen; in einer parlamentarischen Demokratie ist die Wahl das entscheidende legitime Mittel dazu! Eine Gefahr sehe ich in der Tatsache, dass manche den Ausbau der Demokratie nur durch Wahlen verstanden wissen wollen. Das ist falsch. Demokratie lebt von Vorbildern, sowohl privat als auch in der Politik, vom Einüben der demokratischen Verhaltensweisen wie der Austausch von Argumenten, Zuhören zu können, ein sachliches Streitgespräch zu führen, Argumente mit innerer Überzeugung zu präsentieren und vieles mehr. Die beste Methode, Menschen frühzeitig an Politik und die Demokratie heranzuführen, ist Bildung und Erziehung; Schon in der Schule sollten demokratische Verhaltensweisen eingeübt werden. Hier ist im Bildungsbereich sicherlich noch Luft nach oben. Auch hier, bei der Erziehung zur Demokratie, spielt die gelebte Vorbildfunktion eine große Rolle. 118 Wie sehen Sie Ihr Informationsverhalten und das Ihrer Mitmenschen? Informieren sich die Menschen heute noch, z.B. über die Zeitung, TV oder Internet? Gibt es noch richtige politische Gesprächsrunden? Ich denke, dass das Informationsverhalten mancher Menschen grundsätzlich zu wünschen übriglässt. Diese Menschen „informieren“ sich meist nur oberflächlich (Schlagzeilen-Informationen), sie interessieren nicht für die Hintergründe (auch Kommentare), warum etwas geschehen ist, und was man daraus schließen kann. Das Fernsehprogramm bietet durch die Vielfalt der Sender so viel buntes Seifenoper-Programm, dass die Informationen fast komplett der Unterhaltung gewichen sind. Politische Sendungen mit hoher Erkenntnisqualität gibt es leider zu selten. Journalisten sollten da manchmal die Politik härter anfassen. Was Gesprächsrunden angeht, so denke ich, dass wir in Haltern noch gut unterwegs sind, wenn ich zum Beispiel an die monatlichen Gesprächsrunden der SPD erinnere. Aber Gesprächsrunden, Stadtratsinformationen (Ratssitzungen) und andere Angebote, werden vielfach nur noch angenommen, wenn man selber direkt und unmittelbar betroffen ist. Was gefällt Ihnen (oder nicht) an der Halterner Lokalpolitik? Was könnte besser laufen? Was sollte geändert werden? War früher „alles besser“? Sehen Sie Parallelen zur heutigen Zeit? 119 Informationspolitik könnte verbessert werden! Das gilt nicht nur aus der Politik heraus an den Bürger, sondern auch intern: Verwaltungsentscheidungen werden oft zu spät und reichlich ungern an die Politik weitergegeben. Ich wünschte mir – für die Verwaltung aber auch für die heutige Politik – besseren und zeitnäheren Gedankenaustausch zwischen den handelnden Personen, sprich „Teamwork“. Früher war nicht alles besser. So habe ich neben guten und sehr guten Erinnerungen an 100 % loyale Mitarbeiter in meiner Zeit als Verwaltungschef, auch andere Erfahrungen mit den „Beinchen-Stellern“ gemacht. In der Politik müssen eigene Interessen, Profilierungen und Karrieredenken zurückgefahren werden, um gemeinsame erfolgreiche Stadtpolitik machen zu können. Das war und ist aber leider nicht immer möglich, weil Menschen die Politik machen! Man sollte als Demokrat kompromissbereit sein auf einer sachlichen Basis und nicht die Fronten noch mehr verhärten! Glauben Sie, dass Demokratie in Haltern großgeschrieben wird? Kennen Sie Beispiele demokratischen Handelns im privaten Umfeld? Wir laufen in eine „Individualisierung der Gesellschaft“, manche sehen in erster Linie nur noch sich. Diese Entwicklung scheint sich über die Generationen hinweg stärker auszuprägen. Der Sozialgedanke, das Miteinander mit den Schwächeren der Gesellschaft, eine der Grundlagen für das Funktionieren einer Demokratie, ist leider in manchen Bereichen auf dem Rückzug. 