Sozialpolitik Schülermagazin Ausgabe 2017/2018

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Schülermagazin
Ausgabe 2017/2018
Politik
Berufswelt
Soziale
Gerechtigkeit
und Sicherung
Arbeitswelt
im Wandel
Inklusion
Sicherheit
Gesellschaft
für alle
Schutz in allen
Lebenslagen
www.sozialpolitik.com
Inhalt
Ein Wort vorab Sozialstaat, warum? Sozialpolitik, für wen?
Politik
Soziale Sicherung Meilensteine der Sozialpolitik
Soziale Gerechtigkeit Soziale Marktwirtschaft
Sozialversicherung im Überblick Sicherheit im Sozialstaat
Soziale Leistungen Förder- und Fürsorgeleistungen
Armut und Reichtum Chancen für alle schaffen
Berufswelt
Berufsorientierung Fachkräfte gesucht
Arbeitswelt im Wandel Arbeiten 4.0
Berufswahl Auf dem Weg ins Berufsleben
Berufseinstieg Von Anfang an versichert
Arbeitsrecht 1 Arbeitnehmer haben Rechte
Arbeitsrecht 2 Gute Arbeit – guter Lohn
Inklusion
Gesellschaft für alle 1 Auf dem Weg zur inklusiven Schule
Gesellschaft für alle 2 Arbeiten mit Behinderung
Sicherheit
Krankenversicherung Hauptsache gesund
Unfallversicherung Für den Fall der Unfälle
Rentenversicherung 1 Ein Vertrag zwischen den Generationen
Rentenversicherung 2 Mehr Rentner, weniger Kinder
Arbeitslosenversicherung Arbeitslos, aber nicht mittellos
Pflegeversicherung Hilfe und Pflege nicht nur für Senioren
Diskussion
Von Schülern für Schüler Mitbestimmung in der Ausbildung
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www.sozialpolitik.com
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Vertiefende Informationen, ein Lexikon, eine
Materialdatenbank mit aktuellen Arbeitsblättern
und Schaubildern, geschichtliche Daten zur
sozialen Sicherung, Wissensquiz, Umfragen,
Kommentarfunktion sowie weiterführende Links
und Adressen
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„Sozialpolitik“ ohne Barrieren
Zum Unterrichtsmedienpaket „Sozialpolitik“
gehören auch ein Arbeitsheft und Arbeitsblätter
in Leichter Sprache für den inklusiven Unterricht.
Die PDF-Dateien und Internetseiten unter
www.sozialpolitik.com können von Sprachausgaben am Computer vorgelesen werden. In einem
Lexikon werden wichtige Begriffe zur Berufswelt
und zur sozialen Sicherheit in Alltagssprache und
Leichter Sprache erklärt. Zur Internetseite gibt es
Leitfäden in Leichter Sprache und Gebärdensprache. Die ergänzenden Angebote werden ständig
weiter ausgebaut.
Zur leichteren Lesbarkeit wurde meist auf zusätzliche Bezeichnungen in weiblicher Form verzichtet
und nur die männliche Form verwendet. Angesprochen sind natürlich immer Leserinnen und Leser!
Ein Wort vorab
Sozialstaat, warum?
Sozialpolitik, für wen?
Einmal angenommen, wir wären immer kerngesund und hätten alles, was wir brauchen: Essen,
Kleidung, Wohnung, Smartphone, Verkehrsmittel, Bildungsmöglichkeiten, Arbeit und natürlich auch
ausreichend Geld. Dann könnte sich jeder mehr um sich selbst kümmern und müsste sich weniger
Sorgen um seine Mitmenschen machen. So ist es aber nicht. Mal sind wir stark, dann wieder
schwach, meistens sind wir gesund, manchmal aber auch krank. Es gibt immer wieder Phasen im
Leben, in denen es nicht so gut läuft. Unsere ersten Ansprechpartner in diesen Momenten sind
Familie und Freunde. In vielen Situationen springt aber auch die Gesellschaft ein und sorgt dafür,
dass unser Existenzminimum gesichert ist.
Als es noch keine Sozialversicherungen gab, waren Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter für viele
Menschen gleichbedeutend mit Armut und Not. Heute leben wir in Deutschland in einem Sozialstaat,
der von der Solidarität zwischen Menschen getragen wird. Das bedeutet, die Gesunden helfen den
Kranken, die Jungen unterstützen die Alten, die Arbeitenden leisten Beiträge für die Arbeitslosen.
So helfen die Stärkeren den Schwächeren und sorgen damit zugleich auch für sich selbst vor. In einem
Sozialstaat sollen sich die Menschen auf die Solidarität der Gesellschaft verlassen können: Sie haben
das Recht auf Hilfe, wenn sie sich nicht mehr selbst versorgen können oder in eine Notlage geraten.
Daraus ergeben sich aber auch moralische Verpflichtungen für den Einzelnen, die für die Gesellschaft
ebenfalls wichtig sind: Bildungschancen wahrzunehmen, arbeiten zu gehen, wählen zu gehen und sich
einzubringen, sei es politisch oder sozial, in der Nachbarschaft, in Vereinen oder in der Gemeinde.
Der Sozialstaat funktioniert nicht von allein, sondern steht immer wieder vor neuen Herausforderungen.
Auch seine Finanzierung muss stets im Blick behalten werden. Dabei lauten die Grundfragen: Wie viele
Menschen zahlen auf der einen Seite Sozialversicherungsbeiträge ein, und wie viele Menschen sind
auf der anderen Seite berechtigt, Sozialleistungen zu empfangen? Wer soll Leistungen beziehen und in
welcher Höhe? Zudem steigen in einer Gesellschaft, die immer älter wird, die Kosten für Gesundheit
und Altersvorsorge. Da in Deutschland aus sozialpolitischer Sicht zu wenige Kinder geboren werden,
zahlen immer weniger Erwerbstätige Beiträge für immer mehr Bezieher von Sozialleistungen. Ziel
muss es daher sein, dass möglichst viele erwerbsfähige Menschen arbeiten können. Die vielen
Menschen, die seit 2015 auf der Flucht vor Krieg und Terror zu uns gekommen sind, können ebenfalls
mit ihren Sozialabgaben und Steuern zum Erhalt der Sozialsysteme beitragen, wenn sie gut integriert
werden, Arbeit finden und dauerhaft in Deutschland bleiben.
Globalisierungsängste in der Bevölkerung haben in jüngster Zeit dazu geführt, dass rechtspopulistische
Parteien in Europa und weltweit an Zuspruch gewinnen. Globale Herausforderungen können jedoch
nicht von Nationalstaaten allein bewältigt werden. In einer globalisierten Welt ist Zusammenarbeit
und auch Solidarität mit anderen Ländern dringend notwendig.
Solidarität betrifft uns alle und erfordert Einsatz von jedem Einzelnen: lokal, national und global.
Impressum
Herausgeber: Stiftung Jugend und
Bildung in Zusammenarbeit mit
dem Bundesministerium für Arbeit
und Soziales
Vertretungsberechtigte:
Dr. Alexander Jehn (Präsident),
Michael Jäger (Geschäftsführer)
Vereinsregister: Amtsgericht
Charlottenburg, VR 24612 B
Fachliche und pädagogische
Beratung: Berit Heintz (Deutscher
Industrie- und Handelskammertag), Roland Henke (Ministerialrat,
Niedersächsisches Kultusministerium), Edmund Kammerer (Leitender
Ministerialrat a. D., Unternehmenssprecher), Prof. Dr. Helmut Keim
(Europäische Fachhochschule
Brühl), Siegmut Keller (Ministerialrat, Ministerium für Kultus, Jugend
und Sport Baden-Württemberg),
Jeanette Klauza (Deutscher Gewerkschaftsbund), Wolfgang Oppel
(Berufsbildungsexperte)
Verlag: Eduversum GmbH,
Wiesbaden
Redaktion: Frauke Hagemann,
Katja Rieger
Redaktionsschluss: Juli 2017
Texte: Christian Becker, Hildesheim
Fotos: Adobe Stock/Giorgio Magini
(Titel), Adidas AG (Seite 6), AKGImages (Seite 4), Bayer Schering
Pharma AG (Seite 6), Bundesministerium für Arbeit und Soziales
(Seite 4), Fotolia (Seite 6, 7),
Otto Bock HealthCare (Seite 7),
picture-alliance/dpa (Seite 5),
privat (Seite 3, 42), Sabine Voigt/
toonpool.com (Seite 15), Shutterstock (Seite 2, 4, 5, 7, 8, 10, 12, 14,
16, 18, 20, 22, 24, 26, 28, 30, 32,
34, 36, 38, 40), Thomas Plaßmann
(Seite 11, 36), Ullstein (Seite 4)
Gestaltung: Brigitte Bössler, epiphan
visual solutions, Wiesbaden
Druck: Bonifatius GmbH, Paderborn
Barrierefreie PDF-Datei: Verlagsgesellschaft Weinmann, Filderstadt
Alle Rechte vorbehalten. Schulen
können Exemplare in begrenztem
Umfang beim Verlag kostenlos
anfordern.
nnen
Von Schülern für Schüler: Drei Berufsschüleri
schreiben über das Thema Mitbestimmung
Internet und E-Mail:
www.sozialpolitik.com
[email protected]
tnehmer Unterstützung
Wo bekommen Auszubildende und junge Arbei
Auszubildendenverbei Problemen im Betrieb? Ist eine Jugend- und
JAV? Ann-Kathrin
tretung (JAV) sinnvoll? Welche Aufgaben hat die
der Schulzevon
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Güngerich, Lara Pochm
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Delitzsch-Schule in Wiesb
hört und auf den Seiten
sich bei ihren Kolleginnen und Kollegen umge
mengestellt.
42 und 43 Antworten auf diese Fragen zusam
3
Soziale Sicherung
Meilensteine der
Sozialpolitik
Im 19. Jahrhundert, der Anfangsphase der Industrialisierung in Deutschland, mussten viele Menschen unter
sehr harten Bedingungen leben und arbeiten. Ihr Verdienst reichte oft nicht aus, um ihre Existenz zu sichern.
Wenn sie ihre Arbeit verloren, krank oder zu alt wurden, waren sie auf die Hilfe ihrer Familien angewiesen
oder mussten betteln gehen. Sozialen Schutz gab es nicht. Doch dann begannen die Arbeiter, sich gegen
ihre elende Situation zu wehren und sich zu organisieren.
1863
Erster Arbeiterverein
Während der Industriellen Revolution veränderten sich die Arbeits- und Lebensbedingungen in Europa rapide. Viele Menschen mussten täglich bis zu 13 Stunden
oder noch länger in dunklen, überfüllten,
lauten Fabrikhallen und ungesicherten
Bergwerken arbeiten. Familien mussten
für sich selbst sorgen, egal, in welcher Lebenslage sie sich befanden. Kinderarbeit
war für sie überlebensnotwendig. Es gab
keinen Kündigungs- oder Arbeitsschutz,
keine Hygienevorschriften, keine soziale
Absicherung. Die Löhne reichten kaum für
das tägliche Brot. Um gemeinsam gegen
die miserablen Arbeitsbedingungen zu
kämpfen, schlossen sich die Arbeiter in
Vereinen zusammen. Daraus entwickelten sich Ende des 19. Jahrhunderts soziale Vereine, Gewerkschaften und Parteien.
Der Sozialist Ferdinand Lassalle (1825 bis
1864) gründete im Jahr 1863 den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein.
1878
Sozialistengesetz
Unter dem damals herrschenden Kaiser
Wilhelm I. war eine Demokratie nach heutigen Maßstäben unvorstellbar. Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck (1815 bis
1898) sah in der neu entstandenen Arbeiterbewegung eine Bedrohung für den
Staat. Das von Bismarck im Jahr 1878
vorgeschlagene Sozialistengesetz verbot
„Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische oder
kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- und
Gesellschaftsord nung bezwecken“.
1881
Erstes Sozialversicherungssystem
4
Reichskanzler Bismarck setzte aber nicht
nur auf Verbote. Er erkannte auch, dass
die sozialen Probleme auf Dauer nur
durch staatliche Regelungen gelöst
werden konnten. Daher forderte er am
17. November 1881 mit der „Kaiserlichen
Botschaft“ den deutschen Reichstag auf,
Gesetze zum Schutz der Arbeiter bei
Krankheit, Unfall, Invalidität und zur Versorgung im Alter zu beschließen, genannt
Bismarcksche Sozialgesetze. Dieser Tag
gilt als Geburtsstunde der deutschen
Sozialversicherung.
1919
Weimarer Reichsverfassung
Am 19. Januar 1919 wurde zum ersten
Mal in der deutschen Geschichte eine verfassunggebende Nationalversammlung
in freier, gleicher, geheimer und direkter
Wahl gewählt. Neben den klassischen
Menschen- und Freiheitsrechten wurden
auch soziale Grundrechte in die Verfassung aufgenommen. Auf einen vorübergehenden Wirtschaftsaufschwung folgte
im Jahr 1929 die Weltwirtschaftskrise.
Firmenzusammenbrüche, Zwangsversteigerungen, Inflation, Massenarbeitslosigkeit und rapide sinkende Löhne waren
die Folgen. Am 27. März 1930 zerbrach
die Große Koalition unter dem sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann
Müller, weil sie sich nicht über die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung einigen konnte. Angst, Hoffnungslosigkeit
und radikale Versprechungen trieben
eine große Zahl von Wählern in die Arme
der Nationalsozialisten.
1933
Gleichschaltung im
Nationalsozialismus
Die Nationalsozialisten lösten nach ihrer Machtübernahme im Jahr 1933 Gewerkschaften, Parteien und zahlreiche gesellschaftliche Organisationen auf. Mit ihrer menschenverachtenden
Weltanschauung unterwarfen sie den Staat, die
Wirtschaft und die Gesellschaft vollständig ihren
Kriegszielen. Arbeitsplätze wurden vor allem in
der Rüstungsindustrie zur Vorbereitung des Krieges
geschaffen. Im Zuge der sogenannten Gleichschaltung bauten sie den gesamten Staatsapparat um
und schafften die Selbstverwaltung in den Sozialversicherungen ab.
1949
Getrennte Wege
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Sozialversicherungen in beiden Staaten des geteilten
Deutschlands wieder aufgebaut. In der Bundesrepublik Deutschland (BRD) wurde das dezentral gegliederte, aus verschiedenen Sozialversicherungen
bestehende System erneuert. In der Deutschen
Demokratischen Republik (DDR) wurden die Sozialversicherungen in eine zentral gelenkte Einheitsversicherung umgewandelt.
1990
Wiedervereinigung
Die friedliche Revolution der ostdeutschen Bürger
im November 1989 führte zum Ende der DDR.
Am 1. Juli 1990 trat der Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion in Kraft. Am
3. Oktober war Deutschland wieder vereint. Das
ostdeutsche Sozialsystem wurde durch das westdeutsche ersetzt. Die Wiedervereinigung wurde
über allgemeine Steuereinnahmen (speziell den
Solidaritätszuschlag), Staatsschulden und Mittel
aus der Sozialversicherung finanziert. Durch den
demografischen Wandel und eine wirtschaftliche
Krise geriet die Sozialversicherung unter Druck:
Auf immer weniger Beitragszahler kamen immer mehr Leistungsempfänger.
Darauf reagierte die Bundesregierung mit
einem Bündel von Gesetzen: der „Agenda 2010“. Sie umfasste eine grundlegende Reform des Arbeitsmarktes sowie
Veränderungen bei der Kranken- und
Rentenversicherung – hin zu mehr Eigenleistungen und privater Vorsorge.
2007
Finanz- und Wirtschaftskrise
Im Jahr 2007 erfasste eine Finanz- und Wirtschaftskrise erst die Vereinigten Staaten von Amerika und
dann Europa. Die Eurokrise ab 2009, in deren
Folge mehrere europäische Länder aufgrund ihrer
Verschuldung nahezu zahlungsunfähig wurden,
überstand Deutschland vergleichsweise gut. Die
Bundesregierung stützte die Banken und gab
privaten Anlegern Garantien für ihre Guthaben.
Mit staatlich geförderten Kurzarbeitsprogrammen
konnte die Beschäftigtenzahl weitgehend stabil
gehalten werden. Durch Entlastungen für Steuerzahler und Konjunkturprogramme, zum Beispiel
Zuschüsse für Sanierungen und Straßenbau, wurde
die Wirtschaft wieder angekurbelt.
2017
Im Zeichen der
Globalisierung
Globalisierung ist heute Alltag. Wir merken es,
wenn wir Produkte aus aller Welt kaufen, reisen
oder im Internet surfen. Neue Verkehrs- und Informationstechnologien haben die Länder der Welt
zusammenrücken lassen und die Wirtschaft weltweit vernetzt. Von dieser Entwicklung haben viele
Menschen profitiert, aber manchen macht sie auch
Angst. Derzeit erhalten vermehrt Politiker und Parteien Zulauf, die der Bevölkerung versprechen, sich
zuerst um die Belange ihrer Nation zu kümmern.
Durch nationale Alleingänge können globale Probleme jedoch nicht gelöst werden. Wirtschaftsexperten sind sich einig, dass die Wiedereinführung
von Handelsschranken die Wirtschaft der Nationalstaaten langfristig mehr schwächt als stärkt und
damit den Wohlstand der Menschen insgesamt
beeinträchtigt. Deshalb engagieren sich die meisten europäischen Staats- und Regierungschefs und
mittlerweile auch immer mehr Bürger für den Erhalt
der kriselnden Europäischen Union und für internationale Zusammenarbeit.
Geklickt
Dokumente zur Deutschen
Sozialgeschichte mit einem
interaktiven „ZeitenKlicker“
www.in-die-zukunft-gedacht.de
Meilensteine der Sozialgeschichte umfassend dargestellt
– mit zusätzlichen Fragebögen
www.sozialpolitik.com/
sozialgeschichte
Arbeitsheft „Grundwissen
soziale Globalisierung“
www.sozialpolitik.com/artikel/
arbeitsheft-grundwissensoziale-globalisierung
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Soziale Sicherung
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Sozialpolitik im Wandel
• Arbeitsblatt: Sozialpolitik im
Jahr 2017
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Solidarität – alle für einen,
einer für alle
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Demografischer Wandel
/////////////////////////////
Gefragt
Formulieren Sie für jeden
Meilenstein zu jeder Überschrift
einen aussagekräftigen Satz,
der den zentralen Inhalt des
Textes wiedergibt.
Wählen Sie zwei Meilensteine
aus, und versetzen Sie sich
in die Rolle eines Betroffenen
(zum Beispiel Fabrikarbeiter
1863, Gewerkschaftsmitglied
1878). Beschreiben Sie die Entwicklung aus dessen Sicht, und
stellen Sie sich Ihre Beschreibungen gegenseitig vor.
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Aspirin
von Felix Hoffmann
Schraubstollenschuh
von Adolf „Adi” Dassler
Antibabypille
von der Bayer Schering Pharma AG
„Made in Germany“ hat nicht nur Deutschland verändert, sondern die Welt!
Soziale Gerechtigkeit
Soziale Marktwirtschaft
„Zu dem, was mir Mut für unser Deutschland macht, gehört auch unsere soziale
Marktwirtschaft. Sie lässt uns Krisen und Veränderungsprozesse besser meistern
als jedes andere Wirtschaftssystem auf der Welt. […] Unser wirtschaftlicher Erfolg
gibt uns die Möglichkeit, unser Sozialsystem zu stärken und all denen zu helfen,
die Hilfe brauchen.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel, Neujahrsansprache, 1. Januar 2017, www.bundesregierung.de
Made in Germany
Die Idee der sozialen Marktwirtschaft wurde von dem deutschen Ökonomen Alfred
Müller-Armack entwickelt. Ludwig Erhard,
Bundeswirtschaftsminister von 1949 bis
1963, setzte sie politisch um. Sein großes
politisches Ziel lautete „Wohlstand für alle“.
In einer sozialen Marktwirtschaft soll jeder
Einzelne nicht nur auf seine individuelle
Leistungsfähigkeit angewiesen sein, sondern
in Notsituationen auch mit der Unterstützung
der Allgemeinheit rechnen können. Soziale
Marktwirtschaft heißt also: Die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen soll mit den
sozialen Bedürfnissen der Allgemeinheit in
Einklang gebracht werden.
Freie Marktwirtschaft
versus soziale Marktwirtschaft
Das Modell einer freien Marktwirtschaft
funktioniert durch einen freien Wettbewerb,
freie Preisbildung über Angebot und Nachfrage und den Privatbesitz von Produktionsmitteln (Maschinen, Fabriken). Produzenten
treffen freie Entscheidungen, was sie wie
und in welcher Menge produzieren. Konsu-
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menten treffen freie Entscheidungen, welche
Produkte sie kaufen. Arbeitgeberverbände
und Gewerkschaften handeln Arbeitsbedingungen und Löhne aus (Tarifautonomie). Ziel
ist es, optimale wirtschaftliche Ergebnisse zu
erreichen.
Leistungsschwächere Marktteilnehmer (zum
Beispiel ältere oder kranke Arbeitnehmer
oder Alleinerziehende, die wenig flexibel
sind) werden jedoch durch den harten Wettbewerb abgehängt. Um dies zu verhindern
und die Interessen der Allgemeinheit zu
schützen, greift der Staat ein und schafft
einen gesetzlichen Rahmen für das wirtschaftliche Handeln. So entsteht eine soziale
Marktwirtschaft.
Ziele der sozialen Marktwirtschaft
Soziale Gerechtigkeit:
Alle Menschen sollen die gleichen Bildungschancen haben (siehe Seite 12, 19
und 26 bis 29). Daher werden Bildungseinrichtungen wie Kitas, Schulen und
Hochschulen vom Staat finanziert.
Die Einkommens- und Vermögensunterschiede in der Gesellschaft sollen nicht
zu groß werden. Dafür sorgen die Steuergesetze und die sozialen Leistungen des
Staates (siehe Seite 10 und 1 1).
Soziale Sicherheit:
Die Sozialversicherungen sichern gegen
die größten Lebensrisiken ab (Arbeitslosigkeit, Krankheit, Pflegebedürftigkeit,
Unfall, Alter, siehe Seite 8 und 9).
Der Wettbewerbsschutz sichert die Konkurrenz in einer Marktwirtschaft. Er verhindert, dass zu mächtige Marktteilnehmer den Markt beherrschen und der
Wettbewerb zum Nachteil der Verbraucher eingeschränkt ist.
Schutz von Arbeitnehmern: Kündigungsschutz, Arbeitsschutz, Mindestlohn und
Mitbestimmung geben Arbeitnehmern
Sicherheit. Niemand darf willkürlich entlassen werden (siehe Seite 23). Die Arbeitsbedingungen dürfen die Gesundheit
nicht gefährden (siehe Seite 33). Arbeitnehmer sollen von ihrer Arbeit leben
können (siehe Seite 25) und haben ein
Recht auf Mitbestimmung im Betrieb
(siehe Seite 22).
Der Verbraucherschutz schützt die Konsumenten (Information, Rechte).
Der Umweltschutz veranlasst Unternehmen und Konsumenten, Umweltstandards zu beachten.
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MP3-Format
vom Fraunhofer Institut
C-Leg
von der Otto Bock HealthCare GmbH
Die soziale Marktwirtschaft in
der Diskussion
Als Wirtschaftssystem ist die soziale Marktwirtschaft
in Deutschland unumstritten. Über ihre konkrete Ausgestaltung wird jedoch immer wieder verhandelt und
diskutiert:
Sind wir in der sozialen Marktwirtschaft in unseren
Entscheidungen noch frei?
Wie weit soll der Staat eingreifen? Ist es sinnvoll,
dass er zum Beispiel Not leidende Branchen wie
den Braunkohleabbau subventioniert, um dort die
Arbeitsplätze zu erhalten?
Wo soll der Staat investieren? Soll er zum Beispiel eher mit Prämien für den Kauf von Elektroautos Umwelt und Wirtschaft unterstützen oder
Windkraft-Weltmeister Offshore (engl. vor der Küste),
„Vater der modernen Windkraft“ war Ulrich Hütter 1950.
lieber Schulen mit Laptops ausstatten und in die
Bildung investieren?
Ist die soziale Marktwirtschaft noch gerecht? Werden die Einkommensunterschiede größer?
Verlieren wir durch mehr sozialen Schutz unsere
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit? Werden durch
Umweltschutzauflagen und Mindestlohn deutsche
Produkte zu teuer?
Gefährdet mehr Marktfreiheit den sozialen Frieden? Grenzen niedrige Löhne Menschen aus der
Gesellschaft aus?
Finden alle Menschen bezahlbaren Wohnraum?
