Eigen- und Fremdbewegung in einer virtuellen räumlichen Anordnung

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Eigen- und Fremdbewegung in einer virtuellen
räumlichen Anordnung
Gabriele Janzen und Steffi Katz
Universität Mannheim, Lehrstuhl Psychologie III, Schloß E0, 68131 Mannheim
{janzen, katz}@psychologie.uni-mannheim.de
Abstract. In einem Experiment wurde mittels einer virtuellen räumlichen Umgebung die Art der Bewegungswahrnehmung und Beschreibung der Anordnung
untersucht. Die Versuchspersonen Vpn wurden per Filmsequenz durch das
Museum geführt. In drei Bedingungen wurde der Objekthintergrund variiert.
Bei vollständigem Hintergrund nahmen die Vpn Eigenbewegung war. In den
Bedingungen mit reduzierter Hintergrundinformation nahm die Mehrheit der
Vpn Objektbewegung war. Die Untersuchung unterstreicht zum einen die Rolle
des Objekthintergrundes für die wahrgenommene Bewegungsart. Zum anderen
konnte analysiert werden, in welcher Weise sich unterschiedliches Erleben von
Bewegung in den Beschreibungen der räumlichen Anordnung niederschlägt.
Einleitung
Die Wahrnehmung von Eigen- oder Fremdbewegung (bzw. Selbst- oder Objektbewegung) wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Gerade wenn keine propriozeptive Information der Muskeln von Augen-, Kopf- und Rumpfbewegungen vorliegen, kann es zu Wahrnehmungstäuschungen kommen, wie Untersuchungen zur
bekannten Zug-Illusion zeigen. Aber auch der Hintergrund eines Objektes spielt eine
große Rolle für die Entscheidung über die erlebte Eigen- bzw. Fremdbewegung (s.
Gibson, 1950) und ist für die Vermittlung von Bewegung ohne sensumotorische
Rückkopplung von Bedeutung. Wieviel Hintergrundinformation ist nötig, um eine
überzeugende Eigenbewegung zu erleben? Bisherige Forschungsergebnisse sind meist
an sehr einfachen Reizen gewonnen worden, und es können keine allgemeingültigen
Angaben abgeleitet werden. Es ist daher notwendig, das Bewegungserleben auch bei
komplexen Anordnungen zu überprüfen. Wann Menschen Eigen- bzw. Fremdbewegung wahrnehmen, wie sie ihr Erleben beschreiben und welchen Blickpunkt sie dabei
einnehmen (s. Herrmann & Schweizer, 1998) wurde in einem Experiment mittels
einer virtuellen räumlichen Anordnung untersucht.
Experiment zur Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbewegung
In drei Bedingungen (jeweils 15 Vpn), wurde der Objekthintergrund einer virtuellen
Museumsanordnung variiert (Software „Superscape VRT“). Die Vpn sahen in einer
Filmsequenz entweder den vollständigen Hintergrund (Bedingung 1: „Tag-Bedingung“) oder gar keinen Objekthintergrund (Bedingung 2: „Nacht-Bedingung“). In
einer dritten Bedingung wurde wenig Hintergrundinformation gegeben (Bedingung 3:
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„Halbdunkel-Bedingung“). Die Bewegungssequenz war in allen drei Bedingung
identisch. Nach dem Betrachten des Filmes wurden die Vpn gebeten zu beschreiben,
was sie gesehen hatten. Danach schloß sich eine Befragung zum Bewegungseindruck
an. (Für eine ausführliche Darstellung der Untersuchung s. Janzen & Katz, i. Vorb.)
Anhand der Beschreibungen wurde die erlebte Bewegungsart analysiert und mit explizit abgegebenen Bewegungsurteilen verglichen.
In der ersten Bedingung gab die Mehrheit der Vpn in der Nachbefragung an, sich
selbst durch die räumliche Anordnung bewegt zu haben. In Bedingung 2 gab die
Mehrheit der Vpn an, daß sich die Objekte auf sie zubewegt haben. Auch die 15 Vpn
der dritten Bedingung nahmen überwiegend Fremdbewegung war. Die Antworten der
Tag-Bedingung unterscheiden sich signifikant von denen der Nacht- und der Halbdunkel-Bedingung. Die Beschreibungen der Vpn wurden transkribiert und ausgewertet. Es wurden statische von dynamischen Lokalisationssequenzen unterschieden. Die
Ergebnisse der Tag-Bedingung unterscheiden sich signifikant von denen der Nachtund der Halbdunkel-Bedingung. Die Lokalisationssequenzen der Vpn der Tag-Bedingung waren überwiegend dynamisch und ließen sich der Eigenbewegung zuordnen. In
der Nacht- und der Halbdunkelbedingung wurden die meisten Äußerungen der
Fremdbewegung zugeordnet. 12 Vpn der Tag-Bedingung und je eine Vp der Nachtund Halbdunkel-Bedingung, die Eigenbewegung wahrgenommen hatten, benutzten
zum Beschreiben des Gesehenen einen imaginären Wanderer.
Die Untersuchung zeigt, daß Hintergrundinformation entscheidend für das Erleben
von Eigenbewegung ist. Die Vpn hatten, wie erwartet, bei vollständiger Darbietung
des Hintergrundes den Eindruck, sich selbst, bzw. sich anstelle einer virtuellen Person, durch die Anordnung zu bewegen. Die Vpn hatten bei völliger Ausschaltung des
Objekthintergrundes den Eindruck von Fremdbewegung bzw. den Eindruck, daß die
Gegenstände sich auf sie zubewegen. Dies, obwohl die gezeigten Filmsequenzen in
beiden Fällen identisch und als Sequenz einer sich durch die Anordnung bewegenden
Person programmiert waren. Die Ergebnisse der Halbdunkel-Bedingung zeigen, daß
es nicht ausreicht, nur einige Details der Objektumgebung einer räumlichen Anordnung zu zeigen, um Eigenbewegung zu vermitteln. In den Beschreibungen der Vpn
schlug sich die Art der erlebten Bewegung unterschiedlich nieder. In der Tag-Bedingung dominierten Äußerungen, die eine aktive Bewegung einer Person durch die
Anordnung nahelegen. In der Nacht- und Halbdunkel-Bedingung überwogen Beschreibungen, die sich auf eine Bewegung der Objekte bezogen. Die Befunde demonstrieren, daß sich Effekte der Wahrnehmungspsychologie auch auf komplexe virtuelle
Anordnungen übertragen lassen.
Literatur
Gibson, J. J. (1950). The perception of the visual world. Boston: Houghton Mifflin.
Herrmann, Th. & Schweizer, K. (1998). Sprechen über Raum. Sprachliches Lokalisieren und
seine kognitiven Grundlagen. Bern: Huber.
Janzen, G. & Katz, S. (erscheint 2000). Die Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbewegung
und ihr Ausdruck in der Sprache. In Ch. Habel & Ch. v. Stutterheim (Hrsg.), Räumliche
Konzepte und sprachliche Strukturen. Tübingen: Niemeyer.
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