120 Wie gesagt, für mich lebt eine Demokratie – auch bereits in Familien, Freundes- und Kollegenkreisen – durch eine Vorbildfunktion. Das heißt im Klartext, man muss auch andere Menschen, trotz unterschiedlicher Meinungen, Kulturen und Religionen, so akzeptieren, wie sie sind. Im Umkehrschluss bedeutet das Nichtakzeptieren dieser Menschen ein undemokratisches Verhalten. Zu unserem Projekt: Was erwarten Sie persönlich von unserem Projekt, dem Abschlussforum und dem Buch „Die Seestadt (er)lebt die Demokratie“? Ich begrüße das Projekt von ganzem Herzen. Ich verspreche mir davon, recht gute Hinweise auf die Weiterentwicklung der Demokratie zu erhalten. Was muss noch getan werden, was muss sich ändern? Auch erwarte ich, dass das Projekt dabei hilft, sein eigenes Verhalten zu überprüfen oder sogar zu ändern. *** Christian Rüdiger (87 Jahre) Sie haben in Ihrem Leben viel erlebt, so auch in der Politik. Wie haben Sie den Wandel der Demokratie seit Gründung der BRD erlebt? Als 18-Jähriger habe ich bereits fast alle Ratssitzungen besucht, in den 50-er und 60-er Jahren habe ich als sachkundiger Bürger der Zentrumspartei ohne Parteibuch teilgenommen. 121 In der gesamten Zeit, die ich die Politik und die Verwaltungsarbeit in Haltern verfolge und früher selbst mitgestaltete, habe ich viel Negatives erlebt. Dabei habe ich die Politik als Parteibuchpolitik kennengelernt (Ämtervergabe nach Parteibuch, Korruption bei Bau- und Grundstücksvergaben und Zuschustern von öffentlichen Aufgaben). Meines Erachtens hat sich das bis heute noch nicht in Gänze geändert. Was hat sich inzwischen geändert? Demokratie muss gelebt werden, in Politik und Alltag. Leider machen es uns die Politiker nicht leicht, daran zu glauben. Vieles hat sich also nicht geändert. Zuhause haben wir in der Familie mit fünf Kindern stets offene politische Diskussionen geführt; als später die Freunde dazu kamen, wurde die politische Vielfalt noch bunter. Es wurde heiß diskutiert, mal konnten wir einen gemeinsamen Nenner finden, mal nicht. Demokratie am Tisch des kleinen Mannes. In vielen Familien finden konstruktive (Politik-) Gespräche nicht mehr statt. Keine Zeit, keine Lust, kein Vertrauen, Resignation. Wird das weiter vorgelebt, geht die Demokratie baden. Durch die Jugendarbeit, in die die ganze Familie eingebunden war, waren wir von so manch für uns unverständlicher politischer Entscheidung direkt betroffen. Einzelne Politiker machten sich sogar in der Öffentlichkeit für (nicht nur) Jugendinteressen stark, beugten sich bei der Abstimmung dann aber dem Partei-/Fraktionszwang. 122 Mein Traum ist es, dass wir Bürger nicht mehr Parteien, sondern ausschließlich die Ratsfrauen und Ratsmänner nach ihren Fähigkeiten und ihrem Charakter wählen. Da wir in der Politik aber Koalitionen brauchen, werden wir das System wohl nicht ändern können. Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie mit der heutigen Politik? Ich ärgere ich mich über das Desinteresse der Menschen an Politik, den Wahlen und damit an der Demokratie. Aber eine schlechte Demokratie ist besser als alle anderen Staatsformen. Glauben Sie, dass Demokratie in Haltern großgeschrieben wird? Noch nicht, dazu muss sich noch das ein oder andere ändern, zum Beispiel das Mitspracherecht der Bürger bei wichtigen politischen Vorhaben und städtischen Baumaßnahmen. Dann sollten die Menschen erkennen, dass sie zur Wahl gehen müssen, um Veränderungen herbeizuführen. Hinterm Ofen entsteht keine Demokratie. 