Inwiefern kann eine gesetzliche Mietpreisbremse
dazu beitragen?
Wie begegnen wir dem Klimawandel und knapper
werdenden Ressourcen? Wie gelangen wir zu einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft?
Soziale Marktwirtschaft
Wirtschaftliche Freiheit
Sozialer Ausgleich
Menschenbild
Der Mensch als souveränes Individuum
Der Mensch als soziales Wesen
Grundprinzip
Selbstverantwortung des Einzelnen,
Nichteinmischung des Staates
Eingreifen des Staates zum Schutz
der wirtschaftlich Schwachen
Persönliche Freiheitsrechte
Soziale Gerechtigkeit
•
•
•
•
•
• Bildungschancen
• Steuergerechtigkeit
Merkmale
Recht auf Privateigentum
Gewerbefreiheit
Produktions- und Handelsfreiheit
freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl
Konsumfreiheit
Freiheit des Wettbewerbs
Freiheit der Preisbildung
(Angebot und Nachfrage)
Vereinigungsfreiheit
und Tarifautonomie
Ziele
Soziale Sicherung
•
•
•
•
•
•
Arbeitslosenversicherung
Rentenversicherung
Kranken- und Pflegeversicherung
Unfallversicherung
Sozialhilfe, Wohngeld
Mietpreisbremse
Schutzgesetze
• Bildung von Gewerkschaften, Streikrecht
• Bildung von Arbeitgeberverbänden
• Schutz von Arbeitnehmern
• Verbraucherschutz
• Umweltschutz
Sicherung der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit, Wohlstand
Sicherung der sozialen Teilhabe
und des sozialen Friedens
Geklickt
Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung mit
zahlreichen Publikationen zur
sozialen Marktwirtschaft
www.bpb.de
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt: Soziale Markt-
wirtschaft (Fragebogen zur
Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Soziale Gerechtigkeit
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Marktwirtschaft: frei oder
sozial?
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformation:
Soziale Leistungen
• Arbeitsblatt: Mobilität und
soziale Sicherheit in Europa
• Schaubild: Soziale Sicherheit in Europa: Beispiel
Alterssicherung
/////////////////////////////
Gefragt
Erläutern Sie anhand des
Schaubilds in eigenen Worten
die beiden unterschiedlichen
Ziele der sozialen Marktwirtschaft: wirtschaftliche Freiheit
und sozialer Ausgleich.
Wählen Sie eine Frage aus der
Liste „Die soziale Marktwirtschaft in der Diskussion“ aus,
und recherchieren Sie die aktuellen Antworten und Positionen
zu dieser Frage (Partnerarbeit).
Präsentieren Sie die Zusammenfassung Ihrer Ergebnisse in
der Lerngruppe.
/////////////////////////////
Quelle: eigene Darstellung
7
Sozialversicherung im Überblick
Sicherheit im Sozialstaat
„Der Sozialstaat hat Millionen von Menschen aus den Zwängen ihrer Herkunft befreit, vor
Härten des Marktes geschützt und ihnen Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben eröffnet. […]
Der Sozialstaat ist die organisierte Solidarität zwischen den Starken und den Schwachen, den
Jungen und den Alten, den Gesunden und den Kranken, den Arbeitenden und den Arbeitslosen,
den Nichtbehinderten und den Behinderten.“
Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion, www.spdfraktion.de/themen/soziales, Stand: Juli 2017
Einer für alle,
alle für einen
Wer erwachsen und gesund ist und eine Vollzeitarbeitsstelle hat, ist in der Regel nicht
auf staatliche oder sonstige Unterstützung
angewiesen. Doch durch eine längere oder
gar chronische Krankheit, einen Unfall oder
Arbeitslosigkeit kann sich das schnell ändern. Jeder kann in eine Notlage geraten.
Schon ein Krankenhausaufenthalt mit Operation würde die finanziellen Möglichkeiten der
meisten Bürger übersteigen. Ein längerer Arbeitsausfall oder gar dauerhafte Pflegebedürftigkeit würden bei vielen die Existenz gefähr-
den, wenn sie keine Unterstützung bekämen.
Deutschland ist ein Sozialstaat, das bedeutet: Ziel der Politik und Gesetzgebung ist
es, für eine Absicherung gegen die größten
Lebensrisiken zu sorgen. Das heißt, die
Bürger erhalten Unterstützung, damit ihr
Einkommen gesichert ist. Dieses soziale
Sicherungssystem wird solidarisch finanziert, also von allen Versicherten gemeinsam. Es besteht aus der Kranken-, Unfall-,
Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. In diese Sozialversicherungen zahlen
die Arbeitnehmer und Arbeitgeber regelmäßig Beiträge ein. Die meisten Arbeitnehmer
sind pflichtversichert (siehe nächste Seite).
Sie erhalten Leistungen, sobald sie Bedarf
oder Anspruch haben. Nicht erwerbstätige
Ehepartner und Kinder sind eingeschlossen. Auch einige Gruppen von Selbstständigen sind pflichtversichert, zum Beispiel
Handwerker. Künstler und Publizisten sind
über die Künstlersozialkasse versichert. Andere Selbstständige müssen sich hingegen selbst um ihre Absicherung kümmern.
Berufssoldaten, Richter und Beamte sind
per Gesetz über ihren öffentlich-rechtlichen
Dienstherrn (Bund, Länder, Gemeinden)
versichert. Sie erhalten Leistungen ohne eigene Beitragszahlungen, die aus Steuermitteln finanziert werden.
System der Sozialversicherung
Krankenversicherung
Unfallversicherung
Rentenversicherung**
Arbeitslosenversicherung
Pflegeversicherung
Träger: gesetzliche
Krankenkassen
Träger: Berufsgenossenschaften, Unfallkassen
Träger: Deutsche
Rentenversicherung
Träger: Bundesagentur für
Arbeit
Träger: Pflegekassen der
Krankenkassen
Leistungen: Gesundheitsvorsorge, notwendige medizinische Hilfe, Krankengeld
Leistungen: Unfallverhütung,
Unterstützung und Entschädigung bei Arbeitsunfällen
oder Berufskrankheiten
Leistungen: Altersrente,
Rente bei Erwerbsminderung, Hinterbliebenenrente,
Rehabilitation
Leistungen: Unterstützung
bei Integration in den Arbeitsmarkt, Arbeitslosengeld
Leistungen: Pflegegeld,
Sachleistungen, Grundpflege
und hauswirtschaftliche
Versorgung
Beiträge 2017: im Durchschnitt
15,7 Prozent des Bruttolohns,
Arbeitgeber und Arbeitnehmer
je 7,3 plus 1,1 ArbeitnehmerZusatzbeitrag*
Beiträge 2017: unterschiedlich
je nach Träger, werden vom
Arbeitgeber allein finanziert
Beiträge 2017: 18,7 Prozent
des Bruttolohns, Arbeitgeber
und Arbeitnehmer je 9,35
Beiträge 2017: 3,0 Prozent
des Bruttolohns, Arbeitgeber
und Arbeitnehmer je 1,5
Beiträge 2017: 2,55 Prozent
des Bruttolohns, Arbeitgeber
und Arbeitnehmer je 1,275***,
0,24 Prozent Zuschlag für
kinderlose Arbeitnehmer ab
23 Jahren
mehr Infos Seite 30 und 31
mehr Infos Seite 32 und 33
mehr Infos Seite 34 bis 37
mehr Infos Seite 38 und 39
mehr Infos Seite 40 und 41
seit 1883
seit 1884
seit 1889
seit 1927
* durchschnittlicher Zusatzbeitrag laut Prognose des Bundes für 2017 ** ursprünglich: Invaliditäts- und Altersversicherung
*** in Sachsen: Arbeitgeber 0,775 Prozent, Arbeitnehmer 1,775 Prozent. Die Sonderregelung gilt, weil Sachsen als einziges
Bundesland am Feiertag Buß- und Bettag festgehalten hat, als dieser bei Einführung der Pflegeversicherung landesweit
abgeschafft wurde.
8
seit 1995
Quelle: eigene Darstellung
Recht auf soziale Sicherheit
„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“
„Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern
muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne
dieses Grundgesetzes entsprechen.“
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 20 und 28
„Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht
auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch
innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zu-
Prinzipien der
Sozialversicherung
Prinzip der Versicherungspflicht: Per Gesetz wird bestimmt, wer versicherungspflichtig ist und damit unter
dem Schutz der gesetzlichen Sozialversicherung steht.
Wer in einem Arbeitsverhältnis steht oder eine Ausbildung macht, ist in der Regel automatisch Mitglied der
Sozialversicherung. Daher sind in Deutschland etwa
90 Prozent der Bevölkerung sozialversichert.
Prinzip der Beitragsfinanzierung: Die Sozialversicherungen werden überwiegend durch Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert. Die Höhe der
Beiträge orientiert sich am Bruttogehalt des Arbeitnehmers. Die Beitragssätze sind gesetzlich festgelegt.
Prinzip der Solidarität: Unabhängig von der Höhe der
eingezahlten Beiträge ist jeder durch die Sozialversicherungen abgesichert. Mit diesem solidarischen Ansatz wird ein Ausgleich geschaffen zwischen Gesunden und Kranken, Erwerbstätigen und Arbeitslosen,
Jungen und Alten, Singles und Familien.
Prinzip der Äquivalenz: Äquivalenz bedeutet Gleichwertigkeit. Das heißt, die Höhe der Leistungen richtet
sich nach der Höhe und Dauer der Einzahlungen. Dieses Prinzip greift bei der Rente, dem Arbeitslosengeld,
der Unfallversicherung und bei Lohnersatzleistungen
wie Krankengeld.
sammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der
Organisation und der Mittel jedes Staates in den
Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und
die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.“
„Jeder hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft,
in der allein die freie und volle Entwicklung seiner
Persönlichkeit möglich ist.“
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, Artikel 22
und 29, Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen
Einnahmen und Ausgaben
Wie und in welchem Ausmaß die sozialen Sicherungssysteme funktionieren, hängt entscheidend davon ab,
wie viele Menschen Beiträge in die Sozialversicherungen einzahlen und welche Leistungen für wie viele
Empfänger bezahlt werden müssen. Sinkt die Zahl der
Beitragszahler und steigt die Zahl der Empfänger aufgrund des demografischen Wandels oder infolge von
wirtschaftlichen Krisen, hat der Gesetzgeber (Bundestag, Bundesrat) folgende Möglichkeiten:
1.
2.
3.
Er kann die Beiträge für diejenigen erhöhen, die
in die Sozialversicherungen einzahlen müssen.
Er kann die Leistungen für die Empfänger kürzen. Sie müssen dann einige Leistungen selbst
zahlen oder sich zusätzlich privat absichern.
Er kann die Sozialversicherungen durch Steuereinnahmen bezuschussen.
Umgekehrt gilt: Wenn die Einnahmen höher sind als
die Ausgaben, können die Beiträge gesenkt, Steuermittel gekürzt oder die Leistungen erhöht werden.
Sozialstaatliche Umverteilung
Verteilung der Haushaltseinkommen* in Prozent**,
Vergleich der Jahre 1993 und 2013
Geklickt
Internetseite der Europavertretung der Deutschen
Sozialversicherung
www.dsv-europa.de
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt: Sicherheit im
Sozialstaat (Fragebogen zur
Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Sozialversicherung im Überblick
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Sozialpolitik im Wandel
• Arbeitsblatt und Hintergrundinformationen:
Sozialpolitik im Jahr 2017
• Schaubild: Entwicklung der
Sozialversicherungsbeiträge
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Demografischer Wandel
/////////////////////////////
Gefragt
Interpretieren Sie das Schaubild. Arbeiten Sie dabei für
das Jahr 1993 heraus, ob und
wenn ja in welchem Umfang
die sozialstaatliche Umverteilung die Ungleichheit der
Einkommen begrenzt.
Vergleichen Sie die Situation
von 1993 mit der von 2013.
Welche Schicht wurde in den
20 Jahren dazwischen am
meisten entlastet? Nehmen Sie
begründet Stellung.
/////////////////////////////
Prinzip der Selbstverwaltung: Die Sozialversicherungen werden unter Aufsicht des Staates von Trägern
verwaltet, zum Beispiel die Krankenversicherung von
den Krankenkassen. Die Träger sind organisatorisch
selbstständig. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind unmittelbar daran beteiligt.
Prinzip der Freizügigkeit: Jeder Bürger der Europäischen Union kann in einem Mitgliedsstaat seiner
Wahl leben und arbeiten. Die sozialen Mindeststandards – dazu gehört auch eine soziale Grundsicherung – sind in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbindlich niedergelegt.
* Pro-Kopf-Haushaltseinkommen (Äquivalenzeinkommen): Zur Ermittlung dieser volkswirtschaftlichen Kennzahl
wird die Summe aller Einkommen der Einwohner eines Landes nach einer Äquivalenzskala gewichtet, die sich
nach Alter und Anzahl der Personen im Haushalt richtet.
** Prozentzahlen gerundet, Abweichungen von der Gesamtsumme 100 Prozent sind rundungsbedingt.
Quelle: IAQ-Forschung 1/2015, Datenbasis: SOEP, www.sozialpolitik-aktuell.de
9
Soziale Leistungen
Förder- und
Fürsorgeleistungen
„Keine Demokratie hat das Ziel, allen Menschen gleiche Vermögen, Einkommen und Beschäftigung – also den gleichen Output – zu garantieren. Aber jede
Demokratie will Chancengleichheit bieten. Ungleichheit wird dann zum sozialen Problem, wenn sie Chancen und soziale Teilhabe einschränkt.“
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung: Wohlstand für wenige,
Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, www.faz.net, 19. März 2016
Unterstützung für wirtschaftlich Schwache
Laut Grundgesetz hat der Staat die Aufgabe, für eine gerechte gesellschaftliche Ordnung und sozialen Ausgleich zu sorgen.
Dazu wurde in Deutschland das System
der Sozialversicherungen geschaffen, das
die Versicherten bei den großen Lebensrisiken Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter, Unfall
und Pflegebedürftigkeit schützt (siehe Seite
8 und 9). Die Sozialversicherungen werden
durch die Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanziert (Ausnahme: Die Unfallversicherung wird allein vom Arbeitgeber
finanziert). Nur wer Beiträge eingezahlt hat,
kann auch Leistungen aus den Sozialversicherungen bekommen.
Was ist jedoch mit Jugendlichen, die Probleme haben, eine Ausbildung zu finanzieren,
mit älteren Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten können, oder
mit einem alleinerziehenden Vater, der nicht
voll arbeiten kann und kaum Geld übrig hat,
um die Wohnung zu bezahlen? Hier hilft der
Staat mit Förder- und Fürsorgeleistungen.
Dazu gehören vor allem Kinder- und Elterngeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende,
Kinder- und Jugendhilfe, Erziehungsgeld
und Förderung der Aus- und Weiterbildung.
Diese Leistungen werden – im Unterschied
zu den vorher genannten Sozialversicherun-
10
gen – aus den Steuern aller Bürger finanziert.
Jeder Bedürftige hat einen Rechtsanspruch
darauf, wenn er die gesetzlich festgelegten
Voraussetzungen erfüllt. Allerdings wird vor
allem bei der Grundsicherung und bei der
Sozialhilfe genau geprüft, ob keine andere
Hilfe aus eigenem Vermögen oder durch die
Familie möglich ist.
Der Sozialbericht
Jedes Jahr veröffentlicht die Bundesregierung einen Bericht über die Sozialausgaben. Laut „Sozialbericht 2017“ wurden in
Deutschland im Jahr 2016 rund 554 Milliarden Euro für soziale Leistungen im Rahmen
der beitragsfinanzierten Sozialversicherungen ausgegeben. Der zweitgrößte Ausgabenposten, rund 176 Milliarden Euro, entfiel
auf steuerfinanzierte Förder- und Fürsorgeleistungen.
Förderung und Fürsorge
Kindergeld soll einen Teil der zusätzlichen Kosten abdecken, die Eltern für
ihre Kinder aufbringen müssen. Eltern
erhalten für ein Kind 192 Euro monatlich
(Stand 2017), der Betrag steigt ab dem
dritten und erneut ab dem vierten Kind.
Elterngeld erhalten Arbeitnehmer, die
ihr Kind in den ersten drei Lebensjahren
selbst betreuen wollen. Damit wird ein
Teil ihres wegfallenden Einkommens
ausgeglichen.
Kinder- und Jugendhilfe soll die Entwicklung junger Menschen fördern, Benachteiligungen abbauen und die Eltern
bei der Erziehung beraten. Kinder und
Jugendliche, Kitas und Jugendzentren
werden finanziell unterstützt. Kinder und
Jugendliche bekommen in Krisensituationen Hilfe, Betreuung und Beratung.
Arbeits- und Ausbildungsförderung helfen Jugendlichen beim Übergang in
Ausbildung und Beschäftigung durch
Bildungsmaßnahmen und finanzielle
Unterstützung. Arbeitsuchende erhalten
Beratung und Vermittlungsangebote.
Auch Fortbildungen (Meister-BAföG) werden gefördert.
Grundsicherung für Arbeitsuchende,
auch Arbeitslosengeld II oder „Hartz IV“
(benannt nach dem Leiter einer Expertengruppe für Arbeitsmarktreformen im
Jahr 2002). Die Grundsicherung erhalten erwerbsfähige Menschen, die trotz
vieler Bemühungen keinen Arbeitsplatz
finden oder von ihrem Einkommen nicht
leben können.
Wohngeld erhalten Menschen, die in bestimmten Lebenssituationen ihre Wohnung vorübergehend nicht allein bezahlen können.
Sozialhilfe erhalten Menschen, die ihre
Existenz zum Beispiel aufgrund von Erwerbsunfähigkeit nicht aus eigener Kraft
sichern können.
Fallbeispiel Förderleistung
„Marvins Vater ist alleinerziehend. Seit einem
halben Jahr fühlt er sich immer hilfloser. Die
Konflikte im Haus werden zunehmend heftiger,
die Anrufe der Lehrerin häufen sich. […] Der Vater
wendet sich ans Jugendamt. Der Sozialarbeiter
führt Gespräche mit beiden und kann sie dafür
gewinnen, zunächst einmal in eine Beratung
bei der Erziehungsberatungsstelle zu gehen. […]
Nach einem halben Jahr ist klar: Marvin erhält
Frau Weber als Erziehungsbeistand an die Seite,
[…] zu der er Vertrauen hat und mit deren Hilfe er
sich auch zutraut, die Probleme in der Schule in
den Griff zu kriegen.”
Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend: Kinder- und Jugendhilfe, Berlin 2014, Seite 39/40
Sozialleistungen nach
Bereichen
Das System der Sozialleistungen
in Milliarden Euro* 2016
Sozialversicherungen
(gesetzliche Kranken-, Unfall-, Renten-,
Arbeitslosen- und Pflegeversicherung)
Förderung und Fürsorge
(zum Beispiel Kindergeld, BAföG,
Wohngeld, Grundsicherung)
Arbeitgebersysteme
(zum Beispiel Lohnfortzahlung bei Krankheit,
betriebliche Rente)
Öffentlicher Dienst
(zum Beispiel Pensionen, Beihilfen)
Sondersysteme
(zum Beispiel private Krankenversicherung)
Entschädigungssysteme
(zum Beispiel für Verfolgte des Nationalsozialismus)
554
176
84
74
Herausforderungen im
21. Jahrhundert
Soziale Gerechtigkeit bedeutet, dass alle Menschen
gleiche Chancen erhalten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Bildung ist eine wichtige Voraussetzung, um soziale Ausgrenzung und Armut zu verhindern. Arbeit, die ein ausreichendes eigenes Einkommen ermöglicht, ist die Basis, um persönliche
Ziele verwirklichen und unabhängig leben zu können.
Zur Chancengleichheit gehört auch, dass Menschen
mit und ohne Behinderung von Anfang an gemeinsam
lernen, arbeiten und leben können. Aufgabe des Sozialstaates ist es, in der Schule, am Arbeitsplatz und im
Wohnumfeld die Voraussetzungen dafür zu schaffen
und Barrieren abzubauen (siehe Seite 26 bis 29).
Eine große Herausforderung für unsere sozialen Sicherungssysteme stellt der demografische Wandel
dar. Je weniger Menschen geboren werden und im Erwachsenenalter arbeiten, desto weniger Beitrags- und
Steuerzahler gibt es, die diese Systeme finanzieren.
Gleichzeitig wächst die Zahl der Leistungsempfänger,
da geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen und die
Menschen immer älter werden.
Die Reformen der sozialen Sicherungssysteme in den
vergangenen beiden Jahrzehnten waren deshalb häufig mit Beitragserhöhungen oder Leistungskürzungen
verbunden, um einen grundlegenden Schutz für alle
zu erhalten. Jeder Einzelne ist aufgerufen, zusätzlich
auch privat vorzusorgen (siehe Kapitel Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung, Seite 31, 36 und 40).
Eine Chance bietet die Zuwanderung von qualifizierten
Menschen aus anderen Ländern. Sie kann die Folgen
des demografischen Wandels mindern. Wichtig ist,
dass die Zuwanderer unterstützt werden, damit sie sich
in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt integrieren
können. Der Staat hilft ihnen dabei, auf eigenen Füßen
zu stehen. Als Arbeitnehmer und Steuerzahler können
sie zur Sicherung der Sozialsysteme beitragen.
34
3
*geschätzte Zahlen, Datenstand Mai 2017
Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales,
Sozialbericht 2017, Tabelle I–2
Geklickt
Broschüre der Bundeszentrale
für politische Bildung zum
Thema „Sozialpolitik“
(327/2015), Online-Version
unter dem Titel „Sozialpolitik
und soziale Sicherung“ unter
www.bpb.de/izpb/214343/
sozialpolitik-und-sozialesicherung
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Soziale Leistungen
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Soziale Gerechtigkeit
• Arbeitsblatt und Hintergrundinformationen: Sozialpolitik
im Jahr 2017
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Demografischer Wandel
• Schaubild: Zuwanderer auf
dem Arbeitsmarkt
/////////////////////////////
Gefragt
Erläutern Sie den Unterschied
zwischen dem System der
Sozialversicherungen und dem
System der Förder- und Fürsorgeleistungen des Staates.
Verständigen Sie sich in der
Gruppe über eine eigene Definition von „sozialem Ausgleich“.
Diskutieren Sie, ob und inwiefern die staatlichen sozialen
Leistungen diesen Ausgleich
herstellen können. Beziehen
Sie die Karikatur und den Text
zum Mindestlohn auf Seite 25
mit ein, und bewerten Sie die
Aussage des Zeichners.
/////////////////////////////
Zeichnung: Thomas Plaßmann, 2014
11
Armut und Reichtum
Chancen
für alle schaffen
„Kinder in Armut können ihre Lebenssituation nicht selbst
ändern. Deshalb hat der Staat hier eine besondere Verantwortung. Kinderarmut in Deutschland darf sich nicht
weiter verfestigen. Darum muss sich die Existenzsicherung
daran orientieren, was Kinder für gutes Aufwachsen und
Teilhabe brauchen.“
Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, bei der Vorstellung der Studie „Armutsfolgen
für Kinder und Jugendliche“, www.bertelsmann-stiftung.de, 12. September 2016
Ziel der Sozialpolitik:
Teilhabe für alle
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hatten rund 16,7 Prozent der Menschen
in Deutschland im Jahr 2015 weniger als
60 Prozent des mittleren Einkommens zur
Verfügung. Sie gelten als armutsgefährdet.
In Deutschland liegt die Armutsgefährdungsgrenze für Alleinlebende bei 1.033 Euro Nettoeinkommen (nach Abzug von Steuern und
Sozialabgaben) im Monat, für Familien mit
zwei Kindern bei 2.170 Euro im Monat. Besonders gefährdet sind arbeitslose, alleinerziehende und allein lebende Menschen.
Auch Migranten und Menschen mit niedrigen
Bildungsabschlüssen sind überdurchschnittlich häufig betroffen. Mit wachsender Kinderzahl steigt das Armutsrisiko.
Armut soll sich nicht
vererben
Alle Menschen sollen am wirtschaftlichen
und sozialen Leben teilhaben können. Das
soziale Netz soll Menschen in Notlagen auffangen. Zu diesem sozialen Netz gehören
12
zum Beispiel das Arbeitslosengeld II, auch
„Hartz IV“ genannt, oder die Grundsicherung im Alter und die Unterstützung armer
Familien. Armut soll sich nicht vererben. Der
Weg zur Armutsvermeidung führt über mehr
Bildung und Beschäftigung. Daher ist es ein
vorrangiges Ziel der Bundesregierung, Erwerbslose wieder in Arbeit zu bringen.
