Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 93. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. März 2000 8657 Dr. Mathias Schubert (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, schon bei der Debatte zum Stand der deutschen Einheit im November vergangenen Jahres haben die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und mit ihr natürlich der Koalitionspartner der Bundesregierung für die realistische Bestandsaufnahme gedankt. Dies gilt uneingeschränkt auch für die sorgfältig erarbeitete, durch nüchterne Fakten unterlegte Antwort auf die Große Anfrage der PDS. Der Dank ist insbesondere an Sie, Herr Staatsminister Schwanitz, gerichtet. Negative Aspekte der ostdeutschen Realität werden dabei nicht ausgeblendet. Natürlich – das wissen wir alle – steht Erfolg neben Misserfolg, lässt sich kein einheitliches Urteil über die ostdeutschen Transformationsprozesse aus dieser Momentaufnahme der Antwort auf die Große Anfrage herausfiltern. Denn in den letzten zehn Jahren ist aus industriellen Ruinen eine ökonomische Landschaft voller Kontraste entstanden, eine Landschaft aus Wachstumszentren und Problemregionen, alles in allem eine bunt gescheckte Landschaft. Der Osten ist weder generell rückständig noch hat er den Westen generell überholt. Insofern war es Zeit für eine realistische Bestandsaufnahme als objektive Grundlage für zukünftiges politisches Handeln. Das gilt für die Arbeitsmarkt- und Forschungspolitik, für das Nachdenken über zukünftige Förderinstrumente, ins besondere in der Wirtschaft, und für den Weiterbau der Infrastruktur einem richtigen und erfolgsorientierten Weg Vielen herzlichen Dank. (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun der Kollege Klaus Brähmig, CDU/CSU-Fraktion. Klaus Brähmig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Lie- be Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte über die Große Anfrage der PDS zur Entwicklung und zur Situation in Ostdeutschland gilt sicher als Vorspeise auf die morgige Sonderveranstaltung des Deutschen Bundestages zum 10. Jahrestag der ersten freien Wahlen zur Volkskammer in der DDR. Diese Vorspeise lassen wir uns als Unionsfraktion von den Mitgliedern der PDS-Fraktion sicherlich nicht versalzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Am heutigen Tag muss nicht nur an die zehn Jahre der Entwicklung in Deutschland seit dem Fall der Todesgrenze gedacht werden, sondern auch den Frauen und Männern der ersten frei gewählten Volkskammer gedankt werden, die mit ihrem Engagement die Einheit unseres Vaterlandes vorangetrieben haben. Durch ihren Einsatz wurde möglich, was viele nicht mehr für möglich gehalten hätten. Wenn man hier in Berlin ostdeutsche Schülerklassen sieht, die ganz unbefangen und wie selbstverständlich durch das Brandenburger Tor gehen, dann wird mir immer wieder deutlich, dass die ältere Generation der Ost- SEITE ZURÜCK deutschen die Aufgabe hat, die Erinnerung daran wach zu halten, wie es in der ehemaligen DDR wirklich war. (C) Man muss sich immer wieder die Frage stellen: Was wäre aus dem Land, der Umwelt, den Betrieben, der Infrastruktur, den Städten, Krankenhäusern, Kirchen und Menschen geworden, wenn die deutsche Einheit nicht gekommen wäre? (Beifall bei der CDU/CSU) Die Gestaltung der deutschen Einheit war und ist unteilbar mit der Regierungskoalition unter der weitsichtigen Führung von Bundeskanzler Helmut Kohl verbunden, dem auch heute noch mein Dank für seine politische Lebensleistung gilt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, der erste Satz der Großen Anfrage der PDS sticht sofort ins Auge: Mit Blick auf den bereits am Horizont sichtbaren zehnten Jahrestag der staatlichen Vereinigung Deutschlands ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Dem kann man nur zustimmen. Allerdings dürfen wir bei der Bilanz zum Stand der deutschen Einheit nicht die katastrophale Abschlussbilanz für die Zeit von 1949 bis 1989 aus dem Auge verlieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Denn nur dann gelingt es, eine ehrliche und faire Behandlung aller im Zusammenhang stehenden Sachverhalte der Innen- und Außenpolitik vorzunehmen. Die PDS selektiert in ihrer Anfrage nur die politischen Bereiche, die ihre ideologische Ausrichtung unterstützen. Es wäre doch sehr interessant, darüber zu diskutieren, welche Auswirkungen 40 Jahre SED-Diktatur auf das Land und die Menschen gehabt haben. Warum lauten Ihre Fragen nicht: Wie viele Menschen wurde auf dem Weg in die Freiheit erschossen oder in Zuchthäusern der SED-Diktatur diszipliniert? (Beifall bei der CDU/CSU) Wie viele Betriebe sind verstaatlicht worden, ihre Eigentümer womöglich des Landes vertrieben? Wie viele Menschen wurden im Namen des Sozialismus um die Früchte ihrer ehrlichen Arbeit gebracht und um die Träume und Sehnsüchte ihrer Lebensplanung betrogen? Welche Wirkung haben die Zerschlagung des freien Unternehmertums sowie das Verbot, privates Vermögen aufzubauen, und die damit verbundene Eigenkapitalschwäche, die für die Bemühungen der Privatisierung an ostdeutsche Bürger nach 1989 entscheidend war? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie waren die Lebenserwartung der Bevölkerung und der Zustand des Gesundheitswesens? Wie groß war die ökologische Vergewaltigung der Flüsse, Wälder, der Luft und des Bodens von Rügen bis zum Fichtelberg? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) SEITE VOR (D)