123 Hans Kirschbaum (70 Jahre) Als aktiver Bürger Halterns und Mitglied des Seniorenbeirats haben Sie sich nicht nur mit den alltäglichen Belangen in der Halterner Politik befasst, darüber hinaus haben Sie sich intensiv mit dem Begriff der „Demokratie“ auseinandergesetzt! Zuerst einmal gehöre ich keiner Partei an, und das wird sich definitiv auch in Zukunft nicht ändern. Vor zwei Jahren wurde ich in den Seniorenbeirat gewählt; ohne vorherige aktive Politikerzeit! Ich hatte vor der Wahl deutlich gemacht, dass ich die Aufgaben im SBR als Bürger für Bürger unserer Stadt wahrnehmen möchte; parteiunabhängig! Charakteristika zum Begriff „Demokratie“ sind für mich Herrschaft des Volkes (analog zur Begriffsbestimmung), Staatsform mit einer Verfassung, die persönliche und politische Rechte garantiert, freie Wahlen, unabhängige Gerichte, Leben in Freiheit, freie Meinungsäußerung. Was fällt Ihnen am Wahlverhalten Ihrer Mitmenschen auf? Wie würden Sie auf die Menschen einwirken, um sie mehr für Politik und die Wahlen zu begeistern? In den letzten Jahren ist die Wahlbeteiligung gesunken. Die Menschen sind Parteien gegenüber häufig gleichgültig („Die da oben machen sowieso, was sie wollen.“), und viele gehen nicht zur Wahl. Andere jedoch leben nach dem Slogan: „Wer nicht zur Wahl geht, der darf hinterher auch nicht meckern!“ 124 Einige Bürger gehen unbedarft mit dem Recht auf freie Wahlen um. Ein Beispiel aus der Vergangenheit: Am Wahlsonntag kommt eine Familie mit zwei wahlberechtigten Kindern eine Minute vor Schließung ins Wahllokal. Obwohl durch die Stadt mehrfach informiert (Presse, Wahlschein usw.) hatten sie nicht mitbekommen, dass sich der Ort ihres Wahllokales geändert hatte. „Wir waren in der Vergangenheit doch immer hier zur Wahl!“ Also wollten sie unbedingt die Stimmenzettel im nun „falschen“ Wahllokal ausfüllen, was nicht möglich war. Es war keine Zeit mehr, das richtige Wahllokal aufzusuchen, und so gingen vier Menschen ohne Stimmabgabe wieder heimwärts. Die Schuld sahen sie aber klar auf Seiten der Stadt, die dann ihre Stimmen nicht mehr bekommen konnte. „Da haben die halt Pech gehabt!“, war der Tenor beim Verlassen des Wahllokals. Was kann ich unternehmen, um Politik- und Wahlverdrossenheit zu ändern? Versuchen, die Menschen individuell (nicht nur) vor Wahlen zum Beispiel auf der Straße, im Café, an der Bushaltestelle, im Wartezimmer der Mediziner (da unterhalten sich die Leute kaum, wenn ich nicht gerade dabei bin), am See und bei Freizeitaktivitäten aller Art gezielt anzusprechen, ihre Probleme zu diskutieren und an die entsprechenden Mitarbeiter der Stadt usw. weiterzuleiten. Nicht mit allgemeinen politischen Floskeln diskutieren! Wie sehen Sie Ihr Informationsverhalten und das Ihrer Mitmenschen? Wie informieren sich die 125 Menschen heute? Gibt es noch richtige politische Gesprächsrunden? Ältere Menschen informieren sich durch Zeitung, TVBeiträge und Internet. Jüngere Menschen nutzen die Zeitung weniger, da geht die Information überwiegend über „neue Medien“; oft jedoch oberflächlich. Quer durch alle Altersgruppen gibt es mittlerweile auch viele Bürger, die Politik und Wahlen gleichgültig und desinteressiert gegenüberstehen. Ich informiere mich über die Tages- und Wochenzeitung, im Hörfunk, und in politischen Magazinen im TV. Eine weitere Informationsquelle ist das Internet. Sobald ich einen meiner drei E–MailAccounts öffne, gibt’s zahlreiche Hinweise und Berichte zum aktuellen Tagesgeschehen. Die Homepage unserer Stadt wird von mir täglich nach Neuigkeiten aus dem Rathaus abgegrast. *** Hedwig Himmelmann (80 Jahre) „Demokratie heißt für mich, freiheitlich leben.