Kinderarmut – ein
Startplatz in der hinteren
Reihe
Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien haben ein erhöhtes Risiko,
körperlich oder seelisch krank zu werden.
Sie erreichen häufiger gar keine oder niedrigere Schulabschlüsse als Kinder aus finanziell besser gestellten Familien und müssen
als Erwachsene häufiger mit Arbeitslosigkeit
rechnen – ein Teufelskreis.
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit
lebten im Dezember 2016 rund 1,7 Millionen Kinder unter 15 Jahren in Haushalten,
die Arbeitslosengeld II in Anspruch nehmen
mussten. Schlimmer als der Mangel an Geld
wirken sich die sozialen Folgen der Armut
aus: das Gefühl, mit den anderen nicht mit-
halten zu können, und der Frust über die
geringeren Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Mit dem sogenannten Bildungspaket unterstützt die Bundesregierung seit dem Jahr
2011 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die Arbeitslosengeld II, Sozialgeld oder
Sozialhilfe erhalten oder deren Eltern einen
Kinderzuschlag oder Wohngeld beziehen.
Ziel ist es, ihnen über Zuschüsse und Kostenerstattungen bessere Lebens-, Bildungsund Entwicklungschancen zu bieten.
Armut in Deutschland
und weltweit
Nach Angaben des fünften Armuts- und
Reichtumsberichts der Bundesregierung aus
dem Jahr 2017 besitzen die reichsten zehn
Prozent der Bevölkerung über die Hälfte der
Vermögen in Deutschland, während die ärmere Hälfte der Bevölkerung lediglich über
gut ein Prozent verfügt. Aufgabe der Politik
ist es, Rahmenbedingungen für soziale Aufstiegsmöglichkeiten zu schaffen und dafür zu
sorgen, dass sich die Schere zwischen Arm
und Reich nicht weiter öffnet.
Armutsgefährdung nach Art der Beschäftigung 2016
Angaben in Prozent
Geklickt
Lebenslagen in Deutschland.
Der Fünfte Armuts- und
Reichtumsbericht der Bundesregierung 2017
www.armuts-undreichtumsbericht.de
Aktuelles zum Thema Armut
von der Bundeszentrale für
politische Bildung und den
Landeszentralen für politische
Bildung
www.politische-bildung.de/
armut_in_deutschland.html
* atypische Beschäftigung: Teilzeitbeschäftigung mit 20 oder weniger Stunden,
Befristung, geringfügige Beschäftigung, Zeitarbeit, freie Mitarbeit
Quelle: Lebenslagen in Deutschland. Der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht
der Bundesregierung, Berlin 2017, Seite 96
Im weltweiten Vergleich zählt Deutschland dennoch
zu den reichen Ländern. Die Einkommensunterschiede zwischen Industrie- und Entwicklungsländern sind
groß. Die absolute Armut ist zwar weltweit leicht gesunken, und es gibt in vielen Regionen soziale Fortschritte wie steigende Lebenserwartung, sinkende
Kindersterblichkeit und höhere Einschulungsquoten.
Einkommen und Vermögen sind in den Entwicklungsländern jedoch immer noch sehr ungleich verteilt. Aus
den daraus resultierenden Konflikten können Bürgerkriege entstehen. Die Folge sind oft große Wanderungsbewegungen aus den ärmeren Ländern in die
reicheren Länder.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen waren
Ende des Jahres 2016 weltweit rund 66 Millionen
Menschen auf der Flucht vor Armut, Krieg und Verfolgung. Das war der höchste Wert seit dem Zweiten
Weltkrieg (1939 bis 1945). Die Fluchtbewegungen halten – wenn auch vermindert – an. Deutschland ist als
wohlhabendes und sicheres Land ein begehrtes Ziel.
Seitdem die Bundesregierung 2015 die Grenzen für
Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien geöffnet hat, sind
mehr als eine Million Menschen nach Deutschland
gekommen. Allein 2016 wurden beim Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge 745.545 Anträge auf Asyl
gestellt. Um den Menschen in ihren Herkunftsländern
bessere Lebensbedingungen und Sicherheit zu ermöglichen, müssen vor allem der Zugang zu Bildung und
Arbeit sowie die Infrastruktur (zum Beispiel Gesundheitsversorgung, Straßenbau) verbessert und die gewaltsamen Konflikte gelöst werden.
Das Ziel einer nachhaltigen Entwicklungspolitik ist es
deshalb, die Entwicklungsländer politisch zu stabilisieren und wirtschaftlich zu fördern. Nur so werden die
Menschen in ärmeren Ländern in die Lage versetzt,
sich selbst zu helfen und sich aus eigener Kraft ein
besseres Leben aufzubauen.
Relative Armut: In Industrieländern wird Armut
zumeist als relative Armut definiert. In relativer Armut leben Menschen, die ein deutlich geringeres
Einkommen als der Durchschnitt der Bevölkerung
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Armut und Reichtum
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Kluft zwischen Arm und
Reich
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Kinder- und Jugendarmut in
Deutschland
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Maßnahmen der Jugendhilfe
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Bürgerschaftliches Engagement
Gewählt
Bürgertelefon zum Bildungspaket
(030) 2 21 91 10 09
Montag bis Donnerstag
8 bis 20 Uhr
/////////////////////////////
Definitionen von Armut und Einkommen
Absolute Armut bezeichnet ein Leben am Rande des Existenzminimums (existenzielle Armut).
Menschen in absoluter Armut haben kaum Zugang zu lebenswichtigen Gütern wie Nahrung und
Trinkwasser. Absolute Armut betrifft in erster Linie
Entwicklungsländer und ist in Deutschland nahezu
ausgeschlossen. Nach einer Definition der Weltbank liegt absolute Armut vor, wenn Menschen von
weniger als 1,90 Dollar pro Tag leben müssen, das
entspricht rund 1,60 Euro.
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
haben (Einkommensarmut). Diese Menschen können nur eingeschränkt an Bildung, Gesundheit und
dem gesellschaftlichen Leben teilhaben.
Das Durchschnittseinkommen ist ein rechnerisch
ermittelter Wert. Dabei wird die Summe aller Einkommen durch die Anzahl der Einkommensbezieher geteilt.
Mittleres Einkommen, Medianeinkommen bedeutet, es liegt genau in der Mitte: Die Zahl der höheren Einkommen ist genauso groß wie die Zahl
der niedrigeren. Wer weniger als 60 Prozent des
mittleren Einkommens zur Verfügung hat, gilt in
Deutschland als armutsgefährdet.
Gefragt
Erläutern Sie mithilfe des
Schaubilds den Zusammenhang von Armutsgefährdung
und Beschäftigungsverhältnis.
Erklären Sie in eigenen Worten
den Unterschied zwischen
Durchschnittseinkommen
und mittlerem Einkommen.
Welcher Wert liegt voraussichtlich höher? Begründen Sie Ihre
Ansicht.
/////////////////////////////
13
Berufsorientierung
Fachkräfte gesucht
Die moderne Arbeitswelt verlangt von den Arbeitnehmern
heute eine gute Ausbildung, Flexibilität und die Bereitschaft
zum lebensbegleitenden Lernen. Aber auch die Anforderungen an die Arbeitgeber sind gestiegen: Sie müssen
im Wettbewerb um die begehrten Fachkräfte umdenken
und ihren Mitarbeitern neben einer guten Bezahlung auch
passende Arbeitsbedingungen und Weiterbildungsmöglichkeiten bieten.
Berufsbiografie früher
und heute
Vor rund 50 Jahren war der Berufsweg oftmals vorgegeben. Wer in einem Betrieb Fuß
gefasst hatte, konnte sich seines Arbeitsplatzes in der Regel sicher sein und wechselte
ihn nur aus privaten oder Karrieregründen.
Heutige Lebensläufe sind viel häufiger von
Brüchen und Unsicherheiten geprägt: Praktika, Zeiten der Arbeitslosigkeit oder Selbstständigkeit, befristete Beschäftigungsverhältnisse, Elternzeiten, Teilzeit, Arbeitsplatzwechsel, Umorientierung und erneutes
Durchstarten kennzeichnen das Berufsleben.
Das bedeutet Risiko und Chance zugleich.
Viele Menschen – vor allem junge – wollen
verschiedene Berufe und Branchen kennenlernen, bevor sie sich festlegen. Voraussetzung dafür ist jedoch ein erfolgreicher Schuloder Ausbildungsabschluss.
14
Die Wahl eines Berufs gehört zu den wichtigsten Entscheidungen eines jungen Menschen. Da die Arbeitswelt immer komplexer
wird und es unzählige Ausbildungs- und Einstiegsangebote gibt, kann man leicht den
Durchblick verlieren. Umso wichtiger ist es,
sich möglichst früh zu informieren und bei
der Arbeitsagentur beraten zu lassen.
Auszubildende gesucht!
Grundsätzlich haben sich die Startbedingungen für Schulabgänger in den vergangenen
Jahren verbessert. Das Verhältnis zwischen
angebotenen Ausbildungsplätzen und Bewerbern ist ausgeglichener geworden. Dennoch gibt es Probleme: Nach wie vor können
viele Jugendliche, vor allem mit niedrigem
Schulabschluss oder aus strukturschwachen
Gegenden, kaum eine passende Ausbildungsstelle in ihrer Region finden. Gleichzeitig werden viele Ausbildungsplätze nicht besetzt, weil Unternehmen keine qualifizierten
Bewerber finden oder weil die Ausbildungsberufe für die Jugendlichen nicht attraktiv
erscheinen (siehe Schaubild auf Seite 18).
Bis zum Jahr 2030 wird es laut Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung etwa
3,6 Millionen weniger Erwerbstätige in
Deutschland geben. Gesucht werden vor
allem Fachkräfte, also Menschen mit einer
abgeschlossenen Berufsausbildung oder einem gleichwertigen Abschluss. Wirtschaftsexperten warnen vor einem Fachkräftemangel in Deutschland, der sich bereits heute in
einigen Branchen bemerkbar macht.
Die Bundesregierung hat daher verschiedene Maßnahmen beschlossen, um zusätzliche Fachkräfte zu gewinnen. Arbeitnehmer
sollen die Möglichkeit haben, sich kontinuierlich weiterzubilden. Die Gesundheit älterer
Arbeitnehmer soll gefördert werden, damit
sie länger arbeiten und ihre Erfahrungen
und Fähigkeiten einbringen können. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll wei-
Arbeitswelt nach Wirtschaftsbereichen
Erwerbstätige in Prozent*
Geklickt
Portal zur Gewinnung von
Fachkräften für den Arbeitsmarkt
www.fachkraefte-offensive.de
Index Gute Arbeit, Report des
Deutschen Gewerkschaftsbundes
http://index-gute-arbeit.dgb.de
Job-Lexikon mit Begriffserläuterungen rund um das Thema
Berufswelt
www.sozialpolitik.com/lexikon
Quelle: Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen 2016, Fachserie 18 Reihe 1.5, Stand: Mai 2017
* Prozentzahlen gerundet, Abweichungen von der Gesamtsumme 100 Prozent sind rundungsbedingt.
ter verbessert werden, damit Eltern arbeiten können.
Bildungsangebote für Kinder im Vorschulalter sollen
ausgebaut werden, und die Zahl der Schulabgänger
ohne Abschluss soll sinken. Außerdem sollen qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland besser integriert
und deren Bildungsabschlüsse und Zeugnisse leichter
anerkannt werden.
Praktikum
Ein Praktikum ist eine gute Möglichkeit, Berufsfelder
kennenzulernen und erste Erfahrungen in der Arbeitswelt zu sammeln. In manchen Fällen gelingt es
auch, Kontakte für einen späteren Ausbildungs- oder
Arbeitsplatz zu knüpfen.
Freiwilliges Engagement
Beim Jugendfreiwilligendienst (Freiwilliges Soziales Jahr oder Freiwilliges Ökologisches Jahr)
können sich junge Menschen ehrenamtlich einsetzen. Der Bundesfreiwilligendienst (früher:
Zivildienst) steht allen – auch älteren – Menschen
offen. Die Freiwilligendienste dauern sechs
Monate bis maximal zwei Jahre. Die Sozialversicherungsbeiträge übernimmt die jeweilige
Einsatzstelle. Für die Freiwilligen gibt es ein
Taschengeld von maximal 381 Euro, und sie
bekommen zum Abschluss ein qualifiziertes
Zeugnis.
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Berufsorientierung
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Abi und dann – Ausbildung
oder Studium?
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Arbeitswelt im Wandel
• Arbeitsblatt: Lernen und
Arbeiten in Europa
• Arbeitsblatt: Frauenerwerbstätigenquote
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Gleichberechtigung
/////////////////////////////
Gefragt
Stellen Sie gegenüber, welche
Anforderungen der Wandel in
der Arbeitswelt an Arbeitnehmer und Arbeitgeber stellt.
Erläutern Sie Ihre Punkte anhand von Beispielen.
Praktika, die während der Schulzeit absolviert werden,
dauern etwa zwei Wochen. Jugendliche, die keinen
Ausbildungsplatz finden, oder Arbeitslose können
sechs bis zwölf Wochen lang in einem Betrieb ein
Praktikum zur Erprobung machen. Auch viele Hochschulabsolventen beginnen ihr Berufsleben mit einem
Praktikum, Volontariat oder Ähnlichem. Pflichtpraktika
werden meist nicht vergütet, weil sie Teil der Ausbildung sind. Bei einem freiwilligen Praktikum kann man
individuell über eine Bezahlung verhandeln.
Ein Praktikum ist kein Arbeitsverhältnis. Der Ausbildungszweck steht beim Praktikum im Vordergrund.
Es zeichnet sich dadurch aus, dass der Praktikant
Gelegenheit bekommt, möglichst viele Bereiche des
Betriebes kennenzulernen und verschiedene, für das
Berufsfeld wichtige Tätigkeiten auszuprobieren. Wer
nur am Kopierer steht, Kaffee kocht oder andere unqualifizierte Hilfsarbeiten ausführt, macht kein Praktikum, sondern erledigt einen Aushilfsjob, der dann
auch entsprechend vergütet werden sollte.
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
Interpretieren Sie die Karikatur
vor dem Hintergrund des ersten
Textes „Berufsbiografie früher
und heute“. Erstellen Sie als
Gegenentwurf eine Zeichnung,
die den Bildungsweg ihrer
Eltern oder Großeltern charakterisiert.
/////////////////////////////
Zeichnung: Sabine Voigt/toonpool.com, 2014
15
Arbeitswelt im Wandel
Arbeiten 4.0
„Die Arbeitswelt der Zukunft wird anders als heute sein. Wird sie auch besser sein?
Werden wir selbstbestimmter und gesünder arbeiten? Werden wir mit 50 Jahren noch
einmal studieren oder einen neuen Beruf lernen? Nehmen uns die Maschinen die Arbeit
weg, oder machen sie Innovationen und Produktivitätsgewinne möglich, die neue
Arbeitsplätze schaffen?“
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weißbuch Arbeiten 4.0, Berlin 2017, Seite 4
Digitalisierung und Vernetzung der Arbeitswelt
Wir sind auf dem Weg in die Wissensgesellschaft und in eine digitale Ökonomie. Die
digitale Vernetzung wirkt sich auf alle öffentlichen und privaten Lebensbereiche aus und
damit auch auf die Arbeitswelt. Der Begriff
Arbeiten 4.0 ist an die aktuell diskutierte
vierte industrielle Revolution, die sogenannte Industrie 4.0, angelehnt. Industrie 4.0
bezeichnet die internetgestützte hoch automatisierte und vernetzte Produktionsweise. Arbeiten 4.0 umfasst alle Bereiche der
Arbeitswelt. Es geht um die Frage, welche
Auswirkungen die Digitalisierung hat und
wie dieser Strukturwandel gestaltet werden
kann. Veränderungen sind zum Beispiel:
Weniger qualifizierte Tätigkeiten fallen
durch den Einsatz von Computern weg,
sodass Qualifizierung und Weiterbildung
noch wichtiger werden.
Mobile Arbeitsgeräte (Notebook, Tablet,
Smartphone), digitale Vernetzung und
die universelle Zugänglichkeit von Informationen, zum Beispiel über eine Cloud,
machen das Arbeiten von jedem Ort aus
und zu jeder Zeit möglich.
Arbeitnehmer arbeiten häufiger vernetzt
in oder mit internationalen Unternehmen.
16
Über vernetzte Computer können Verhalten und Leistungen der Arbeitnehmer
theoretisch ständig kontrolliert werden,
weshalb der Beschäftigtendatenschutz
und die Mitbestimmung von Betriebsräten beim Einsatz neuer Software an
Bedeutung gewinnen.
Je mehr die Leistungsfähigkeit der digitalen Technik steigt, desto mehr Leistung
wird auch von den Arbeitnehmern erwartet. Die Arbeit „verdichtet sich“, es wird in
Schichten rund um die Uhr gearbeitet.
„Zukunft der Arbeit bedeutet für
mich, mobiler und flexibler, aber
auch ersetzbarer zu sein. Globalisierung und Technologisierung
ermöglichen es, von überall in
derselben Qualität zu arbeiten.“
Ängste und Hoffnungen
Um Trends der zukünftigen Arbeitswelt zu
analysieren, hatte die Bundesregierung in
den Jahren 2015 und 2016 zu einem öffentlichen Dialog Arbeiten 4.0 eingeladen. Daran haben sich mehr als 200 Experten und
12.000 Bürgerinnen und Bürger beteiligt.
Die Ergebnisse und Lösungsansätze sind im
„Weißbuch Arbeiten 4.0“ dokumentiert. Bis
November 2016 wurden über das Internet
mehr als 5.000 Beiträge zu verschiedenen
Aspekten der Arbeitswelt eingereicht. Hier
eine Auswahl:
„Ich würde mir wünschen, dass
ich mehr Zeit für meine Kinder in
Zukunft haben werde und mir meine Arbeitszeiten flexibel einteilen
kann. Hier ein passendes Konzept
zu entwickeln, wäre toll!“
„Arbeiten 4.0 bedeutet vor allem,
auf den Demografie- und Strukturwandel einzugehen. Wir werden alle
arbeitenden Hände benötigen, ob
angestellt oder selbstständig. Wir
brauchen flexible Regelungen!“
„Digitalisierung heißt bei uns:
Automatisierung, Standardisierung, mehr Monotonie, mehr
Ergebniskontrolle, vor allem aber:
Vernichtung ‚alter‘ Arbeitsplätze,
wenige neue für weniger Geld. Ist
das o. k.?“
„Man müsste noch mehr Roboter
„Arbeiten in der Zukunft heißt für
‚beschäftigen‘, damit die Menmich, Arbeit und Privates nicht zu
schen qualifiziertere Arbeit matrennen, sondern zu verbinden
chen und vor allem bei körperlich
und davon zu profitieren, zum Beianstrengender Arbeit (zum Beispiel
spiel Ideen finden beim Biken.“
in der Pflege) besser unterstützt
„Die Flexibilisierung der Arbeitswerden können.“
„Noch zu wenige Menschen
zeit ist wünschenswert, aber der
wissen mit den Möglichkeiten der
Schutz vor Selbstausbeutung darf
aktuellen Technik richtig umzudabei nicht außer Acht gelassen
gehen. Ich wünsche mir für die
werden.“
Zukunft, dass sich das ändert und
auch ‚ältere Semester‘ das Potenzial nutzen können.“
Auswirkungen des digitalen
Wandels
Der digitale Wandel vollzieht sich auf drei miteinander
verbundenen Ebenen:
1.
Neue, immer leistungsfähigere Technologien:
Das Arbeiten wird zunehmend vernetzt. Der Informationsaustausch kann prinzipiell von überall und
zu jeder Uhrzeit erfolgen, auch über Ländergrenzen
hinweg. Die Arbeitsprozesse werden von IT-Systemen
unterstützt, kontrolliert und teilweise sogar gesteuert.
Bestimmte Arbeitsschritte werden dadurch entbehrlich, andere kommen neu hinzu.
2.
Neue Dienstleistungen, Produkte und Geschäftsmodelle: Es entstehen neue Berufsbilder, zum Beispiel Mediengestalter Digital und Print,
und digital erzeugte Produkte, zum Beispiel durch
3-D-Drucker. Online-Plattformen schaffen mit ihren
Geschäftsmodellen neue zentrale Marktplätze nicht
nur für Informationen und Waren, sondern auch für
Arbeit und Dienstleistungen, die vorher dezentral angeboten wurden.
3.
Neue Kommunikations-, Konsum- und Arbeitskultur: Die Menschen kommunizieren auf neuen
Wegen miteinander, zum Beispiel über soziale Netzwerke, und haben veränderte Konsumvorlieben. Die
Digitalisierung erlaubt flexiblere Arbeitsmodelle, zum
Beispiel mobiles Arbeiten. Einerseits lassen sich dadurch Familie und Beruf besser vereinbaren, andererseits wird es durch die ständige Erreichbarkeit schwieriger, Arbeit und Freizeit zu trennen.
Die sozialen Sicherungssysteme sind für Vollzeitarbeitsverhältnisse konzipiert. Arbeitnehmer in sogenannten atypischen Arbeitsverhältnissen, etwa Soloselbstständigkeit, Zeitarbeit oder Leiharbeit, sind
schlechter abgesichert. Bildung und Qualifizierung
sollten an die neue Arbeitswelt angepasst werden, aber
auch Geringqualifizierte müssen teilhaben können.
Prognose 2030:
Veränderung der Beschäftigtenzahl in ausgewählten Branchen
2014 bis 2030, Angaben in Tausend
Geklickt
Portal des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales zum
Dialog Arbeiten 4.0
www.arbeitenviernull.de
Internetangebot der Bundeszentrale für politische Bildung
mit Artikeln zum Thema Industrie 4.0, Digitalisierung der
Arbeitswelt und einem Glossar
„Zukunft der Arbeit“
www.bpb.de
Arbeitsheft „Grundwissen
soziale Globalisierung“
www.sozialpolitik.com/artikel/
arbeitsheft-grundwissensoziale-globalisierung
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Arbeitswelt im Wandel
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Digitaler Wandel der
Arbeitswelt
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Arbeitsmarkttrends
/////////////////////////////
Gefragt
Benennen Sie „Gewinnerbranchen“ und „Verliererbranchen“
der in der Grafik dargestellten
Arbeitsmarktprognose 2030.
Erläutern Sie mithilfe der Texte
mögliche Ursachen.
Listen Sie in einer Tabelle
Ängste und Hoffnungen auf,
die mit dem Wandel der
Arbeitswelt verbunden werden.
Erläutern Sie, welche Rolle dabei verschiedene Lebenssituationen, zum Beispiel Ausbildung,
Erwerbstätigkeit, Familienzeit
und Alter, spielen.
* Das Basisszenario geht von einer stetigen Digitalisierung von Wirtschaft und
Gesellschaft sowie den gegenwärtigen
Entwicklungen des Arbeitsmarktes aus.
/////////////////////////////
** Das Szenario beschleunigte Digitalisierung erfordert eine gezielte Förderung
und Beschleunigung des technologischen Wandels durch Wirtschaft und
Politik.
Quelle: Bundesministerium für Arbeit
und Soziales: Weißbuch Arbeiten 4.0,
Berlin 2017, Seite 52
17
Berufswahl
Auf dem Weg
ins Berufsleben
„Bei der Berufswahl stehen drei Fragen im Vordergrund:
Was kann ich? – Begabungen und Fähigkeiten entdecken
Was will ich? – Wünsche und Erwartungen an den Beruf überlegen
Welche Ausbildungsmöglichkeiten gibt es?
Die Antworten auf diese Fragen dienen Ihnen als Grundlage zur richtigen Entscheidung.“
Azubis.de – Das Ausbildungsportal, www.azubis.de > Ratgeber > Berufsleben im Blick > Berufsorientierung, Stand: Juli 2017
Nachwuchskräfte
gesucht
Der Arbeitsmarkt bietet für alle jungen Menschen vielfältige Tätigkeiten. Ein Schulabschluss ist eine wichtige Voraussetzung, aber
auch Kompetenzen wie Verlässlichkeit, Zielorientierung, Teamfähigkeit und Flexibilität
sind wichtig. Wer sich auf die gewünschte
Ausbildung gut vorbereitet und außerdem
bereit ist, dafür in eine andere Stadt zu ziehen, erhöht seine Chancen. Wenn es trotzdem nicht auf Anhieb klappt, kann man immer noch seinen Berufswunsch überdenken
und einen Ausbildungsplatz in einer anderen, ähnlichen Branche suchen. Dazu gehört,
dass man sich je nach Interesse auch mal
nach eher geschlechtsuntypischen Berufen
erkundigt: also Mädchen nach technischen,
mathematischen und naturwissenschaftlichen Berufen und Jungen nach sozialen und
pflegerischen Berufen.