“ Sie gehören zu den Zeitzeugen, haben Sie doch den Wandel der Demokratie seit Gründung der BRD miterlebt. Erinnern Sie sich? 1936 geboren habe ich den Nationalsozialismus als Kind erlebt. Und lernen müssen, wann Menschen nicht sagen dürfen, was sie sagen wollen. Zuhause haben wir viel und offen diskutiert. Mein Onkel hat mit der Decke überm Kopf BBC gehört. Er hat auch einen russischen 126 Kriegsgefangenen mit nach Hause genommen und gesagt: „Der soll sich erst mal einmal satt essen.“ Die Menschen waren schockiert, was bei Hitler passierte. Dabei hatten sie ihn in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit 1931 als „starken Führer“ gewählt. Es wurde nicht öffentlich propagiert, dass das Hab und Gut der Juden beschlagnahmt wurde, aber wir bekamen das doch mit. Wir durften dort plötzlich nicht mehr einkaufen. 1946 wurde mein Vater (Franz Hoffmann) Bürgermeister. Damals war er noch parteilos, später Mitbegründer der CDU (Gemeinde Hamm, Hüls, Sickingmühle, Herne, Hämmken). Erinnern Sie sich an Ihre erste Wahl? Ich war stolz, mit 21 Jahren wählen zu dürfen. Mein Opa war im Gemeinderat für die Zentrums-Partei tätig, so war ich familiär geprägt. Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie mit der heutigen Politik? Es ist schlimm, dass so viel gemeckert wird, denn eigentlich geht es uns gut. Ein Problem: Die Schere zwischen arm und reich wächst, der Mittelstand wird immer ärmer. Wir können sagen, was wir wollen. Und ich finde es toll, dass wir so was erreicht haben. Was fällt Ihnen am Wahlverhalten Ihrer Mitmenschen auf? Die Wahlbeteiligung dürfte größer sein; die AfD zum Beispiel lebt von Nicht- und Protestwählern. Wir haben das Recht zu wählen, und das sollten wir wahrnehmen. 127 Doch einige sind zu bequem, sie denken, sie könnten nichts verändern, die da oben machten, was sie wollten. Wie würden Sie auf die Menschen einwirken, um sie für Politik und Wahlen zu begeistern? Vor allem durch persönliche Gespräche. Und da zähle ich die vielen positiven Dinge auf (Rente, Reisen, Meinungsfreiheit, Freiheiten), die erreicht wurden. Wer nicht wählt, hat kein Recht zu meckern und gibt zudem einer „nichtgewollten“ Partei die Stimme. Worauf ich achten würde, wäre, dass Geschäft und Politik sauber voneinander getrennt bleiben. Wie sehen Sie das Informationsverhalten Ihrer Mitmenschen? Menschen, die viel Erfahrung gesammelt haben, geben zu wenig davon weiter. Wieso wissen sonst heute nicht alle Menschen, dass Juden vergast wurden? Andere haben keine Zeit für Gespräche oder Informationssuche, das fängt schon früh an: lange Schultage, viel zu viele Hobbys wie Klavier, Chor, Reisen, Volleyball, Messdiener, Handys. Richtig spielen kann kaum noch jemand. Das Internet nimmt immer mehr Raum ein – zu Lasten der Kommunikation. Man hat gewonnen durch die neuen Medien, aber auch viel verloren. Gibt es noch politische Gesprächsrunden? Ja. Die Parteien bieten Sprechstunden und „politische Frühschoppen“ oder ähnliches an. In der Familie bleibt das Miteinander immer häufiger auf der Strecke. 