Generell gilt: Als Erstes sollte man selbst
aktiv werden und spätestens ein Jahr vor
Schulabschluss in Stellenbörsen nach einem
Ausbildungsplatz suchen. Eine zweite Möglichkeit ist, direkt bei vorherigen Praktikumsbetrieben und anderen Arbeitgebern anzu-
18
fragen. Eine solche Initiativbewerbung kann
sich lohnen. Die nächste Anlaufstelle bei der
Ausbildungsplatzsuche ist die kostenlose
Berufsberatung der örtlichen Arbeitsagentur.
Die Berufsberater wissen, wo es vor Ort offene Stellen gibt, und haben einen Überblick
über den bundesweiten Ausbildungsmarkt.
Sie informieren außerdem über die jeweiligen Anforderungen und Bewerbungsfristen. Auf Antrag gewährt die Arbeitsagentur
finanzielle Unterstützung, zum Beispiel mit
Zuschüssen zu Reise-, Bewerbungs- und
Umzugskosten oder der einkommensabhängigen Berufsausbildungsbeihilfe.
Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt
Mehr Stellen als Bewerber:
Mehr Bewerber als Stellen:
Berufe mit Besetzungsproblemen,
Anteil der unbesetzten Ausbildungsplätze
Berufe mit Versorgungsproblemen,
Anteil der erfolglosen Bewerber
Restaurantfachmann/-frau:
Fleischer/-in:
34,2 Prozent
33,3 Prozent
Fachverkäufer/-in im
Lebensmittelhandwerk:
32,7 Prozent
Fachmann/-frau für
Systemgastronomie:
28,7 Prozent
Klempner/-in:
25,9 Prozent
24,0 Prozent
Bäcker/-in:
Beton- und Stahlbetonbauer/-in:
23,2 Prozent
Gerüstbauer/-in:
23,1 Prozent
22,1 Prozent
21,8 Prozent
Hotelkaufmann/-frau:
Gebäudereiniger/-in:
Tierpfleger/-in:
Gestalter/-in für visuelles
Marketing:
Mediengestalter/-in Bild und Ton:
Sport- und Fitnesskaufmann/-frau:
47,3 Prozent
4 7, 1 Prozent
46,3 Prozent
34,3 Prozent
Informations- und Telekommu nikationssystem-Elektroniker/-in:
29,3 Prozent
Mediengestalter/-in Digital und
Print:
29, 1 Prozent
Biologielaborant/-in:
25,8 Prozent
25,5 Prozent
24,9 Prozent
24,9 Prozent
Fotograf/-in:
Buchhändler/-in:
Chemielaborant/-in:
Quelle: Bundesinstitut für Berufsbildung, Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2017, Bonn 2017, Seite 25
Das duale System der Berufsausbildung in Deutschland
Geklickt
Voraussetzungen
Je nach Ausbildungsberuf erwarten die Arbeitgeber bestimmte Schulabschlüsse
von den Bewerbern. Gesetzlich vorgeschrieben sind sie jedoch nicht. Lediglich für
Gesundheits- und Sozialberufe und für Berufe im öffentlichen Dienst und in der
Verwaltung gibt es besondere Zugangsbestimmungen.
Berufsinformationen der Bundesagentur für Arbeit
www.berufenet.arbeitsagentur.
de/berufe
www.planet-beruf.de
Bewerbung
direkt bei den Betrieben. Die Berufsberatung der Arbeitsagentur hilft durch
Ausbildungsstellenvermittlung.
Ausbildungsreport 2016 der
DGB-Jugend
www.jugend.dgb.de/ausbildung
duale Ausbildung
1. Ausbildung
im Betrieb
2. Ausbildung
in der Berufsschule
zwei bis dreieinhalb Jahre,
je nach Beruf
durch Ausbilder und Meister
nach bundeseinheitlichen
Ausbildungsordnungen (in
der Regel drei bis vier Tage
wöchentlich)
fachtheoretischer, fachpraktischer
und allgemeinbildender Unterricht
durch Fachlehrer nach Lehr- oder
Bildungsplänen, die mit den betrieb lichen Ausbildungsordnungen ab gestimmt sind (ein bis zwei Tage
wöchentlich, zum Teil auch als
Blockunterricht)
Ausbildungsvergütung
je nach Beruf und Bundesland,
im Durchschnitt 854 Euro
monatlich (Stand 2016)
Abschluss
nach erfolgreicher Abschlussprüfung vor dem Prüfungsausschuss der zuständigen
Stelle für Berufsbildung (zum Beispiel Industrie- und Handelskammer oder Handwerkskammer)
Quelle: eigene Darstellung nach JAV Uni Halle: www.jav.uni-halle.de, Bundesinstitut für Berufsbildung: www.bibb.de
Viele Wege führen zum Ziel
Früher waren die Bildungswege klar getrennt: Wer
Abitur hatte, der studierte in der Regel auch. Heute
entscheiden sich immer mehr Abiturienten für eine
Ausbildung. Etwa jeder vierte Auszubildende hat mittlerweile die allgemeine Hochschulreife. Ein Studium
ist nicht automatisch ein Garant für ein gutes Einkommen. Wer vor allem gut verdienen will, muss nicht unbedingt studieren, sondern sich die Branchen genau
anschauen. Für die Lebenszufriedenheit sind jedoch
persönliche Vorlieben und Fähigkeiten in der Regel
wichtiger als die Höhe des Gehalts.
Die Einstiegsqualifizierung für Jugendliche ist ein
ausbildungsvorbereitendes Praktikum in einem Ausbildungsbetrieb, das bis zu einem Jahr dauert und als
Brücke in die Berufsausbildung dienen soll. Es endet
mit einem anerkannten Zertifikat und kann auf eine
spätere Berufsausbildung angerechnet werden.
Im Rahmen einer Assistierten Ausbildung werden
benachteiligte junge Menschen während der betrieblichen Ausbildung, beim Lernen und bei Bewerbungen
gezielt gefördert. Auch die Betriebe werden unterstützt
und beraten.
Job-Lexikon mit Begriffserläuterungen rund um das Thema
Berufswelt
www.sozialpolitik.com/lexikon
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Berufswahl
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Abi und dann – Ausbildung
oder Studium?
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Berufschancen von Mädchen und Jungen
• Arbeitsblatt: Berufswahl:
Wo werden Auszubildende
gesucht?
• Schaubild: Angebot und
Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Jobben in den Ferien
Gewählt
Bürgertelefon zur Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsförderung
(030) 2 21 91 10 03
Montag bis Donnerstag
8 bis 20 Uhr
/////////////////////////////
Ausbildung ohne Betrieb
Gefragt
Mit der Berufseinstiegsbegleitung bietet die Bundesagentur für Arbeit noch vor dem Schulabschluss über
einen längeren Zeitraum individuelle Unterstützung,
damit der Übergang von der Schule in die Ausbildung
besser gelingt. Dieses Bildungsangebot richtet sich vor
allem an förderungsbedürftige Jugendliche an allgemeinbildenden Schulen.
Wenn es überhaupt nicht mit dem Ausbildungsplatz
klappen will, ist eine Berufsausbildung in einer außerbetrieblichen Einrichtung eine Alternative. Dabei
arbeiten die Auszubildenden nicht in einem richtigen
Betrieb, sondern in Einrichtungen von Bildungsträgern.
Sie lernen praktische Tätigkeiten, die für den Beruf
wichtig sind, und wenden diese in mehrwöchigen
Betriebspraktika an.
Beantworten Sie stichwortartig die drei im Einstiegskasten
genannten Fragen bei der
Berufswahl für sich selbst.
Nutzen Sie hierfür auch das
Informationsangebot unter
www.planet-beruf.de. Besprechen Sie Ihre Einschätzungen
und Möglichkeiten in der
Lerngruppe.
Wer den Schulabschluss nicht oder nur mit einem
schlechten Durchschnitt geschafft hat, kann seine
Chancen durch ein Berufsvorbereitungsjahr verbessern. Oft entwickeln die Teilnehmer erst im Laufe der
einjährigen Schulzeit einen konkreten Berufswunsch,
denn im Rahmen des Berufsvorbereitungsjahrs werden praktische und theoretische Grundqualifikationen
vermittelt.
Auch der Besuch einer Berufsfachschule kann sich
lohnen. Die einjährige Grundausbildung kann auf eine
entsprechende betriebliche Ausbildung angerechnet
werden. Zweijährige Schulausbildungen bieten die
Möglichkeit, einen höheren Schulabschluss nachzuholen. Darüber hinaus gibt es Berufsfachschulausbildungen, die zu einem Berufsabschluss führen, etwa
im Bereich der Hauswirtschaft oder der Erziehung.
Wählen Sie einen möglichen
Ausbildungsberuf. Informieren
Sie sich im Internet über Anforderungen, Inhalte und Entwicklungsmöglichkeiten. Fassen
Sie Ihre Ergebnisse zusammen,
indem Sie eine Stellensuchanzeige für Ihre Regionalzeitung
formulieren.
Hilfen für den Berufseinstieg
/////////////////////////////
19
Berufseinstieg
Von Anfang
an versichert
Von der Schule in die Ausbildung: Für Jugendliche ist das ein großer Schritt mit
vielen Veränderungen. Während der Schulzeit war man noch bei den Eltern
mitversichert. In der Ausbildung ist man nun automatisch Mitglied in der Sozialversicherung und erlebt zum ersten Mal, was das konkret bedeutet.
Geteilte Kosten
Eine sinnvolle Pflicht
Vom ersten Tag der Ausbildung an besteht
Sozialversicherungsschutz. Der ist zwar
nicht kostenlos, aber die Arbeitnehmer müssen ihre Beiträge für die Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung nicht
allein finanzieren.
Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Sozialversicherung ist aus mehreren Gründen eine
sinnvolle Pflicht: Man beteiligt sich mit Beiträgen, die sich am eigenen Leistungsvermögen orientieren, am Solidarprinzip („Einer für
alle, alle für einen“, siehe Seite 8). Dadurch
ist man automatisch auch selbst gegen die
Folgen von Krankheiten, Unfällen, Pflegebedürftigkeit, Alter und Arbeitslosigkeit abgesichert. So erwirbt man mit den Beiträgen
zur Rentenversicherung beispielsweise den
Anspruch auf eine spätere Rente.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen sich
die Beiträge jeweils zur Hälfte. Eventuelle
Zusatzbeiträge der Krankenkasse muss der
versicherte Arbeitnehmer selbst tragen. Die
Beiträge für die Unfallversicherung übernimmt allein der Arbeitgeber.
Die Arbeitnehmeranteile werden direkt vom
Lohn abgezogen. Der Arbeitgeber überweist
das Geld zusammen mit seinem Anteil an
die Sozialversicherungsträger. Wenn man
nicht mehr als 325 Euro brutto im Monat
verdient, zahlt der Arbeitgeber die Sozialabgaben sogar allein (Geringverdienergrenze).
Wer den Ausbildungsplatz verliert, etwa weil
die Firma schließt, oder wer später einmal
arbeitslos wird, ist weiterhin versichert. In
diesem Fall übernimmt die Bundesagentur
für Arbeit die Beiträge.
20
Anders als bei privaten Versicherungen
wird in der Sozialversicherung kein Vertrag
geschlossen, bei dem Leistungen und Beitragshöhe individuell ausgehandelt werden.
Sie beruht auf einem öffentlich-rechtlichen
Sozialversicherungsverhältnis, das gesetzlich festgelegt ist. Wer in einem Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis steht, ist in der
Regel automatisch sozialversichert. Nicht
erwerbstätige Ehepartner und Kinder sind
eingeschlossen.
Ergänzend zu der gesetzlichen Sozialversicherung können auch noch weitere Risiken
individuell durch private Versicherungen abgesichert werden. Private Versicherungsgesellschaften werben mit zahlreichen Produkten um junge Kunden. Verbraucherschützer
halten jedoch für Berufseinsteiger nur drei
private Vorsorgeformen für sinnvoll: eine
Haftpflichtversicherung, eine Berufsunfähigkeitsversicherung und eine private Altersvorsorge (siehe Seite 34 und 36).
Im Ausbildungsvertrag
müssen stehen:
Name und Anschrift der Vertragspartner
Art der Ausbildung
Beginn und Dauer der Ausbildung
Ziel der Ausbildung
Pflichten des Ausbildenden
Pflichten des Auszubildenden
Arbeitszeit
Höhe der Ausbildungsvergütung
Dauer des Jahresurlaubs
Voraussetzungen für Kündigung
Hinweis auf geltende Tarifverträge,
Betriebs- oder Dienstvereinbarungen
Datum und Unterschrift der
Vertragspartner
Musterverträge zum Herunterladen gibt
es bei www.dihk.de > Themenfelder >
Aus- und Weiterbildung > Ausbildung >
Ausbildungspolitik > Service.
Ausbildungsstart
Darum muss man sich selbst
kümmern:
Darum kümmert sich der
Arbeitgeber:
dem Arbeitgeber die persönliche Identifikationsnummer, abgekürzt Steuer-ID,
Geburtsdatum und Religionszugehörigkeit
mitteilen
zur Sozialversicherung anmelden: Der
Arbeitgeber muss seine Arbeitnehmer und
Auszubildenden zur Sozialversicherung
anmelden. Die Beiträge für die Sozialversicherung werden automatisch vom Gehalt
abgezogen.
eine Bescheinigung vom Arzt einholen,
sofern man nicht volljährig ist (Berechtigungsschein bei der Gemeinde- oder
Stadtverwaltung beantragen)
eine Kranken-/Pflegekasse aussuchen,
Angebote vergleichen
ein Gehaltsgirokonto bei einer Bank oder
Sparkasse einrichten
die Rechte und Pflichten von Auszubildenden kennen (siehe Seite 23)
sich über staatliche Fördermöglichkeiten
informieren und gegebenenfalls einen
Antrag stellen, zum Beispiel für Wohngeld
oder Umzugskosten
den Arbeitgeber nach vermögenswirksamen Leistungen und betrieblicher Altersvorsorge fragen (siehe Seite 37)
Anmeldeformulare der Berufsschule ausfüllen und Unterlagen zusammenstellen
Arbeitgeber über Berufsschulzeiten informieren
Sozialversicherungsausweis beantragen:
Jeder Arbeitnehmer erhält eine persönliche
Sozialversicherungsnummer, abgekürzt
SV-Nummer, die er das ganze Leben lang
behält. Der Sozialversicherungsausweis
wird ihm per Post zugeschickt.
Steuern abführen: Wenn Lohnsteuer anfällt, zahlt der Ausbildungsbetrieb diese an
das Finanzamt, ebenso den Solidaritätszuschlag und eventuell die Kirchensteuer.
Ausbilder stellen, Ausbildungsinhalte festlegen und überprüfen
Ansprechpartner benennen, zum Beispiel
Jugend- und Auszubildendenvertretung,
Betriebsrat, Gleichstellungsbeauftragte,
Behindertenbeauftragte
in die Sicherheitsvorschriften des Betriebs
einweisen
Auszubildende bei der Berufsschule anmelden
Beispiel-Gehaltsabrechnung eines Auszubildenden
Von brutto zu netto, Stand 2017
Bruttoverdienst:
Grundgehalt ohne Abzüge wie
Steuern oder Krankenversicherung
Steuerbrutto:
Grundlage zur Berechnung der steuerlichen
Abzüge
Kranken- / Pflegeversiche rung und Renten- / Arbeitslosenversicherung (KV /
PV- und RV / AV-Brutto):
jeweils Grundlage zur
Berechnung der Beiträge
für den entsprechenden
Versicherungszweig
Lohnsteuer, Kirchensteuer, Solidaritätszuschlag
fallen in der Ausbildung in der Regel noch nicht an,
erst bei einem höheren Bruttogehalt.
Steuerrechtliche Abzüge:
Summe der zu zahlenden Steuern
Krankenversicherung im Durchschnitt 15,7 Prozent
Arbeitgeber und Arbeitnehmer 7,3 Prozent plus durchschnittlich 1,1 Prozent Arbeitnehmer-Zusatzbeitrag
(Prognose des Bundes für 2017, genauer Zusatzbeitrag
abhängig von Krankenkasse)
Pflegeversicherung 2,55 Prozent
Arbeitgeber und Arbeitnehmer 1,275 Prozent (in
Sachsen: Arbeitgeber 0,775 Prozent, Arbeitnehmer
1,775 Prozent). Kinderlose Arbeitnehmer ab 23 Jahren:
1,525 Prozent (in Sachsen: 2,025 Prozent)
Rentenversicherung 18,7 Prozent
Arbeitgeber und Arbeitnehmer 9,35 Prozent
Arbeitslosenversicherung 3,0 Prozent
Arbeitgeber und Arbeitnehmer 1,5 Prozent
Sozialversicherungsrechtliche Abzüge:
Summe der zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge
Geklickt
Übersicht des Bundesinstituts
für Berufliche Bildung mit
Informationsquellen für
Jugendliche zum Thema
Aus- und Weiterbildung
www.bibb.de
Job-Lexikon mit Begriffserläuterungen rund um das Thema
Berufswelt
www.sozialpolitik.com/lexikon
Arbeitsmaterialien in der Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt: Von Anfang
an versichert (Fragebogen
zur Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Berufseinstieg
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Entwicklung der Sozialversicherungsbeiträge
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Sozialversicherung im Überblick
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Soziale Leistungen
/////////////////////////////
Gefragt
Berechnen Sie ausgehend
von einem Bruttogehalt von
937 Euro, der durchschnittlichen Ausbildungsvergütung
im dritten Ausbildungsjahr
im Jahr 2016, die Höhe der
Sozialabgaben und den monatlichen Nettoverdienst.
Stellen Sie diesem Nettoverdienst in einer Tabelle Ihre
festen monatlichen Ausgaben,
zum Beispiel für Kleidung,
Smartphone oder Freizeitgestaltung, gegenüber. Überprüfen Sie, ob Sie Geld übrig
hätten, um zum Beispiel die
Miete für eine eigene Wohnung
bezahlen zu können.
/////////////////////////////
Quelle: eigene Darstellung
21
Arbeitsrecht 1
Arbeitnehmer haben
Rechte
Die Jugend- und Auszubildendenvertretung
Auszubildende sind keine billigen Hilfskräfte, sondern haben das Recht auf eine Ausbildung unter genau festgelegten Bedingungen. Bei Schwierigkeiten sollten sie zunächst
mit dem Ausbilder oder der Jugend- und
Auszubildendenvertretung, abgekürzt JAV,
im Betrieb sprechen. Die JAV achtet darauf,
dass die für Jugendliche und Auszubildende relevanten Gesetze, Tarifverträge und
Betriebsvereinbarungen im Unternehmen
eingehalten werden. Sie informiert auch
darüber, was im Betrieb geschieht, welche
Projekte anstehen oder wie sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens entwickelt. In die JAV dürfen sich Auszubildende
und Arbeitnehmer bis zur Vollendung des
25. Lebensjahres wählen lassen (siehe auch
Kapitel „Von Schülern für Schüler“ zum Thema Mitbestimmung auf Seite 42/43).
Die JAV arbeitet eng mit dem Betriebsrat
zusammen, der Interessenvertretung der Arbeitnehmer. In öffentlichen Dienststellen
und Verwaltungen heißt diese Interessenvertretung Personalrat. Wenn es keine JAV
und keinen Betriebs- oder Personalrat gibt,
können Auszubildende sich auch an die für
ihren Beruf zuständige Gewerkschaft oder
die verantwortliche Kammer wenden, zum
Beispiel die Handwerkskammer oder die
Industrie- und Handelskammer. Dort gibt es
Ausbildungsberater und einen Schlichtungsausschuss.
22
„Ich rate allen, die sich gerne engagieren und nicht scheuen,
auch mal unbequeme Themen anzusprechen, sich zu überlegen,
ob die Kandidatur als Jugend- und Auszubildendenvertreter/-in
nicht interessant sein könnte. Wenn man gewählt wird, hat man
viele Möglichkeiten, die Ausbildungsqualität zu verbessern, sich
für eine gute Perspektive nach dem Studium oder der Ausbildung
einzusetzen, aber auch, sich persönlich auf vielen verschiedenen
Ebenen weiterzuentwickeln.“
Cheyenne Todaro, 23, JAV-Vorsitzende im Mercedes-Benz-Werk Mannheim, in: Soli aktuell 10/2016,
www.jugend.dgb.de
Betriebsräte: Arbeitnehmer bestimmen mit
Wenn in einem Unternehmen mindestens
fünf Arbeitnehmer ständig beschäftigt sind,
können sie einen Betriebsrat wählen. Gesetzlich vorgeschrieben ist er nicht. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat informieren
und anhören. Der Betriebsrat kann bei bestimmten Entscheidungen des Arbeitgebers
beraten, mitwirken und mitbestimmen.
Bei größeren Unternehmen mit Niederlassungen in mehreren europäischen Ländern
vertritt ein Europäischer Betriebsrat, abgekürzt EBR, die Interessen der Arbeitnehmer.
In größeren Aktiengesellschaften und Organisationen sind die Arbeitnehmer zusätzlich
im Aufsichtsrat vertreten, der den Vorstand
kontrolliert. Betriebsräte in Deutschland haben im europäischen Vergleich sehr viele
Mitbestimmungsrechte.
Das Betriebsverfassungsgesetz regelt die
Rechte des Betriebsrats:
In sozialen Angelegenheiten hat er ein
Mitbestimmungsrecht, zum Beispiel bei
betriebsspezifischen Arbeitszeit- oder
Urlaubsregelungen oder in Fragen des
Arbeitsschutzes. Der Arbeitgeber kann
hierüber nur mit Zustimmung des Betriebsrats entscheiden.
Bei personellen Angelegenheiten hat er
ein Mitwirkungsrecht, zum Beispiel bei
Einstellungen, Versetzungen, Kündigungen oder der Erstellung eines Sozialplans. Das heißt, der Betriebsrat kann
den Entscheidungen des Arbeitgebers
widersprechen.
In wirtschaftlichen Angelegenheiten hat
er lediglich ein Informationsrecht, zum
Beispiel bei Betriebsänderungen oder
Investitionsentscheidungen. Das heißt,
er muss informiert werden.
Rechte und Pflichten
von Auszubildenden
Rechte
Auszubildende
erhalten eine angemessene Ausbildungsvergütung, auch während des Berufsschulunterrichts.
erlernen alle für das Ausbildungsziel erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse.
bekommen vor allem Aufgaben übertragen,
die dem Ausbildungszweck dienen.
erhalten kostenlose Ausbildungsmittel,
Werkzeuge und Werkstoffe.
haben ein Recht auf mindestens 24 Tage
Urlaub, wenn sie älter als 18 sind, und
25 bis 30 Tage, wenn sie jünger sind.
haben ein Recht auf feststehende Pausen
und Ausgleich von Überstunden.
haben eine Arbeitszeit von höchstens acht
Stunden täglich und 40 Stunden in der
Woche, wenn sie jünger als 18 sind.
werden über Arbeitsschutzmaßnahmen
informiert.
werden freigestellt, wenn Berufsschulunterricht, Prüfungen oder andere Ausbildungsmaßnahmen anstehen.
erhalten ein Zeugnis vom Ausbildungsbetrieb mit Angabe der Art, Dauer und dem
Ziel der Ausbildung sowie über die erworbenen Fertigkeiten und Kenntnisse, auf
Verlangen des Auszubildenden auch über
Verhalten und Leistung.
Pflichten
Auszubildende
sind verpflichtet, am Berufsschulunterricht
teilzunehmen.
sollen alles erlernen, was wichtig für den
Beruf ist.
müssen den Anweisungen des Ausbilders
folgen und die Betriebsordnung einhalten.
sollen alle Aufgaben sorgfältig ausführen.
sind verpflichtet, über Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse zu schweigen.
müssen Werkzeuge, Maschinen und
sonstige Einrichtungen pfleglich behandeln.
sind verpflichtet, den Arbeitsschutz einzuhalten.
sind verpflichtet, bei Krankheit ein ärztliches
Attest vorzulegen.
müssen ihre Ausbildungsinhalte dokumentieren.
Quelle: eigene Darstellung nach Bundesagentur für Arbeit,
DGB-Jugend
Kündigungsschutz:
mehr Sicherheit
Der Kündigungsschutz bewahrt Arbeitnehmer vor
willkürlichen und sozial ungerechten Entlassungen.
Arbeitgebern bietet er ebenfalls Sicherheit, denn auch
die Mitarbeiter müssen sich an die gesetzlich geregelten Fristen und Formalitäten halten. Fristlose Kündigungen können nur bei groben Verstößen wie Arbeitsverweigerung, Beleidigungen, sexueller Belästigung
oder unpünktlichen Gehaltszahlungen ausgesprochen
werden. Gegen eine Kündigung kann vor dem Arbeitsgericht geklagt werden.