128 Was gefällt Ihnen (oder nicht) an der Halterner Lokalpolitik, was weniger? Man kann über alles reden, auch als Neue haben mich Alteingesessene nicht mit „was will die denn“ aufs Abstellgleis geschoben. Manche mögen etwas abgehoben sein, aber man kennt sich, es läuft ganz gut – und man hat nie Langeweile, denn es gibt immer was zu verbessern: Viele sagen, wir hätten zu viel Geld ausgegeben bei der Stadtmühle, aber Haltern lebt vom Tourismus, daher sollte man auch was dafür tun. Manche sind gegen Windräder, aber woher sonst wollen wir die Windkraft nehmen? Manche Fahrradwege haben eine komplizierte Wegeführung, das wäre noch ein Ansatzpunkt. Die Flüchtlingspolitik ist noch ein aktuelles Thema. Aber nicht zum ersten Mal. 1946 erlebten wir bereits eine Flüchtlingswelle. Obwohl es teilweise „Landsleute“ waren, wurden sie auch nicht mit offenen Armen empfangen. Wir können nicht alle Probleme Afrikas lösen, aber die Menschen, die hier sind, sollten wir gut behandeln. Glauben Sie, dass Demokratie in Haltern großgeschrieben wird? 129 Ja. Man darf alles sagen, ob es gehört wird, ist eine andere Frage. Die Bürger waren zum Beispiel eingebunden bei der Planung Stadtmühlenbucht und beim „See schlägt Wellen“. Es gibt Gegenbeispiele, Mehrzweckhalle, Muttergottesstiege. Es ist schwierig, alles zu berücksichtigen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz, es ist nicht so einfach, Entscheidungen zu fällen. Kennen Sie Beispiele demokratischen Handelns im privaten Umfeld? Da gibt es ganz viele, es geht schon in der Familie los, denn man muss mit dem Partner und den Kindern Kompromisse schließen. Demokratie wird ebenfalls im Kindergarten, in der Schule, Kirche, in den Vereinen, Parteien und im Beruf gelebt. Was läuft für Sie undemokratisch in Haltern? Auch Mehrheitsbeschlüsse können teilweise kontroverse Beschlüsse sein. Welche Stichworte fallen Ihnen noch ein zum Thema ‚Haltern (er-) lebt Demokratie?“ Sie lebt! Die Politiker engagieren sich zum Wohle der Allgemeinheit. In den Baugebieten sind Veränderungen vorgestellt worden. Die Wahlbeteiligung fällt immer geringer aus. Haben Sie eine Erklärung? Was würden Sie tun, wenn Sie könnten? Manchmal denke ich, den Leuten geht es zu gut. Bei vielen ist das eben nicht so. Vor allem ältere Menschen 130 sind nicht mobil, also könnten Fahrgemeinschaften organisiert werden. Ich halte es für wichtig, mich einzusetzen, auf die Menschen zu- und einzugehen, etwas gemeinsam tun, nicht nur Hilfe anbieten, sondern helfen. *** Gabriele Nagel (63 Jahre) „Demokratie wird gelebt mit einer ganz gesunden Lebenseinstellung; der Grundbaustein liegt in der Familie und sich selbst.“ Was hat sich seit dem Wandel der Demokratie seit Gründung der BRD geändert und warum? Die BRD ist weltoffener geworden, hat aus dem 3. Reich etwas gelernt. Gute Ansätze zur Demokratie vor allem durch Politiker wie Wehner, Brandt, Schmidt, Genscher und auch Merkel! Die Parteienlandschaft ist bunter geworden – wie man an AfD und Ultras sehen kann, nicht immer auch besser. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Wahl? Oh, ja. Ich war stolz. Ich wollte was verändern, ja so naiv war man mit 18 Jahren. Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie mit der heutigen Politik? Natürlich läuft es nur suboptional, aber den meisten Deutschen geht es gut oder sogar sehr gut. 131 Darum sollten wir offener und hilfsbereiter gegenüber Kriegsflüchtlingen und Asylanten werden. Es muss besser für Pflegebedürftige und ihre Angehörige werden. Was fällt Ihnen am Wahlverhalten Ihrer Mitmenschen auf? Die Menschen werden träger, lustloser, vieles ist ihnen egal: Sie denken, „die oberen machen ja doch, was sie wollen.“ und „Ich kann nichts ändern.“ Wie würden Sie auf die Menschen einwirken, um sie für Politik und Wahlen zu begeistern? Durch Diskussion, Vorleben und Animieren. Wie sehen Sie Ihr Informationsverhalten und das Ihrer Mitmenschen? Ich informiere mich durch Gespräche, Zeitung und Fernsehen. Andere sind sehr gleichgültig sich, dem Staat, der Politik und ihren Mitmenschen gegenüber. Was gefällt Ihnen an der Halterner Lokalpolitik, was weniger? Haltern ist schon sehr offen und eine Stadt, wo sich das Leben lohnt. Verbesserungen wären im Sozialwesen und Städtebau möglich. Gerade für Behinderte, Menschen im Rollstuhl, am Rollator und für Elternteile mit Kinderwagen könnten manchmal schon kleine Veränderungen vieles vereinfachen und verbessern. Glauben Sie, dass Demokratie in Haltern großgeschrieben wird? 132 Wenn ich von mir persönlich ausgehe, ja, sehr. Dennoch sollte nicht nur die Politik menschennäher werden, sondern auch jeder einzelne von uns. Kennen Sie Beispiele demokratischen Handelns im privaten Umfeld? Familie, Freunde, LiNa, Projekte. Was läuft für Sie undemokratisch in Haltern? Aber Politik und Verwaltung sollten offener mit Haushaltsgeldern umgehen. Welche Stichworte fallen Ihnen ein zu „Haltern (er)lebt Demokratie?“? Offen, familienfreundlich, gutes Naturumfeld, viele Aktivitäten. Die Wahlbeteiligung fällt immer geringer aus. Haben Sie eine Erklärung? Was würden Sie tun, wenn Sie könnten? Die Menschen mehr einbeziehen und zu Selbstverantwortung aktivieren, parteipolitisch mehr an der Basis arbeiten. Wichtig ist es, korrupten Politikern das Handwerk zu legen. Die Politiker sollten offen und ehrlich mit der Bevölkerung umgehen und sie ernst nehmen. *** Sigrid Geipel (78 Jahre): „Demokratie bedeutet für mich, entscheiden zu dürfen, wem ich meine Stimme gebe, meine Meinung sagen, 133 Volksvertreter wählen, Programme haben und abwägen zu können.“ Wie haben Sie den Wandel der Demokratie seit Gründung der BRD erlebt? Menschen in meinem Alter haben die Geschichte hautnah erlebt. Nach diesen schlimmen Erfahrungen und Auswirkungen war die Demokratie als das Beste, was uns passieren konnte. Endlich konnten alle mitreden. Heute beeinflussen wir nicht nur, wir können kontrovers diskutieren. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Wahl? Euphorisch war ich nicht, Wählen war unumstrittene Pflicht. Wir hatten ganz andere Probleme: Mauerbau, West-Berlin, Wiederaufbau, Heirat, Kind, wie geht es weiter? Informationen bekamen wir bei meiner Schwiegermutter. Sie hatte einen Fernseher. Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie mit der heutigen Politik? Bundesweit bin ich unzufrieden, um einige Stichworte zu nennen: Flüchtlingspolitik, gestörtes Verhältnis zur USA (Abhöraktion), Freihandelsabkommen. Wenn die Familie zusammenkommt, wird heute noch kontrovers diskutiert. Meine Söhne spucken manches Mal Gift und Galle. Durch meine Arbeit im CDU-Büro habe ich viele 134 Menschen kennengelernt und Hintergründe zur politischen Arbeit erfahren. Es jedem Recht zu machen, ist eine Kunst, die keiner kann. Auf lokaler Ebene bin ich im Großen und Ganzen zufrieden. Was fällt Ihnen am Wahlverhalten Ihrer Mitmenschen auf? Die Menschen verlieren das Interesse, auch die, die es besser wissen müssten. Gründe können sein: Enttäuschung über manche Vorgehensweisen und Entscheidungen, wenig Rückgrat. Wir müssen alles daransetzen, dass die Menschen wieder Vertrauen in die Politik und Politiker finden. Wie würden Sie auf die Menschen einwirken, um sie für Politik und Wahlen zu begeistern? Ich rede mir den Mund fusselig, wie wichtig Wählen ist. Ich erkläre, dass, wer nicht wählt, gerade die Partei stärkt, die er gar nicht fördern wollte. Ansonsten durch Information und Gespräche. Wie sehen Sie Ihr Informationsverhalten und das Ihrer Mitmenschen? Ich