Für Auszubildende besteht ein besonderer Kündigungsschutz, ebenso für Schwangere und Mütter bis
vier Monate nach der Entbindung, schwerbehinderte
Menschen, freiwillig Wehrdienstleistende und Arbeitnehmer in Eltern- oder Pflegezeit.
Ausbildungsvergütung mit und
ohne Tarifbindung
Ausbildungsvergütungen sollen nach dem Berufsbildungsgesetz „angemessen“ sein und einen fühlbaren
Beitrag zum Lebensunterhalt leisten. Sie sollen mit
fortschreitender Berufsausbildung ansteigen und das
Alter der Auszubildenden berücksichtigen.
Für viele Ausbildungsberufe gelten Tarifverträge, die
zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften
geschlossen wurden (siehe nächstes Kapitel). In diesen Verträgen wird auch die Höhe der Ausbildungsvergütung geregelt. Die tariflichen Regelungen fallen
je nach Region, Branche und Ausbildungsjahr unterschiedlich aus.
Ausbildungsbetriebe, die nicht tarifgebunden sind, sollen sich an diesen Regelungen orientieren. Sie können jederzeit mehr bezahlen, dürfen den Tarif jedoch
nicht weit unterschreiten. Es gibt eine gesetzliche Untergrenze von 80 Prozent der tariflichen Vergütung in
der betreffenden Branche und Region. Auszubildende
können sich bei den Gewerkschaften über die tariflichen Regelungen informieren und mit dem Arbeitgeber verhandeln.
Arbeitsrecht
Das Individualarbeitsrecht regelt das Verhältnis
zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Hier
finden sich Gesetze zu Arbeitsbedingungen,
beispielsweise zur Arbeitszeit, zur Kündigung,
zum Entgelt oder zum Urlaub. Das kollektive
Arbeitsrecht umfasst Gesetze, welche die Arbeitnehmer als Gruppe angehen, zum Beispiel
Fragen zur Mitbestimmung, zu Betriebsvereinbarungen oder zu Lohnvereinbarungen auf Basis des Tarifvertrags.
Geklickt
Informationen der Hans-Böckler-Stiftung rund um das Thema
Arbeitsrecht
www.boeckler.de
Job-Lexikon mit Begriffserläuterungen rund um das Thema
Berufswelt
www.sozialpolitik.com/lexikon
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt: Arbeitnehmer
haben Rechte (Fragebogen
zur Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Arbeitsrecht
• Arbeitsblatt und Hintergrundinformationen: Betriebliche
Mitbestimmung
• Schaubild: Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats
Gewählt
Bürgertelefon zum Arbeitsrecht
(030) 2 21 91 10 04
Montag bis Donnerstag
8 bis 20 Uhr
/////////////////////////////
Gefragt
Befragen Sie Auszubildende
nach ihren Erfahrungen. Fassen
Sie interessante Informationen
und Erlebnisse stichpunktartig unter zwei Überschriften
zusammen: Was ist gut in
der Ausbildung? Was läuft
nicht so gut? Vergleichen Sie
die Erfahrungsberichte in der
Lerngruppe.
Nennen Sie Möglichkeiten für
Auszubildende, wie sie mit den
Dingen, die nicht so gut laufen,
umgehen können.
/////////////////////////////
23
Arbeitsrecht 2
Gute Arbeit – guter Lohn
„Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften regeln gemeinsam die Arbeitsbedingungen, ohne dass der Staat darauf unmittelbar Einfluss nimmt. […] Das
Prinzip der Sozialpartnerschaft – der Wille zu einvernehmlichen Lösungen –
ermöglicht Stabilität und sozialen Frieden, gestaltet soziale Gerechtigkeit und
trägt maßgeblich zu Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand bei.“
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände,
www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/id/DE_Soziale_Marktwirtschaft, Stand: Juli 2017
Tarifautonomie und
Sozialpartnerschaft
Arbeitnehmer können ihre Interessen gemeinsam in einer Gewerkschaft vertreten.
Gleiches gilt für Arbeitgeber, die einem
Arbeitgeberverband beitreten können. Diese sogenannte Koalitionsfreiheit wird vom
Grundgesetz Artikel 9 Absatz 3 geschützt:
„Das Recht, zur Wahrung und Förderung der
Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für
alle Berufe gewährleistet.“ In Deutschland
gibt es eine lange Tradition, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände die Konflikte partnerschaftlich lösen. Man spricht
daher auch von Sozialpartnerschaft.
Die Sozialpartner verhandeln autonom, also
eigenständig. Der Staat darf ihnen dabei
nicht hineinreden. Dabei geht es um Tarifverträge, in denen die Arbeitsbedingungen und
Löhne beziehungsweise Ausbildungsvergütungen geregelt werden (Gehaltstarifverträge). Es geht aber auch um Arbeitszeiten,
Urlaub, Schicht- und Erschwerniszulagen
(Manteltarifverträge). Um ihre Forderungen
durchzusetzen, haben die gewerkschaftlich
organisierten Arbeitnehmer das Recht zu
streiken. Sie erhalten in dieser Zeit für den
wegfallenden Lohn ein Streikgeld von ihrer
24
Gewerkschaft. Die Arbeitgeber können darauf mit Aussperrung reagieren, indem sie
den Arbeitnehmern für diese Zeit ihren Lohn
und den Zutritt zur Arbeitsstelle verweigern.
Ziel des Arbeitskampfes ist es, zu einer Vereinbarung zu gelangen, die für beide Seiten
akzeptabel ist. Während der Gültigkeitsdauer
des neuen Tarifvertrags darf dann nicht mehr
gestreikt werden.
Tarifautonomie im
Wandel
Tarifverträge sind nicht automatisch für jeden Betrieb in der betreffenden Branche
gültig. Der Arbeitgeber muss sich nur dann
an den Tarifvertrag halten, wenn er entweder Mitglied im Arbeitgeberverband ist oder
selbst einen entsprechenden Firmentarifvertrag vereinbart hat.
Außerdem hat der Arbeitnehmer nur als Mitglied einer Gewerkschaft Anspruch auf die
tariflichen Rechte. Davon gibt es zwei Ausnahmen. Erstens: Der Arbeitgeber erweitert
die Geltung des Tarifvertrags auf alle Beschäftigten. Zweitens: Die zuständigen Bundes- oder Landesministerien erklären einen
Tarifvertrag als allgemein verbindlich.
Um zu verhindern, dass in einem Unternehmen zwei Tarifverträge konkurrierender
Gewerkschaften gleichzeitig gelten, hat die
Bundesregierung 2015 ein Tarifeinheitsgesetz beschlossen. Es besagt: Wenn sich die
Gewerkschaften nicht auf einen Tarifvertrag
einigen können, gilt der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft, die mehr Mitglieder im
Betrieb hat.
Das System der Tarifverträge ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten löchriger
geworden, da weniger Arbeitnehmer und
Arbeitgeber in Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden organisiert sind. Im Jahr
2016 arbeiteten rund 48 Prozent der Beschäftigten in einem tarifgebundenen Betrieb. Das Ausmaß der Tarifbindung variiert
dabei stark nach Wirtschaftszweigen. Während in der öffentlichen Verwaltung die Tarifbindung bei 87 Prozent liegt, sind in der
Informations- und Kommunikationsbranche
lediglich 17 Prozent an Tarifverträge gebunden. Durch Minijobs, Leiharbeit oder befristete Arbeitsverträge werden Betriebsratsgründungen erschwert.
Je weniger Beschäftigte im Unternehmen
sind, desto seltener ist eine Mitarbeitervertretung vorhanden. Dies betrifft vor allem
den Dienstleistungsbereich.
Vom Arbeitskampf zum Tarifvertrag – Beispiel
Quelle: eigene Darstellung nach
Ver.di Jugend: Jugend macht Tarif,
www.jugend-macht-tarif.info
Geklickt
Mindestlohn
Seit dem 1. Januar 2015 gilt in Deutschland erstmals ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn für
alle Branchen und Beschäftigten. Dies betrifft auch
sogenannte Minijobber. Davon ausgenommen sind
lediglich Auszubildende, ehrenamtlich Tätige und unter bestimmten Umständen Praktikanten. Wer einen
Langzeitarbeitslosen einstellt, muss ihm in den ersten
sechs Monaten noch keinen Mindestlohn zahlen. Damit soll die Beschäftigungsquote von Langzeitarbeitslosen erhöht werden. Für einzelne Branchen gibt es
Übergangsregelungen. Eine unabhängige Kommission mit Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern berät
alle zwei Jahre über die Anpassung des Mindestlohns.
Außerdem werden die wirtschaftlichen Auswirkungen
des Mindestlohns auf den Arbeitsmarkt regelmäßig
beobachtet. Zum 1. Januar 2017 ist der gesetzliche
Mindestlohn um 34 Cent auf 8,84 Euro pro Stunde
angehoben worden. Weitere Informationen zum Mindestlohn gibt es unter www.der-mindestlohn-wirkt.de.
Ziel des gesetzlichen Mindestlohns ist es, das Einkommen von Geringverdienern zu verbessern und sie
in die Lage zu versetzen, mit ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Gleichzeitig soll der
Mindestlohn das Sozialversicherungssystem stärken,
da bei höheren Löhnen auch höhere Sozialbeiträge in
die Sozialversicherungen eingezahlt werden. Kritiker
des Mindestlohns sehen in dem Gesetz einen Eingriff
in die Tarifautonomie. Viele Arbeitgeber befürchten,
aufgrund der höheren Löhne nicht mehr wirtschaftlich
arbeiten zu können und somit Beschäftigte entlassen
zu müssen.
Leiharbeit
Etwa eine Million Menschen sind in Deutschland gegenwärtig in Leih- und Zeitarbeit beschäftigt. Ihre
Rechte wurden zum 1. April 2017 per Gesetz verbessert: Spätestens nach 18 Monaten muss ein Betrieb
nun einen Leiharbeiter fest anstellen, wenn er ihn
weiterhin beschäftigen möchte. Eine längere Überlassung von Leiharbeitern kann nur durch entsprechende
Tarifverträge vereinbart werden. Zudem müssen Leiharbeiter spätestens nach neun Monaten den gleichen
Lohn erhalten wie vergleichbare Festangestellte.
Internetseiten des Deutschen
Gewerkschaftsbundes und der
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
www.dgb.de
www.arbeitgeber.de
Job-Lexikon mit Begriffserläuterungen rund um das Thema
Berufswelt
www.sozialpolitik.com/lexikon
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
Ihr sollt die verfluchten Tarife abbauen.
Ihr sollt auf euern Direktor vertrauen.
Ihr sollt die Schlichtungsausschüsse verlassen.
Ihr sollt alles Weitere dem Chef überlassen.
Kein Betriebsrat quatsche uns mehr herein,
wir wollen freie Wirtschaftler sein!
Fort die Gruppen – sei unser Panier!
Na, ihr nicht. Aber wir.
Ihr braucht keine Heime für eure Lungen,
keine Renten und keine Versicherungen.
Ihr solltet euch allesamt was schämen,
von dem armen Staat noch Geld zu nehmen!
Ihr sollt nicht mehr zusammenstehn –
wollt ihr wohl auseinandergehn!
Keine Kartelle in unserm Revier!
Ihr nicht. Aber wir.
Wir bilden bis in die weiteste Ferne
Trusts, Kartelle, Verbände, Konzerne.
Wir stehen neben den Hochofenflammen
in Interessengemeinschaften fest zusammen.
Wir diktieren die Preise und die Verträge –
kein Schutzgesetz sei uns im Wege.
Gut organisiert sitzen wir hier –
Ihr nicht. Aber wir.
Auszug aus Kurt Tucholskys Gedicht
„Die freie Wirtschaft“, 1930
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Arbeitsrecht
• Arbeitsblatt: Tarifpolitik
• Schaubild: So entsteht ein
Tarifvertrag
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Gesetz zur Tarifeinheit
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Streik
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Der gesetzliche Mindestlohn
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Zeitarbeit
/////////////////////////////
Gefragt
Prüfen Sie, welche Aussagen in
Tucholskys Gedicht „Freie Wirtschaft“ heute noch Gültigkeit
haben und was sich geändert
hat. Entwerfen Sie eine neue
Strophe aus der sozialpolitischen Sicht von heute.
Suchen Sie in der Nachrichtenberichterstattung nach einem
Beispiel für einen Arbeitskampf.
Notieren Sie die Forderungen
der Gewerkschaften sowie
die Angebote der Arbeitgeber,
und halten Sie den Ablauf der
Auseinandersetzung in einem
eigenen Schema fest.
/////////////////////////////
25
Gesellschaft für alle 1
Auf dem Weg
zur inklusiven Schule
„An der Saaleschule für (H)alle lernen Schüler der fünften bis dreizehnten Klasse gemeinsam unter dem Motto: ,Nicht alle tun immer
zur selben Zeit das Gleiche, sondern jeder macht das, was er gerade
individuell braucht‘. […] Insgesamt werden 440 Schüler an der
Saaleschule unterrichtet, davon rund 12 Prozent mit ausgewiesenem
sonderpädagogischen Förderbedarf […]. Ab der zehnten Klasse wird
für Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung eine
dreijährige Berufsschulstufe angeboten. Während sich ihre Mitschüler
auf das Abitur vorbereiten, lernen die Schüler mit einer geistigen
Behinderung durch zahlreiche Praktika die Berufswelt kennen. Um
diese Praktika zu ermöglichen, hat die Schule ein umfangreiches
Netzwerk mit den örtlichen Betrieben und der Universität HalleWittenberg aufgebaut.“
Quelle: Jakob-Muth-Preis für inklusive Schule, Preisträger 2016, www.jakobmuthpreis.de, Stand: Juli 2017
Die Idee der Inklusion
Inklusion bedeutet die gemeinsame und vor
allem gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung am politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen
und kulturellen Leben. Dazu zählen Arbeitswelt und Freizeit, aber auch Erziehung und
Bildung in Kindergarten, Schule, Universität
und Betrieb. Vielfalt und Unterschiedlichkeit
26
der Menschen werden in der Inklusion als
Chance begriffen, voneinander zu lernen und
zu profitieren, unabhängig von den Voraussetzungen, die ein Mensch mitbringt. Inklusion ist aber nicht nur eine Idee. Vielmehr ist
sie mit dem Übereinkommen der Vereinten
Nationen (United Nations, abgekürzt UN)
über die Rechte von Menschen mit Behinderung vom Dezember 2006 zu einer verbindlichen Richtlinie der Politik geworden.
UN-Konvention über
die Rechte von Menschen mit Behinderung
Im März 2009 ist in Deutschland die
UN-Konvention über die Rechte von
Menschen mit Behinderung in Kraft
getreten. Die Bundesregierung hat sich
zu deren Einhaltung und Umsetzung
verpflichtet. Menschen mit Behinderung
sollen in allen gesellschaftlichen Bereichen genauso am öffentlichen Leben
teilhaben können wie Menschen ohne
Behinderung. Arbeit und Bildung sind
dabei zentrale Bereiche, welche die
Bundesregierung mit dem Nationalen
Aktionsplan 2.0 und dem Bundesteilhabegesetz fördert (siehe Seite 28).
Übergreifendes Ziel ist es, für das Potenzial und die Leistungsfähigkeit von
Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren und sie besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Weitere Informationen gibt es unter www.bmas.de.
Umfrage: Wie Lehrkräfte Inklusion sehen
Was spricht für eine gemeinsame Unterrichtung
von Kindern mit und ohne Behinderung (in Prozent)?
soziales Lernen
(gemeinsam/voneinander lernen)
(bessere) Integration von Kindern mit
Behinderung
Förderung von Toleranz
Förderung sozialer Kompetenzen
bessere Chancen und Förderung von
Kindern mit Behinderung
31
27
18
16
10
Abbau von Berührungsängsten und
Vorurteilen
7
Recht auf Gleichbehandlung
(Menschenrecht)
7
6
6
5
5
4
Nutzen abhängig von Art der Behinderung
nichts, weiß nicht
Nutzen abhängig von der Mittelausstattung
(Räumlichkeiten, Personal)
allgemeine negative Äußerungen über Inklusion
Inklusion als gesamtgesellschaftliche
Aufgabe
Quelle: Forsa Politik- und Sozialforschung: Inklusion an Schulen
aus Sicht der Lehrerinnen und Lehrer – Meinungen, Einstellungen
und Erfahrungen. Ergebnisse einer repräsentativen Lehrerbefragung
in Nordrhein-Westfalen, April 2016, www.vbe-nrw.de
Was spricht gegen die gemeinsame Unterrichtung
von Kindern mit und ohne Behinderung (in Prozent)?
fehlendes (Fach-)Personal an Regelschulen
ungenügende materielle Ausstattung
(Größe der Klassenräume, Aufzüge)
Regelschule kann erhöhten Förderbedarf
behinderter Kinder nicht leisten
19
15
Überforderung/Frustration der behinderten
Kinder in der Regelschule
14
mangelnde finanzielle Ausstattung für
Inklusion
14
Benachteiligung nicht behinderter Schüler
durch Inklusion (Lernbehinderungen)
12
10
9
8
mangelnde Ausbildung der Lehrer für
Inklusion
abhängig von Art der Behinderung
Größe der Schulklassen
individuelle Förderung beider Gruppen
nicht möglich
allgemeine Voraussetzungen/Rahmenbedingungen für Inklusion nicht gegeben
nichts, weiß nicht
Überforderung der Lehrkräfte
Heterogenität der Leistungsfähigkeit
zusätzlicher Zeitaufwand
Ausgrenzung/Diskriminierung behinderter
Kinder
Inklusiver Unterricht
Noch besuchen in Deutschland fast zwei von drei
Schülern mit Förderbedarf spezielle Förderschulen.
Dabei handelt es sich um Kinder und Jugendliche, die
in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht
der Regelschulen (allgemeinbildenden Schulen) ohne
sonderpädagogische Unterstützung nicht hinreichend
gefördert werden können. Ziel und zugleich Forderung
der UN-Konvention ist es jedoch, möglichst viele Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung oder
Förderbedarf gemeinsam an Regelschulen zu unterrichten. Dazu müssen an den Regelschulen entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden: Lehrkräfte müssen mit Blick auf die Anforderungen des
inklusiven Unterrichts aus- und weitergebildet werden,
Gebäude müssen barrierefrei gestaltet sein.
Inklusion als Prozess
Seit die Bundesregierung die UN-Konvention über die
Rechte von Menschen mit Behinderung unterzeichnet
hat, ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit
23
20
abhängig von der Schwere der Behinderung
8
6
5
5
5
3
3
Förderbedarf an den Regelschulen von rund 18 auf
über 30 Prozent gestiegen. Da jedoch immer häufiger
ein Förderbedarf attestiert wird, ist die absolute Zahl
der Schüler, die an Förderschulen unterrichtet werden,
im gleichen Zeitraum kaum zurückgegangen.
Kritiker bemängeln, dass die gestiegene Förderquote
zum Erhalt der Förderschulen beiträgt und den Ausbau der Regelschulen behindert. Ihrer Meinung nach
sollten das Personal und die finanziellen Mittel der
Förderschulen besser im inklusiven Unterricht an Regelschulen eingesetzt werden. Der hohe Anteil von
Schülern an Förderschulen verweist darauf, dass die
Ausstattung der Regelschulen noch nicht ausreicht,
um den Inklusionsgedanken umzusetzen. Er zeigt
auch, dass viele Eltern ihre Kinder mit Förderbedarf
immer noch lieber auf Förderschulen schicken und sie
dort besser aufgehoben sehen. Inklusion findet bisher
vor allem in Kitas und Grundschulen statt. An den
weiterführenden Schulen bleibt sie nach wie vor eine
große Herausforderung für alle Beteiligten.
Geklickt
Projekt des Bundesverbandes
der evangelischen Behindertenhilfe zur Umsetzung des Inklusionsgedankens an Schulen
www.vielfalt-in-bildung.de
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Gesellschaft für alle
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Inklusion an Schulen
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Berufsausbildung für Jugendliche mit Behinderung
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Teilhabe von Menschen mit
Behinderung
• Arbeitsblatt: Inklusion –
Politik für Menschen mit
Behinderung
• Schaubild: Inklusion: Behinderung in Zahlen
/////////////////////////////
Gefragt
Erörtern Sie, ob und wie Kinder
mit und ohne Behinderung
beziehungsweise Förderbedarf
vom inklusiven Schulunterricht
profitieren können.
Arbeiten Sie anhand der Umfrageergebnisse heraus, wo aus
Sicht der Lehrkräfte Stärken
und Schwächen der bisherigen
inklusiven Unterrichtspraxis
liegen. Entwickeln Sie Ideen
für mögliche bildungspolitische
Maßnahmen, um den Bedenken zu begegnen.
/////////////////////////////
27
Gesellschaft für alle 2
Arbeiten mit Behinderung
„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Dieser Satz wurde im Jahr 1994 in Artikel 3 des Grundgesetzes
aufgenommen. Er hat für Menschen mit Behinderung in Deutschland
viel bewegt. Seitdem müssen ihre Belange in Gesetzen ausdrücklich
berücksichtigt werden.
Gleiche Chancen
Mit einem speziellen Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung sollen
Diskriminierungen beseitigt und ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht werden. So
müssen zum Beispiel neue öffentliche Gebäude behindertengerecht geplant werden.
Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind gesetzlich verpflichtet, wenigstens
5 Prozent der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Wer diese
Quote nicht erfüllt, muss eine Abgabe zahlen. Mit dem Geld werden schwerbehinderte
Menschen dabei unterstützt, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Beschäftigung
zu finden. Das Sozialgesetzbuch Neuntes
Buch, abgekürzt SGB IX, hat die Förderung
der aktiven, selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zum Ziel.
28
Die Bundesregierung hat zudem zum 1. Januar 2017 das Bundesteilhabegesetz verabschiedet. Dieses Gesetz soll Menschen
mit (drohender) Behinderung und Schwerbehinderten ein selbstbestimmtes Leben in
Deutschland ermöglichen. Sie erhalten nun
staatliche Leistungen aus einer Hand und
müssen nicht mehr mehrere Anträge bei verschiedenen Stellen einreichen. Außerdem
orientieren sich diese Leistungen am tatsächlichen Bedarf und sind nicht länger dem
Fürsorgesystem der Sozialhilfe zugeordnet.
Die Leistungen und Unterstützungen dienen vor allem der besseren Eingliederung in
Kindergarten, Schule, Ausbildung und Beruf
sowie der verbesserten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Von der Beeinträchtigung zur Behinderung
Der Teilhabebericht der Bundesregierung unterscheidet zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und
Menschen mit Behinderungen. Menschen mit Beeinträchtigungen haben
aufgrund von geistigen oder körperlichen Störungen zum Beispiel beim
Sehen, Hören oder Gehen eine verminderte Leistungsfähigkeit. Aber erst
wenn ihre Teilhabe an der Gesellschaft
und am Arbeitsleben durch diese Störung und aufgrund ungünstiger Umweltfaktoren dauerhaft eingeschränkt
ist, spricht der Teilhabebericht von einer Behinderung.
Dieser Definition liegt die Sichtweise
zugrunde, dass es normal ist, verschieden zu sein, und dass Beeinträchtigungen Teil der menschlichen Vielfalt sind.
Erst die Benachteiligung macht aus
einer Beeinträchtigung eine Behinderung. Diese Sichtweise ermöglicht es,
die individuelle Lebenssituation zu berücksichtigen und diejenigen Faktoren
genauer in den Blick zu nehmen, die
vom „Beeinträchtigt-Sein“ zum „Behindert-Werden“ führen.
Berufsausbildung mit
Behinderung
Nach dem Berufsbildungsgesetz haben junge Menschen mit Behinderung grundsätzlich Anspruch auf
eine reguläre Berufsausbildung. Wenn sie zusammen mit Jugendlichen ohne Behinderung ausgebildet werden, haben sie bessere Chancen, vom Betrieb
übernommen und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
beschäftigt zu werden. Nach Angaben des Bundesinstituts für Berufsbildung bewertet etwa die Hälfte der
Betriebe, die Jugendliche mit Behinderung ausbilden,
ihre Erfahrungen als positiv.
Bei der Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf werden die besonderen Verhältnisse von
Menschen mit Behinderung berücksichtigt. Dies gilt
vor allem für den Zeitraum und die Gestaltung der
Ausbildung, die Dauer der Prüfungszeiten, die Zulassung von Hilfsmitteln und Hilfeleistungen wie Gebärdensprachdolmetschern. Wenn eine Regelausbildung
wegen einer Behinderung nicht möglich ist, kann ein
sogenannter Fachpraktiker- oder Werkerberuf erlernt
werden. Dafür gibt es besondere Ausbildungsregelungen. Für Jugendliche mit Lernschwierigkeiten werden
zum Beispiel praktische Ausbildungs- und Prüfungsinhalte stärker betont als theoretische. Umgekehrt
können bei körperlichen Behinderungen bestimmte
praktische Anteile weggelassen werden.
Wenn der Leistungsstand und die Behinderung es
während der Ausbildung erlauben, kann eine Ausbildung in einem Fachpraktiker- oder Werkerberuf mit
einer Anschlussförderung auch nach der regulären
Ausbildungsordnung fortgesetzt werden.
Unterstützte Beschäftigung
Unterstützte Beschäftigung ist ein Angebot für Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung keine reguläre
Berufsausbildung oder Berufsvorbereitungsmaßnahme absolvieren können, aber auch keine speziellen
Angebote in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung brauchen. Die Berufseinsteiger werden durch
Beratung unterstützt und bis zu zwei Jahre lang in einem Betrieb qualifiziert. Diese Beschäftigung wird als
Rehabilitationsmaßnahme in der Regel von der Bundesagentur für Arbeit finanziert.
Persönliches Budget
Mit dem sogenannten Persönlichen Budget können
Menschen mit Behinderung selbstbestimmt soziale
Leistungen einkaufen und bezahlen, beispielsweise
Fahrdienste oder Haushaltshilfen. Jüngere Menschen
mit Behinderung, die volljährig werden, können das
Persönliche Budget auch nutzen, um beispielsweise
zu Hause auszuziehen und in einer betreuten Wohngemeinschaft zu leben.
Die Antragstellung und die Wahl der Leistungsform
sind freiwillig: Als Experte in eigener Sache kann jeder selbst entscheiden, welche Maßnahmen für ihn
persönlich hilfreich sind. Diese Wahlfreiheit fördert die
Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit
Behinderung.
Arbeitslosenquote von Menschen mit und ohne Behinderung
Angaben in Prozent
Geklickt
Informationen des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales zur Teilhabe und zum
Persönlichen Budget
www.budget.bmas.de
www.einfach-teilhaben.de
www.gemeinsam-einfachmachen.de
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Gesellschaft für alle
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Teilhabe von Menschen mit
Behinderung
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Berufsausbildung für Jugendliche mit Behinderung
• Arbeitsblatt: Inklusion –
Politik für Menschen mit
Behinderung
• Schaubild: Inklusion:
Behinderung in Zahlen
Gewählt
Bürgertelefon zum Thema
Behinderung
(030) 2 21 91 10 06
Montag bis Donnerstag
8 bis 20 Uhr
Gebärdentelefon
Zieladresse:
[email protected].
buergerservice-bund.de
Montag bis Donnerstag
8 bis 20 Uhr
/////////////////////////////
Gefragt
Erläutern Sie, welche Sichtweise mit den Begriffen „Beeinträchtigt-Sein“ und „Behindert-Werden“ verbunden ist.
Verfassen Sie einen Zeitungskommentar zum Bundesteilhabegesetz und zu den weiteren
Maßnahmen zur beruflichen
Eingliederung von Menschen
mit Behinderungen. Berücksichtigen Sie dabei auch das
Schaubild.
/////////////////////////////
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, in: Zweiter Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit
Beeinträchtigungen, Berlin 2016, Seite 190, www.bmas.de
29
Krankenversicherung
Hauptsache
gesund
Auszubildende sind vom ersten Tag an in der gesetzlichen
Krankenversicherung pflichtversichert. Damit sind sie Teil
einer Gemeinschaft, die inklusive der mitversicherten
Angehörigen mehr als 71 Millionen Mitglieder umfasst.
Hier gilt das Motto: Die Starken unterstützen die Schwachen.
Alle für einen: gesetzliche Krankenversicherung
Als erste Sozialversicherung wurde in
Deutschland unter Reichskanzler Bismarck
im Jahr 1883 die Krankenversicherung eingeführt (siehe Schaubild auf Seite 8). Die
gesetzliche Krankenversicherung übernimmt
medizinische Leistungen und Kosten zur
Gesundheitsvorsorge. Sie wird aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern
gemeinsam finanziert. Beide zahlen jeweils
7,3 Prozent des monatlichen Bruttoeinkommens des Arbeitnehmers. Die Krankenkassen können jedoch von den Arbeitnehmern
einen Zusatzbeitrag erheben, derzeit liegt er
bei durchschnittlich 1,1 Prozent (Stand 2017,
siehe Gehaltsabrechnung auf Seite 21).
Arbeitnehmer mit einem Einkommen unterhalb der sogenannten Versicherungspflichtgrenze von 57.600 Euro im Jahr 2017 sind
in der Krankenversicherung pflichtversichert.
Gleiches gilt für Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Rentner, landwirtschaftliche Unternehmer, Heimarbeiter, Studierende, bestimmte Berufsgruppen bei Selbstständigen
sowie Bundesfreiwilligendienstleistende.
30
Die gesetzliche Krankenversicherung beruht
auf dem Solidarprinzip. Das bedeutet, dass
Arbeitnehmer mit einem höheren Einkommen höhere Beiträge zahlen, Arbeitnehmer
mit einem niedrigeren Einkommen entsprechend niedrigere. Ehepartner, die nicht
berufstätig sind, und Kinder sind kostenfrei
mitversichert. Unabhängig davon, wie hoch
der finanzielle Beitrag des Einzelnen ist, erhalten alle Mitglieder die erforderlichen medizinischen Leistungen.
Jeder nach dem persönlichen Risiko: private
Krankenversicherung
Wer so viel verdient, dass das Einkommen
die Versicherungspflichtgrenze übersteigt,
kann nach einem Jahr wählen, ob er sich
freiwillig gesetzlich oder privat versichern
möchte. Auch Selbstständige und Beamte können sich privat krankenversichern.
2016 waren rund 8,8 Millionen Menschen
Mitglied in einer privaten Krankenversicherung. Sie finanziert sich über die Prämien,
also Beiträge der Versicherten. Die Höhe
der Prämie richtet sich nicht nach dem Ein-
kommen, sondern ist vom individuellen
Krankheitsrisiko, Alter und Geschlecht sowie
vom gewählten Umfang des Versicherungsschutzes abhängig. Privatversicherte, die
den vollen Leistungskatalog finanzieren können, erhalten jede von ihnen gewünschte
Gesundheitsleistung.
Bei der privaten Krankenversicherung findet
also kein sozialer Ausgleich statt. Jeder zahlt
für sich selbst nach persönlichem Risiko und
Bedürfnissen. Das nennt man Äquivalenzprinzip. Je jünger und gesünder man bei
Versicherungsabschluss ist, desto niedriger
fallen die Prämien aus. Das ist vor allem für
jüngere und gesunde Menschen attraktiv.
Es gibt jedoch auch Nachteile: Familienmitglieder sind nicht automatisch mitversichert.
Arzt- und Krankenkosten müssen zunächst
vom Patienten selbst beglichen und von der
Kasse zurückgefordert werden. Die Leistungen sind vertraglich fest vereinbart, dies gilt
jedoch nicht für die zu zahlenden Prämien.
Wenn die Kosten steigen, reagieren die Versicherer darauf mit Beitragserhöhungen.
Das bietet die gesetzliche Krankenversicherung
Gesundheitliche Prävention: Um die Kosten für Krankheitsfälle möglichst gering zu halten, bieten die
gesetzlichen Krankenkassen gesundheitliche Vorsorge an: Sportkurse, Kurse zum Thema gesunde Ernährung, kostenfreie Untersuchungen im Kindes- und Jugendalter und Früherkennungsuntersuchungen auf Krebserkrankungen. Darüber hinaus unterstützen die Krankenkassen Unternehmen bei der
betrieblichen Gesundheitsförderung. Dadurch werden gesunde Arbeitsbedingungen geschaffen, von
denen die Beschäftigten und letztlich auch die Unternehmer profitieren.
Finanzielle Absicherung: Bei langwierigen Krankheiten bekommt der Arbeitnehmer in der Regel sechs
Wochen lang seinen Lohn weitergezahlt. Danach überweisen die Krankenkassen Krankengeld. Es beträgt 70 Prozent des Bruttoarbeitslohns.
Sozialversichert bei Krankheit: Auch wenn man Krankengeld erhält, endet der soziale Schutz nicht.
Wie der Arbeitnehmer zahlt auch der Krankengeldbezieher seinen Anteil an den Beiträgen zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung.
Die gesetzliche Krankenversicherung stabilisieren
Aufgrund der alternden Gesellschaft und des technischen Fortschritts in der Medizin steigen die Gesundheitskosten stetig. Die Bundesregierung hat deshalb in
den vergangenen Jahren mehrere Reformen auf den
Weg gebracht, um die Finanzierung der gesetzlichen
Krankenversicherung zu sichern. Einzelne Leistungen
wurden gekürzt oder gestrichen. Brillen und Sehhilfen müssen heute überwiegend aus eigener Tasche
bezahlt werden, für Zahnersatz zahlen die Kassen
lediglich Zuschüsse. Seit dem Jahr 2009 gibt es außerdem einen Gesundheitsfonds, in den die Beiträge
der Arbeitnehmer und Arbeitgeber fließen. Der Bei-
tragssatz ist einheitlich, egal welche Krankenkasse der
Versicherte gewählt hat. Aus dem Gesundheitsfonds
erhalten die Kassen für jeden Versicherten einen pauschalen Betrag sowie ergänzende Zu- und Abschläge,
die sich jeweils nach Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen der Versicherten richten.
Zum 1. Januar 2015 wurde der allgemeine Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung von
15,5 Prozent auf 14,6 Prozent gesenkt (Arbeitgeber
und Arbeitnehmer jeweils 7,3 Prozent). Wenn die
Kassen mit dem Geld nicht auskommen, dürfen sie
allerdings Zusatzbeiträge erheben. Die Zusatzbeiträge
liegen im Jahr 2017 bei durchschnittlich 1,1 Prozent.
Der Arbeitgeberanteil bleibt dabei unangetastet. Kostensteigerungen müssen also die Arbeitnehmer tragen.
Geklickt
Internetseite des Bundesministeriums für Gesundheit mit
vielen Informationen zur gesetzlichen Krankenversicherung
www.bmg.bund.de
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt: Hauptsache
gesund (Fragebogen zur
Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Krankenversicherung
• Arbeitsblatt: Gesundheitsprävention in der Schule
• Schaubild: Stress in der
Schule
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Gesundheit und Selbstbestimmung
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Arbeit und Gesundheit
Gewählt
Bürgertelefon zur Krankenversicherung
(030) 3 40 60 66 01
Montag bis Donnerstag
8 bis 18 Uhr,
Freitag 8 bis 12 Uhr
Stellungnahmen zur Gesundheitsreform 2015
/////////////////////////////
Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit, CDU, 23. Oktober 2015:
„Angesichts unserer älter werdenden Gesellschaft und des medizinischen Fortschritts
müssen wir mit steigenden Gesundheitskosten rechnen und zugleich die Beitragsentwicklung in Schach halten. Deshalb werden wir die Zusatzbeiträge […] weiter im
Auge behalten. Eine gute Versorgung gibt es aber nicht zum Nulltarif. Bei all unseren
Gesetzesvorhaben geht es daher immer darum, Patientinnen und Patienten auch in
Zukunft Spitzenmedizin und gute Pflege zur Verfügung zu stellen.“
Annelie Buntenbach, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), 2. November 2015:
„Die Arbeitnehmer-Zusatzbeiträge sind inzwischen das einzige Ventil für die Krankenkassen, um den Kostendruck auszugleichen. Die angekündigte Anhebung der Zusatzbeiträge
wird also nicht die letzte sein. […] Das darf nicht allein den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufgeladen werden. Spätestens jetzt ist es Zeit, einen großen politischen Fehler
zu korrigieren: Die Parität muss wiederhergestellt werden, die Arbeitgeber müssen sich
wieder angemessen an den Gesundheitskosten beteiligen.“
Positionspapier der Bundesvereinigung der deutschen
Arbeitgeberverbände (BDA), 22. Juli 2016:
„Die weitere Festschreibung des Arbeitgeberanteils am
Beitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherung bei
7,3 Prozent ist notwendig, damit überproportional steigende
Gesundheitsausgaben sich nicht negativ auf Beschäftigung
und Wachstum auswirken. […] Die Arbeitgeber beteiligen
sich im Rahmen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
bereits überproportional an den Krankheitskosten.“
Gefragt
Erklären Sie am Beispiel der
Krankenversicherungen das
Solidarprinzip und das Äquivalenzprinzip. Bewerten Sie
Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Systeme.
Diskutieren Sie, inwiefern das
Solidarprinzip in der Krankenversicherung verletzt wird,
wenn die Zusatzbeiträge für die
gesetzlichen Krankenkassen
allein von den Arbeitnehmern
getragen werden müssen.
/////////////////////////////
Florian Lanz, Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen
(GKV), 23. Februar 2017:
„Die Rekordbeschäftigung in Verbindung mit dem einmaligen Sonderzuschuss in Höhe von 1,5 Milliarden Euro an die Krankenkassen macht
es möglich, dass der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz in diesem
Jahr trotz weiter steigender Ausgaben nicht steigen musste. Den
entscheidenden Stabilitätsbeitrag leisten die Beitragszahler allerdings
selbst, denn die zusätzlichen 1,5 Milliarden Euro, die in diesem Jahr
aus dem Gesundheitsfonds an die Krankenkassen ausgeschüttet werden, wurden vorher aus Beitragsgeldern eingezahlt. Wichtiger für den
Blick in die nahe Zukunft ist jedoch die überaus gute Konjunktur […].“
31
Unfallversicherung
Für den Fall
der Unfälle
„Philipp, acht Jahre, stürzt
Ende Januar auf dem Schulweg mit dem Fahrrad. ‚Der
schöne Schneidezahn – kaputt!‘,
erinnert sich seine Mutter,
Annette Baum. Dennoch hatte
der Junge Glück im Unglück.
‚Die Zahnärztin hat die abgebrochene Ecke wieder angeklebt, den Zahn für die Unfallanzeige fotografiert und alles
genau dokumentiert‘, erzählt
die Berlinerin. Und weil das
Missgeschick auf dem Weg zur
Schule passierte, kommt die
Unfallkasse Berlin für sämtliche Kosten im Zusammenhang
mit der Verletzung auf.“
Stiftung Warentest: Unfälle von Kindern –
Was die gesetzliche Unfallversicherung zahlt,
www.test.de, 13. April 2015
Wegeunfälle sind Unfälle, die auf dem direkten Weg zur Arbeit oder zurück nach Hause
passieren. Die gesetzliche Unfallversicherung übernimmt alle notwendigen Kosten für
die medizinische Behandlung, Rehabilitationsmaßnahmen und spätere Berufshilfen.
Vorrangiges Ziel ist es, den Arbeitnehmer
wieder in das Berufsleben einzugliedern.
Wenn es nötig ist, wird dem Unfallopfer auch
eine Umschulung oder Rente gezahlt.
Träger der Unfallversicherung sind Berufsgenossenschaften und Unfallkassen. Ihre
wichtigste Aufgabe ist es, arbeitsbedingte
Unfälle, Krankheiten oder Gesundheitsgefahren zu verhindern (Prävention). Sie erlassen Unfallverhütungsvorschriften und fördern außerdem die Erste Hilfe.
Rehabilitation vor Rente
Die gesetzliche Unfallversicherung ist die
einzige gesetzliche Sozialversicherung, die
ausschließlich vom Arbeitgeber finanziert
wird (siehe Schaubild auf Seite 8). Sie sichert Beschäftigte gegen die Folgen von
Berufskrankheiten, Arbeitsunfällen und Wegeunfällen ab. Gleichzeitig schützt sie den
Arbeitgeber vor im Einzelfall hohen Entschädigungsansprüchen eines Beschäftigten bei
einem Arbeits- oder Wegeunfall.
32
Für Arbeitnehmer
kostenlos
Anders als bei den übrigen Zweigen der Sozialversicherung brauchen die Arbeitnehmer
zur gesetzlichen Unfallversicherung keinen
Cent beizusteuern. Sie wird aus den Beiträgen der Unternehmen in der jeweiligen
Branche finanziert. Das heißt, der Arbeitgeber zahlt seinen Beitrag an die zuständige
Berufsgenossenschaft oder an die Unfallkasse. Diese übernimmt bei einem Unfall die
Kosten für den Versicherten. Beschäftigte im
öffentlichen Dienst sind bei den öffentlichen
Unfallkassen, den Landesunfallkassen oder
den Gemeindeunfallversicherungsverbänden
versichert.
Schutz in Kita, Schule
und Universität
Kinder in Kindertagesstätten, Schüler und
Studierende sind in der Schülerunfallversicherung abgesichert. Im Jahr 2015 waren
das nach Angaben der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung rund 17,2 Millionen
Menschen. Neben dem Unterricht und dem
Schulweg stehen auch Ausflüge, Sport und
andere schulische Veranstaltungen unter
Versicherungsschutz.
Auch die Schülerunfallversicherung kostet
die Versicherten nichts. Die Beiträge für
öffentliche Schulen übernimmt der Schulträger, für private Schulen das zuständige Bundesland. Die Leistungen nach einem Unfall
reichen wie bei der Unfallversicherung für Arbeitnehmer von Heilbehandlungen über Rehabilitation bis hin zur lebenslangen Rente.
Gemeldete Schulunfälle 2015
Anzahl der Schüler
Unfallort
490.667
329.745
2 93.91 1
110.200
beim Sport
Geklickt
im Unterricht oder in der Kita
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
in der Pause
auf dem Schulweg
Quelle: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Statistik Schülerunfallgeschehen 2015
Schutz bei der Arbeit
Jugendarbeitsschutz
Unfallverhütungsvorschriften legen genaue Sicherheitsregeln für den Betrieb fest. Sie sind für Betriebe
ebenso verbindlich wie gesetzliche Vorschriften. Sie
bestimmen,
wie man sich am Arbeitsplatz richtig verhält,
wie ein Arbeitsplatz und die Maschinen ausgestattet sein müssen,
welche Schutzausrüstung getragen werden muss,
zum Beispiel Helm, Gehörschutz und Sicherheitsschuhe,
wie oft ärztliche Kontrolluntersuchungen wahrgenommen werden müssen.
Das Jugendarbeitsschutzgesetz unterscheidet zwischen Kindern unter 15 Jahren und Jugendlichen
zwischen 15 und 18 Jahren. Es bewahrt Kinder und
Jugendliche vor Arbeit, die für sie zu gefährlich oder
ungeeignet ist. So bestimmt es zum Beispiel die maximale Dauer der täglichen Arbeitszeit, die Anzahl der
Wochenstunden und den Urlaubsanspruch.
Unfallverhütungsvorschriften werden von den Trägern
der Unfallversicherung, zum Beispiel den Berufsgenossenschaften, erlassen.
Kinder und Jugendliche unterliegen der Schulpflicht,
deshalb hat die Schule Vorrang. Auszubildende müssen für ihren Berufsschulunterricht freigestellt werden.
Ob das Jugendarbeitsschutzgesetz eingehalten wird,
überwachen zum Beispiel die Gewerbeaufsichtsämter
beziehungsweise die Ämter für Arbeitsschutz.
Regelungen nach dem
Jugendarbeitsschutzgesetz
• Arbeitsblatt: Für den Fall
der Unfälle (Fragebogen zur
Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Unfallversicherung
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Gesundheitsprävention in
der Schule
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Unfallversicherung in Ehrenamt und Pflege
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Schul- und Arbeitsunfälle
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Arbeit und Gesundheit
• Arbeitsblatt: Belastungen am
Arbeitsplatz
• Schaubild: Berufskrankheiten
Gewählt
Bürgertelefon zu Unfallversicherung und Ehrenamt
(030) 2 21 91 10 02
Montag bis Donnerstag
8 bis 20 Uhr
Servicerufnummer der gesetzlichen Unfallversicherung
(0800) 6 05 04 04, kostenfrei
Montag bis Freitag 8 bis 18 Uhr
Arbeitszeit: höchstens 8 Stunden pro
Tag bei einer Fünftagewoche und maximal
40 Stunden pro Woche, Ausnahmen in
einzelnen Branchen möglich
Pause: spätestens nach 4 ½ Stunden
eine Pause von mindestens 15 Minuten,
mindestens 60 Minuten Pause bei mehr
als 6 Stunden Arbeitszeit
/////////////////////////////
Gefragt
Urlaub: je nach Alter zwischen 25 und
30 Tage im Jahr für unter 18-Jährige
Arbeitsbeginn: frühestens ab 6 Uhr,
Ausnahmen in einzelnen Branchen möglich
Quelle: eigene Darstellung nach
Jugendarbeitsschutzgesetz
Plattform der Deutschen
Gesetzlichen Unfallversicherung mit ausführlichen Informationen zum Arbeitsschutz
www.dguv.de
Arbeitsende: spätestens um 20 Uhr für
unter 18-Jährige, Ausnahmen in einzelnen
Branchen möglich
Erklären Sie das Prinzip
„Rehabilitation vor Rente“,
und entwickeln Sie mögliche
Beispiele dafür, wie dieses
Prinzip umgesetzt werden
kann.
Lena, 15, Claudia, 16, und
Lukas, 17, arbeiten als Azubis
im gleichen Betrieb. Lukas ist
der Meinung, dass sie deshalb
auch alle gleich viel Urlaub
haben. Recherchieren Sie unter
www.gesetze-im-internet.de/
jarbschg, und prüfen Sie, ob
das stimmt.
/////////////////////////////
33
Rentenversicherung 1
Ein Vertrag zwischen
den Generationen
In Deutschland finanzieren die Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit ihren Beiträgen, die sie in die
gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, die Leistungen für die Rentner von heute. Man spricht
daher auch vom Generationenvertrag. Er ist nirgendwo schriftlich festgehalten, sondern vielmehr
ein unausgesprochenes gesellschaftliches Abkommen zwischen Jung und Alt.
Soziale Sicherheit – nicht
nur im Alter
vorliegen und je höher die Arbeitsverdienste
waren, desto höher ist die individuelle Rente.
Die gesetzliche Rentenversicherung ist das
größte soziale Sicherungssystem der Sozialversicherung. Sie bietet nicht nur soziale
Sicherheit im Alter, sondern auch schon
während der Erwerbsphase – in Form von
Rehabilitationsleistungen oder Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Außerdem werden Hinterbliebene durch Witwen-/
Witwerrenten und Waisenrenten unterstützt
(siehe Schaubild auf Seite 8). Die Rentenversicherung wird aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam getragen. Beide zahlen jeweils 9,35 Prozent des
monatlichen Bruttoeinkommens des Arbeitnehmers (Stand 2017, siehe Gehaltsabrechnung auf Seite 21). Außerdem zahlt der Staat
jedes Jahr einen Bundeszuschuss.
Voraussetzungen und
Leistungen
Die Höhe einer Rente richtet sich vor allem
nach der Höhe der Arbeitsverdienste, die
während des Berufslebens durch Beitragsjahre versichert wurden. Je mehr Beitragsjahre
34
Frauen und Männer zahlen gleiche Beiträge.
Der Rentenversicherungsschutz besteht
auch in Zeiten von Krankheit, Arbeitslosigkeit, Kindererziehung und Pflege von
Angehörigen.
Wer aus gesundheitlichen Gründen seinen Beruf nicht mehr ausüben kann,
wird von der gesetzlichen Rentenversicherung unterstützt, um seine Erwerbsfähigkeit zu verbessern oder wieder zu
erreichen.
Aus der gesetzlichen Rentenversicherung werden Altersrenten, Renten wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit sowie
Hinterbliebenenrenten gezahlt.
Rentner erhalten einen Zuschuss zum
Beitrag für die Krankenversicherung.
Berufsunfähigkeit
zusätzlich absichern
Die gesetzliche Rentenversicherung
zahlt bei teilweiser oder voller Erwerbsminderung eine Erwerbsminderungsrente. Wer in jungen Jahren vermindert erwerbsfähig wird, hat aber in
der Regel erst geringe Rentenanwartschaften aufbauen können. Daher ist es
für Berufsanfänger sinnvoll, eine private Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen. Vor Abschluss der Versicherung müssen Fragen zur Gesundheit beantwortet werden. Je jünger
und gesünder der Versicherte ist, desto
niedriger sind die Beiträge. Auch deshalb ist es vorteilhaft, die Versicherung
so früh wie möglich abzuschließen, am
besten gleich zu Beginn der Berufsausbildung. Vor dem Abschluss einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung
sollte man sich bei einer Verbraucherzentrale beraten lassen.