selbst nutze das Internet, viele Menschen in meinem Umfeld aber nicht. Ich interessiere mich für politische Sendungen und lese sehr viel. Was gefällt Ihnen an der Halterner Lokalpolitik, was weniger? Ich will nicht sagen, dass alles super läuft, aber man es auch nicht allen recht machen. Der Seniorenbeirat müsste sich noch mehr in die älter werdenden Bürger 135 hineinversetzen. Das Kopfsteinpflaster zum Beispiel in unserer ansonsten schönen Fußgängerzone ist ein Stolperstein. Glauben Sie, dass Demokratie in Haltern großgeschrieben wird? Grundsätzlich ja. Kennen Sie Beispiele demokratischen Handelns im privaten Umfeld? Seniorenbeirat, Parteien, Familie… - Ihr DemokratieProjekt. Überall dort, wo man sich bemüht, Probleme zu lösen. Welche Stichworte fallen Ihnen noch ein zum Thema „Haltern (er-) lebt Demokratie?“? Aufarbeitung unserer Vergangenheit. Stolpersteine. Miteinander. Die Wahlbeteiligung fällt immer geringer aus. Haben Sie eine Erklärung? Was würden Sie tun, wenn Sie könnten? Etwas zu fordern, ist immer leichter als selbst was tun. Zunächst würde ich das den Leuten klarmachen, und versuchen, sie zum Aktivwerden zu motivieren. 136 Anhang Die Entstehung einer Stadt Auszüge aus der Chronik 3. Februar 1289: Der Bischof v. Münster, Eberhard v. Diest, verleiht dem Dorf Haltern die Stadtrechte. 1756: Die Stadt Haltern wird in den „Siebenjährigen Krieg" hineingezogen. 1802/03: Das Fürstbistum Münster wird säkularisiert und hört auf, als staatliches Gebilde zu existieren. Die Stadt Haltern wird als Teil des Amtes Dülmen den Herzögen von Croy als Entschädigung für Gebietsverluste auf der linken Rheinseite zugeteilt. 1810/11: Im Rahmen einer territorialen Neuordnung durch Napoleon wird Haltern zur Grenzstadt des Kaiserreiches Frankreich. 1815/16: Die Stadt Haltern wird Teil der preußischen Provinz Westfalen und darin dem Regierungsbezirk 137 Münster und dem neugebildeten Kreis Coesfeld zugeteilt. 1843: Das Amt Haltern wird gebildet aus den Gemeinden Kirchspiel Haltern, Lippramsdorf und Hullern. 1844: Die Rektoratsschule, die Vorläuferin des heutigen Joseph-König Gymnasiums, wird eröffnet. 1929: Die Gebiete von Stadt und Amt Haltern werden durch eine Gebietsreform dem Kreis Recklinghausen zugeschlagen. 1926-30: Nachdem alle Voraussetzungen geklärt sind, errichtet das Wasserwerk in Haltern eine Talsperre. Der Halterner Stausee entsteht. 1931: Aus dem Gebiet des Amtes Haltern werden Teile um den Stausee und in Berghaltern der Stadt Haltern zugeschlagen. 1933-45: Nationalsozialistische Gewaltherrschaft in Haltern: Die Stadtverwaltung wird gleichgeschaltet, politische Gegner werden verhaftet, die Synagoge geschändet und jüdische Bürger vertrieben, in Konzentrationslager deportiert und ermordet. 1945-48: Die Alliierten errichten nach der Befreiung der Stadt im westlichen Stadtgebiet im Auftrag der Vereinten Nationen ein großes Auffanglager zur Unterbringung und Rückführung befreiter Zwangsarbeiter aus dem Ruhrgebiet. Franz von Papen, der Steigbügelhalter der Nationalsozialisten, wird nach 138 seiner Verhaftung 1945 nach Haltern eingeflogen und in der amerikanischen Kommandantur auf der Römerstraße verhört. 1946: Erstmals finden wieder freie Wahlen in der Stadt Haltern nach demokratischen Spielregeln statt. 1973-85: Eine weitere Talsperre entsteht mit dem Hullerner Stausee. 1975: Die Gebiete des Amtes Haltern sowie die Gemeinde Flaesheim und Hamm-Bossendorf (bis dahin Teil der Gemeinde Hamm) werden durch eine kommunale Gebietsreform mit dem Gebiet der Stadt Haltern zur neuen Stadt Haltern vereinigt. 