Wer ist in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert?
Arbeitnehmer: Dazu gehören auch Auszubildende,
Entwicklungshelfer, Menschen mit Behinderung, die in
anerkannten Behindertenwerkstätten arbeiten, freiwillig Wehrdienstleistende und Bundesfreiwilligendienstleistende. Wer einige Zeit lang Arbeitslosengeld oder
Krankengeld bezieht, ist trotzdem weiterhin versichert.
Pflegende: Menschen, die mindestens zehn Stunden pro Woche, verteilt auf wenigstens zwei Tage, einen pflegebedürftigen Angehörigen betreuen und nicht
mehr als 30 Stunden wöchentlich arbeiten, sind ohne
eigene Beitragszahlung pflichtversichert. Ihre Beiträge
werden von den Pflegekassen übernommen.
Erziehende: Auch Mütter und Väter sind in Zeiten,
in denen sie Kinder erziehen, pflichtversichert. Bis zu
drei Jahre werden bei der Rente berücksichtigt. In dieser Zeit müssen sie keine Beiträge zahlen, das übernimmt der Staat für sie.
Selbstständige: Nur bestimmte Berufsgruppen wie
selbstständige Handwerker, Künstler und Hebammen
sind laut Sozialgesetzgebung pflichtversichert. Alle
anderen Selbstständigen können sich freiwillig versichern oder auf Antrag pflichtversichern und erwerben
dann ebenfalls Rentenansprüche. Selbstständige zahlen ihre Beiträge bis auf einige Ausnahmen selbst. Der
Mindestbeitrag beträgt derzeit monatlich 84,15 Euro
(Stand 2017).
Drei Säulen der Alterssicherung
Gesetzliche
Rentenversicherung
Betriebliche
Altersvorsorge
Private
Altersvorsorge
Pflichtversicherung, die Beiträge
teilen sich Arbeitgeber und
Arbeitnehmer je zur Hälfte.
Betriebsrente, die Beiträge
können vom Arbeitgeber und/oder
Arbeitnehmer gezahlt werden.
Die steuerliche Förderung können
nutzen:
Individuelles Schutzpaket, die
Beiträge zahlt der Arbeitnehmer
selbst. Es gibt verschiedene,
zum Teil staatlich geförderte
Anlageformen:
• abhängig Beschäftigte
• bestimmte Selbstständige
• besondere Personengruppen,
zum Beispiel Pflegepersonen
und Bezieher von Entgeltersatzleistungen wie Arbeitslosen-/Krankengeld
• Arbeitnehmer/-innen in der
Privatwirtschaft
• Angestellte im öffentlichen
Dienst, wenn der Tarifvertrag
dies erlaubt
• geringfügig Beschäftigte
•
•
•
•
Finanzierung:
Umlageverfahren
Finanzierung:
Kapitaldeckungsverfahren
Finanzierung:
Kapitaldeckungsverfahren
private Rentenversicherungen
Fondssparpläne
Banksparpläne
selbst genutztes Wohneigentum
Geklickt
Informationen der Deutschen
Rentenversicherung zum
Thema Rente und Altersvorsorge
www.deutscherentenversicherung.de
www.rentenblicker.de
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt: Ein Vertrag
zwischen den Generationen
(Fragebogen zur Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Rentenversicherung
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Rentenversicherung – nicht
nur fürs Alter
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Modelle der gesetzlichen
Altersvorsorge
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Demografischer Wandel
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Berufsunfähig – was nun?
Gewählt
Bürgertelefon zur Rente
(030) 2 21 91 10 01
Montag bis Donnerstag
8 bis 20 Uhr
Quelle: eigene Darstellung
/////////////////////////////
Das Umlageverfahren
Das Kapitaldeckungsverfahren
Die gesetzliche Rentenversicherung wird seit dem
Jahr 1957 über das sogenannte Umlageverfahren
finanziert. Das bedeutet, dass das Geld der Beitragszahler direkt für die Zahlung der Renten des nächsten Monats verwendet wird. Ein Rentner erhält seine
Rentenleistungen also aus den Beiträgen, welche
die derzeitigen Erwerbstätigen und Arbeitgeber je zur
Hälfte gezahlt haben.
Aufgrund der Alterung der Gesellschaft (siehe nächstes Kapitel) werden die Zahlungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung allein künftig nicht mehr
ausreichen, um den gewohnten Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Dafür müssen die heutigen Arbeitnehmer zusätzlich vorsorgen und in eine der beiden
Säulen der Alterssicherung einzahlen: die betriebliche
oder die private Altersvorsorge.
Da die Beitragseinnahmen nicht zur Finanzierung aller
Rentenleistungen ausreichen, beteiligt sich der Staat
mit Steuergeldern in Form eines Bundeszuschusses
an der gesetzlichen Rentenversicherung. Laut Bundesversicherungsamt belief sich der Bundeszuschuss
im Jahr 2016 auf fast 70 Milliarden Euro.
Diese beruhen auf dem sogenannten Kapitaldeckungsverfahren, das heißt, jeder spart für seine eigene Rente. Die Höhe der Rente hängt vom angesparten
Kapital und dessen Anlageertrag ab. Der Anlageertrag
ist wiederum abhängig vom Zinsniveau. Der Staat unterstützt die betriebliche und private Altersvorsorge
durch Zulagen und Steuervorteile.
Gefragt
Befragen Sie Großeltern,
Eltern, junge Berufstätige,
Freunde zum Generationenvertrag zwischen Jung und Alt.
Finden sie ihn angemessen?
Funktioniert er gut? Notieren
Sie die Argumente, und tragen
Sie diese in der Lerngruppe in
einer Tabelle zusammen.
Erklären Sie in eigenen Worten
den Unterschied zwischen dem
Umlageverfahren und dem
Kapitaldeckungsverfahren.
Tauschen Sie Pro- und Kontra-Argumente für die beiden
Finanzierungsmodelle aus.
/////////////////////////////
35
Rentenversicherung 2
Mehr Rentner,
weniger Kinder
Unsere Gesellschaft verändert sich durch den demografischen Wandel sehr
stark. Wir leben länger und beziehen immer länger Rente. Gleichzeitig werden
immer weniger Kinder geboren. Im Jahr 2045 werden 55 Personen im Rentenalter 100 Personen im erwerbsfähigen Alter gegenüberstehen. Das wirkt sich
langfristig auf das Rentenniveau aus. Damit künftige Generationen finanziell
nicht überfordert werden, können die Renten nicht mehr so stark steigen wie
in früheren Jahren. Außerdem müssen die Menschen länger arbeiten.
Wichtige Reformen der Rente
2001 bis 2005
Absenkung Rentenniveau,
Nachhaltigkeitsfaktor
Die Rentenleistungen sind an
die Entwicklung der Bruttolöhne der Arbeitnehmer gekoppelt. Das wird auch dynamische
Rente genannt. Mit der Rentenreform 2001 wurde der Rentenanstieg deutlich verringert und
damit das Rentenniveau abgesenkt, um das System finanzierbar zu halten. Außerdem
wurde ein sogenannter Nachhaltigkeitsfaktor bei der Rentenberechnung eingebaut: Werden die Beitragszahler weniger,
fallen die jährlichen Rentenerhöhungen geringer aus als der
Anstieg der Bruttoeinkommen.
2007
Rente mit 67
Rentengarantie
Das Renteneintrittsalter für die
Regelaltersrente wird schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben. Wer 1964 und später
geboren wurde, kann in der
Regel erst mit 67 Jahren ohne
Abzüge in Rente gehen. In der
Gesellschaft wird darüber diskutiert, ob das Renteneintrittsalter
noch weiter angehoben werden
sollte (siehe Seite 37 oben).
Angesichts der Wirtschafts- und
Finanzkrise wurde die im Jahr
2004 eingeführte Rentenschutzklausel zur sogenannten Rentengarantie erweitert. Diese stellt sicher, dass die Renten bei sinkenden Löhnen nicht zurückgehen.
Private Altersvorsorge:
Riester-Rente
Der Staat fördert seit 2002 mit finanziellen
Zulagen und Steuervergünstigungen den
Aufbau einer privaten Altersvorsorge. Sie wird
nach dem damaligen Arbeitsminister „Riester-Rente“ genannt. Vor allem Pflichtmitglieder in der gesetzlichen Rentenversicherung,
Beamte, Richter und Soldaten, die mindes-
36
2009
tens vier Prozent des Brutto-Vorjahreseinkommens für die Altersvorsorge aufwenden,
erhalten die volle Förderung. Bei Verheirateten muss nur einer von beiden die Voraussetzungen erfüllen, dann erhält auch der
andere die Förderung. Geringverdiener zahlen nur einen Mindestbeitrag. Familien und
Geringverdiener profitieren am meisten von
der Riester-Rente. Gefördert werden privates
Wohneigentum, Banksparpläne, Rentenversicherungen und Fondssparpläne, die zertifiziert sind und bestimmte Vorgaben erfüllen. In den vergangenen Jahren hat sich
herausgestellt, dass die Auszahlungen der
Riester-Renten wegen der niedrigen Zinsen
geringer ausfallen als erwartet. Zudem wird
die Riester-Rente von Geringverdienern nicht
so angenommen wie erhofft.
Zeichnung: Thomas Plaßmann, 2016
2014
Verbesserungen für
besonders langjährig
erwerbstätige Menschen
und für Mütter
Erwerbstätige, die 45 Jahre
oder länger Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt haben,
können zwei Jahre früher in
Rente gehen, ohne dass die
Rentenzahlungen gekürzt werden. Mütter oder Väter, deren
Kinder vor dem Jahr 1992 geboren sind, erhalten für jedes Kind
Rentenzuschläge, durch die ihre
Erziehungsleistung nachträglich
stärker anerkannt wird.
Heidi, 68, Hausfrau: „Ich kann das Wort ‚Lebensleistungsrente‘ nicht mehr hören. Ich habe Kinder
großgezogen. Meine Rente beträgt 372 Euro.
Meine Altersvorsorge schrumpft (keine Zinsen).
So kann ich nicht in Würde alt werden.“
Rente mit 70?
Ralf, 45, Arbeiter: „Wer möchte von
einem Zahnarzt behandelt werden, dem
beim Bohren die Hände zittern? Was
macht ein Dachdecker, der nicht mehr
auf das Dach kommt, oder ein Maurer,
der die Steine nicht mehr tragen kann?“
Sibylle, 38, Angestellte: „Ein Problem ist
auch das immer spätere Arbeitseintrittsalter
der Jungen: spätere Einschulung, Orientierungsjahr nach dem Schulabschluss, Lehre
mit 20, Studienabschluss mit 30. Die Lebensarbeitszeit des Einzelnen ist gesunken.“
Peter, 57, Angestellter: „Ich war 30 Jahre
lang in einem großen Chemie-Unternehmen
tätig. Im Alter von 55 Jahren wurde mir
nahegelegt, das Unternehmen mit einer
Abfindung zu verlassen. Hier müsste die
Politik mal eingreifen.“
Betriebliche Altersvorsorge
Seit dem Jahr 2002 kann jeder Arbeitnehmer vom
Arbeitgeber verlangen, dass ein Teil seines Lohns in eine
betriebliche Altersvorsorge fließt. Dies wird Entgeltumwandlung genannt. In Tarifverträgen ist diese Anlageform oft festgeschrieben. Die Beiträge können vom
Arbeitgeber oder vom Arbeitnehmer allein oder von
beiden gemeinsam finanziert werden. Auch hier unterstützt der Staat den Aufbau der Altersvorsorge, indem
die Beiträge für Arbeitgeber und für Arbeitnehmer bis
zu einer bestimmten Grenze steuer- und abgabenfrei
sind. Für die Renten müssen jedoch später Steuern gezahlt werden.
2017
Flexirente
Ziel des Flexirentengesetzes ist
es, den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand flexibler gestalten zu können. Teilrente und Hinzuverdienst werden
flexibler miteinander kombinierbar. Außerdem kann man mit
Weiterarbeit neben der Rente
den Rentenanspruch erhöhen.
Wer früher in Rente gehen will
und dafür Abschläge in Kauf
nehmen müsste, kann diese
nun früher und flexibler als bisher durch zusätzliche Beitragszahlungen in die Rentenversicherung ausgleichen.
Die Zukunft der Rente
Die Finanzierung der Rentenversicherung bleibt angesichts der demografischen
Entwicklung eine große Herausforderung. Nur nach langer Erwerbstätigkeit und
privater Vorsorge kann der gewohnte Lebensstandard im Alter aufrechterhalten
werden. Frauen, Alleinerziehende, Geringverdiener, Minijobber und Menschen,
die aufgrund einer Erwerbsminderung nicht voll arbeiten können, sind am
stärksten von Altersarmut bedroht. Um die Sozialversicherung zu stabilisieren,
werden verschiedene Vorschläge diskutiert:
Die betriebliche Altersvorsorge (Betriebsrente) soll ausgebaut werden. Für
die betriebliche Altersvorsorge besteht besonders in kleinen Unternehmen und
bei Beschäftigung mit niedrigem Einkommen noch erhebliches Verbreitungspotenzial. Das Betriebsrentenstärkungsgesetz, das am 1. Januar 2018 in Kraft
treten soll, setzt hier mit wesentlichen Neuregelungen an.
Ein anderer Vorschlag ist, alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Einkommensstarke Bevölkerungsgruppen, vor allem
Selbstständige und Beamte, würden dann die gesetzliche Rentenversicherung
mitfinanzieren. Durch die bereits bestehenden, historisch gewachsenen Strukturen der Alterssicherungssysteme würde eine Umsetzung des Vorhabens allerdings zu erheblichen Problemen führen.
Mit Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung und zur Integration von Zuwanderern (siehe Seite 14/15) soll die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse erhöht und die Sozialversicherung gestützt werden.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat Ende 2016 ein Gesamtkonzept zur Alterssicherung vorgelegt. Das Konzept sieht ein garantiertes Rentenniveau von mindestens 46 Prozent bei einem maximalen Beitragssatz von
25 Prozent bis 2045 vor. Selbstständige sollen durch die Aufnahme in die gesetzliche Rentenversicherung besser abgesichert werden. Zugleich soll die zusätzliche Altersvorsorge ausgebaut werden, indem die betriebliche Altersvorsorge ausgeweitet und die Riester-Rente vereinfacht wird.
Geklickt
Internetseiten des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales mit Informationen zu
den aktuellen Rentenreformen
www.bmas.de
Internetauftritt der Deutschen
Rentenversicherung für Schüler, Auszubildende, Studierende und Berufsanfänger zum
Thema Altersvorsorge
www.rentenblicker.de
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformation:
Rentenversicherung
• Arbeitsblatt: Diskussion:
Rente mit 63 und Mütterrente
• Schaubild: Das Rentenpaket
2014
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Modelle der gesetzlichen
Altersvorsorge
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Demografischer Wandel
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Jugend und Altersvorsorge (1)
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Jugend und Altersvorsorge
(2): Riester-Rente
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Rente mit 67
/////////////////////////////
Gefragt
Formulieren Sie mithilfe der
Texte Argumente, die für eine
Flexibilisierung des Renteneintrittsalters sprechen.
Beschreiben Sie die Karikatur
und erklären Sie, welcher
Konflikt angesprochen wird. Beziehen Sie begründet Stellung
zu diesem Konflikt.
/////////////////////////////
37
Arbeitslosenversicherung
Arbeitslos, aber nicht
mittellos
Arbeitsmarktpolitik
Eine hohe Arbeitslosigkeit führt nicht nur zu
steigenden Sozialausgaben, sondern erhöht
auch das Risiko der sozialen Ausgrenzung
von Menschen aus der Gesellschaft. Eine
hohe Zahl offener Stellen hingegen führt zu
Einbußen bei Produktion und Wirtschaftswachstum, weil die Wirtschaft ihren Bedarf
an Arbeitskräften nicht decken kann. Ziel der
Arbeitsmarktpolitik ist es deshalb, Angebot
und Nachfrage ins Gleichgewicht zu bringen
und Arbeitsuchende möglichst schnell in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu vermitteln.
Das Arbeitslosengeld
„Als der Chef uns mitteilte, dass er unseren Betrieb schließen
muss, war das ein ziemlicher Schock. Zum Glück wusste mein
Kollege, dass man sich schon vor Beginn der Arbeitslosigkeit bei
der Arbeitsagentur Hilfe holen kann. Ein Großteil meiner Bewerbungs- und Fahrtkosten zu den Vorstellungsgesprächen wurde
übernommen. Beim fünften Vorstellungsgespräch hat es geklappt,
sodass ich insgesamt nur sechs Wochen arbeitslos war.“
Stefan, 32, Kfz-Mechatroniker aus Eschwege
beitslose Mensch ist und wie lange er vorher Beiträge gezahlt hat. Die Bezugsdauer
reicht von sechs bis zu zwölf Monaten. Nach
längerer Versicherungsdauer und bei Versicherten im Alter von über 50 Jahren kann
sie verlängert werden, höchstens jedoch auf
24 Monate. Auch Selbstständige, die auf
freiwilliger Basis vorher Beiträge entrichtet
haben, können Arbeitslosengeld erhalten.
Arbeitnehmer erhalten Arbeitslosengeld aus
der Arbeitslosenversicherung, wenn sie ihren Job verlieren, und werden bei der Suche
nach einer neuen Arbeitsstelle unterstützt
(siehe Schaubild auf Seite 8). Die gesetzliche Arbeitslosenversicherung wird aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern
gemeinsam getragen. Beide zahlen jeweils
1,5 Prozent des monatlichen Bruttoeinkommens des Arbeitnehmers (Stand 2016, siehe
Gehaltsabrechnung auf Seite 21).
Bei (drohendem) Arbeitsplatzverlust sollte man sich spätestens am ersten Tag der
Beschäftigungslosigkeit, frühestens drei
Monate im Vorfeld, persönlich bei der örtlichen Arbeitsagentur melden. Wer die Frist
versäumt, muss mit einer Sperrzeit von einer
Woche rechnen und erhält in dieser Zeit kein
Arbeitslosengeld.
Wer arbeitslos wird und keine Kinder hat,
erhält 60 Prozent des vorherigen Nettolohns
als Arbeitslosengeld, mit Kindern sind es
67 Prozent. Wie lange Arbeitslosengeld gezahlt wird, hängt davon ab, wie alt der ar-
Wer länger arbeitslos ist, hat Anspruch auf
Arbeitslosengeld II, häufig auch „Hartz IV“
genannt (siehe Seite 10). Diese Grundsicherung wird im Unterschied zum Arbeitslosengeld nicht aus Beiträgen, sondern aus
38
Das Arbeitslosengeld II
Steuermitteln finanziert. Deshalb können es
auch Menschen beziehen, die vorher nicht
versicherungspflichtig beschäftigt waren.
Bevor es in Anspruch genommen werden
kann, muss Gespartes ab einem Freibetrag
von 3.100 Euro bis maximal 10.050 Euro
(abhängig vom Alter) aufgebraucht werden.
Geldanlagen, die ausschließlich der Altersvorsorge dienen, sind geschützt. Für sie gilt
ein erhöhter Freibetrag von maximal 50.250
Euro. Weitere Freibeträge gibt es für Kinder.
Im Jahr 2017 beträgt das Arbeitslosengeld II
409 Euro für Alleinstehende. Ehe- oder Lebenspartner erhalten jeweils 368 Euro. Die
Regelsätze für Kinder und Jugendliche betragen je nach Alter 237 bis 311 Euro im Monat.
Angemessene Kosten für Miete und Heizung
sowie die Beiträge für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung werden übernommen. Für Alleinerziehende und Schwangere gibt es zusätzliche Leistungen für den
Mehrbedarf. Asylbewerber und Geduldete
haben ebenfalls einen Anspruch auf Grundsicherung, der zum 1. Januar 2017 auf maximal
332 Euro pro Monat festgelegt wurde.
Mitteilungs- und
Mitwirkungspflicht
Arbeitslose müssen der Arbeitsagentur oder
dem zuständigen Jobcenter umgehend mitteilen, wenn sich ihr persönlicher Status ändert
und sie zum Beispiel eine Nebentätigkeit aufnehmen, umziehen, arbeitsunfähig werden oder
Ähnliches. Außerdem müssen sie regelmäßig zu
Terminen mit dem Berufsberater erscheinen, an
Trainingsmaßnahmen teilnehmen oder zu Vorstellungsgesprächen gehen. Zumutbare Arbeit
(siehe unten) dürfen sie nicht ablehnen. Sonst
droht eine Sperrzeit oder eine Kürzung des Arbeitslosengeldes.
Reformen auf dem
Arbeitsmarkt
Um die Arbeitslosigkeit wirkungsvoll zu bekämpfen
und Arbeitsuchende schneller wieder in Beschäftigung
zu bringen, sind zwischen 2003 und 2005 mehrere
Gesetze in Kraft getreten. Sie stehen unter dem Motto
„Fördern und Fordern“ und beinhalten unter anderem
folgende Regelungen:
Zumutbare Arbeit: Wer als Bezieher von Arbeitslosengeld II eine zumutbare Arbeit ohne wichtigen Grund
ablehnt, muss Kürzungen bei den Geldleistungen in
Kauf nehmen. Als zumutbar gilt zum Beispiel für Alleinstehende ein Umzug in eine andere Stadt oder
eine Stelle, bei der die Bezahlung bis zu 30 Prozent
unter dem Tariflohn liegt.
Minijobs: Geringfügige Beschäftigungen mit einer
Lohnobergrenze von 450 Euro werden Minijobs genannt. Minijobber sind in der Arbeitslosen-, Krankenund Pflegeversicherung versicherungsfrei. Nur in der
Rentenversicherung müssen sie Beiträge zahlen: bei
gewerblichen Minijobs 3,7 Prozent, in Privathaushalten 13,7 Prozent des Bruttolohns. Die Arbeitgeber
zahlen für gewerbliche Minijobs pauschal 30 Prozent
für Sozialversicherungen und Steuern plus den Beitrag
zur Unfallversicherung, in Privathaushalten 12 Prozent
zuzüglich Unfallversicherung. Gewerkschaften kritisieren, dass durch Minijobs viele Vollzeitarbeitsplätze
und damit auch Beiträge für die Sozialversicherung
verloren gingen. Die Wirtschaft betont dagegen, Unternehmen könnten so flexibler auf die Wirtschaftslage
reagieren und mehr – wenn auch geringer bezahlte –
Arbeitsplätze schaffen.
Ein-Euro-Jobs: Zusatzverdienst möglich
Ein-Euro-Jobs heißen offiziell Arbeitsgelegenheiten
mit Mehraufwandsentschädigung. Die Arbeit muss im
öffentlichen Interesse liegen und darf keinem örtlichen
privaten Unternehmen Aufträge entziehen. Bezieher
von Arbeitslosengeld II können auf diese Weise zusätzlich Geld verdienen. Wenn sie sich weigern, einen
solchen Job anzunehmen, kann die Arbeitsagentur
ihnen die Zahlungen kürzen.
Ein-Euro-Jobs sollen vor allem schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen helfen, sich wieder an
einen normalen Arbeitstag zu gewöhnen. Kritiker befürchten, dass sie reguläre Arbeitsplätze vernichten.
Untersuchungen bestätigen, dass in einigen Fällen
Arbeiten der regulären Belegschaft auf Ein-Euro-Jobber übertragen werden. Zudem gibt es Hinweise, dass
jedes zweite Unternehmen zumindest einen Teil der
beschäftigten Ein-Euro-Jobber nicht im Sinn des Gesetzgebers einsetzt. Da die Ein-Euro-Jobber in der Arbeitslosenstatistik nicht auftauchen, spricht man hier
von versteckter Arbeitslosigkeit.
Vermittlungsbudget
Das persönliche Vermittlungsbudget ist ein Bestandteil des Fördersystems der Arbeitslosenversicherung,
das auf die individuelle Situation des Arbeitsuchenden
ausgerichtet wird. Dazu zählen etwa die Übernahme
von Bewerbungskosten oder finanzielle Umzugsbeihilfen. Auch wer Arbeit sucht und keinen Schulabschluss hat, kann ihn mithilfe des persönlichen Vermittlungsbudgets nachholen.
Geklickt
Informationen der Bundesagentur für Arbeit zu allen finanziellen Hilfen bei Arbeitslosigkeit
www.arbeitsagentur.de
Job-Lexikon mit Begriffserläuterungen rund um das
Thema Berufswelt
www.sozialpolitik.com/lexikon
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt: Arbeitslos, aber
nicht mittellos (Fragebogen
zur Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Arbeitslosenversicherung
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Arbeitslos – was nun?
• Schaubild: Langzeitarbeitslosigkeit
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Jugendarbeitslosigkeit in
Europa
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Arbeitsmarkttrends
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Minijobs
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Zehn Jahre Arbeitslosengeld II
• Arbeitsblatt: Hartz-IV-Reform
Gewählt
Bürgertelefon zur Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsförderung
(030) 2 21 91 10 03
Montag bis Donnerstag
8 bis 20 Uhr
/////////////////////////////
Arbeitslosenquoten ausgewählter Personengruppen
in Prozent aller Erwerbstätigen im Jahr 2016
Gefragt
Erläutern Sie das Prinzip „Fördern und Fordern“ anhand der
Regelungen für Bezieher von
Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II.
Analysieren Sie das Schaubild, und formulieren Sie eine
arbeitsmarktpolitische Aufgabe,
die sich aus Ihrer Sicht aus den
Zahlen ergibt.
/////////////////////////////
Quelle: Bundesagentur für Arbeit: Arbeitslose nach Rechtskreisen (Jahreszahlen), Deutschland nach Ländern 2016, https://statistik.arbeitsagentur.de
39
Pflegeversicherung
Hilfe und Pflege
nicht nur für Senioren
„Ich pflege, weil es mein Traumberuf ist. […] Ich bin inzwischen 27 Jahre im Beruf. Ich
kämpfe dafür, dass unser Beruf besser anerkannt wird.“ Das sagt Sabine Knüppel-Trstena,
Krankenschwester aus München und zugleich Pflegebotschafterin des Bundesministeriums für Gesundheit. Ihre Aufgabe wird immer wichtiger, denn in Deutschland werden die
Menschen immer älter und damit häufiger pflegebedürftig. Laut Prognose des Statistischen
Bundesamts werden von 2012 bis 2014 geborene Männer durchschnittlich etwa 78 Jahre,
Frauen etwa 83 Jahre alt. Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen
in Deutschland voraussichtlich auf 4,5 Millionen steigen.
Der fünfte Zweig der
Sozialversicherung
Die Pflegeversicherung wurde als fünfter
und letzter Zweig des Sozialversicherungssystems im Jahr 1995 eingeführt (siehe
Schaubild auf Seite 8). Die gesetzliche Pflegeversicherung übernimmt Kosten für die
Pflege im Alter oder bei Krankheit und wird
aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam getragen. Beide zahlen jeweils 1,275 Prozent des monatlichen
Bruttoeinkommens des Arbeitnehmers,
Kinderlose zahlen zusätzlich 0,25 Prozent
(Stand 2017, siehe Gehaltsabrechnung auf
Seite 21). Nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit erhielten im
Jahr 2016 2,75 Millionen Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung, Tendenz
steigend. Mehr als zwei Drittel von ihnen
wurden zu Hause versorgt.
Wer sich zu Hause pflegen lassen will, kann
zwischen Geld- und Sachleistungen oder
40
einer Kombination von beidem wählen. Die
Betreuung durch ambulante Pflegedienste
oder eine Sozialstation gehört zu den Sachleistungen. Pflegebedürftige können anstelle
einer häuslichen Pflegehilfe auch Pflegegeld
beantragen. Wenn jedoch weder eine häusliche noch eine teilstationäre Pflege infrage
kommt, hilft nur noch die Aufnahme in ein
Pflegeheim.
Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff: Pflegegrade
statt Pflegestufen
In den Jahren 2015 bis 2017 sind drei Pflegestärkungsgesetze in Kraft getreten. Seit
2017 stehen jährlich fünf Milliarden Euro
zusätzlich für die Pflege zur Verfügung.
Außerdem wurde der Begriff der Pflegebedürftigkeit neu definiert. Die bisherige Unterscheidung zwischen Pflegebedürftigen mit
körperlichen Einschränkungen und Pflegebedürftigen mit kognitiven und psychischen
Einschränkungen ist weggefallen. Um den
Grad der Pflegebedürftigkeit zu bestimmen,
sind nun ausschließlich die Fähigkeiten und
die Selbstständigkeit entscheidend. Diese
werden in den folgenden sechs Lebensbereichen eingeschätzt:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Mobilität (zum Beispiel selbstständiger Positionswechsel im Bett)
kognitive und kommunikative Fähigkeiten (zum Beispiel Verstehen und
Reden, räumliche und zeitliche Orientierung)
Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (zum Beispiel Aggressionen in der Nacht)
Selbstversorgung (zum Beispiel selbstständiges Waschen, eigenständiges
Essen und Trinken)
Bewältigung von krankheitsbedingten
Anforderungen und Belastungen (zum
Beispiel selbstständige Medikamenteneinnahme, Blutzuckermessen)
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (zum Beispiel Anpassung an Veränderungen, Kontaktpflege)
Ein Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung erfasst die individuellen Beeinträchtigungen und das Ausmaß, in dem der pflegebedürftige
Mensch sich noch selbst ohne fremde Hilfe versorgen
kann, in einem Gutachten. Die Pflegekasse entscheidet
dann auf dieser Grundlage über den Pflegegrad. Das
Ergebnis ist die Einstufung in einen von fünf Pflegegra-
den, welche die vorherigen drei Pflegestufen (und die
sogenannte Pflegestufe 0) ersetzen. Die Einstufung
reicht von geringer Beeinträchtigung (Pflegegrad 1) bis
zur schwersten Beeinträchtigung mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung (Pflegegrad 5). Eine Zeiterfassung des Pflegeaufwands spielt
in der neuen Begutachtung keine Rolle mehr.
Gesundheit und Pflege als Jobmotor
Im deutschen Gesundheitswesen waren im Jahr 2015 rund 5,3 Millionen Menschen beschäftigt, darunter in
Krankenhäusern
1.113.000
der stationären und
teilstationären Pflege
679.000
Arztpraxen
678.000
Praxen sonstiger
medizinischer Berufe
489.000
Zahnarztpraxen
346.000
der ambulanten Pflege
344.000
Apotheken
224.000
221.000
der Verwaltung
Quelle: Statistisches Bundesamt, Gesundheitspersonal 2015,
Fachserie 12 Reihe 7.3.2, Tabelle 5.1, Stand: Januar 2017
Unterstützung für pflegende
Angehörige
Mehr Leistungen für Menschen
mit Demenz
Wer einen Familienangehörigen pflegt, muss oft die
Berufstätigkeit einschränken. Um die Pflegenden zu
unterstützen, zahlt die Pflegekasse für sie die Beiträge
zur gesetzlichen Rentenversicherung. Voraussetzung
dafür ist, dass die Pflegenden nebenher nicht mehr
als 30 Stunden pro Woche arbeiten. Seit dem Sommer 2008 haben Beschäftigte das Recht, bis zu zehn
Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, um für nahe Angehörige Pflege zu organisieren.
Durch die steigende Lebenserwartung haben sich die
Anforderungen an die Pflegeversicherung verändert.
Um auf die steigende Zahl von Demenzkranken, also
altersverwirrten Menschen, zu reagieren, wurde im
Juni 2012 ein Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz beschlossen und der Leistungskatalog für Demenzkranke erweitert. Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz
wurde 2016 ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt. Seit dem Jahr 2017 wird in fünf neue Pflegegrade eingestuft (siehe oben).
Seit 2015 steht ihnen als Ausgleich für entgangenes
Arbeitsentgelt außerdem ein Pflegeunterstützungsgeld
zu. In Zeiten, in denen die Pflegeperson verhindert ist,
kann für bis zu sechs Wochen eine Ersatzpflege in Anspruch genommen werden. In stationären Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern sollen bis zu 45.000
zusätzliche Betreuungskräfte eingestellt werden. Seit
2017 ist die Pflegeberatung in den Kommunen neu
geregelt. Unterschiedliche Beratungsangebote vor Ort
werden gebündelt, damit Pflegebedürftige und ihre Angehörigen Beratung aus einer Hand erhalten.
Um die zusätzlichen Leistungen zu finanzieren, wurde
der Beitragssatz für die Pflegeversicherung ab Januar 2017 um 0,2 Prozent erhöht. Die freiwillige private Vorsorge wird vom Staat mit einem Zuschuss von
60 Euro im Jahr gefördert. So sollen die Bürger ähnlich wie bei der Rentenversicherung (siehe Seite 36)
ermutigt werden, zusätzlich privat vorzusorgen und
Geld für bessere Pflegeleistungen im Alter zu sparen.
Geklickt
Internetseiten des Bundesministeriums für Gesundheit mit
Informationen zur Pflegeversicherung und zu Pflegeberufen
www.bmg.bund.de
www.ich-pflege-weil.de
Arbeitsmaterialien in der
Sozialpolitik-Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
• Arbeitsblatt: Hilfe und Pflege
nicht nur für Senioren
(Fragebogen zur Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Pflegeversicherung
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Unfallversicherung im
Ehrenamt und in der Pflege
• Arbeitsblatt: Sozialpolitik im
Jahr 2017
• Arbeitsblatt: Pflegeberufe
haben Zukunft
• Schaubild: Pflegesektor:
Fachkräfte gesucht
Gewählt
Bürgertelefon zur Pflegeversicherung
(030) 3 40 60 66 02
Montag bis Donnerstag
8 bis 18 Uhr,
Freitag 8 bis 12 Uhr
/////////////////////////////
Gefragt
Erklären Sie in Ihren eigenen
Worten, wonach sich der Grad
der Pflegebedürftigkeit seit dem
Jahr 2017 bemisst. Geben Sie
mögliche Beispiele für Pflegebedürftigkeit.
Ein wichtiges Ziel ist die
Stärkung der häuslichen Pflege
durch Angehörige. Zeigen Sie,
bei welchen Maßnahmen dies
deutlich wird. Erörtern Sie
Gründe, die aus Ihrer Sicht für
und gegen die häusliche Pflege
durch Angehörige sprechen.
/////////////////////////////
Der Pflegebereich wächst
Während in vielen anderen Branchen Arbeitsplätze wegfallen, steigt die Zahl der Beschäftigten im Pflegebereich kontinuierlich
an. Doch es fehlt immer noch an Nachwuchs. Um die Attraktivität der Pflegeberufe weiter zu steigern, gibt es seit August 2010
einen gesetzlichen Mindestlohn für Pflegekräfte, der seitdem kontinuierlich angehoben wurde. Ab Januar 2018 steigt er auf
10,55 Euro pro Stunde im Westen und 10,05 Euro im Osten. Anfang 2019 und 2020 wird er nochmals erhöht. Um die Qualität
und Attraktivität des Pflegeberufs zu steigern, hat die Bundesregierung eine Reform der Ausbildung verabschiedet. Die Trennung
nach Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege soll aufgehoben werden und das Schulgeld entfallen. Diese Regelungen sollen
erstmals für den Ausbildungsjahrgang 2018 greifen.
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Von Schülern für Schüler
Sandra Bardt
25 Jahre
Mitbestimmung
in der Ausbildung
Wo bekommen Auszubildende und junge Arbeitnehmer
Unterstützung bei Problemen
im Betrieb? Ist eine Jugendund Auszubildendenvertretung
(JAV) sinnvoll? Welche Aufgaben hat die JAV?
Ann-Kathrin, Lara und Sandra
von der Schulze-DelitzschBerufsschule in Wiesbaden
machen eine Ausbildung zur
Kauffrau für Büromanagement
und sind selbst JAV-Mitglieder.
Sie haben sich bei ihren Kolleginnen und Kollegen umgehört und Antworten auf diese
Fragen zusammengestellt.
Nicht aufregen –
ändern!
„Ich habe das Gefühl, dass mein Ausbilder mich nicht mag, immer hat er etwas
auszusetzen.“ „Die anderen schließen
mich aus, wenn wir gemeinsam Pause
machen, außerdem lassen sie mich immer schlecht vor anderen dastehen.“
„Andere Azubis bekommen Unterstützung in Form von innerbetrieblichem Unterricht, wir dagegen müssen zusehen,
wie wir klarkommen.“
Konflikte kann es immer geben – in der
(Berufs-)Schule mit Mitschülern und Lehrern, aber auch während der Ausbildung
mit anderen Azubis oder Ausbildern.
Dann muss man Mut aufbringen, sich mit
den Kollegen oder Vorgesetzten zusammensetzen und die Probleme ansprechen. Wenn das nicht hilft, gibt es Berater
42
Lara Pochmann
21 Jahre
bei der zuständigen Kammer oder Gewerkschaft (siehe Kapitel „Arbeitnehmer
haben Rechte“, Seite 22/23). Noch besser ist es aber, wenn es im Betrieb eine
JAV gibt, mit der man Probleme besprechen kann.
Die JAV ist die Interessenvertretung
aller jugendlichen Arbeitnehmer unter
18 Jahren und aller Azubis, Praktikanten
und Werksstudenten unter 25 Jahren.
Sie setzt sich für eine qualifizierte und
moderne Ausbildung und die Übernahme der Auszubildenden ein. Außerdem
achtet sie darauf, dass Gesetze und
Tarifverträge eingehalten werden. Dabei kann es auch mal passieren, dass
die JAV-Mitglieder mit dem Arbeitgeber
oder der Ausbildungsleitung aneinandergeraten. Damit die JAV-Mitglieder in
ihren Entscheidungen frei sind und keine Angst vor negativen Konsequenzen
haben müssen, stehen sie unter Kündigungsschutz. Sie dürfen an Betriebs-/
Personalratssitzungen teilnehmen und
bei Angelegenheiten, die Azubis oder
jugendliche Arbeitnehmer betreffen, mitbestimmen. Dabei haben sie jedoch eine
Verschwiegenheitspflicht und müssen
alles, was in den Sitzungen besprochen
wird oder was Azubis ihnen anvertrauen,
geheim halten.
Ann-Kathrin Güngerich
24 Jahre
Interview
Warum wolltest du JAV-Mitglied werden?
Bianka: Weil ich mich nicht immer nur
aufregen, sondern auch etwas ändern
wollte.
Yannik: Man hat mich gefragt, und ich
konnte mir das schon vorstellen, weil ich
das im Verein schon mal gemacht habe.
Isabell: Mir war es wichtig, die Interessen der Auszubildenden zu unterstützen,
auch weil ich selbst noch dazugehöre.
Marcel: Ich habe mich in meiner Ausbildung zu Tode gelangweilt und nach einer
Möglichkeit gesucht, die Zeit zu füllen.
Außerdem engagiere ich mich gern für
andere, daher hat sich das ganz attraktiv
angehört.
Malte: Die Aufgabe und die Verantwortung, die das Ehrenamt mit sich bringt,
fand ich sehr spannend. Ich wollte meine
Wünsche und Vorstellungen einbringen
und umsetzen. Die JAV bietet die Möglichkeit, das Ausbildungssystem mitzugestalten. Es war eine tolle Erfahrung, die
ich jedem empfehlen kann!
JAV-Arbeit: nur ein Ehrenamt oder auch
eine Hilfe für die persönliche Karriere?
Bianka: Je nachdem, wie man es für sich
selbst wahrnimmt: Man kann auch viel
daraus machen. Insbesondere mit der Hil-
fe von Gewerkschaften und den „älteren
Hasen“ aus den Betriebs- oder Personalräten lässt sich auch hier schon der Weg
für eine Karriere ebnen.
Isabell: In erster Linie ist es ein Ehrenamt, ich bin mir nicht sicher, inwieweit
die Arbeit meiner Karriere helfen wird.
Auf jeden Fall sammelt man dabei viele
Erfahrungen.
Marcel: Es ist definitiv ein Sprungbrett
zum unbefristeten Vertrag, was leider oft
ausgenutzt wird.
Malte: Die JAV-Arbeit stellt ganz klar
ein Ehrenamt dar, für das es keine
Entschädigung oder einen finanziellen
Ausgleich gibt. Die Mitglieder einer JAV
stehen unter einer Doppelbelastung.
Zum einen müssen Sie die Ausbildung
oder das Arbeitsleben meistern, zum
anderen den Aufgaben eines solchen
Ehrenamtes nachkommen. Sie eignen
sich dabei aber auch Soft Skills wie
Engagement, Durchsetzungsvermögen,
Teamarbeit und Kommunikationsfähigkeit an, die für eine persönliche Karriere von Vorteil sein können. Dazu gehört
auch die Verantwortung, die die Mitglieder für sich und für andere tragen.
Fühlst du dich von der JAV gut vertreten?
Yannik: Ja, die JAV trägt Probleme beim
Betriebs- oder Personalrat oder der Ausund Fortbildung vor.
Marcel: In meiner eigenen Ausbildungszeit eher weniger. Ich war selbst JAV-Mitglied, aber habe mich bei persönlichen
Problemen stets an den Personalrat gewandt.
Malte: In der Ausbildung habe ich mich
mit persönlichen Anliegen an die JAV gewandt. Ich hatte den Eindruck, dass die
Ratschläge gut durchdacht waren und die
Informationen auf einem großen Erfahrungsschatz basierten. Die Forderungen
hätten meiner Meinung nach aber noch
stärker gegenüber der Verwaltung vertreten werden können.
Hat die JAV deiner Meinung nach eine
Chance, ihre Anliegen durchzusetzen?
Bianka: Ja! Die Betriebs-/Personalräte
sind in der Regel sehr interessiert an Themen, die die Auszubildenden betreffen,
und offen für neue Ideen.
Yannik: Die JAV soll bei den Betriebs-/
Personalratssitzungen immer anwesend
sein und hat auch einen eigenen Tagesordnungspunkt. Dabei stellt sie Aktuelles
vor.
Isabell: Ja, die JAV erhält in der Regel die
volle Unterstützung des Betriebs-/Personalrats.
Marcel: Auf jeden Fall … theoretisch. Bei
Personalratssitzungen sind oft JAV-Mitglieder anwesend, denen wird auch
Gehör geschenkt. Problematisch ist es,
wenn die JAV-Mitglieder nur als „stille
Zuhörer“ dabeisitzen.
Malte: Ja, die JAV hat eine Chance, ein
Anliegen durchzusetzen Hierbei ist es
wichtig, Argumente, die für die Forderung
sprechen, herauszuarbeiten.
Ist die JAV neutral?
Bianka: Sicherlich gibt es Themen, bei
denen sich die einen mehr einsetzen als
die anderen. An sich ist die JAV aber –
vor allem als neues und junges Gremium
– neutral.
Yannik: Die JAV muss neutral sein, weil
sie alle vertritt.
Isabell: In der Arbeit bisher auf jeden Fall!
Marcel: Auf dem Papier ja. Offiziell steht
sie hinter den Auszubildenden, inoffiziell
habe ich auch mitbekommen, wie man
sich über Probleme lustig machte.
Glaubst du, dass die JAV gut genug geschult ist, um die Interessen und Anliegen der Auszubildenden zu vertreten?
Bianka: Diese Frage ist schwierig zu beantworten – es kommt darauf an, wie
viele Seminare vom jeweiligen schon besucht wurden.
Isabell: Die JAV-Schulungen bieten auf
jeden Fall eine gute Grundlage für die Arbeit der JAV. Ergänzend dazu bietet uns
der Personalrat immer Unterstützung an.
Malte: Für Mitglieder der JAV besteht die
Möglichkeit, Grundlagenseminare zu besuchen. Auf diesen Seminaren lernen die
JAVler ihre Rechte und Pflichten sowie
die damit verbundenen Aufgaben kennen. Ein Austausch mit anderen JAVen ist
in solchen Kursen möglich. Es ist ebenfalls empfehlenswert, einen Erfahrungsaustausch mit den ehemaligen Mitgliedern zu organisieren. Der Betriebs- oder
Personalrat steht auch als Ansprechpartner zur Verfügung.
Die Interviews führten Sarah Bardt, Lara Pochmann
und Ann-Kathrin Güngerich.
Diskussion
Ist eine betriebliche Mitbestimmung von
Jugendlichen in Form einer JAV sinnvoll?
A: Ja, das ist definitiv sinnvoll, und es
sollte in jedem Betrieb, der ausbildet oder
jugendliche Beschäftigte hat, eine Interessenvertretung für diese Personengruppe geben.
B: Aber es müssten sich ja auch erst mal
Personen finden, die sich freiwillig dafür
melden. Die Azubis, die in der JAV sind,
machen es oft nur, da sie Aussichten auf
einen unbefristeten Vertrag haben oder
sich andere Vorteile erhoffen.
C: Das stimmt schon, deshalb sollten die
jugendlichen Arbeitnehmer oder Azubis
genauestens über die betriebliche Mitbestimmung informiert werden.
A: Das ist ein Thema, das die Leute interessieren sollte, immerhin geht es ja um
ihre Interessen. Mit einer JAV haben sie
die Möglichkeit, ihre Belange und Wünsche leichter durchzusetzen.
B: So einfach, wie sich das jetzt anhört, ist
es aber auch nicht. Immerhin müssen alle
Anträge erst mal durch den Betriebs- oder
Personalrat abgesegnet werden. Ich denke, dass es dort oft wichtigere Themen als
die Wünsche der JAV gibt.
C: So kann man das jetzt aber auch nicht
sagen. Es kommt immer darauf an, welche Beziehungen man zum Betriebsoder Personalrat hat.
B: Oft wird man erst im dritten Lehrjahr
JAV-Mitglied. Nach der Ausbildung ist oft
nicht mehr so viel Zeit für die Aufgaben
der JAV.
C: Wenn man wirklich Interesse daran
hat, anderen zu helfen, dann findet man
auch auf der Arbeit Zeit dafür, daher sollte
wirklich eine JAV gewählt werden, die bei
allen möglichen Problemen, die am Arbeitsplatz auftreten können, helfen kann.
A: Und mit der JAV hat man als Azubi
oder jugendlicher Beschäftigter immer
einen Ansprechpartner in den eigenen
Reihen.
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Über dieses Heft
„Sozialpolitik“ ist ein kostenloses Medienpaket für den
Unterricht in den Klassen 9 bis 12/13 an allgemeinbildenden Schulen sowie an berufsbildenden Schulen
und für das Selbststudium. Die Materialien führen in
die Themen soziale Sicherung, Sozialstaat und Berufswelt in Deutschland und Europa ein und geben
einen Überblick über die wichtigsten Bereiche der Sozialpolitik. Das Medienpaket umfasst das vorliegende
Schülermagazin, drei Arbeitshefte (davon eins zusätzlich in Leichter Sprache für den inklusiven Unterricht),
einen Foliensatz und eine Lehrerinformation. Schulen
können die Schüler- und Arbeitshefte in Klassensätzen
kostenlos beziehen.
Im Internet
Die Internetplattform www.sozialpolitik.com bietet
zusätzliche Materialien und interaktive Module (Wissensquiz, Umfragen, Kommentare). Jeden Monat
werden aktuelle sozialpolitische Themen für den Unterricht aufbereitet und Arbeitsblätter als barrierefreie
PDF-Dateien zum Herunterladen angeboten. Die Materialdatenbank umfasst mehr als 300 Unterrichtsmedien, die kostenlos heruntergeladen werden können.
Einige Arbeitsblätter sind in Leichter Sprache. Außerdem gibt es jeweils ein Lexikon in Alltagssprache und
Leichter Sprache, in dem wichtige Begriffe zur Berufswelt und zur sozialen Sicherheit erklärt werden.
Bestelladresse
Bestellservice Jugend
und Bildung
65341 Eltville
Fax: (0 61 23) 9 23 82 44
E-Mail: [email protected]
www.sozialpolitik.com
www.jubi-shop.de
Bestell-Nr. A999
Ausstellung
„In die Zukunft gedacht“
Bilder und Dokumente zur Deutschen Sozialgeschichte
Die Ausstellung bietet eine Zeitreise durch die Sozialgeschichte in Deutschland – besonders geeignet für
Schülerinnen und Schüler ab der 7. Klasse in den Fächern
Geschichte, Politik und Deutsch.
Ort: Foyersaal des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales, Wilhelmstraße 49, 10117 Berlin
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 9 Uhr bis 16 Uhr
bei freiem Eintritt
Führungen: kostenlose Gruppenführungen, organisiert
vom Ministerium, auch für gehörlose und hörgeschädigte
Menschen
Anmeldung zur Führung per E-Mail:
[email protected], bitte mindestens zwei
Wochen vor dem gewünschten Führungstermin
Anmeldung zur Führung per Telefon:
(0160) 90 97 46 85, bitte mindestens vier Wochen vor
dem gewünschten Führungstermin
Kostenlose Arbeitshefte zur Ausstellung:
Heft 1: Vom späten Mittelalter bis zum Zweiten Weltkrieg
(Bestellnummer A204)
Heft 2: Von 1945 bis heute (Bestellnummer A205)
Bestellung unter: www.bmas.de, Rubrik „Publikationen“
Informationen: www.ausstellung.bmas.de
und www.in-die-zukunft-gedacht.de
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