2001: Mit einem großen Festakt und einer Sondersitzung des Rates wird die Umbenennung der Stadt Haltern in „Stadt Haltern am See" gefeiert. Februar 2014: Haltern feiert „750 Jahre Stadtrecht“. 139 Wir sagen Dank … … in erster Linie all den Bürgerinnen und Bürgern, Jung und Alt, die es durch ihre Beiträge erst möglich gemacht haben, dass dieses Buchprojekt ein Erfolg werden konnte. … unserem Bürgermeister, Bodo Klimpel, dass er sofort bereit war, die Schirmherrschaft über unser Projekt zu übernehmen, aber auch selber zu verschiedenen Themen Stellung zu beziehen. … allen im Stadtrat vertretenen Fraktionen für ihre Bereitschaft, auf die kritischen Fragen und Hinweise der Bürger zu antworten. … den Experten der Stadt Haltern am See, die den Blick für die Demokratieentwicklung unserer Stadt sachlich erläutert haben. … den Vereinen, Parteien und Organisationen, die ihre Sichtweisen dargestellt haben. … den Schulen mit ihren Schülerinnen und Schülern unserer Stadt, dass sie aufzeigten, dass Demokratie schon früh geübt werden muss und auch getan wird … und Mara Doreen Nyari, die unsere fantastischen Ideen für ein Cover professionell umsetzte. Ihre 140 Jürgen Chmielek und Elke Rüdiger Dank auch an unsere Sponsoren: 141 *** Die Glaserei und Malerei in Haltern am See 142 *** 143 *** 144 Haltern am See - die Seestadt (er)lebt die Demokratie? Eine Studie zur Demokratieentwicklung in Haltern am See Ausgabe: Dezember 2016 Herausgeber: Seniorenbeirat der Stadt Haltern am See Autoren: Jürgen Chmielek und Elke Rüdiger Cover-Design: Mara Doreen Nyari, Halterner Druckerei Fotos: Elke Rüdiger und Jürgen Chmielek, Halterner Zeitung, Seniorenbeirat und Christian Rüdiger Illustrationen im Buch: freiverfügbare Internetseiten Grafiken: Elke Rüdiger und Jürgen Chmielek Produktion: Bookstation GmbH Gutenbergstraße 7 85646 Anzing www.bookstation.de Alle Rechte für Texte, Bilder und Illustrationen obliegen den Autoren. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung der Autoren gestattet. Alle Rechte, auch die Übersetzung des Werkes, liegen beim Herausgeber und den Autoren dieses Buches. Zuwiderhandlungen sind strafbar und verpflichten zu Schadensersatz. Alle im Buch enthaltenen Angaben wurden von den Autoren nach bestem Wissen und Gewissen erstellt. Beiträge von Fremdautoren entsprechen nicht immer der Meinung der Projektleiter und des Herausgebers, daher übernehmen sie keine Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unstimmigkeiten. 145 Nachwort/Ausblick „Haltern am See – die Seestadt (er)lebt die Demokratie?“ – diese Frage stellten wir uns am Anfang des Projektes. Und wir fanden eine klare Antwort: Ja, die Demokratie in Haltern am See hat eine Zukunft! Das Projekt endete „eigentlich“ planmäßig mit dem Abschluss-Forum am 20. Dezember 2016. Doch das Thema hat uns so sehr mitgerissen, dass wir mit einem Nachfolgeprojekt liebäugeln. Das große Interesse aller Beteiligten bestärkt uns in unseren Ideen: Gedenkstättenfahrt, internationaler Jugendaustausch, Politik-Projekttag in den Schulen, Diskussionsforen und mehr. Basis für ein Gelingen ist die Gründung eines Netzwerkes mit weiteren Halterner weltlichen, kirchlichen und politischen Organisationen. Im Vordergrund steht dabei die Zusammenarbeit mit den weiterführenden Schulen. Wir freuen uns über jede Anregung sowie persönliche, sachliche und finanzielle Unterstützung. Unsere Vision: Festigung des Demokratie-Gedankens bei Jung und Alt und die Erhöhung der Wahlbeteiligung. Davon träumen Jürgen Chmielek und Elke Rüdiger 146